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Ein mysteriöser Autounfall, der ein Leben zerstörte - subvenio e.V.

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<strong>Ein</strong> <strong>mysteriöser</strong> <strong>Autounfall</strong>, <strong>der</strong> <strong>ein</strong> <strong>Leben</strong><br />

<strong>zerstörte</strong><br />

Von René Staubli.<br />

<strong>Ein</strong> Auffahrunfall hat schlimme gesundheitliche und finanzielle Folgen für Caroline<br />

Bono. Die früher erfolgreiche Juristin ist überzeugt, das Opfer <strong>ein</strong>es abgekarteten<br />

Spiels zu s<strong>ein</strong>.<br />

Caroline Bono am Bürkliplatz, wo <strong>der</strong> Unfall im November 2002 passierte: <strong>Ein</strong> Wagen rammt sie von hinten, als sie mit ihrem Auto vor<br />

dem Rotlicht steht.<br />

Bild: Thomas Burla<br />

Es ist <strong>der</strong> 19. November 2002, <strong>ein</strong> kühler<br />

Herbstabend, die Dunkelheit ist bereits über<br />

Zürich her<strong>ein</strong>gebrochen. Caroline Bono, damals<br />

39, steht mit ihrem Auto, <strong>ein</strong>em Chrysler<br />

Voyager, in <strong>ein</strong>er Kolonne vor <strong>ein</strong>em Rotlicht<br />

am Bürkliplatz. Plötzlich hört sie <strong>ein</strong>en «unheimlichen<br />

Knall», ihr wird schwarz vor Augen,<br />

und ihre Erinnerung setzt erst wie<strong>der</strong><br />

<strong>ein</strong>, als sie auf <strong>der</strong> Strasse steht und den Wagen<br />

betrachtet, <strong>der</strong> sie von hinten gerammt<br />

hat: Die Front ist <strong>ein</strong>gedrückt, das Licht zerschlagen,<br />

die Kühlerhaube verbeult und aufgeworfen.<br />

So steht es in den Notizen, die sie<br />

sich nach dem Unfall gemacht hat.<br />

1<br />

Die Unfallverursacherin, <strong>ein</strong>e damals 45jährige<br />

Sekretärin, drängt Bono, die Strasse<br />

schnell wie<strong>der</strong> freizugeben; bereits hat sich<br />

<strong>ein</strong> Stau gebildet, und die Autofahrer hupen.<br />

«M<strong>ein</strong> Auto ist bei <strong>der</strong> Zürich versichert. M<strong>ein</strong><br />

Mann arbeitet dort und wird das regeln», sagt<br />

die Frau, «Sie können mir vertrauen; es ist<br />

klar, dass ich schuld bin.» K<strong>ein</strong>e Polizei also<br />

und auch k<strong>ein</strong> Unfallprotokoll; die Lenkerin<br />

drückt Bono ihre Visitenkarte in die Hand; in<br />

ihrer Erinnerung riecht die Frau nach Alkohol.<br />

Bono dröhnt <strong>der</strong> Kopf, sie sei «wie unter<br />

Schock <strong>ein</strong>gestiegen und weitergefahren». Am<br />

Zürichhorn muss sie die Heimfahrt unterbre-


chen. Sie hat Nackenschmerzen, ihr wird übel,<br />

Schwindel befällt sie und <strong>ein</strong>e grosse Müdigkeit.<br />

Notfallmässig in die Klinik<br />

Noch am selben Abend muss sie in die Notfallstation<br />

des Spitals Männedorf. Der diensthabende<br />

Assistenzarzt diagnostiziert <strong>ein</strong><br />

Schleu<strong>der</strong>trauma und schreibt sie vorerst für<br />

vier Tage arbeitsunfähig. In <strong>der</strong> Folge nehmen<br />

die Schmerzen bis zur Unerträglichkeit zu.<br />

Bono sucht <strong>ein</strong>e Ärztin auf, die <strong>ein</strong>e Rückenmarkquetschung<br />

vermutet und sie notfallmässig<br />

in die Hirslanden-Klinik <strong>ein</strong>weist.<br />

Dort werden weitere Verletzungen diagnostiziert;<br />

sie wird <strong>ein</strong>en Monat lang stationär behandelt.<br />

Fünf Jahre nach dem Unfall schreibt Bono in<br />

ihr Tagebuch: «Hätte ich damals gewusst, was<br />

noch alles auf mich zukommt, welche wirklich<br />

brutalen Schmerzen ich Tag für Tag durchmachen<br />

müsste, und dass ich in diesen Jahren<br />

bis auf m<strong>ein</strong>e zwei jüngeren Kin<strong>der</strong> und die<br />

besten Freunde alles verlieren sollte, was mir<br />

wichtig ist, ich hätte wohl aufgegeben, wäre<br />

verzweifelt o<strong>der</strong> durchgedreht.»<br />

Nach <strong>der</strong> Behandlung im Hirslanden verbringt<br />

Bono 43 Tage zur Rehabilitation in<br />

Rh<strong>ein</strong>felden. Bei <strong>der</strong> Entlassung kann sie laut<br />

Klinikbericht trotz stärkster Schmerzmittel<br />

nur 30 Minuten gehen. O<strong>der</strong> 30 Minuten stehen.<br />

O<strong>der</strong> 20 Minuten sitzen. Ansonsten erträgt<br />

sie die höllischen Schmerzen nur liegend.<br />

Sie kann sich nicht konzentrieren und<br />

vergisst, was man ihr sagt. Heute, sechs<strong>ein</strong>halb<br />

Jahre nach dem Unfall, kann sie noch<br />

immer nicht länger als drei bis vier Stunden<br />

pro Tag arbeiten – unterbrochen durch Pausen.<br />

Nach <strong>ein</strong>er halben Stunde setzen die<br />

Kopfschmerzen <strong>ein</strong>.<br />

<strong>Ein</strong> Unglück auch für die Kin<strong>der</strong><br />

Bono war <strong>ein</strong>e ausgezeichnete Juristin, wie<br />

Branchenkollegen bestätigen. Sie arbeitete in<br />

<strong>ein</strong>er Wirtschaftskanzlei und unterrichtete an<br />

<strong>der</strong> Universität St. Gallen Ka<strong>der</strong>leute in Wirtschaftsmediation.<br />

Sie verdiente gut und war<br />

belastbar. Ihre ersten drei Kin<strong>der</strong> hatte sie<br />

während des Studiums zur Welt gebracht und<br />

das Lizenziat trotzdem mit Bestnoten abge-<br />

2<br />

schlossen. Ihr viertes Kind gebar sie noch vor<br />

<strong>der</strong> Doktorarbeit. Mit <strong>der</strong> Doppelrolle als<br />

Mutter und Berufsfrau kam sie gut klar, auch<br />

nach <strong>der</strong> Trennung von ihrem Mann, und an<br />

ihrem Arbeitsplatz fehlte sie nie. Sie sprach<br />

fliessend Englisch, Spanisch, Italienisch und<br />

Französisch. Nach dem Unfall konnte sie<br />

kaum mehr zusammenhängende fremdsprachige<br />

Sätze formulieren und vergass wichtige<br />

Informationen.<br />

Während <strong>der</strong> Spitalaufenthalte werden ihre<br />

vier Kin<strong>der</strong> – damals 6, 10, 12 und 15 Jahre alt<br />

– von wechselnden Haushalthilfen betreut.<br />

Sie leiden unter <strong>der</strong> Abwesenheit ihrer Mutter,<br />

welche sich wegen ihrer gesundheitlichen<br />

Probleme auch nach <strong>der</strong> Rehabilitation nicht<br />

mehr ausreichend um sie kümmern kann. Es<br />

kommt zu Schulversagen und Verlassenheitsängsten.<br />

Wegen zunehmen<strong>der</strong> finanzieller<br />

Probleme und auf Druck <strong>der</strong> Sozialbehörde<br />

muss sie schliesslich zwei Kin<strong>der</strong> in die Obhut<br />

ihres Ex-Ehemannes geben. <strong>Ein</strong>es erkrankt in<br />

<strong>der</strong> Folge schwer. Bono gibt aus Kostengründen<br />

ihr Miethaus auf und zieht in <strong>ein</strong>e Wohnung<br />

in <strong>ein</strong>er an<strong>der</strong>n Gem<strong>ein</strong>de. Sie verliert<br />

<strong>ein</strong>en grossen Teil ihres Bekanntenkreises,<br />

weil sie kaum mehr am Sozialleben teilnehmen<br />

kann.<br />

Bono weiss, dass ihre berufliche Zukunft davon<br />

abhängt, ob sie den zweiten Teil <strong>der</strong> Anwaltsprüfung<br />

besteht; beim ersten hatte sie<br />

vor dem Unfall gute Noten erzielt. Die Vorbereitung<br />

wird zur Tortur, sie versucht trotz<br />

hun<strong>der</strong>tprozentiger Arbeitsunfähigkeit und<br />

meist im Liegen zu lernen. Am 22. November<br />

2003 schafft sie es knapp, vor allem aufgrund<br />

ihres guten Vorwissens. Trotzdem verliert sie<br />

ihre Anstellung in <strong>der</strong> Kanzlei. Ihre Arbeitsfähigkeit<br />

ist mit maximal 30 Prozent zu gering,<br />

ausserdem kann sie sich kaum mehr konzentrieren.<br />

Die Abwärtsspirale hält an: Bono verliert<br />

auch ihre Dozentinnenstelle in St. Gallen,<br />

und es hagelt Betreibungen.<br />

Dann <strong>der</strong> Schock: Die Zürich bestreitet, dass<br />

ihre gesundheitlichen Probleme die direkte<br />

Folge des Unfalls sind. Wahrsch<strong>ein</strong>lich sei sie<br />

mit den familiären und beruflichen Belastungen<br />

nicht klargekommen. Die Versicherung<br />

zahlt nur minimale Beträge, was Bono vollends<br />

zermürbt. Sie muss aufs Sozialamt. Weil


sie k<strong>ein</strong>e Anstellung mehr findet, macht sie<br />

sich 2005 notgedrungen als Anwältin selbstständig.<br />

Ihre Arbeitsfähigkeit reicht jedoch<br />

nicht aus, um die drückenden Schulden abzutragen.<br />

Was ihr zum <strong>Leben</strong>sunterhalt fehlt,<br />

schiessen ihr Freunde vor.<br />

Zweifel am Unfallfahrzeug<br />

Caroline Bono macht sich in monatelanger<br />

Arbeit daran, die Hintergründe ihres Unfalls<br />

zu durchleuchten. Wann immer die Kräfte<br />

reichen, studiert sie Versicherungsakten, ihre<br />

Tagebuchnotizen und schaut sich das Protokoll<br />

<strong>der</strong> Befragung an, welche die Polizei erst<br />

fünf Monate nach dem Unfall mit <strong>der</strong> fehlbaren<br />

Lenkerin durchgeführt hatte. Dabei stösst<br />

sie auf überraschende Informationen. Ihre<br />

Überzeugung, Opfer <strong>ein</strong>es abgekarteten Spiels<br />

zu s<strong>ein</strong>, wächst mit jedem Indiz:<br />

Am Tag nach dem Unfall hatte sie laut ihrem<br />

Tagebuch mit <strong>der</strong> fehlbaren Lenkerin telefoniert.<br />

Die Frau betonte, sie sei «nur mit etwa<br />

30 bis 40» in sie hin<strong>ein</strong>gefahren: «<strong>Ein</strong>e so<br />

geringe Geschwindigkeit kann k<strong>ein</strong> Schleu<strong>der</strong>trauma<br />

verursachen.» Bono dagegen hatte<br />

noch immer den «unheimlichen Knall» im<br />

Ohr, worauf ihr schwarz vor Augen wurde.<br />

<strong>Ein</strong> halbes Jahr nach dem Unfall bekommt<br />

Bono erstmals die Fotos des Autos zu sehen,<br />

welche die Zürich 31 Tage nach dem Zusammenstoss<br />

aufgenommen hat. Sie ist sofort<br />

überzeugt: Es handelt sich nicht um das Unfallfahrzeug,<br />

son<strong>der</strong>n um <strong>ein</strong>en an<strong>der</strong>n Wagen.<br />

Zu sehen sind nur <strong>ein</strong> paar Kratzer, k<strong>ein</strong><br />

zerschlagenes Licht und k<strong>ein</strong>e verbeulte, aufgeworfene<br />

Kühlerhaube. Ausserdem entnimmt<br />

Bono den Akten, dass die fehlbare<br />

Lenkerin geschieden ist und mit dem Auto<br />

ihres <strong>Leben</strong>spartners gefahren s<strong>ein</strong> will.<br />

Der Wagen ist bei <strong>der</strong> Zürich versichert. Dort<br />

arbeitet <strong>der</strong> Ex-Mann <strong>der</strong> Lenkerin tatsächlich<br />

als Schadeninspektor. Er hat dem <strong>Leben</strong>spartner<br />

s<strong>ein</strong>er Ex-Frau die Haftpflichtpolice<br />

verkauft. Ob er, wie sie am Unfallort ankündigte,<br />

auch den Schadenfall selber geregelt<br />

hat, bleibt offen. Auf <strong>ein</strong>en Katalog von Fragen<br />

des «Tages-Anzeigers» antwortet die Zürich:<br />

«Wir nehmen in <strong>der</strong> Öffentlichkeit k<strong>ein</strong>e<br />

Stellung zu laufenden o<strong>der</strong> hängigen Fällen.»<br />

3<br />

Unmittelbar nach dem Zusammenstoss hatte<br />

Bonos damaliger Anwalt die Zürich schriftlich<br />

aufgefor<strong>der</strong>t, den Unfallwagen bei <strong>der</strong> Polizei<br />

zu deponieren. Auch verlangte er <strong>ein</strong>e kriminalistische<br />

Untersuchung. We<strong>der</strong> das <strong>ein</strong>e<br />

noch das an<strong>der</strong>e geschah. Der Anwalt intervenierte<br />

nicht, weil es für ihn k<strong>ein</strong>e Zweifel am<br />

direkten Zusammenhang zwischen dem Unfall<br />

und den gesundheitlichen Problemen s<strong>ein</strong>er<br />

Mandantin gab. Er dachte, das sei <strong>ein</strong> klarer,<br />

problemloser Fall.<br />

K<strong>ein</strong>e Chance auf Aufklärung<br />

Da irrte er sich: Aufgrund <strong>der</strong> Fotos erstellt<br />

die Zürich zwecks Analyse des Unfalls <strong>ein</strong><br />

biomechanisches Gutachten. Darin heisst es,<br />

basierend auf den festgestellten Karosserieschäden<br />

habe die Aufprallgeschwindigkeit<br />

maximal 10 Kilometer pro Stunde betragen.<br />

Die entstehenden Kräfte seien «im Bereich<br />

<strong>der</strong> bei <strong>ein</strong>er Vollbremsung auftretenden Verzögerung»<br />

anzusiedeln. Bonos Beschwerden<br />

könnten also unmöglich vom Unfall herrühren.<br />

Gegenüber <strong>der</strong> Polizei hatte die fehlbare<br />

Lenkerin am 10. April 2003 ausgesagt, sie sei<br />

«mit 20 bis 30 Stundenkilometern» ins Heck<br />

von Bonos Auto geprallt. Am Tag nach dem<br />

Unfall hatte sie noch von 30 bis 40 Stundenkilometern<br />

gesprochen. Diesen Ungereimtheiten<br />

geht die Zürich nicht auf den Grund.<br />

Für Bonos Rechtsschutzversicherung hingegen<br />

ist <strong>der</strong> Verdacht auf Manipulation so konkret,<br />

dass sie <strong>ein</strong>e Kostengutsprache von<br />

20'000 Franken leistet, damit Bono <strong>ein</strong>e Detektei<br />

mit Nachforschungen beauftragen<br />

kann. Nach langer Funkstille gibt das Büro<br />

den Auftrag zurück – mit <strong>der</strong> lapidaren Begründung,<br />

man habe beim Strassenverkehrsamt<br />

k<strong>ein</strong>e Auskunft erhalten. Mangels<br />

Erfolg wird nur «<strong>ein</strong>e stark reduzierte Kostennote<br />

von 100 Franken» in Rechnung gestellt.<br />

Später zeigt sich, dass die Detektei in<br />

an<strong>der</strong>n Fällen im Auftrag <strong>der</strong> Zürich gearbeitet<br />

hat.<br />

Auf Anraten ihres Anwalts will sich die fehlbare<br />

(und vorbestrafte) Lenkerin nicht zum Fall<br />

äussern. So lässt sich, fast sieben Jahre nach<br />

dem Unfall, mit journalistischen Mitteln nicht<br />

mehr abklären, ob die Frau damals <strong>ein</strong> an<strong>der</strong>es<br />

Auto gefahren und den Wagen ihres Le-


enspartners als «Unfallauto» nur vorgeschoben<br />

hat. An Bonos Auto lassen sich k<strong>ein</strong>e Spuren<br />

mehr sichern, weil sie es nach dem Unfall<br />

<strong>ein</strong>em Händler verkauft hatte, <strong>der</strong> es nach<br />

Osteuropa exportierte.<br />

Teil 2:<br />

* * * *<br />

4<br />

Nur <strong>ein</strong>e Strafuntersuchung könnte Klarheit<br />

schaffen, doch dafür fehlt es nach Auffassung<br />

<strong>der</strong> Staatsanwaltschaft an <strong>ein</strong>em ausreichenden<br />

Anfangsverdacht.<br />

Anwältin verliert den Glauben an die Justiz<br />

Nach dem Auffahrunfall mit gravierenden gesundheitlichen und beruflichen Folgen<br />

geht die Rechtsanwältin Caroline Bono vor Gericht. Dabei erlebt sie die volle Härte<br />

<strong>der</strong> Justiz.<br />

Caroline Bono verlor vor dem Handelsgericht (gehört zum Obergericht), ebenso vor dem Sozialversicherungsgericht.<br />

Bild: Thomas Burla<br />

Zwei Wochen nach dem Unfall wird Caroline<br />

Bono in <strong>der</strong> Hirslandenklinik von <strong>ein</strong>em Vertreter<br />

<strong>der</strong> Zürich-Versicherung befragt. Sie<br />

erzählt ihm, wie sie am 19. November 2002<br />

mit ihrem Auto in <strong>ein</strong>er Kolonne vor <strong>ein</strong>em<br />

Rotlicht am Bürkliplatz stand und plötzlich<br />

<strong>ein</strong>en «unheimlichen Knall» hörte, wie ihr<br />

schwarz vor Augen wurde, wie sie später aus-<br />

stieg und die stark verbeulte und aufgeworfene<br />

Kühlerhaube des Autos sah, das ihren Wagen<br />

von hinten gerammt hatte, wie sie <strong>der</strong><br />

Bitte <strong>der</strong> Unfallverursacherin nachgab, den<br />

Fall ohne Polizei und Unfallprotokoll zu regeln,<br />

weil ihr Kopf zu bersten drohte. Und wie<br />

sie nach Hause fahren wollte und schon nach


wenigen Minuten anhalten musste, weil ihr<br />

übel wurde und <strong>der</strong> Nacken schmerzte.<br />

«Ja, ich habe das Pedal leicht angetippt»<br />

Vom Gespräch erstellt <strong>der</strong> Vertreter <strong>der</strong> Zürich<br />

<strong>ein</strong> Protokoll. Darin steht, Bono habe<br />

bestätigt, dass sich ihr Fahrzeug, <strong>ein</strong> Chrysler<br />

Voyager, nach dem Aufprall nicht <strong>ein</strong>mal verschoben<br />

habe. Bono bestreitet das. Sie habe<br />

lediglich die Frage, ob sie ihren Fuss bei <strong>der</strong><br />

Kollision auf dem Bremspedal gehabt habe,<br />

wie folgt beantwortet: «Ja, ich habe das Pedal<br />

leicht angetippt, damit m<strong>ein</strong> Auto, <strong>ein</strong> Automat,<br />

nicht nach vorn rollen konnte.» Das Protokoll<br />

ist we<strong>der</strong> ihr noch ihrem Anwalt zur<br />

Unterschrift vorgelegt worden. Doch vor Gericht<br />

spielt es <strong>ein</strong>e wichtige Rolle.<br />

Die Zürich ist mehrfach in den Fall involviert:<br />

als Unfall- und Krankentaggeldversicherung<br />

von Caroline Bono sowie als Haftpflichtversicherung<br />

<strong>der</strong> fehlbaren Lenkerin. Im Mittelpunkt<br />

<strong>der</strong> Gerichtsverhandlungen steht das<br />

biomechanische Gutachten (Unfallanalyse),<br />

das die Zürich erstellt hat.<br />

Es basiert auf Fotos, welche die Zürich 31 Tage<br />

nach dem Unfall gemacht hat. Die Bil<strong>der</strong><br />

zeigen <strong>ein</strong> nur leicht beschädigtes Auto <strong>der</strong><br />

Unfallverursacherin, welches bei <strong>der</strong> Zürich<br />

versichert ist und ihrem <strong>Leben</strong>spartner gehört.<br />

Bono ist von Anfang an überzeugt davon,<br />

dass es sich bei diesem Wagen nicht um<br />

das Unfallauto handelt. Ihren Manipulationsverdacht<br />

kann sie indessen nicht beweisen.<br />

Die Zürich stellt die Zahlung <strong>der</strong> Unfalltaggel<strong>der</strong><br />

im September 2003 mit folgen<strong>der</strong> Begründung<br />

<strong>ein</strong>: «Wir schauen Ihre Beschwerden<br />

angesichts <strong>der</strong> Unfallanalyse als nicht<br />

mehr unfallkausal an.» Die Versicherung bestreitet<br />

nicht, dass Bono seit dem Unfall höllische<br />

Qualen leidet und vollständig arbeitsunfähig<br />

ist. Sie ist aber <strong>der</strong> M<strong>ein</strong>ung, dass nicht<br />

<strong>der</strong> Unfall schuld daran sei, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> familiäre<br />

und berufliche Druck, unter welchem<br />

Bono zum Zeitpunkt des Unfalls gestanden<br />

habe. Konkret: die Betreuung <strong>der</strong> vier Kin<strong>der</strong>,<br />

<strong>der</strong> Streit mit dem Ex-Mann um die Unterhaltszahlungen<br />

und die hohen Leistungserwartungen<br />

im Beruf. Dass sämtliche Ärzte, die<br />

5<br />

Bono behandeln, den Fall an<strong>der</strong>s sehen, fällt<br />

nicht ins Gewicht.<br />

«Abenteuerlicher Verdacht»<br />

Bono klagt. Doch das Zürcher Handelsgericht<br />

(im Haftpflichtprozess gegen die Zürich) wie<br />

das Sozialversicherungsgericht des Kantons<br />

(im Prozess gegen die Zürich als Unfallversicherer)<br />

schützen in den parallel laufenden<br />

Verfahren die Argumentation <strong>der</strong> Versicherung.<br />

Die Fotos des nur leicht beschädigten<br />

Autos zeigten, dass es sich um <strong>ein</strong>en banalen<br />

Unfall handle, <strong>der</strong> k<strong>ein</strong>e <strong>der</strong>art gravierenden<br />

Beschwerden hervorrufen könne – folglich<br />

bestehe auch k<strong>ein</strong>e Schadenersatzpflicht. Bonos<br />

Manipulationsverdacht weist die Zürich<br />

als «abenteuerlich» zurück: «Entscheidend<br />

ist, dass die Versicherte selbst <strong>ein</strong>räumt, ihr<br />

Fahrzeug habe sich durch den Heckaufprall<br />

nicht verschoben.»<br />

Das Handelsgericht erteilt den Auftrag zur<br />

Erstellung <strong>ein</strong>es unabhängigen biomechanischen<br />

Gutachtens. Allerdings basiert auch<br />

diese Expertise auf den Fotos des nur leicht<br />

beschädigten Autos. Der Gutachter kommt<br />

deshalb wenig erstaunlich zum selben Schluss<br />

wie die Zürich: «Aufgrund <strong>der</strong> tiefen Innenbelastung<br />

. . . können wir ausschliessen, dass <strong>der</strong><br />

Zusammenstoss . . . zu den beschriebenen<br />

Beschwerden und Befunden geführt hat. Diese<br />

müssen somit <strong>ein</strong>en an<strong>der</strong>en, nicht mit den<br />

Methoden <strong>der</strong> Biomechanik fassbaren Ursprung<br />

haben o<strong>der</strong> auf <strong>ein</strong> uns nicht bekanntes<br />

Ereignis zurückgehen.»<br />

Wucht falsch <strong>ein</strong>geschätzt<br />

Im Sommer 2007 ordnet Bonos Arzt <strong>ein</strong>e Untersuchung<br />

mit <strong>ein</strong>em neuartigen Röntgenverfahren<br />

an (FMRI). Dabei wird <strong>ein</strong>e Verletzung<br />

am Kopfgelenk sichtbar, die vorher nie diagnostiziert<br />

wurde. Dazu kommen Risse an <strong>der</strong><br />

Umfassung von drei Bandscheiben in <strong>der</strong><br />

Halswirbelsäule. <strong>Ein</strong> weiteres Röntgenbild<br />

zeigt <strong>ein</strong>en verschobenen Halswirbel. <strong>Ein</strong>ige<br />

<strong>der</strong> Verletzungen waren schon auf Aufnahmen,<br />

welche unmittelbar nach dem Unfall<br />

gemacht wurden, zu sehen, wurden aber nicht<br />

erkannt. Die ursprüngliche Diagnose <strong>der</strong> Rückenmarkquetschung<br />

bestätigt sich. Das Bild<br />

dieser schweren Verletzungen legt laut <strong>der</strong>


<strong>Ein</strong>schätzung des Arztes nahe, dass das Auto<br />

mit viel grösserer Wucht aufprallte, als von<br />

den Gutachtern angenommen.<br />

Nun glaubt Bono, endlich den entscheidenden<br />

Beweis in den Händen zu halten. Denn <strong>der</strong><br />

Arzt schreibt in s<strong>ein</strong>em Bericht, die Art <strong>der</strong><br />

Verletzungen deute «mit <strong>ein</strong>er an Sicherheit<br />

grenzenden Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit» darauf hin,<br />

dass sie <strong>ein</strong>e direkte Folge des erlittenen Unfalls<br />

seien. Bonos Anwalt reicht das Attest am<br />

Tag vor <strong>der</strong> Verhandlung beim Eidgenössischen<br />

Versicherungsgericht <strong>ein</strong>. Doch dieses<br />

lässt das neue Beweismittel nicht zu. Es sei zu<br />

spät; man habe es <strong>der</strong> Gegenpartei nicht mehr<br />

zustellen können.<br />

Stichentscheid am Bundesgericht<br />

Bei <strong>der</strong> Verhandlung, am 23. August 2007,<br />

argumentiert <strong>der</strong> Gerichtspräsident, es sei<br />

nicht auszuschliessen, dass solche Beschwerden<br />

<strong>ein</strong>e Folge <strong>der</strong> Überlastung als berufstätige<br />

Mutter von vier Kin<strong>der</strong>n s<strong>ein</strong> könnten. Er<br />

fällt den Stichentscheid, das Gericht weist<br />

Bonos Beschwerde mit 2 zu 1 Stimmen ab. Es<br />

entscheidet ausserdem, die Zürich habe ihre<br />

Zahlungen <strong>ein</strong> Jahr nach dem Unfall zu Recht<br />

mit <strong>der</strong> Begründung <strong>ein</strong>gestellt, es sei k<strong>ein</strong>e<br />

gesundheitliche Besserung mehr zu erwarten.<br />

Bono war damals zu 100 Prozent arbeitsunfähig,<br />

heute kann sie wie<strong>der</strong> 3 bis 4 Stunden pro<br />

Tag arbeiten. Es ist objektiv also <strong>ein</strong>e Besserung<br />

<strong>ein</strong>getreten. Zu diesem Wi<strong>der</strong>spruch,<br />

aber auch zu an<strong>der</strong>n Fragen will die Zürich<br />

wegen des laufenden Haftpflichtprozesses<br />

nicht Stellung nehmen.<br />

Am 16. Juni 2008 wird <strong>der</strong> Haftpflichtprozess<br />

erstinstanzlich entschieden. Auch das Handelsgericht<br />

kommt zum Schluss, es gebe k<strong>ein</strong>en<br />

Zusammenhang zwischen den Beschwerden<br />

und dem Unfall – <strong>der</strong> Entscheid fällt wie<strong>der</strong>um<br />

auf <strong>der</strong> Basis des biomechanischen<br />

Gutachtens. Den FMRI-Bericht weist das<br />

Handelsgericht mit <strong>der</strong> Begründung zurück,<br />

man hätte schon früher röntgen können. Dafür<br />

findet es in den Akten den Hinweis auf<br />

<strong>ein</strong>en Bän<strong>der</strong>riss am Fuss, welchen Bono 20<br />

Jahre vor dem Unfall erlitten hatte. Die Richter<br />

werfen ihr vor, sie habe diese Verletzung in<br />

<strong>der</strong> Befragung verschwiegen.<br />

6<br />

Ebenso die früher gegenüber <strong>der</strong> Zürich gemachte<br />

Aussage, dass sie nach <strong>ein</strong>em 16-<br />

Stunden-Tag am Computer ab und an unter<br />

Rückenverspannungen gelitten habe. «Beide<br />

Angaben wären zur Beurteilung des vorliegenden<br />

Falles wichtig gewesen», argumentiert<br />

das Gericht: «Das Verschweigen zeigt, dass<br />

die Klägerin die Ursache ihrer Beschwerden<br />

<strong>ein</strong>zig im Ereignis vom 19. November 2002<br />

sieht.» Allerdings hatte das Gericht, wie das<br />

Protokoll belegt, Bono nur gefragt, ob sie sich<br />

vor dem Unfall «grundsätzlich gesund» gefühlt<br />

habe, was sie bejahte.<br />

Prozesskosten von rund 100'000<br />

Bono werden die Prozesskosten von rund<br />

100'000 Franken auferlegt. Am Urteil sind<br />

fünf Richter beteiligt, davon drei mit beruflicher<br />

Vergangenheit o<strong>der</strong> Gegenwart in <strong>der</strong><br />

Versicherungsbranche.<br />

Bono hat beim Kassationsgericht Beschwerde<br />

gegen dieses Urteil erhoben. Aber auch in<br />

diesem Verfahren ist <strong>der</strong> FMRI-Bericht nicht<br />

Gegenstand <strong>der</strong> Verhandlungen; die Erfolgschancen<br />

sind also gering. Zerschlagen haben<br />

sich auch die Hoffnungen, auf dem Weg <strong>ein</strong>er<br />

Strafuntersuchung die vermutete Manipulation<br />

mit dem Unfallwagen zu beweisen. Die<br />

Staatsanwaltschaft sieht k<strong>ein</strong>en begründeten<br />

Anfangsverdacht für <strong>ein</strong>e Ermittlung.<br />

Die Verfahren haben das Vertrauen Bonos in<br />

die Justiz erschüttert. Sie schreibt in ihr Tagebuch:<br />

«Ich soll also am 19. November 2002<br />

von <strong>ein</strong>er Sekunde auf die an<strong>der</strong>e Probleme<br />

mit dem linken Sprunggelenk bekommen haben,<br />

welches mir seit über 20 Jahren k<strong>ein</strong>e<br />

Beschwerden machte. Dadurch sollen, ebenfalls<br />

von <strong>ein</strong>er Sekunde auf die an<strong>der</strong>e, die fast<br />

unerträglichen Kopf-, Nacken- und Schulterschmerzen<br />

entstanden s<strong>ein</strong>, welche mich für<br />

die nächsten drei Monate fast vollständig<br />

bettlägerig und lange Zeit arbeitsunfähig gemacht<br />

haben. Dass ich in jener Sekunde zufällig<br />

auch noch <strong>ein</strong>en <strong>Autounfall</strong> hatte, kommt<br />

für das Gericht als Ursache für m<strong>ein</strong>e Beschwerden<br />

offenbar nicht in Frage.»


Teil III:<br />

Das Schwarzpeter-Spiel<br />

<strong>Ein</strong> <strong>Autounfall</strong> im Jahr 2002 ruiniert die Gesundheit <strong>der</strong> Zürcher Rechtsanwältin<br />

Caroline Bono. Ihre Annahme, zumindest gut versichert zu s<strong>ein</strong>, entpuppt sich als<br />

Illusion.<br />

Die Akten über die Aus<strong>ein</strong>an<strong>der</strong>setzungen um Caroline Bonos Unfall türmen sich mittlerweile zu <strong>ein</strong>em hohen Berg.<br />

Nach herkömmlichen Kriterien war Caroline Bono<br />

gut versichert. Sie hatte <strong>ein</strong>e Unfall- und Krankentaggeldversicherung<br />

sowie <strong>ein</strong>e Unfallzusatzversicherung<br />

bei <strong>der</strong> Zürich abgeschlossen. Bei <strong>der</strong><br />

Generali hatte sie fürs Auto <strong>ein</strong>e Insassenversicherung.<br />

Die Pensionskasse Columna sollte im<br />

Falle <strong>ein</strong>er Invalidität <strong>ein</strong>springen. Und die fehlbare<br />

Lenkerin, die im November 2002 beim<br />

Bürkliplatz in Bonos Wagen krachte, genoss den<br />

Haftpflichtversicherungsschutz <strong>der</strong> Zürich. Bei so<br />

vielen Policen konnte eigentlich nichts mehr<br />

schiefgehen. Zumal Bono k<strong>ein</strong>e Schuld am Unfall<br />

trug: Sie stand mit ihrem Chrysler Voyager ahnungslos<br />

in <strong>ein</strong>er Kolonne vor <strong>ein</strong>em Rotlicht, als<br />

sie von hinten gerammt wurde.<br />

Mit dem Knall geht auch Bonos viel versprechende<br />

Karriere als Anwältin und Uni-Dozentin abrupt<br />

zu Ende. Sie verliert ihren Job, kann nicht mehr<br />

für die Kosten ihres Haushalts mit vier Kin<strong>der</strong>n<br />

7<br />

aufkommen und landet schliesslich beim Sozialamt.<br />

Was aber tun die Versicherungen?<br />

Unfall- und Krankentaggeld: Die Zürich zahlt Bono<br />

zuerst <strong>ein</strong> niedrig bemessenes Unfalltaggeld. Nach<br />

neun Monaten stoppt sie die Zahlungen mit <strong>der</strong><br />

Begründung, es könne k<strong>ein</strong>e namhafte Besserung<br />

ihres gesundheitlichen Zustands mehr erwartet<br />

werden (Bono ist damals zu 100 Prozent arbeitsunfähig,<br />

heute kann sie wie<strong>der</strong> täglich 3 bis 4<br />

Stunden arbeiten).<br />

Statt <strong>der</strong> Unfalltaggel<strong>der</strong> zahlt die Zürich nun<br />

Krankentaggel<strong>der</strong>, wie<strong>der</strong> zu <strong>ein</strong>em tiefen Ansatz.<br />

Nach drei Monaten stellt sie die Zahlungen zehn<br />

Monate lang ohne Begründung <strong>ein</strong>, was Bono in<br />

zusätzliche Schwierigkeiten bringt. Erst auf Druck<br />

zahlt die Zürich die mittlerweile geschuldeten<br />

30'000 Franken nach.<br />

Die Auffassung <strong>der</strong> Zürich, wonach nicht <strong>der</strong> Unfall<br />

zu Bonos gravierenden Beschwerden geführt


habe, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Stress als getrennte Ehefrau,<br />

Mutter und voll berufstätige Juristin, wird erstinstanzlich<br />

vom Zürcher Sozialversicherungsgericht<br />

und später vom Eidgenössischen Versicherungsgericht<br />

geteilt. Beide Instanzen stützen sich auf<br />

das biomechanische Gutachten, welches die Zürich<br />

erstellt hat. Die dem Gutachten zugrunde<br />

liegenden Fotos, welche die Zürich 31 Tage nach<br />

dem Unfall aufgenommen hat, zeigen am Fahrzeug<br />

<strong>der</strong> fehlbaren Lenkerin nur minimale Schäden.<br />

Die Wucht des Aufpralls sei gering gewesen,<br />

schliessen <strong>der</strong> Gutachter und die Gerichte daraus.<br />

In Bonos Erinnerung hatte <strong>der</strong> Wagen <strong>ein</strong>e stark<br />

verbeulte Front und <strong>ein</strong>e aufgeworfene Kühlerhaube.<br />

Es gelingt ihr jedoch nicht, den Verdacht<br />

<strong>der</strong> Manipulation zu erhärten. Damit ist <strong>der</strong> Unfall<br />

samt s<strong>ein</strong>en gravierenden Folgen juristisch aus<br />

<strong>der</strong> Welt geschafft, und es sind k<strong>ein</strong>e Versicherungsleistungen<br />

mehr geschuldet.<br />

Haftpflicht: Unbestritten ist, dass es sich um <strong>ein</strong>en<br />

Auffahrunfall gehandelt hat. Ebenso unbestritten<br />

ist Bonos Unschuld. Die Zürich als Haftpflichtversicherung<br />

<strong>der</strong> fehlbaren Lenkerin zahlt Bono deshalb<br />

30‘000 Franken a conto an den Gesamtschaden,<br />

dazu für <strong>ein</strong>e gewisse Zeit die Spital- und<br />

Arztrechnungen. Weitere Zahlungen, etwa für die<br />

benötigte Haushalthilfe, die Mahlzeitendienste,<br />

die hohen Selbstbehalte bei <strong>der</strong> Krankenkasse, für<br />

therapeutische Behandlungen, Transportkosten<br />

und vor allem für den Erwerbsausfall, bleiben ab<br />

September 2003 aus. Deswegen klagt Bonos Anwalt<br />

die Zürich als Haftpflichtversicherung <strong>ein</strong>. Im<br />

Prozess kommt das Zürcher Handelsgericht in<br />

erster Instanz zum Schluss, es gebe k<strong>ein</strong>en beweisbaren<br />

Zusammenhang zwischen dem Unfall<br />

und den gesundheitlichen Problemen - wie<strong>der</strong>um<br />

auf <strong>der</strong> Basis des biomechanischen Gutachtens.<br />

Bono wird zur Zahlung von 100'000 Franken Prozesskosten<br />

an die Zürich verpflichtet - das Urteil<br />

ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Bono hat<br />

beim Kassationsgericht Beschwerde <strong>ein</strong>gereicht.<br />

Die Zürich beantwortet k<strong>ein</strong>e Fragen zum laufenden<br />

Verfahren.<br />

Invalidenversicherung: Wegen ihrer beschränkten<br />

Arbeitsfähigkeit findet Bono k<strong>ein</strong>e Anstellung<br />

mehr als Rechtsanwältin. Im März 2005 macht sie<br />

sich selbstständig, um von <strong>der</strong> Sozialhilfe loszukommen,<br />

was ihr gelingt. Sie möchte insbeson<strong>der</strong>e<br />

Unfallopfern in ähnlich verzweifelter Lage juristische<br />

Beratung anbieten. Was ihr an Geld zum<br />

<strong>Leben</strong>sunterhalt fehlt, schiessen ihr Freunde vor.<br />

8<br />

Im April 2006 wird sie ärztlich begutachtet. Resultat:<br />

Ihre Beschwerden seien zweifellos die Folge<br />

des erlittenen Unfalls. Die IV lässt den Fall ruhen.<br />

Sie wolle abwarten, bis im Prozess gegen die Zürich<br />

als obligatorische Unfallversicherung <strong>ein</strong><br />

rechtskräftiges Urteil vorliege.<br />

Im Juli 2006 - drei<strong>ein</strong>halb Jahre nach dem Unfall -<br />

lädt die IV Bono erstmals zu <strong>ein</strong>em Wie<strong>der</strong><strong>ein</strong>glie<strong>der</strong>ungsgespräch<br />

<strong>ein</strong>. Man lobt, dass sie sich<br />

selbstständig gemacht und auf eigene Kosten<br />

<strong>ein</strong>geglie<strong>der</strong>t habe. Die IV verspricht, nun sofort<br />

<strong>ein</strong>e Rente zu verfügen, und finanziert Bono das<br />

bereits angeschaffte Büromobiliar. Dann passiert<br />

nichts. Auch nicht, nachdem Ende August 2007<br />

das rechtskräftige Urteil im Unfallversicherungsprozess<br />

vorliegt.<br />

In dieser Zeit wechselt bei <strong>der</strong> IV die Ansprechperson.<br />

Im Januar 2009 erfährt Bono, dass man<br />

sie erneut begutachten will - bei <strong>ein</strong>er Stelle in<br />

Bern, die bekannt ist für ihre harten Entscheide<br />

gegen die Versicherten. Bonos Anwalt lehnt den<br />

Gutachter ab.<br />

Für den kommenden 17. Juni hat sie <strong>ein</strong> Aufgebot<br />

für die Begutachtung bei <strong>ein</strong>er Zürcher Stelle. Ihr<br />

Anwalt lehnt auch diesen Gutachter ab: Der Arzt J.<br />

sei Internist und damit fachlich nicht qualifiziert,<br />

so komplexe neurologische Probleme zu beurteilen,<br />

wie sie bei Bono vorlägen. Selbst bei schweren<br />

Fällen von Schleu<strong>der</strong>traumen sei er «praktisch<br />

nie zu <strong>ein</strong>er Beurteilung gekommen, die für den<br />

Versicherten leistungsauslösend» war. Das Zentrum,<br />

in dem J. tätig ist, habe 2007 und 2008 für<br />

die IV insgesamt 800 Gutachten im Wert von 7,2<br />

Millionen Franken erstellt, sei also wirtschaftlich<br />

stark vom staatlichen Auftraggeber abhängig. Der<br />

Anwalt möchte, dass die IV <strong>ein</strong>e unabhängige<br />

Gutachterstelle beauftragt. Die Antwort steht<br />

noch aus. Tatsache ist, dass Bono sechs<strong>ein</strong>halb<br />

Jahre nach dem Unfall noch immer k<strong>ein</strong>en Franken<br />

Invalidenrente bezieht.<br />

PK und Insassenversicherung: Damit schliesst sich<br />

<strong>der</strong> Kreis. Die Pensionskasse Columna richtet k<strong>ein</strong>e<br />

Rentenleistungen aus, weil sie den Entscheid<br />

<strong>der</strong> IV abwarten will. Die Generali (Insassenversicherung)<br />

will wegen des biomechanischen Gutachtens<br />

<strong>der</strong> Zürich ebenfalls k<strong>ein</strong>en Zusammenhang<br />

zwischen dem Unfall und den gesundheitlichen<br />

Beschwerden anerkennen. Folglich leistet sie<br />

auch k<strong>ein</strong>e Entschädigung.


So entpuppt sich Bonos verm<strong>ein</strong>tliche Gewissheit,<br />

ausreichend versichert zu <strong>ein</strong>, als Illusion. Sie war<br />

beruflich erfolgreich. Sie hatte unverschuldet <strong>ein</strong>en<br />

Unfall. Seither leidet sie unter irreparablen<br />

körperlichen und degenerativen Schädigungen.<br />

Sie hat fast alles verloren - und dennoch darf sie<br />

von den Versicherungen nur wenig erwarten.<br />

Immerhin hat ihre Rechtsschutzversicherung<br />

(Coop) bislang sämtliche Anwaltskosten übernommen.<br />

Auffällig ist im Fall Bono die Verlagerung <strong>der</strong> finanziellen<br />

Lasten. Dank <strong>der</strong> für sie positiven gerichtlichen<br />

Beurteilung konnte die Zürich kapitale<br />

Kosten <strong>ein</strong>sparen. Dafür zahlen die Krankenkasse,<br />

(Tages-Anzeiger)<br />

Erstellt: 20.05.2009, 06:47 Uhr<br />

9<br />

die Sozialhilfe, Bono selber - und <strong>ein</strong>es Tages vielleicht<br />

die IV für die Folgen des Unfalls, <strong>der</strong> juristisch<br />

gesehen k<strong>ein</strong>er s<strong>ein</strong> soll.<br />

Wegen ihrer gesundheitlichen Probleme kann sich<br />

Bono als freiberuflich tätige Anwältin nicht mehr<br />

versichern. Sie hat we<strong>der</strong> <strong>ein</strong>e Unfalltaggeld- noch<br />

<strong>ein</strong>e Krankentaggeldversicherung, k<strong>ein</strong>e Erwerbsausfall-<br />

und auch k<strong>ein</strong>e <strong>Leben</strong>sversicherung.<br />

Auch die Zürich will sie aufgrund <strong>ein</strong>er «medizinischen<br />

Risikoprüfung» nicht mehr versichern -<br />

dieselbe Zürich, die den Standpunkt vertritt, bei<br />

Bono gebe es seit Februar 2003 k<strong>ein</strong>e organischen<br />

Unfallfolgen und damit k<strong>ein</strong>e nennenswerte Arbeitsunfähigkeit<br />

mehr.

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