Exposé als pdf - bei der Galerie Schlichtenmaier

EXPOSÉ ZU ZWEI RELIEFBILDERN UND EINEM AQUARELL VON BERNARD SCHULTZE
Zum Künstler und zu dieser Arbeit:
Perm, 1957
Textilien, Kalkleim,
Plastikmasse und Ölfarbe
auf Leinwand
70 x 35,5 cm
signiert und datiert u. r.:
Bernard Schultze 57;
verso signiert, datiert und
bezeichnet: "Perm" (1957)
Bernard Schultze Frankfurt /M.
Preis: 21.000 €
Bernard Schultze zählt zu den wichtigen Repräsentanten der deutschen Kunst der Nachkriegszeit.
1952 gründet er zusammen mit Karl Otto Götz, Otto Greis und Heinz Kreutz die Künstlergruppe
"Quadriga" – die Kerngruppe der deutschen informellen Malerei. Schultzes Arbeiten werden häufig als
"lyrisch abstrakt" bezeichnet. Seine überwiegend farben-frohen und detailreichen, akribisch
hergestellten Bilder sind voller Elemente, die unterschiedlichste Assoziationen beim Betrachter
wecken. Seine Gemälde der 1950er Jahre unterscheiden sich von den Werken der informellen
Kollegen, denn in ihnen wird die Bezugnahme zum Surrealismus besonders deutlich.

Ab 1956 entstehen Bilder mit plastischen Einklebungen aus Stoffresten und Abfällen. Farbbrei-
Verkrustungen entwickeln im Werk von Bernard Schulze eine Eigengesetzlichkeit im Trocknungsprozess.
Im 1966 erschienenen Katalog zu seiner Einzelausstellung im Städtischen Museum Schloss
Morsbroich Leverkusen schildert Bernard Schulze diese Entwicklung folgendermaßen:
„Allmählich wuchsen aus der Fläche, die immer noch horizontal bearbeitet wurde, phantastische
Konstruktionen, wie zerfallene Palisaden, ausgebrannte Siedlungen und Vorfelder. Die Erinnerung an
einen Flugzeugabsturz inmitten einer blühenden Wiese, der Brandfleck, das grausige Mal einer
Katastrophe, gaben mir in dieser Zeit Anregung zu einem großen Reliefbild.“
Die Arbeit „Perm“ aus dem Jahr 1957 ist ein vorzügliches, frühes Beispiel für den Beginn des
Prozesses der Emanzipation der bildnerischen Mittel von dem Malgrund. Mit unterschiedlichsten
Materialien (Textilien, Plastikmasse und Ölfarbe), die sich reliefhaft überlagern, öffnet Schultze den
Raum zu einer plastischen Formgestalt.
Schultze beschreibt und begründet sein Vorgehen folgendermaßen:
„Ich begann meine Farbbrei-Verkrustungen künstlich zu übertreiben. Nahm außer Lappen, Holzteile
und Stroh hinzu und baute terrestrische, erdgeschichtliche Gebirgsmassive, wie aus der Sicht von
Flugzeugen. Der Gestus, die Struktur blieben dieselben, das war mein Psychogramm, flackernd sich
drängend, windend, gedreht und geknetet, gefächert, zerquetscht und behutsam gekräuselt. Ein
lautloses Gerinnsel, wie der unbeirrte Zug eines Ameisenheeres. So sah die Oberfläche solcher Bilder
aus. Und die Farbe floß die Höhen hinab, bildete trübe milchige Lachen in den Senken, und ein
stumpfes Rostrot auf den erhabenen Stellen, rann in das Blau einer Mulde und machte ein trübes
bräunliches Violett daraus.“
Truhlftes (Reliefbild), 1960
Leinwand auf Keilrahmen, Polyester, Plastikmasse, Spachtelkitt, Draht, Papier, Mullbinde, Ölfarbe
51 x 32 x 32 cm
signiert am rechten Rand unten: Bernard Schultze 60
verso signiert, datiert und betitelt: truhlftes 1960 Bernard Schultze 60
Provenienz: Sammlung Kurt Leonhard
vgl. L. Romain/R. Wedewer. Bernhard Schultze, 1991, Werkverzeichnis-Nr. 90/60
Preis: 10.000 €

Die „Reliefbilder“ führen Bernard Schultze vom zweidimensionalen Bild zum dreidimensionalen
plastischen Gebilde. Über Maschendraht gelegte, mit Polyester getränkte Lappen wachsen aus den
Bildern in den Raum. Nicht als eine volumenhaltige Form, sondern wie eine brüchig, fragile Haut
wirken seine Objekte.
Schultze beschreibt sie 1966 folgendermaßen:
„Die Farbe änderte sich auch in ihrem Helligkeitswert. War sie früher dunkeltonig und beinahe
lichtundurchlässig, wurde sie jetzt hell, luzid. Ein Schock war zu verzeichnen: Zu den groteskzerstörten
und sich zersetzenden Farbgebilden gesellte sich eine Farbe voller Blühen und Heiterkeit:
»Was wir Seerose nennen ist ein blühender Magen« (Grözinger). Die Farbe wurde jetzt Pigment,
Warnfarbe wie in der Reptilwelt. Parallel zur Natur bevorzuge ich die Farbschwellungen, die
unmerklichen Übergänge. Wie ja auch in der Thematik selbst alles Übergang ist, Kennzeichen dieser
Reliefbilder, die im Zwischenreich von Plastik und Malerei beheimatet sind.“
Das Reliefbild „Trulfthes“ von 1960 zählt zu den sehr frühen Werken der mit dem lautmalerisch,
poetischen Titel „Migofs“ bezeichneten Werkgruppe. Schulze gebraucht diese frei erfundene
Bezeichnung für Gebilde und Kunstwesen, die für ihn zwischen den Naturgeschöpfen existieren.
Anklänge an die exquisite Geschmackskultur eines Joris-Karl Huysman in der Zeit der französischen
Decadence sind hierin ebenso verborgen, wie die lebenswirkliche Härte eines Samuel Beckett.
4/38/58, 1958
Mischtechnik (Aquarell, Kreide, Tusche auf Büttenpapier)
64,6 x 28,2 cm
signiert, datiert und bezeichnet u.r.: 4/38/52 Bernard Schultze
Preis: 4.000 €

Der Assoziationsreichtum der plastischen Arbeiten findet sich auch in Schultzes Papierarbeiten.
So erinnert das Aquarell „4/38/58“ von 1958 an wuchernde Landschaftsformen. Farbe fließt über die
Bildfläche, vermischt sich und bildet helle und dunkle Stellen aus, die durch Tuschkritzeleien
angereichert den Charakter einer Reliefkarte erhalten. Gleichzeitig erwecken die miteinander
verflossenen Farben und die Tuschzeichnung den Eindruck organischen Wachsens. Die vielfältigen
Überlagerungen brechen die Farbigkeit zu einer braunen und grauen Farbigkeit. Das romantische
Element des Verfalls, in seinem Pathos durch den Surrealismus gebrochen, findet hier Eingang in das
Werk von Schultze.
Bernard Schultze: „Dem Chaos Einlaß zu geben, ein romantisches »Zurück zur Natur«, waren
geheime Quellen des Tachismus. Die Magie im Surrealismus, seine Formel vom »Diktat des
Unbewußten« musste in der informellen Malerei ein dunkel aufgewühltes Chaos als Symbol tragen.“
Biografie Bernard Schultze
1915 geboren in Schneidemühl / Polen
1934-39 Studium bei Willy Jäckel an der Hochschule für Kunsterziehung in Berlin und an der
Kunstakademie in Düsseldorf
1945 Zerstörung aller Arbeiten beim letzten Kriegsangriff auf Berlin
1951 erste informelle Bilder
1952 Gründung der Künstlergruppe „Quadriga“ in Frankfurt (zsm. mit Karl Otto Götz, Otto Greis
und Heinz Kreutz)
1954 erste plastische Einklebungen in den Bildgrund
1959 Teilnahme an der documenta II, Kassel
1961 Entstehung der "Migofs"
1964-75 Studienreisen in die USA, Ceylon, Thailand, Burma, Mexiko und Guatemala
1964 Teilnahme an der documenta III, Kassel
1968 Übersiedlung nach Köln
1969 Kunstpreis der Stadt Köln
1972-92 Mitglied der Akademie der Künste in Berlin
1977 Teilnahme an der documenta VI, Kassel
1981-82 Retrospektiven in Düsseldorf, Berlin, Frankfurt und Saarbrücken
1981 Titularprofessor des Landes Nordrhein-Westfalen
1984 Großer Hessischer Kunstpreis
1986 Lovis-Corinth-Preis, Regensburg
1989 Verleihung des Verdienst-Ordens des Landes Nordrhein-Westfalen
1990 Verleihung der Stephan-Locher-Medaille der Stadt Köln
2005 gestorben in Köln
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