2 | 3 <strong>aktuell</strong> TIERGESUNDHEIT RIND Seit Mitte 2006 hat Deutschland eine neue Tierseuche: die Blauzungenkrankheit, auch Bluetongue- Disease genannt. Seitdem breitet sich die Erkrankung immer weiter aus, ein Ende ist nicht in Sicht. Durch den milden Winter sind die Gnitzen, wie die spezielle Mückenart, die als Überträger der Blauzungenkrankheit gilt, genannt wird, nicht gestorben, so dass die Erkrankung ihre Aktualität entgegen den Erwartungen nicht verloren hat. Die letzte Ausgabe der „<strong>Tiergesundheit</strong> <strong>aktuell</strong>“ berichtete über diese neue Erkrankung, ihr Vorkommen, ihre Verbreitung und ihre Symptome. Dieser Folgebeitrag gibt einen Überblick über die <strong>aktuell</strong>e Situation nach dem Winter und stellt Strategien zur Bekämpfung der Blauzungenkrankheit für die Rinderhalter vor.
Die Weidezeit steht kurz bevor oder hat in einigen Regionen Deutschlands aufgrund des vergleichsweise milden Winters bereits begonnen. Mit der Weidezeit steigt das Risiko, dass die Rinder an der Blauzungenkrankheit erkranken, weil die Gnitzen, die Überträger des Virus, vorwiegend auf den Weiden zu finden sind. Von Rind zu Rind ist die Blauzungenkrankheit nicht übertragbar, es gehört immer ein Überträger wie die Gnitzen dazu. Auch eine mechanische Übertragung durch andere Arthropoden (Stechmücken, Zecken oder Schaflausfliegen) wird vermutet. Die Gnitzen vom Vorjahr sind aufgrund der mangelnden Kälte nicht verendet, und neue Gnitzen, die als Ei oder Larve den Winter überdauern, schlüpfen, sobald es wärmer wird. In diesem jungen Stadium sind die Insekten noch virusfrei, da aber der Erreger der Blauzungenkrankheit in infizierten Rindern über einhundert Tage nachweisbar ist, können die frisch geschlüpften Mücken schnell Viren in sich aufnehmen. Aber Panik ist unangebracht: Die Gnitze nimmt nicht mit jedem Stich das Virus von einem infizierten Rind auf, das Übertragungsrisiko von Rind auf Gnitze ist relativ gering. Geschätzt wird eine Übertragung auf 10.000 Stiche. Hat die Gnitze das krankmachende Virus dann doch aufgenommen, kommt es in den Speicheldrüsen der Gnitzen zur Virusvermehrung, die temperaturabhängig ist. Bei 30°C Umgebungstemperatur vermehrt sich das Virus schnell innerhalb von 4 Tagen, bei 25°C dauert es schon 6 bis 8 Tage, bis die maximale Konzentration erreicht ist. Unter 10°C stellt das Virus seine Vermehrung in der Gnitze ein. So infizierte Gnitzen tragen das Virus wahrscheinlich über ihre ganze Lebensdauer (10 bis 20 Tage) in sich. Nur die Gnitzen- Weibchen sind gefährlich, denn nur diese saugen Blut, die Männchen leben vegetarisch. Bei jedem Blutsaugakt an Wiederkäuern wird so das Virus im Prinzip bei jedem Stich weiter übertragen. Da die Infektion der Mücken eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, und das Virus für die Vermehrung auch einige Tage benötigt, kann eine einzelne Gnitze in ihrem kurzen Leben gar nicht so viele Rinder infizieren, glauben Experten. Trotzdem: Um zu verhindern, dass sich das Virus weiter ausbreitet, sind zur Zeit viele Tierhalter auf der Suche nach geeigneten Schutzmaßnahmen für ihre Rinder. Aufstallung oder Insektizide Die Gnitzen direkt zu bekämpfen ist wohl nicht möglich, daher sind vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen. Eine Empfehlung zum Schutz der Rinder ist, die Tiere in den Abend- und Nachtstunden, wenn die Gnitzen besonders aktiv sind, wieder in den Stall zu holen. Im Stall sind zwar nicht so viele Gnitzen vorhanden, aber ein kompletter Schutz der Rinder vor der Blauzungenkrankheit wird so nicht erreicht. Außerdem ist diese Variante für viele Betriebe, die ihre Weiden nicht arrondiert um den Hof liegen haben, allein aus praktischen Gründen gar nicht oder nur mit einem erheblichen Mehraufwand umzusetzen. Als weitere Schutzmaßnahme stehen verschiedene Insektizide bzw. Repellentien, zur Verfügung, die durch die enthaltenen synthetischen Pyrethroide eine abschreckende Wirkung gegen bestimmte Insekten haben. Zusätzlich wirken sie bei entsprechend langer Foto: Engels Einwirkzeit als Kontakt- und Nervengift, was zum Tod der Insekten führt (Knock-down- Effekt). Normalerweise werden diese Produkte zum Schutz der Weidetiere gegen alle wirtschaftlich bedeutenden Weidefliegen verwendet. Das sind stechende Weidefliegen (z. B. Wadenstecher (Stomoxys calcitrans), kleine und große Weidestechfliege (Haemotobia irritans, Haemotobia stimulans) sowie nicht-stechende Weidefliegen (z. B. Gesichtsund Augenfliege (Musca autumnalis), Kopffliege (Hydrotaea irritans) sowie die große (Musca domestica) und kleine Stubenfliege (Fannia canicularis)). Die Bekämpfung der Gnitzen mit diesen Wirkstoffen gilt als schwierig, da die Wirkung auf Gnitzen nach derzeitigem Kenntnisstand nicht geprüft ist. Wegen des breiten Wirkspektrums wird aber bis auf weiteres von einer Wirkung ausgegangen, deswegen empfiehlt das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit den Rinderhaltern, diese Produkte auch gegen Gnitzen zu verwenden. Gnitzen sind eine bestimmte, aber nicht neue Mückenart, der Fachbegriff lautet Culicoides. Mittlerweile wurden die Gnitzen, die hier in Deutschland das Virus in sich tragen, näher bestimmt. Es handelt sich um einheimische, an sich völlig ungefährliche Arten wie Culicoides dewulfi, Culicoides Obsoletus sowie Culicoides pulicaris. Bisher trat die Blauzungenkrankheit ausschließlich in wärmeren Regionen südlich der Alpen auf, der Überträger in diesen Gebieten ist Culicoides imicola. Diese Mückenart ist wärmeliebend und in Nordeuropa deshalb nicht heimisch. Die drei Mückenarten jedoch, die hier das Virus tragen, sind in Deutschland heimisch und damit perfekt an die kühlen Klimate angepasst. Der nachgewiesene Serotyp 8 (es gibt 24 Serotypen) trat bisher noch nie in Europa auf und wurde letztmalig südlich der Sahara festgestellt. Dadurch, und weil nicht die Gnitzen aus Südeuropa plötzlich hier heimisch sind, sondern bereits einheimische Gnitzen das Virus in sich tragen, liegt der Verdacht nahe, dass das Blauzungenvirus über ein infiziertes Zootier oder infizierte Gnitzen mit dem Flugzeug eingeschleppt wurde und einheimische Gnitzen sich beim Blutsaugen infiziert haben. Gnitzen haben eine geringen Aktionsradius von wenigen hundert Metern, der Wind kann sie aber auch schon mal über viele Kilometer verbreiten. Die Insekten legen ihre Eier im Gegensatz zu Mücken nicht im Wasser ab, sondern z. B. in Schlamm, Schwimmdecken der Gülle, Moor oder Silageresten.