Vortrag von Dietrich Kraetschell - Schwankhalle
Vortrag von Dietrich Kraetschell - Schwankhalle
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Plädoyer für ein<br />
zeitgemäßes stadtplanerisches Selbstverständnis<br />
Die Krise als Chance erkennen – Freiraumkultur meets <strong>Schwankhalle</strong><br />
<strong>Dietrich</strong> Krätschell, Bremen, den 08.03.2005<br />
<strong>Vortrag</strong> im Rahmen einer DGGL-<strong>Vortrag</strong>sreihe zur Volksparkbewegung und<br />
aktuellen Planungstendenzen<br />
Eine Veranstaltung in Kooperation mit der Stadtbibliothek
Einleitung<br />
Immense Veränderungsprozesse unserer Gesellschaft stellen auch die Stadtplanung vor<br />
scheinbar unlösbare Aufgaben: Überalterung unser Gesellschaft, Abkehr vom Lebensmodell<br />
„Familie“, steigende Arbeitslosigkeit, schrumpfende Städte, Finanznot der öffentlichen Haushalte<br />
usw.. Gibt es bei der Planung des öffentlichen Raumes überhaupt Lösungswege für die<br />
diese drängenden Zukunftsfragen? Um sich der Antwort auf diese Frage zu nähern, wird die<br />
gegenwärtige Sachlage des öffentlichen Raumes beleuchtet. Mit den daraus gezogenen<br />
Schlussfolgerungen wird übergeleitet zu Lösungsansätzen, die die Stadtplanung anzubieten<br />
hat – ein Bremer Modellversuch wird vorgestellt. Im Resümee wird zu einem zeitgemäßen<br />
Selbstverständnis aller an der Stadtentwicklung Beteiligten aufgerufen.<br />
1 Von der Vielfalt und Unübersichtlichkeit des öffentlichen Lebens<br />
Die schleichende Privatisierung des öffentlichen Raumes<br />
Es waren stille Örtchen der anderen Art. Nicht, dass man sich dort besonders wohl gefühlt<br />
hätte. Alles war ein wenig klebrig und angeranzt, die Luft war stickig, selbst an kalten Tagen.<br />
Und doch hatten die kleinen Häuschen immer auch etwas Angenehmes. Sobald sich die<br />
Glastür schloss, spürte man die Stille: Die Welt draußen war nur noch diffuses Brummen, die<br />
Wartenden vor der Kabine, ihr empörtes Klopfen, ließen sich getrost ignorieren. Telefonzellen<br />
waren Orte des Privaten, Refugien der Intimität. Das öffentliche Leben musste draußen<br />
bleiben.<br />
Nun aber hat die Telekom ein großes Zellensterben eingeleitet, denn die herkömmlichen<br />
Kabinen werden immer weniger genutzt. Längst tragen die meisten Menschen ihr Telefon in<br />
der Jackentasche mit sich herum und zelebrieren Turteleien ebenso wie Ehekräche auf offener<br />
Straße. Öffentliche Fernsprecher sind zunehmend nur noch Stelen, aufgestellt an tosenden<br />
Straßen und Plätzen. Auch wer kein Handy besitzt muss sich nun brüllend allen mitteilen,<br />
ungeschützt vor Wind und regen, vor dem Lärm und der Neugier seiner Mitmenschen.<br />
Wieder ist eine Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem gefallen.<br />
Wundert das jemanden? Wer sich in unseren Städten ein wenig umsieht, dem dürfte das<br />
Ende der Telefonhäuschen einen Trend bestätigen: Immer seltener lässt sich das Private<br />
noch vom Öffentlichen unterscheiden.<br />
Ganz selbstverständlich führen viele Leute im Jogging-Anzug, also quasi im Pyjama mit<br />
hausschuhähnlichen Schlappen an den Füßen ihren Hund Gassi.<br />
Andere Zeitgenossen, egal wo sie stehen, wo sie gehen, führen sich ein Würstchen, ein<br />
Brötchen, ein Riegelchen zu Gemüte, sie enthäuslichen das Essen.<br />
Bei dieser Entwicklung handelt es sich um die Enthäuslichung <strong>von</strong> Verhalten bzw. um Funktionsverlagerungen<br />
vom Privaten ins öffentliche Leben.<br />
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Neben dieser Privatisierung des Verhaltens im öffentlichen Raum lassen sich weitere Privatisierungstendenzen<br />
beschreiben:<br />
- Inanspruchnahme öffentlicher Flächen durch Handel und Gastronomie. Z.B. Sondernutzungen<br />
(Werbestände im Bahnhof oder am Bahnhofsvorplatz , Straßencaféplätze)<br />
- Verlagerung <strong>von</strong> Nutzungen im ehemals „richtigen“ öffentlichen Raum auf privat produzierte<br />
Räume. Z.B. shopping-malls (Roland-Center in Bremen mit Flohmarkt, Potsdamer<br />
Platz in Berlin)<br />
- Verlagerung ehemals öffentlich wahrgenommener Aufgaben in den privatwirtschaftlichen<br />
Bereich. Z.B. private Wachdienste, Pflege/Unterhaltung des öffentlichen Raumes<br />
(Schwarze Sheriffs am Potsdamer Platz, GaLaBau-Betriebe pflegen das öffentliche<br />
Grün)<br />
- Private Stadtteilorganisation mit Abgrenzungszwecken. Z.B. Entertainment Center,<br />
Ökosiedlungen und gated communities (Space-Center, Potsdamer Platz, Ökosiedlung<br />
Corneliusstraße in Berlin-Tiergarten)<br />
Das Ende des öffentlichen Raumes?<br />
Der öffentliche Raum ist am Ende, könnte man meinen. Essayisten und Theoretiker hatten<br />
bereits vor Jahren davor gewarnt, dass durch die Kommerzialisierung, durch die Mega-Malls<br />
und die Festivalisierung im öffentlichen Raum sowie durch die vielen Überwachungskameras<br />
das öffentliche Leben erheblichen Schaden nehmen könnte.<br />
Das Gegenteil kehrte ein:<br />
Die Inbesitznahme der Stadträume wird gefeiert. Die Neue Lust auf Stadt, das Citytainment,<br />
die Stadt als Bühne, der öffentliche Raum als Sphäre der Inszenierung, der Auszug ins Öffentliche,<br />
die vielen Möglichkeitsräume bezeichnen den aktuellen Trend.<br />
Es gibt mehr Straßencafés, mehr Straßenkunst denn je und nie zuvor wurden die Städte<br />
intensiver als Spiel- und Sportstätten für Skateboarding, Street-, Beachball und Joggen benutzt.<br />
Auch der politische Mensch nimmt sich seinen Raum: Keine Demonstration, die wegen<br />
der vielen neuen Einkaufszentren nicht hätte organisiert werden können. Von einer grundsätzlichen<br />
Einschränkung und Uniformierung des öffentlichen Raumes oder des öffentlichen<br />
Lebens zu sprechen wäre also falsch.<br />
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Die Krise des Gemeinwesens<br />
Wenn sich bei vielen dennoch ein Unbehagen breit macht, dann vielleicht deshalb, weil die<br />
Stadt immer mehr war als das bloße Nebeneinander einer Vielzahl unterschiedlicher Öffentlichkeiten.<br />
Zumindest war dies seit der Aufklärung die Utopie der Stadtfreunde: Dass sich im<br />
städtischen Raum eine Gemeinschaft der Bürger konstituieren würde, die das Gleichgültige<br />
unterschiedlichster Lebensentwürfe überwölben würde. Die Stadt als Toleranzschule, die<br />
Verschiedenartiges miteinander verbindet.<br />
Statt <strong>von</strong> einer Krise des öffentlichen Raumes sollte man besser <strong>von</strong> der Krise des Gemeinwesens<br />
sprechen. Es gehört zu den unauflösbaren Widersprüchen der modernen Stadt,<br />
dass sie erst die Geburtstätte des individualisierten Lebens war und nun an gerade dieser<br />
Individualisierung leidet. Die Bindung vieler Menschen an einen Ort, an einen Partner sowie<br />
die Verbindlichkeit großer gesellschaftlicher Institutionen lockert sich. Überall bilden sich<br />
neue kleinere Formen der Gemeinschaft, das große Ganze hat sich für viele erübrigt.<br />
Überspitzt könnte man zusammenfassen: Wir sind durch nichts mehr <strong>von</strong>einander getrennt –<br />
aber auch durch nichts mehr miteinander verbunden. Deshalb ist die Grenze zwischen Publik<br />
und Privat scheinbar überflüssig geworden. Und deshalb ist die Vielfalt <strong>von</strong> Öffentlichkeit<br />
so unübersichtlich.<br />
Die Stadt als Emanzipations- und Integrationsstätte – nur noch ein Traum?<br />
Müssen wir uns nun verabschieden <strong>von</strong> dem Leitbild, der urbane Raum könne die Menschen<br />
emanzipieren und integrieren? Hat die Idee <strong>von</strong> der sozialen Integrationsfunktion des öffentlichen<br />
Raums ausgedient? Muss der Anspruch der Stadtplanung, Planung in Wechselbeziehung<br />
zur Gesellschaft zu sehen, also der sozialrelevante Planungsanspruch, nicht allein<br />
schon angesichts knapper Kassen fallen?<br />
Ein Beispiel:<br />
Eine öffentliche Parkanlage verkommt aufgrund <strong>von</strong> Vandalismus und Vermüllung.<br />
Als Reaktion <strong>von</strong> Verwaltung und Politik folgt die Deregulierung. Es wird nicht mehr gepflegt<br />
und erneuert. Das Argument: Wenn der Müll liegen und alles kaputt bleibt, kehrt bei den<br />
Verursachern Einsicht ein und alles wendet sich zum Guten. Durchgängig wurde damit die<br />
gegenteilige Erfahrung gemacht. Der Zustand der Anlage verschlechterte sich zunehmend<br />
und bewirkte einen Negativtrend bis zur Verwüstung und totalen Unbenutzbarkeit. Effekte<br />
wie Verschärfung gesellschaftlicher Konflikte, Ghettobildung, Sinken <strong>von</strong> Immobilienpreisen,<br />
Schwächung der weichen Standortfaktoren etc. folgen.<br />
Ordnungshüterische Reaktionen auf die Ausgangssituation bewirken nach allgemeiner Erkenntnis<br />
zwar eine Verbesserung der Situation an einer Stelle aber führen zur Verschlechterung<br />
an anderer Stelle. Die ordnungshüterische Lösung ist zudem nicht flächendeckend realisierbar<br />
bzw. nicht finanzierbar.<br />
Welche Reaktionsweise ist nun angemessen und das auch noch bei zunehmenden Finanzzwängen?<br />
Wer das Konzept des öffentlichen Raums lebendig halten möchte, kommt nicht umhin sich<br />
auf die Unübersichtlichkeit unserer Gesellschaft einzulassen und die gesellschaftlichen Zusammenhänge<br />
mit in die Planung einzubeziehen.<br />
Aber was sollten die Stadtplaner gegen die Zerrüttung der Gesellschaft ausrichten?<br />
Ist unsere Gesellschaft tatsächlich so aussichtslos zerrüttet, dass die Stadtplanung sich gar<br />
nicht mehr mit ihr befassen zu bräuchte? Die auffällig angestiegene Zahl <strong>von</strong> Beteiligungsverfahren<br />
bei Planungen zu öffentlichem Räumen zeichnet ein Gegenbild dazu. Die Beteiligungsverfahren<br />
für die Entwicklung Tenevers, des Stadionbades, der Pauliner Marsch, der<br />
Grünanlagen am Vahrer See und am Westerdeich sowie zahlreicher Spielplätze und Schulhöfe<br />
stehen für die Zunahme privaten Engagements und Gemeinsinns in Bremen.<br />
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In anderen Großstädten ist das ebenso. In den Beteiligungsverfahren zeigt sich, dass die<br />
Menschen anspruchsvoll sind und dazu bereit sind, die Stadt zu ihrer eigenen Sache zu machen.<br />
Je stärker die Fliehkräfte ei einer Gesellschaft werden, desto größer wird das Bedürfnis nach<br />
Bindung.<br />
Eine Umfrage des Sterns zu den gewünschten Wohnverhältnissen seiner Leser im Jahr<br />
2002 ergab, dass 90 % <strong>von</strong> 35.000 Befragten sich aktive lebendige Nachbarschaften wünschen.<br />
Viele Befragte wünschen sich zudem Selbstverwaltung, können sich Bürgerbeiräte<br />
vorstellen, die Stadtverwaltungen, so heißt es müssten künftig mehr delegieren. Folgt man<br />
der Stern-Studie, dann dürfte das, was in den USA unter dem Schlagwort Neighbourhood<br />
schon seit längerem ein Leitkonzept ist, auch in Deutschland zur Maxime für den öffentlichen<br />
Raum werden. (Die Sternstudie ist zwar nicht repräsentativ für den Bevölkerungsquerschnitt,<br />
doch zeichnet sie einen Trend).<br />
Schlussfolgerungen<br />
Wir befinden uns in einer Zeit des Wandels mit starken Gegensätzen und auch Widersprüchen.<br />
Und:<br />
Aller Wandel zeigt, dass<br />
- er verschieden gesehen werden kann<br />
- fast immer aus Bewegung eine Gegenbewegung bzw. aus einer Abwärtsbewegung<br />
eine Aufwärtsbewegung entsteht<br />
Anders ausgedrückt: Die Biotope für Flaneure alten Typs werden enger, während die Skater<br />
des 21. Jahrhunderts allmählich Schwung aufnehmen.<br />
Die Krise als Chance erkennen<br />
Es gibt sie also doch: Motivationsanlässe für die Stadtplanung, schwierige Zukunftsfragen<br />
als spannende Herausforderung anzunehmen.<br />
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2 KUNSTFREIRAUMSTADT – Ein Bremer Modellversuch<br />
Die Planungsabteilung Stadtgrün Bremens lässt sich ein auf diese Herausforderung und<br />
entwickelte mit den Künstlern der <strong>Schwankhalle</strong> das Projekt „KUNSTFREIRAUMSTADT“ für<br />
die Bremer Neustadt.<br />
Ausgangssituation<br />
Die Bremer Neustadt liegt mit hohem Einwohnerrückgang, überdurchschnittlichem Ausländer-<br />
und Erwerbslosenanteil, Entmischung <strong>von</strong> Bevölkerungsgruppen, niedrigem Bildungsstand<br />
und hohem sozialen Konfliktpotential im internationalen Trend der Negativentwicklung<br />
innerstädtischer Stadtteile. Die Neustadtswallanlagen, der einzige größere öffentliche Freiraum<br />
der Neustadt, bilden das Ausgangspotential für das Projekt. Grünanlagen sind ein prägender<br />
Standortfaktor, insbesondere indem sie den Freiraum für Begegnung und Interaktion<br />
zwischen Mitbürgern im Rahmen alltäglicher wie auch inszenierter Situationen bieten: Alltagskultur<br />
und Besondere Kultur. Neben einer „einladenden“ baulichen Gestaltung ist die<br />
Belebung des Freiraumes durch Benutzung wesentlich für eine positive Stadt(teil)entwicklung<br />
und Lebensqualität.<br />
Projektidee und Zielsetzung<br />
Mit der Belebung des öffentlichen Lebens bietet sich die Chance, die Mischung der Neustädter<br />
sozialen Schichten, ethnischen Gruppen sowie Altersgruppen zusammenzuführen.<br />
Mit einer gemeinsamen, lokalen Alltagskultur kann Gemeinsinn und privates Engagement<br />
vor Ort geweckt werden. Gemeinsam mit den Neustädter Bürgern, Fachverwaltungen, Politik<br />
und sonstigen lokalen Kooperationspartnern wird aufbauend auf den Gemeinsinn nach maßgeschneiderten<br />
Lösungen für die drängenden Zukunftsfragen gesucht.<br />
Umsetzung<br />
Die Themen werden nicht vorgegeben, sondern sollen sich aus dem Prozess heraus und<br />
nach den Bedürfnissen der Bürger entwickeln.<br />
Mögliche Themen sind:<br />
- die Zukunft <strong>von</strong> Neustädter Senioren und Familien<br />
- die Integration <strong>von</strong> Randgruppen<br />
- die Zukunft <strong>von</strong> Rot-Kreuz-Krankenhaus und Hochschule im Stadtteil<br />
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Lösungsansätze könnten sein:<br />
„Neustädter Gewächse: Offene Gärten, offene Küchen, internationale Saat und ihre<br />
Früchte, junges Gemüse, bunte Blumen, blühender Handel, Kraut und Rüben“<br />
Ein Projekt <strong>von</strong> Neustädter Lebenskünstlern (z.B. Immigranten, Obdachlose, Langzeitarbeitslose<br />
etc.) auf dem Friesenwerder oder westlich der Langemarckstraße zur Mitgestaltung<br />
des Neustädter Alltags mit praktischer und kreativer Arbeit.<br />
Unter der Mitwirkung einer soziokulturellen Institution (Amt für soziale Dienste, Kirchengemeinde<br />
o.a.) und Stadtgrün Bremen legen die Beteiligten einen Nutzgarten zum Anbau <strong>von</strong><br />
Gemüse und Schnittblumen an. Gemeinsam wird das jährliche Kulturprogramm („Afrikanische<br />
Früchtchen in der Neustadt“, „Neustädter Sonne über internationalen Nachtschattengewächsen“,<br />
„Junges Gemüse auf den Spuren der Neustädter Urahnen“ etc.) bestimmt, gesät,<br />
angepflanzt, gepflegt und geerntet. Das Projekt fügt sich ein in das Gesamtprogramm<br />
„KunstFreiraum(Neu)stadt“. So können Ernterituale zelebriert werden, junges Gemüse in der<br />
internationalen Neustädter Kioskgastronomieszene Einzug finden oder Gäste der Neustadt<br />
mit der Blütenernte begrüßt werden.<br />
Über die sozialen Aspekte der Gartenarbeit und den integrativen Charakter anderer Kulturen<br />
hinaus, werden historische Bezüge zur Nutzung der Neustadtswallanlagen aufgedeckt und<br />
das sinnlich-ästhetische Spektrum des städtischen Freiraums deutlich erweitert.<br />
Weitere Ideen:<br />
• Volksküche und öffentlicher Nutzgarten / Gärtnerei<br />
• Was kann man wie alles, auch mit performativen Tricks, noch zum Blühen bringen: Die<br />
Neustadt blüht (für ein Wochenende, eine Woche)<br />
• Gemüsegarten als „Schaugarten“<br />
• „Gemüselehrpfad“<br />
• Tiere im Garten, Kühe in der Stadt – Kuhweide und Milchbar<br />
Die <strong>Schwankhalle</strong> und Stadtgrün Bremen entwickelten darüber hinaus noch einige andere<br />
Projektskizzen.<br />
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Prozessauftakt<br />
Über einen künstlerisch inspirierten Prozessauftakt soll Interesse am Thema und Lust zur<br />
Beteiligung geweckt werden. Dabei sollen Anstöße gegeben werden, was öffentlicher Raum<br />
bzw. wie öffentliches Leben ist und sein könnte.<br />
Die Neustadt verfügt bislang über zu wenige Anziehungspunkte, die einen Aufenthalt im Freiraum<br />
gezielt mit dem kommunikativen Austausch <strong>von</strong> Nachbarschaften verbinden lassen.<br />
Ein Markt in Verbindung mit einfachen gastronomischen Angeboten oder auch ein Kiosk mit<br />
einigen Steh- und Sitzplätzen, Zeitschriften, Snacks etc. stellt eine einfaches Angebot an die<br />
Nachbarschaft dar, das ungezwungenes Vergnügen, Gespräch, Agieren und Zusehen ermöglicht.<br />
Im Gegensatz zu anderen Angeboten ist ein Kiosk einfach zu installieren, billig und<br />
schnell zu verlagern. Andere Städte – Berlin, Köln, Caracas, Beirut u.v.a. - zeigen, dass die<br />
Kioskkultur“ wesentlicher Teil alltäglichen Zusammenlebens <strong>von</strong> Nachbarschaften sein kann.<br />
Die Idee zum Projekt- bzw. Prozessauftakt baut sich um die Veranstaltung des 1. Internationalen<br />
Bremer Kioskfestivals auf. Für die Dauer <strong>von</strong> zwei Wochen wird mit 8 Kiosken in<br />
der Neustadt ein Programm der besonderen und der Alltagskultur inszeniert. Dabei werden<br />
bestehende Kioske ins Programm aufgenommen und zusätzliche Kioske zunächst temporär<br />
installiert.<br />
Nun beschränkt sich unsere Projektidee nicht auf den Kiosk als solchen, sondern will gezielt<br />
traditionelle Kiosk-Kultur verbinden mit kulturellen, künstlerischen Angeboten <strong>von</strong> (Lebens-)<br />
Künstlern als Kiosk-Gestalter und –Betreiber. Ein möglichst breites Spektrum an Kulturangeboten<br />
soll möglichst viele Mitbürger dazu anregen, sich an einer Belebung des öffentlichen<br />
Raumes, an der Entwicklung ihres Stadtteils zu beteiligen. Ein Festival unterschiedlichster<br />
Kioske, über die Neustadtswallanlagen und ihr Umfeld verteilt, soll einen konstruktiven und<br />
eigendynamischen Prozess der Entwicklung <strong>von</strong> Nachbarschaften auslösen. Dieser Prozess<br />
wird <strong>von</strong> Stadtgrün Bremen und der <strong>Schwankhalle</strong> moderiert und hat den Charakter der empirischen<br />
Suche nach der Antwort auf die Frage, wie die Neustadt als Stadtquartier über die<br />
Freiraumentwicklung, kulturelle Angebote und Diversität an Lebensqualität, Lebendigkeit<br />
gewinnen kann. Wir sind da<strong>von</strong> überzeugt, dass nur durch einen phantasievollen Prozess,<br />
gepaart mit umsetzungsbezogener Pragmatik, eine ausreichende Strahlkraft und Motivation<br />
für das Weitermachen erzeugt wird. Die geplante Aktion ist daher als Beginn einer kontinuierlichen<br />
Entwicklung gedacht.<br />
Zwei Kioskbeispiele:<br />
Kiosk am Leibnizplatz<br />
Der bestehende Kiosk am Leibnizplatz wird mit in das Programm aufgenommen. Die derzeitige<br />
Anlaufstelle für Mitglieder sozialer Randgruppen wird durch ein künstlerisch inszeniertes,<br />
kooperatives Projekt zur erlebenswerten Neustädter Adresse. Hier gibt es ein<br />
gastronomisches Angebot, einen Kleinmarkt und Neustädter Geschichten aus 1000 + 1<br />
Nacht (künstl. Beiträge über die Neustadt aus Sicht <strong>von</strong> Fremden und Geschichten aus<br />
dem Leben der Mitglieder des Literaturclubs). Mit einem künstlerischen Rahmenprogramm<br />
wird das Stigma einer sozialen Randgruppe gelöst und der Kiosk als Keimzelle<br />
<strong>von</strong> Alltagskultur inszeniert.<br />
Kunst-Kiosk – KinderGarten<br />
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In einem Container mit Glasfront gibt es eine theatrale Installation zum Thema Kinder in<br />
unserer Gesellschaft. Ausgehend vom Erziehungsmodell des Pädagogen Friedrich Fröbels,<br />
ist der Kindergarten die Bühne, auf der die Kinder die Realität der Erwachsenen<br />
durch (Rollen)Spielverhalten zu ihrer eigenen Realität machen. Die künstlerische Befassung<br />
mit dem Thema gibt Denkanstöße zur Situation <strong>von</strong> Kindern und Familien in der<br />
Neustadt und soll Engagement zur Befassung mit dem Thema wecken.<br />
KUNSTFREIRAUMSTADT – Kurzdarstellung<br />
Durch die Schaffung <strong>von</strong> Anziehungspunkten und der Belebung der Neustadtswallanlagen<br />
soll der Gemeinsinn der Neustädter gestärkt werden. Darauf aufbauend erfolgt ein fachübergreifender<br />
Beteiligungsprozess zur Lösung Neustädter Probleme – zunächst begrenzt auf<br />
den öffentlichen Freiraum.<br />
3 Plädoyer für ein zeitgemäßes Selbstverständnis der Stadtplaner<br />
Angesichts der großen gesellschaftlichen Veränderungen hat das Selbstverständnis des<br />
klassischen Stadtplaners und Architekten, der für fast alles bereits die Lösung hat, ausgedient.<br />
Was sind aber die Schritte zur zeitgemäßen Neujustierung des planerischen Selbstverständnisses?<br />
Will man nur die Innenstadt stärken und sich im Schwerpunkt auf dessen Image und Vermarktung<br />
konzentrieren? Ist der öffentliche Raum nur ein weicher Standortfaktor unter vielen?<br />
Oder hat man auch den Menschen im Blick. Worin setzt man die finanziellen Schwerpunkte?<br />
Kurzum: Jede Kommune muss sich über den Kern dessen verständigen, was sie sich vom<br />
öffentlichen Raum erhofft.<br />
Ein Leitbild entwicklen<br />
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Die Ausgangssituation im öffentlichen Raum ist bestimmt durch eine unübersehbare Vielzahl<br />
unterschiedlicher Nutzungsansprüche und Nutzungsformen. Entscheidend für den öffentlichen<br />
Raum ist es den Bedürfnissen der Menschen nachzuspüren. Entscheidend ist, wie ein<br />
Raum genutzt, wie er empfunden wird. Auch wenn er <strong>von</strong> Rechts wegen öffentlich ist, kann<br />
die gefühlte Öffentlichkeit schwach sein, wie z.B. auf dem 2003 in der Bremer Neustadt entstandenen<br />
Lucie-Flechtmann-Platz oder auf der Berliner Freiheit (außerhalb des Marktbetriebes).<br />
Umgekehrt kann ein <strong>von</strong> Rechts wegen privater Raum höchst urbane Gefühle erzeugen,<br />
wie beispielsweise ein Café an einer Parkanlage (z.B. Café KUKUK). Der Alltag ist<br />
eben weniger <strong>von</strong> den theoretischen Idealen geprägt, so wichtig diese auch seien, als <strong>von</strong><br />
banalen Konflikten um Sauberkeit und Sicherheit. Der Streit zwischen Hundehaltern und<br />
Familien mit Kleinkindern um die Hoheit über Spielplätze und Ballwiesen kann oft prägender<br />
für das Verhältnis eines Städters zu seiner Stadt sein als alle Glanz- und Glasprojekte der<br />
Innenstadt. Dieses Verhältnis ist eben gefühlt.<br />
Stadt fühlen<br />
Für die Stadtplanung heißt das: Es gibt sie nicht, die Öffentlichkeit, den öffentlichen Raum.<br />
Und umgekehrt gibt es nicht das Planungsrezept für den öffentlichen Raum. Gerade in den<br />
schrumpfenden Städten, die uns die kommenden Jahrzehnte beschäftigen werden, dürften<br />
die großen Lösungen unwahrscheinlicher und die Idealideen untauglicher sein denn je. Der<br />
Pragmatismus wird obsiegen. Ein Pragmatismus der sich in einem üben muss: in der Kunst<br />
der Wahrnehmung. Zu dieser Kunst gehört, die vielen unterschiedlichen Facetten <strong>von</strong> Öffentlichkeit,<br />
die vielen Übergänge vom Publiken ins Private zu erkennen – und ihnen dann<br />
mit maßgeschneiderten Strategien zu begegnen. Mal Kooperationen mit privaten Investoren<br />
einzugehen, mal Vereine in die Verantwortung zu nehmen, oder aber die Bürger als Einzelne<br />
an Entwürfen zu beteiligen. Öffentlichkeit entsteht nicht erst im städtischen Raum, sie entsteht<br />
bereits im Planungsprozess.<br />
Bürgernah planen<br />
Für die Stadtöffentlichkeit existieren keine Verwaltungsgrenzen. Ob sich ein Raum im städtischen<br />
oder privaten Besitz befindet, ob er als öffentliche Verkehrsfläche oder als öffentliche<br />
Grünanlage verwaltet wird spielt für den Nutzer keine Rolle. Gerade der Zusammenhang,<br />
das Verständnis der Vielfalt öffentlicher Räume als System erscheint heute unter planerischen<br />
Gesichtspunkten besonders geboten. Dies erleichtert auch die Vermittlung der Planungsideen<br />
gegenüber der Stadtöffentlichkeit. Voraussetzung dafür ist eine Planung, die<br />
Verwaltungsgrenzen überschreitet, die ergebnisorientiert und interdisziplinär arbeitet.<br />
Verwaltungsgrenzen überschreiten<br />
Angesichts der schwindenden öffentlichen Einflussmöglichkeiten auf die Stadtentwicklung ist<br />
es umso wichtiger, die Souveränität der öffentlichen Hand zu bewahren und nicht noch mehr<br />
in die Abhängigkeit Privater zu geraten. Dieses Ziel lässt sich jedoch nur umsetzen wenn<br />
eine kompetente Fachverwaltung arbeitsfähig gehalten wird.<br />
Öffentliche Souveränität wahren<br />
Das Aufgabenspektrum des Planers wird immer breiter. Neben der Beherrschung der klassischen<br />
Fachdisziplin wird er zunehmend zum Vermittler zwischen unterschiedlichen Fachrichtungen<br />
und Interessengruppen, zum Moderator <strong>von</strong> Planungsprozessen, zum Entwicklungshelfer<br />
des Städtischen, der bündelt, verbindet und anstößt. Mit der Zunahme an Anforderungen<br />
steigt auch der Planungsaufwand. Entgegengesetzt dazu verhält sich die aktuelle<br />
Zahlungsbereitschaft vieler Auftraggeber. Allzu oft steht am Ende <strong>von</strong> Honorarvereinbarungen<br />
dem hohen Anspruch des Auftraggebers ein darauf bezogen zu geringes Honorar. Wer<br />
sparen möchte, der benötigt dazu eine gute Planung. Die kann es aber nur dauerhaft geben,<br />
wenn den notwendigen Strukturen (Planungsbüros und Fachverwaltung) ausreichende Ressourcen<br />
zugebilligt werden.<br />
leistungsgerecht vergüten<br />
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Um maßgeschneiderte Lösungen für die Organisation öffentlicher Räume zu finden, muss<br />
sich die Stadtplanung <strong>von</strong> idealen Nutzungsmustern, ästhetischen Mustern und eingespielten<br />
Planungsmethoden lösen können. Das bedeutet einerseits, dass die einzelnen<br />
Fachsparten in einem viel stärkerem Maß interdisziplinär zusammenarbeiten müssen (z.B.<br />
Landschaftsarchitekten/Stadtplaner mit Künstlern). Andererseits wird es erforderlich sein sich<br />
auf Experimente einzulassen, diese zu beobachten und auszuwerten.<br />
Unbekanntes wagen<br />
Lassen Sie sich darauf ein – auf den Wandel und die Mitwirkung bei der Suche nach den<br />
Lösungen für die zukünftige Stadtentwicklung!<br />
Teil 1 und 3 des <strong>Vortrag</strong>es basieren auf folgenden Fachbeiträgen:<br />
Selle, Klaus, Dr., „Jenseits <strong>von</strong> Verfall und Ende? Öffentliche Räume im Spiegel der Fachdiskussion“<br />
Rauterberg, Hanno, Dr., „Die gefühlte Stadt – Plädoyer für einen neuen Begriff vom öffentlichen Leben<br />
in:<br />
Hatzfeld, U.; Imorde, J.; Schnell, F. (Hrsg.), „Kunst bezeichnet Stadt“, Münster 2002<br />
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