schmerzmedizin 4 / 2012 - Schmerz Therapie Deutsche Gesellschaft ...
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© Ugurhan Betin / istockphoto.com Ein friedvoller Tod – das Hauptziel der terminalen Sedierung.<br />
Palliativmedizin<br />
Euthanasie<br />
Die ethische Debatte um den Begriff der sogenannten<br />
Euthanasie bedarf einiger Klarstellungen.<br />
1. Aktive Sterbehilfe: Hierunter versteht<br />
man die schmerzlose Tötung eines Patienten<br />
auf dessen ausdrücklichen oder mutmaßlichen<br />
Wunsch hin. Die Maßnahme ist in<br />
Deutschland strafrechtlich verboten.<br />
2. Passive Sterbehilfe: Hierunter fällt ein<br />
sogenannter Behandlungsabbruch bzw.<br />
eine <strong>Therapie</strong>zieländerung, nämlich der Verzicht<br />
auf lebensverlängernde Maßnahmen<br />
(oder ihr Abbruch) entsprechend dem ausdrücklichen<br />
oder mutmaßlichen Willen des<br />
Patienten. Diese Maßnahme ist rechtlich zulässig<br />
und ethisch geboten, wenn die <strong>Therapie</strong>zieländerung<br />
zu einer palliativen Betreuung<br />
dem Patientenwillen entspricht.<br />
3. Indirekte Sterbehilfe: Hierbei wird eine<br />
Lebensverkürzung bei der <strong>Schmerz</strong>- und<br />
Symptomlinderung am Lebensende inkaufgenommen.<br />
Sie ist ethisch und rechtlich<br />
zulässig und geboten, wenn die Symptomlinderung<br />
dem Patientenwillen entspricht.<br />
4. Ärztlich assistierter Suizid: Beihilfe zur<br />
Selbsttötung beim einwilligungs- und urteilsfähigen<br />
Patienten. Die Maßnahme stellt<br />
keinen eigenständigen Straftatbestand da,<br />
ist aber standesrechtlich untersagt und wird<br />
aktuell heftig diskutiert.<br />
Der Begriff der Euthanasie wird in Großbritannien<br />
anders eingestuft: Hier unterscheidet<br />
man die freiwillige Euthanasie<br />
(ärztliche Lebensbeendigung auf ausdrücklichen<br />
Wunsch des informierten Patienten),<br />
die nicht freiwillige Euthanasie (Lebensbeendigung<br />
bei einwilligungsunfähigen bzw.<br />
bewusstlosen Patienten entsprechend seinem<br />
mutmaßlichen Willen oder Todeswunsch)<br />
und die unfreiwillige Euthanasie<br />
(Mitleidstötung entgegen dem Wunsch des<br />
Patienten).<br />
Terminale Sedierung<br />
Vor dem Hintergrund der oben aufgeführten<br />
Definitionen muss die terminale Sedierung<br />
als eine palliativmedizinische Maßnahme<br />
definiert werden, deren Indikation von<br />
schwerwiegenden Symptomen abgeleitet<br />
wird: Zu diesen gehören unkontrollierbarer<br />
<strong>Schmerz</strong>, Unruhe und Dyspnoe.<br />
Es handelt sich um eine Maßnahme<br />
der sogenannten indirekten Sterbehilfe,<br />
mit dem Ziel der Symptomlinderung und<br />
der Inkaufnahme einer Lebensverkürzung.<br />
Der nationale Ethik rat hat 2010 empfohlen,<br />
den Begriff umzuändern in „<strong>Therapie</strong> am<br />
Lebens ende“.<br />
Jede palliativmedizinische Maßnahme,<br />
die wir an unseren schwerkranken Patienten<br />
ausführen, muss Antworten auf folgende<br />
Fragen bieten:<br />
z z Welche Maßnahme soll durchgeführt wer-<br />
den?<br />
z z Welcher Preis muss bezahlt werden?<br />
z z Welche Verbesserung der Lebensqualität<br />
ist zu erreichen?<br />
z z Um wessen Lebensqualität geht es?<br />
z z Wie lange soll die entsprechende Maßnahme<br />
durchgeführt werden?<br />
Die Antworten auf diese Fragen sollen für die<br />
letzten Wochen und Tage eines Patienten klären,<br />
um welche Behandlungsziele es sich<br />
handelt und ob die getroffenen Maßnahmen<br />
nicht eher der Lebensqualität der den Ster-<br />
benden Begleitenden als der Lebensqualität<br />
des Patienten dient.<br />
In diesem Sinne wird nicht nur die Sedierung,<br />
sondern auch die Rehydratation am<br />
Lebensende heftig diskutiert. Morphinperfusoren<br />
bei Unruhe am Lebensende können<br />
sehr wohl hinterfragt werden: Eine Maßnahme<br />
gegen den <strong>Schmerz</strong>? Eine Maßnahme zur<br />
Sedierung des Patienten? Eine Maßnahme<br />
mit mutmaßlichem Einverständnis? Unruhezustände<br />
am Lebensende bedürfen einer<br />
neuropsychiatrische Differenzialdiagnostik<br />
insbesondere des Delirs.<br />
Die terminale Sedierung kann nur die<br />
„bestmögliche Lösung“ unter vielen Möglichkeiten<br />
der Symptomkontrolle sein. Sie<br />
setzt eine respektvolle Kommunikation mit<br />
dem Patien ten und mit seinen Angehörigen<br />
voraus, die neben den begleitenden Helfern<br />
in die Entscheidungen einbezogen werden<br />
sollen. Der „informed consent“ stellt die Patientenautonomie<br />
als die maßgebliche Größe<br />
in der Fürsorge heraus.<br />
Im Vorfeld aufklären<br />
Eine Aufklärung über die Sedierung sollte<br />
deshalb, falls möglich, außerhalb akuter Bedrohungssituationen<br />
erfolgen, besonders bei<br />
Grunderkrankungen, die mit starken Ängsten<br />
einhergehen, wie beispielsweise die amyotrophe<br />
Lateralsklerose. In akuten Situationen<br />
kann die Indikation natürlich auch ohne expressive<br />
Einwilligung des Patienten erlaubt<br />
und geboten sein, beispielsweise bei massiven<br />
Blutungen. Solche Maßnahmen setzen<br />
klare Absprachen im Team, eine sorgfältige<br />
Dokumentation, Transparenz und eindeutige<br />
klinische Kriterien voraus. Es handelt sich<br />
nicht um eine sogenannte „langsame Euthanasie“<br />
die eine Sedierung bis ins Koma darstellt,<br />
beispielsweise durch Benzodiazepine<br />
oder Morphine, ohne anschließende Flüssigkeits-<br />
und Kalorienzufuhr.<br />
Erschreckend erscheint, dass solche Maßnahmen<br />
in den Niederlanden bei vielen Patienten<br />
im Vorfeld nicht abgesprochen worden<br />
sind (Rietjens C et al. 2004). Die Lebenswirklichkeit<br />
in der hospizlichen Begleitung<br />
hat gezeigt, dass Patienten im fortgeschrittenen<br />
Leiden oft doch besser zurecht kommen<br />
können, als sie sich selbst und andere<br />
zuvor vorstellen konnten. Wir sollten deshalb<br />
misstrauisch gegenüber allen Formen<br />
von Fremddefinition der Lebensqualität<br />
sein. Den palliativen Grundfragen wäre vielleicht<br />
hinzuzufügen: Wer fühlt sich unglücklich?<br />
Der schwerkranke Mensch oder seine<br />
Umgebung? ■<br />
Johannes Horlemann, Kevelaer<br />
16 SCHMERZMEDIZIN 4/<strong>2012</strong> (28. Jg.)