WS 04/05 -<strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> Geistigbehindertenpädagogik- Ihr Ver<strong>die</strong>nst liegt meiner Meinung nach mehr in der allgemeinen Pädagogik, wofür sie ein bemerkenswertes System schuf, dass sich bis h<strong>eu</strong>te behaupten konnte. Ihrer „n<strong>eu</strong>en Erziehung“ <strong>und</strong> ihrem Einsatz für <strong>die</strong> Kinder auf der ganzen Welt gebührt vollste Anerkennung. Ihr Interesse wurde nach ihren erstaunlichen Erfahrungen mit den behinderten Kindern eben mehr <strong>und</strong> mehr auf <strong>die</strong> „ges<strong>und</strong>en“ Kinder gelenkt, <strong>die</strong> sie mit den gleichen Methoden aus deren „niedrigem Niveau“ <strong>und</strong> den natürlich aus h<strong>eu</strong>tiger pädagogischer Sicht unmöglichen Umständen herausholen wollte. Hierbei erscheint mir wiederum eine ihrer Aussagen bedenkenswert. Ihre Erfolge mit den behinderten Kindern, <strong>die</strong> von der Gesellschaft als W<strong>und</strong>er betrachtet wurden, kommentierte sie folgendermaßen: „Mir war klar, dass, ließe sich <strong>die</strong> Sondererziehung, <strong>die</strong> Idioten auf so erstaunliche Weise voran gebracht hatte, eines Tages auf normale Kinder anwenden, dann wäre es vorbei mit dem W<strong>und</strong>er, weil <strong>die</strong> Kluft zwischen den niedrigen geistigen Fähigkeiten der Idioten <strong>und</strong> denen normaler Kinder nie wieder überbrückt werden könnte. Während alle <strong>die</strong> Fortschritte meiner Idioten bew<strong>und</strong>erten, machte ich mir Gedanken über <strong>die</strong> Gründe, aus denen glückliche <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>e Kinder in den gewöhnlichen Schulen auf so niedrigem Niveau gehalten wurden...“ 59 So verlor sie <strong>die</strong> Kinder, <strong>die</strong> ihren Einsatz genau so weiterhin gebraucht hätten, aus den Augen, wobei bedacht werden muss, dass es ja auch gar nicht ihr Ziel war, eine n<strong>eu</strong>e Pädagogik für Geistigbehinderte zu entwickeln. Und dennoch setzte sie sich anfangs sehr für sie ein <strong>und</strong> rückte ihre damals noch verbreitet für unmöglich gehaltene Erziehung erst in das Interesse der Pädagogik. Dadurch brachte sie dem italienischen Schulsystem wichtige Reformvorschläge, im Bereich des Sonderschulwesens war sie sozusagen <strong>die</strong> Vorreiterin. Dies ist durchaus ein Ver<strong>die</strong>nst, der ihr zugesprochen werden kann, auch wenn es in den h<strong>eu</strong>tigen Augen der Integration ein scheinbarer Rückschlag war. Doch für <strong>die</strong> damaligen Verhältnisse bed<strong>eu</strong>tete allein <strong>die</strong>s eine angemessene Förderung der bis dahin vernachlässigten geistig behinderten Kinder. Die Bed<strong>eu</strong>tung, an welcher <strong>die</strong> <strong>Montessori</strong>-Pädagogik h<strong>eu</strong>te immer mehr im sonderpädagogischen Bereich gewinnt, ist allerdings auf zeitgenössische Sonderpädagogen zurückzuführen, <strong>die</strong> in eigenem Interesse nach den bestmöglichen Fördermöglichkeiten für ihre Kinder suchen. Prinzipien wie 59 <strong>Montessori</strong>, <strong>Maria</strong>: Die Entdeckung des Kindes. 11. Auflage, Freiburg 1994, S. 32 f. -21-
WS 04/05 -<strong>Maria</strong> <strong>Montessori</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> Geistigbehindertenpädagogik- Anschaulichkeit, Isolation von Schwierigkeiten, das Lernen mit allen Sinnen durch das Sinnesmaterial oder ihre Übungen des praktischen Lebens bed<strong>eu</strong>ten gerade im Förderbereich eine Bereicherung <strong>und</strong> entsprechen den h<strong>eu</strong>tigen pädagogischen Erkenntnissen. -22-