Stellenwert Der HWS In Der Tinnitus-Diagnostik Und
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<strong>Stellenwert</strong> der<br />
<strong>HWS</strong> in der<br />
<strong>Tinnitus</strong>-<strong>Diagnostik</strong><br />
und -Therapie<br />
Dr. med. Eberhard Biesinger, Traunstein<br />
Leider gibt es immer wieder betroffene<br />
<strong>Tinnitus</strong>-Patienten, bei denen ein Ohrgeräusch<br />
durch eine falsche Manipulation an der Halswirbelsäule<br />
oder auch durch ein Unfallereignis<br />
entstanden ist. Auf der anderen Seite gibt es gerade<br />
auch bei <strong>Tinnitus</strong>-Patienten, die in einem frühen<br />
Stadium zur Behandlung kommen, nicht selten<br />
das erfreuliche Ereignis einer Beseitigung des<br />
Ohrgeräusches durch eine gezielte chiropraktische<br />
Manipulation an der Halswirbelsäule. Die<br />
Grundlage beider Ereignisse bildet die nervale<br />
Verschaltung zwischen den Muskeln entlang der<br />
oberen Halswirbelsäule und den „Hörcomputern“<br />
in unserem Gehirn (Abb.1). Die von den<br />
Neuroanatomen Neuhuber aus Erlangen und<br />
Pfaller aus <strong>In</strong>nsbruck nachgewiesenen nervalen<br />
Verbindungen sind verantwortlich für die Entstehung<br />
eines <strong>HWS</strong>-bedingten <strong>Tinnitus</strong> oder auch<br />
einer Hörstörung.<br />
Diese Computersysteme sitzen im Hirnstamm<br />
und sind bei der Empfindlichkeitsregelung unserer<br />
Ohren von großer Bedeutung:<br />
<strong>In</strong> Angstsituationen wird durch diese Computersysteme<br />
die Empfindlichkeit unserer Ohren<br />
und damit auch die der Gleichgewichtssysteme<br />
extrem gesteigert (Beispiel 1). Bei einem „Übersteuern“<br />
der Ohren kann dies zu einer Lärmempfindlichkeit<br />
(Hyperakusis) und auch zu Ohrgeräuschen<br />
und Schwindel führen. Leider lässt sich<br />
heute nicht voraussagen, bei welchen funktionellen<br />
Bewegungsstörungen der Halswirbelsäule eine<br />
Gefährdung für die Entstehung von <strong>Tinnitus</strong> bzw.<br />
Hörsturz besteht. Wie so häufig müssen vermutlich<br />
mehrere pathologische Situationen zusammen<br />
kommen, bevor eine Funktionsstörung<br />
oder auch eine Abnützungserscheinung an der Wirbelsäule<br />
dann zu Symptomen führt.<br />
Abbildung 1:<br />
Die Muskel der<br />
oberen Halswirbelsäule<br />
sind direkt<br />
mit den signalverarbeitenden<br />
Kerngebieten im<br />
Hirnstamm<br />
verschaltet.<br />
Schwerpunktthema<br />
Akuter <strong>Tinnitus</strong> durch funktionelle<br />
Bewegungsstörungen der <strong>HWS</strong><br />
Besteht der Verdacht auf einen solchen Zusammenhang,<br />
so ist Eile geboten! Die störenden<br />
Einflüsse von der Halswirbelsäule müssen innerhalb<br />
von Stunden, maximal innerhalb von 1-2 Tagen<br />
beruhigt bzw. beseitigt werden, sonst kommt<br />
es sehr rasch zu einer „Zentralisation“, d.h. unsere<br />
Hörcomputer erzeugen den <strong>Tinnitus</strong> nun mehr<br />
alleine, ohne Beteiligung der Halswirbelsäule. Eine<br />
spätere Behandlung der Halswirbelsäule würde<br />
also keinen Erfolg mehr bringen!<br />
Es handelt sich also um sogenannte reflektorische<br />
Zusammenhänge, die sicherlich jeder<br />
einmal in Form eines kleinen oder größeren Hexenschusses<br />
kennen gelernt hat: Eine kleine Bewegung<br />
kann zum plötzlichen Einschießen heftigster<br />
Schmerzen bis hin zur Bewegungsunfähigkeit<br />
führen. Auch hier kann, wenn ein entsprechender<br />
Therapeut sofort zur Verfügung steht, in<br />
den ersten Stunden prompt geholfen werden. Ist<br />
dies nicht möglich, so führt ein Hexenschuss nicht<br />
selten zu wochenlangen Beschwerden.<br />
Otoakustische Emissionen weisen<br />
Funktionsstörungen im <strong>In</strong>nenohr nach<br />
Als wichtige Messung in der HNO-Praxis für<br />
diese Zusammenhänge haben sich die otoakustischen<br />
Emissionen etabliert. Mit Hilfe dieser<br />
Messung gelingt es, Funktionsstörungen der<br />
Hörnervenzellen (die Haarzellen im <strong>In</strong>nenohr)<br />
festzustellen, noch bevor der Betroffene einen<br />
Hörverlust bemerkt.<br />
Vielfach ist das erste Symptom eines drohenden<br />
Hörsturzes ein Druckgefühl und ein Ohr-<br />
11<br />
<strong>Tinnitus</strong>-Forum 2–2001
Schwerpunktthema<br />
geräusch. Die Hörprüfung (Audiogramm) ist dann<br />
noch normal, während die Ableitung der<br />
otoakustischen Emissionen schon auffällig sein<br />
kann (Abbildung 2a und b).<br />
Chronischer <strong>Tinnitus</strong> verlangt<br />
eine exakte <strong>Diagnostik</strong><br />
Aus diesen Zusammenhängen wird klar, warum<br />
bei einem chronischen <strong>Tinnitus</strong> die Erfolge<br />
über die Behandlung der <strong>HWS</strong> selten sind. Hier<br />
hat sich der <strong>Tinnitus</strong> verselbständigt und ein therapeutischer<br />
Einfluss über die Halswirbelsäule auf<br />
unseren „Hörcomputer“ besteht nicht mehr.<br />
Wenn der betroffene <strong>Tinnitus</strong>-Patient jedoch<br />
angibt, dass das Ohrgeräusch sich durch bestimmte<br />
Bewegungen des Kopfes, des Kiefergelenkes<br />
oder bei bestimmten Körperlagen ändert, muss<br />
auch beim chronischen <strong>Tinnitus</strong> eine exakte <strong>Diagnostik</strong><br />
durchgeführt werden. Aufgrund der heutigen<br />
enormen Kenntnisse über die funktionellen<br />
Zusammenhänge zwischen den Schädelknochen,<br />
der oberen Halswirbelsäule und des Kiefergelenkes<br />
kann dies eine detektivische Arbeit bedeuten!<br />
Hier ist selten ein „hau-ruck“- Manöver<br />
eines Chiropraktikers erfolgreich. Vielmehr gilt es<br />
jetzt, die komplizierten Funktionen der einzelnen<br />
Strukturen und Gelenke zu diagnostizieren.<br />
Hierfür ist folgendes<br />
Vorgehen sinnvoll:<br />
1. Definition und Heraustüfteln der Bewegung,<br />
die den <strong>Tinnitus</strong> beeinflusst.<br />
2. Palpation und Bewegungsprüfung der an diesen<br />
Bewegungen beteiligten Strukturen und<br />
Gelenken.<br />
3. Eventuell osteopathische <strong>Diagnostik</strong> einschließlich<br />
der <strong>Diagnostik</strong> des cranio-sakralen<br />
Systems (s. TF 3/99).<br />
4. Eventuell Miteinbeziehung eines funktionell<br />
denkenden Zahnarztes bzw. Kieferorthopäden.<br />
12<br />
<strong>Tinnitus</strong>-Forum 2–2001<br />
Abbildung 2a und 2b:<br />
Darstellung der otoakustischen Emissionen vor<br />
und nach manual-therapeutischer Behandlung bei<br />
<strong>Tinnitus</strong>:<br />
Man sieht vor der Behandlung einen Verlust der<br />
otoakustischen Emissionen besonders im Tieftonbereich.<br />
Nach der Manipulation sind die otoakustischen<br />
Emissionen wieder vorhanden.<br />
Dieser Katalog an Forderungen zeigt natürlich<br />
einerseits die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit<br />
von hervorragend ausgebildeten Fachleuten,<br />
zum anderen jedoch auch den schmerzlichen<br />
Gedanken, dass eine solche Zusammenarbeit<br />
fast nirgends realisiert ist. Dennoch sollte<br />
der Betroffene, möglicherweise mit Hilfe der<br />
<strong>Tinnitus</strong>-Liga, versuchen, die geeigneten Fachleute<br />
zu finden.<br />
Pulssynchroner <strong>Tinnitus</strong> und<br />
<strong>Tinnitus</strong> bei Kindern<br />
Eine Besonderheit stellen der „klopfende“<br />
<strong>Tinnitus</strong> dar, der ähnlich einem pulssynchronen<br />
<strong>Tinnitus</strong> auftreten kann und der <strong>Tinnitus</strong> bei<br />
Kindern.<br />
Ein klopfender <strong>Tinnitus</strong> kann aufgrund eines<br />
Muskelkrampfes von Mittelohrmuskeln bestehen,<br />
die wiederum in ihrer Aktivität von der Halswirbelsäule<br />
aus gesteuert werden. Hier gelingt es auch<br />
bei länger dauerndem Symptom, mit Hilfe der<br />
Behandlung der Halswirbelsäule prompt zu helfen.<br />
Ein <strong>Tinnitus</strong> im Kindesalter ist immer verdächtig<br />
im Hinblick auf eine Beteiligung der<br />
<strong>HWS</strong>! Da das kindliche Ohr noch nicht verbraucht<br />
und entsprechend robust ist und häufig auch noch<br />
nicht einer Lärmbelastung ausgesetzt war, spielen<br />
hier direkte schädigende Einflüsse auf das<br />
<strong>In</strong>nenohr eine seltenere Rolle als beim Erwachsenen.<br />
Wie eigene Untersuchungen zeigen, kann bei<br />
Kindern sehr häufig durch die Behandlung der<br />
<strong>HWS</strong> geholfen werden. Ein Problem dabei ist jedoch,<br />
dass Kinder durch die Erwachsenenwelt erst<br />
auf das „Leiden durch <strong>Tinnitus</strong>“ aufmerksam<br />
gemacht werden und dann aufgrund der damit<br />
verbundenen Aufmerksamkeit auf das Ohrgeräusch<br />
in einen Teufelskreis von Wahrnehmung<br />
und Belästigung durch den <strong>Tinnitus</strong> kommen.<br />
Gerade bei Kindern ist deshalb die entpathologisierende<br />
und Angst nehmende Beratung<br />
der Eltern - zunächst ohne Beisein der<br />
betroffenen Kinder - wichtig. Wird diese Beratung<br />
falsch gemacht, so ist die Chronifizierung des<br />
<strong>Tinnitus</strong> und ein <strong>Tinnitus</strong>leiden vorprogrammiert!<br />
Fazit:<br />
Besteht der Verdacht, dass ein Hörsturz oder<br />
ein <strong>Tinnitus</strong> durch Bewegungen der <strong>HWS</strong> entstanden<br />
ist, so muss schnellstmöglich eine manualtherapeutische<br />
Untersuchung und ggfs. Behandlung<br />
durch einen entsprechend ausgebildeten<br />
Arzt oder Physiotherapeuten erfolgen.<br />
Bei chronischem <strong>Tinnitus</strong> zeigt sich ein Zusammenhang<br />
mit der Halswirbelsäule durch die<br />
Veränderung eines Ohrgeräusches bei bestimmten<br />
Kopfbewegungen oder Bewegungen des Kiefers.<br />
Hier ist eine subtile <strong>Diagnostik</strong> angezeigt.<br />
Ein klopfender <strong>Tinnitus</strong> und ein <strong>Tinnitus</strong><br />
im Kindesalter muss an die Halswirbelsäule<br />
denken lassen!<br />
Fallbeispiel:<br />
Herr Peter X fährt mit seiner Frau an einem<br />
Volksfest vorbei. Sie beschließen, das Volksfest<br />
zu besuchen und auch eine Fahrt mit dem angebotenen<br />
Riesenrad zu machen. Herr X. willigt<br />
gerne ein. Als er in der Gondel sitzt und die Aufwärtsbewegung<br />
des Riesenrades beginnt, wird<br />
ihm jedoch bewusst, dass er unter einer Höhenangst<br />
leidet. Durch die entstehende maximale<br />
Angst- und Stresssituation kommt es zu Verspannungen<br />
der Halswirbelsäule mit Verkrampfungen<br />
im Nackenbereich und der<br />
prompten Auslösung eines Ohrgeräusches. Eine<br />
noch am gleichen Tag durchgeführte Behandlung<br />
der Halswirbelsäule ergibt in der Regel<br />
eine sofortige Beseitigung.<br />
Dr. med. Eberhard Biesinger<br />
HNO-Arzt<br />
Maxplatz 5<br />
83278 Traunstein