06.05.2013 Aufrufe

www.philoges.de/images/stories/philoges/hoelderlin...

www.philoges.de/images/stories/philoges/hoelderlin...

www.philoges.de/images/stories/philoges/hoelderlin...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Alle drey Arten von Existenz entwickeln sich aus einem Grundton, und wer<strong>de</strong>n durch<br />

die Melodie zu Leben und Handlung. [...] Die Terz ist gleichsam das Herz, <strong>de</strong>r Sitz <strong>de</strong>r<br />

Lei<strong>de</strong>nschaft; und die Quint <strong>de</strong>r himmlische Geist, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Schöpfer <strong>de</strong>m Menschen<br />

einhauchte. (SW 5, 60)<br />

Heinse legt die nicht-temperierte Stimmung <strong>de</strong>r Tasteninstrumente zugrun<strong>de</strong>, wo die<br />

Intervalle <strong>de</strong>r Dreiklänge nur in einem Zentralbereich um C-Dur rein klingen und um so<br />

schräger, zu hoch o<strong>de</strong>r zu niedrig wer<strong>de</strong>n, je weiter im Quintenzirkel von C-Dur entfernt die<br />

Tonart liegt, <strong>de</strong>ren Dreiklang man spielt. Die Quinte, sagt Heinse, „verträgt gar wenig<br />

Verän<strong>de</strong>rung, wenn sie nicht aus einem Engel <strong>de</strong>s Lichts zum Teufel, o<strong>de</strong>r zur elen<strong>de</strong>n<br />

kranken Kreatur wer<strong>de</strong>n soll“ (SW 5, 60); die Terz drückt aus „die tiefste Angst und<br />

Bangigkeit, die rührendste Zärtlichkeit, die Heiterkeit gesun<strong>de</strong>n frohen Lebensgenusses, und<br />

die höchste Süßigkeit, dann Muth und Tapferkeit bis zur Wuth, welche Batterien stürmt beym<br />

wil<strong>de</strong>n Schall <strong>de</strong>r Kriegstrompete“ (SW 5, 60).<br />

Hier ist die Grundlage für Höl<strong>de</strong>rlins Lehre vom Wechsel <strong>de</strong>r Töne, einer umfassen<strong>de</strong>n<br />

Poetik, die er zusammen mit einer plötzlichen Flut von Musikmetaphern 15 unmittelbar nach<br />

<strong>de</strong>r Rückkehr nach Frankfurt erstmals im Hyperion-Roman verwirklichte. Da wer<strong>de</strong>n,<br />

entsprechend <strong>de</strong>n Intervallen <strong>de</strong>s Dreiklangs, eine normale Grundspannung – Höl<strong>de</strong>rlin nennt<br />

sie „naiv“ - , die Lei<strong>de</strong>nschaft <strong>de</strong>r Terz – Höl<strong>de</strong>rlin: „heroisch“ - , <strong>de</strong>r „himmlische Geist“ <strong>de</strong>r<br />

Quint – Höl<strong>de</strong>rlin: „i<strong>de</strong>alisch“ – unterschie<strong>de</strong>n, je<strong>de</strong>r Aspekt <strong>de</strong>r Dichtung ist, <strong>de</strong>m<br />

Intervallcharakter gemäß, doppelt in Grundton o<strong>de</strong>r Kunstcharakter o<strong>de</strong>r Richtungston,<br />

streckenweise noch mit drittem Wirkungston gestaltet. Die Abfolge <strong>de</strong>r Tonkombinationen ist<br />

in <strong>de</strong>n Gattungen und Stilarten <strong>de</strong>s Lyrischen, Epischen und Tragischen nach einem<br />

„gesezlichen Kalkul“ geregelt, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Modulationen und Ka<strong>de</strong>nzen <strong>de</strong>r musikalischen<br />

Komposition entspricht. Diese Lehre bezieht sich aber nicht nur auf <strong>de</strong>n phonetischmusikalischen<br />

Aspekt <strong>de</strong>r poetischen Sprache, son<strong>de</strong>rn auf die Wahl <strong>de</strong>s Ausdrucks, die<br />

„Melodie <strong>de</strong>r Vorstellungen“ nach Her<strong>de</strong>rs Formulierung, bis hin zur Konzeption <strong>de</strong>r Figuren<br />

<strong>de</strong>s Romans und ihren Konstellationen. So lässt sich beispielsweise Diotima <strong>de</strong>m naiven<br />

Toncharakter zuordnen; sie steht am Anfang in schöner Natürlichkeit im spannungslosen<br />

Einklang mit ihrer Umwelt, während Hyperion schon im Vorwort Höl<strong>de</strong>rlins als elegischer<br />

Charakter bezeichnet wird, also die sehnsuchtsvolle trauern<strong>de</strong> Variante <strong>de</strong>s i<strong>de</strong>alischen Tons<br />

repräsentiert. Alabanda, <strong>de</strong>r kämpferische Typus, gehört <strong>de</strong>m heroischen Ton an. In ihren<br />

Begegnungen nun verän<strong>de</strong>rn und modulieren einan<strong>de</strong>r die Figuren, nicht in ihrem inneren<br />

15<br />

Hans Joachim Kreutzer, Obertöne: Literatur und Musik. Neun Abhandlungen über das Zusammenspiel <strong>de</strong>r<br />

Künste. Würzburg 1994, 93, 96.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!