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Abschlussbericht Sozialer Wandel und individuelle Entwicklung in ...

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<strong>Abschlussbericht</strong><br />

<strong>Sozialer</strong> <strong>Wandel</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

Ergebnisse der zweiten Welle des Alterssurveys<br />

Clemens Tesch-Römer (Hrsg.)<br />

Deutsches Zentrum für Altersfragen<br />

Manfred-von-Richthofen-Straße 2<br />

12101 Berl<strong>in</strong><br />

Telefon +49 (0)30 – 26 07 400<br />

Telefax +49 (0)30 - 78 54 350<br />

E-Mail dza@dza.de


Das Forschungsprojekt "Alterssurvey – 2. Welle"<br />

Das diesem Bericht zugr<strong>und</strong>e liegende Vorhaben wurde mit Mitteln des B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isteriums<br />

für Familie, Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend (BMFSFJ) gefördert. Die Verantwortung<br />

für den Inhalt der Veröffentlichung liegt bei den Autor<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Autoren.


Vorwort<br />

Dieser Bericht gibt e<strong>in</strong>en Überblick über zentrale Ergebnisse der zweiten Welle des Alterssurveys.<br />

Ziel des Alterssurveys ist e<strong>in</strong>e umfassende Beobachtung der Lebensumstände von Menschen<br />

<strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte. Im Jahr 1996 wurde die Ersterhebung des Alterssurveys mit<br />

der Befragung von 40- bis 85-jährigen Deutschen <strong>in</strong> Privathaushalten durchgeführt. Nun liegt<br />

mit der zweiten Welle e<strong>in</strong> <strong>in</strong> mehrfacher H<strong>in</strong>sicht erweiterter Datensatz vor. Erstens wurden<br />

Teilnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Teilnehmer der ersten Welle des Alterssurvey im Jahr 2002 erneut befragt,<br />

um Veränderungen ihrer Lebenssituation im Verlauf der seitdem vergangenen sechs Jahre<br />

untersuchen zu können. Zweitens wurde 2002 e<strong>in</strong>e neue Stichprobe 40- bis 85-Jähriger gezogen,<br />

um ihre Lebensumstände mit der Situation jener Personen zu vergleichen, die im Jahr<br />

1996, also sechs Jahre zuvor, im selben Alter waren. Drittens wurde erstmals e<strong>in</strong>e Stichprobe<br />

älter werdender Menschen ausländischer Staatsangehörigkeit befragt, um deren spezifische Lebenslage<br />

der Situation von deutschen Bürgern gegenüberstellen zu können. Der erweiterte Untersuchungsplan<br />

macht sowohl die Beobachtung sozialen <strong>Wandel</strong>s als auch die Analyse <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r<br />

<strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte möglich. Der Alterssurvey liefert damit Beiträge<br />

zur wissenschaftlichen Alternsforschung <strong>und</strong> zur Alterssozialberichterstattung im Längsschnitt.<br />

Beide Erhebungswellen des Alterssurveys wurden vom B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium für Familie, Senioren,<br />

Frauen <strong>und</strong> Jugend (BMFSFJ) gefördert. Die Datenerhebung beider Wellen wurde von<br />

<strong>in</strong>fas – Institut für angewandte Sozialwissenschaft, Bonn, durchgeführt. Die vorliegende Arbeit<br />

an der zweiten Welle des Alterssurveys baut auf der von der Forschungsgruppe Altern <strong>und</strong> Lebenslauf<br />

(FALL) der Freien Universität Berl<strong>in</strong> (Mart<strong>in</strong> Kohli) <strong>und</strong> der Forschungsgruppe Psychogerontologie<br />

der Universität Nijmegen (Freya Dittmann-Kohli) konzipierten ersten Welle<br />

des Alterssurveys auf. Die Arbeiten an der zweiten Welle des Alterssurveys wurden vom<br />

BMFSFJ an das Deutsche Zentrum für Altersfragen (DZA) vergeben. Die Forschungsgruppe<br />

am DZA hat die <strong>in</strong>haltliche Arbeit der erste Welle kont<strong>in</strong>uierlich fortgesetzt. Durch e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>ladung<br />

an Harald Künem<strong>und</strong> zur Beteiligung am Beirat <strong>und</strong> der Mitarbeit an der Berichtserstellung<br />

haben wir versucht, personelle Kont<strong>in</strong>uität zu wahren.<br />

Es ist e<strong>in</strong>e schöne Tradition, am Ende e<strong>in</strong>es Projektes wie dem Alterssurvey all jenen zu danken,<br />

die zum Gel<strong>in</strong>gen der Arbeit beigetragen haben. Unser erster Dank gebührt Norbert Feith<br />

<strong>und</strong> Gabriele Müller-List aus dem B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium für Familie, Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend,<br />

die unsere Arbeit aufmerksam begleitet haben <strong>und</strong> für alle aus der Projektarbeit entstehenden<br />

Probleme e<strong>in</strong> offenes Ohr hatten. Unser herzlicher Dank gilt auch Gisela van der Laan<br />

für die exzellente Unterstützung bei der Lösung aller abwicklungstechnischen Fragen des Projekts.<br />

Das Projekt „Alterssurvey, 2. Welle“ wurde während se<strong>in</strong>er Durchführung von e<strong>in</strong>em wissenschaftlichen<br />

Beirat begleitet, dessen Mitglieder sich während mehrerer Sitzungen für das Gel<strong>in</strong>gen<br />

des Projekts sehr engagierten <strong>und</strong> uns auch außerhalb der Sitzungsterm<strong>in</strong>e mit Rat <strong>und</strong> Tat<br />

zur Seite standen. Dem Beirat gehörten an: Gertrud Backes, Walter Bien, Reg<strong>in</strong>a Claussen,<br />

Sigrun-Heide Filipp, Charlotte Höhn, Francois Höpfl<strong>in</strong>ger, Peter Krause, Harald Künem<strong>und</strong>,<br />

He<strong>in</strong>z-Herbert Noll, Doris Schaeffer, Ralf Schwarzer, Jacqui Smith, Michael Wagner, Hans-<br />

I


II<br />

Werner Wahl. Den Mitgliedern des Beirats danken wir herzlich für ihre Unterstützung. Besonders<br />

hervorheben möchten wir die außerordentlich wertvolle Unterstützung durch den Vorsitzenden<br />

des Beirats, Michael Wagner, der jederzeit bereit war, uns bei schwierigen Entscheidungen<br />

zu beraten.<br />

Die zweite Welle des Alterssurveys wurde durch das für die Datenerhebung zuständige Feldforschungs<strong>in</strong>stitut<br />

<strong>in</strong>fas <strong>in</strong> kompetenter <strong>und</strong> bewährter Weise unterstützt. Unser besonderer Dank<br />

gilt Stefan Schiel für die äußerst aufmerksame <strong>und</strong> zuvorkommende Kooperation <strong>in</strong> der alltäglichen<br />

Kommunikation <strong>in</strong> Vorbereitung <strong>und</strong> Durchführung der Datenerhebung. Re<strong>in</strong>er Gilberg,<br />

Doris Hess <strong>und</strong> Menno Smid sei für die gute Zusammenarbeit der vergangenen Jahre ebenfalls<br />

herzlich gedankt.<br />

E<strong>in</strong> Projekt dieser Größenordnung stellt besonders hohe Anforderungen an die Arbeitsfähigkeit<br />

<strong>und</strong> Kooperationsbereitschaft aller unmittelbar <strong>und</strong> mittelbar am Projekt Beteiligten. Das betrifft<br />

vor allem unsere Kolleg<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Kollegen am Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA), die<br />

uns bei der Diskussion von Zwischenergebnissen unserer Arbeit mit wertvollen H<strong>in</strong>weisen sehr<br />

geholfen haben. Unser besonderer Dank gilt Barbara Grönig, Peter Köster <strong>und</strong> Helga Nagy für<br />

ihre unschätzbare Unterstützung bei der Abwicklung der f<strong>in</strong>anziellen Seite des Projektes. Die<br />

Phase der Fertigstellung dieses Berichts stellte e<strong>in</strong>e besondere Herausforderung nicht nur für die<br />

Autoren <strong>und</strong> Autor<strong>in</strong>nen dar, sondern auch für die Kolleg<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> den Sekretariaten. Unser<br />

herzlicher Dank für die Unterstützung <strong>in</strong> dieser „heißen Phase“ gilt Daniela Hagemeister, Angela<br />

Hesse, Elke Dettmann <strong>und</strong> Annett Baschek.<br />

Besonders herzlich möchten wir uns bei unseren studentischen Mitarbeiter<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Mitarbeitern<br />

Sonja Christmann, Cornelia Schmidt <strong>und</strong> René Hohmann bedanken. Alle drei haben sich<br />

über die Jahre h<strong>in</strong>weg <strong>in</strong> uneigennütziger Weise <strong>und</strong> weit über das erwartbare Maß für das Projekt<br />

engagiert. Ohne die hervorragende Arbeit der wissenschaftlichen Mitarbeiter/<strong>in</strong>nen der<br />

Projektgruppe – Susanne Wurm, Andreas Hoff <strong>und</strong> Heribert Engstler – hätte dieses komplexe<br />

Projekt nicht zu e<strong>in</strong>em guten Ende geführt werden können. Ihnen möchte ich von Herzen danken!<br />

Last but not least gilt unser besonderer Dank den mehr als 5.000 Befragten, die sich für die<br />

Teilnahme am Alterssurvey zwei oder mehr St<strong>und</strong>en Zeit genommen haben. Ohne sie wäre<br />

dieses Projekt nie zustande gekommen. Wir wissen ihren Beitrag hoch zu schätzen <strong>und</strong> fühlen<br />

uns ihnen sehr verpflichtet.<br />

Clemens Tesch-Römer<br />

Berl<strong>in</strong>, im August 2004


Inhalt<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff,<br />

Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Der Alterssurvey: Beobachtung gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s<br />

<strong>und</strong> Analyse <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Veränderungen .................................................................... 1<br />

Heribert Engstler <strong>und</strong> Susanne Wurm<br />

Datengr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Methodik ..................................................................................... 33<br />

Heribert Engstler<br />

Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

<strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand ............................................................................... 65<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Materielle Lagen alter Menschen: Verteilungen <strong>und</strong><br />

Dynamiken <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte ......................................................................... 123<br />

Andreas Hoff<br />

Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong> .................................................... 209<br />

Harald Künem<strong>und</strong><br />

Tätigkeiten <strong>und</strong> Engagement im Ruhestand .................................................................... 267<br />

Susanne Wurm <strong>und</strong> Clemens Tesch-Römer<br />

Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung ...................................................................... 291<br />

Susanne Wurm<br />

Prädiktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte ............................................. 357<br />

Clemens Tesch-Römer <strong>und</strong> Susanne Wurm<br />

Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong><br />

Lebensqualität <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte .................................................................... 395<br />

Helen Krumme <strong>und</strong> Andreas Hoff<br />

Die Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Ausländer <strong>in</strong> Deutschland ....................................................................................... 455<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff,<br />

Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Implikationen des Alterssurveys für Gesellschaft, Wirtschaft <strong>und</strong> Politik ..................... 501<br />

III


1. Der Alterssurvey:<br />

Beobachtung gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s<br />

<strong>und</strong> Analyse <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Veränderungen<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff,<br />

Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

1.1 E<strong>in</strong>leitung<br />

Der demografische <strong>Wandel</strong> verändert die Struktur von Gesellschaften, stellt die Sozialpolitik<br />

vor neue Aufgaben <strong>und</strong> birgt Herausforderungen für die Sozial- <strong>und</strong> Verhaltenswissenschaften.<br />

Wichtigster Bestandteil der „schleichenden Revolution“ des demografischen <strong>Wandel</strong>s ist die<br />

Alterung der Gesellschaft: Nicht alle<strong>in</strong> die absolute Zahl alter <strong>und</strong> hochaltriger Menschen, sondern<br />

<strong>in</strong>sbesondere ihr relativer Anteil an der Bevölkerung steigt <strong>und</strong> wird <strong>in</strong> den nächsten Jahrzehnten<br />

– bei <strong>in</strong> Deutschland zugleich schrumpfender Gesamtbevölkerungszahl – stärker als je<br />

zuvor zunehmen (Statistisches B<strong>und</strong>esamt, 2003). Die altersbezogenen Auswirkungen des demografischen<br />

<strong>Wandel</strong>s auf die Struktur der Gesellschaften ist mit dem Konzept des „Altersstrukturwandels“<br />

bezeichnet <strong>und</strong> mit den Schlagworten der Verjüngung, Entberuflichung, Fem<strong>in</strong>isierung,<br />

S<strong>in</strong>gularisierung des Alters <strong>und</strong> der Zunahme der Hochaltrigkeit charakterisiert<br />

worden (Niederfranke, 1997; Tews, 1993).<br />

Gegenwärtig ist noch nicht abzusehen, ob alle diese Merkmale des Altersstrukturwandels auch<br />

zukünftig Bestand haben werden. Es ist zwar davon auszugehen, dass auch <strong>in</strong> Zukunft die<br />

Mehrheit älterer Menschen weiblichen Geschlechts se<strong>in</strong> wird (Fem<strong>in</strong>isierung des Alters). Die<br />

Zahl älterer Männer wird jedoch zunehmen, da der E<strong>in</strong>fluss der kriegsbed<strong>in</strong>gten Verluste auf die<br />

Geschlechterstruktur im Alter abnimmt, die höhere Zahl von Männern unter den älter werdenden<br />

Migranten <strong>und</strong> Migrant<strong>in</strong>nen der ersten Generation sich auswirkt, <strong>und</strong> sich <strong>in</strong> Zukunft die<br />

geschlechtsspezifischen Unterschiede <strong>in</strong> der Lebensdauer möglicherweise langsam verr<strong>in</strong>gern<br />

werden (nachdem sie sich im letzten Jahrh<strong>und</strong>ert zugunsten der Frauen vergrößert hatten). Zukünftige<br />

Generationen älterer Menschen werden auch weiterh<strong>in</strong> häufig alle<strong>in</strong> im eigenen Haushalt<br />

wohnen (S<strong>in</strong>gularisierung), allerd<strong>in</strong>gs unterscheiden sich die Trends für Männer <strong>und</strong> Frauen.<br />

Nach neueren Modellrechnungen kann erwartet werden, dass sich der Trend der S<strong>in</strong>gularisierung<br />

bei Männern verstärken, bei Frauen jedoch abschwächen wird (BMFSFJ, 2001a, S.<br />

219f.) Die eigentliche demografische Revolution ist jedoch die Zunahme der Zahl <strong>und</strong> des Anteils<br />

sehr alter (über 80-jähriger) Menschen (Hochaltrigkeit), <strong>und</strong> dieser Trend wird sich <strong>in</strong> Zukunft<br />

noch verstärken.<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf Verjüngung <strong>und</strong> Entberuflichung des Alters zeichnet sich jedoch seit Kurzem<br />

e<strong>in</strong>e Trendwende ab. Die Konzepte der Verjüngung <strong>und</strong> Entberuflichung bezeichnen die paradoxe<br />

Situation, dass trotz steigender Lebenserwartung die Beendigung des Erwerbslebens <strong>und</strong><br />

der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand <strong>in</strong> den letzten Jahrzehnt dazu geführt hatte, dass nachfolgende<br />

Geburtskohorten <strong>in</strong> jüngerem Alter den Übergang <strong>in</strong> die Altersphase machten. Die Aussicht<br />

1


2<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

e<strong>in</strong>es Arbeitskräftemangels (Schulz, 2000) stellt die Fortsetzung des bisherigen Trends zu e<strong>in</strong>em<br />

immer früheren Ausscheiden aus dem Berufsleben <strong>in</strong> zukünftigen Alterskohorten <strong>in</strong> Frage. Die<br />

Anhebung von Ruhestandsgrenzen <strong>in</strong> Anpassung an die sich verändernde fernere Lebenserwartung<br />

hat bereits begonnen <strong>und</strong> wird weiter erwogen. Es ist zwar unsicher, wie sich der Arbeitsmarkt<br />

für ältere Arbeitnehmer <strong>in</strong> Zukunft entwickeln wird. Im Vergleich zur heutigen Situation,<br />

<strong>in</strong> der nicht wenige Betriebe kaum mehr Beschäftigte im Alter von 50 <strong>und</strong> mehr Jahren haben,<br />

wird der Anteil älterer Erwerbstätiger <strong>in</strong> Zukunft jedoch sehr wahrsche<strong>in</strong>lich wieder steigen.<br />

Diese Trends, <strong>in</strong>sbesondere die Tatsache, dass sich ihre endgültige <strong>Entwicklung</strong> – <strong>und</strong> damit<br />

ihre Konsequenzen für das Leben künftiger Generationen – aus heutiger Perspektive schwer<br />

abschätzen lassen, begründen die Notwendigkeit e<strong>in</strong>er sozial- <strong>und</strong> verhaltenswissenschaftlichen<br />

Dauerbeobachtung älter werdender <strong>und</strong> alter Menschen. Der Alterssurvey widmet sich der Lebenssituation<br />

von Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte. Zeitlicher Bezugsrahmen für „die<br />

zweite Lebenshälfte“ ist jener Lebensabschnitt, der mit e<strong>in</strong>em Alter von 40 Jahren beg<strong>in</strong>nt. Die<br />

erste Welle des Alterssurveys wurde im Jahr 1996 mit e<strong>in</strong>er repräsentativen Stichprobe durchgeführt.<br />

Anhand dieser Daten wurden die Lebenssituationen 40- bis 85-Jähriger Menschen im<br />

Querschnitt umfassend beschrieben (Kohli & Künem<strong>und</strong>, 2000; Dittmann-Kohli et al., 2001).<br />

Die zweite Welle des Alterssurveys wurde sechs Jahre später, im Jahr 2002 durchgeführt. Der<br />

Alterssurvey ist nun <strong>in</strong> der Anlage e<strong>in</strong>e Kohortensequenzstudie mit zwei Erhebungszeitpunkten<br />

(1996 <strong>und</strong> 2002), die es ermöglicht, sowohl Tendenzen des sozialen <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />

<strong>Wandel</strong>s <strong>in</strong> den Lebenssituationen älter werdender <strong>und</strong> alter Menschen zu erk<strong>und</strong>en als auch<br />

Veränderungen <strong>in</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Lebensläufen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte zu analysieren. Zudem<br />

werden <strong>in</strong> der zweiten Welle des Alterssurveys nicht alle<strong>in</strong> Bürger der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland berücksichtigt, sondern es wird auch die Situation jener Menschen <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte <strong>in</strong> den Blick genommen, die – ohne die deutsche Staatsbürgerschaft zu besitzen –<br />

<strong>in</strong> Deutschland leben. Der vorliegende Band ist empirischen Analysen aus der zweiten Welle<br />

des Alterssurveys <strong>in</strong> den Bereichen Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand, materielle<br />

Lagen, Familienbeziehungen, gesellschaftliche Partizipation, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

gewidmet. Der Alterssurvey ist – auch angesichts des sehr umfassenden Untersuchungsansatzes<br />

<strong>in</strong> der ersten Welle – <strong>in</strong> verschiedener H<strong>in</strong>sicht komplexer <strong>und</strong> damit begründungsbedürftig<br />

geworden.<br />

In diesem E<strong>in</strong>leitungskapitel 1 wird der Alterssurvey im Kontext se<strong>in</strong>er zwei Hauptfunktionen –<br />

se<strong>in</strong>es Beitrags zur längsschnittbezogenen gerontologischen Forschung <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er politikberatenden<br />

Funktion im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Alterssozialberichterstattung im Längsschnitt – vorgestellt. Im<br />

zweiten Abschnitt dieses Kapitels wird der Kontext des demografischen <strong>Wandel</strong>s diskutiert. Im<br />

dritten Abschnitt werden die zentralen Fragestellungen des gegenwärtigen gerontologischen<br />

Diskurses vorgestellt, zu denen der Alterssurvey e<strong>in</strong>en Beitrag zu leisten versucht: Lebensqualität<br />

im Erwachsenenalter, <strong>Entwicklung</strong>sprozesse <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong>sbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte, Generationen- <strong>und</strong> Kohortenanalysen sowie Unterschiede <strong>und</strong> Ungleichheiten im<br />

Lebenslauf. Im dritten Teil wird das Forschungsdesign der zweiten Welle des Alterssurveys<br />

vorgestellt <strong>und</strong> der Beitrag des Alterssurveys zur gerontologischen Längsschnittforschung <strong>und</strong><br />

1 Dieses Kapitel beruht auf Publikationen der Autor/<strong>in</strong>nen (Tesch-Römer, Wurm, Hoff & Engstler, 2002b; Hoff,<br />

Tesch-Römer, Wurm, & Engstler, 2003).


Kapitel 1: Beobachtung gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> Analyse <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Veränderungen<br />

zur Alterssozialberichterstattung im Längsschnitt detailliert diskutiert. Im abschließenden Ausblick<br />

wird der Nutzen längsschnittanalytischer Forschung für die <strong>Entwicklung</strong> der Diszipl<strong>in</strong><br />

evaluiert.<br />

1.2 Demografischer <strong>und</strong> gesellschaftlicher <strong>Wandel</strong><br />

Die demografische <strong>Entwicklung</strong> ist e<strong>in</strong>e der bedeutsamen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für die gesellschaftliche<br />

Situation älter werdender <strong>und</strong> alter Menschen. Die Zahl älterer Menschen <strong>und</strong> ihr<br />

Anteil an der Gesamtbevölkerung haben gesellschafts-, wirtschafts- <strong>und</strong> sozialpolitische Implikationen.<br />

Beispielsweise wird dies deutlich an der Bedeutung älterer Menschen als Wähler/<strong>in</strong>nen,<br />

als Konsument/<strong>in</strong>nen oder als Nutzer/<strong>in</strong>nen von sozialen <strong>und</strong> mediz<strong>in</strong>ischen Dienstleistungen.<br />

Daher soll zu Beg<strong>in</strong>n dieses Kapitels auf die aktuellen demografischen <strong>Entwicklung</strong>en<br />

e<strong>in</strong>gegangen werden (Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, Krause & Künem<strong>und</strong>, 2004). Die demografische<br />

<strong>Entwicklung</strong> wird im wesentlichen durch drei demografische Faktoren bestimmt: Zunehmende<br />

Lebensdauer, abnehmende Fertilität <strong>und</strong> diskont<strong>in</strong>uierliche Migration (Hoffmann, 2002). Im<br />

Rahmen der 10. koord<strong>in</strong>ierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen B<strong>und</strong>esamtes<br />

(Statistisches B<strong>und</strong>esamt, 2003) wurden verschiedene Prognosevarianten zur Bevölkerungsentwicklung<br />

für die nächsten 50 Jahre erstellt, die sich durch unterschiedliche Annahmen zur Höhe<br />

der künftigen Lebenserwartung e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> des künftigen Außenwanderungsgew<strong>in</strong>ns andererseits<br />

auszeichnen. Zusätzlich wird von e<strong>in</strong>er konstant niedrigen Geburtenhäufigkeit von 1,4<br />

K<strong>in</strong>dern pro Frau ausgegangen. Die „mittlere“ Variante 5 geht z.B. von e<strong>in</strong>er Zunahme der Lebenserwartung<br />

Neugeborener über den Prognosezeitraum bis 2050 um etwa sechs Jahre aus <strong>und</strong><br />

unterstellt e<strong>in</strong>en jährlichen Außenwanderungsgew<strong>in</strong>n von etwa 200 000 Personen.<br />

Das Statistische B<strong>und</strong>esamt ermittelt <strong>in</strong> allen Varianten im Mittel e<strong>in</strong>e Schrumpfung der Gesamtbevölkerungsgröße<br />

<strong>in</strong> den nächsten fünf Dekaden. Dabei ist die Bandbreite möglicher <strong>Entwicklung</strong>en<br />

relativ groß, <strong>und</strong> e<strong>in</strong>ige der Modellvarianten lassen auch e<strong>in</strong>en künftigen leichten<br />

Anstieg der Bevölkerungszahl annehmen. Die Ergebnisse der mittleren Variante 5 zeigen für<br />

den gesamten Vorausberechnungszeitraum, dass – wie schon <strong>in</strong> den letzten drei Jahrzehnten des<br />

vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erts – die Zahl der Todesfälle die Zahl der Geburten deutlich übersteigen<br />

wird <strong>und</strong> sich trotz des angenommenen erheblichen Zuwanderungsgew<strong>in</strong>ns e<strong>in</strong> sukzessives<br />

Abs<strong>in</strong>ken der Bevölkerungszahl von heute r<strong>und</strong> 82,5 Millionen auf etwa 81 Millionen Menschen<br />

im Jahr 2030 ergibt. Dieses Abs<strong>in</strong>ken wird sich der Prognose zufolge bis 2050 weiter<br />

beschleunigen, so dass 2050 lediglich noch 75 Millionen Menschen <strong>in</strong> Deutschland leben werden.<br />

Andere Varianten prognostizieren dagegen bis 2030 e<strong>in</strong>en Anstieg auf bis zu 84 Millionen<br />

oder e<strong>in</strong> Abs<strong>in</strong>ken auf lediglich 75,5 Millionen Menschen (Abbildung 1.1). Die Prognosen s<strong>in</strong>d<br />

damit von e<strong>in</strong>er gewissen Unbestimmtheit gekennzeichnet, wenn sich die Vorausberechnungen<br />

zwischen e<strong>in</strong>er Bevölkerungszunahme von etwa zwei Prozent <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Bevölkerungsabnahme<br />

von etwa sieben Prozent bewegen.<br />

3


4<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Abbildung 1.1:<br />

<strong>Entwicklung</strong> der Bevölkerung bis 2030 – Schätzwerte der 10. Bevölkerungsvorausberechnung<br />

2003 des Statistischen B<strong>und</strong>esamtes<br />

Bevölkerung<strong>in</strong>1.000<br />

84.000<br />

82.000<br />

80.000<br />

78.000<br />

76.000<br />

Variante 1<br />

Variante 2<br />

Variante 3<br />

Variante 4<br />

Variante 5<br />

Variante 6<br />

Variante 7<br />

Variante 8<br />

Variante 9<br />

2001 2010 2020 2030<br />

Jahr<br />

Quelle: Statistisches B<strong>und</strong>esamt (2003). Bevölkerung Deutschlands bis 2050. 10. koord<strong>in</strong>ierte Bevölkerungsvorausberechnung.<br />

Wiesbaden: Statistisches B<strong>und</strong>esamt. Varianten 1-9 (vgl. auch Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, Krause & Künem<strong>und</strong>, 2004).<br />

Die Bevölkerungsvorausberechnung berücksichtigt jedoch nicht alle<strong>in</strong> Veränderung der Bevölkerungsgröße,<br />

sondern nimmt <strong>in</strong>sbesondere die Bewegungen <strong>in</strong> der Altersstruktur der Bevölkerung<br />

Deutschlands <strong>in</strong> den Blick. So erhöht sich der „Altenquotient“– das Verhältnis der über 60-<br />

Jährigen zu den 20- bis unter 60-Jährigen – gemäß Variante 5 bis 2050 von 44 Prozent auf 78<br />

Prozent. Allerd<strong>in</strong>gs sollte man diese Erhöhung nicht unbed<strong>in</strong>gt als e<strong>in</strong>e Zunahme von Menschen<br />

im Ruhestand gleichsetzen. Der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand ist – aufgr<strong>und</strong> der Abhängigkeit<br />

von der auf 60 Jahre gesetzten Ruhestandsmarke – weit mehr als Fertilität <strong>und</strong> Mortalität e<strong>in</strong>e<br />

politisch <strong>und</strong> wirtschaftlich bee<strong>in</strong>flussbare Größe: Die gesetzliche Altersgrenze ist Gegenstand<br />

politischer Aushandlung, <strong>und</strong> die faktischen Ruhestandsalter werden <strong>in</strong> erheblichem Maße<br />

durch das Geschehen auf den Arbeitsmärkten bestimmt. Für e<strong>in</strong>e Abschätzung der künftigen<br />

Bevölkerungsentwicklung ist allerd<strong>in</strong>gs die Verwendung von Altersgrenzen dennoch s<strong>in</strong>nvoll,<br />

um die möglichen künftigen Veränderungen von Planungsgrößen wie der Größe bestimmter<br />

Populationen vorzuzeichnen.<br />

Der Umfang der künftigen Altenpopulation <strong>in</strong> Deutschland wird <strong>in</strong> allen Varianten weitgehend<br />

ähnlich geschätzt, so dass hier von e<strong>in</strong>er soliden Planungsgr<strong>und</strong>lage ausgegangen werden kann.<br />

Im Jahr 2030 werden demnach r<strong>und</strong> 27 bis 28 Millionen 60-Jährige <strong>und</strong> Ältere <strong>und</strong> 21 bis 22<br />

Millionen 65-Jährige <strong>und</strong> Ältere <strong>in</strong> Deutschland leben. Die Zahlen werden bis 2050 weiter ansteigen.<br />

Bis 2030 ist damit von e<strong>in</strong>er Zunahme der Zahl älterer Menschen im Alter von 60 <strong>und</strong><br />

mehr Jahren um 36 bis 43 Prozent bzw. im Alter von 65 <strong>und</strong> mehr Jahren um etwa 48 bis 57<br />

Prozent auszugehen.<br />

Die demografische <strong>Entwicklung</strong> liefert e<strong>in</strong>en Rahmen für all jene Veränderungen, die als<br />

„Strukturwandel des Alters“ bezeichnet werden <strong>und</strong> die für die Analyse der Lebenslagen älterer


Kapitel 1: Beobachtung gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> Analyse <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Veränderungen<br />

Menschen bedeutsam s<strong>in</strong>d. Um e<strong>in</strong> vollständigeres Bild zu zeichnen, müssen der Bedeutungswandel<br />

der Altersphase im Lebenslauf bzw. des Alters <strong>in</strong>sgesamt sowie sozialstrukturelle Veränderungen<br />

<strong>in</strong>nerhalb der Gruppe der Älteren Berücksichtigung f<strong>in</strong>den. Wenn die Altersphase<br />

immer weniger Restzeit <strong>und</strong> immer mehr geplanter Lebensweg mit Wünschen, Zielen <strong>und</strong> Planungen<br />

ist, so verschiebt sich damit auch die Bedeutung materieller Ressourcen <strong>und</strong> die Bedarfe<br />

im späteren Lebenslauf. Historisch betrachtet haben die demografischen Veränderungen <strong>und</strong> der<br />

Trend zum frühen Ruhestand zu e<strong>in</strong>er markanten Ausweitung der Altersphase im Lebenslauf<br />

geführt. Noch zu Beg<strong>in</strong>n des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts gab es zum e<strong>in</strong>en wesentlich weniger ältere Menschen<br />

als heute, zum anderen konnte das Erreichen des höheren Lebensalters <strong>in</strong>dividuell nicht<br />

als wahrsche<strong>in</strong>lich angesehen werden. Seither ist die durchschnittliche Lebenserwartung gestiegen<br />

<strong>und</strong> ihre Varianz hat drastisch abgenommen. Erst hierdurch wurde die „Lebensphase Alter“<br />

(Backes & Clemens, 1998) zu e<strong>in</strong>em erwartbaren <strong>und</strong> selbstverständlich planbaren Bestandteil<br />

des <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Lebenslaufs.<br />

Zusätzlich br<strong>in</strong>gen die zukünftigen Älteren andere Voraussetzung für die Gestaltung dieser Lebensphase<br />

mit als Vorgängerkohorten. Die <strong>in</strong> näherer Zukunft Älteren s<strong>in</strong>d im „Wirtschaftsw<strong>und</strong>er“<br />

aufgewachsen <strong>und</strong> haben – zum<strong>in</strong>dest im Westen Deutschlands – frühzeitig Erfahrungen<br />

mit demokratischer Politik <strong>und</strong> entsprechenden Beteiligungsmöglichkeiten gemacht. Insbesondere<br />

aber verändert sich zunächst e<strong>in</strong>mal zukünftig das durchschnittliche Bildungsniveau<br />

Älterer: Die zukünftigen Älteren erreichen die nachberufliche Lebensphase im Schnitt mit zunehmend<br />

besserer Bildung wie Analysen auf Gr<strong>und</strong>lage der ersten Welle des Alterssurvey zeigen<br />

können (Motel, 2000). Der Zusammenhang von objektiven Lagen <strong>und</strong> ihren subjektiven<br />

Bewertungen sollte damit auch unter dem E<strong>in</strong>fluss dieser Wandlungsprozesse stehen.<br />

Diese Verschiebungen s<strong>in</strong>d stets im Auge zu behalten, wenn über die Situation älterer Menschen<br />

gesprochen wird. Die zahlenmäßige Zunahme des Anteils älterer Menschen an der Bevölkerung<br />

wird nicht notwendiger Weise <strong>und</strong> automatisch zu e<strong>in</strong>er Veränderung der gesellschaftlichen<br />

Position älterer Menschen <strong>in</strong> der Gesellschaft führen. Dennoch ist anzunehmen,<br />

dass die Lebenslagen älterer Menschen durch diese demografischen Veränderungen betroffen<br />

se<strong>in</strong> werden. Zunächst ist hierbei an die Veränderung familialer <strong>und</strong> anderer sozialer Netzwerke<br />

zu denken: Ger<strong>in</strong>ge Fertilität bedeutet, dass sich <strong>in</strong>tergenerationale Beziehungen verändern.<br />

Aber auch das Verhältnis zwischen Erwerbsarbeit <strong>und</strong> ehrenamtlichen Engagement wird durch<br />

den demografischen <strong>Wandel</strong> betroffen se<strong>in</strong>. Die materielle Lage h<strong>in</strong>sichtlich E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong><br />

Vermögen sowie das wirtschaftliche Handeln älterer Menschen wird ebenfalls vom demografischen<br />

<strong>Wandel</strong> berührt. Diese betrifft schließlich auch ältere Menschen als Konsumenten von<br />

Gütern <strong>und</strong> Dienstleistungen sowie als Nutzer von sozialen <strong>und</strong> mediz<strong>in</strong>ischen Dienstleistungen.<br />

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6<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

1.3 Theoretischer Rahmen<br />

Die Erörterungen zum demografischen <strong>Wandel</strong> haben deutlich gemacht, <strong>in</strong> welcher Breite das<br />

Thema Altern <strong>und</strong> Alter <strong>in</strong> gesellschaftlicher <strong>und</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Perspektive zu diskutieren ist.<br />

Der Alterssurvey unternimmt es, die Perspektiven sozialen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r <strong>Entwicklung</strong><br />

aufe<strong>in</strong>ander zu beziehen. Dabei geht es stets um die Frage, wie sich die Lebenslage älter<br />

werdender Menschen im Verlauf der historischen Zeit <strong>und</strong> im Verlauf des biografischen Prozesses<br />

„Altern“ verändert. Gegenstand dieses Abschnitts s<strong>in</strong>d zentrale Fragestellungen der aktuellen<br />

gerontologischen Forschung, die sich auf diese Perspektiven sozialen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r<br />

<strong>Entwicklung</strong> beziehen. Nachfolgend werden vier theoretische Rahmenperspektiven vorgestellt,<br />

die für die Konzeptualisierung des Alterssurveys entscheidend s<strong>in</strong>d: (1.) Zunächst werden<br />

Überlegungen zu objektiven <strong>und</strong> subjektiven Dimensionen der Lebenssituation vorgestellt.<br />

Hierbei geht es um die Beschreibung von Veränderungen <strong>und</strong> <strong>Wandel</strong> <strong>in</strong> objektiven <strong>und</strong> subjektiven<br />

Merkmalen der Lebenssituation sowie um den Zusammenhang zwischen diesen Bereichen.<br />

An dieser Stelle wird auch der Begriff der Lebensqualität e<strong>in</strong>geführt. (2.) In e<strong>in</strong>em zweiten<br />

Schritt wird diskutiert, welche <strong>Entwicklung</strong>sprozesse <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong>sbed<strong>in</strong>gungen im<br />

mittleren <strong>und</strong> höheren Erwachsenenalter zu beobachten s<strong>in</strong>d. Dabei soll auch danach gefragt<br />

werden, welche Bedeutung Statuspassagen <strong>und</strong> kritische Lebensereignisse <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

haben <strong>und</strong> ob die Unterscheidung dist<strong>in</strong>kter Altersphasen gerechtfertigt ist. (3.) Drittens<br />

wird die Frage aufgeworfen, wie <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong>sprozesse <strong>und</strong> soziale Veränderungsprozesse<br />

zu differenzieren s<strong>in</strong>d, um die wechselseitige Bed<strong>in</strong>gtheit zwischen Mikro- <strong>und</strong><br />

Makroebene adäquat beschreiben zu können. Hierbei wird auch die – konzeptuell-methodische<br />

– Frage der Konf<strong>und</strong>ierung von Alter, Periode <strong>und</strong> Geburtskohorte diskutiert. (4.) Schließlich<br />

wird viertens die Frage nach Ungleichheit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte gestellt, wobei materielle<br />

<strong>und</strong> immaterielle Dimensionen der Ungleichheit berücksichtigt werden sollen. In diesem Zusammenhang<br />

wird auch der Frage nachgegangen, <strong>in</strong>wieweit <strong>Entwicklung</strong>sprozesse <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte durch Tendenzen <strong>in</strong> Richtung von zunehmender oder abnehmender Variabilität<br />

gekennzeichnet s<strong>in</strong>d. Diese mit dem theoretischen Konzept des differentiellen Alterns beschriebenen<br />

<strong>Entwicklung</strong>strends können <strong>in</strong> horizontaler Perspektive (Unterschiedlichkeit von Lebensstilen)<br />

oder <strong>in</strong> vertikaler Perspektive (Ungleichheit von Lebenslagen) untersucht werden.<br />

1.3.1 Objektive <strong>und</strong> subjektive Dimensionen der Lebenssituation<br />

Bereits <strong>in</strong> der ersten Welle des Alterssurveys wurde hervorgehoben, dass es gerade <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte von Bedeutung ist, die Lebenssituation von Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

nicht alle<strong>in</strong> mit Blick auf objektive Lebenszusammenhänge oder mit Blick auf subjektive<br />

Selbst- <strong>und</strong> Lebenskonzepte zu untersuchen. In soziologischer Perspektive geht es <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />

um Lebenslagen, Ressourcenflüsse <strong>und</strong> soziale E<strong>in</strong>bettungen, <strong>in</strong> psychologischer Perspektive<br />

dagegen um kognitive Prozesse, emotionale Reaktionen <strong>und</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Handlungszusammenhänge.<br />

Mit Blick auf die zweite Lebenshälfte sollten aber nicht re<strong>in</strong> soziologische oder psychologische<br />

Forschungsfragen verfolgt, sondern e<strong>in</strong>e Integration diszipl<strong>in</strong>ärer Fragestellungen<br />

angestrebt werden, da gerade mit dem Übergang <strong>in</strong> das dritte Lebensalter kanalisierende Strukturen<br />

von Beruf <strong>und</strong> Familie entfallen <strong>und</strong> größere Handlungsspielräume entstehen können


Kapitel 1: Beobachtung gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> Analyse <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Veränderungen<br />

(Kohli, 2000, S. 24). Neben der je diszipl<strong>in</strong>ären Beschreibung von Veränderung <strong>und</strong> <strong>Wandel</strong> <strong>in</strong><br />

objektiven <strong>und</strong> subjektiven Dimensionen der Lebenssituation ist daher die <strong>in</strong>ter-diszipl<strong>in</strong>äre<br />

Vernetzung <strong>und</strong> Erk<strong>und</strong>ung von Beziehungen zwischen objektiver Lebenssituation <strong>und</strong> subjektiver<br />

Lebensbewertung von hohem Interesse.<br />

Mit dem Begriff „Lebensqualität“ steht e<strong>in</strong> Konzept zur Verfügung, das objektive Dimensionen<br />

der Wohlfahrt <strong>und</strong> subjektive Dimensionen des Wohlbef<strong>in</strong>dens <strong>in</strong>tegriert. Der Begriff steht für<br />

e<strong>in</strong> Wohlfahrtskonzept, das sich seit Ende der 1960er Jahre mehr <strong>und</strong> mehr durchgesetzt hat.<br />

Bis dah<strong>in</strong> standen die mit dem Begriff des Wohlstands bzw. des Lebensstandards beschriebenen<br />

materiellen, sogenannten objektiven Dimensionen der Wohlfahrt – also die Verfügung über<br />

E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> Vermögen oder der Besitz <strong>und</strong> Konsum von Gütern <strong>und</strong> Dienstleistungen – im<br />

Vordergr<strong>und</strong> der Betrachtung. Demgegenüber stand das Konzept des Wohlbef<strong>in</strong>dens, das sich<br />

auf subjektive Wohlfahrts<strong>in</strong>terpretationen konzentrierte, die von <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Wahrnehmungen,<br />

Situationsdef<strong>in</strong>itionen, kognitiven Bewertungen <strong>und</strong> Emotionen bee<strong>in</strong>flusst werden (Noll,<br />

1989). Im Gegensatz dazu vere<strong>in</strong>t die Lebensqualität objektive <strong>und</strong> subjektive bzw. materielle<br />

<strong>und</strong> immaterielle Dimensionen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Konzept: „Unter Lebensqualität verstehen wir ... gute<br />

Lebensbed<strong>in</strong>gungen, die mit e<strong>in</strong>em positiven subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>den zusammengehen.“<br />

(Zapf, 1984; S. 23) Gleichzeitig lenkt dieses Konzept den Fokus von der quantitativen Betrachtung<br />

auf qualitative Aspekte <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Wohlfahrt (Noll, 2000). Gemessen werden beide Dimensionen<br />

mit Hilfe von sozialen Indikatoren, welche die Ausprägungen des Outputs – <strong>und</strong><br />

nicht des Inputs – sozialer Prozesse auf <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Ebene messen. Angewandt auf die gerontologische<br />

Forschung heißt das, dass es neben der Erfassung der objektiven Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>und</strong> Ressourcen älter werdender Menschen ebenso bedeutsam ist, die subjektive Bewertung<br />

ihrer <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Lebenslage bzw. Lebensbed<strong>in</strong>gungen zu berücksichtigen (Smith et al., 1996;<br />

Kahneman et al., 1999). Vielfach s<strong>in</strong>d es weniger die objektiven Lebensbed<strong>in</strong>gungen als vielmehr<br />

die subjektiv wahrgenommenen Lebenssituationen, also der Grad der Zufriedenheit oder<br />

Unzufriedenheit mit den eigenen Lebensumständen, die das Erleben <strong>und</strong> Verhalten von Menschen<br />

bee<strong>in</strong>flussen. Demzufolge muss e<strong>in</strong>e Dauerbeobachtung der Lebenssituation älterer Menschen,<br />

die e<strong>in</strong> umfassendes Abbild ihrer Lebensverhältnisse wiederzugeben anstrebt, auch e<strong>in</strong>e<br />

Komponente des <strong>Wandel</strong>s subjektiver Bewertungen der eigenen Lebensumstände enthalten<br />

(Noll & Schöb, 2002).<br />

Sozialberichterstattung hat nach Noll die primäre Funktion, „Zustand <strong>und</strong> Veränderungen der<br />

Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> der Lebensqualität der Bevölkerung auf e<strong>in</strong>er adäquaten empirischen<br />

Datenbasis... zu beobachten, zu beschreiben <strong>und</strong> zu analysieren“ (Noll, 1998, S. 634). Gruppenspezifische<br />

Sozialberichterstattung über die Bevölkerung im mittleren <strong>und</strong> höheren Lebensalter<br />

kann zur allgeme<strong>in</strong>en Aufklärung über die <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Wohlfahrt der Menschen <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte, ihrer Stellung <strong>in</strong> der Gesellschaft <strong>und</strong> ihrer Wohlfahrtsentwicklung beitragen.<br />

Zugleich sollen – entsprechend der allgeme<strong>in</strong>en Zielsetzung der Sozialberichterstattung – relevante<br />

Informationen für den politischen Diskurs <strong>und</strong> die politische Entscheidungsf<strong>in</strong>dung zur<br />

Verfügung gestellt werden. E<strong>in</strong> Hauptziel von Alterssozialberichterstattung ist die Untersuchung<br />

des Niveaus, der Verteilung <strong>und</strong> des <strong>Wandel</strong>s der <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Wohlfahrt bzw. Lebensqualität<br />

(im Zusammenspiel von objektiven Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den)<br />

<strong>und</strong> der gruppenspezifischen Wohlfahrtslagen. Somit gilt es auch, neue oder sich verschärfende<br />

soziale <strong>Entwicklung</strong>en aufzuspüren <strong>und</strong> mitzuteilen sowie empirisch gestützte E<strong>in</strong>schät-<br />

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8<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

zungen zu erfolgten oder erwartbaren Auswirkungen politischer Reformen auf die Lebenssituationen<br />

der Menschen abzugeben. Altersbezogene Sozialberichterstattung hat <strong>in</strong> den vergangenen<br />

zehn Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen: Mittlerweile liegen vier Berichte zur Lebenssituation<br />

älterer Menschen <strong>in</strong> Deutschland vor (BMFSFJ, 1993; BMFSFJ, 1998; BMFSFJ, 2001a;<br />

BMFSFJ, 2002), die Enquete-Kommission „Demografischer <strong>Wandel</strong>“ hat zwei Zwischenberichte<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>en Abschlußbericht vorgelegt (Enquete-Kommission, 1994; Enquete-Kommission,<br />

1998; Enquete-Kommission, 2002) <strong>und</strong> im Rahmen des neuformulierten Weltaltenplans hat es<br />

e<strong>in</strong>en deutschen Beitrag gegeben (BMFSFJ, 2001b). Auch Daten aus der ersten Welle des Alterssurveys<br />

haben E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> diese Sozialberichterstattung gef<strong>und</strong>en (Kohli & Künem<strong>und</strong>,<br />

2001).<br />

Gerade der Anspruch, dass Sozialberichterstattung nicht alle<strong>in</strong> über das Niveau <strong>und</strong> die Verteilung,<br />

sondern <strong>in</strong>sbesondere über die <strong>Entwicklung</strong> der <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Wohlfahrt bzw. Lebensqualität<br />

zu berichten habe, impliziert die Notwendigkeit e<strong>in</strong>er Längsschnittbetrachtung (Zapf et al.,<br />

1996). Dabei ist es jedoch wichtig, zwischen Trend- <strong>und</strong> Panelstudien 2 zu unterscheiden. Für<br />

e<strong>in</strong>e Dauerbeobachtung der <strong>Entwicklung</strong> von Niveau <strong>und</strong> Verteilung objektiver <strong>und</strong> subjektiver<br />

Wohlfahrtserträge zur Ermittlung allgeme<strong>in</strong>er Trends, wie sie etwa im Wohlfahrtssurvey realisiert<br />

wird, s<strong>in</strong>d wiederholte Querschnittsuntersuchungen völlig ausreichend (Habich & Zapf,<br />

1994). Wiederholte repräsentative Querschnittsuntersuchungen können gr<strong>und</strong>legende Trend<strong>in</strong>formationen<br />

zur Sozialstruktur <strong>und</strong> zum Wohlbef<strong>in</strong>den liefern. E<strong>in</strong> solches Design hat allerd<strong>in</strong>gs<br />

den Nachteil, dass es ke<strong>in</strong>e Informationen über <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Veränderungen <strong>und</strong> Kont<strong>in</strong>uitäten<br />

liefern kann. Um <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Veränderungen <strong>in</strong> der Zeit erfassen, beschreiben <strong>und</strong> erklären<br />

zu können, ist e<strong>in</strong> sogenanntes Paneldesign (auch „echtes“ Längsschnittdesign) (Schnell et<br />

al., 1999), das heißt die wiederholte Messung von Merkmalsausprägungen derselben Individuen<br />

zu unterschiedlichen Messzeitpunkten, unabd<strong>in</strong>gbar. Hierbei ist e<strong>in</strong>em prospektiven Paneldesign<br />

der Vorzug zu geben gegenüber e<strong>in</strong>em retrospektiven Kohortendesign, da vor allem <strong>in</strong><br />

Bezug auf subjektive Indikatoren Wahrnehmungsverzerrungen auftreten können, wenn sie retrospektiv<br />

erfragt werden (Brückner, 1994). E<strong>in</strong>e kausalanalytische Ermittlung von Ursache <strong>und</strong><br />

Wirkung ist nur mittels prospektiver Längsschnittdesigns realisierbar (Schupp et al., 1996).<br />

Mit der E<strong>in</strong>führung kausalanalytischer Analyse<strong>in</strong>tentionen vollzieht sich der Schritt von der<br />

deskriptiven Sozialberichterstattung h<strong>in</strong> zu Beiträgen sozial- <strong>und</strong> verhaltenswissenschaftlicher<br />

Alternsforschung, bei der es um die Analyse von Bed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> Ursachen von (sich verändernder)<br />

Lebensqualität <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte geht (Schaie & Hofer, 2001). Es ist nicht<br />

alle<strong>in</strong> bedeutsam, e<strong>in</strong>en breiten Erhebungsansatz h<strong>in</strong>sichtlich objektiver Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>und</strong> subjektiver Lebensbewertungen zu verfolgen, sondern <strong>in</strong>sbesondere die Frage zu stellen,<br />

welche Faktoren die Lebensqualität im Erwachsenenalter bee<strong>in</strong>flussen. Hierbei sollten nicht<br />

alle<strong>in</strong> sozialstrukturelle Merkmale (Alter, Geschlecht, sozioökonomischer Status, regionale<br />

Besonderheiten) <strong>in</strong> die Analyse e<strong>in</strong>fließen, sondern auch Faktoren wie etwa biografischer Lebensstil,<br />

Handlungskompetenzen <strong>und</strong> Zielvorstellungen der betroffenen Personen berücksichtigt<br />

2 In der psychologischen Literatur werden die Begriffe ‚Längsschnitt’ <strong>und</strong> ‚Panel’ oft synonym gebraucht, da Untersuchungen<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich auf Individuen gerichtet s<strong>in</strong>d. Aus soziologischer Perspektive werden Panelstudien jedoch<br />

als Teilmenge des Oberbegriffs ‚Längsschnitte’ aufgefasst, da hier auch die Beschreibung allgeme<strong>in</strong>er sozialer<br />

Trends ohne Bezugnahme auf <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong> möglich ist.


Kapitel 1: Beobachtung gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> Analyse <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Veränderungen<br />

werden. Die Analyse komplexer Faktorenkonstellationen ist dabei nicht alle<strong>in</strong> unter dem Gesichtspunkt<br />

sozial- <strong>und</strong> verhaltenswissenschaftlicher Alternsforschung von Interesse, sondern<br />

kann als e<strong>in</strong> Schritt h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er besser begründeten Sozialberichterstattung verstanden werden<br />

1.3.2 <strong>Entwicklung</strong>sprozesse <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong>sphasen im<br />

Erwachsenenalter<br />

Die Betrachtung der zweiten Lebenshälfte legt die Frage nahe, wie dieser Lebensabschnitt sozial<br />

konstruiert <strong>und</strong> <strong>in</strong>dividuell erlebt wird. Aus theoretischer Sicht stehen zwei mite<strong>in</strong>ander verflochtene<br />

Fragestellungen im Mittelpunkt: Erstens ergibt sich aus entwicklungstheoretischer<br />

Perspektive die Frage, durch welche Prozesse <strong>und</strong> Mechanismen altersbezogene Veränderungen<br />

bewirkt werden. Neben biologischen Faktoren stehen vor allem soziale Kontexte <strong>und</strong> Strukturen,<br />

ökologische Bed<strong>in</strong>gungen sowie personale Handlungskompetenzen als potentielle <strong>Entwicklung</strong>sfaktoren<br />

im Mittelpunkt der Analysen. H<strong>in</strong>sichtlich sozialer Kontexte s<strong>in</strong>d proximale<br />

(„nahe“) Faktoren, wie etwa Familie, Arbeitsplatz <strong>und</strong> Nachbarschaft sowie distale („entfernte“)<br />

Faktoren, wie etwa sozialstrukturelle, politische <strong>und</strong> kulturelle Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu berücksichtigen.<br />

Daneben <strong>in</strong>teressiert zweitens die Frage, ob die zweite Lebenshälfte <strong>in</strong> verschiedene<br />

Altersphasen gegliedert werden kann. Aus soziologischer Perspektive bieten sich die Konzepte<br />

der altersbezogenen Rollenzuweisung sowie des Status <strong>und</strong> der Vergesellschaftung von Individuen<br />

an, aus psychologischer Perspektive die Konzepte alterskorrelierter Herausforderungen,<br />

Chancen <strong>und</strong> Belastungen. In engem Zusammenhang dazu steht die Frage nach der Art der zeitlichen<br />

Strukturierung des Lebenslaufs durch kritische Lebensereignisse, Statuspassagen <strong>und</strong><br />

Altersnormen.<br />

In der jüngsten entwicklungspsychologischen Literatur wird der Ansatz der lebenslangen <strong>Entwicklung</strong><br />

(„life-span theory“) als e<strong>in</strong> theoretisches Metamodell favorisiert <strong>und</strong> dessen Implikationen<br />

für <strong>Entwicklung</strong> im hohen Alter expliziert (Baltes & Smith, 1999). Seit e<strong>in</strong>igen Jahren<br />

f<strong>in</strong>det dieses Modell auch E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> die (noch recht junge) Forschung zum mittleren Erwachsenenalter<br />

(Staud<strong>in</strong>ger, 2001). Neben den Gr<strong>und</strong>annahmen, dass <strong>Entwicklung</strong> e<strong>in</strong> lebenslanger<br />

Prozess ist, sich als dynamisches Wechselspiel von Gew<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Verlusten darstellt <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />

soziale, historische <strong>und</strong> ökologische Kontexte e<strong>in</strong>gebettet ist, wird auch auf die Relevanz kultureller<br />

Faktoren <strong>und</strong> die Bedeutsamkeit biologischer Alternsprozesse h<strong>in</strong>gewiesen. Paul Baltes<br />

<strong>und</strong> Kollegen/Kolleg<strong>in</strong>nen postulieren, dass mit wachsendem Lebensalter der E<strong>in</strong>fluss negativer<br />

biologischer Faktoren zunimmt <strong>und</strong> die Notwendigkeit für stützende <strong>und</strong> protektive Maßnahmen<br />

(„Kultur“) wächst. Individuelle Ressourcen werden mit zunehmendem Alter immer weniger<br />

<strong>in</strong> Prozesse des Wachstums oder des Aufrechterhaltens von Funktionen, sondern immer<br />

stärker <strong>in</strong> die Regulation von Verlusten <strong>in</strong>vestiert. Diese Überlegungen münden <strong>in</strong> das Postulat<br />

e<strong>in</strong>es sogenannten vierten Alters, das mit circa 80 Jahren beg<strong>in</strong>nt <strong>und</strong> durch e<strong>in</strong>e zunehmend<br />

negativ werdende Bilanz von Gew<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Verlusten gekennzeichnet ist (Baltes, 1997). Da es<br />

sich beim Übergang vom dritten <strong>in</strong>s vierte Alter um e<strong>in</strong>e kont<strong>in</strong>uierliche Verschlechterung verschiedener<br />

Funktionen handelt, ist es schwierig, e<strong>in</strong>en genauen Übergangszeitpunkt anzugeben.<br />

Gerade <strong>in</strong> Bezug auf Veränderungen im hohen Alter ist zu fragen, ob <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> diesem<br />

Altersabschnitt kont<strong>in</strong>uierlich oder diskont<strong>in</strong>uierlich verläuft (Baltes et al., 1996). Der Kernpunkt<br />

ist dabei die Frage, ob es Veränderungen gibt, die sich als qualitativer <strong>Entwicklung</strong>s-<br />

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Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

sprung <strong>in</strong>terpretieren lassen <strong>und</strong> <strong>in</strong>wieweit <strong>in</strong> der <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Biografie liegende Merkmale<br />

e<strong>in</strong>er Person ihre <strong>Entwicklung</strong> im hohen Alter vorherzusagen vermögen.<br />

E<strong>in</strong> weiteres bedeutsames Forschungsgebiet stellt die Analyse der <strong>Entwicklung</strong>srelevanz kritischer<br />

Lebensereignisse (Reese & Smyer, 1983; Filipp, 1990) sowie deren Bewältigung dar<br />

(Tesch-Römer et al., 1997). Bei weitem nicht alle kritischen Lebensereignisse s<strong>in</strong>d durch Unvorhersehbarkeit<br />

<strong>und</strong> ger<strong>in</strong>ge Auftretenswahrsche<strong>in</strong>lichkeit gekennzeichnet. Gerade im mittleren<br />

<strong>und</strong> höheren Erwachsenenalter treten e<strong>in</strong>e Reihe von Lebensereignissen mit hoher Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

auf <strong>und</strong> haben zum Teil sogar normativen Charakter im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Statuspassage.<br />

Beispiele s<strong>in</strong>d der Auszug des letzten K<strong>in</strong>des aus dem elterlichen Haushalt („empty nest“),<br />

der Tod des Partners (dies betrifft <strong>in</strong>sbesondere Frauen) sowie das Auftreten von Erkrankungen<br />

im höheren Lebensalter (wobei die im hohen Erwachsenenalter typischen Erkrankungen häufig<br />

chronisch <strong>und</strong> damit weniger e<strong>in</strong> zeitlich präzise bestimmbares „Ereignis“ als vielmehr e<strong>in</strong>e<br />

Dauerbelastung s<strong>in</strong>d). Kritische Lebensereignisse können also – <strong>und</strong> zwar sowohl aus der Sicht<br />

der betroffenen Personen als auch im S<strong>in</strong>ne theoretischer Analyse – den Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es neuen<br />

Lebensabschnitts markieren <strong>und</strong> dementsprechend als „organisierendes Erklärungspr<strong>in</strong>zip für<br />

ontogenetischen <strong>Wandel</strong> über die Lebensspanne h<strong>in</strong>weg“ <strong>in</strong>terpretiert werden (Filipp, 1981: S.<br />

7-8). Der Lebensspannen-Ansatz verweist auch auf die Idee der <strong>Entwicklung</strong>snormen, worunter<br />

die Vorstellung sozial erwünschter chronologischer Zeitpunkte oder Zeiträume für das Erreichen<br />

bestimmter <strong>Entwicklung</strong>szustände zu verstehen ist (Dannefer, 1998). „Transitional Events“<br />

(Neugarten, 1968) haben <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> den von ihnen verursachten Veränderungen<br />

von Selbstkonzept <strong>und</strong> Identität Bedeutung. Abweichungen von kulturell vorgegebenen chronologischen<br />

<strong>Entwicklung</strong>szeiten („off-time“) können negative Konsequenzen <strong>in</strong> der <strong>Entwicklung</strong>,<br />

zum Beispiel Lebenskrisen, nach sich ziehen (Heckhausen, 1990).<br />

Auch die soziologische Alter(n)sforschung hat sich <strong>in</strong>tensiv mit Statuspassagen <strong>und</strong> Altersphasen<br />

beschäftigt, wenn auch aus e<strong>in</strong>em anderen Blickw<strong>in</strong>kel <strong>und</strong> unter Verfolgung anderer Forschungs<strong>in</strong>teressen.<br />

Die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der – recht e<strong>in</strong>seitig am männlichen Muster<br />

orientierten –Dreiteilung des Lebenslaufs <strong>in</strong> „Bildung“ (K<strong>in</strong>dheit <strong>und</strong> Jugend), „Erwerbstätigkeit“<br />

(junges <strong>und</strong> mittleres Erwachsenenalter) <strong>und</strong> „Ruhestand“ (höheres Alter) kennzeichnet<br />

die Lebenslaufsoziologie (Settersten, 2002). Von besonderer Bedeutung für die Betrachtung der<br />

zweiten Lebenshälfte s<strong>in</strong>d die Phasen des „zweiten“ <strong>und</strong> „dritten Alters“: Das „zweite Alter“ ist<br />

durch die Teilhabe am Erwerbsleben gekennzeichnet, die <strong>in</strong> westlichen Gesellschaften der wichtigste<br />

Mechanismus zur Vergesellschaftung von Individuen ist. Im Gegensatz dazu setzt das<br />

„dritte Alter“ erst am Übergang von der Phase der Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> den Ruhestand an. Diese<br />

Transition kann vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Institutionalisierung des Lebenslaufs verstanden<br />

werden (Kohli, 1985) 3 . Mart<strong>in</strong> Kohli argumentiert, dass die historische Institutionalisierung e<strong>in</strong>e<br />

zunehmend klarere Gliederung nach Lebensphasen <strong>und</strong> Altersgruppen mit sich gebracht habe<br />

(Kohli, 1998). Das soziale Sicherungssystem <strong>in</strong> den Wohlfahrtsstaaten Europas, also auch <strong>in</strong><br />

Deutschland, ist auf die Trennung zwischen Erwerbsphase <strong>und</strong> Ruhestandsphase h<strong>in</strong> angelegt<br />

<strong>und</strong> trägt durch rechtliche Regelungen entscheidend zur sozialen Def<strong>in</strong>ition dieser Lebensabschnitte<br />

bei. Auch <strong>in</strong> der historischen Soziologie wird argumentiert, dass die Phasen des „ers-<br />

3 Kohli wies jedoch bereits an dieser Stelle auf E<strong>in</strong>schränkungen des Institutionalisierungsprozesses h<strong>in</strong>.


Kapitel 1: Beobachtung gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> Analyse <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Veränderungen<br />

ten“, „zweiten“ <strong>und</strong> „dritten Alters“ erst im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert aufgr<strong>und</strong> des <strong>Wandel</strong>s der Arbeitswelt,<br />

der Etablierung sozialer Sicherungssysteme <strong>und</strong> Veränderungen der durchschnittlichen<br />

Lebensdauer entstanden s<strong>in</strong>d (Laslett, 1989/1995).<br />

In den vergangenen Jahrzehnten haben jedoch <strong>in</strong> Deutschland zwei Prozesse den Übergang vom<br />

Erwerbsleben <strong>in</strong> den Ruhestand verändert: Zum e<strong>in</strong>en ließ sich e<strong>in</strong> Trend zu e<strong>in</strong>em immer früheren<br />

Austritt aus dem Erwerbsleben beobachten, zum anderen haben sich für viele Arbeitnehmer<br />

zwischen die Phase der Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> des Ruhestands Phasen der Arbeitslosigkeit,<br />

des Vorruhestands oder der Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen geschoben, so<br />

dass sich der ehemals rasche Statusübergang für nicht wenige Menschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en mehr oder<br />

weniger langen Durchgang durch unsichere, prekäre Lebenssituationen gewandelt hat (Behrend,<br />

2001). Diese allgeme<strong>in</strong>e Tendenz zur De<strong>in</strong>stitutionalisierung, Pluralisierung <strong>und</strong> Destandardisierung<br />

wird <strong>in</strong> der Lebenslaufsoziologie mit ökonomischen Veränderungen (Flexibilisierung,<br />

Globalisierung) <strong>und</strong> sozialen Veränderungen von Wertewandel, Individualisierungsprozessen<br />

<strong>und</strong> Bildungsexpansion <strong>in</strong> Zusammenhang gebracht (Mayer, 1998). Wird die Teilhabe an der<br />

Arbeitswelt als zentraler Mechanismus der Vergesellschaftung von Individuen konzipiert, so<br />

stellt sich das Problem, welche Vergesellschaftungsmechanismen <strong>in</strong> der Phase des „Ruhestands“<br />

von Bedeutung s<strong>in</strong>d. Dieses Festhalten an der zentralen Bedeutung der Arbeitsgesellschaft<br />

wird von e<strong>in</strong>igen Autoren als „Wurzel des bl<strong>in</strong>den Flecks der Soziologie gegenüber der<br />

gesellschaftlichen Bedeutung des Alter(n)s heute“ gesehen (Backes & Clemens, 1998). Konsequenz<br />

dieser Überlegungen ist es, neben der Dichotomie von Arbeit <strong>und</strong> Ruhestand auch andere<br />

Lebensbereiche <strong>und</strong> deren Bedeutung für den Lebenslauf zu analysieren: Die E<strong>in</strong>bettung <strong>in</strong><br />

familiale <strong>und</strong> andere private Netzwerke, bürgerschaftliches Engagement sowie die Übernahme<br />

von nicht auf E<strong>in</strong>kommenserwerb gerichteten produktiven Tätigkeiten s<strong>in</strong>d Lebensbereiche, die<br />

potentiell reichhaltige – bislang wissenschaftlich jedoch noch zu wenig analysierte – Vergesellschaftungsoptionen<br />

für älter werdende Menschen bieten.<br />

Um <strong>Entwicklung</strong>sprozesse <strong>und</strong> -bed<strong>in</strong>gungen empirisch adäquat beschreiben zu können, ist e<strong>in</strong><br />

Längsschnittdesign zw<strong>in</strong>gend erforderlich. E<strong>in</strong> wesentlicher Vorteil von Panelstudien ist, dass<br />

sie die Erfassung von <strong>Entwicklung</strong>en, das heißt von Veränderungen <strong>und</strong> Kont<strong>in</strong>uitäten über<br />

e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum h<strong>in</strong>weg erlauben. Im Gegensatz zu Querschnittsanalysen können<br />

<strong>in</strong>tra<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Veränderungen <strong>und</strong> <strong>in</strong>ter<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Differenzen gleichermaßen erfasst werden<br />

(Baltes, 1967). H<strong>in</strong>zu kommt, dass für die Auswertung von Daten aus abhängigen Stichproben<br />

statistisch effizientere Verfahren als bei unabhängigen Stichproben zur Verfügung stehen<br />

(Roth & Holl<strong>in</strong>g, 1999). Diese Vorteile überwiegen die Nachteile, zu denen e<strong>in</strong>e mehr oder<br />

m<strong>in</strong>der hohe Panelmortalität, die Möglichkeit des Auftretens sogenannter Paneleffekte (Lern-<br />

<strong>und</strong> Er<strong>in</strong>nerungseffekten) <strong>und</strong> die Gefahr e<strong>in</strong>geschränkter Repräsentativität durch den wiederholten<br />

E<strong>in</strong>satz derselben Stichprobe gehören. Wenn diese Nachteile jedoch von Beg<strong>in</strong>n an berücksichtigt<br />

werden, kann ihre Wirkung erheblich verm<strong>in</strong>dert werden. So ist es bei Paneluntersuchungen<br />

üblich, <strong>in</strong> der ersten Erhebungswelle e<strong>in</strong>e ausreichend große Stichprobe zu ziehen,<br />

die zukünftige Ausfälle antizipiert. Das Auftreten von Paneleffekten ist unvermeidlich, kann<br />

jedoch durch Selektivitätsanalysen sowie Replikationsdesigns empirisch analysiert werden.<br />

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12<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

1.3.3 <strong>Sozialer</strong> <strong>und</strong> gesellschaftlicher <strong>Wandel</strong><br />

Die Analyse von Altersveränderungen <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong>sprozessen macht es notwendig, Personen<br />

im Lauf der Zeit wiederholt zu untersuchen, um <strong>in</strong>tra<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Veränderungen feststellen<br />

<strong>und</strong> analysieren zu können. Das Verstreichen <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Lebenszeit geht aber e<strong>in</strong>her mit Prozessen<br />

sozialen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> historischen Veränderungen (Kohli & Szydlik, 2000). Daher sollte<br />

<strong>in</strong> Längsschnittuntersuchungen stets der Frage nachgegangen werden, <strong>in</strong>wieweit empirisch<br />

nachweisbare <strong>in</strong>tra<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Veränderungen <strong>und</strong> <strong>in</strong>ter<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Unterschiede durch lebenslaufbezogene<br />

Faktoren, historisch s<strong>in</strong>guläre Ereignisse <strong>und</strong> kohortenbezogene Prozesse oder<br />

sozialen <strong>Wandel</strong> geprägt wurden. Dies macht es notwendig, (a) <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Lebenszeit e<strong>in</strong>erseits<br />

(Mikroebene) <strong>und</strong> sozialen <strong>Wandel</strong> andererseits (Makroebene) zu unterscheiden <strong>und</strong> (b)<br />

die Abfolge von Generationen als e<strong>in</strong>en möglichen Mechanismus zur Vermittlung <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r<br />

Veränderungen <strong>in</strong> aggregierter Form im Verhältnis zu Prozessen des sozialen <strong>Wandel</strong>s genauer<br />

zu betrachten.<br />

Wie bereits mehrfach erwähnt, s<strong>in</strong>d umfassende Paneluntersuchungen e<strong>in</strong>e notwendige Voraussetzung<br />

dafür, <strong>in</strong>tra<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Veränderungen <strong>in</strong>nerhalb der Lebenszeit von Individuen empirisch<br />

nachzuweisen. Allerd<strong>in</strong>gs kann <strong>in</strong> Zeiten sozialen <strong>Wandel</strong>s nicht davon ausgegangen werden,<br />

dass alle festgestellten <strong>in</strong>tra<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Veränderungen auf alterskorrelierte Bed<strong>in</strong>gungsfaktoren<br />

zurückgeführt werden können (Alter als „quasi-kausaler“ Erklärungsfaktor). Vielmehr<br />

ist stets die Möglichkeit zu beachten, dass markante historische Ereignisse oder Prozesse des<br />

sozialen <strong>Wandel</strong>s als Verursacher dieser Unterschiede zwischen Messwerten e<strong>in</strong>es Individuums<br />

zu zwei Zeitpunkten geführt haben könnten. Das Konstrukt der Zeit umfasst also Wandlungs-<br />

<strong>und</strong> Veränderungsprozesse auf zwei Ebenen: (1.) Auf der <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Ebene ist es notwendig,<br />

die <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Lebenszeit zu betrachten, die mit biologischen Prozessen, alterskorrelierten<br />

<strong>Entwicklung</strong>saufgaben oder selbst gesetzten Lebenszielen verknüpft ist. (2.) Auf sozialer Ebene<br />

ist es notwendig, die Auswirkungen historischer Ereignisse <strong>und</strong> des sozialen <strong>Wandel</strong>s auf die<br />

Lebenssituationen älter werdender Menschen zu betrachten. Bei der Durchführung von Panelstudien<br />

ergeben sich stets zwei methodische Probleme: Zum e<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>d Alter <strong>und</strong> Messzeitpunkt<br />

konf<strong>und</strong>iert <strong>und</strong> zum anderen kann von der Betrachtung nur e<strong>in</strong>er Kohorte nicht auf die<br />

<strong>Entwicklung</strong> anderer Kohorten geschlossen werden (Kohortenspezifität von Ergebnissen). Bei<br />

der Kausalanalyse <strong>in</strong>tra<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Veränderungen kommt es also darauf an, alterskorrelierte<br />

<strong>Entwicklung</strong>sfaktoren von den Auswirkungen historischer Ereignisse sowie Prozessen des sozialen<br />

<strong>Wandel</strong>s zu unterscheiden, die direkt oder <strong>in</strong>direkt Auswirkungen auf die Lebenssituation<br />

<strong>und</strong> Lebensqualität im Alter haben. Diese Überlegungen machen es notwendig, nicht alle<strong>in</strong> Panelstudien<br />

an e<strong>in</strong>zelnen Kohorten durchzuführen, sondern zeitversetzte Panelstudien <strong>in</strong> unterschiedlichen<br />

Kohorten zu realisieren (kohortensequentielles Design), um auf diese Weise dem<br />

Ziel näher zu kommen, <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Veränderungen <strong>und</strong> Prozesse sozialen <strong>Wandel</strong>s vone<strong>in</strong>ander<br />

zu trennen <strong>und</strong> ihre jeweiligen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> Auswirkungen zu analysieren. In Zeiten<br />

raschen sozialen <strong>Wandel</strong>s wird die Halbwertzeit e<strong>in</strong>mal festgestellter Merkmale der Lebenssituation<br />

älterer Menschen immer ger<strong>in</strong>ger <strong>und</strong> kann nicht mehr ohne weiteres auf die kommenden<br />

Generationen übertragen werden. Deshalb müssen <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Alterungsverläufe kont<strong>in</strong>uierlich<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> der Kohortenabfolge beobachtet werden.


Kapitel 1: Beobachtung gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> Analyse <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Veränderungen<br />

Mathilda <strong>und</strong> John Riley haben bereits vor geraumer Zeit den Zusammenhang von <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>m<br />

Lebenslauf <strong>und</strong> sozialem <strong>Wandel</strong> analysiert (Riley et al., 1972; Riley & Riley, 1992). Ausgangspunkt<br />

ihrer Argumentation ist die These, dass mit Hilfe des (chronologischen) Alters sowohl<br />

<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Lebensläufe als auch soziale Strukturen <strong>in</strong> Schichten e<strong>in</strong>geteilt werden („age<br />

stratification“). Diese Altersschichtung unterliegt jedoch Dynamisierungsprozessen. So können<br />

sich die Lebensläufe von Individuen unterschiedlicher Kohorten erheblich vone<strong>in</strong>ander unterscheiden.<br />

Aufgr<strong>und</strong> unterschiedlicher Rhythmisierungen <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Lebensläufe <strong>und</strong> sozialer<br />

Strukturen kann es zu deutlichen Asynchronien kommen, etwa wenn die Bedürfnisse <strong>und</strong> Wünsche<br />

älter werdender Menschen mit den Angeboten der sozialen Struktur nicht übere<strong>in</strong>stimmen<br />

(Riley et al., 1999). Gesellschaftspolitisch ebenfalls von hoher Bedeutung ist die Frage, wie die<br />

Solidarität zwischen den Generationen <strong>in</strong> Zukunft gesichert werden kann <strong>und</strong> zwar unter Berücksichtigung<br />

des demografischen <strong>Wandel</strong>s, <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r <strong>und</strong> familialer Faktoren sowie deren<br />

Spannungsverhältnis zur gesamtgesellschaftlichen <strong>Entwicklung</strong>. Gesellschaftliche Solidarität<br />

basiert auf anderen Gr<strong>und</strong>lagen als die auf persönlichen Beziehungen beruhende familiale Solidarität.<br />

Gesellschaftliche Solidarität impliziert die Erwartung, dass Mitmenschen verlässlich<br />

s<strong>in</strong>d, dass sie bestehende Normen <strong>und</strong> die daraus folgenden Pflichten anerkennen, dass andere<br />

Personen sich auf ihre Kooperationsbereitschaft <strong>und</strong> ihren E<strong>in</strong>satz für geme<strong>in</strong>same Interessen<br />

verlassen können. Solidarität wirkt <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne sozial steuernd, das heißt, sie motiviert<br />

Menschen zu Empathie <strong>und</strong> zu eigene <strong>und</strong> fremde Interessen ausbalancierender Verantwortung.<br />

Praktisch äußert sich gesellschaftliche Solidarität im Verzicht auf eigennützige Handlungen auf<br />

Kosten anderer, wie zum Beispiel (<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em wohlfahrtsstaatlichen Kontext) Steuerflucht,<br />

Schwarzarbeit oder missbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen (Kaufmann, 1997).<br />

Jedoch können auch wohlfahrtsstaatliche Institutionen, wie etwa die Alterssicherungssysteme,<br />

durch die Schaffung lebenszeitlicher Kont<strong>in</strong>uität <strong>und</strong> Reziprozität moralische B<strong>in</strong>dungen begründen<br />

(„Moralökonomie“) (Kohli, 1987). In diesem S<strong>in</strong>ne ist es von hoher Bedeutung, das<br />

Verhältnis zwischen e<strong>in</strong>ander nachfolgenden Generationen empirisch zu untersuchen.<br />

Voraussetzung für die Analyse sozialen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r <strong>Entwicklung</strong> ist e<strong>in</strong>e klare<br />

Unterscheidung zwischen Alters-, Perioden- <strong>und</strong> Kohorteneffekten. Jeder der genannten Effekte<br />

zeichnet sich durch e<strong>in</strong>en bestimmten Zeitbezug aus, der konzeptuell von den beiden anderen<br />

unterschieden werden kann <strong>und</strong> muss. Auf operationaler Ebene besteht e<strong>in</strong>e l<strong>in</strong>eare Beziehung<br />

zwischen Alter, Periode <strong>und</strong> Kohorte (vgl. auch Haagenaars, 1990). Alter ist gleich der Differenz<br />

zwischen Beobachtungszeitraum (Periode) <strong>und</strong> Geburtsdatum (Kohorte). Sobald zwei dieser<br />

drei Größen Alter, Periode <strong>und</strong> Kohorte bekannt s<strong>in</strong>d, ist der dritte quasi fixiert. Zwei Personen<br />

desselben Alters gehören immer auch derselben Geburtskohorte an – <strong>in</strong>folgedessen kann<br />

der dritte Faktor nicht unabhängig von den anderen beiden Faktoren variieren. Obgleich verschiedene<br />

technische Lösungen zur Lösung dieses als „Identifikationsproblem“ bekannt gewordenen<br />

Sachverhalts vorgeschlagen wurden (vgl. Donaldson & Horn, 1992; Haagenaars, 1990)<br />

kann es auf operationaler, methodischer Ebene nicht gelöst werden. Die Erkenntnis der Konf<strong>und</strong>ierung<br />

dieser Effekte führte schließlich zur schnell wachsenden Popularität von Längsschnittstudien,<br />

da man me<strong>in</strong>te, das Problem damit zu beseitigen. Doch auch Longitud<strong>in</strong>alerhebungen<br />

s<strong>in</strong>d nicht vor der Konf<strong>und</strong>ierung von Effekten gefeit. Auch Veränderungen im Längsschnitt<br />

können nicht e<strong>in</strong>deutig dem Alter zugeschrieben werden, sondern können ebenso aus konkreten<br />

historischen <strong>Entwicklung</strong>sbed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>er bestimmten Alterskohorte resultieren. Mit Hilfe<br />

13


14<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

statistischer Verfahren kann das Problem der Konf<strong>und</strong>ierung von Alters- mit Perioden- <strong>und</strong><br />

Kohorteneffekten bis heute nicht gelöst werden – es bleibt im Kern e<strong>in</strong> Identifikationsproblem<br />

(Glenn, 2003). Umso wichtiger ist e<strong>in</strong>e klare konzeptuelle Trennung.<br />

Mit dem Begriff der Alterseffekte s<strong>in</strong>d Wirkungen auf das zu untersuchende Merkmal bezeichnet,<br />

die der Position der Zielperson im Lebenslauf zugeordnet werden können. Es ist e<strong>in</strong>e alltägliche<br />

Tatsache, dass sich Menschen mit zunehmendem Alter verändern. Diese Veränderungen<br />

werden beim Vergleich von Unterschieden zwischen jüngeren <strong>und</strong> älteren Menschen identifiziert<br />

(Alw<strong>in</strong> & McCammon, 2003). Auslöser dieser Veränderung können biologische, psychologische<br />

<strong>und</strong> soziale Faktoren se<strong>in</strong>. Die zweite Quelle <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Veränderung s<strong>in</strong>d Periodeneffekte.<br />

Periodeneffekte können def<strong>in</strong>iert werden als <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Reaktionen auf historische<br />

Ereignisse <strong>und</strong> Prozesse, welche die gesamte Gesellschaft <strong>in</strong> gleicher Weise betreffen (Alw<strong>in</strong> &<br />

McCammon, 2003). Periodeneffekte betreffen alle zu e<strong>in</strong>em Zeitpunkt <strong>in</strong> der Gesellschaft lebenden<br />

Menschen gleichermaßen, unabhängig von ihrem Alter, Geschlecht oder anderen<br />

Merkmalen. Beispiele für besonders ausgeprägten Periodeneffekt s<strong>in</strong>d der Zweite Weltkrieg<br />

oder die Weltwirtschaftskrise (zu den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise bzw. im angelsächsischen<br />

Sprachraum „The Great Depression“ vgl. die Arbeiten von Elder, 1974; 1999). E<strong>in</strong>e<br />

dritte mögliche E<strong>in</strong>flussgröße betrifft Kohorteneffekte. Die Zugehörigkeit von Menschen zu<br />

e<strong>in</strong>er Kohorte wird durch den Zeitbezug zu e<strong>in</strong>em bestimmten Ausgangsereignis def<strong>in</strong>iert (z.B.<br />

Geburtskohorten über das Geburtsjahr, Heiratskohorten über das Heiratsdatum). Bezogen auf<br />

e<strong>in</strong>en historischen Kontext s<strong>in</strong>d Kohorten Gruppen von Personen, die <strong>in</strong>nerhalb desselben Zeitabschnitts<br />

bestimmte historische Ereignisse erlebt haben bzw. deren Leben von <strong>in</strong> demselben<br />

Zeitabschnitt erlebten historischen Ereignissen entscheidend geprägt wurde. Hier ist das Konzept<br />

der „Generation“ erkennbar, das bereits von Mannheim (1928) geprägt wurde. Während als<br />

„Kohorteneffekte“ die Gesamtheit jener Effekte bezeichnet wird, die aus der Geburt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

bestimmten historischen Kontext resultieren, setzt – im Gegensatz dazu – die Zugehörigkeit zu<br />

e<strong>in</strong>er Generation e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same, identitätsbildende, <strong>in</strong>terpretative Konstruktion voraus, welche<br />

sich durch identifizierbare Lebensstile auszeichnet. Kohorten folgen e<strong>in</strong>ander im Zeitverlauf<br />

kont<strong>in</strong>uierlich, das heißt, frühere Geburtskohorten werden Schritt für Schritt durch spätere abgelöst.<br />

Im Gegensatz zu Alters- <strong>und</strong> Periodeneffekten resultiert diese Veränderung jedoch nicht<br />

aus <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>m <strong>Wandel</strong>, sondern aus <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Stabilität (Alw<strong>in</strong> & McCammon, 2003).<br />

Die Biografie <strong>und</strong> die sich im Lebensverlauf ergebenden Möglichkeiten <strong>und</strong> Zwänge für die<br />

Mitglieder e<strong>in</strong>er bestimmten Geburtskohorte wurden durch die gleichen historischen Kontextbed<strong>in</strong>gungen<br />

geprägt. Dazu gehören neben e<strong>in</strong>schneidenden historischen Ereignissen wie Kriegen<br />

oder Wirtschaftskrisen auch periodenspezifische Erfahrungen, wie zum Beispiel Erziehungsstile<br />

oder die Gültigkeit bestimmter Normen <strong>und</strong> Werte. Doch nicht nur das, die Mitglieder<br />

derselben Geburtskohorte durchlaufen auch die Stationen des Lebenszyklus ungefähr zur<br />

gleichen Zeit. Sie erleben im ähnlichen Alter <strong>und</strong> <strong>in</strong> vergleichbaren historischen Zeitabschnitten<br />

ihre K<strong>in</strong>dheit, werden erwachsen, gründen Familien <strong>und</strong> werden pensioniert. Allerd<strong>in</strong>gs hat sich<br />

der so beschriebene idealtypische Lebensverlauf <strong>in</strong> den vergangenen Jahrzehnten erheblich verändert<br />

<strong>und</strong> ist vielfältiger <strong>und</strong> damit weniger normativ geworden (Dannefer, 1998). Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus entwickeln Kohorten ihre eigenen, ganz spezifischen Eigenschaften, die ihre Angehörigen<br />

von jenen anderer unterscheidet. So hat Easterl<strong>in</strong> (1987) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reihe viel beachteter Studien<br />

herausgearbeitet, wie Angehörige der sogenannten „Babyboom“-Kohorte alle<strong>in</strong> aufgr<strong>und</strong>


Kapitel 1: Beobachtung gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> Analyse <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Veränderungen<br />

der Größe ihrer Kohorte – <strong>und</strong> der daraus resultierenden, im Vergleich zu den vorherigen <strong>und</strong><br />

nachfolgenden Kohorten größeren Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt – <strong>in</strong> sozioökonomischer<br />

H<strong>in</strong>sicht benachteiligt wurden (Easterl<strong>in</strong>, 1987). Umgekehrt stellen heute gerade diese Geburtskohorten<br />

aufgr<strong>und</strong> ihrer relativen Größe im Vergleich zu jüngeren Kohorten bei ihrem E<strong>in</strong>tritt<br />

<strong>in</strong>s Rentenalter die auf dem Umlageverfahren basierenden Rentenversicherungssysteme vor<br />

F<strong>in</strong>anzierungsprobleme.<br />

1.3.4 Unterschiede <strong>und</strong> Ungleichheiten <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

E<strong>in</strong>ige der bislang diskutierten Konzepte zu <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r <strong>Entwicklung</strong> <strong>und</strong> sozialem <strong>Wandel</strong><br />

haben geme<strong>in</strong>sam, dass sie charakteristische Altersveränderungen postulieren. In der empirischen<br />

Literatur spiegelt sich diese Orientierung am typischen Altersverlauf <strong>in</strong> der weitverbreiteten<br />

Praxis der Bildung von altersbezogenen Mittelwerten wider, anhand derer Unterschiede<br />

zwischen Altersgruppen oder Veränderungen <strong>in</strong>nerhalb bestimmter Zeiträume illustriert <strong>und</strong><br />

belegt werden. Übersehen wird hierbei jedoch leicht, dass bei Personen e<strong>in</strong>es bestimmten Alters<br />

oft e<strong>in</strong>e beträchtliche Variabilität h<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>es gemessenen Merkmales vorliegt. Ist diese<br />

<strong>in</strong>ter<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Varianz größer als die durch Altersunterschiede aufgeklärte Varianz, stellt sich<br />

die Frage, wie erhellend das Postulieren e<strong>in</strong>es typischen Alternsverlaufs mit Bezug auf dieses<br />

Merkmal noch ist. Gerade Ansätze <strong>in</strong>nerhalb der Lebenslaufsoziologie (Settersten, 2002) <strong>und</strong><br />

der Psychologie der Lebensspanne (Baltes & Baltes, 1994) verweisen auf hohe <strong>in</strong>ter<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong><br />

Unterschiede im Verlauf des mittleren <strong>und</strong> höheren Erwachsenenalters. Mit Bezug auf gesellschaftliche<br />

Veränderungen kann zudem gefragt werden, ob Verteilungen über die historische<br />

Zeit stabil bleiben oder sich verändern. Gr<strong>und</strong>sätzlich kann das Thema des differentiellen Alters<br />

<strong>in</strong> unterschiedlicher Weise thematisiert werden (Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, 2001): Zum e<strong>in</strong>en können<br />

Unterschiede zwischen Personen im S<strong>in</strong>ne von Ungleichartigkeit konzeptualisiert werden. Diese<br />

Ungleichartigkeit ist vor allem im deskriptiven S<strong>in</strong>ne geme<strong>in</strong>t. Zum anderen kann differentielles<br />

Altern aber auch als Ungleichheit im S<strong>in</strong>ne von Ungleichwertigkeit verstanden werden. Unterschiede<br />

zwischen Personen verweisen <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne auf die unterschiedliche Ausstattung mit<br />

Ressourcen, das heißt auf Bevorrechtigung bzw. Benachteiligung oder auf Begünstigung bzw.<br />

Schlechterstellung. Soziale Ungleichheit impliziert also e<strong>in</strong>e Evaluation <strong>in</strong>ter<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Unterschiede.<br />

Unterschiede im Lebenslauf (horizontale Betrachtungsweise): In der <strong>Entwicklung</strong>spsychologie<br />

der Lebensspanne wird schon seit langem darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass die <strong>Entwicklung</strong> im Erwachsenenalter<br />

<strong>und</strong> hohen Alter nicht für alle Menschen <strong>in</strong> gleicher Weise verläuft, sondern<br />

dass erhebliche Unterschiede zwischen Menschen gleichen Alters bestehen (Baltes, 1979; Baltes,<br />

1987; Thomae, 1959; Thomae, 1983). Dies bedeutet jedoch nicht, dass man ganz auf Aussagen<br />

zu Regelmäßigkeiten <strong>in</strong> Bezug auf die Erklärung des Erlebens <strong>und</strong> Verhaltens im höheren<br />

Erwachsenenalter verzichten müsste. Vielmehr soll verdeutlicht werden, dass chronologisches<br />

Altern nicht pauschal dazu dienen kann, die Gesamtvarianz von Alternsprozessen oder Altersgruppen<br />

abzubilden <strong>und</strong> auch nicht als Quelle für Alternsveränderungen <strong>in</strong>terpretiert werden<br />

sollte. In der gerontologischen Literatur f<strong>in</strong>det man verschiedene Ansätze, um <strong>in</strong>ter<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong><br />

Unterschiede methodisch <strong>und</strong> theoretisch zu fassen. Meist wird versucht, Varianzen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Altersgruppe mit Hilfe weiterer Variablen zu erklären. So weist Maddox darauf h<strong>in</strong>, dass Ver-<br />

15


16<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

haltensweisen <strong>und</strong> Bef<strong>in</strong>dlichkeit <strong>in</strong> höherem Alter weit stärker durch den sozioökonomischen<br />

Status determ<strong>in</strong>iert werden als durch das chronologische Alter (Maddox, 1987). Doch kann man<br />

nicht nur Unterschiede <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Altersgruppe durch andere Variablen erklären, man kann<br />

auch die Variabilität selbst als abhängige Variable untersuchen. Der Begriff des differentiellen<br />

Alterns muss sich aber nicht nur auf die Variation e<strong>in</strong>es Merkmals beziehen, es kann damit auch<br />

geme<strong>in</strong>t se<strong>in</strong>, dass Alternsverläufe für unterschiedliche Merkmale unterschiedlich erfolgen. Dies<br />

wird häufig mit dem Begriff der Multidimensionalität beschrieben. Das Konzept des Lebensstils<br />

ist e<strong>in</strong> Beispiel für die Analyse sozialer Differenzierung, bei dem nicht die normative Bewertung<br />

von Unterschiedlichkeiten im Vordergr<strong>und</strong> steht (Berger & Hradil, 1990; Schwenk, 1996).<br />

In kultursoziologischen Ansätzen verweist der Begriff des Lebensstils auf die Zugehörigkeit zu<br />

e<strong>in</strong>em bestimmten sozialen Milieu, das durch spezifische kulturelle Praktiken, Überzeugungen<br />

<strong>und</strong> Selbstrepräsentationen gekennzeichnet ist. Von Interesse ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang die<br />

Frage, welche Formen von Lebensstilen sich <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte empirisch nachweisen<br />

lassen, ob diese Gruppierungen über verschiedene Altersgruppen <strong>und</strong> Messzeitpunkte stabil s<strong>in</strong>d<br />

<strong>und</strong> welche Beziehung zwischen Lebensstil <strong>und</strong> Lebenslage besteht.<br />

Ungleichheiten im Lebenslauf (vertikale Betrachtungsweise): Damit steht die Frage nach der<br />

Verschiedenheit von Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> sozialen Lagen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.<br />

Als soziale Ungleichheiten werden nach Hradil solche Differenzierungen bezeichnet, bei<br />

denen Menschen aufgr<strong>und</strong> ihrer Stellung <strong>in</strong> sozialen Beziehungsgefügen von den „wertvollen<br />

Gütern“ e<strong>in</strong>er Gesellschaft regelmäßig mehr bzw. weniger als andere erhalten (Hradil, 1999).<br />

Ungleichheiten können sich auf unterschiedliche Bereiche der Lebenslage beziehen, etwa auf<br />

E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> Vermögen (Motel, 2000), Familienbeziehungen (Szydlik, 2002), Zugang zu<br />

neuen Technologien (Mollenkopf, 2001) oder Ges<strong>und</strong>heit (Mielck, 2003). Als Entstehungszusammenhänge<br />

für Ungleichheit werden nicht alle<strong>in</strong> Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>er sozialen Schicht<br />

(Schneider, 2003), sondern auch Alter (Dieck & Naegele, 1978) <strong>und</strong> Geschlecht (G<strong>in</strong>n, 2003;<br />

Schäfgen, 2002) diskutiert.<br />

Zum Zusammenhang zwischen Altern <strong>und</strong> sozialer Ungleichheit lassen sich vier Annahmen<br />

formulieren (Mayer & Wagner, 1996; Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, 2001). Erstens kann danach gefragt<br />

werden, ob ältere Menschen im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen strukturell benachteiligt<br />

s<strong>in</strong>d (Hypothese der Altersbed<strong>in</strong>gtheit sozialer Ungleichheit). Die These der Altersbed<strong>in</strong>gtheit<br />

basiert auf der Annahme, dass Altern mit dem Nachlassen physischer <strong>und</strong> psychischer<br />

Leistungsfähigkeit e<strong>in</strong>hergeht <strong>und</strong> dass diese Verluste nachteilige Wirkungen auf die Lebenslagen<br />

älter werdender Menschen haben. Zudem verweist dieser Ansatz auf altersbezogene Unterschiede<br />

<strong>in</strong> der wohlfahrtsstaatlichen Versorgung. In diesem Zusammenhang kann auch auf die<br />

negativen Wirkungen von Altersstereotypen verwiesen werden, die beispielsweise ältere Menschen<br />

ab e<strong>in</strong>em bestimmten Lebensalter vom Arbeitsmarkt fernhalten. E<strong>in</strong>e zweite Hypothese<br />

besagt, dass Ungleichheiten im Alter auf bereits zuvor bestehende Unterschiede <strong>in</strong> den <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n<br />

Lebenslagen zurückgeführt werden können (Hypothese der sozioökonomischen Differenzierung<br />

sozialer Ungleichheit im Alter). Dies würde e<strong>in</strong>e Kont<strong>in</strong>uität sozialer Unterschiede<br />

im Lebenslauf bedeuten. Ursachen für Ungleichheit im Alter s<strong>in</strong>d demzufolge <strong>in</strong> früheren Phasen<br />

des Lebenslaufs zu suchen. Drittens kann postuliert werden, dass sich lebenslang wirksame,<br />

schichtspezifische Unterschiede im Alter verstärken (Kumulationshypothese sozialer Ungleichheit<br />

im Alter). In diesem Zusammenhang kann darauf verwiesen werden, dass altersbed<strong>in</strong>gte


Kapitel 1: Beobachtung gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> Analyse <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Veränderungen<br />

Risikolagen <strong>in</strong> unterschiedlichen Lebensbereichen (etwa Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> materielle Lage) nicht<br />

nur geme<strong>in</strong>sam auftreten (Kovariation), sondern sich auch gegenseitig verstärken können (Interaktion).<br />

Das Ergebnis wäre e<strong>in</strong>e Verschärfung von Unterschieden, die bereits lebenslang bestehen.<br />

In deutlichem Gegensatz zu diesen drei Hypothesen steht schließlich viertens die Homogenisierungs-<br />

bzw. Entstrukturierungshypothese, die von e<strong>in</strong>er Vere<strong>in</strong>heitlichung von Lebenslagen<br />

im Alter aufgr<strong>und</strong> von <strong>in</strong>stitutionellen Regelungen ausgeht. Dieser These zufolge werden im<br />

Alter frühere Zugehörigkeiten <strong>und</strong> Differenzierungen von altersspezifischen Ähnlichkeiten der<br />

Lebenssituation überlagert. Die aus dem Erwerbsleben resultierende Ungleichheit wird nivelliert,<br />

während zugleich die <strong>in</strong>ter<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Heterogenität aufgr<strong>und</strong> der Ausdifferenzierung über<br />

den Altersverlauf zunimmt.<br />

1.3.5 Zwischenresümee<br />

In diesem Abschnitt wurden theoretische Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Forschungsfragen gerontologischer<br />

Längsschnittanalyse expliziert. Dazu ist e<strong>in</strong>e Verankerung im aktuellen theoretischen Diskurs<br />

der relevanten Wissenschaftsdiszipl<strong>in</strong>en unverzichtbar. Die Verknüpfung soziologischer <strong>und</strong><br />

entwicklungspsychologischer Theorien kann durch die Bündelung der jeweiligen fachspezifischen<br />

Kompetenz e<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag dazu leisten. Beide Diszipl<strong>in</strong>en haben sich – <strong>in</strong>sbesondere<br />

im Bereich der <strong>Entwicklung</strong>spsychologie der Lebensspanne <strong>und</strong> der Lebenslaufsoziologie<br />

– <strong>in</strong> Interaktion mite<strong>in</strong>ander, e<strong>in</strong>ander wechselseitig befruchtend, entwickelt, obwohl sie <strong>in</strong><br />

unterschiedlichen Denktraditionen verankert s<strong>in</strong>d. Ke<strong>in</strong>e wissenschaftliche E<strong>in</strong>zeldiszipl<strong>in</strong> kann<br />

für sich <strong>in</strong> Anspruch nehmen, den Altersstrukturwandel <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Konsequenzen für Individuum<br />

<strong>und</strong> Gesellschaft alle<strong>in</strong> mit ihrem fachspezifischen Instrumentarium adäquat beschreiben<br />

zu können. Die Komb<strong>in</strong>ation von soziologischen <strong>und</strong> entwicklungspsychologischen Forschungstraditionen<br />

nimmt objektive <strong>und</strong> subjektive Aspekte der Lebensqualität älter werdender<br />

Menschen gleichermaßen ernst. Im folgenden soll nun dargestellt werden, wie diese konzeptuellen<br />

Erwägungen <strong>in</strong> Design <strong>und</strong> Themen des Alterssurveys e<strong>in</strong>geflossen s<strong>in</strong>d.<br />

1.4 Design <strong>und</strong> Themen des Alterssurveys<br />

Der Alterssurvey ist der umfassenden Untersuchung der „zweiten Lebenshälfte“, also des mittleren<br />

<strong>und</strong> höheren Erwachsenenalters gewidmet. Im Jahre 1996 wurde die erste Welle des Alterssurveys<br />

erhoben (Infas, 1997; Kohli & Künem<strong>und</strong>, 2000; Dittmann-Kohli et al., 2001). Im<br />

Jahr 2002 fand die Datenerhebung der zweiten Welle des Alterssurveys statt (s. zu den methodischen<br />

E<strong>in</strong>zelheiten Kapitel 2 dieses Berichts). Bei der Überarbeitung der Erhebungs<strong>in</strong>strumente<br />

für die zweite Welle wurde großer Wert auf Kont<strong>in</strong>uität gelegt, um <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong>en<br />

der Panelteilnehmer <strong>in</strong> den vergangenen sechs Jahren nachvollziehen zu können. Zudem bildete<br />

die weitgehende Kont<strong>in</strong>uität der Instrumente die Voraussetzung für die Vergleichbarkeit der<br />

Basisstichprobe mit der 2002 neu gezogenen Replikationsstichprobe 40- bis 85-Jähriger mit<br />

dem Ziel, auch <strong>in</strong>ter<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong> auf der Gr<strong>und</strong>lage von Kohortenanalysen untersuchen<br />

zu können. Die Instrumente wurden <strong>in</strong> Teilbereichen verändert <strong>und</strong> erweitert, viele Fragen<br />

wurden jedoch unverändert übernommen. Auch der Ablauf der Erhebung <strong>und</strong> die Erhebungsme-<br />

17


18<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

thoden wurden weitgehend beibehalten, mit Ausnahme des Verzichts auf das <strong>in</strong> der ersten Welle<br />

verwendete Satzergänzungsverfahren zur Erfassung der Selbst- <strong>und</strong> Lebensvorstellungen (SE-<br />

LE-Instrument) (Dittmann-Kohli et al., 2001). E<strong>in</strong>e vollständige Dokumentation der Instrumente<br />

liegt vor (Tesch-Römer et al., 2002a). Im Folgenden werden das methodische Design <strong>und</strong> die<br />

zentralen Fragestellungen des Alterssurvey vorgestellt.<br />

1.4.1 Design des Alterssurveys<br />

In der ersten Welle des Alterssurveys wurden r<strong>und</strong> 5.000 Personen im Alter zwischen 40 <strong>und</strong> 85<br />

Jahren befragt, wobei nach Alter, Geschlecht <strong>und</strong> Region (Ost/West) disproportional geschichtet<br />

wurde (Basisstichprobe, Abbildung 1.2). Es wurden drei Altersgruppen unterschieden: Die<br />

Altersgruppe der 40- bis 54-Jährigen repräsentiert die Gruppe der im Arbeitsleben stehenden<br />

Menschen, die sich aber möglicherweise bereits mit dem Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand ause<strong>in</strong>ander<br />

setzen <strong>und</strong> zum Teil für die Pflege älterer Angehöriger verantwortlich s<strong>in</strong>d. Die Altersgruppe<br />

der 55- bis 69-Jährigen repräsentiert die Gruppe jener Personen, die am Übergang <strong>in</strong> den<br />

Ruhestand stehen oder <strong>in</strong> diesen vor nicht allzu langer Zeit e<strong>in</strong>getreten s<strong>in</strong>d. Die Altersgruppe<br />

der 70- bis 85-Jährigen schließlich repräsentiert die Gruppe der Personen, die bereits langjährig<br />

im Ruhestand leben <strong>und</strong> sich auf das hohe Alter vorbereiten oder es bereits erfahren. Mit Fragekomplexen<br />

zu Erwerbsstatus, E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> Vermögen, Wohnen, Generationenbeziehungen<br />

<strong>und</strong> sozialen Netzwerken, produktiven Tätigkeiten <strong>und</strong> sozialer Integration, subjektiver Ges<strong>und</strong>heit<br />

<strong>und</strong> Wohlbef<strong>in</strong>den sowie zu S<strong>in</strong>n- <strong>und</strong> Lebensentwürfen wurden bedeutsame Lebensbereiche<br />

älter werdender <strong>und</strong> alter Menschen erhoben.<br />

Abbildung 1.2:<br />

Design des Alterssurveys<br />

Alter<br />

85<br />

70<br />

55<br />

40<br />

Basisstichprobe<br />

100 n = 4.838<br />

1996<br />

Erste Welle<br />

Panelstichprobe<br />

n = 1.524<br />

Replikationsstichprobe<br />

n = 3.084<br />

Neu<br />

2002<br />

Zweite Welle<br />

Stichprobe der<br />

Nicht-Deutschen<br />

n = 586<br />

Neu


Kapitel 1: Beobachtung gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> Analyse <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Veränderungen<br />

Der Alterssurvey 2002 umfasst drei Stichproben (die grauen Balken <strong>in</strong> Abbildung 1.2). Die<br />

Panelstichprobe umfasst jene Befragungsteilnehmer, die bereits an der ersten Welle des Alterssurveys<br />

im Jahr 1996 teilgenommen hatten (n=1.524). Die Replikationsstichprobe ist e<strong>in</strong>e erneute<br />

repräsentative Stichprobe der <strong>in</strong> Privathaushalten lebenden Deutschen im Alter von 40 bis<br />

85 Jahren (n=3.084). Drittens werden – als Neuerung gegenüber der ersten Welle – anhand e<strong>in</strong>er<br />

Stichprobe von <strong>in</strong> Privathaushalten lebenden Nicht-Deutschen 4 im Alter von 40 bis 85 Jahren<br />

die Lebensumstände der ausländischen Bevölkerung dieses Alters untersucht (Ausländerstichprobe,<br />

n=586). Damit trägt der Alterssurvey der Tatsache Rechnung, dass die Generation<br />

ausländischer Migrant<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Migranten, die im Zuge der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte<br />

<strong>in</strong> den 50er- <strong>und</strong> 60er-Jahren nach Deutschland gekommen waren, <strong>in</strong>zwischen das Rentenalter<br />

erreicht haben. Für die Befragung wurden ausschließlich deutschsprachige Fragebögen<br />

e<strong>in</strong>gesetzt. Voraussetzung für die Teilnahme an der Befragung war dementsprechend die Beherrschung<br />

der deutschen Sprache bzw. die Unterstützung durch e<strong>in</strong>e Person, die des Deutschen<br />

mächtig ist <strong>und</strong> Übersetzungshilfe leisten kann. Die Ziehung der Ausländerstichprobe erfolgte<br />

analog zur Ziehung der Replikationsstichprobe, jedoch unter Aufhebung der Schichtungskriterien,<br />

da der Anteil hochaltriger Nicht-Deutscher an der deutschen Wohnbevölkerung (<strong>in</strong>sbesondere<br />

<strong>in</strong> Ostdeutschland) sehr ger<strong>in</strong>g ist. Die Teilnehmer der Replikations- <strong>und</strong> der Ausländerstichprobe<br />

bilden zusammen die Zusatzstichprobe der im Jahr 2002 erstmals befragten Teilnehmer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Teilnehmer des Alterssurveys. Weitere methodische Informationen f<strong>in</strong>den<br />

sich <strong>in</strong> Kapitel 2.<br />

Die Komb<strong>in</strong>ation aus Wiederholungsbefragung der Panelteilnehmer <strong>und</strong> Erstbefragung der Zusatzstichprobe<br />

ermöglicht sowohl die Erforschung der <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n <strong>Entwicklung</strong>en im Prozess<br />

des Älterwerdens (Längsschnitt- oder Panelvergleich) als auch den Vergleich identischer Altersgruppen<br />

zu unterschiedlichen Zeitpunkten anhand der Gegenüberstellung der Bef<strong>und</strong>e aus<br />

der Erstbefragung im Jahr 1996 mit denen der Zweitbefragung im Jahr 2002 (Kohortenvergleich).<br />

Zudem ermöglicht das methodische Design die Untersuchung von Altersunterschieden<br />

(Querschnittsperspektive), von Altersveränderungen (Längsschnittsperspektive) <strong>und</strong> von Unterschieden<br />

zwischen Zeitpunkten (Perspektive des Zeitwandels). Dieses Untersuchungsdesign<br />

ermöglicht die Umsetzung der zentralen Ziele des Alterssurveys, Kont<strong>in</strong>uitäten <strong>und</strong> Diskont<strong>in</strong>uitäten<br />

im Alternsverlauf aufzuzeigen sowie – zum<strong>in</strong>dest ansatzweise – Alters-, Kohorten- <strong>und</strong><br />

Testzeiteffekte differenzieren zu können. Mit der Zusatzstichprobe wird zudem der Gr<strong>und</strong>ste<strong>in</strong><br />

für die prospektive Untersuchung der Lebensverläufe <strong>und</strong> Vorstellungen aufe<strong>in</strong>ander folgender<br />

Panels gelegt, vorausgesetzt, die im Jahr 2002 erstmals Befragten werden im Rahmen e<strong>in</strong>er<br />

Fortführung des Alterssurveys <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Jahren erneut befragt (zukünftiger Panelvergleich).<br />

4 Im folgenden werden die Begriffe „Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer“ <strong>und</strong> „Nicht-Deutsche“ synonym verwendet.<br />

Die Problematik der Def<strong>in</strong>ition <strong>und</strong> Verwendung dieser Begriffe sowie die Abgrenzung zu dem Begriff „Migrant<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Migranten“ wird <strong>in</strong> Kapitel 10 dieses Berichts ausführlich erörtert.<br />

19


20<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

1.4.2 Themenbereiche des Alterssurveys<br />

Die oben beschriebenen theoretischen Konzepte, auf denen der Alterssurvey beruht, haben deutlich<br />

gemacht, dass zur Realisierung e<strong>in</strong>er Alterssozialberichterstattung im Längsschnitt e<strong>in</strong>e<br />

Reihe unterschiedlicher Lebensbereiche zu berücksichtigen s<strong>in</strong>d. Die folgende Tabelle 1 gibt<br />

e<strong>in</strong>en Überblick über die thematischen Inhalte des Alterssurveys. Die thematischen Bereiche, zu<br />

denen der Alterssurvey Daten bereitstellt, s<strong>in</strong>d außerordentlich breit angelegt, um die Lebenssituation<br />

von Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte umfassend beschreiben zu können. In der<br />

Lebenslaufsoziologie werden als bedeutsame, aufe<strong>in</strong>ander bezogene Lebensbereiche Bildung,<br />

Arbeit, Familie <strong>und</strong> Freizeit genannt. Insbesondere die drei letztgenannten Bereiche s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

H<strong>in</strong>blick auf <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte von Bedeutung, aber auch der Bildung<br />

kommt im S<strong>in</strong>ne des „lebenslangen Lernens“ immer mehr Bedeutung zu. Aus psychologischer<br />

Perspektive s<strong>in</strong>d die Bereiche Persönlichkeit, Selbst <strong>und</strong> Wohlbef<strong>in</strong>den sowie Kognition von<br />

Bedeutung. Darüber h<strong>in</strong>aus werden Daten zur Erfassung <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Ges<strong>und</strong>heit erhoben, die<br />

entscheidend für die Beschreibung von Lebenssituation <strong>und</strong> die Evaluation von Lebensqualität<br />

im Alter s<strong>in</strong>d.<br />

Im Detail werden im Alterssurvey die folgenden sozialen <strong>und</strong> personalen <strong>Entwicklung</strong>sbereiche<br />

untersucht: Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand, materielle Lebensbed<strong>in</strong>gungen,<br />

soziale Netze, Freizeitaktivitäten <strong>und</strong> gesellschaftliche Partizipation, Selbstkonzept <strong>und</strong> Lebensziele,<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den sowie Ges<strong>und</strong>heit, Ges<strong>und</strong>heitsverhalten <strong>und</strong> Pflegebedürftigkeit. Zu Beg<strong>in</strong>n<br />

dieses Aufsatzes wurde das, objektive Lebenslagen <strong>und</strong> subjektive Bewertungen gleichermaßen<br />

umfassende, Konzept der Lebensqualität als Instrument der Wohlfahrtsmessung im Alterssurvey<br />

e<strong>in</strong>geführt. Im Alterssurvey untersuchte Aspekte subjektiver Lebensqualität schließen<br />

allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit <strong>und</strong> bereichsspezifische Bewertungen ebenso e<strong>in</strong> wie e<strong>in</strong>e<br />

Reihe von Skalen zur Messung der affektiven Komponente des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens. Im<br />

Alterssurvey wird auch der Versuch unternommen, Selbstkonzepte, Lebensziele sowie <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong><br />

Kompetenzen <strong>und</strong> Kontrollüberzeugungen zu erheben, welche die Person <strong>in</strong> die Lage<br />

versetzen, ihre Lebenssituation zu verändern oder sich an diese anzupassen. Diese Betonung der<br />

<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Handlungskompetenz ist e<strong>in</strong>e Besonderheit des Alterssurveys, die über vergleichbare<br />

Surveys h<strong>in</strong>ausweist.<br />

Um Vergleiche mit der ersten Welle zu ermöglichen, wurden <strong>in</strong> der zweiten Welle gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

dieselben Fragen verwendet. E<strong>in</strong>e zentrale Veränderung bestand dar<strong>in</strong>, das Satzergänzungverfahren<br />

SELE (Dittmann-Kohli et al., 2002) gegen standardisierte Erhebungs<strong>in</strong>strumente auszutauschen<br />

(Bereich „Selbst <strong>und</strong> Lebensziele“). Die Bereiche „Erwerbsbeteiligung <strong>und</strong> Übergang<br />

<strong>in</strong> den Ruhestand“, „Lebensqualität <strong>und</strong> subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den“, „Ges<strong>und</strong>heit, Ges<strong>und</strong>heitsverhalten,<br />

ges<strong>und</strong>heitliche Versorgung“ sowie „Pflegebedürftigkeit <strong>und</strong> pflegerische Versorgung“<br />

erhielt <strong>in</strong> der zweiten Welle mit e<strong>in</strong>em größeren Umfang an Fragen e<strong>in</strong> höheres Gewicht<br />

<strong>in</strong>nerhalb des Untersuchungs<strong>in</strong>struments (s. Tabelle 1.1).


Kapitel 1: Beobachtung gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> Analyse <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Veränderungen<br />

Tabelle 1.1:<br />

Überblick über Themenbereiche der zweiten Welle des Alterssurveys<br />

Thema Veränderung 1. 2. Welle<br />

Erwerbsbeteiligung <strong>und</strong> Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

Aktivitäten <strong>und</strong> gesellschaftliche Partizipation<br />

Materielle Lage<br />

Wohnsituation<br />

Familie – Herkunftsfamilie, Familienstand, Partnerschaft, K<strong>in</strong>der<br />

Private Netzwerke <strong>und</strong> soziale Integration<br />

Selbst <strong>und</strong> Lebensziele<br />

Lebensqualität, Subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

Ges<strong>und</strong>heit, Ges<strong>und</strong>heitsverhalten, ges<strong>und</strong>heitliche Versorgung<br />

Pflegebedürftigkeit <strong>und</strong> pflegerische Versorgung<br />

größerer Umfang<br />

gleicher Umfang<br />

gleicher Umfang<br />

gleicher Umfang<br />

gleicher Umfang<br />

gleicher Umfang<br />

modifiziert<br />

größerer Umfang<br />

größerer Umfang<br />

größerer Umfang<br />

Der Alterssurvey bietet anhand der Untersuchungsstichprobe <strong>und</strong> der erfragten Themenbereiche<br />

e<strong>in</strong>e breite Datenbasis für die Untersuchung von Statusübergängen <strong>und</strong> kritischen Lebensereignissen,<br />

kont<strong>in</strong>uierlichen <strong>und</strong> diskont<strong>in</strong>uierlichen Veränderungen sowie der zeitlichen Strukturierung<br />

der zweiten Lebenshälfte. Durch die Längsschnittperspektive kann mit Hilfe des Alterssurveys<br />

die Lebenssituation jener Personen analysiert werden, die zwischen Erst- <strong>und</strong> Zweiterhebung<br />

Übergänge oder kritische Lebensereignisse erlebt haben. Von besonderer Bedeutung ist<br />

dabei die Untersuchung des Übergangs von der Phase der Erwerbsarbeit <strong>in</strong> die Phase des Ruhestandes<br />

(s. Kapitel 3 dieses Berichts). Hierzu wurden prospektive <strong>und</strong> retrospektive Fragen zur<br />

Vorbereitung auf bzw. zur Verarbeitung des Übergangs <strong>in</strong> den Ruhestand erhoben. Daneben<br />

können e<strong>in</strong>e Reihe anderer Transitionen untersucht werden, wie zum Beispiel der Wechsel der<br />

beruflichen Tätigkeit sowie der E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die bzw. die Beendigung der Arbeitslosigkeit; Veränderungen<br />

der E<strong>in</strong>kommens- <strong>und</strong> Vermögensstruktur; der Erhalt von Erbschaften <strong>und</strong> Umbrüche<br />

bei den Ausgaben (z.B. aufgr<strong>und</strong> von Pflegebedürftigkeit); Veränderungen der Familienstruktur,<br />

wie beispielsweise der Auszug des letzten K<strong>in</strong>des aus dem elterlichen Haushalt („empty<br />

nest“) sowie Trennung vom oder Tod des Partners oder der Partner<strong>in</strong>. Schließlich können die<br />

Auswirkungen nicht-vorhersehbarer kritischer Lebensereignisse wie schwerer Erkrankungen<br />

oder Unfälle untersucht werden. Der Alterssurvey kann zudem Beiträge zu e<strong>in</strong>er Diskussion der<br />

E<strong>in</strong>teilung des Lebenslaufs <strong>in</strong> dist<strong>in</strong>kte Phasen leisten. So kann der Frage nachgegangen werden,<br />

ob die – für viele Menschen mehrere Jahrzehnte umfassende – Ruhestandsphase <strong>in</strong> weitere<br />

Altersabschnitte gegliedert werden kann, für die jeweils andere sozialpolitische Interventionen<br />

s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong> könnten.<br />

In Bezug auf differentielles Altern können mit den Daten des Alterssurveys Angaben zur Variationsbreite<br />

verschiedener Merkmale <strong>in</strong> bestimmten Altersgruppen gemacht werden. Auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage der Längsschnittdaten können Hypothesen zur Veränderung dieser Variationsbreite<br />

(oder Ungleichheit) im Verlauf der zweiten Lebenshälfte getestet werden. E<strong>in</strong>e Stärke des Alterssurveys<br />

ist zudem die Aufdeckung von Kohorteneffekten durch den Vergleich von Basis-<br />

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22<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

<strong>und</strong> Replikationsstichprobe. Neben der Durchführung von Interkohortenanalysen können Alters-,<br />

Zeit- <strong>und</strong> Kohorteneffekte isoliert werden. Aber auch h<strong>in</strong>sichtlich der Frage der Ungleichheiten<br />

im Alternsprozess kann der Alterssurvey Bef<strong>und</strong>e beisteuern. Neben den oben diskutierten<br />

Hypothesen der Altersbed<strong>in</strong>gtheit, der sozioökonomischen Differenzierung <strong>und</strong> der Kumulation<br />

von Ungleichheiten kann auch die Frage gestellt werden, ob sich für unterschiedliche<br />

Kohorten das Ausmaß <strong>und</strong> die Bed<strong>in</strong>gungen sozialer Ungleichheiten verändern. Hierbei ist <strong>in</strong>sbesondere<br />

an die Veränderung der materiellen Lagen von Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

zu denken (s. Kapitel 4 des vorliegenden Berichts).<br />

E<strong>in</strong> weiterer wichtiger Themenbereich, zu dem der Alterssurvey Daten zur Verfügung stellt, ist<br />

die <strong>Entwicklung</strong> von Generationenbeziehungen im Zeitverlauf (s. hierzu Kapitel 5 des vorliegenden<br />

Berichts). Theoretisch <strong>und</strong> gesellschaftspolitisch s<strong>in</strong>d Generationenbeziehungen auf der<br />

Mikroebene <strong>und</strong> das Verhältnis zwischen den Generationen auf der Makroebene der Gesellschaft<br />

e<strong>in</strong> Thema, das von Beg<strong>in</strong>n an die Fragestellungen, Analysen <strong>und</strong> Publikationen im Kontext<br />

des Alterssurveys bestimmt hat (Kohli et al., 2000b). Gerade die Betrachtung von Haushaltsstrukturen<br />

<strong>und</strong> Wohnentfernungen, Kontakthäufigkeit <strong>und</strong> Beziehungsenge sowie Hilfeleistungen<br />

<strong>und</strong> Transfers haben gezeigt, dass auch Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte lebendige<br />

Beziehungen <strong>und</strong> Unterstützungsstrukturen aufweisen (Kohli et al., 2000a). Mit Hilfe von Alterssurvey-Daten<br />

wird die Erforschung der <strong>Entwicklung</strong> von Beziehungen im Zeitverlauf ermöglicht,<br />

so dass Fragen h<strong>in</strong>sichtlich der Stabilität von Unterstützungsstrukturen beantwortet<br />

werden können. Von besonderer sozialpolitischer Relevanz ist dabei die Analyse von <strong>in</strong>tergenerationeller<br />

Unterstützung im Bereich der häuslichen Pflege. H<strong>in</strong>zu kommt die Untersuchung<br />

von sozialen Beziehungen, die von den Befragten als negativ oder ambivalent e<strong>in</strong>geschätzt werden<br />

(z.B. aufgr<strong>und</strong> von Sorgen, Streitigkeiten, Bevorm<strong>und</strong>ung). Im Vergleich der Erhebungszeitpunkte<br />

kann schließlich – zum<strong>in</strong>dest ansatzweise – der Frage nachgegangen werden, ob <strong>und</strong><br />

gegebenenfalls <strong>in</strong> welcher Weise sich das Verhältnis der Generationen über e<strong>in</strong>en Zeitraum von<br />

sechs Jahren verändert hat.<br />

In der gesellschaftlichen Diskussion wird den Potentialen des Alters seit e<strong>in</strong>iger Zeit verstärkt<br />

Aufmerksamkeit gewidmet (vgl. etwa den Arbeitsauftrag der Kommission des Fünften Altenberichts<br />

„Potenziale des Alters <strong>in</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft“). Dabei s<strong>in</strong>d neben der gestiegenen<br />

durchschnittlichen Lebenserwartung vor allem die durchschnittlich recht frühe Beendigung der<br />

Erwerbsphase <strong>und</strong> die im historischen Vergleich günstigere Ressourcenausstattung älterer Menschen<br />

zu beachten: Die „jungen Alten“ haben gegenwärtig <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong>e bessere Ges<strong>und</strong>heit<br />

<strong>und</strong> bessere Bildung als frühere Generationen von Ruheständlern. Dieses Potential älterer Menschen<br />

kann <strong>in</strong> so verschiedenen Bereichen wie bürgerschaftlichem Engagement, Selbsthilfeorganisationen,<br />

Unterstützung <strong>in</strong>nerhalb von Familien (Betreuung von K<strong>in</strong>dern, Pflegetätigkeiten)<br />

sowie Partizipation an Bildungsangeboten realisiert werden. E<strong>in</strong>en entsprechenden Überblick<br />

f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> Kapitel 6 dieses Berichts.<br />

Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Alltagskompetenz entscheiden maßgeblich über die <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Lebensqualität<br />

<strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte sowie über die Möglichkeit, auch im fortgeschrittenen Alter e<strong>in</strong>e<br />

selbstständige Lebensführung aufrecht erhalten zu können. Mit Daten des Alterssurveys kann<br />

nun untersucht werden, wie sich der Ges<strong>und</strong>heitszustand aus Sicht der Personen darstellt, die<br />

sich <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte bef<strong>in</strong>den. Berücksichtigt werden bei den Analysen der altersabhängige<br />

Anstieg körperlicher Erkrankungen, die damit verb<strong>und</strong>enen Beschwerden, funktio-


Kapitel 1: Beobachtung gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> Analyse <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Veränderungen<br />

nelle E<strong>in</strong>schränkungen. sowie die subjektive Ges<strong>und</strong>heit. Zudem kann dargestellt werden, <strong>in</strong><br />

welchem Ausmaß Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte mediz<strong>in</strong>ische <strong>und</strong> andere Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen<br />

<strong>in</strong> Anspruch nehmen. Aufgr<strong>und</strong> der Veränderungen des Erhebungs<strong>in</strong>struments<br />

ist dabei e<strong>in</strong> Vergleich zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 nicht für alle Bereiche möglich. Kapitel<br />

7 dieses Berichts stellt vor allem den Ges<strong>und</strong>heitszustand der Menschen zwischen 40 <strong>und</strong> 85<br />

Jahren im Jahr 2002 ausführlich dar.<br />

In Kapitel 8 werden zudem die Bed<strong>in</strong>gungsfaktoren für Veränderungen im ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Bef<strong>in</strong>den analysiert. Dabei geht es darum, die Bed<strong>in</strong>gungsfaktoren für Veränderungen im Ges<strong>und</strong>heitsstatus<br />

nicht allzu stark e<strong>in</strong>zuschränken, wie dies <strong>in</strong> diszipl<strong>in</strong>ären Studien häufig getan<br />

wird. Häufig beschränken sich entsprechende Untersuchungen zur Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung im<br />

Alter auf soziologische, psychologische oder verhaltensmediz<strong>in</strong>ische Modelle. Eher die Ausnahme<br />

s<strong>in</strong>d dagegen Arbeiten, <strong>in</strong> denen unterschiedliche Erklärungsansätze <strong>in</strong>tegriert werden.<br />

Im vorliegenden Kapitel werden deshalb verschiedene soziale <strong>und</strong> psychische Faktoren, <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>s<br />

Ges<strong>und</strong>heitsverhalten sowie schließlich auch kognitive Vorstellungen zum Älterwerden<br />

bei der Erklärung von Veränderungen im Ges<strong>und</strong>heitsstatus berücksichtigt.<br />

Subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität s<strong>in</strong>d – neben den bereits erwähnten objektiven<br />

Merkmalen der Lebenslage – bedeutsame Kriterien für die Bewertung gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s.<br />

Der Alterssurvey erlaubt es, <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong>sprozesse <strong>und</strong> gesellschaftliche Veränderungen<br />

h<strong>in</strong>sichtlich subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens <strong>und</strong> Lebensqualität zu analysieren. Dabei<br />

kann im S<strong>in</strong>ne der Sozialberichterstattung der <strong>Wandel</strong> subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens zwischen<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 beschrieben werden. Zudem kann untersucht werden, <strong>in</strong> welcher Weise Merkmale<br />

der objektiven Lebenslage mit subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den korrelieren, wobei auch Veränderungen<br />

<strong>in</strong> der objektiven Lebenssituation mit Veränderungen <strong>in</strong> bereichsspezifischen Bewertungen<br />

sowie Veränderungen <strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>er Lebenszufriedenheit <strong>in</strong> Beziehung gesetzt werden<br />

können. Kapitel 9 des vorliegenden Berichts befasst sich mit diesen Fragestellungen zum subjektiven<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den.<br />

E<strong>in</strong> letzter – <strong>und</strong> thematischer übergreifender – Fragekomplex betrifft Ähnlichkeiten <strong>und</strong> Unterschiede<br />

zwischen Menschen mit oder ohne deutsche Staatsangehörigkeit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte.<br />

Es stellt sich hier die Frage, ob es Unterschiede h<strong>in</strong>sichtlich der Wohlfahrtslage <strong>und</strong> den<br />

Vergesellschaftungsformen zwischen älteren Deutschen <strong>und</strong> Ausländern (bzw. Menschen mit<br />

oder ohne deutsche Staatsbürgerschaft) gibt. Dabei könnte man e<strong>in</strong>erseits annehmen, dass Menschen<br />

ausländischer Herkunft aufgr<strong>und</strong> ihrer MigrationsBiografie <strong>und</strong> der diskrim<strong>in</strong>ierenden<br />

Lebensumstände <strong>in</strong> der Ankunftsgesellschaft e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Lebensqualität <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>geren<br />

Vergesellschaftungsgrad aufweisen, andererseits aber auch darauf verweisen, dass die Lebensqualität<br />

<strong>und</strong> der Vergesellschaftungsgrad bei älteren Nichtdeutschen bzw. Migranten größer<br />

ist, da sie über bestimmte migrations- oder kulturbed<strong>in</strong>gte Ressourcen verfügen, auf die E<strong>in</strong>heimische<br />

nicht zurückgreifen können. Der deskriptiven Darstellung der Lebenssituation von<br />

älteren Ausländer/<strong>in</strong>nen bzw. Nicht-Deutschen sowie der Beantwortung der hier gestellten Fragen<br />

widmet sich Kapitel 10 des vorliegenden Berichts.<br />

23


24<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

1.5 Die Bedeutung des Alterssurveys für Sozialberichterstattung <strong>und</strong><br />

Alternsforschung<br />

Ziel dieses Kapitels war es, Design <strong>und</strong> Fragestellungen des Alterssurvey vorzustellen <strong>und</strong> zu<br />

begründen. Dank se<strong>in</strong>er Verankerung im gerontologischen, entwicklungspsychologischen <strong>und</strong><br />

soziologischen Diskurs bietet der Alterssurvey e<strong>in</strong>e breite Datenbasis zur Erforschung e<strong>in</strong>er<br />

Vielfalt von Fragestellungen im Bereich der Alternssoziologie <strong>und</strong> -psychologie. Se<strong>in</strong> methodisches<br />

Design ermöglicht sowohl die Erforschung <strong>in</strong>dividuenbezogener <strong>Entwicklung</strong>en als auch<br />

die Analyse allgeme<strong>in</strong>er, gesellschaftlicher Trends. Gleichermaßen stellt der Alterssurvey<br />

reichhaltiges Datenmaterial zur Beratung politischer Entscheidungsträger bereit. Das Konzept<br />

der Lebensqualität wurde als <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>s Wohlfahrtsmaß vorgestellt, das objektive Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>und</strong> subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den gleichberechtigt berücksichtigt. Anschließend wurden<br />

Vor- <strong>und</strong> Nachteile von Quer- <strong>und</strong> Längsschnittdesigns erörtert <strong>und</strong> festgestellt, dass nur Längsschnittuntersuchungen<br />

dem Ziel e<strong>in</strong>er umfassenden Dauerbeobachtung von Kont<strong>in</strong>uitäten <strong>und</strong><br />

Veränderungen im Lebensverlauf gerecht werden können. Der Alterssurvey kann dank se<strong>in</strong>er<br />

Längsschnittperspektive e<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag zu e<strong>in</strong>er umfassenden, an <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>und</strong> sozialem <strong>Wandel</strong> gleichermaßen orientierten Alterssozialberichterstattung leisten.<br />

Das dem Alterssurvery zugr<strong>und</strong>e liegende kohortensequenzielle Design kann wichtige Erkenntnisse<br />

für die gerontologische Forschung <strong>und</strong> die Gestaltung sozialpolitischer Maßnahmen liefern.<br />

Der rasche Altersstrukturwandel verb<strong>und</strong>en mit Individualisierungs-, De<strong>in</strong>stitutionalisierungs-<br />

<strong>und</strong> Destandardisierungsprozessen begründet die Dr<strong>in</strong>glichkeit e<strong>in</strong>er Alterssozialberichterstattung<br />

im Längsschnitt, die sowohl <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong>sdynamik als auch sozialen<br />

<strong>Wandel</strong> angemessen berücksichtigen kann. Die zukünftige <strong>Entwicklung</strong> von Gesellschaften<br />

wird auch davon abhängen, wie es gel<strong>in</strong>gen wird, die zunehmende Zahl älterer, alter <strong>und</strong> sehr<br />

alter Menschen sozial zu <strong>in</strong>tegrieren, ihnen geeignete Aktivitäts- <strong>und</strong> Partizipationsoptionen zu<br />

öffnen, ihnen notwendige Unterstützung zu gewähren <strong>und</strong> dabei gleichzeitig die Bedürfnisse der<br />

nachwachsenden Generationen zu berücksichtigen. Für die gel<strong>in</strong>gende lebenslange <strong>Entwicklung</strong><br />

von Individuen <strong>in</strong> allen Altersstufen s<strong>in</strong>d gesellschafts- <strong>und</strong> sozialpolitisch geeignete Vorkehrungen<br />

zu treffen. Wissenschaftliche Erkenntnisse bereitzustellen, die diesem Ziel verpflichtet<br />

s<strong>in</strong>d, ist die zentrale Aufgabe e<strong>in</strong>er Alterssozialberichterstattung, die es unternimmt, dynamische<br />

<strong>Entwicklung</strong>en auf <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r <strong>und</strong> gesellschaftlicher Ebene zu beschreiben <strong>und</strong> zu analysieren.<br />

Die im Alterssurvey berücksichtigte Themenvielfalt, die Kont<strong>in</strong>uität <strong>in</strong> Form größtenteils unveränderter<br />

Erhebungs<strong>in</strong>strumente <strong>und</strong> das mit der zweiten Welle realisierte Längsschnittdesign<br />

erlauben e<strong>in</strong>e effektive sozial- <strong>und</strong> verhaltenswissenschaftliche Dauerbeobachtung. Das methodische<br />

Design – hierbei ist besonders die dreifache Stichprobenziehung von Panel-, Replikations-<br />

<strong>und</strong> Ausländerstichprobe zu nennen – ermöglicht panel- <strong>und</strong> kohortenspezifische Analysen<br />

gleichermaßen. Damit s<strong>in</strong>d gr<strong>und</strong>sätzlich die Voraussetzungen gegeben, Kont<strong>in</strong>uitäten <strong>und</strong> Diskont<strong>in</strong>uitäten<br />

im Alternsverlauf aufzuzeigen sowie Alters-, Kohorten- <strong>und</strong> Testzeiteffekte zum<strong>in</strong>dest<br />

ansatzweise analysieren zu können. Mit der Replikationsstichprobe wird zudem der<br />

Gr<strong>und</strong>ste<strong>in</strong> für die mögliche zukünftige Untersuchung der Lebensverläufe <strong>und</strong> Lebenskonzepte<br />

aufe<strong>in</strong>ander folgender Panels gelegt. Zudem wird mit der Ziehung e<strong>in</strong>er gesonderten Ausländerstichprobe<br />

e<strong>in</strong>em wichtigen Tatbestand der Bevölkerungsentwicklung <strong>in</strong> Deutschland Rechnung


Kapitel 1: Beobachtung gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> Analyse <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Veränderungen<br />

getragen, nämlich dem Zuzug <strong>und</strong> der langfristigen Integration von Arbeitnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />

Arbeitnehmern ausländischer Herkunft <strong>in</strong> die deutsche Gesellschaft. Der Alterssurvey hat somit<br />

das Potential, zu e<strong>in</strong>em wichtigen Instrument der sozial- <strong>und</strong> verhaltenswissenschaftlichen Alternsforschung<br />

<strong>und</strong> der Alterssozialberichterstattung im Längsschnitt <strong>in</strong> Deutschland zu werden.<br />

Die <strong>in</strong> diesem Berichtsband vorgelegten Bef<strong>und</strong>e s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> erster Schritt auf diesem Weg.<br />

25


26<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

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2. Datengr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Methodik<br />

Heribert Engstler <strong>und</strong> Susanne Wurm<br />

2.1 E<strong>in</strong>leitung<br />

Mit dem Alterssurvey werden zwei gr<strong>und</strong>legende Aufgaben verfolgt: Zum e<strong>in</strong>en dient er dazu, die<br />

Sozialberichterstattung <strong>in</strong> Deutschland durch e<strong>in</strong>e Alterssozialberichterstattung zu ergänzen <strong>und</strong> zu<br />

bereichern (Tesch-Römer, Wurm, Hoff & Engstler 2002). Dies ist besonders <strong>in</strong> Anbetracht der<br />

demographischen <strong>Entwicklung</strong> von hoher Bedeutung. Dabei zeichnet sich der Alterssurvey gegenüber<br />

bislang verfügbaren Surveys (z.B. SOEP, ALLBUS, Wohlfahrtssurvey, Familiensurvey)<br />

durch se<strong>in</strong>e Konzentration auf das mittlere <strong>und</strong> höhere Lebensalter sowie durch die Komb<strong>in</strong>ation<br />

von soziologischen <strong>und</strong> psychologischen Erhebungsbereichen aus. Zum anderen bildet der Alterssurvey<br />

e<strong>in</strong>e wichtige Gr<strong>und</strong>lage, zu ausgewählten Fragen vertiefende Forschung zu ermöglichen –<br />

hierzu zählen unter anderem Fragen zu objektiver wie subjektiver Lebensqualität, <strong>Entwicklung</strong>sprozessen,<br />

sozialen Unterschieden <strong>und</strong> Ungleichheiten sowie zu Generationenbeziehungen <strong>und</strong><br />

Generationenverhältnissen (vgl. Kapitel 1).<br />

Nachfolgend wird zunächst e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>er Überblick über das Erhebungsdesign, die erhobenen<br />

Inhalte <strong>und</strong> die Analysemöglichkeiten im Quer- <strong>und</strong> Längsschnitt gegeben. Im Anschluss daran<br />

werden die drei Stichproben der Erhebung aus dem Jahr 2002 – die Panel-, Replikations- <strong>und</strong> Ausländerstichprobe<br />

– genauer beschrieben. Im Mittelpunkt steht dabei die Ausschöpfung <strong>und</strong> Gewichtung<br />

der Stichproben.<br />

2.2 Das Untersuchungsdesign im Überblick<br />

Das Projekt "Alterssurvey" begann im Jahr 1994 unter der Federführung der Freien Universität<br />

Berl<strong>in</strong> (Forschungsgruppe Altern <strong>und</strong> Lebenslauf, Leitung Prof. Mart<strong>in</strong> Kohli) sowie der Universität<br />

Nijmegen (Forschungsgruppe Psychogerontologie, Leitung Prof. Freya Dittmann-Kohli). Auftraggeber<br />

war das B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium für Familie, Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend. Für diese erste<br />

Erhebungswelle des Alterssurveys wurden drei Instrumente konzipiert <strong>und</strong> mit Hilfe von Pilotstudien<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>em Pretest im Vorfeld der Hauptuntersuchung getestet: E<strong>in</strong> mündliches Interview, e<strong>in</strong><br />

Fragebogen zum Selbstausfüllen sowie e<strong>in</strong> halboffenes Satzergänzungsverfahren, das sogenannte<br />

SELE-Instrument (Dittmann-Kohli, Kohli & Künem<strong>und</strong> 1995). Die Erhebung wurde 1996 vom<br />

<strong>in</strong>fas Institut für angewandte Sozialwissenschaft durchgeführt. Der Repräsentativbefragung lag e<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>wohnermeldestichprobe zugr<strong>und</strong>e, die disproportional nach Alter, Geschlecht <strong>und</strong> Landesteil<br />

(Ost/West) geschichtet wurde. Die Schichtung der Stichprobe wurde vorgenommen, um auch für<br />

die Analyse von Personengruppen mit relativ ger<strong>in</strong>gem Bevölkerungsanteil, wie den ostdeutschen<br />

Männern höheren Alters, e<strong>in</strong>e ausreichende Fallzahl verfügbar zu haben. Dem disproportionalen<br />

Stichprobenansatz wurde durch e<strong>in</strong>e entsprechende Datengewichtung Rechnung getragen<br />

33


34<br />

Heribert Engstler, Susanne Wurm<br />

(Künem<strong>und</strong> 2000, S.34). Insgesamt stehen aus dieser Basisstichprobe 4838 auswertbare mündliche<br />

Interviews von <strong>in</strong> Privathaushalten lebenden Deutschen im Alter zwischen 40 <strong>und</strong> 85 Jahren (Geburtsjahrgänge<br />

1911 bis 1956) zur Verfügung. Über die E<strong>in</strong>zelheiten des Untersuchungsdesigns der<br />

ersten Welle <strong>in</strong>formieren mehrere Publikationen (Dittmann-Kohli et al. 1997; Kohli 2000;<br />

Künem<strong>und</strong> 2000; Kohli & Tesch-Römer 2003).<br />

Auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser Basisstichprobe von 1996 begann fünf Jahre nach der Ersterhebung die<br />

Planung der zweiten Erhebungswelle des Alterssurveys. Diese zweite Erhebungswelle steht im<br />

Zentrum der vorliegenden Publikation. Die wissenschaftliche Leitung übernahm das Deutsche<br />

Zentrum für Altersfragen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> (Leitung: Prof. Clemens Tesch-Römer). Mit dem „Alterssurvey,<br />

zweite Welle“ wurden mehrere Ziele verfolgt, die sich über (1) den Stichprobenansatz, (2) die <strong>in</strong>haltliche<br />

Ausrichtung sowie (3) die Analysemöglichkeiten beschreiben lassen.<br />

2.2.1 Stichprobenansatz<br />

E<strong>in</strong> zentrales Ziel der zweiten Welle des Alterssurveys war es, ihn zum Instrument e<strong>in</strong>er Alterssozialberichterstattung<br />

<strong>und</strong> Alternsforschung im Längsschnitt auszubauen. Dies bedeutete zum e<strong>in</strong>en,<br />

möglichst viele Personen der ersten Erhebung von 1996 erneut zu befragen, um <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong>sverläufe<br />

betrachten zu können. Personen, die für die Wiederholungsbefragung erneut<br />

gewonnen werden konnten, bilden die „Panelstichprobe“ der zweiten Welle des Alterssurveys.<br />

Die Zahl der potentiell wieder befragbaren Personen war allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>geschränkt: E<strong>in</strong>erseits durch<br />

e<strong>in</strong>e bei höheren Altersgruppen bekannte Zunahme von Morbidität <strong>und</strong> Mortalität (d.h. Personen<br />

waren krankheitsbed<strong>in</strong>gt nicht mehr befragbar oder waren <strong>in</strong> der Zwischenzeit verstorben), andererseits<br />

durch die Tatsache, dass bereits bei der Erstbefragung weniger als zwei Drittel der Befragten<br />

e<strong>in</strong>er Wiederholungsbefragung zugestimmt hatte (vgl. Kapitel 2.3).<br />

Neben dem Aufbau e<strong>in</strong>er Panelstichprobe wurde das Ziel e<strong>in</strong>er Altersberichterstattung <strong>und</strong> -<br />

forschung im Längsschnitt durch den zusätzlichen Aufbau e<strong>in</strong>er neuen Stichprobe von Personen<br />

(„Replikationsstichprobe“) verfolgt, die mit der Basisstichprobe von 1996 vergleichbar se<strong>in</strong> sollte.<br />

Auch diese Befragten sollten zwischen 40 <strong>und</strong> 85 Jahren alt se<strong>in</strong>, allerd<strong>in</strong>gs nicht im Jahr 1996,<br />

sondern im Jahr 2002 <strong>und</strong> stellen somit jüngere Geburtskohorten gleichen Alters dar. Die Stichprobenziehung<br />

der Replikationsstichprobe erfolgte analog zur Basisstichprobe. Dies bedeutete unter<br />

anderem, dass wie bereits <strong>in</strong> der ersten Welle e<strong>in</strong>e Schichtung der Stichprobe nach Alter, Geschlecht<br />

<strong>und</strong> Landesteil erfolgte.<br />

Schließlich kam <strong>in</strong> der zweiten Welle des Alterssurveys noch e<strong>in</strong>e dritte Stichprobe zum E<strong>in</strong>satz,<br />

die im folgenden als „Ausländerstichprobe“ bezeichnet wird. In der ersten Erhebungswelle wurden<br />

ausschließlich Personen deutscher Staatsangehörigkeit berücksichtigt. Da <strong>in</strong>zwischen jedoch <strong>in</strong><br />

Deutschland e<strong>in</strong>e größere Zahl ausländischer Migranten das Rentenalter erreicht haben, wurde<br />

angestrebt, durch die Erhebung e<strong>in</strong>er repräsentativen Stichprobe der nicht-deutschen Bevölkerung<br />

im Alter von 40 bis 85 Jahren auch die Lebenssituation der wachsenden Bevölkerungsgruppe älterer<br />

Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer untersuchen zu können. E<strong>in</strong>e kurze Übersicht über Charakteristika<br />

dieser drei Stichproben der zweiten Welle des Alterssurveys enthält Tabelle 2.1. Detailliertere<br />

Darstellungen der drei Stichproben – Panelstichprobe, Replikationsstichprobe <strong>und</strong> Ausländerstichprobe<br />

– erfolgen <strong>in</strong> den nachfolgenden Abschnitten (Kapitel 2.3, 2.4 <strong>und</strong> 2.5).


Kapitel 2: Datengr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Methodik<br />

Tabelle 2.1: Erhebungsdesign der ersten <strong>und</strong> zweiten Welle des Alterssurveys<br />

Welle 1 Welle 2 Welle 2 Welle 2<br />

Basisstichprobe Panelstichprobe Replikationsstichprobe Ausländerstichprobe<br />

Nicht-Deutsche im Alter<br />

von 40 bis 85 Jahren<br />

(Geburtsjahrgänge 1917-<br />

1962)<br />

Deutsche im Alter von 40 bis<br />

85 Jahren (Geburtsjahrgänge<br />

1917-1962)<br />

Panelbereite Teilnehmer von Welle<br />

1, Alter zum 2. MZP: 46-91J.<br />

Deutsche im Alter von 40 bis 85<br />

Jahren (Geburtsjahrgänge<br />

1911-1956)<br />

Zielgruppe / Gr<strong>und</strong>gesamtheit<br />

Personen <strong>in</strong><br />

Privathaushalten<br />

Personen <strong>in</strong><br />

Privathaushalten<br />

Personen <strong>in</strong> Privathaushalten<br />

<strong>und</strong> solche, die zwischenzeitlich <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong> Heim umgezogen s<strong>in</strong>d<br />

Wohnform Personen <strong>in</strong><br />

Privathaushalten<br />

E<strong>in</strong>wohnermeldestichprobe<br />

<strong>in</strong> den Geme<strong>in</strong>den der<br />

ersten Welle;<br />

Zufallsauswahl ohne<br />

Schichtung<br />

E<strong>in</strong>wohnermeldestichprobe <strong>in</strong><br />

den Geme<strong>in</strong>den der ersten<br />

Welle;<br />

Disproportionale Schichtung<br />

wie <strong>in</strong> Welle 1<br />

Alle panelbereiten Zielpersonen von<br />

Welle 1 (ohne Verstorbene bzw.<br />

unbekannt verzogene Personen)<br />

Stichprobe E<strong>in</strong>wohnermeldestichprobe <strong>in</strong><br />

290 Geme<strong>in</strong>den; disproportionale<br />

Schichtung nach<br />

(a) Region (Ost: West=1:2),<br />

(b) 3 Altersgruppen (je 1/3):<br />

40-54, 55-69, 70-85 Jahre<br />

(c) Geschlecht (1:1)<br />

Mündliches Interview mit standardisiertem Fragebogen,<br />

schriftliche Befragung („drop-off“),<br />

schriftlicher Kurztest der kognitiven Leistungsfähigkeit<br />

Mündliches Interview mit standardisiertem<br />

Fragebogen, schriftliche<br />

Befragung („drop-off“),<br />

Fragebogen mit Satzergänzungsverfahren<br />

(SELE-Instrument)<br />

Erhebungsmethode<br />

<strong>und</strong> -<strong>in</strong>strumente<br />

Erhebungsjahr 1996 2002 2002 2002<br />

Erhebungssprache deutsch deutsch deutsch deutsch<br />

586 mündliche Interviews,<br />

484 schriftliche Fragebögen<br />

3084 mündliche Interviews,<br />

2787 schriftliche Fragebögen<br />

1524 mündliche Interviews (W1+2)<br />

1437 schriftliche Fragebögen (W2),<br />

1286 schriftliche Fragebögen (Welle<br />

1 <strong>und</strong> 2)<br />

Auswertbare Fallzahl 4838 mündliche Interviews,<br />

4034 schriftliche Fragebögen<br />

35


2.2.2 Inhalte <strong>und</strong> Ablauf der Erhebung<br />

36<br />

Heribert Engstler, Susanne Wurm<br />

Neben e<strong>in</strong>er gegenüber der ersten Erhebungswelle deutlichen Ausweitung des Stichprobenansatzes,<br />

erfolgten <strong>in</strong> der zweiten Welle des Alterssurveys zudem <strong>in</strong>haltliche Modifikationen. Um e<strong>in</strong>e Betrachtung<br />

von Veränderungen im Längsschnitt zu ermöglichen, wurde allerd<strong>in</strong>gs darauf geachtet,<br />

die Befragung <strong>in</strong> großen Teilen so zu belassen, wie sie bereits <strong>in</strong> der Ersterhebung durchgeführt<br />

wurde. Dies bedeutete auch, dass die <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Ausrichtung des Alterssurveys beibehalten<br />

wurde, so dass das Erhebungs<strong>in</strong>strument soziologische, sozialpolitische, ökonomische <strong>und</strong> psychologische<br />

Fragen abdeckt. Die deutlichste Veränderung gegenüber der Ersterhebung bestand im<br />

Wegfall des SELE-Instrumentes. Dieses Satzergänzungsverfahren war durch se<strong>in</strong>en Charakter als<br />

halboffenes Verfahren für die nachträgliche Aufbereitung sehr aufwändig, da die <strong>in</strong> offener Weise<br />

gegebenen Antworten transkribiert <strong>und</strong> anhand e<strong>in</strong>es komplexen Schemas codiert werden mussten<br />

(Bode, Westerhof & Dittmann-Kohli 2001). Aus diesem Gr<strong>und</strong> waren bereits <strong>in</strong> der Basisstichprobe<br />

(1. Welle) nur die Angaben e<strong>in</strong>er Teilstichprobe von Personen vercodet worden. In der zweiten<br />

Welle des Alterssurveys wurde auf das halboffene Verfahren vollständig verzichtet <strong>und</strong> an se<strong>in</strong>er<br />

Stelle verschiedene standardisierte Erhebungs<strong>in</strong>strumente e<strong>in</strong>gesetzt.<br />

Zudem erfolgte <strong>in</strong> der zweiten Welle des Alterssurveys e<strong>in</strong>e Anpassung von Fragebereichen an<br />

aktuelle sozialpolitische Fragen. Hierzu zählte beispielsweise die Aufnahme von neuen Fragen zu<br />

pflegerischer Versorgung (Leistung/Erhalt von Hilfe oder Pflege), nachdem <strong>in</strong> den Jahren 1995/96<br />

<strong>in</strong> Deutschland die Pflegeversicherung (SGB XI) e<strong>in</strong>geführt worden war. Erweitert wurden unter<br />

anderem auch die Erhebungsfragen zu Ges<strong>und</strong>heit, wobei Aspekte körperlicher <strong>und</strong> psychischer<br />

Ges<strong>und</strong>heit sowie Lebensqualität gleichermaßen berücksichtigt wurden. Erstmals erhoben wurde<br />

die kognitive Leistungsfähigkeit der Befragten, die durch den Zahlen-Symbol-Test erfasst wurde.<br />

Es handelt sich hierbei um e<strong>in</strong>en Power-Speed-Test, der mit ger<strong>in</strong>gem Zeitaufwand verb<strong>und</strong>en ist<br />

(90 Sek<strong>und</strong>en) <strong>und</strong> im Gegensatz zu Demenz-Screen<strong>in</strong>g-Instrumenten (z.B. M<strong>in</strong>i Mental State<br />

Exam<strong>in</strong>ation – MMSE, Folste<strong>in</strong>, Folste<strong>in</strong> & McHugh 1975) üblicherweise <strong>in</strong> allen Altersgruppen,<br />

die der Alterssurvey umfasst, e<strong>in</strong>gesetzt wird.<br />

Das Erhebungs<strong>in</strong>strumentarium der zweiten Welle des Alterssurveys untergliedert sich dadurch <strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>sgesamt drei Instrumente: Das standardisierte, persönliche Interview (PAPI-Methode), e<strong>in</strong>en<br />

anschließenden Kurztest zu kognitiver Leistungsfähigkeit (Zahlen-Symbol-Test) sowie e<strong>in</strong>en Fragebogen<br />

zum Selbstausfüllen (sog. „drop-off“). Letzterer konnte je nach Wunsch des Befragten<br />

geme<strong>in</strong>sam mit dem Interviewer ausgefüllt werden oder der Fragebogen wurde vom Interviewer<br />

zurückgelassen <strong>und</strong> später wieder abgeholt. Ablauf <strong>und</strong> Inhalte der Befragung s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Kurzform <strong>in</strong><br />

Abbildung 2.1 aufgelistet.


Kapitel 2: Datengr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Methodik<br />

Abbildung 2.1:<br />

Erhebungsablauf <strong>und</strong> Erhebungsbereiche: Alterssurvey, zweite Welle<br />

I. Persönliches, mündliches Interview<br />

- Herkunftsfamilie<br />

- Schulische <strong>und</strong> berufliche Ausbildung, erste Berufstätigkeit, Erwerbsunterbrechungen<br />

- Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

- Familienstand <strong>und</strong> Partnerschaft<br />

- K<strong>in</strong>der, Enkel <strong>und</strong> weitere Verwandte<br />

- Haushaltszusammensetzung<br />

- Migrationserfahrungen <strong>und</strong> -pläne<br />

- Wohnsituation<br />

- Freizeitgestaltung, gesellschaftliches Engagement <strong>und</strong> Partizipation<br />

- Lebensziele <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

- Hilfe <strong>und</strong> Pflege<br />

- Persönliches Netzwerk<br />

- Soziale Unterstützung<br />

- F<strong>in</strong>anzielle Transfers <strong>und</strong> Lebensstandard<br />

- Interviewere<strong>in</strong>schätzungen<br />

II. Kognitiver Leistungstest (Zahlen-Symbol-Test)<br />

III. Schriftliche Befragung (Drop-Off)<br />

- Selbstkonzepte<br />

- Subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

- Werte <strong>und</strong> Normen<br />

- Mediennutzung<br />

- Soziale Beziehungen<br />

- Ges<strong>und</strong>heit<br />

- Wohnen<br />

- Materielle Lage<br />

Erhebungsablauf <strong>und</strong> Erhebungsbereiche waren <strong>in</strong> allen drei Stichproben – Panelstichprobe, Replikationsstichprobe<br />

<strong>und</strong> Ausländerstichprobe – weitgehend gleich. Lediglich <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelaspekten unterschieden<br />

sich die Befragungen vone<strong>in</strong>ander: Die Panelstichprobe erhielt e<strong>in</strong> eigenes Erhebungs<strong>in</strong>strument<br />

für das persönliche Interview, Replikations- <strong>und</strong> Ausländerstichprobe erhielten geme<strong>in</strong>sam<br />

e<strong>in</strong> anderes, während alle drei Stichproben den gleichen kognitiven Leistungstest sowie die<br />

gleichen schriftlichen Befragungsunterlagen erhielten. Das mündliche Interview der Panelteilnehmer<br />

wurde primär aus zwei Gründen abweichend vom Instrument der anderen beiden Stichproben<br />

konzipiert: Zum e<strong>in</strong>en, da Panelpersonen e<strong>in</strong>zelne Fragen nicht mehr erhielten, sofern sich seit der<br />

Erstbefragung ke<strong>in</strong>e Veränderungen ergeben hatten bzw. haben konnten (letztes gilt für Angaben<br />

wie beispielsweise die Geburtsjahre der Elternpersonen). Dies diente dazu, die teils hochbetagten<br />

37


38<br />

Heribert Engstler, Susanne Wurm<br />

Panelteilnehmer von verzichtbaren Fragen zu entlasten. E<strong>in</strong> weiterer Gr<strong>und</strong> war, dass <strong>in</strong> der zweiten<br />

Erhebungswelle auch Personen e<strong>in</strong>bezogen werden sollten, die nach der Erstbefragung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

stationäre Altene<strong>in</strong>richtung umgezogen s<strong>in</strong>d. Ziel war es, möglichst viele Personen im Längsschnitt<br />

zu verfolgen, unabhängig davon, ob sie weiterh<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Privathaushalt leben (dies war e<strong>in</strong> Auswahlkriterium<br />

für die Basisstichprobe) oder <strong>in</strong> der Zwischenzeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere Wohnform gewechselt<br />

s<strong>in</strong>d. Heimbewohner wurden zu bestimmten Themenbereichen nicht oder <strong>in</strong> modifizierter Weise<br />

befragt, da e<strong>in</strong>zelne Fragen (z.B. zur Wohnsituation) für sie nicht oder nur mit abweichender<br />

Fragestellung beantwortbar waren.<br />

Für das mündliche Interview von Personen der Replikations- <strong>und</strong> der Ausländerstichprobe wurde<br />

e<strong>in</strong> identischer Fragebogen verwendet. Dieser war <strong>in</strong>sgesamt etwas umfangreicher als jener für die<br />

Panelstichprobe <strong>und</strong> enthielt unter anderem e<strong>in</strong>ige Zusatzfragen zu Migrationserfahrungen <strong>und</strong><br />

Migrationsplanungen. Diese Fragen wurden besonders <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf die Ausländerstichprobe<br />

aufgenommen. Alle Personen erhielten das Interview sowie die schriftliche Befragung ausschließlich<br />

<strong>in</strong> deutscher Sprache. Dadurch konnten nur Personen an der Befragung teilnehmen, wenn sie<br />

des Deutschen ausreichend mächtig waren oder Angehörige hatten, die Übersetzungshilfen leisten<br />

konnten. Unzureichende Sprachkenntnisse führten bereits <strong>in</strong> der Ersterhebung, die nur mit Personen<br />

deutscher Staatsangehörigkeit vorgenommen wurde, zu Stichprobenausfällen <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>em Umfang<br />

– diese Ausfälle lagen erwartungsgemäß <strong>in</strong> der Ausländerstichprobe deutlich höher (vgl. Abschnitt<br />

2.5).<br />

Vor Durchführung der Haupterhebung fand e<strong>in</strong>e Pretestung aller Erhebungs<strong>in</strong>strumente (mündliches<br />

Interview, Zahlen-Symbol-Test sowie Fragebogen zum Selbstausfüllen) mit anschließender<br />

Überarbeitung statt. Der Pretest im Jahr 2001 basierte auf e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>wohnermeldestichprobe von<br />

n=111 Personen deutscher <strong>und</strong> nicht-deutscher Staatsangehörigkeit. Die Haupterhebung wurde,<br />

ebenso wie der Pretest, von Infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft durchgeführt <strong>und</strong> fand<br />

im Jahr 2002 statt. An die Datenerhebung, elektronische Datenerfassung <strong>und</strong> -prüfung durch <strong>in</strong>fas<br />

schloss sich e<strong>in</strong>e längere Phase umfangreicher Datenbere<strong>in</strong>igung <strong>und</strong> Datenedition an, die vom<br />

Projektteam am Deutschen Zentrum für Altersfragen durchgeführt wurde.<br />

2.2.3 Analysemöglichkeiten<br />

Die Komb<strong>in</strong>ation aus e<strong>in</strong>er Wiederholungsbefragung der Panelteilnehmer <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Erstbefragung<br />

der Replikations- sowie der Ausländerstichprobe eröffnet zahlreiche Analysemöglichkeiten, die im<br />

folgenden kurz erläutert werden sollen. E<strong>in</strong>e graphische Veranschaulichung der Analysemöglichkeiten<br />

f<strong>in</strong>det sich nachfolgend <strong>in</strong> Abbildung 2.2.<br />

(a) Längsschnitt-Vergleich: Mit Hilfe der Panelstichprobe können <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Verläufe betrachtet<br />

werden. Dies macht es möglich, neben zeitlich ungerichteten Zusammenhängen (z.B. zwischen<br />

sozialer Integration <strong>und</strong> Wohlbef<strong>in</strong>den) auch zeitlich gerichtete Vorhersagemodelle zu betrachten<br />

(z.B. zu untersuchen, wie gut soziale Integration Wohlbef<strong>in</strong>den vorhersagen kann). Während dies<br />

e<strong>in</strong> unschätzbarer Vorteil von Panelstichproben ist, liegt e<strong>in</strong> Nachteil <strong>in</strong> der Stichprobenselektivität.<br />

Bereits querschnittbezogene Stichproben wie die Basisstichprobe des Alterssurveys s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbesondere<br />

zugunsten jüngerer, gesünderer <strong>und</strong> besser gebildeter Personen selektiert. Diese Selektion<br />

verstärkt sich <strong>in</strong> Panelstichproben wie jener des Alterssurveys (vgl. Abschnitt 2.3.2). Teilweise


Kapitel 2: Datengr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Methodik<br />

bietet sich statt der Betrachtung <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r <strong>Entwicklung</strong>en deshalb an, Längsschnitt-Vergleiche<br />

im S<strong>in</strong>ne von Trendstudien vorzunehmen. Es handelt sich hierbei um den Vergleich von wiederholt<br />

durchgeführten Querschnittstudien (Zeitreihen). Diese s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong>e Dauerbeobachtung der <strong>Entwicklung</strong><br />

von Niveau <strong>und</strong> Verteilung objektiver <strong>und</strong> subjektiver Wohlfahrtserträge geeignet (Habich,<br />

1994), lassen jedoch ke<strong>in</strong>e Aussagen über <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong>en zu. Die prospektive<br />

Beobachtung persönlicher <strong>Entwicklung</strong>en ist daher e<strong>in</strong>e der Stärken des Alterssurveys.<br />

Abbildung 2.2:<br />

Analysemöglichkeiten mit den Stichproben des Alterssurveys<br />

Alter Alter<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

(a) Längsschnitt-Vergleich<br />

Panelstichprobe<br />

70-85<br />

55-69<br />

40-54<br />

1996<br />

1. Welle<br />

76-91<br />

61-75<br />

46-60<br />

2002<br />

2. Welle<br />

100 100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60 60<br />

50<br />

40<br />

(b) Kohorten-Vergleich<br />

Basis- vs. Replikations-SP<br />

1996<br />

1. Welle<br />

70-85 Jahre<br />

55-69 Jahre<br />

40-54 Jahre<br />

2002<br />

2. Welle<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60 60<br />

50<br />

40<br />

(c) Gruppen-Vergleich<br />

Deutsche vs. Nicht-Deutsche<br />

2002<br />

2. Welle<br />

70-85 Jahre<br />

55-69 Jahre<br />

40-54 Jahre<br />

2002<br />

2. Welle<br />

(b) Kohorten-Vergleich: Durch den Aufbau der Replikationsstichprobe <strong>in</strong> der zweiten Welle des<br />

Alterssurveys ist es möglich, neben <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Verlaufsuntersuchungen (Panelstichprobe) <strong>und</strong><br />

Querschnittsuntersuchungen auch Kohortenvergleiche vorzunehmen. In diesem Fall werden unterschiedliche<br />

Personen mite<strong>in</strong>ander verglichen, die zu unterschiedlichen Messzeitpunkten das gleiche<br />

Alter haben. Da die Replikationsstichprobe Personen umfasst, deren Geburtsjahre je sechs Jahre<br />

später liegen (1917-1962) als jene der Basisstichprobe (1911-1956), können zwischen den beiden<br />

Stichproben Kohortenvergleiche unter Kontrolle des Alters vorgenommen werden. Mit Hilfe von<br />

Kohortenvergleichen lässt sich beispielsweise der Frage nachgehen, ob später geborene Geburtskohorten<br />

im Durchschnitt e<strong>in</strong>e bessere Ges<strong>und</strong>heit als früher geborene Kohorten haben, wenn sie im<br />

gleichen Alter s<strong>in</strong>d (vgl. Kapitel 7). Wegen des Sechsjahres-Abstands der beiden Erhebungszeitpunkte<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong>en trennscharfen Kohortenvergleich die Befragten jeweils <strong>in</strong><br />

sechs Jahre umfassende Alters- bzw. Geburtsjahrgangsgruppen zu unterteilen. Mit dieser Gruppenbildung<br />

wird verh<strong>in</strong>dert, dass e<strong>in</strong>zelne Geburtsjahrgänge zu beiden Messzeitpunkten der gleichen<br />

Altersgruppe angehören. E<strong>in</strong>en Überblick zur Umsetzung für die Daten des Alterssurveys gibt<br />

nachfolgende Tabelle 2.2.<br />

Im Rahmen von Kohortenvergleichen lassen sich der Alters- bzw. Lebensverlaufseffekt kontrollieren.<br />

Feststellbare Merkmalsunterschiede der Angehörigen verschiedener Kohorten im gleichen<br />

Alter können Ausdruck veränderten Verhaltens oder veränderter Strukturen bei jüngeren Geburtsjahrgängen<br />

se<strong>in</strong> (Kohorteneffekt). Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass bestehende Unterschiede<br />

mitbed<strong>in</strong>gt s<strong>in</strong>d durch Besonderheiten des jeweiligen Messzeitpunkts, deren E<strong>in</strong>fluss sich auf alle<br />

39


40<br />

Heribert Engstler, Susanne Wurm<br />

Altersgruppen erstrecken <strong>und</strong> von nur vorübergehender Natur se<strong>in</strong> kann (Periodeneffekt). In nachfolgenden<br />

Analysen f<strong>in</strong>den somit zwei Formen der Altersgruppen-Unterteilung Berücksichtigung.<br />

Zum e<strong>in</strong>en die Aufteilung <strong>in</strong> jene drei Altersgruppen, nach denen die Stichprobenschichtung erfolgte.<br />

Diese wird angewendet, wenn Altersgruppen mite<strong>in</strong>ander verglichen werden sollen. Ergänzend<br />

werden die hier dargestellten sieben Altersgruppen verwendet, um Kohortenvergleiche vornehmen<br />

zu können.<br />

Tabelle 2.2:<br />

Sechsjahres-Gruppen für Kohortenvergleiche im Alterssurvey<br />

Stichproben, Messzeitpunkt <strong>und</strong> Geburtsjahrgänge<br />

Altersgruppe Basisstichprobe Replikationsstichprobe Panelstichprobe Panelstichprobe<br />

1996<br />

2002<br />

1996<br />

2002<br />

40-45 Jahre 1951-1956 1957-1962 1951-1956 /<br />

46-51 Jahre 1945-1950 1951-1956 1945-1950 1951-1956<br />

52-57 Jahre 1939-1944 1945-1950 1939-1944 1945-1950<br />

58-63 Jahre 1933-1938 1939-1944 1933-1938 1939-1944<br />

64-69 Jahre 1927-1932 1933-1938 1927-1932 1933-1938<br />

70-75 Jahre 1921-1926 1927-1932 1921-1926 1927-1932<br />

76-81 Jahre 1915-1920 1921-1926 1915-1920 1921-1926<br />

82-87 Jahre / / / 1915-1920<br />

Anmerkung: Bei Personen der Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe sowie der Panelstichprobe des Jahres 1996 bleiben die<br />

Altersgruppen der 82- bis 85-Jährigen bei e<strong>in</strong>em Sechsjahres-Kohortenvergleich unberücksichtigt.<br />

(c) Gruppen-Vergleich von deutschen <strong>und</strong> nicht-deutschen Personen: Schließlich ist als weitere<br />

Analyseebene e<strong>in</strong>e vergleichende Betrachtung von Personen mit deutscher bzw. nicht-deutscher<br />

Staatsangehörigkeit möglich. Damit kann der Frage nachgegangen werden, wie <strong>und</strong> unter welchen<br />

Lebensbed<strong>in</strong>gungen Personen nicht-deutscher Staatsangehörigkeit <strong>in</strong> Deutschland älter werden <strong>und</strong><br />

ob sie sich hierbei von deutschen Personen unterscheiden.<br />

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass <strong>in</strong> der zweiten Welle des Alterssurveys e<strong>in</strong>e deutliche<br />

Erweiterung der Stichproben (Panelstichprobe, Replikations- <strong>und</strong> Ausländerstichprobe) erfolgte.<br />

Die verschiedenen Stichproben sowie die Ausweitung vorhandener Befragungs<strong>in</strong>halte eröffnen<br />

vielfältige Analysemöglichkeiten, denen im Rahmen von Panel- <strong>und</strong> Längsschnittuntersuchungen<br />

sowie Kohortenvergleichen nachgegangen werden kann. Mit der zweiten Welle des Alterssurveys<br />

wurde e<strong>in</strong>e Gr<strong>und</strong>lage für e<strong>in</strong> kohortensequentielles Untersuchungsdesign geschaffen. Mit e<strong>in</strong>em<br />

solchen sequentiellen Design lassen sich Alters-, Kohorten- <strong>und</strong> Testzeite<strong>in</strong>flüsse methodisch adäquat<br />

vone<strong>in</strong>ander trennen. In diesem S<strong>in</strong>ne wäre es wünschenswert, den Alterssurvey durch weitere<br />

Erhebungswellen zu ergänzen <strong>und</strong> damit auch die Replikations- <strong>und</strong> Ausländerstichprobe durch<br />

e<strong>in</strong>e erneute Befragung der Teilnehmer zu Längsschnittdatensätzen auszubauen.


Kapitel 2: Datengr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Methodik<br />

2.3 Die Panelstichprobe<br />

2.3.1 Stichprobenbeschreibung <strong>und</strong> Ausschöpfung<br />

An der ersten Welle des Alterssurveys haben – wie gezeigt – 4.838 Personen mit auswertbaren<br />

Interviews teilgenommen. Gr<strong>und</strong>sätzlich wäre es wünschenswert gewesen, alle davon bei der Vorbereitung<br />

der zweiten Welle <strong>in</strong> die Bruttostichprobe der zweiten Welle aufzunehmen. Aus formalen<br />

Gründen war dies jedoch nicht möglich. Voraussetzung für die Teilnahme der Befragten an e<strong>in</strong>er<br />

zweiten Welle war, dass sie der Speicherung ihrer Adressen zum Zweck e<strong>in</strong>er Wiederholungsbefragung<br />

schriftlich zugestimmt <strong>und</strong> diese Panelbereitschaftserklärung zwischenzeitlich nicht widerrufen<br />

hatten. H<strong>in</strong>zu kommt das Problem der sogenannten „Panelmortalität“, d.h. des zeitweisen<br />

oder dauerhaften Ausfalls von Befragungspersonen. Ausfälle können beispielsweise durch Wegzug,<br />

Krankheit oder Tod begründet se<strong>in</strong>. Direkt im Anschluss an die Erstbefragung 1996 lag dem<br />

Feldforschungs<strong>in</strong>stitut <strong>in</strong>fas von 2.873 der 4.838 Befragten die Panelbereitschaftserklärung vor<br />

(vgl. Tabelle 2.3). Insbesondere mit dem Ziel der Adressaktualisierung <strong>und</strong> der Steigerung bzw.<br />

des Erhalts der Teilnahmemotivation an e<strong>in</strong>er Wiederholungsbefragung führte das <strong>in</strong>fas-Institut bis<br />

2001 zwei Panelpflegeaktionen durch. Im Zuge dieser Panelpflege kamen e<strong>in</strong>erseits per Saldo weitere<br />

165 Panelbereitschaftserklärungen h<strong>in</strong>zu, andererseits mussten – ohne die zwischenzeitlich als<br />

verstorben Gemeldeten – 471 Personen als zum<strong>in</strong>dest zeitweise Ausfälle erachtet werden, hauptsächlich<br />

aufgr<strong>und</strong> nicht mehr gültiger Adressen. Daher erfolgte kurz vor Beg<strong>in</strong>n der zweiten Welle<br />

e<strong>in</strong>e Adressrecherche bei den E<strong>in</strong>wohnermeldeämtern nach den als ‚unbekannt’ verzogenen Zielpersonen,<br />

für die e<strong>in</strong>e Panelbereitschaftserklärung vorlag. Diese führte zu 405 neuen Adressangaben.<br />

Unter Berücksichtigung aller Zu- <strong>und</strong> Abgänge bei den panelbereiten Zielpersonen ergab sich<br />

damit für die zweite Welle des Alterssurveys e<strong>in</strong>e Bruttostichprobe von 2.972 Personen (siehe Tabelle<br />

2.3, Zeile 6).<br />

Nach erfolgter oder versuchter Kontaktierung aller Zielpersonen der Bruttostichprobe musste diese<br />

noch etwas um die neutralen Ausfälle der nicht Erreichbaren nach unten bere<strong>in</strong>igt werden: 236<br />

Personen wohnten nicht mehr an der zuletzt bekannten Adresse; für 249 Personen g<strong>in</strong>g die Information<br />

e<strong>in</strong>, dass sie <strong>in</strong> der Zwischenzeit verstorben waren. Dieser Verstorbenenanteil von 8,4 Prozent<br />

liegt unter der zu erwartenden Quote von r<strong>und</strong> 15 Prozent, wenn man die Sterbetafel 1997/99<br />

des Statistischen B<strong>und</strong>esamts zugr<strong>und</strong>e legt. Es ist also davon auszugehen, dass die Zahl der Verstorbenen<br />

tatsächlich höher lag <strong>und</strong> zum Teil <strong>in</strong> den Ausfällen wegen unbekannter Adressen enthalten<br />

se<strong>in</strong> dürfte. Wird die Bruttostichprobe um diese neutralen Ausfälle bere<strong>in</strong>igt, ergibt sich e<strong>in</strong><br />

Stichprobenansatz von 2.487 Personen. Mit 900 dieser Personen konnte ke<strong>in</strong> Interview geführt<br />

werden. Hauptgründe für die systematischen Ausfälle war das Vorliegen e<strong>in</strong>er dauerhaften Erkrankung<br />

oder Beh<strong>in</strong>derung sowie Verweigerungen (ohne Nennung näherer Gründe, d.h. hier können<br />

weitere krankheitsbed<strong>in</strong>gte Ausfälle enthalten se<strong>in</strong>). Aufgr<strong>und</strong> der Ergebnisse der Interviewkontrolle<br />

<strong>und</strong> der Datenprüfung wurden 63 der 1.587 durchgeführten Interviews als nicht auswertbar deklariert,<br />

so dass im Ergebnis für die Panelstichprobe 1.524 auswertbare Interviews vorliegen.<br />

Die Ausschöpfung der Wiederholungsbefragung im Rahmen der zweiten Welle des Alterssurveys<br />

beträgt damit 61,3 Prozent der bere<strong>in</strong>igten Bruttostichprobe. Sie liegt deutlich über dem von<br />

Mohler, Koch & Gabler (2003, S.10) kritisierten Erfahrungswert, "... dass heutzutage <strong>in</strong> Deutsch-<br />

41


42<br />

Heribert Engstler, Susanne Wurm<br />

land auch qualitätsorientierte Umfragen faktisch kaum e<strong>in</strong>e Ausschöpfungsquote von mehr als 50%<br />

erzielen". Bezogen auf alle Teilnehmer der Erstbefragung s<strong>in</strong>d es allerd<strong>in</strong>gs nur 31,5 Prozent, da<br />

weniger als zwei Drittel ihr E<strong>in</strong>verständnis zur Adressspeicherung gegeben hatten. Angesichts des<br />

langen Zeitraums von sechs Jahren zwischen der ersten <strong>und</strong> zweiten Welle <strong>und</strong> dem höheren Alter<br />

der Stichprobe ist die Ausschöpfungsquote dennoch als akzeptabel zu bewerten.<br />

Tabelle 2.3:<br />

Ausschöpfung der Panelstichprobe<br />

Zeile Population Anzahl<br />

1 Interviews der ersten Welle 4.838<br />

2 Davon:<br />

Mit vorliegender Panelbereitschaft<br />

2.873<br />

3 + Saldo aus nachträglich erklärten <strong>und</strong> widerrufenen Panelbereitschaften<br />

im Zuge von 2 Panelpflegeaktionen<br />

4 - Ausfälle im Zuge der Panelpflege (ohne Verstorbene),<br />

hpts. aufgr<strong>und</strong> nicht mehr gültiger Adressen<br />

5 + erfolgreiche Adressrecherche von unbekannt Verzogenen<br />

kurz vor Beg<strong>in</strong>n der zweiten Welle<br />

+ 165<br />

- 471<br />

+ 405<br />

6 = Bruttostichprobe für die zweite Welle 2.972<br />

7 - Neutrale Ausfälle<br />

ZP verstorben: n=249<br />

ZP unbekannt: n=236<br />

- 485<br />

8 = Bere<strong>in</strong>igter Stichprobenansatz 2.487<br />

9 - Systematische Ausfälle<br />

darunter: ZP verweigert: n=597<br />

- 900<br />

10 = Durchgeführte mündliche Interviews 1.587<br />

11 - Nicht auswertbare Interviews - 63<br />

12 = Auswertbare mündliche Interviews der zweiten Welle<br />

<strong>in</strong> % von Zeile 1 (Interviews Welle 1)<br />

<strong>in</strong> % von Zeile 6 (Bruttostichprobe Welle 2)<br />

<strong>in</strong> % von Zeile 8 (Bere<strong>in</strong>igte Bruttostichprobe Welle 2)<br />

Quelle: Eigene Zusammenstellung aus Angaben <strong>in</strong>: <strong>in</strong>fas, 2003<br />

1.524<br />

31,5 %<br />

51,3 %<br />

61,3 %<br />

E<strong>in</strong>e nach Alter, Geschlecht <strong>und</strong> Landesteil differenzierte Betrachtung der neutralen <strong>und</strong> systematischen<br />

Ausfälle lieferte folgende Ergebnisse (näheres hierzu <strong>in</strong>: <strong>in</strong>fas, 2003): Mit steigendem Alter<br />

nahm der Anteil neutraler <strong>und</strong> systematischer Ausfälle zu, hauptsächlich aufgr<strong>und</strong> des steigenden<br />

Morbiditäts- <strong>und</strong> Mortalitätsrisikos (d.h. Ausfälle wegen Todes, Erkrankung <strong>und</strong> Beh<strong>in</strong>derung),<br />

während der Anteil verweigerter Interviews <strong>in</strong> der höchsten Altersgruppe deutlich ger<strong>in</strong>ger war als<br />

<strong>in</strong> der mittleren <strong>und</strong> jüngeren Altersgruppe. Die Ausschöpfungsquote (<strong>in</strong> Prozent des bere<strong>in</strong>igten<br />

Stichprobenansatzes) sank von 65,9 Prozent bei den Geburtsjahrgängen 1942/56 auf 52,9 Prozent<br />

bei den 1911 bis 1926 Geborenen.


Kapitel 2: Datengr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Methodik<br />

Die Ausschöpfungsquote der Männer ist mit 61,8 Prozent ger<strong>in</strong>gfügig höher als die der Frauen<br />

(60,7 Prozent). Hauptgr<strong>und</strong> war die ger<strong>in</strong>gere Verweigerungsquote der Männer. Allerd<strong>in</strong>gs gab es<br />

bei den Männern aufgr<strong>und</strong> ihrer ger<strong>in</strong>geren Lebenserwartung mehr neutrale Ausfälle.<br />

Ostdeutsche weisen zwar e<strong>in</strong>en höheren Anteil neutraler Ausfälle auf als Westdeutsche, der Anteil<br />

systematischer Ausfälle <strong>und</strong> nicht auswertbarer Interviews war jedoch <strong>in</strong> Ostdeutschland ger<strong>in</strong>ger<br />

als im Westen, wodurch die Ausschöpfungsquote im Osten mit 63,9 Prozent um 4 Prozentpunkte<br />

über dem früheren B<strong>und</strong>esgebiet lag.<br />

Die Bereitschaft der Befragten, nach dem längeren mündlichen Interview (mit e<strong>in</strong>er durchschnittlichen<br />

Dauer von 82 M<strong>in</strong>uten) noch den schriftlichen Fragebogen auszufüllen, war sehr hoch. 94,4<br />

Prozent haben diesen Fragebogen („drop-off“) ausgefüllt. In 84 Prozent der Fälle liegt zudem e<strong>in</strong><br />

bearbeitetes Aufgabenblatt des kognitiven Leistungstests „Zahlen-Symbol-Test“ vor.<br />

2.3.2 Die Selektivität der Teilnahme an der Wiederholungsbefragung<br />

Insbesondere mit Blick auf die <strong>in</strong>haltliche Analyse von Veränderungen im Längsschnitt zwischen<br />

Welle 1 <strong>und</strong> Welle 2 stellt sich die Frage, ob <strong>und</strong> gegebenenfalls <strong>in</strong> welcher Weise die Teilnahmeausfälle<br />

zwischen beiden Wellen die Struktur der Panelstichprobe bee<strong>in</strong>flusst <strong>und</strong> gegenüber der<br />

Basisstichprobe verändert haben. Nicht zu erwarten, aber von Vorteil wäre, wenn die Ausfälle <strong>in</strong><br />

Bezug auf untersuchungsrelevante Merkmale zufällig erfolgt <strong>und</strong> die Panelmortalität damit zu ignorieren<br />

wäre. Ob dies der Fall ist, kann durch e<strong>in</strong>e Analyse möglicher Selektivitäten erk<strong>und</strong>et<br />

werden.<br />

E<strong>in</strong>en ersten H<strong>in</strong>weis gibt die ungewichtete Verteilung auf die zwölf Zellen der komb<strong>in</strong>ierten<br />

Schichtungsmerkmale der Basisstichprobe 1996 im Vergleich zur Panelstichprobe 2002. Bei diesem<br />

Vergleich kommen, anders als bei der Betrachtung der Ausschöpfungsquoten, auch die Unterschiede<br />

<strong>in</strong> den abgegebenen Erklärungen zur Panelbereitschaft <strong>und</strong> den neutralen Ausfällen zum<br />

Tragen.<br />

Tabelle 2.4 zeigt, dass die älteste der drei Altersgruppen <strong>in</strong> der Wiederholungsbefragung <strong>in</strong> weit<br />

ger<strong>in</strong>gerem Ausmaß vertreten ist als <strong>in</strong> der Erstbefragung (16,9 vs. 27,7 Prozent), wobei die Differenz<br />

im Westen Deutschlands größer als im Osten ist. Die mittlere Altersgruppe ist nur <strong>in</strong> den neuen<br />

Ländern stärker beteiligt als <strong>in</strong> der ersten Welle, die jüngere Altersgruppe <strong>in</strong> beiden Landesteilen<br />

deutlich häufiger, am ausgeprägtesten bei den westdeutschen Männern. Es gibt demnach e<strong>in</strong>e<br />

erkennbare Altersselektivität, die jedoch nicht l<strong>in</strong>ear verläuft <strong>und</strong> deren Stärke nach Geschlecht <strong>und</strong><br />

Landesteil variiert.<br />

Um mögliche Selektivitäten genauer erfassen zu können, wurde der E<strong>in</strong>fluss verschiedener Merkmale<br />

auf die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, dass Befragte der Welle 1 auch an Welle 2 teilgenommen haben,<br />

multivariat untersucht. Dafür eignet sich das Verfahren der b<strong>in</strong>ären logistischen Regression. Berechnet<br />

wird dabei der eigenständige E<strong>in</strong>fluss verschiedener Prädiktoren auf das Verhältnis zwischen<br />

Teilnahme- <strong>und</strong> Nicht-Teilnahmewahrsche<strong>in</strong>lichkeit an Welle 2. Die Stärke des E<strong>in</strong>flusses<br />

lässt sich anhand der exponierten Regressionskoeffizienten exp (ß) der e<strong>in</strong>zelnen Prädiktoren, den<br />

sogenannten „odds ratios“ ausweisen. Bei kategorialen Prädiktoren geben die „odds ratios“ an, auf<br />

welches Vielfache sich die Teilnahmewahrsche<strong>in</strong>lichkeit durch das Vorliegen e<strong>in</strong>er bestimmten<br />

43


44<br />

Heribert Engstler, Susanne Wurm<br />

Prädiktorenkategorie gegenüber der Referenzkategorie unter Kontrolle der anderen Prädiktoren<br />

erhöht oder verr<strong>in</strong>gert. So bedeutet beispielsweise der <strong>in</strong> der Tabelle 2.5 ausgewiesene exponierte<br />

Regressionskoeffizient 1,474 für die Kategorie „Abitur, Hochschulreife“, dass e<strong>in</strong> solcher Schulabschluss<br />

die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit der Teilnahme an der zweiten Welle (gegenüber der Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

der Nicht-Teilnahme) im Vergleich zu Personen, die ke<strong>in</strong>en oder nur e<strong>in</strong>en Hauptschulabschluss<br />

haben, auf das 1,474-fache, bzw. um 47,4 Prozent erhöht.<br />

Tabelle 2.4:<br />

Verteilung der Interviewfälle nach Geschlecht, Geburtsjahr <strong>und</strong> Landesteil <strong>in</strong> der Panelstichprobe<br />

2002 (<strong>und</strong> <strong>in</strong> Klammern: Verteilung <strong>in</strong> der Basisstichprobe 1996); Angaben <strong>in</strong> Prozent<br />

Landesteil Geschlecht Geburtsjahr Gesamt<br />

1942-56 1927-41 1911-26<br />

Ost männlich 7,3 (5,5) 7,6 (6,8) 3,7 (4,2) 18,6 (16,5)<br />

weiblich 7,5 (5,6) 7,4 (6,3) 2,6 (4,5) 17,6 (16,5)<br />

West<br />

zusammen 14,8 (11,1) 15,0 (13,1) 6,3 (8,7) 36,2 (33,0)<br />

männlich 15,7 (12,1) 13,6 (13,0) 5,4 (9,3) 34,7 (34,4)<br />

weiblich 13,9 (12,4) 10,0 (10,6) 5,2 (9,6) 29,1 (32,6)<br />

zusammen 29,6 (24,5) 23,6 (23,6) 10,6 (18,9) 63,8 (67,0)<br />

Gesamt 44,5 (35,5) 38,6 (36,8) 16,9 (27,7) 100 (100)<br />

Quelle Alterssurvey, ungewichtet; Abweichung zu 100 bei Summenbildungen s<strong>in</strong>d r<strong>und</strong>ungsbed<strong>in</strong>gt.<br />

Bei metrischen Prädiktoren beziehen sich die „odds ratios“ auf den Effekt bei Erhöhung der unabhängigen<br />

Variable um e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit. Zum Beispiel bedeutet das <strong>in</strong> Tabelle 2.5 ausgewiesene „odds<br />

ratio“ <strong>in</strong> Höhe von 0,992 des Altersabstands zwischen Interviewer <strong>und</strong> Interviewtem, dass Befragte,<br />

die e<strong>in</strong> Jahr älter waren als der Interviewer e<strong>in</strong>e etwas ger<strong>in</strong>gere Teilnahmewahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

hatten als Befragte, die genauso alt wie der Interviewer waren. E<strong>in</strong>e Altersdifferenz von 10 Jahren<br />

verr<strong>in</strong>gert die Teilnahmewahrsche<strong>in</strong>lichkeit auf das 0,992 10 -fache (=0,923). 1<br />

Die <strong>in</strong> Tabelle 2.5 enthaltenen Prädiktoren s<strong>in</strong>d das Ergebnis e<strong>in</strong>er schrittweisen Vere<strong>in</strong>fachung<br />

e<strong>in</strong>es theoretisch <strong>und</strong> empirisch begründeten Ausgangsmodells. Zunächst wurde e<strong>in</strong>e Vielzahl<br />

möglicher E<strong>in</strong>flussgrößen e<strong>in</strong>bezogen, um die Gefahr des "omitted variable errors", d.h. der Nicht-<br />

Berücksichtigung signifikanter E<strong>in</strong>flussgrößen ger<strong>in</strong>g zu halten. Allerd<strong>in</strong>gs erwiesen sich viele<br />

davon als statistisch unbedeutsam <strong>und</strong> konnten schrittweise ausgeschlossen werden, da sie ke<strong>in</strong>en<br />

signifikanten Beitrag zur Verbesserung der Erklärungskraft des Gesamtmodells leisteten. 2 Dies traf<br />

unter anderem auf folgende Merkmale zu: Familienstand, K<strong>in</strong>derzahl, Haushaltsgröße, Erwerbssta-<br />

1 E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Methode der logistischen Regression bietet unter anderem Backhaus, Erichson, Pl<strong>in</strong>ke & Wei-<br />

ber (2000).<br />

2 Für die statistische Analyse wurde die SPSS-Prozedur Logistic Regression e<strong>in</strong>gesetzt. Die schrittweise Reduzierung<br />

des Regressionsmodells um irrelevante Prädiktoren erfolgte anhand des Kriteriums der „log-likelihood ratio“, welches<br />

von SPSS als bestes Kriterium e<strong>in</strong>gestuft wird, um zu entscheiden, welche unabhängigen Variablen aus dem Modell<br />

entfernt werden können.


Kapitel 2: Datengr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Methodik<br />

tus, Geschlecht des Interviewers. Dem Pr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>er am Ende möglichst sparsamen Modellierung<br />

<strong>und</strong> der Beschränkung auf <strong>in</strong>haltlich deutbare E<strong>in</strong>flüsse folgend, wurde zudem mit e<strong>in</strong>er Ausnahme<br />

auf die Modellierung von Interaktionseffekten verzichtet. Diese Ausnahme betraf die Bildung der<br />

12 Stichprobenschichtungsmerkmale aus der ersten Welle <strong>in</strong> der Komb<strong>in</strong>ation aus Alter, Geschlecht<br />

<strong>und</strong> Landesteil. Ebenso wurde auf die Bildung e<strong>in</strong>es komplexen Sozialschicht<strong>in</strong>dikators<br />

zugunsten des E<strong>in</strong>bezugs von E<strong>in</strong>zelmerkmalen verzichtet.<br />

Wie die Koeffizienten <strong>in</strong> Tabelle 2.5 erkennen lassen, hat die komb<strong>in</strong>ierte Ausprägung dieser drei<br />

Merkmale auch unter Kontrolle anderer Prädiktoren e<strong>in</strong> hohen signifikanten E<strong>in</strong>fluss auf die Teilnahme<br />

der Welle-1-Teilnehmer an der Wiederholungsbefragung. Die höchste Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitssteigerung<br />

gegenüber der Referenzgruppe der westdeutschen alten Männer haben jedoch nicht die<br />

Angehörigen der jüngsten, sondern der mittleren Altersgruppe. Die höchste Wiederholungsteilnahme<br />

f<strong>in</strong>det sich bei ostdeutschen Frauen der mittleren Altersgruppe (Alter <strong>in</strong> Welle 1: 55- bis 69<br />

Jahre). Auffällig ist e<strong>in</strong> Unterschied <strong>in</strong>nerhalb der höchsten Altersgruppe: Die ostdeutschen Männer<br />

haben e<strong>in</strong>e um den Faktor 1,86 höhere Teilnahmewahrsche<strong>in</strong>lichkeit gegenüber den westdeutschen<br />

Männern dieses Alters. Abgesehen vom Ost-West-Unterschied konnten nur vere<strong>in</strong>zelte E<strong>in</strong>flüsse<br />

der regionalen Zugehörigkeit festgestellt werden. Bezogen auf die <strong>in</strong> der Umfrageforschung häufig<br />

angewandte BIK-Regionsgrößenklassene<strong>in</strong>teilung 3 zeigt sich e<strong>in</strong>e – gegenüber Großregionen –<br />

signifikant ger<strong>in</strong>gere Teilnahmewahrsche<strong>in</strong>lichkeit von Befragten <strong>in</strong> Regionen zwischen 50.000<br />

<strong>und</strong> 500.000 E<strong>in</strong>wohnern.<br />

Als signifikante sozialstrukturelle E<strong>in</strong>flüsse auf die Teilnahmewahrsche<strong>in</strong>lichkeit erwiesen sich das<br />

Haushaltse<strong>in</strong>kommen, der Schulabschluss <strong>und</strong> die berufliche Ausbildung. Je ger<strong>in</strong>ger das Haushaltse<strong>in</strong>kommen<br />

1996 war, desto niedriger ist (unter Kontrolle der anderen E<strong>in</strong>flüsse) die Teilnahmewahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

an der Wiederholungsbefragung 4 . Die ger<strong>in</strong>gere Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit der untersten<br />

E<strong>in</strong>kommensgruppe ist jedoch statistisch nicht signifikant. H<strong>in</strong>gegen nahmen jene Personen<br />

deutlich seltener erneut teil, die ke<strong>in</strong>e Angaben zum E<strong>in</strong>kommen gemacht haben. Offen ist dementsprechend,<br />

ob dies Befragte mit eher hohem, mittleren oder ger<strong>in</strong>gem E<strong>in</strong>kommen s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>en starken<br />

Zusammenhang der Teilnahme an der Wiederholungsbefragung gibt es mit dem Ausbildungsniveau<br />

der Befragten. Gegenüber Hauptschulabsolventen <strong>und</strong> Personen ohne Schulabschluss hatten<br />

Personen mit Realschul- oder gymnasialem Schulabschluss e<strong>in</strong>e höhere Teilnahmewahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

(<strong>in</strong> Relation zur Nichtteilnahmewahrsche<strong>in</strong>lichkeit) um 35 bis 47 Prozent. Personen mit abgeschlossener<br />

(nicht-akademischer) beruflicher Ausbildung hatten ebenfalls e<strong>in</strong>e etwas höhere Teilnahmewahrsche<strong>in</strong>lichkeit.<br />

Ebenso bee<strong>in</strong>flusste auch die Größe des sozialen Netzwerks die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit,<br />

an der zweiten Welle des Panels teilzunehmen. Personen, die <strong>in</strong> der Erstbefragung<br />

nur e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Netzwerk angaben (ke<strong>in</strong>e bis maximal drei Netzwerkpersonen), haben e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere<br />

Bereitschaft zu e<strong>in</strong>er Wiederholungsbefragung als Personen mit e<strong>in</strong>em Netzwerk von vier <strong>und</strong><br />

mehr Personen. Bei fehlenden Angaben zur Netzwerkgröße war die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>er erneuten<br />

Befragungsteilnahme am ger<strong>in</strong>gsten.<br />

3 Näheres hierzu <strong>in</strong> BIK Aschpurwis+Behrens GmbH (2001) <strong>und</strong> unter http://www.bik-gmbh.de<br />

4 Als "Haushaltsnettoe<strong>in</strong>kommen" wurde e<strong>in</strong>e von Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel berechnete Variable verwendet, <strong>in</strong> der alle <strong>in</strong> Welle<br />

1 verfügbaren E<strong>in</strong>kommens<strong>in</strong>formationen im Interview <strong>und</strong> im drop-off berücksichtigt wurden (vgl. hierzu Motel-<br />

Kl<strong>in</strong>gebiel, Kapitel 4).<br />

45


Tabelle 2.5:<br />

Logistische Regression auf die Teilnahme am Interview der Welle 2 1<br />

Prädiktor (Welle-1-Merkmal) odds ratio<br />

exp (ß)<br />

46<br />

Heribert Engstler, Susanne Wurm<br />

Prädiktor (Welle-1-Merkmal) odds ratio<br />

exp (ß)<br />

Schichtungszelle Netzwerkgröße<br />

70-85, Mann, West Referenzgr. 0 Personen 0,741*<br />

70-85, Frau, West 1,168 1 Person 0,709**<br />

70-85, Mann, Ost 1,864** 2 Personen 0,768*<br />

70-85, Frau, Ost 1,341 3 Personen 0,802*<br />

55-69, Mann, West 1,998*** 4 <strong>und</strong> mehr Personen Ref.<br />

55-69, Frau, West 1,820*** ke<strong>in</strong>e Angabe, verweigert 0,650*<br />

55-69, Mann, Ost 2,237***<br />

55-69, Frau, Ost 2,558*** Höchster Schulabschluss<br />

40-54, Mann, West 1,981*** bis Hauptschule Ref.<br />

40-54, Frau, West 1,602** Mittlere oder FHS-Reife 1,352***<br />

40-54, Mann, Ost 2,144*** Abitur, Hochschulreife 1,474**<br />

40-54, Frau, Ost 2,197***<br />

Höchster Ausbildungsabschluss<br />

Haushaltsnettoe<strong>in</strong>kommen (DM) ke<strong>in</strong> Abschluss/ke<strong>in</strong>e Angabe Ref.<br />

1 – 1399 0,747 nicht akademischer Abschluss 1,242*<br />

1400 – 1799 0,493*** abgeschlossenes Studium 1,330<br />

1800 – 2499 0,734**<br />

2500 – 3499 0,819* Subjektive Wohnsituation<br />

3500 u. höher Ref. gut, sehr gut 1,669***<br />

ke<strong>in</strong>e Angabe 0,544*** mittel Ref.<br />

Regionsgrößenklasse, aggregiert (BIK)<br />

unter 5000 E<strong>in</strong>w. 0,891 Antwortbereitschaft<br />

schlecht, sehr schlecht 1,034<br />

5000 – unter 50.000 E<strong>in</strong>w. 1,003 gut 2,202***<br />

50.000 – unter 500.000 E<strong>in</strong>w. 0,788** mittelmäßig Ref.<br />

500.000 <strong>und</strong> mehr E<strong>in</strong>w. Ref. schlecht 2 0,921<br />

Subjektive Ges<strong>und</strong>heit Fehlender Drop-off 0,593***<br />

gut, sehr gut 1,108<br />

mittel Ref. Altersabstand zum Interviewer<br />

schlecht, sehr schlecht 0,756* Alter ZP - Alter Interviewer 0,992***<br />

Datengr<strong>und</strong>lage: Basisstichprobe des Alterssurveys, n=4.838; Pseudo-R 2 (Nagelkerkes): 0,152;<br />

Signifikanzniveau: *p


Kapitel 2: Datengr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Methodik<br />

E<strong>in</strong>en deutlichen E<strong>in</strong>fluss auf die Teilnahme an der zweiten Welle hat die <strong>in</strong> der Erstbefragung<br />

angegebene subjektive Ges<strong>und</strong>heit. Wurde 1996 der eigene Ges<strong>und</strong>heitszustand als schlecht oder<br />

sehr schlecht e<strong>in</strong>gestuft, verr<strong>in</strong>gerte dies die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, im Jahr 2002 nochmals befragt zu<br />

werden, gegenüber Personen mit subjektiv mittlerem Ges<strong>und</strong>heitsniveau merklich. Die Teilnahme<br />

an der Wiederholungsbefragung unterliegt e<strong>in</strong>er positiven Selektion der (subjektiv) Gesünderen. Es<br />

ist anzunehmen, dass Personen mit e<strong>in</strong>er schlechten Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung vor allem aus ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Gründen <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>es höheren Mortalitätsrisikos seltener an der Wiederholungsbefragung<br />

sechs Jahre später teilnehmen konnten. Die <strong>in</strong> den Kontaktprotokollen festgehaltenen<br />

Ausfallgründe bestätigen diese Vermutung: Die Ausfallgründe Tod, Krankheit <strong>und</strong> Beh<strong>in</strong>derung<br />

werden bei den Nicht-Teilnehmern mit e<strong>in</strong>em bei der Erstbefragung subjektiv schlechten oder<br />

sehr schlechten Ges<strong>und</strong>heitszustand mit 49,5 Prozent weit häufiger aufgeführt als im Durchschnitt<br />

aller Ausfälle (29,1%).<br />

Als äußerst relevant erwies sich auch die subjektiv empf<strong>und</strong>ene Qualität der Wohnsituation. Wurde<br />

diese 1996 als gut oder sehr gut bewertet, erhöhte dies die Teilnahmewahrsche<strong>in</strong>lichkeit auf das<br />

1,6-fache gegenüber e<strong>in</strong>er mittleren E<strong>in</strong>stufung der Wohnsituation. Neben Zusammenhängen mit<br />

dem Wohlstand, den Wohnbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> der sozialen Integration e<strong>in</strong>er Person könnte der teilnahmesteigernde<br />

Effekt e<strong>in</strong>er subjektiv hohen Wohnqualität auch für e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Wegzugswahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

<strong>und</strong> damit Erreichbarkeit für die Wiederholungsbefragung sprechen. Dafür spricht,<br />

dass der Ausfallgr<strong>und</strong> "Zielperson wohnt nicht mehr dort" bei den Nicht-Teilnehmern, die <strong>in</strong> Welle<br />

1 ihre Wohnsituation als schlecht oder sehr schlecht e<strong>in</strong>gestuft hatten, mit 34,6 Prozent deutlich<br />

häufiger genannt wird als im Durchschnitt aller Ausfälle (14,8%).<br />

Die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, nach der ersten auch an der zweiten Welle des Alterssurveys teilzunehmen,<br />

hängt nicht nur von Merkmalen der Befragten ab, sondern auch von Merkmalen der Interviewer<br />

<strong>und</strong> der Interviewsituation. Je jünger <strong>in</strong> Welle 1 die befragende im Vergleich zur befragten<br />

Person war, desto unwahrsche<strong>in</strong>licher wurde es, dass die <strong>in</strong>terviewte Person an der nächsten Welle<br />

teilnahm. E<strong>in</strong>e hohe Vorhersagekraft besitzt auch die vom Interviewer zu Protokoll gegebene Antwortbereitschaft<br />

der Befragten. War diese gut, erhöhte sich die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, an der Wiederholungsbefragung<br />

teilzunehmen, auf das 2,2-fache gegenüber e<strong>in</strong>er als mittelmäßig e<strong>in</strong>gestuften<br />

Antwortbereitschaft. In die gleiche Richtung weist die Tatsache, dass das Fehlen des schriftlichen<br />

Fragebogens, der auch im Jahr 1996 nach dem mündlichen Interview ausgefüllt werden sollte, mit<br />

e<strong>in</strong>er auffälligen M<strong>in</strong>derung der Teilnahmewahrsche<strong>in</strong>lichkeit an Welle 2 e<strong>in</strong>her geht. E<strong>in</strong> Verzicht<br />

auf das Ausfüllen des drop-offs ist e<strong>in</strong> klarer Indikator für e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Teilnahmemotivation.<br />

Dies lässt sich auch daran erkennen, dass die Hälfte der <strong>in</strong>sgesamt 804 Befragten, die nach dem<br />

mündlichen Interview ke<strong>in</strong>en schriftlichen Fragebogen mehr ausgefüllt haben, auch ke<strong>in</strong> schriftliches<br />

E<strong>in</strong>verständnis zur Speicherung ihrer Daten für den Fall e<strong>in</strong>er erneuten Befragung erteilten.<br />

Die festgestellten Bef<strong>und</strong>e zum E<strong>in</strong>fluss des Alters der Interviewer sowie der Antwortbereitschaft<br />

der Befragten auf die Teilnahme an e<strong>in</strong>er erneuten Befragung decken sich mit Ergebnissen e<strong>in</strong>er<br />

Untersuchung der Panelteilnahme von Mika (2002). Dort waren dies sogar die stärksten E<strong>in</strong>flussgrößen.<br />

Mika geht deshalb davon aus, dass e<strong>in</strong>e positiv verlaufende Kommunikation während der<br />

ersten Befragung e<strong>in</strong> entscheidendes Merkmal für die Bereitschaft der Interviewten zur Teilnahme<br />

an e<strong>in</strong>er erneuten Befragung ist. Die hier dargestellten Ergebnisse des Alterssurveys weisen ebenfalls<br />

<strong>in</strong> diese Richtung.<br />

47


48<br />

Heribert Engstler, Susanne Wurm<br />

Insgesamt ist jedoch festzuhalten, dass – gemessen am Pseudo-R 2 nach Nagelkerkes – mit allen<br />

aufgeführten unabhängigen Variablen nur e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ger Varianzanteil des Ausfalls e<strong>in</strong>er erneuten<br />

Befragungsteilnahme erklärt werden kann. Ohne den E<strong>in</strong>bezug der Merkmale der Interviewsituation<br />

ist die Erklärungskraft noch ger<strong>in</strong>ger. Dies ist positiv zu bewerten, da es darauf h<strong>in</strong>weist, dass<br />

das Ausfallgeschehen <strong>in</strong>sgesamt als wenig systematisch anzusehen ist. Auch wenn weitere unbeobachtete,<br />

gleichwohl systematische Selektivitäten nicht auszuschließen s<strong>in</strong>d, halten sich die beobachteten<br />

Verzerrungen <strong>in</strong> Grenzen <strong>und</strong> können durch geeignete Verfahren der Datengewichtung<br />

abgemildert werden.<br />

2.3.3 Datengewichtung 5<br />

Ausgangspunkt der Bestimmung e<strong>in</strong>es Gewichts zum Ausgleich systematischer E<strong>in</strong>flüsse auf das<br />

Ausfallgeschehen zwischen Welle 1 <strong>und</strong> Welle 2 bildet das logistische Regressionsmodell, dessen<br />

Ergebnisse <strong>in</strong> Tabelle 2.5 dargestellt wurden. Unter E<strong>in</strong>satz der Regressionskoeffizienten <strong>und</strong> der<br />

<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Ausprägungen der unabhängigen Variablen wurde für jede befragte Person der Welle<br />

1 der Koeffizient p W 2 als vorhergesagte bed<strong>in</strong>gte Teilnahmewahrsche<strong>in</strong>lichkeit an Welle 2 berechnet.<br />

6 Das Gewicht gew W 2 zur Kompensation systematischer Ausfälle entspricht dem Kehrwert<br />

der vorhergesagten Teilnahmewahrsche<strong>in</strong>lichkeit, dividiert durch das arithmetische Mittel dieses<br />

Gewichts bei allen 1524 Teilnehmern der Welle 2.<br />

( 1)<br />

gew =<br />

W 2<br />

1/<br />

x<br />

p<br />

W 2<br />

( 1/<br />

pW 2)<br />

Mittels der Division durch das arithmetische Mittel wird erreicht, dass das Gewicht ke<strong>in</strong>e Hochrechnung<br />

auf die ursprünglichen 4838 Fälle bewirkt, sondern nur e<strong>in</strong>e relative Gewichtung jedes<br />

E<strong>in</strong>zelfalls <strong>in</strong>nerhalb der 1524 Teilnehmer an Welle 2, ohne dass sich bei Anwendung des Gewichts<br />

die Gesamtfallzahl erhöht.<br />

Hauptzweck der Bildung e<strong>in</strong>es Gewichtungsfaktors für die Paneldaten ist der Ausgleich systematischer<br />

Ausfälle zwischen beiden Wellen. Zudem wurde aber für jeden Fall der Basisstichprobe 1996<br />

– <strong>und</strong> damit auch für jeden Panelteilnehmer – bereits e<strong>in</strong> Designgewicht gew W1<br />

zum Ausgleich der<br />

disproportionalen Stichprobenziehung der Welle 1 gebildet, so dass viele Ergebnisse der Welle 1<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage der gewichteten Daten der Basisstichprobe publiziert wurden.<br />

5 Wir danken Dr. habil. Mart<strong>in</strong> Spieß von der SOEP-Gruppe des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung für se<strong>in</strong>e<br />

kompetente Beratung zur Frage der Gewichtung der Panelstichprobe.<br />

6 Dabei wurden auch jene Personen als Nicht-Teilnehmer <strong>in</strong> die Teilnahme-Vorhersage mite<strong>in</strong>bezogen, bei denen bekannt<br />

war, dass ihre Nichtteilnahme mortalitätsbed<strong>in</strong>gt ist. Dies erfolgte, da für e<strong>in</strong>e weitere, unbekannte Zahl von Personen<br />

davon auszugehen ist, dass ihre Nicht-Teilnahme ebenfalls darauf begründet dies, dass diese Personen <strong>in</strong> der<br />

Zwischenzeit verstorben s<strong>in</strong>d. Um zusätzliche Verzerrungen zu vermeiden, zählen somit zu den Nicht-Teilnehmern<br />

auch bekannt wie unbekannt Verstorbene.


Kapitel 2: Datengr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Methodik<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> wurde zur besseren Vergleichbarkeit der Ergebnisse das nach Formel (1) entwickelte<br />

Ausfallgewicht der Panelstichprobe gew W 2 mit dem vorliegenden Designgewicht gew W1<br />

multiplikativ zum Gesamtgewicht gew W1*<br />

W 2 verknüpft.<br />

( 2)<br />

gew W1<br />

* W 2 = gewW<br />

1 * gewW<br />

2<br />

Für die Teilnahme am Interview <strong>und</strong> an der schriftlichen Befragung der Welle 2 s<strong>in</strong>d getrennte<br />

Gewichte berechnet worden. Dabei wurden für die Schätzung der Teilnahmewahrsche<strong>in</strong>lichkeiten<br />

am drop-off die gleichen Prädiktoren e<strong>in</strong>gesetzt wie für die Teilnahme am Interview. 7 Da über 94<br />

Prozent der Interviewten <strong>in</strong> Welle 2 auch den drop-off ausgefüllt haben, unterschieden sich die<br />

Regressionskoeffizienten <strong>in</strong> ihrer Stärke nur ger<strong>in</strong>gfügig. Im Ergebnis reicht die Bandbreite der<br />

Werte des Gewichtungsfaktors gew W1*<br />

W 2 für das Interview von 0,142 bis 5,435 <strong>und</strong> für den dropoff<br />

von 0,135 bis 6,184, bei e<strong>in</strong>em jeweiligen arithmetischen Mittelwert (AM) von „1“. Bandbreite<br />

<strong>und</strong> Streuung (SD) s<strong>in</strong>d beim re<strong>in</strong>en Ausfallgewicht etwas ger<strong>in</strong>ger als beim Gesamtgewicht.<br />

Tabelle 2.6:<br />

Gewichtung der Panelstichprobe<br />

Interview:<br />

Gewicht zum Ausgleich systematischer<br />

Panelausfälle (gewW2)<br />

Gesamtgewicht (gewW1*W2) 1<br />

M<strong>in</strong>. Max. AM SD<br />

0,469 6,850 1 0,547<br />

0,142 5,435 1 0,628<br />

Drop-off:<br />

Gewicht zum Ausgleich systematischer<br />

Panelausfälle (gewW2)<br />

0,466 6,922 1 0,551<br />

Gesamtgewicht (gewW1*W2) 0,135 6,184 1 0,646<br />

1 vgl. Formel (1)<br />

Um e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck von den Auswirkungen der Gewichtung auf die Merkmalsverteilungen zu erhalten,<br />

wird nachfolgend die relative Häufigkeit e<strong>in</strong>iger Merkmale des mündlichen Interviews der<br />

ersten Welle für die 1.524 Panelteilnehmer ungewichtet <strong>und</strong> – mit dem Gesamtgewicht – gewichtet<br />

gegenübergestellt. Ergänzt wird dies durch e<strong>in</strong>en Vergleich mit den gewichteten Daten der Basisstichprobe<br />

von 1996 (siehe Tabelle 2.7). Die Darstellungen machen deutlich, dass die gewichtete<br />

Panelstichprobe <strong>in</strong> wesentlichen Verteilungskriterien vergleichbar ist mit jenen der gewichteten<br />

Basisstichprobe.<br />

7 Bei der Modellierung der logistischen Regression war im H<strong>in</strong>blick auf die Berechnung e<strong>in</strong>es darauf basierenden Ausfallgewichts<br />

zudem darauf geachtet worden, die Bildung von ger<strong>in</strong>g besetzten Extremkategorien zu vermeiden, die den<br />

Gewichtungsfaktor besonders stark nach oben oder unten treiben könnten.<br />

49


50<br />

Heribert Engstler, Susanne Wurm<br />

Bezogen auf die Merkmale Alter, Geschlecht <strong>und</strong> Landesteil wird durch die Gewichtung sowohl<br />

die disproportionale Ziehung der Basisstichprobe als auch – teilweise – der Ausfall zwischen den<br />

beiden Wellen ausgeglichen. Die Verteilung der gewichteten Panelstichprobe weicht daher weniger<br />

von der Basisstichprobe ab als die der ungewichteten Panelstichprobe. Jedoch können <strong>und</strong> sollen<br />

die überdurchschnittlichen Ausfälle der obersten Altersgruppe durch die Gewichtung nur teilweise<br />

kompensiert werden. Sie sollen nicht vollständig kompensiert werden, da schwerkranke, nichtbefragbare<br />

Hochaltrige nicht durch gesündere, befragbare Hochaltrige repräsentiert werden können.<br />

Das im Gesamtgewicht enthaltene Ausfallgewicht zielt statt dessen – um beim gleichen Beispiel<br />

zu bleiben – auf e<strong>in</strong>e verbesserte Repräsentanz der im Jahr 2002 Hochaltrigen mit starken<br />

ges<strong>und</strong>heitlichen Bee<strong>in</strong>trächtigungen, die nicht an der Wiederholungsbefragung teilnehmen konnten<br />

oder wollten, durch jene Hochaltrigen mit starken ges<strong>und</strong>heitlichen Bee<strong>in</strong>trächtigungen, die an<br />

dieser Wiederholungsbefragung teilgenommen haben.<br />

Durch die Gewichtung nähert sich zudem der Anteil der Erwerbstätigen <strong>in</strong> der Panelstichprobe<br />

stärker ihrem Anteil <strong>in</strong> der Basisstichprobe <strong>und</strong> es steigt der Anteil der sonstigen Nicht-<br />

Erwerbstätigen. Die Veränderungen <strong>in</strong> den Anteilen der schulischen <strong>und</strong> beruflichen Abschlüsse<br />

kompensiert teilweise den Mittelschicht-Bias der Panelteilnahme. Bezogen auf das Haushaltse<strong>in</strong>kommen<br />

führt die Gewichtung hauptsächlich zu e<strong>in</strong>em höheren Anteil derjenigen, die ke<strong>in</strong>e Angaben<br />

zur Höhe ihres E<strong>in</strong>kommens gemacht hatten sowie – <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gem Umfang – der Personen mit<br />

niedrigem E<strong>in</strong>kommen. Durch die Gewichtung s<strong>in</strong>kt der Anteil der Personen, die <strong>in</strong> den 12 Monaten<br />

vor der Ersterhebung materielle Hilfen an andere gegeben hatten; er nähert sich dadurch der<br />

Quote <strong>in</strong> der Basisstichprobe.<br />

Bezogen auf den Familienstand, die Haushaltsgröße <strong>und</strong> die K<strong>in</strong>derzahl führt die Gewichtung zu<br />

e<strong>in</strong>er besseren Anpassung an die Anteile <strong>in</strong> der Basisstichprobe. Auffällig ist die Anteilsverschiebung<br />

bei der Netzwerkgröße von den Personen mit 4 <strong>und</strong> mehr zu den mit weniger Netzwerkangehörigen.<br />

Diese Veränderungen <strong>in</strong> der Merkmalsverteilung durch die Gewichtung führen jeweils zu<br />

e<strong>in</strong>er besseren Anpassung an die Ausgangsverteilung <strong>in</strong> der Basisstichprobe.<br />

Die Überrepräsentanz der Personen <strong>in</strong> Welle 2 mit subjektiv gutem <strong>und</strong> sehr gutem Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />

wird durch die Gewichtung beseitigt, ebenso die von Personen mit subjektiv guter <strong>und</strong> sehr<br />

guter Wohnsituation <strong>und</strong> derjenigen, die ihren Lebensstandard als gut oder sehr gut bewerten. Ke<strong>in</strong>en<br />

E<strong>in</strong>fluss hat die Gewichtung auf den Partizipations<strong>in</strong>dikator der Mitgliedschaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er – nicht<br />

seniorenspezifischen – Organisation oder Gruppe.<br />

Insgesamt kann festgehalten werden, dass bei Gewichtung die Struktur der Panelstichprobe (Welle<br />

1) mehr der Ausgangsstruktur <strong>in</strong> Welle 1 entspricht. Verzerrungen durch systematische Ausfälle<br />

zwischen den beiden Wellen werden <strong>in</strong> etwa kompensiert <strong>und</strong> bei H<strong>in</strong>zunahme des Designgewichts<br />

auch die disproportionale Ziehung der Basisstichprobe ausgeglichen. Die Verwendung gewichteter<br />

Daten der Panelstichprobe sollte jedoch allgeme<strong>in</strong>en deskriptiven Darstellungen <strong>und</strong> Vergleichen<br />

vorbehalten se<strong>in</strong>. Bei multivariaten Analysen kann darauf verzichtet werden. Dort sollten statt dessen<br />

Merkmale mit starkem systematischen E<strong>in</strong>fluss auf die Teilnahmewahrsche<strong>in</strong>lichkeit an der<br />

zweiten Welle sowie die Merkmale, nach denen die Basisstichprobe geschichtet wurde, zur statistischen<br />

Kontrolle <strong>in</strong> die jeweiligen Analysen e<strong>in</strong>bezogen werden.


Kapitel 2: Datengr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Methodik<br />

Tabelle 2.7:<br />

Ungewichtete <strong>und</strong> gewichtete Merkmalsverteilung <strong>in</strong> der Panelstichprobe 1996 im Vergleich zur<br />

Basisstichprobe 1996 (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

Merkmal (Ausprägung im Jahr 1996 zum<br />

Zeitpunkt der Erstbefragung)<br />

Panelstichprobe<br />

(ungewichtet)<br />

N=1524<br />

Panelstichprobe<br />

(gewichtet) 1<br />

N=1524<br />

Basisstichprobe<br />

(gewichtet) 2<br />

N=4838<br />

Geschlecht:<br />

Männlich 53,3 49,2 48,0<br />

Weiblich 46,7 50,8 52,0<br />

Landesteil:<br />

Früheres B<strong>und</strong>esgebiet 63,8 80,1 80,9<br />

Neue Länder <strong>und</strong> Berl<strong>in</strong>-Ost 36,2 19,9 19,1<br />

Alter <strong>in</strong> Jahren:<br />

40 – 54 44,5 47,6 45,6<br />

55 – 69 38,6 36,5 36,4<br />

70 – 85 16,9 16,0 18,0<br />

Erwerbsstatus:<br />

Erwerbstätig (ohne Erw. im Ruhestand) 49,3 47,8 46,9<br />

Im Ruhestand (<strong>in</strong>kl. Erw. im Ruhestand) 32,2 29,6 31,4<br />

Sonstige Nicht-Erwerbstätige 18,4 22,6 21,7<br />

Höchster Schulabschluss:<br />

Bis Hauptschule 53,3 59,8 62,1<br />

Mittlere oder FHS-Reife 29,5 26,8 25,0<br />

Abitur, Hochschulreife 17,2 13,4 12,9<br />

Höchster Berufsausbildungsabschluss:<br />

Nicht-Akademische Ausbildung 68,7 68,0 67,7<br />

Abgeschlossenes Studium 20,3 15,4 14,5<br />

Ke<strong>in</strong> Abschluss, ke<strong>in</strong>e Angabe 11,0 16,6 17,8<br />

Haushaltse<strong>in</strong>kommen (<strong>in</strong> DM):<br />

1 – 1799 5,2 6,9 7,7<br />

1800 – 2499 10,7 10,7 11,4<br />

2500 – 3499 22,0 21,4 20,2<br />

3500 <strong>und</strong> höher 54,9 49,1 47,9<br />

Ke<strong>in</strong>e Angabe 7,3 12,0 12,8<br />

Familienstand:<br />

Ledig 4,0 4,7 5,6<br />

Verheiratet Zusammenlebend 79,8 76,8 75,4<br />

Getrenntlebend, geschieden 7,3 8,0 7,4<br />

Verwitwet 8,9 10,5 11,5<br />

51


Tabelle 2.7 (fortgesetzt; Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

Merkmal (Ausprägung im Jahr 1996 zum Zeitpunkt<br />

der Erstbefragung)<br />

52<br />

Panelstichprobe<br />

(ungewichtet)<br />

Heribert Engstler, Susanne Wurm<br />

Panelstichprobe<br />

(gewichtet) 1<br />

Basisstichprobe<br />

(gewichtet) 2<br />

Haushaltsgröße (Personenzahl):<br />

1 12,5 14,7 16,2<br />

2 49,0 45,5 44,4<br />

3 18,5 19,5 19,1<br />

4 <strong>und</strong> mehr 20,0 20,3 20,4<br />

K<strong>in</strong>derzahl:<br />

0 11,2 13,0 13,1<br />

1 23,8 23,0 22,1<br />

2 39,0 37,9 38,5<br />

3 16,9 16,5 16,3<br />

4 <strong>und</strong> mehr 9,2 9,5 9,9<br />

Netzwerkgröße (Personenzahl):<br />

0 6,0 7,8 7,5<br />

1 6,0 7,1 7,6<br />

2 10,7 13,1 12,0<br />

3 13,8 14,9 14,6<br />

4 <strong>und</strong> mehr 61,0 53,9 54,4<br />

Ke<strong>in</strong>e Angabe 2,5 3,3 3,8<br />

Mitgliedschaft <strong>in</strong> nicht-seniorenspezifischer<br />

Gruppe oder Organisation:<br />

Ja 53,5 53,8 48,9<br />

Ne<strong>in</strong>, k.A. 46,5 46,2 51,1<br />

Gegebene materielle Hilfe an andere<br />

<strong>in</strong> den letzten 12 Monaten:<br />

Ja 36,5 33,7 30,7<br />

Ne<strong>in</strong>, weiß nicht, k.A. 63,5 66,3 69,3<br />

Subjektive Ges<strong>und</strong>heit:<br />

Gut, sehr gut 60,4 56,8 56,4<br />

Mittel 32,0 33,0 32,3<br />

Schlecht, sehr schlecht 7,6 10,2 11,3<br />

Subjektive Wohnsituation:<br />

Gut, sehr gut 87,9 84,1 84,2<br />

Mittel 9,3 11,7 12,1<br />

Schlecht, sehr schlecht 2,9 4,2 3,7<br />

Subjektive Bewertung d. Lebensstandards:<br />

Gut, sehr gut 69,2 65,6 64,8<br />

Mittel 27,4 29,8 30,6<br />

Schlecht, sehr schlecht 3,4 4,6 4,7<br />

1 Gewichtet mit dem Gesamtgewicht gewW1*W2; 2 Gewichtet mit dem Designgewicht gewW1.


Kapitel 2: Datengr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Methodik<br />

2.4 Die Replikationsstichprobe<br />

2.4.1 Stichprobenbeschreibung <strong>und</strong> -ausschöpfung<br />

Das Stichprobendesign der Replikationsstichprobe 2002 folgt weitgehend dem der Basisstichprobe<br />

von 1996. Die Replikationsstichprobe ist erneut e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wohnermeldeamtsstichprobe <strong>und</strong> zwar <strong>in</strong><br />

den selben Geme<strong>in</strong>den wie 1996 8 . Gr<strong>und</strong>gesamtheit ist wiederum die 40- bis 85-jährige Bevölkerung<br />

<strong>in</strong> Privathaushalten. Da zusätzlich e<strong>in</strong>e ungeschichtete Ausländerstichprobe geplant war, wurde<br />

vom <strong>in</strong>fas-Institut bei den Geme<strong>in</strong>den zunächst e<strong>in</strong> Adresspool von ca. 60.000 E<strong>in</strong>wohnern im<br />

Alter von 40 bis 85 Jahren gezogen, dessen Größe sich an der als notwendig erwarteten Adressenzahl<br />

zur Realisierung e<strong>in</strong>er Ausländerstichprobe von ca. 900 Interviews mit Nicht-Deutschen orientierte.<br />

Dieser per Zufallsauswahl gezogene Adresspool wurde anhand der von den Geme<strong>in</strong>den mitgelieferten<br />

Informationen zur Staatsangehörigkeit der Personen unterteilt <strong>in</strong> den Pool der Deutschen<br />

<strong>und</strong> den der Nicht-Deutschen. Die Ziehung der Bruttostichprobe für die Replikationsstichprobe<br />

erfolgte aus dem Pool der Deutschen 9 entsprechend der beabsichtigten disproportionalen<br />

Stratifizierung (Verteilung der drei Altersgruppen zu je e<strong>in</strong>em Drittel, gleiche Anteile von<br />

Männern <strong>und</strong> Frauen, Verteilung Ost/West: zwei Drittel zu e<strong>in</strong> Drittel). Da angestrebt wurde, <strong>in</strong>sgesamt<br />

ca. 3.000 Interviews zu realisieren, folgten auf die Zufallsziehung der ersten E<strong>in</strong>satztranche,<br />

für e<strong>in</strong>zelne der zwölf Ziehungszellen bis zu zwei weitere Zufallsziehungen, nachdem sich zeigte,<br />

dass die angestrebte Fallzahl mit der ersten Tranche nicht erreicht werden konnte 10 . Insgesamt ergab<br />

sich e<strong>in</strong>e Bruttostichprobe von 8.826 Zielpersonen. Ohne die neutralen Ausfälle der an der mitgeteilten<br />

Adresse nicht erreichbaren oder im Heim lebenden Zielpersonen beträgt die bere<strong>in</strong>igte Bruttostichprobe<br />

8.164 Personen (Tabelle 2.8).<br />

Ingesamt konnten 5.011 der 8.164 Zielpersonen nicht befragt werden, 124 Interviews erwiesen sich<br />

als nicht auswertbar. Hauptausfallgr<strong>und</strong> war die Verweigerung der Teilnahme durch die Zielperson<br />

oder durch die Kontaktperson des Haushalts. R<strong>und</strong> 600 Personen konnten wegen dauerhafter Erkrankung<br />

oder starker Beh<strong>in</strong>derung nicht an der Untersuchung teilnehmen.<br />

Erst nach Erhalt der ersten Interviews stellte sich heraus, dass die altersbezogene Auswahl der<br />

Replikationsstichprobe ger<strong>in</strong>gfügig von der altersbezogenen Auswahl der Basisstichprobe abwich.<br />

Während <strong>in</strong> die Basiserhebung Personen e<strong>in</strong>bezogen wurden, die im Laufe des Erhebungsjahrs,<br />

jedoch nicht unbed<strong>in</strong>gt vor dem Interviewzeitpunkt den Term<strong>in</strong> ihres 40. bis 85. Geburtstages hatten,<br />

waren für die Replikationsstichprobe (<strong>und</strong> die Ausländerstichprobe) Personen ausgewählt worden,<br />

die im Jahr vor der Erhebung das 40. bis 85. Lebensjahr vollendet hatten, also mit diesem<br />

vollendeten Alter <strong>in</strong> das Erhebungsjahr g<strong>in</strong>gen. Konkret bedeutete dies, dass für die Erhebung 1996<br />

die Geburtsjahrgänge 1911 bis 1956, für die Erhebung 2002 die Geburtsjahrgänge 1916 bis 1961<br />

8 Aufgr<strong>und</strong> von Geme<strong>in</strong>dereformen <strong>in</strong> Ostdeutschland waren drei ehemals eigenständige Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> größere, ebenfalls<br />

<strong>in</strong> der Stichprobe enthaltene Orte e<strong>in</strong>geme<strong>in</strong>det worden. Die Zahl der Geme<strong>in</strong>den verr<strong>in</strong>gerte sich dadurch von<br />

290 auf 287.<br />

9 Nach Auskunft von <strong>in</strong>fas mussten nur 235 Personen (0,4%) vor dieser Ziehung aus der Gr<strong>und</strong>gesamtheit der r<strong>und</strong><br />

57.100 Deutschen entfernt werden, da sie bereits an der ersten Welle teilgenommen hatten.<br />

10 Für weitere Details der Stichprobenziehung siehe <strong>in</strong>fas (2003).<br />

53


54<br />

Heribert Engstler, Susanne Wurm<br />

gezogen wurden. Aus Gründen der Vergleichbarkeit der Ergebnisse zwischen Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe<br />

wurde daher entschieden, die 1962 Geborenen <strong>in</strong> die Untersuchung aufzunehmen<br />

<strong>und</strong> die 19 Befragten des Jahrgangs 1916 aus dem Sample zu entfernen. Es kam daher zur zusätzlichen<br />

Ziehung von Angehörigen des Geburtsjahrgangs 1962 <strong>und</strong> der Realisierung von 74 Interviews<br />

mit Deutschen dieses Jahrgangs. 11 Insgesamt liegen 3.084 Interviews mit Angehörigen der Geburtsjahrgänge<br />

1917 bis 1962 vor. 2,4 Prozent davon entfallen auf den jüngsten Jahrgang. Von den Interviewten<br />

haben 2.787 (=90,4%) auch den schriftlichen Fragebogen ausgefüllt.<br />

Im bivariaten Vergleich der beiden Geschlechter, der drei Altersgruppen <strong>und</strong> der beiden Landesteile<br />

kam es zu e<strong>in</strong>er leicht unterdurchschnittlichen Ausschöpfung bei den Frauen, den Älteren <strong>und</strong><br />

westdeutschen Befragten. Der Ost-West-Unterschied erwies sich jedoch <strong>in</strong> der logistischen Regressionsanalyse<br />

der Befragungsteilnahme als statistisch nicht signifikant.<br />

Tabelle 2.8:<br />

Ausschöpfung der Replikationsstichprobe<br />

Zeile Population Anzahl<br />

1 = Bruttostichprobe (Jahrgänge 1916-1961) 8.826<br />

2 – Neutrale Ausfälle<br />

- 662<br />

darunter:<br />

ZP verstorben: 82<br />

ZP unbekannt: 504<br />

ZP im Heim: 39<br />

ZP/HH spricht nicht deutsch: 19<br />

3 = Bere<strong>in</strong>igter Stichprobenansatz 8.164<br />

4 - Systematische Ausfälle<br />

- 5.011<br />

darunter:<br />

Ke<strong>in</strong> Kontakt zum Haushalt: 421<br />

ZP verweigert: 3.436<br />

ZP dauerhaft krank: 440<br />

ZP stark beh<strong>in</strong>dert: 158<br />

Interview durch Dritte verh<strong>in</strong>dert: 513<br />

5 = Durchgeführte mündliche Interviews 3.153<br />

6 – Nicht auswertbare Interviews - 124<br />

7 = Auswertbare mündl. Interviews (Jahrgänge 1916-1961)<br />

3.029<br />

<strong>in</strong> % von Zeile 3 (Bere<strong>in</strong>igte Bruttostichprobe)<br />

37,1%<br />

8 + Nacherhobene Interviews beim Jahrgang 1962 + 74<br />

9 – Ausgeschlossene Interviews des Jahrgangs 1916 1 - 19<br />

10 = Auswertbare mündl. Interviews (Jahrgänge 1917-1962) 3.084<br />

Quelle: <strong>in</strong>fas 2003; 1 nicht zur Zielgruppe gehörende 86-Jährige<br />

11 Näheres hierzu <strong>in</strong> <strong>in</strong>fas (2003).


Kapitel 2: Datengr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Methodik<br />

2.4.2 Datengewichtung<br />

Zum Ausgleich der disproportionalen Ziehung der Replikationsstichprobe wurde von <strong>in</strong>fas – wie <strong>in</strong><br />

Welle 1 – e<strong>in</strong>e Gewichtungsvariable zur Designgewichtung der Daten gebildet. Die vorgenommene<br />

Gewichtung besteht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Randanpassung der Stichprobe an die relative Häufigkeit der 12 Merkmalskomb<strong>in</strong>ationen<br />

aus Altersgruppe, Geschlecht <strong>und</strong> Landesteil an die Verteilung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Referenzstatistik.<br />

Dieser Gewichtungsrahmen ist – ebenfalls wie <strong>in</strong> Welle 1 – die Statistik der Bevölkerungsfortschreibung<br />

des Statistischen B<strong>und</strong>esamts. Basis ist der Bevölkerungsstand am 31.12.2001.<br />

Die Geschlechts- <strong>und</strong> Altersgruppenverteilung sowie die Anteile ost- <strong>und</strong> westdeutscher Personen<br />

<strong>in</strong> der Replikationsstichprobe entspricht daher bei Anwendung der Gewichtungsfaktoren exakt der<br />

Verteilung <strong>in</strong> der deutschen Bevölkerung am Jahresende 2001. Es wurde e<strong>in</strong>e getrennte Gewichtung<br />

für mündliche Interviews <strong>und</strong> schriftliche Fragebögen erstellt. Die Bandbreite des Gewichtungsfaktors<br />

für das Interview reicht von 0,288 bis 1,578 mit dem Mittelwert 1 <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Standardabweichung<br />

von 0,384.<br />

Tabelle 2.9:<br />

Designgewichtung (Interview) der Replikationsstichprobe<br />

Landesteil Geschlecht<br />

40-54 55-69 70-85<br />

West<br />

männlich<br />

weiblich<br />

1,578<br />

1,370<br />

1,242<br />

1,320<br />

0,602<br />

1,038<br />

Ost<br />

Altersgruppe 1<br />

männlich 0,715 0,636 0,288<br />

weiblich 0,776 0,727 0,494<br />

Quelle: <strong>in</strong>fas; 1 Alter = Erhebungsjahr m<strong>in</strong>us Geburtsjahr<br />

Der E<strong>in</strong>satz der Gewichtung ist vor allem für allgeme<strong>in</strong>e deskriptive Darstellungen <strong>und</strong> Aussagen<br />

notwendig, da die Gesamtergebnisse sonst zu stark vom überproportionalen E<strong>in</strong>bezug der Personen<br />

zwischen 70 <strong>und</strong> 85 Jahren sowie der ostdeutschen Befragten bee<strong>in</strong>flusst werden. Bei Analysen, <strong>in</strong><br />

denen e<strong>in</strong>e Differenzierung nach diesen drei Stratifizierungsmerkmalen erfolgt, kann auf e<strong>in</strong>e Gewichtung<br />

der Replikationsstichprobe verzichtet werden.<br />

55


2.5 Die Ausländerstichprobe<br />

2.5.1 Stichprobenbeschreibung <strong>und</strong> –ausschöpfung<br />

56<br />

Heribert Engstler, Susanne Wurm<br />

Als Neuerung gegenüber Welle 1 enthält der Alterssurvey des Jahres 2002 neben der Panel- <strong>und</strong><br />

der Replikationsstichprobe auch e<strong>in</strong>e Stichprobe Nicht-Deutscher, die im weiteren der E<strong>in</strong>fachheit<br />

halber als Ausländerstichprobe bezeichnet wird. Angestrebt wurde e<strong>in</strong>e Nettostichprobe von ca.<br />

900 Interviews mit <strong>in</strong> Privathaushalten lebenden Personen im Alter von 40 bis 85 Jahren, die nicht<br />

die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Da für die Befragung die gleichen deutschsprachigen<br />

Fragebögen wie für die Replikationsstichprobe e<strong>in</strong>gesetzt wurden, war die Voraussetzung e<strong>in</strong>er<br />

erfolgreichen Teilnahme das ausreichende Beherrschen der deutschen Sprache oder die Unterstützung<br />

durch e<strong>in</strong>e Person, die des Deutschen ausreichend mächtig waren <strong>und</strong> Übersetzungshilfe leisten<br />

konnte. Damit umfasste die Gr<strong>und</strong>gesamtheit die 40- bis 85-jährigen Nicht-Deutschen <strong>in</strong> Privathaushalten<br />

mit ausreichenden Deutsch-Kenntnissen.<br />

Die Auswahl der Bruttostichprobe erfolgte durch e<strong>in</strong>e Zufallsziehung aus den Registern der E<strong>in</strong>wohnermeldeämter<br />

jener Geme<strong>in</strong>den, die auch die Adressen für die Replikationsstichprobe lieferten.<br />

Wie bereits beschrieben, erfolgte die Adressziehung <strong>in</strong> den Geme<strong>in</strong>den aus Kostengründen als<br />

e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Zufallsauswahl der 40- bis 85-Jährigen. Die Gesamtzahl war so hoch angesetzt<br />

worden, dass der Erwartungswert der dar<strong>in</strong> enthaltenen Zahl der Nicht-Deutschen ausreichen sollte,<br />

die angestrebte Zahl von ca. 900 Interviews zu realisieren. Tatsächlich enthielt der Adressenpool<br />

3.255 Personen, die nach Angaben der E<strong>in</strong>wohnermeldeämter Nicht-Deutsche waren. Diese 3.255<br />

Personen bildeten die Bruttostichprobe des Ausländer-Sample.<br />

Wie erwartet waren viele davon unter der angegebenen Adresse nicht erreichbar. Es ist bekannt,<br />

dass die Daten der E<strong>in</strong>wohnermeldeämter bei Ausländern <strong>in</strong> höherem Maße als bei Deutschen nicht<br />

auf dem aktuellen Stand s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong> dafür s<strong>in</strong>d unterbliebene Abmeldungen bei Rückkehr <strong>in</strong><br />

das Herkunftsland. E<strong>in</strong> weiterer Gr<strong>und</strong> für die im Vergleich zu den Deutschen häufigere Nichterreichbarkeit<br />

älterer Ausländer dürfte die Pendelmigration mit abwechselnden längeren Aufenthalten<br />

im In- <strong>und</strong> Ausland se<strong>in</strong>. 17,1 Prozent der Zielpersonen der Ausländerstichprobe konnten nicht<br />

befragt werden, da sie unter der angegebenen Adresse nicht bekannt waren (vgl. Tabelle 2.10).<br />

Zum Vergleich: In der Replikationsstichprobe betrug dieser Anteil nur 5,7 Prozent (vgl. Tabelle<br />

2.8). E<strong>in</strong> weiterer zahlenmäßig bedeutsamer Ausfallgr<strong>und</strong> waren mangelnde Deutschkenntnisse: 10<br />

Prozent der 3.255 Zielpersonen der Ausländerstichprobe konnten explizit mit der Begründung nicht<br />

befragt werden, dass sie ke<strong>in</strong> deutsch verstehen bzw. sprechen. Diese wurden als neutrale Ausfälle<br />

e<strong>in</strong>gestuft. Unter Abzug aller neutralen Ausfälle verr<strong>in</strong>gerte sich die Bruttostichprobe auf e<strong>in</strong>en<br />

bere<strong>in</strong>igten Ansatz von 2.343 Personen. Davon konnten 628 <strong>in</strong>terviewt werden, von denen 40 jedoch<br />

nicht auswertbar waren. Insgesamt konnten damit trotz e<strong>in</strong>es hohen Bruttoansatzes nur 588<br />

auswertbare Interviews realisiert werden. Dies s<strong>in</strong>d deutlich weniger als geplant <strong>und</strong> nur 25,1 Prozent<br />

der bere<strong>in</strong>igten Bruttostichprobe.


Kapitel 2: Datengr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Methodik<br />

Im Vergleich zur Replikationsstichprobe ist der <strong>in</strong> der Ausländerstichprobe hohe Anteil nicht realisierbarer<br />

Interviews wegen nicht erreichter Kontaktherstellung (trotz mehrmonatiger Feldzeit) auffällig<br />

(31,5 vs. 5,2% der bere<strong>in</strong>igten Bruttostichprobe). H<strong>in</strong>gegen liegt der Verweigereranteil mit<br />

32,7 Prozent bei den Ausländern unter dem entsprechenden Anteil der Deutschen (42,1 Prozent).<br />

Auch Ausfälle wegen dauerhafter Krankheit oder starker Beh<strong>in</strong>derung kommen <strong>in</strong> der Ausländerstichprobe<br />

prozentual seltener vor als <strong>in</strong> der Replikationsstichprobe (2,2 vs. 7,3%), was auf den<br />

ger<strong>in</strong>geren Anteil Hochaltriger zurückzuführen se<strong>in</strong> dürfte.<br />

Tabelle 2.10:<br />

Ausschöpfung der Ausländerstichprobe<br />

Zeile Population Anzahl<br />

1 = Bruttostichprobe (Jahrgänge 1916-1961) 3.255<br />

2 – Neutrale Ausfälle<br />

- 912<br />

darunter:<br />

Zielperson verstorben: 15<br />

Zielperson unbekannt: 559<br />

Zielperson im Heim: 9<br />

Zielperson/Haushalt spricht nicht deutsch: 326<br />

3 = Bere<strong>in</strong>igter Stichprobenansatz 2.343<br />

4 – Systematische Ausfälle<br />

- 1.715<br />

darunter:<br />

Ke<strong>in</strong> Kontakt zum Haushalt: 738<br />

Zielperson verweigert: 767<br />

Zielperson dauerhaft krank: 43<br />

Zielperson stark beh<strong>in</strong>dert: 9<br />

Interview durch Dritte verh<strong>in</strong>dert: 149<br />

5 = Durchgeführte mündliche Interviews 628<br />

6 – Nicht auswertbare Interviews - 40<br />

7 = Auswertbare mündl. Interviews (Jahrgänge 1916-1961)<br />

588<br />

<strong>in</strong> % von Zeile 3 (Bere<strong>in</strong>igte Bruttostichprobe)<br />

25,1%<br />

8 + Nacherhobene Interviews beim Jahrgang 1962 6<br />

9 – Ausgeschlossenes Interview des Jahrgangs 1916 1 - 1<br />

10 – Ausgeschlossene Interviews Deutscher 2<br />

7<br />

11 = Auswertbare mündl. Interviews (Jahrgänge 1917-1962) 586<br />

Quelle: <strong>in</strong>fas 2003<br />

1<br />

nicht zur Zielgruppe gehörende 86-jährige Person<br />

2<br />

Personen, die anhand ihrer Interviewangaben mit hoher Plausibilität Deutsche ohne ausländische Herkunft s<strong>in</strong>d<br />

(vgl. Kapitel 2.5.2)<br />

57


58<br />

Heribert Engstler, Susanne Wurm<br />

Wegen der gleichen Geburtsjahrvorgaben für die Adressziehung wie bei der Replikationsstichprobe<br />

(siehe Kapitel 2.4.1), wurde auch für die Ausländerstichprobe e<strong>in</strong>e Nachziehung <strong>und</strong> Erhebung bei<br />

den 1962 Geborenen durchgeführt. Es wurden sechs Interviews nacherhoben <strong>und</strong> das Interview<br />

e<strong>in</strong>er 1916 geborenen Person gestrichen. Zudem wurden sieben nachträglich wegen erheblicher<br />

Zweifel an der Zugehörigkeit zur Stichprobe der Nicht-Deutschen ausgeschlossen (siehe Kapitel<br />

2.5.2). Damit stehen für die Auswertung der Ausländerstichprobe <strong>in</strong>sgesamt 586 mündliche Interviews<br />

zur Verfügung. Von diesen 586 Personen haben 484 Befragte (82,6 Prozent) auch den<br />

schriftlichen Fragebogen ausgefüllt.<br />

E<strong>in</strong>e zusätzlich erfolgte, nach Altersgruppen, Geschlecht <strong>und</strong> Landesteil differenzierte, Betrachtung<br />

der neutralen <strong>und</strong> systematischen Ausfälle <strong>in</strong> der Ausländerstichprobe lässt folgendes erkennen:<br />

• Die neutralen Ausfälle kamen bei Männern per Saldo etwas häufiger vor als bei Frauen, da die<br />

Adressen der Männer seltener gültig waren, während Frauen häufiger wegen der Sprachprobleme<br />

nicht <strong>in</strong>terviewt werden konnten. Der Gesamtanteil systematischer Ausfälle – bezogen<br />

auf die bere<strong>in</strong>igte Bruttostichprobe – ist bei beiden Geschlechtern h<strong>in</strong>gegen nahezu gleich<br />

hoch.<br />

• Von den drei Altersgruppen wies die mittlere Gruppe der 55- bis 69-Jährigen den höchsten<br />

Anteil neutraler Ausfälle auf, vor allem wegen größerer Adressprobleme <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em überdurchschnittlichen<br />

Anteil nicht deutsch sprechender Zielpersonen. Auch der Anteil systematischer<br />

Ausfälle war <strong>in</strong> der mittleren Altersgruppe etwas höher. Am ger<strong>in</strong>gsten war er – trotz mehr<br />

Ausfällen aufgr<strong>und</strong> von Krankheit <strong>und</strong> Beh<strong>in</strong>derung – <strong>in</strong> der obersten Altersgruppe. Gr<strong>und</strong> dafür<br />

ist die ger<strong>in</strong>gere Verweigerungsquote der 70- bis 85-Jährigen.<br />

• In Ostdeutschland war aufgr<strong>und</strong> der größeren Adressprobleme <strong>und</strong> von anteilig mehr Fällen<br />

mit nicht ausreichenden Sprachkenntnissen der Anteil neutraler Ausfälle deutlich höher als im<br />

Westen. Systematische Ausfälle kamen – bezogen auf die um neutrale Ausfälle bere<strong>in</strong>igte<br />

Stichprobe – <strong>in</strong> den neuen Ländern h<strong>in</strong>gegen seltener vor als <strong>in</strong> den alten B<strong>und</strong>esländern.<br />

Ohne die nacherhobenen <strong>und</strong> nachträglich entfernten Interviews ergaben sich die nachfolgend <strong>in</strong><br />

Tabelle 2.11 dargestellten Ausschöpfungsquoten.<br />

Dabei zeigt sich, dass es kaum Unterschiede <strong>in</strong> der Ausschöpfung gibt, vergleicht man Personen<br />

unterschiedlicher Altersgruppen, Geschlechter bzw. Regionen (Ost/West). H<strong>in</strong>sichtlich der unbere<strong>in</strong>igten<br />

Bruttostichprobe (Ergebnisspalte 1) gibt es e<strong>in</strong>e leichte Unterrepräsentanz der mittleren<br />

Altersgruppe (55-69 Jahre). Auffällige regionale Unterschiede zeigen sich <strong>in</strong> der bere<strong>in</strong>igten Bruttostichprobe.<br />

Hier lag die Ausschöpfungsquote der ostdeutschen Länder deutlich höher als jene der<br />

westdeutschen B<strong>und</strong>esländer.<br />

Für die Ausländerstichprobe wurde ke<strong>in</strong>e Gewichtungsvariable gebildet, da die Ziehung dieser<br />

Stichprobe im Unterschied zur Replikationsstichprobe nicht disproportional erfolgte.


Kapitel 2: Datengr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Methodik<br />

Tabelle 2.11: Ausschöpfung der Ausländerstichprobe nach Geschlecht, Alter <strong>und</strong> Landesteil<br />

Population Unbere<strong>in</strong>igte<br />

Bruttostichprobe<br />

Ausschöpfungsquote <strong>in</strong> Prozent 1<br />

Bere<strong>in</strong>igte<br />

Bruttostichprobe<br />

Geschlecht<br />

Männer 17,9 25,2<br />

Frauen 18,3 25,0<br />

Alter<br />

40 bis 54 Jahre 18,5 25,0<br />

55 bis 69 Jahre 17,1 25,0<br />

70 bis 85 Jahre 18,6 26,2<br />

Landesteil<br />

Neue Länder <strong>und</strong> Berl<strong>in</strong>-Ost 18,9 34,2<br />

Alte Länder <strong>und</strong> Berl<strong>in</strong>-West 18,0 24,6<br />

Gesamt 18,1 25,1<br />

Quelle: <strong>in</strong>fas 2003; eigene Berechnungen; 1 ohne Berücksichtigung der Nacherhebung.<br />

2.5.2 Zum Ausländerstatus der Befragten<br />

Wie im vorherigen Kapitel beschrieben, wurde die Gesamtmenge der von den E<strong>in</strong>wohnermeldeämtern<br />

gezogenen Adressen anhand der von den Ämtern mitgelieferten Informationen zur Staatsangehörigkeit<br />

<strong>in</strong> die beiden Adressgruppen der Deutschen (als Basis für die Replikationsstichprobe) <strong>und</strong><br />

der Nicht-Deutschen (als Basis für die Ausländerstichprobe) unterteilt. Kriterium für die Ziehung<br />

<strong>in</strong> der Ausländerstichprobe war das Fehlen e<strong>in</strong>er deutschen Staatsangehörigkeit (zum Zeitpunkt der<br />

Adressziehung).<br />

Im mittleren Teil des Interviews wurden alle Befragte auch nach ihren aktuellen Staatsangehörigkeiten<br />

befragt. 129 der 593 Personen (e<strong>in</strong>schließlich der danach ausgeschlossenen Fälle) haben<br />

dabei angegeben, im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit zu se<strong>in</strong>, darunter 36 Personen, die<br />

nach eigener Aussage noch e<strong>in</strong>e andere Staatsangehörigkeit besitzen. Diese festgestellten Diskrepanzen<br />

zwischen der Stichprobenzuordnung <strong>und</strong> den Selbstangaben können verschiedene Ursachen<br />

haben. Es könnten die übermittelten Angaben der Meldeämter fehlerbehaftet oder zum Zeitpunkt<br />

des Interviews wegen zwischenzeitlich erfolgter E<strong>in</strong>bürgerungen veraltet gewesen se<strong>in</strong>. Es können<br />

aber auch Fehler bei der Beantwortung der Frage vorliegen. Beispielsweise kann rechtlich die deutsche<br />

Staatsangehörigkeit fehlen, aber die befragte Person sich nach ihrem subjektiven Verständnis<br />

als Deutsche verstehen. Welche Ursache im E<strong>in</strong>zelfall vorliegt, kann im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> nicht festgestellt<br />

werden. 12 Durch das H<strong>in</strong>zuziehen weiterer Angaben der Befragten lassen sich jedoch Plausibi-<br />

12 E<strong>in</strong>e Nachfrage bei den Befragten war aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich. Der Datenschutz verbietet<br />

es entsprechend auch, den E<strong>in</strong>wohnermeldeämtern Informationen über Angaben der Interviewten zu geben, auch nicht<br />

zur Klärung von Diskrepanzen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er möglichen Beseitigung von Fehlern im Register.<br />

59


60<br />

Heribert Engstler, Susanne Wurm<br />

litätsannahmen für die Gültigkeit der im Interview angegebenen deutschen Staatsangehörigkeit<br />

f<strong>in</strong>den. Der Großteil der 129 Fälle mit angegebener deutscher Staatsangehörigkeit wurde e<strong>in</strong>er<br />

E<strong>in</strong>zelfallprüfung unterzogen. Anhand der Angaben zur Teilnahme an der B<strong>und</strong>estagswahl 1998,<br />

der Nationalität der Eltern, dem Land der Geburt <strong>und</strong> des Aufwachsens der Befragten <strong>und</strong> – bei<br />

E<strong>in</strong>gewanderten – dem Jahr ihres Zuzugs nach Deutschland wurden die <strong>in</strong> Tabelle 2.12 aufgeführten<br />

Gruppen unterschieden. Nach genauer Prüfung wurden die sieben Angehörigen der Gruppe 1<br />

nachträglich aus der Stichprobe entfernt, da sie mit hoher Plausibilität von Geburt an oder seit vielen<br />

Jahren Deutsche s<strong>in</strong>d.<br />

Tabelle 2.12:<br />

Ausgewählte Zusatzangaben von 129 Personen der Ausländerstichprobe mit angegebener<br />

deutscher Staatsangehörigkeit*<br />

Gruppe Teilnahme an<br />

B<strong>und</strong>estagswahl<br />

1998?<br />

M<strong>in</strong>d. e<strong>in</strong><br />

deutsches<br />

Elternteil?<br />

Nur dtsch.<br />

Staatsangehörigkeit?<br />

In Dtschld.<br />

oder früheren<br />

Ostgebieten<br />

geboren?<br />

In Dtschld./<br />

früheren Ostgebietenaufgewachsen?<br />

Seit wann <strong>in</strong><br />

Dtschld. (wenn<br />

woanders<br />

geboren)<br />

1 ja ja ja ja ja – 7<br />

2 ja ja ja ja ne<strong>in</strong> m<strong>in</strong>d. 10 J. 1<br />

3 ja ja ja ne<strong>in</strong> ne<strong>in</strong> m<strong>in</strong>d. 10 J. 10<br />

4 ja ja ja ne<strong>in</strong> ne<strong>in</strong> unter 10 J. 3<br />

5 ja ja ne<strong>in</strong> ja – – 2<br />

6 ja ja ne<strong>in</strong> ne<strong>in</strong> ne<strong>in</strong> m<strong>in</strong>d. 10 J. 2<br />

7 ja ja ne<strong>in</strong> ne<strong>in</strong> ne<strong>in</strong> unter 10 J. 1<br />

8 ja ne<strong>in</strong> ja ja – – 3<br />

9 ja ne<strong>in</strong> ja ne<strong>in</strong> ja m<strong>in</strong>d. 10 J. 1<br />

10 ja ne<strong>in</strong> ja ne<strong>in</strong> ne<strong>in</strong> m<strong>in</strong>d. 10 J. 11<br />

11 ja ne<strong>in</strong> ja ne<strong>in</strong> ne<strong>in</strong> unter 10 J. 6<br />

12 ja ne<strong>in</strong> ne<strong>in</strong> ne<strong>in</strong> ja – 1<br />

13 ja ne<strong>in</strong> ne<strong>in</strong> ne<strong>in</strong> ne<strong>in</strong> – 8<br />

14 ne<strong>in</strong> ja ja ja – – 7<br />

15 ne<strong>in</strong> ja ja ne<strong>in</strong> ne<strong>in</strong> – 11<br />

16 ne<strong>in</strong> ja ne<strong>in</strong> ne<strong>in</strong> ne<strong>in</strong> – 3<br />

17 ne<strong>in</strong> ne<strong>in</strong> – – – – 52<br />

* Die Kategorie "ne<strong>in</strong>" kann vere<strong>in</strong>zelt auch Fälle mit fehlenden Angaben enthalten<br />

– = ke<strong>in</strong>e weitere Differenzierung nach diesem Merkmal vorgenommen<br />

Fallzahl


Kapitel 2: Datengr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Methodik<br />

Die Anzahl der auswertbaren Interviews der Ausländerstichprobe verr<strong>in</strong>gerte sich dadurch, wie<br />

bereits berichtet, auf 586 Befragte. Die restlichen Fälle mit abweichender Selbstangabe zur Staatsangehörigkeit<br />

gegenüber den Angaben der E<strong>in</strong>wohnermeldeämter, die die Gr<strong>und</strong>lage der Stichprobenzuordnung<br />

bildeten, wurden trotz dieser Inkonsistenz <strong>in</strong> der Stichprobe der Nicht-Deutschen<br />

(Ausländerstichprobe) belassen.<br />

Wie e<strong>in</strong> Vergleich der Verteilung e<strong>in</strong>iger soziodemographischer Merkmale der Ausländerstichprobe<br />

mit den auf Ausländer bezogenen Daten des Mikrozensus 2002 zeigt, stimmen diese Merkmale<br />

trotz des Problems der Staatsangehörigkeit <strong>und</strong> der Teilnahmeselektivität aufgr<strong>und</strong> der erforderlichen<br />

deutschen Sprachkenntnisse erstaunlich gut übere<strong>in</strong> (Tabelle 2.13).<br />

Tabelle 2.13:<br />

Verteilung ausgewählter Merkmale <strong>in</strong> der Ausländerstichprobe des Alterssurveys <strong>und</strong> im Mikrozensus<br />

2002 (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

Ausländerstichprobe<br />

Alterssurvey 2002<br />

Ausländer im<br />

Mikrozensus 2002 1<br />

Alter:<br />

40 – 54 59,2 59,2<br />

55 – 69 32,1 34,7<br />

70 – 85 (bzw. 70+) 8,7 6,1 2<br />

Geschlecht:<br />

männlich 52,0 54,0<br />

weiblich 48,0 46,0<br />

Landesteil:<br />

West 93,7 97,4<br />

Ost 6,3 2,6<br />

Familienstand:<br />

ledig 5,8 6,3<br />

verheiratet 78,0 80,4<br />

geschieden, verwitwet 16,2 13,4<br />

Erwerbsstatus:<br />

erwerbstätig 51,4 50,1<br />

nicht erwerbstätig 48,6 49,9<br />

Haushaltsgröße:<br />

1 Person 14,7 15,5 3<br />

2 <strong>und</strong> mehr 85,3 84,5 3<br />

Quellen: Ausländerstichprobe des Alterssurveys, 2002 (N=586); Deutsches Zentrum für Altersfragen – Gerostat;<br />

Statistisches B<strong>und</strong>esamt (2003a, S.109; 2003b, S.47)<br />

1 2 3<br />

Bevölkerung am Ort der Hauptwohnung; 70 <strong>und</strong> mehr Jahre alt; Haushalte mit deutscher Bezugsperson<br />

61


62<br />

Heribert Engstler, Susanne Wurm<br />

Die hohe Übere<strong>in</strong>stimmung zwischen den Ausländerstichproben von Alterssurvey <strong>und</strong> Mikrozensus<br />

kann zum Teil daran liegen, dass die Mikrozensus-Befragungen ebenfalls <strong>in</strong> deutscher Sprache<br />

erfolgen, so dass auch hier e<strong>in</strong>e Selektion zugunsten von Personen mit deutschen Sprachkenntnissen<br />

vorliegt. Die Teilnahme an diesen Befragungen ist im Gegensatz zum Alterssurvey allerd<strong>in</strong>gs<br />

Pflicht. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass die Ausländerstichprobe des Alterssurveys<br />

die nichtdeutsche Bevölkerung im Alter von 40 bis 85 Jahren recht gut repräsentiert, sieht<br />

man von sprachbed<strong>in</strong>gten Selektivitäten ab, die auch beim Mikrozensus bestehen.


Kapitel 2: Datengr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Methodik<br />

2.6 Literatur<br />

Backhaus, K., Erichson, B., Pl<strong>in</strong>ke, W., & Weiber, R. (2000). Multivariate Analysemethoden. E<strong>in</strong>e<br />

anwendungsorientierte E<strong>in</strong>führung (9 ed.). Berl<strong>in</strong> u.a.: Spr<strong>in</strong>ger.<br />

BIK Aschpurwis+Behrens GmbH. (2001). BIK-Regionen. Methodenbeschreibung zur Aktualisierung<br />

2000. Hamburg: BIK Aschpurwis+Behrens GmbH (http://www.bik-gmbh.de).<br />

Bode, C., Westerhof, G., & Dittmann-Kohli, F. (2001). Methoden. In F. Dittmann-Kohli & C. Bode<br />

& G. Westerhof (Eds.), Die zweite Lebenshälfte - Psychologische Perspektiven (pp. 37-76).<br />

Stuttgart: Kohlhammer.<br />

Dittmann-Kohli, F., Kohli, M., & Künem<strong>und</strong>, H. (1995). Lebenszusammenhänge, Selbstkonzepte<br />

<strong>und</strong> Lebensentwürfe. Die Konzeption des Deutschen Alters-Surveys (Forschungsbericht<br />

47). Berl<strong>in</strong>: Forschungsgruppe Altern <strong>und</strong> Lebenslauf (Fall).<br />

Dittmann-Kohli, F., Kohli, M., Künem<strong>und</strong>, H., Motel, A., Ste<strong>in</strong>leitner, C., & Westerhof, G. (1997).<br />

Lebenszusammenhänge, Selbst- <strong>und</strong> Lebenskonzeptionen - Erhebungsdesign <strong>und</strong> Instrumente<br />

des Alters-Survey (Forschungsbericht 61). Berl<strong>in</strong>: Forschungsgruppe Altern <strong>und</strong> Lebenslauf<br />

(Fall).<br />

Folste<strong>in</strong>, M. F., Folste<strong>in</strong>, S. E., & McHugh, P. R. (1975). "M<strong>in</strong>i Mental State": A practical method<br />

for grad<strong>in</strong>g the cognitive state of patients for the cl<strong>in</strong>ician. Journal of Psychiatric Research,<br />

12, 189-198.<br />

Habich, R., & Zapf, W. (1994). Gesellschaftliche Dauerbeobachtung - Wohlfahrtssurveys: Instrument<br />

der Sozialberichterstattung. In R. e. a. Hauser (Ed.), Mikroanalytische Gr<strong>und</strong>lagen<br />

der Gesellschaftspolitik (Vol. 2, pp. 13-37). Berl<strong>in</strong>: Akademie-Verlag.<br />

<strong>in</strong>fas. (2003). Alterssurvey - Die zweite Lebenshälfte. Methodenbericht zur Erhebung der zweiten<br />

Welle 2002. Bonn: <strong>in</strong>fas - Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH.<br />

Kohli, M. (2000). Der Alters-Survey als Instrument wissenschaftlicher Beobachtung. In M. Kohli<br />

(Ed.), Die zweite Lebenshälfte - Gesellschaftliche Lage <strong>und</strong> Partizipation im Spiegel des<br />

Alters-Survey (pp. 10-32). Opladen: Leske + Budrich.<br />

Kohli, M., & Tesch-Römer, C. (2003). Der Alters-Survey. ZA-Information(52), 146-156.<br />

Künem<strong>und</strong>, H. (2000). Datengr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> Methoden. In M. Kohli & H. Künem<strong>und</strong> (Eds.), Die<br />

zweite Lebenshälfte - Gesellschaftliche Lage <strong>und</strong> Partizipation im Spiegel des Alters-<br />

Survey (pp. 33-40). Opladen: Leske + Budrich.<br />

Mika, T. (2002). Wer nimmt teil an Panel-Befragungen? Untersuchung über die Bed<strong>in</strong>gungen der<br />

erfolgreichen Kontaktierung für sozialwissenschaftliche Untersuchungen. ZUMA Nachrichten,<br />

26(51), 38-48.<br />

Mohler, P. P., Koch, A., & Gabler, S. (2003). Alles Zufall oder? E<strong>in</strong> Diskussionsbeitrag zur Qualität<br />

von face to face-Umfragen <strong>in</strong> Deutschland. ZUMA-Nachrichten, 27(53), 10-15.<br />

Statistisches B<strong>und</strong>esamt. (2003a). Haushalte <strong>und</strong> Familien 2002. Wiesbaden: Statistisches B<strong>und</strong>esamt.<br />

Statistisches B<strong>und</strong>esamt. (2003b). Stand <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong> der Erwerbstätigkeit 2002. Wiesbaden:<br />

Statistisches B<strong>und</strong>esamt.<br />

Tesch-Römer, C., Wurm, S., Hoff, A., & Engstler, H. (2002). Alterssozialberichterstattung im<br />

Längsschnitt: Die zweite Welle des Alterssurveys. In A. Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel & U. Kelle<br />

(Eds.), Perspektiven der empirischen Alter(n)ssoziologie (pp. 155-189). Opladen:<br />

Leske+Budrich.<br />

63


3. Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

<strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

Heribert Engstler<br />

3.1 E<strong>in</strong>leitung<br />

In den vergangenen Jahren hat das öffentliche <strong>und</strong> wissenschaftliche Interesse an den älteren<br />

Arbeitnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Arbeitnehmern <strong>und</strong> der Beendigung des Erwerbslebens stark zugenommen.<br />

In der Diskussion geht es dabei oft um die Frage nach e<strong>in</strong>em längeren Verbleib im<br />

Erwerbsleben <strong>und</strong> wie dieser herbei zu führen sei. Die wichtigsten dabei angesprochenen H<strong>in</strong>tergründe<br />

<strong>und</strong> Begründungen für dieses Ziel s<strong>in</strong>d die demografisch bed<strong>in</strong>gten Veränderungen<br />

des Arbeitskräftepotenzials, die F<strong>in</strong>anzierbarkeit des gesetzlichen Rentensystems, vor allem die<br />

Stabilisierung des Beitragssatzes, die betriebliche <strong>und</strong> volkswirtschaftliche Nutzung der „Humanressourcen“<br />

älterer Arbeitnehmer, die Sicherung der Innovations- <strong>und</strong> Wettbewerbsfähigkeit<br />

der Wirtschaft mit alternden Belegschaften, der Grad der Lebensstandardsicherung im Alter,<br />

die Generationengerechtigkeit, die Leistungsfähigkeit älterer Menschen, das Verbot der<br />

Diskrim<strong>in</strong>ierung aufgr<strong>und</strong> des Alters <strong>und</strong> das nachberufliche Engagement als gesellschaftliche<br />

Ressource (vgl. Bäcker & Naegele, 1995; Barkholdt, 2001; Behrend, 2002; Behrens, Morschhäuser,<br />

Viebrok & Zimmermann, 1999; Bellmann, Hilpert, Kistler & Wahse, 2003; Clemens,<br />

2001; Glover & Bran<strong>in</strong>e, 2002; Gussone, Huber, Morschhäuser & Petrenz, 1999; Lehr, 1990;<br />

Pack, Buck, Kistler & Mendius, 1999; Rothkirch, 2000; Verband Deutscher Rentenversicherungsträger,<br />

2004; Wachtler, Franke & Balcke, 1997).<br />

In die Kritik geraten ist <strong>in</strong>sbesondere das hohe Ausmaß der Frühausgliederungen aus dem Erwerbsleben<br />

<strong>und</strong> der Frühverrentungen. In den letzten Dekaden des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts hatte sich<br />

im früheren B<strong>und</strong>esgebiet der Übergangszeitpunkt <strong>in</strong> den Ruhestand biografisch immer weiter<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong> jüngeres Alter verlagert (vgl. Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, 2003;<br />

Koller, 2001; Behrend, 2001; Jacobs & Kohli, 1990). Im Verb<strong>und</strong> mit der steigenden Lebenserwartung<br />

führte dies zu e<strong>in</strong>er historisch e<strong>in</strong>maligen Verlängerung der nachberuflichen Lebensphase,<br />

damit auch zur Verlängerung der Rentenlaufzeiten <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er steigenden Zahl von Rentenempfängern.<br />

E<strong>in</strong>geläutet wurde der Trend zum frühen Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand im früheren<br />

B<strong>und</strong>esgebiet unter anderem durch die E<strong>in</strong>führung der flexiblen Altersgrenze 1973. Lange<br />

Zeit war der Trend zur Frühausgliederung aus dem Erwerbsleben von e<strong>in</strong>em korporatistischen<br />

Konsens zwischen Staat, Arbeitgeberverbänden <strong>und</strong> Gewerkschaften getragen worden. Dieser<br />

bestand dar<strong>in</strong>, nach Auslaufen des lange Währenden Wirtschaftsaufschwungs der Nachkriegsdekaden<br />

<strong>und</strong> dem Zwang zur Neustrukturierung der Volkswirtschaft den strukturell begründeten<br />

Anstieg der Arbeitslosigkeit durch das Mittel der sozial verträglichen Frühverrentung zu mildern<br />

(vgl. George, 2000; Oswald, 2001; Teipen, 2003). Der Trend zum frühen Übergang <strong>in</strong> den<br />

Ruhestand erfuhr e<strong>in</strong>e weitere Steigerung <strong>in</strong> Ostdeutschland <strong>in</strong> den Jahren nach der Wiedervere<strong>in</strong>igung.<br />

B<strong>in</strong>nen kurzer Zeit wurden zur Entlastung des Arbeitsmarkts die meisten Beschäftig-<br />

65


66<br />

Heribert Engstler<br />

ten im Alter ab 57 Jahren, viele schon ab 55 Jahren <strong>in</strong> den Vorruhestand mit anschließendem<br />

Rentenbezug geschickt (vgl. Kretschmar & Wolf-Valerius, 1996; Ernst, 1996). Die Frühverrentungen<br />

erfuhren <strong>in</strong> dieser Zeit nochmals e<strong>in</strong>en Höhepunkt, obwohl die Diskussion zur Verlängerung<br />

der Lebensarbeitszeit – vor allem aus Gründen der F<strong>in</strong>anzierung des gesetzlichen Rentensystems<br />

– schon massiv e<strong>in</strong>gesetzt <strong>und</strong> der Staat unter anderem mit dem Rentenreformgesetz<br />

1992 bereits Maßnahmen zur Senkung der Anreize für e<strong>in</strong>e frühe Verrentung getroffen hatte.<br />

Denn die frühzeitige Verabschiedung aus dem Erwerbsleben belastete <strong>in</strong> starkem Maße die Arbeitslosenversicherung<br />

<strong>und</strong> die Rentenkassen. In der Folge stellte der Staat den korporatistischen<br />

Frühverrentungskonsens immer mehr <strong>in</strong>frage <strong>und</strong> erließ – wie <strong>in</strong> vielen OECD-Ländern<br />

(vgl. OECD, 2000) – Gesetze, die den Trend zur Frühausgliederung stoppen oder zum<strong>in</strong>dest die<br />

f<strong>in</strong>anziellen Folgen e<strong>in</strong>er frühen Verrentung für die Rentenkasse mildern sollen. 1 Zentrale Maßnahmen<br />

hierzu waren <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d die Anhebung der Altersgrenzen, das E<strong>in</strong>führen von Abschlägen<br />

bei frühzeitigem Rentenbeg<strong>in</strong>n, die Verschärfung von Anspruchsvoraussetzungen <strong>und</strong> das Senken<br />

des Rentenniveaus, hauptsächlich durch Änderungen an der Rentenformel <strong>und</strong> der E<strong>in</strong>schränkung<br />

ausbildungsbezogener Anwartschaften (e<strong>in</strong>en Überblick zur Anhebung der Altersgrenzen<br />

gibt Tabelle A3.1 im Anhang).<br />

Auch wurde versucht, durch Änderungen im Arbeitsförderungsrecht die Anreize für e<strong>in</strong>e Frühausgliederung<br />

zu Lasten der Arbeitslosenversicherung zu verr<strong>in</strong>gern (u.a. durch die Abschaffung<br />

des Altersübergangsgeldes, die Verschärfung der Sperrzeit bei Aufhebung von Arbeitsverträgen,<br />

die Anrechnung von Abf<strong>in</strong>dungen auf den Anspruch von Arbeitslosenunterstützung, die<br />

Erstattungspflicht durch den Ex-Arbeitgeber sowie die Förderung der Qualifizierung <strong>und</strong> E<strong>in</strong>stellung<br />

älterer Arbeitnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Arbeitnehmer). Allerd<strong>in</strong>gs dienen nicht alle sozialrechtlichen<br />

Reformmaßnahmen der letzten Jahre konsequent dem Ziel e<strong>in</strong>es längeren Verbleibs im<br />

Erwerbsleben. Teilweise wurden auch Regelungen erlassen oder geplant, die Anreize für e<strong>in</strong>e<br />

Beibehaltung der Frühausgliederung <strong>und</strong> Frühverrentung enthalten, beispielsweise die Ausgestaltung<br />

<strong>und</strong> Verlängerung der Förderung von Altersteilzeit oder das erst im Vermittlungsausschuss<br />

gestoppte Brückengeld für ältere Arbeitslose.<br />

Mit Blick auf die demografische <strong>Entwicklung</strong> (Statistisches B<strong>und</strong>esamt, 2003a), Erkenntnissen<br />

<strong>und</strong> Befürchtungen über negative betriebs- <strong>und</strong> volkswirtschaftliche Folgen der Frühausgliederung<br />

älterer Arbeitnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Arbeitnehmer (siehe z.B. Bull<strong>in</strong>ger, 2002; Köchl<strong>in</strong>g, Astor,<br />

Fröhner & Hartmann, 2000) <strong>und</strong> den Anstieg des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung<br />

(vgl. die regelmäßigen Berichte der B<strong>und</strong>esregierung zur Rentenversicherung, zuletzt:<br />

B<strong>und</strong>esregierung, 2003) traten auch die Arbeitgeberverbände für e<strong>in</strong>e Verlängerung der Lebensarbeitszeit<br />

e<strong>in</strong> (B<strong>und</strong>esvere<strong>in</strong>igung der Deutschen Arbeitgeberverbände, 2000). Schließlich<br />

schlossen sich nach e<strong>in</strong>igem H<strong>in</strong> <strong>und</strong> Her 2 auch die Gewerkschaften dieser neuen Maxime an,<br />

unter Betonung des Ziels des Beschäftigungserhalts für ältere Arbeitnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Arbeitnehmer<br />

<strong>und</strong> der Lebensstandardsicherung im Alter. Inzwischen hat <strong>in</strong> Deutschland – wie <strong>in</strong><br />

vielen anderen europäischen Ländern – e<strong>in</strong> Paradigmenwechsel von der Frühverrentung zum<br />

längeren Verbleib im Erwerbsleben stattgef<strong>und</strong>en, unterstützt durch zahlreiche Neuregelungen<br />

1 E<strong>in</strong>e Übersicht der wichtigsten Gesetzesreformen hierzu seit 1996 f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> Engstler (2004, S. 26ff.).<br />

2 Zu er<strong>in</strong>nern ist beispielsweise an die gescheiterte IG-Metall-Forderung der Rente mit 60.


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

im Arbeits- <strong>und</strong> Sozialrecht. Se<strong>in</strong>en prom<strong>in</strong>enten Ausdruck fand dieser Paradigmenwechsel im<br />

Bündnis für Arbeit (Bündnis für Arbeit, 2001).<br />

Auf EU-Ebene mündete diese Neuorientierung <strong>in</strong> die vom Europäischen Rat <strong>in</strong> Stockholm,<br />

2001 festgelegte Zielsetzung, bis zum Jahr 2010 <strong>in</strong> möglichst jedem EU-Mitgliedsland zu erreichen,<br />

dass die Hälfte der 55- bis 64-Jährigen erwerbstätig ist (Europäischer Rat, 2001). Für<br />

Deutschland wird zu dieser Zielerreichung e<strong>in</strong> Anstieg der Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-<br />

Jährigen um 10 Prozentpunkte notwendig se<strong>in</strong>, d.h. e<strong>in</strong>e Erhöhung um e<strong>in</strong> Viertel des jetzigen<br />

Niveaus (siehe Abbildung 3.1).<br />

Abbildung 3.1:<br />

Erwerbstätigenquote der Männer <strong>und</strong> Frauen im Alter von 55 bis 64 Jahren, 1991-2003<br />

55<br />

50<br />

45<br />

40<br />

%<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

47,9<br />

39,4<br />

31,0<br />

1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003<br />

Männer Frauen Insgesamt<br />

Quellen: Deutsches Zentrum für Altersfragen – Gerostat; Statistisches B<strong>und</strong>esamt, 2004<br />

Daten: Statistisches B<strong>und</strong>esamt, Mikrozensus<br />

Unterstützt wird der vom Staat <strong>und</strong> den Tarifparteien vorangetriebene Paradigmenwechsel zum<br />

längeren Verbleib im Erwerbsleben durch zahlreiche Wortmeldungen aus der Wissenschaft <strong>und</strong><br />

den Medien (für e<strong>in</strong>en Überblick über die <strong>Entwicklung</strong> der wissenschaftlichen Beschäftigung<br />

mit diesem Thema <strong>in</strong> Deutschland siehe Herfurth, Kohli & Zimmermann (2003) <strong>und</strong> Gravalas<br />

(1999). Fast alle neueren Sachverständigengutachten <strong>und</strong> Kommissionsberichte zu den Themen<br />

Wirtschaft, Arbeit, Demographie <strong>und</strong> soziale Sicherheit enthalten Empfehlungen zur Verlängerung<br />

der Lebensarbeitszeit <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en späteren Rentene<strong>in</strong>tritt. Zu nennen s<strong>in</strong>d vor allem die Berichte<br />

der B<strong>und</strong>estags-Enquete-Kommission "Demografischer <strong>Wandel</strong>", der Kommission "Moderne<br />

Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" (Hartz-Kommission), der Kommission "Nachhaltigkeit<br />

<strong>in</strong> der F<strong>in</strong>anzierung der Sozialen Sicherungssysteme" (Rürup-Kommission), der Kommission<br />

"Soziale Sicherheit" (Herzog-Kommission), der Sachverständigenkommission für den 3.<br />

Altenbericht der B<strong>und</strong>esregierung <strong>und</strong> mehrere Berichte des Sachverständigenrats zur Begutachtung<br />

der gesamtwirtschaftlichen Lage. E<strong>in</strong> Großteil der Vorschläge der Rürup-Kommission<br />

(B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Soziale Sicherung, 2003) wurde vom Gesetzgeber aufgegriffen<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> das im Juni 2004 verabschiedete Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz<br />

<strong>in</strong>tegriert, unter anderem die Anhebung der Altersgrenze für den frühestmöglichen Beg<strong>in</strong>n der<br />

67


68<br />

Heribert Engstler<br />

vorzeitigen Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit sowie die weitere Senkung<br />

des Rentenniveaus durch die E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es Nachhaltigkeitsfaktors <strong>in</strong> die Rentenformel<br />

(B<strong>und</strong>estagsdrucksache 15/2149 <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit B<strong>und</strong>esratsdrucksache 191/04).<br />

Während sich der Staat <strong>und</strong> die Tarifparteien also weitgehend e<strong>in</strong>ig dar<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d, die Lebensarbeitszeit<br />

zu verlängern, <strong>und</strong> sich hauptsächlich über das Tempo, die Ansatzpunkte <strong>und</strong> die geeigneten<br />

Interventionen ause<strong>in</strong>andersetzen, wird die Ausgliederung älterer Arbeitnehmer deutlich<br />

vor Erreichen der Regelaltersgrenze <strong>in</strong> den Betrieben weiterh<strong>in</strong> als Mittel zur Umstrukturierung<br />

<strong>und</strong> Verr<strong>in</strong>gerung des Personalbestands angewandt. So fiel die Erwerbstätigenquote der<br />

55- bis 64-jährigen Männer auch zwischen 1995 <strong>und</strong> 2000 noch um 2 Prozentpunkte. Da der<br />

Anteil erwerbstätiger Frauen dieses Alters allerd<strong>in</strong>gs seit 1993 steigt <strong>und</strong> auch bei den Männern<br />

seit 2000 e<strong>in</strong> leichter Anstieg zu beobachten ist (Abbildung 3.1), sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e Trendwende e<strong>in</strong>gesetzt<br />

zu haben oder zum<strong>in</strong>dest der bisherige Trend s<strong>in</strong>kender Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitskräfte<br />

gestoppt zu se<strong>in</strong>. Zwischen 2001 <strong>und</strong> 2003 stieg der Anteil Erwerbstätiger unter den<br />

55- bis 64-Jährigen <strong>in</strong>sgesamt – trotz der anhaltenden Beschäftigungskrise – um 1,6 Prozentpunkte<br />

auf 39,4 Prozent während die Erwerbstätigenquote der 15- bis 54-Jährigen um 1,8 Prozentpunkte<br />

(auf 71,0%) zurückg<strong>in</strong>g. In der Literatur wird allerd<strong>in</strong>gs darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass<br />

der momentane leichte Anstieg durch die außergewöhnlich schwache Besetzung der um 1945<br />

geborenen Jahrgänge begünstigt wurde (Kistler, 2004). Ob dieser Anstieg den Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er<br />

längerfristigen Zunahme der Erwerbsbeteiligung Älterer markiert, wird sich erst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Jahren<br />

zeigen, wenn die stärker besetzten Kohorten der Babyboomer <strong>in</strong> das höhere Erwerbsalter<br />

kommen. E<strong>in</strong> demografisch bed<strong>in</strong>gter Rückgang des gesamten Erwerbspersonenpotenzials wird<br />

erst für die Zeit nach 2015 erwartet (Bellmann, Hilpert, Kistler & Wahse, 2003).<br />

3.2 Fragestellung <strong>und</strong> Methodik<br />

3.2.1 Fragestellung<br />

Auswirkung des Abbaus von Anreizen zum frühen Ausstieg aus dem Erwerbsleben<br />

In der wissenschaftlichen Diskussion zur Erklärung der gesellschaftlichen <strong>Entwicklung</strong> des<br />

Übergangs <strong>in</strong> den Ruhestand <strong>und</strong> des <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Verhaltens überwiegen ökonomische <strong>und</strong><br />

soziologische Ansätze. Die ökonomischen Theorien lassen sich dabei danach unterscheiden, wie<br />

sehr sie das Arbeitsangebot oder die Arbeitsnachfrage als verantwortlich für das Arbeitsmarktgeschehen<br />

<strong>und</strong> somit auch für die Beteiligung Älterer am Erwerbsleben <strong>und</strong> den Übergang <strong>in</strong><br />

den Ruhestand erachten. Die mikroökonomische Forschung zum Ausscheiden aus dem Erwerbsleben<br />

<strong>in</strong> Deutschland stützt sich vorwiegend auf Arbeitsangebotstheorien (vgl. Schmidt,<br />

1995; Viebrok, 1997; Börsch-Supan, Kohnz & Schnabel, 2002; S<strong>in</strong>g, 2003). Diese gehen entsprechend<br />

des neoklassischen Ma<strong>in</strong>streams davon aus, dass sich die Art <strong>und</strong> der Umfang der<br />

Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie aus dem Willen e<strong>in</strong>es Individuums bestimmt, se<strong>in</strong>e Arbeitskraft<br />

anzubieten. Im Allgeme<strong>in</strong>en wird dabei unterstellt, dass die Menschen gut <strong>in</strong>formierte,<br />

rational handelnde <strong>und</strong> nutzenmaximierende Individuen mit weitgehender Wahlfreiheit s<strong>in</strong>d. Sie<br />

erstreben für sich e<strong>in</strong> Optimum an E<strong>in</strong>kommen (als Voraussetzung für Konsum) <strong>und</strong> Freizeit


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

<strong>und</strong> bieten ihre Arbeitskraft – <strong>in</strong>nerhalb natürlicher Grenzen – <strong>in</strong> dem zeitlichen Ausmaß an, das<br />

zur Erreichung dieses Ziels notwendig ersche<strong>in</strong>t. Wichtig ist, dass <strong>in</strong> neueren angebotsorientierten<br />

Ansätzen das Pr<strong>in</strong>zip der Nutzenmaximierung als e<strong>in</strong>e Orientierung am Gesamtnutzen über<br />

die Lebenszeit h<strong>in</strong>weg angenommen wird (d.h. unter anderem am erwarteten Restlebense<strong>in</strong>kommen)<br />

<strong>und</strong> sich die Entscheidungssituation immer wieder neu unter Berücksichtigung der<br />

sich zwischenzeitlich eventuell geänderten Parameter stellen kann. E<strong>in</strong> zentraler E<strong>in</strong>fluss auf die<br />

Arbeitsangebotsentscheidung älterer Arbeitskräfte wird <strong>in</strong> den mikroökonomischen Ansätzen<br />

dem Zugang zu alternativen E<strong>in</strong>kommensquellen <strong>und</strong> deren Ausgestaltung zugemessen. Daher<br />

richtet sich das Interesse zahlreicher mikroökonomischer Studien auf die f<strong>in</strong>anzielle Ausgestaltung<br />

<strong>und</strong> Anreizfunktionen der Alterssicherungs- <strong>und</strong> anderer Lohnersatzsysteme (v.a. der Arbeitslosen-<br />

<strong>und</strong> Vorruhestandsunterstützung) für den Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand (e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>ternationalen<br />

Überblick geben Gruber & Wise, 2004). E<strong>in</strong> wichtiger Anreiz, der dem b<strong>und</strong>esdeutschen<br />

System der gesetzlichen Rentenversicherung zugeschrieben wurde <strong>und</strong> teilweise noch<br />

wird, war die E<strong>in</strong>führung der vorgezogenen Altersrenten ohne Abschläge der Rentenhöhe zu<br />

Beg<strong>in</strong>n der 1970er Jahre (z.B. Börsch-Supan, 2000). Dadurch fällt die abgez<strong>in</strong>ste Gesamtrente<br />

bis zum Lebensende bei vorzeitigem Rentenbeg<strong>in</strong>n deutlich höher aus als bei späterem Rentenbeg<strong>in</strong>n,<br />

was entsprechend <strong>in</strong>formierte <strong>und</strong> rational handelnde Menschen davon abhalten wird,<br />

länger als nötig zu arbeiten. Die E<strong>in</strong>führung solcher Abschläge verr<strong>in</strong>gert oder elim<strong>in</strong>iert nach<br />

der Logik dieses Ansatzes – <strong>in</strong> Abhängigkeit von der Höhe des Abschlags – diesen f<strong>in</strong>anziellen<br />

Anreiz zum frühzeitigen Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand. In e<strong>in</strong>er mikroökonomischen Simulationsrechnung<br />

gelangen Berkel & Börsch-Supan (2003) zu dem Schluss, dass durch die mit dem<br />

Rentenreformgesetz 1992 zeitverzögert e<strong>in</strong>geführten Abschläge 3 das durchschnittliche Rentene<strong>in</strong>trittsalter<br />

der Männer auf lange Sicht um knapp zwei Jahre ansteigen werde. E<strong>in</strong>e Erhöhung<br />

aller Altersgrenzen der Gesetzlichen Rentenversicherung, wie von der Rürup-Kommission vorgeschlagen,<br />

würde nach diesen Simulationsberechnungen das durchschnittliche Rentene<strong>in</strong>trittsalter<br />

um weitere acht Monate ansteigen lassen. E<strong>in</strong>e Erhöhung der Rentenabschläge von 3,6 auf<br />

6 Prozent je vorgezogenem Jahr des Rentenbeg<strong>in</strong>ns, was von den beiden Autoren als versicherungsmathematisch<br />

fairer Abschlag angesehen wird, würde zu e<strong>in</strong>em Anstieg des durchschnittlichen<br />

Rentene<strong>in</strong>trittsalters um knapp zwei Jahre führen. Von Experten der Rentenversicherungsträger<br />

wird jedoch – auf der Basis von Gesamtwertkalkulationen – die Auffassung zurückgewiesen,<br />

die Höhe der derzeit geltenden Abschläge sei versicherungsmathematisch unzureichend<br />

(Ohsmann, Stolz & Thiede, 2003).<br />

Die dem alle<strong>in</strong> auf <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Nutzenmaximierung angelegten mikroökonomischen Handlungsmodell<br />

<strong>in</strong>härente Annahme, der durchschnittliche ältere Arbeitnehmer sei <strong>in</strong> der Lage,<br />

solche Berechnungen anzustellen, wozu auch die adäquate Schätzung der eigenen Lebenserwartung<br />

Voraussetzung wäre, ersche<strong>in</strong>t unrealistisch. Dies wird von Vertretern dieser Theorierichtung<br />

bisweilen auch selbstkritisch zugestanden <strong>und</strong> zwischen der Existenz solcher Anreize, dem<br />

Kenntnisstand der Betroffenen <strong>und</strong> den Auswirkungen auf das Verhalten unterschieden (z.B.<br />

Viebrok, 1997, S.133). Allgeme<strong>in</strong> ist denn auch die realitätsferne Konstruktion des "homo oeconomicus"<br />

– neben der Ausblendung anderer Faktoren der Erwerbsbeteiligung – e<strong>in</strong>er der<br />

Hauptkritikpunkte an der angebotsorientierten mikroökonomischen Theorie. Beispielsweise<br />

3 Der Abschlag beträgt 0,3 Prozent je vorgezogenem Monat der Inanspruchnahme vor der Regelaltersgrenze.<br />

69


70<br />

Heribert Engstler<br />

ergab sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er repräsentativen Untersuchung des Deutschen Instituts für Altersvorsorge<br />

(Höllger & Sobull, 2001), dass über zwei Drittel der 30- bis 59-jährigen Frauen ihren Rentenanspruch<br />

erheblich höher e<strong>in</strong>stufen, als er nach jetzigem Stand se<strong>in</strong> wird. 21 Prozent der Frauen<br />

<strong>und</strong> 11 Prozent der Männer überschätzten ihren Rentenanspruch um mehr als die Hälfte. Zwar<br />

ist zu erwarten, dass sich der Kenntnisstand über die Höhe der eigenen Rentenansprüche bei<br />

Erreichen des rentennahen Alters verbessert (maßgeblich aufgr<strong>und</strong> des Erhalts der Rentenvorausberechnung<br />

durch den Träger der GRV), dennoch dürfte die Annahme des voll oder zum<strong>in</strong>dest<br />

gut <strong>in</strong>formierten Individuums nicht der Realität entsprechen. Dies trifft wohl auch auf die<br />

vorausgesetzten Lebensziele <strong>und</strong> Kalküle zu. So konstatiert D<strong>in</strong>kel (1988, S.133ff.):<br />

"Bei deutschen Versicherten sollte man als Zielfunktion von e<strong>in</strong>er Lebensstandardsicherung anstelle<br />

der Lebense<strong>in</strong>kommensmaximierung sprechen. ... E<strong>in</strong> potentieller Rentner ... will nicht se<strong>in</strong>en Lebenskonsum<br />

maximieren, sondern er will zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er relativen E<strong>in</strong>kommensposition möglichst gar nicht oder doch so wenig wie möglich zurückfallen.<br />

... Wer e<strong>in</strong>en ausreichend hohen Rentenanspruch erworben hat, nimmt den frühestmöglichen Rentene<strong>in</strong>tritt<br />

<strong>in</strong> Anspruch, wessen Rentenansprüche noch zu ger<strong>in</strong>g s<strong>in</strong>d, arbeitet so lange weiter als nötig."<br />

Als empirischen Indikator für die Gültigkeit des Kriteriums der Lebensstandardsicherung für die<br />

Wahl des Rentene<strong>in</strong>trittsalters verweist D<strong>in</strong>kel (S.137) auf den äußerst ger<strong>in</strong>gen Anteil derer,<br />

die erst nach dem vollendeten 65. Lebensjahr <strong>in</strong> Rente gehen, obwohl der Aufschub des Rentenbeg<strong>in</strong>ns<br />

über die Regelaltersgrenze h<strong>in</strong>aus mit e<strong>in</strong>em Zuschlag von damals 4 0,6 Prozent je<br />

h<strong>in</strong>ausgeschobenem Monat des Rentene<strong>in</strong>tritts <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Rentensteigerung durch die zusätzliche<br />

Beitragszeit verb<strong>und</strong>en ist.<br />

Unabhängig davon, ob sich Versicherte bei der Wahl ihres Rentene<strong>in</strong>trittsalters an der Sicherungshöhe<br />

des Lebensstandards oder der Lebense<strong>in</strong>kommensmaximierung orientieren, ist davon<br />

auszugehen, dass die erfolgte Anhebung der Altersgrenzen für den vollen Bezug e<strong>in</strong>er Altersrente,<br />

die E<strong>in</strong>führung der Abschläge bei vorzeitigem Rentenbeg<strong>in</strong>n <strong>und</strong> die verschiedenen Maßnahmen,<br />

die zu e<strong>in</strong>er relativen Absenkung des Rentenniveaus führen (Änderungen an der Rentenformel<br />

<strong>und</strong> den rentenrechtlichen Zeiten) Anreizfunktion für e<strong>in</strong>en längeren Verbleib im<br />

Erwerbsleben haben. Dies schlägt sich – so die forschungsleitende Annahme – <strong>in</strong> den Plänen<br />

der Erwerbstätigen nieder. Bestandteil der Untersuchung ist daher der Vergleich der Erwerbsbeendigungspläne<br />

zwischen den beiden Erhebungszeitpunkten 1996 <strong>und</strong> 2002. In diesem Zeitraum<br />

begannen wesentliche Änderungen des Rentenreformgesetzes 1992 zu greifen <strong>und</strong> wurde e<strong>in</strong>e<br />

Reihe weiterer Gesetze mit Anreizen für e<strong>in</strong>en späteren Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand verabschiedet<br />

(vgl. Engstler, 2004, S.26ff.). Es wird daher davon ausgegangen, dass im Jahr 2002 weniger<br />

Erwerbstätige e<strong>in</strong>en frühzeitigen Ausstieg aus dem Erwerbsleben beabsichtigen bzw. für sich<br />

erwarten als im Jahr 1996.<br />

4 Gegenwärtig beträgt dieser Zuschlag 0,5 Prozent.


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

Homogenität <strong>und</strong> Heterogenität des Ausstiegsalters <strong>und</strong> der Übergangswege<br />

H<strong>in</strong>ge die Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitskräfte ausschließlich von ihrer Erwerbsneigung ab<br />

<strong>und</strong> würde diese <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie von der Höhe der Rentenanwartschaften <strong>und</strong> der Lohnhöhe bee<strong>in</strong>flusst,<br />

hätte vermutlich bereits <strong>in</strong> den 90er Jahren die Erwerbsbeteiligung der 55- bis 69-<br />

Jährigen zunehmen müssen, was zum<strong>in</strong>dest bei den Männern nicht der Fall war (siehe<br />

Abbildung 3.1). Hält man sich zudem den massiven Beschäftigungse<strong>in</strong>bruch <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

<strong>in</strong> den ersten Jahren der Wiedervere<strong>in</strong>igung <strong>und</strong> die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit vor Augen,<br />

wird offensichtlich, dass die Erwerbsbeteiligung <strong>und</strong> die Beendigung des Erwerbslebens nicht<br />

nur von Arbeitsangebotsfaktoren gesteuert wird. Die soziologischen Ansätze heben demgegenüber<br />

die E<strong>in</strong>flüsse anderer Akteure, die Zwänge des Arbeitsmarkts, den E<strong>in</strong>fluss sozialer Normen<br />

<strong>und</strong> Werte sowie die gesellschaftlichen Regulierungen des Lebenslaufs, speziell auch des<br />

Übergangs <strong>in</strong> den Ruhestand hervor, erkennen dem Individuum aber durchaus e<strong>in</strong>en Handlungsspielraum<br />

zu (für e<strong>in</strong>en Überblick siehe S<strong>in</strong>g, 2003, S.134ff.; Kohli & Re<strong>in</strong>, 1991). Institutionalisierte<br />

Ruhestands-Altersgrenzen fungieren dabei nach Kohli nicht nur als E<strong>in</strong>kommen<br />

schaffendes Anreizsystem der Rentenversicherung, sondern als umfassendes gesellschaftliches<br />

Regulativ <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Lebenslaufgestaltung mit folgenden vier Funktionen:<br />

"Sie regelt den Austritt aus dem ("regulären") Erwerbsleben, also die Beendigung des Arbeitsvertrages<br />

(Arbeitsmarktfunktion). Sie regelt den Zugang zu bestimmten Leistungen des Systems sozialer Sicherung,<br />

z.B. <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er Altersrente als Lohnersatz (sozialpolitische Funktion). Sie gibt e<strong>in</strong>en Orientierungspunkt<br />

für die subjektive Gliederung <strong>und</strong> Planung des Lebens (kognitive Funktion). Sie liefert e<strong>in</strong><br />

Kriterium für den legitimen Abschluss – <strong>und</strong> damit den "Erfolg" – des Arbeitslebens (moralische Funktion)."<br />

(Kohli, 2000, S.16).<br />

Empirische Zeitvergleiche der Erwerbsbeteiligung <strong>und</strong> des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben<br />

bis zur Mitte der 1990er Jahre, die sich hauptsächlich auf Westdeutschland beziehen, lassen<br />

Kohli von e<strong>in</strong>er gewissen Tendenz zur De<strong>in</strong>stitutionalisierung <strong>und</strong> Flexibilisierung des Übergangs<br />

<strong>in</strong> den Ruhestand sprechen. Diese beschränke sich jedoch auf die größere zeitliche Varianz<br />

des Übergangs <strong>und</strong> die Herausbildung neuer <strong>in</strong>stitutioneller Pfade zwischen Erwerbsleben<br />

<strong>und</strong> Rente, während empirisch ke<strong>in</strong>e Flexibilisierung im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es gleitenden Übergangs <strong>in</strong><br />

den Ruhestand stattgef<strong>und</strong>en habe. Entsprechende Möglichkeiten werden hauptsächlich für den<br />

frühzeitigen vollständigen Ausstieg aus dem Erwerbsleben genutzt (vgl. Kohli, 2000, S.18ff.).<br />

E<strong>in</strong>e Zunahme der Erwerbsbeendigung vor dem Übergang <strong>in</strong> die reguläre Altersrente mit entsprechend<br />

<strong>in</strong>direkten Wegen <strong>in</strong> den Ruhestand war bereits zu Beg<strong>in</strong>n der 1990er Jahre für verschiedene<br />

westliche Industrienationen festgestellt worden (Kohli, Re<strong>in</strong>, Guillemard & Gunsteren,<br />

1991). Diese Zwischenphasen entstanden hauptsächlich aufgr<strong>und</strong> von Arbeitslosigkeit,<br />

Vorruhestand, Krankheit <strong>und</strong> Beh<strong>in</strong>derung mit je unterschiedlichen Formen der E<strong>in</strong>kommenssicherung.<br />

Es stellt sich die Frage, ob <strong>und</strong> <strong>in</strong> welcher Form sich die Entkoppelung zwischen der<br />

Erwerbsbeendigung <strong>und</strong> dem E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Altersrente <strong>in</strong> Deutschland seither fortgesetzt hat.<br />

Dies ist <strong>in</strong>sbesondere vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der raschen Veränderungen der Erwerbsbeteiligung<br />

<strong>und</strong> des Übergangs <strong>in</strong> den Ruhestand <strong>in</strong> Ostdeutschland von Interesse. Da zum Abbau des Arbeitskräfteüberhangs<br />

nicht nur die unmittelbar Altersrentenberechtigten ab 60 Jahren <strong>in</strong> den<br />

Ruhestand entlassen wurden, sondern auch große Teile der 50- bis 60-Jährigen zuerst über Vorruhestandsregelungen,<br />

anschließend zunehmend über Arbeitslosigkeit aus dem Erwerbsleben<br />

ausgegliedert wurden, ist <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>esländern von markanten Veränderungen der Über-<br />

71


72<br />

Heribert Engstler<br />

gangspfade auszugehen. Bei der Betrachtung der Wege <strong>in</strong> die Altersrente darf zudem e<strong>in</strong> – unter<br />

Umständen langjähriges – Vorstadium nicht vergessen werden, das hauptsächlich westdeutsche<br />

Frauen durchlaufen: die Tätigkeit als Hausfrau <strong>und</strong> Mutter, d.h. die Konzentration der eigenen<br />

Arbeit auf die Haushaltsproduktion (vgl. Allmend<strong>in</strong>ger, Brückner & Brückner, 1992). Da der<br />

Anteil k<strong>in</strong>derloser Frauen steigt <strong>und</strong> immer mehr Mütter nach familienbed<strong>in</strong>gter Erwerbsunterbrechung<br />

<strong>in</strong>s Erwerbsleben zurückkehren, ist <strong>in</strong> der Abfolge der weiblichen Geburtsjahrgänge<br />

e<strong>in</strong> Rückgang des Rentenzugangs nach vorheriger Hausfrauentätigkeit zu erwarten. 5<br />

Push- <strong>und</strong> Pull-Faktoren der Erwerbsbeendigung<br />

Die Vielzahl der <strong>in</strong> empirischen Untersuchungen festgestellten E<strong>in</strong>flüsse auf die Erwerbsbeteiligung<br />

Älterer <strong>und</strong> den Ausstieg aus dem Erwerbsleben stützt die Vermutung, dass der Übergang<br />

<strong>in</strong> den Ruhestand e<strong>in</strong> multifaktorielles Geschehen ist, das sich der e<strong>in</strong>fachen Erklärung durch<br />

den e<strong>in</strong>en bestimmenden Kausalzusammenhang entzieht (vgl. Behrend, 1992; Voges, 1994;<br />

Clemens, 1997; Clemens, 2001). Die e<strong>in</strong>zelnen wissenschaftlichen Diszipl<strong>in</strong>en legen ihr Augenmerk<br />

dabei entsprechend ihrer Hauptfragestellungen <strong>und</strong> theoretischen Gr<strong>und</strong>ausrichtung<br />

jeweils auf bestimmte Zusammenhänge <strong>und</strong> E<strong>in</strong>flüsse, wie Ekerdt (2002, S.37) im Lichte se<strong>in</strong>er<br />

jahrzehntelangen Erfahrung auf dem Gebiet Ruhestandsforschung feststellt:<br />

"Everyone acknowledges health as an explanation for retirement, but economists have a theoretical <strong>in</strong>cl<strong>in</strong>ation<br />

to look at f<strong>in</strong>ancial factors, sociologists add occupational and family variables, and social psychologists<br />

exam<strong>in</strong>e preferences and expectations."<br />

Clemens (2001, S.92f.) nennt als zentrale E<strong>in</strong>flussgrößen der Berufsaufgabe die Variablen Alter,<br />

Geschlecht, Bildungsstand, f<strong>in</strong>anzielle Bed<strong>in</strong>gungen, Ges<strong>und</strong>heit, Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen, Berufse<strong>in</strong>stellungen,<br />

subjektive Erwartungen an den Ruhestand <strong>und</strong> den präferierten Ruhestandszeitpunkt.<br />

In e<strong>in</strong>er neueren empirischen Untersuchung zu Bestimmungsgründen des Ausscheidens<br />

aus dem Erwerbsleben unterscheidet Oswald (2001, S.146) vier Gruppen von E<strong>in</strong>flussgrößen:<br />

"1. Ökonomische <strong>und</strong> sozialrechtliche Anreize, 2. Humankapital <strong>und</strong> Arbeitsplatzcharakteristika,<br />

3. Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> andere <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Merkmale sowie 4. Haushalts- <strong>und</strong> Familienzusammenhänge."<br />

In der Literatur unterschieden wird bisweilen, ob es sich bei den verschiedenen<br />

E<strong>in</strong>flüssen eher um "Pull"- oder "Push"-Faktoren handelt (Clemens, 2001). Push-Faktoren s<strong>in</strong>d<br />

dabei jene Kräfte, die primär als Druck zur Aufgabe der Erwerbstätigkeit wirken (Verlassen des<br />

Negativen), während Pull-Faktoren das "H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>ziehen" <strong>in</strong> den Ruhestand fördern (Aufsuchen<br />

des Positiven).<br />

5 Andererseits hat die Verbesserung der Bewertung <strong>und</strong> Anrechnung von K<strong>in</strong>dererziehungszeiten <strong>in</strong> der gesetzlichen<br />

Rentenversicherung dazu geführt, dass k<strong>in</strong>derreiche langjährige Hausfrauen erst durch die Rentenanwartschaften<br />

für geleistete K<strong>in</strong>dererziehung <strong>in</strong> den Genuss e<strong>in</strong>er – wenn auch niedrigen – Altersrente mit 65 Jahren kommen <strong>und</strong><br />

damit überhaupt erst <strong>in</strong> den Status der Altersrentenempfänger<strong>in</strong> gelangen. Diese zusätzlichen Übergänge aus dem<br />

Hausfrauen- <strong>in</strong> den Altersrentner<strong>in</strong>nenstatus dürften jedoch den Gesamttrend kaum bee<strong>in</strong>flussen.


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

Forschungsfragen <strong>und</strong> Hypothesen<br />

Forschungsgegenstand s<strong>in</strong>d <strong>Entwicklung</strong> <strong>und</strong> Faktoren der Erwerbsbeteiligung im mittleren <strong>und</strong><br />

fortgeschrittenen Erwachsenenalter (40+) <strong>und</strong> der Erwerbsbeendigung. Aus den vorangegangenen<br />

Schilderungen <strong>und</strong> dem Anspruch des Alterssurveys, sowohl Beiträge zur Sozialberichterstattung<br />

als auch zur altersbezogenen Verhaltensforschung zu leisten, ergeben sich – wie teilweise<br />

schon erwähnt – folgende Themenstellungen, Forschungsfragen <strong>und</strong> forschungsleitenden<br />

Annahmen für den empirischen Teil der Untersuchung:<br />

Zum <strong>Wandel</strong> des geplanten <strong>und</strong> tatsächlichen Alters der Erwerbsbeendigung:<br />

Es <strong>in</strong>teressiert, wie sich gegenwärtig die allgeme<strong>in</strong>e <strong>Entwicklung</strong> der Erwerbsbeteiligung von<br />

älteren Arbeitskräften <strong>und</strong> des Ausstiegsalters darstellt <strong>und</strong> welche Unterschiede dabei zwischen<br />

Männern <strong>und</strong> Frauen sowie zwischen Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland zu beobachten s<strong>in</strong>d. Gibt es<br />

Anhaltspunkte dafür, dass sich gegenwärtig e<strong>in</strong>e Trendwende h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em längeren Verbleib<br />

im Erwerbsleben abzeichnet? Zentraler Ausgangspunkt ist die Vermutung, dass die zahlreichen<br />

gesetzlichen Maßnahmen der vergangenen Jahre zur Verr<strong>in</strong>gerung der Anreize für e<strong>in</strong>e frühzeitige<br />

Ausgliederung älterer Arbeitnehmer aus dem Erwerbsprozess <strong>und</strong> den frühen Übergang <strong>in</strong><br />

den Ruhestand erste Wirkungen entfalten, die sich besonders <strong>in</strong> den Erwerbsbeendigungsplänen,<br />

aber erst wenig <strong>in</strong> den Erwerbstätigenquoten der an der Rentenschwelle bef<strong>in</strong>dlichen Altersgruppen<br />

zeigen. Es wird davon ausgegangen, dass die Erwartung abnimmt, schon relativ<br />

früh (mit 60 Jahren) aus dem Erwerbsleben auszusteigen. E<strong>in</strong> spezieller Effekt wird von der<br />

Anhebung der Altersgrenzen für den Bezug der verschiedenen Altersrenten erwartet: Da diese<br />

Altersgrenzen über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum h<strong>in</strong> steigen, es aus Vertrauensschutzgründen Ausnahmeregelungen<br />

gibt, so dass für die Angehörigen der rentennahen Jahrgänge je nach Geburtsdatum<br />

<strong>und</strong> anderen persönlichen Merkmalen unterschiedliche Altersgrenzen gelten, <strong>und</strong> sie<br />

durch die Möglichkeit ihrer Unterschreitung bei Inkaufnahme von Rentenabschlägen de facto<br />

flexibilisiert wurden, wird davon ausgegangen, dass die von Kohli (2000) betonte kognitive<br />

Funktion der Altersgrenzen als Orientierungspunkte für die <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Lebensplanung (hier:<br />

der Ruhestandsplanung) vorübergehend geschwächt ist. Die formalen Rentenaltersgrenzen s<strong>in</strong>d<br />

gegenwärtig im Fluss. H<strong>in</strong>zu kommt die Diskussion um die Anhebung der Regelaltersgrenze<br />

von 65 auf 67 Jahre. Man kann davon ausgehen, dass viele Erwerbstätige sich nicht sicher s<strong>in</strong>d,<br />

welche Altersgrenze für sie gilt oder später gelten wird. Dies müsste dazu führen, dass vorübergehend<br />

die Zahl der Erwerbstätigen zunimmt, die die Frage, bis zu welchem Alter sie planen<br />

erwerbstätig zu bleiben, nicht beantworten können.<br />

Da die Erwerbsbeteiligung <strong>und</strong> -beendigung nicht nur von den Absichten der Arbeitnehmer,<br />

sondern wesentlich auch vom Verhalten der Arbeitgeber <strong>und</strong> den betrieblichen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

abhängt, ist nicht zu erwarten, dass sich die geschilderten staatlichen Maßnahmen zur Förderung<br />

e<strong>in</strong>es längeren Verbleibs im Erwerbsleben <strong>in</strong> gleicher Stärke auf die Erwerbsbeteiligung wie auf<br />

die Beendigungspläne niederschlägt. Insbesondere der weiterh<strong>in</strong> bestehende Druck zur Verr<strong>in</strong>gerung<br />

der Personalausgaben – <strong>und</strong> damit auch oft des Personalbestandes – dürfte als Faktor<br />

gegen den längeren Verbleib im Erwerbsleben wirken <strong>und</strong> die von den Rentenreformmaßnahmen<br />

ausgehenden Effekte teilweise kompensieren. Bis zum Beobachtungsende im Jahr 2002<br />

73


74<br />

Heribert Engstler<br />

wird daher ke<strong>in</strong> oder allenfalls e<strong>in</strong> schwacher Anstieg der Erwerbstätigenquote der über 60-<br />

Jährigen erwartet.<br />

Zur zeitlichen Entkoppelung zwischen Erwerbsbeendigung <strong>und</strong> Altersrentenbeg<strong>in</strong>n<br />

Wie bereits erwähnt, ist die Arbeitslosenquote älterer Arbeitnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Arbeitnehmer<br />

überdurchschnittlich hoch <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d ältere Arbeitslose auch überdurchschnittlich häufig langzeitarbeitslos.<br />

Die Entlassung <strong>in</strong> die Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> den Vorruhestand als zeitliche Brücke<br />

zum Ruhestand ist e<strong>in</strong> häufig angewandtes Mittel zur Verr<strong>in</strong>gerung <strong>und</strong> Verjüngung des Personalbestands<br />

von Unternehmen. Bis <strong>in</strong> die jüngste Vergangenheit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> wurde <strong>in</strong> Zeiten hoher<br />

Arbeitslosigkeit der Vorruhestand mit anschließender vorgezogener Altersrente durch entsprechende<br />

staatliche Leistungen gefördert. In extremer Weise geschah dies <strong>in</strong> Ostdeutschland <strong>in</strong><br />

der ersten Hälfte der 1990er Jahre. Auch der Weg <strong>in</strong> die vorgezogene Altersrente für Schwerbeh<strong>in</strong>derte<br />

stellt – <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem vorgeschalteten Bezug e<strong>in</strong>er Invalidenrente – zum Teil<br />

e<strong>in</strong> Ventil zur Entlastung des Arbeitsmarkts dar. Es wird daher vermutet, dass <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong><br />

wachsender Teil der Bevölkerung nicht nahtlos aus der Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> die Altersrente gelangt.<br />

Ausgehend von e<strong>in</strong>em hohen Niveau des direkten Übergangs <strong>in</strong> Ostdeutschland <strong>in</strong> der<br />

Zeit vor der Wiedervere<strong>in</strong>igung wird für die Zeit danach e<strong>in</strong> besonders starker Rückgang bei<br />

beiden Geschlechtern konstatiert. Für Westdeutschland wird demgegenüber e<strong>in</strong>e gegenläufige<br />

<strong>Entwicklung</strong> bei den Frauen erwartet, da der Anteil k<strong>in</strong>derloser erwerbstätiger Frauen steigt <strong>und</strong><br />

immer mehr Mütter nach familienbed<strong>in</strong>gter Erwerbsunterbrechung <strong>in</strong>s Erwerbsleben zurückkehren.<br />

Dadurch müsste der Übergang <strong>in</strong> die Altersrente nach vorheriger Hausfrauentätigkeit quantitativ<br />

an Bedeutung verlieren.<br />

Zu Faktoren der Erwerbsbeteiligung <strong>und</strong> des Übergangs <strong>in</strong> die Nicht-Erwerbstätigkeit<br />

Unter der Annahme vielfältiger E<strong>in</strong>flüsse auf die Erwerbsbeteiligung <strong>und</strong> den Übergang <strong>in</strong> den<br />

Ruhestand soll <strong>in</strong> der empirischen Analyse der Vorzug des Alterssurveys genutzt werden, dass<br />

relativ viele Merkmale aus verschiedenen Lebensbereichen erhoben wurden. Dadurch lassen<br />

sich vergleichsweise viele der <strong>in</strong> der Literatur genannten E<strong>in</strong>flussgrößen <strong>in</strong> die Prädiktion der<br />

Ausübung e<strong>in</strong>er Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> des Wechsels <strong>in</strong> die Nicht-Erwerbstätigkeit e<strong>in</strong>beziehen<br />

<strong>und</strong> die wesentlichen Determ<strong>in</strong>anten herausarbeiten. Die Zusammenhangs- bzw. Vorhersageanalyse<br />

hat dabei ke<strong>in</strong>e hypothesentestende Funktion. Das primäre Ziel besteht im Nachweis<br />

des Ruhestandsübergangs als multifaktoriell verursachtes Geschehen <strong>und</strong> der Quantifizierung<br />

der verschiedenen E<strong>in</strong>flüsse.<br />

3.2.2 Datengr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> Vorgehensweise<br />

Der empirische Teil der Untersuchung stützt sich auf die Daten der Basis-, der Replikations-<br />

<strong>und</strong> der Panelstichprobe des Alterssurveys (e<strong>in</strong>e Beschreibung der Stichproben des Alterssurveys<br />

enthält der Beitrag von Engstler & Wurm, Kapitel 2 im vorliegenden Band). Die Ausländerstichprobe<br />

wurde nicht e<strong>in</strong>bezogen, da es <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie um die Darstellung <strong>und</strong> Analyse der<br />

Veränderungen im Vergleich der beiden Erhebungswellen von 1996 <strong>und</strong> 2002 geht. Ausgangspunkt<br />

sowohl für Kohortenvergleiche als auch für die Betrachtung der <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Erwerbssta-


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

tuswechsel zwischen den beiden Messzeitpunkten bildet die Erhebung von 1996, <strong>in</strong> die die ausländische<br />

Bevölkerung nicht e<strong>in</strong>bezogen war. Querschnittsergebnisse zum Erwerbsstatus im<br />

Jahr 2002 der ausländischen, <strong>in</strong> Privathaushalten lebenden Bevölkerung im Alter von 40 bis 85<br />

Jahren im Vergleich zur deutschen Bevölkerung enthält der Beitrag von Krumme & Hoff <strong>in</strong><br />

diesem Band.<br />

Für die Untersuchung werden die nachfolgend aufgeführten zentralen Konstrukte verwendet.<br />

Sofern sie für Vergleiche zwischen den beiden Wellen dienen, beruhen sie auf Angaben, die <strong>in</strong><br />

beiden Wellen – bis auf wenige Ausnahmen – <strong>in</strong> identischer Weise abgefragt wurden. Auf vere<strong>in</strong>zelte<br />

m<strong>in</strong>imale Abweichungen wird an den entsprechenden Stellen h<strong>in</strong>gewiesen. Der komplette<br />

Fragebogen für die mündliche <strong>und</strong> schriftliche Erhebung bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> Tesch-Römer,<br />

Wurm, Hoff & Engstler (2002).<br />

(a) Alter: Differenz zwischen Erhebungs- <strong>und</strong> Geburtsjahr.<br />

(b) Erwerbsstatus (5 Kategorien):<br />

Altersrentner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Altersrentner: Personen ab 60 Jahren, die nach eigener Angabe e<strong>in</strong>e<br />

Altersrente oder Pension aus eigener Erwerbstätigkeit beziehen, unabhängig davon, ob sie<br />

daneben noch erwerbstätig s<strong>in</strong>d. Erwerbstätige Altersrentenbezieher werden als Untergruppe<br />

dieser Kategorie ausgewiesen.<br />

Erwerbstätige: Personen, die hauptberuflich teilzeit oder vollzeit erwerbstätig (auch ABM)<br />

oder unregelmäßig, ger<strong>in</strong>gfügig oder nebenerwerbstätig s<strong>in</strong>d. Da 96 Prozent (Replikationsstichprobe)<br />

dieser Kategorie hauptberuflich erwerbstätig s<strong>in</strong>d, wird auch die Bezeichnung<br />

"Hauptberuflich Erwerbstätige" verwendet. Nicht <strong>in</strong> dieser Kategorie enthalten s<strong>in</strong>d<br />

Personen, die e<strong>in</strong>e Altersrente oder Pension beziehen <strong>und</strong> daneben noch erwerbstätig s<strong>in</strong>d.<br />

Arbeitslos, Vorruhestand: Personen, die sich selbst als arbeitslos oder im Vorruhestand bef<strong>in</strong>dlich<br />

bezeichnen.<br />

Frührente, -pension: Personen, die angeben, Frührentner oder Frührentner<strong>in</strong> zu se<strong>in</strong> <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente zu beziehen. In Welle 2 war (für Personen unter 60<br />

Jahren) zusätzlich die Antwortmöglichkeit "frühpensioniert" gegeben.<br />

Sonstige Nicht-Erwerbstätige: Hausfrauen <strong>und</strong> Hausmänner, Personen <strong>in</strong> Umschulung/ Weiterbildung<br />

oder im Mutterschafts-/Erziehungsurlaub, Personen <strong>in</strong> der Freistellungsphase der<br />

Altersteilzeit (nur <strong>in</strong> Welle 2 erhoben <strong>und</strong> nur m<strong>in</strong>imal besetzt (n=7)), aus anderen Gründen<br />

nicht Erwerbstätige (e<strong>in</strong>schließlich nie hauptberuflich erwerbstätig Gewesene).<br />

(c) Ruhestand: Zusammenfassung der Kategorien "Altersrente/Pension" <strong>und</strong> "Frührente/pension".<br />

(d) Nicht-Erwerbstätig: Sofern – wie <strong>in</strong> Kapitel 3.3.1 – die Kategorien des Erwerbsstatus auf<br />

drei Gruppen reduziert werden (erwerbstätig, im Ruhestand, nicht erwerbstätig), handelt es<br />

sich um die Zusammenfassung der Kategorien "Arbeitslos/Vorruhestand" <strong>und</strong> "Sonstige<br />

Nicht-Erwerbstätige". Sofern h<strong>in</strong>sichtlich des Erwerbsstatus nur zwischen erwerbstätig <strong>und</strong><br />

nicht-erwerbstätig unterschieden wird, umfasst diese Kategorie alle Personen außer den Erwerbstätigen.<br />

Diese dichotome Unterscheidung kommt bei der Untersuchung multipler E<strong>in</strong>flüsse<br />

auf die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit der Erwerbsausübung (Kapitel 3.2) <strong>und</strong> der Erwerbsbeendigung<br />

(Kapitel 3.4) zum E<strong>in</strong>satz.<br />

75


76<br />

Heribert Engstler<br />

Der Ergebnisteil beg<strong>in</strong>nt mit e<strong>in</strong>er Darstellung des Erwerbsstatus 2002 nach Alter (bis 70 Jahre),<br />

Geschlecht <strong>und</strong> Landesteil (Kapitel 3.3.1). Es folgt – unter E<strong>in</strong>satz logistischer Regressionsmodelle<br />

–die Analyse der Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit erwerbstätig zu se<strong>in</strong>. Untersucht wird dabei<br />

für Männer <strong>und</strong> Frauen getrennt der Zusammenhang mit sozioökonomischen <strong>und</strong> betriebsstrukturellen<br />

Merkmalen (Kapitel 3.3.2). Anschließend wird die Veränderung des Erwerbsstatus<br />

zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 im Kohortenvergleich dargestellt, mit e<strong>in</strong>er Differenzierung nach Geschlecht<br />

<strong>und</strong> Landesteil (Kapitel 3.3.3). Zunächst beschrieben <strong>und</strong> anschließend mittels logistischer<br />

Regression analysiert werden die <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Übergänge von der Erwerbs- <strong>in</strong> die Nicht-<br />

Erwerbstätigkeit bei den Panelteilnehmern zwischen den beiden Messzeitpunkten (Kapitel<br />

3.3.4).<br />

In beiden Wellen wurde das geplante Alter der Erwerbsbeendigung von Erwerbstätigen erfragt,<br />

die noch ke<strong>in</strong>e Altersrente beziehen 6 . Von den Rentenempfänger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Rentenempfängern<br />

<strong>und</strong> den anderen Nicht-Erwerbstätigen (z.B. Arbeitslosen) wurde das Jahr des Ausscheidens aus<br />

der Erwerbstätigkeit erhoben. In Kapitel 3.4.1 werden auf Gr<strong>und</strong>lage der Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe<br />

die Ausstiegspläne der Erwerbstätigen ab 40 Jahren des Jahres 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

verglichen. Dies soll Aufschluss geben über Art <strong>und</strong> Ausmaß, mit dem die öffentliche Diskussion<br />

über e<strong>in</strong>e Verlängerung der Lebensarbeitszeit <strong>und</strong> die <strong>in</strong> den vergangenen Jahren auf dieses<br />

Ziel ausgerichteten gesetzlichen Maßnahmen ihren Niederschlag <strong>in</strong> den <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Erwartungen<br />

<strong>und</strong> Plänen zum Ruhestandsbeg<strong>in</strong>n gef<strong>und</strong>en haben. Danach wird unter Verwendung der<br />

Längsschnittdaten der Panelstichprobe untersucht, <strong>in</strong>wieweit der Erwerbsstatus der Panelteilnehmer<br />

im Jahr 2002 mit ihren 1996 geäußerten Plänen der Erwerbsbeendigung konform geht.<br />

Bei nicht mehr Erwerbstätigen wird darüber h<strong>in</strong>aus die zeitliche Übere<strong>in</strong>stimmung zwischen<br />

dem geplanten <strong>und</strong> dem realisierten Ausstiegszeitpunkt untersucht, bei weiterh<strong>in</strong> Erwerbstätigen<br />

die Stabilität der Ausstiegspläne 1996 <strong>und</strong> 2002.<br />

Anschließend werden die Ergebnisse der deskriptiven Untersuchung zum Alter des Ausscheidens<br />

aus dem Erwerbsleben im Kohortenvergleich der nicht mehr Erwerbstätigen berichtet (Kapitel<br />

3.4.2). Indikator dafür ist die <strong>in</strong> jedem Altersjahr aus dem angegebenen Beendigungsalter<br />

ermittelte Erwerbstätigenquote zwischen dem 55. <strong>und</strong> 65. Lebensjahr bei jeder Kohortengruppe.<br />

Mittels der kohortenspezifischen Verläufe der Erwerbstätigenquote im Hauptübergangsalter <strong>in</strong><br />

den Ruhestand lassen sich neben der allgeme<strong>in</strong>en <strong>Entwicklung</strong> auch die enormen Veränderungen<br />

des Erwerbsbeendigungsalters seit der Wiedervere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> Ostdeutschland aufzeigen.<br />

Schließlich wird noch die These des seltener werdenden nahtlosen Übergangs von der Erwerbstätigkeit<br />

<strong>in</strong> die Rente anhand der kohortenspezifischen <strong>Entwicklung</strong> der verschiedenen Zugangswege<br />

<strong>in</strong> die Rente empirisch geprüft (Kapitel 3.5). Informationsgr<strong>und</strong>lage dafür s<strong>in</strong>d die<br />

Auskünfte der Altersrentner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> -rentner zur Situation vor dem Rentenbeg<strong>in</strong>n.<br />

Abschließend werden die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst <strong>und</strong> diskutiert<br />

(Kapitel 3.6).<br />

6 Der Wortlaut der Frage lautete: Mit welchem Alter planen Sie, Ihre Erwerbstätigkeit zu beenden? Als Antwort<br />

konnten die Befragten e<strong>in</strong> konkretes Altersjahr nennen (mit ... Jahren) oder die Antwort "weiß noch nicht" geben.


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

3.3 Die Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

3.3.1 Alters- <strong>und</strong> geschlechtsspezifischer Erwerbsstatus 2002<br />

Der Prozess des Übergangs <strong>in</strong> den Ruhestand f<strong>in</strong>det weitgehend im Alter von Mitte 50 bis Mitte<br />

60 mit e<strong>in</strong>er starken Konzentration auf das 60. bis 65. Lebensjahr statt. Dies lässt sich bereits im<br />

Querschnitt bei e<strong>in</strong>em Blick auf die Erwerbsbeteiligung der verschiedenen Altersgruppen erkennen<br />

(Tabelle 3.1). Bis zu den 50- bis 54-Jährigen s<strong>in</strong>d die altersgruppenspezifischen Unterschiede<br />

des Anteils Erwerbstätiger 7 eher ger<strong>in</strong>g. Die mit 77 Prozent etwas niedrigere Erwerbstätigenquote<br />

der 50- bis 54-Jährigen gegenüber den 45- bis 49-Jährigen resultiert aus e<strong>in</strong>er etwas<br />

höheren Arbeitslosigkeit, e<strong>in</strong>em leicht höheren Anteil an Frühverrenteten <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er etwas höheren<br />

Quote sonstiger Nicht-Erwerbstätiger, worunter sich überwiegend Hausfrauen bef<strong>in</strong>den.<br />

Von den fünf Jahre Älteren, den 55- bis 59-Jährigen s<strong>in</strong>d nur noch zwei Drittel (66%) erwerbstätig;<br />

der Anteil Arbeitsloser <strong>und</strong> Vorruheständler erreicht <strong>in</strong> diesem Alter se<strong>in</strong> Maximum<br />

(12%), ebenso die Quote Frühverrenteter (7%) <strong>und</strong> der Anteil der sonstigen Nicht-<br />

Erwerbstätigen (15%). Deren um 5 Prozentpunkte höhere Quote gegenüber den 50- bis 54-<br />

Jährigen beruht hauptsächlich auf e<strong>in</strong>em <strong>in</strong> dieser Altersgruppe höheren Hausfrauenanteil im<br />

Westen Deutschlands: Von den 50- bis 54-jährigen westdeutschen Frauen s<strong>in</strong>d 16 Prozent<br />

Hausfrauen, von den 55- bis 59-Jährigen h<strong>in</strong>gegen 25 Prozent. Inwieweit es sich hierbei um<br />

e<strong>in</strong>en Kohortenunterschied handelt <strong>und</strong> <strong>in</strong> welchem Ausmaß biografische Übergänge <strong>in</strong> den<br />

Hausfrauenstatus bei den über 50-Jährigen zu dieser höheren Quote beitragen, wird die<br />

längsschnittliche Betrachtung der Erwerbsverläufe zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 zeigen (vgl. Kapitel<br />

3.3.3).<br />

Tabelle 3.1:<br />

Erwerbsstatus der 40- bis 69-Jährigen nach Alter, 2002 (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 65-69 Gesamt<br />

Erwerbstätig 1 84,2 80,2 77,1 66,2 19,8 1,8 55,9<br />

Arbeitslos, Vorruhestand 7,4 7,5 8,4 11,9 7,4 0,3 7,2<br />

Frührente, -pension 0,7 3,2 4,8 7,2 7,2 1,2 4,0<br />

Altersrente, Pension (ab 60) – – – – 51,1 88,6 22,3<br />

darunter: erwerbstätig 3,4 8,4 1,8<br />

Sonstige Nicht-Erwerbstätige 2<br />

7,7 9,1 9,8 14,7 14,6 8,1 10,6<br />

Gesamt 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0<br />

Quelle: Alterssurvey 2002 – Replikationsstichprobe (n=2080), gewichtet<br />

1 Erwerbstätige ohne Bezug e<strong>in</strong>er Altersrente/Pension<br />

2<br />

u.a. Hausfrauen/-männer, Umschulung/Weiterbildung, Freistellungsphase der Altersteilzeit<br />

Altersspezifische Unterschiede statistisch signifikant (Chi²-Test, p


78<br />

Heribert Engstler<br />

Ab den 60-Jährigen ist die Erwerbsbeteiligung drastisch niedriger: nur noch 20 Prozent der 60-<br />

bis 64-Jährigen s<strong>in</strong>d hauptberuflich erwerbstätig. Unter E<strong>in</strong>bezug der erwerbstätigen Altersrentner<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> –rentner, die jedoch überwiegend ger<strong>in</strong>gfügig beschäftigt s<strong>in</strong>d 8 , beträgt die<br />

Erwerbstätigenquote 23 Prozent. Die Hälfte (51%) der 60- bis 64-Jährigen bezieht e<strong>in</strong>e Altersrente<br />

oder Pension 9 , 7 Prozent bezeichnen sich als Frührentner. Durch den Wechsel <strong>in</strong> vorgezogene<br />

Altersrenten s<strong>in</strong>kt der Anteil Arbeitsloser <strong>und</strong> Vorruheständler, während der Anteil sonstiger<br />

Nicht-Erwerbstätiger gleich bleibt, da viele Hausfrauen wegen nicht ausreichender Versicherungsjahre<br />

erst mit 65 Jahren Altersrente erhalten können. Mit Vollendung des 65. Lebensjahres<br />

gehen nahezu alle bis dah<strong>in</strong> noch Erwerbstätigen <strong>in</strong> den Ruhestand: Von den 65- bis 69-<br />

Jährigen s<strong>in</strong>d nur noch 2 Prozent hauptberuflich erwerbstätig, 98 Prozent bef<strong>in</strong>den sich im Ruhestand,<br />

90 Prozent beziehen Rente. Knapp e<strong>in</strong> Zehntel der 65- bis 69-jährigen Altersrentner<br />

s<strong>in</strong>d jedoch nach dem Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand noch <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en oder anderen Form erwerbstätig,<br />

wodurch die Gesamterwerbstätigenquote dieser Altersgruppe 10 Prozent beträgt.<br />

Es fällt auf, dass die Erwerbsbeteiligung der Rentner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Rentner zwischen 65 <strong>und</strong> 70<br />

Jahren höher ist als die der 60- bis 64-jährigen Altersrentenempfänger (Tabelle 3.2). Dies hängt<br />

vermutlich damit zusammen, dass der Übergang <strong>in</strong> die vorgezogene Altersrente häufiger aus der<br />

Arbeitslosigkeit, dem Vorruhestand oder wegen e<strong>in</strong>geschränkter Erwerbsfähigkeit erfolgt <strong>und</strong><br />

damit seltener mit der Möglichkeit verb<strong>und</strong>en ist, nach dem Wechsel <strong>in</strong> die Rente gelegentlich<br />

oder mit verr<strong>in</strong>gerter Arbeitszeit beim bisherigen Arbeitgeber erwerbstätig zu se<strong>in</strong>.<br />

Tabelle 3.2<br />

Anteil Erwerbstätiger unter den Beziehern von Altersrente, 2002 (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

Alter der<br />

Rentenbezieher<br />

Männer Frauen West Ost Gesamt<br />

60-64 5,8 7,4 6,7 6,0 6,6<br />

65-69 11,0 8,7 10,2 8,6 9,5<br />

70-74 7,7 3,8 6,0 4,3 5,6<br />

75-79 6,5 3,8 6,1 2,1 4,9<br />

80-85 2,0 3,3 2,6 3,8 2,8<br />

Gesamt 7,2 5,6 6,7 5,0 6,3<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe (n=1438), gewichtet<br />

*) Die Unterschiede zwischen den Altersgruppen s<strong>in</strong>d statistisch signifikant (Chi²-Test, p


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

Von dieser Besonderheit abgesehen gilt: Je älter die Rentenbezieher s<strong>in</strong>d, desto seltener s<strong>in</strong>d sie<br />

noch – ger<strong>in</strong>gfügig – erwerbstätig. Aber selbst von den über 75-Jährigen üben noch e<strong>in</strong>ige e<strong>in</strong>e<br />

Erwerbstätigkeit aus. Dabei handelt es sich überdurchschnittlich oft um (ehemalige) Selbstständige<br />

<strong>und</strong> mithelfende Familienangehörige.<br />

Nachzutragen bleibt, dass e<strong>in</strong>e Erwerbstätigkeit ohne gleichzeitigen Bezug e<strong>in</strong>er Rente ab dem<br />

70. Lebensjahr äußerst selten ist: Von den 70- bis 74-Jährigen s<strong>in</strong>d nur noch 0,4 Prozent erwerbstätig<br />

<strong>und</strong> beziehen ke<strong>in</strong>e Rente.<br />

Durch die starke Konzentration der Beendigung des Erwerbslebens <strong>und</strong> des Übergangs <strong>in</strong> den<br />

Ruhestand auf das Alter von Mitte 50 bis Mitte 60 weist dieser 10-Jahres-Abschnitt <strong>in</strong>nerhalb<br />

der zweiten Lebenshälfte die größte Heterogenität <strong>in</strong> der Erwerbsbeteiligung auf. H<strong>in</strong>zu kommen<br />

ausgeprägte Unterschiede zwischen Männern <strong>und</strong> Frauen sowie zwischen Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland<br />

(Abbildung 3.2).<br />

Abbildung 3.2:<br />

Erwerbsstatus der 55- bis 64-jährigen Männer <strong>und</strong> Frauen<br />

<strong>in</strong> West- <strong>und</strong> Ostdeutschland, 2002<br />

%<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

33,2<br />

8,6<br />

9,4 20,3<br />

46,3<br />

27,1 29,7<br />

9,3<br />

40,7<br />

3,8<br />

31,4<br />

5,5<br />

29,7<br />

37,0<br />

13,0<br />

12,0<br />

31,5<br />

West Ost West Ost<br />

Männer Frauen*<br />

Altersrente<br />

Frührente, -pension<br />

Sonstige Nicht-Erw erbst.<br />

Arbeitslos, Vorruhestand<br />

Erw erbstätig<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe (n=706)<br />

West: Früheres B<strong>und</strong>esgebiet; Ost: Neue Länder <strong>und</strong> Berl<strong>in</strong>-Ost.<br />

* = Ost-West-Unterschied bei den Frauen statistisch signifikant (Chi²-Test, p


80<br />

Heribert Engstler<br />

familienbed<strong>in</strong>gte Erwerbsunterbrechungen zurück als die Frauen <strong>in</strong> Westdeutschland, der Anteil<br />

Selbstständiger ist im Osten Deutschlands niedriger als im Westen, der ostdeutsche Arbeitsmarkt<br />

ist angespannter <strong>und</strong> zu se<strong>in</strong>er Entlastung wurden während der 1990er Jahre besondere<br />

befristete Möglichkeiten der Frühausgliederung älterer Arbeitnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Arbeitnehmer <strong>in</strong><br />

den Vorruhestand geschaffen, die noch nachwirken.<br />

3.3.2 Ausgewählte Faktoren der Erwerbsbeteiligung 2002<br />

Ausgehend von verschiedenen Bef<strong>und</strong>en der <strong>in</strong> den Kapiteln 3.1 <strong>und</strong> 3.2 genannten Studien <strong>und</strong><br />

den vorhandenen Informationen im Alterssurvey werden die folgenden potenziellen E<strong>in</strong>flüsse<br />

auf die Ausübung e<strong>in</strong>er Erwerbstätigkeit der 40- bis 64-jährigen Männer <strong>und</strong> Frauen näher untersucht:<br />

der E<strong>in</strong>fluss der soziodemografischen Merkmale Alter, Haushaltstyp, Landesteil <strong>und</strong><br />

Regionsgröße, der sozioökonomischen Merkmale Sozialschicht <strong>und</strong> Qualifikationsniveau, der<br />

betrieblichen Merkmale Branchenzugehörigkeit <strong>und</strong> Betriebsgröße (Beschäftigtenzahl) der letzten<br />

oder aktuellen Erwerbstätigkeit sowie der Selbste<strong>in</strong>schätzung des Ges<strong>und</strong>heitszustands.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der erwarteten Unterschiedlichkeit dieser E<strong>in</strong>flüsse bei Männern <strong>und</strong> Frauen erfolgten<br />

die Analysen getrennt für beide Geschlechter.<br />

Die Untersuchung bedient sich des <strong>in</strong> der Soziologie häufig verwendeten Verfahrens der b<strong>in</strong>omialen<br />

logistischen Regression. Abhängiges Merkmal ist die Ausübung e<strong>in</strong>er Erwerbstätigkeit<br />

ohne gleichzeitigen Bezug e<strong>in</strong>er Altersrente, genauer: das logarithmierte Verhältnis zwischen<br />

der Ausübungswahrsche<strong>in</strong>lichkeit <strong>und</strong> der Nichtausübungswahrsche<strong>in</strong>lichkeit (L = ln(p/1-p)).<br />

E<strong>in</strong>e mögliche Erwerbstätigkeit im Ruhestand bleibt <strong>in</strong> dieser Analyse unbeachtet, da die Faktoren<br />

für e<strong>in</strong>e Erwerbsausübung im Gegensatz zur Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit des Ruhestands oder e<strong>in</strong>es<br />

– sonstigen – Nichterwerbsstatus untersucht werden sollen.<br />

Gut veranschaulichen lassen sich Stärke <strong>und</strong> Richtung der e<strong>in</strong>zelnen Prädiktoren, wenn die ß-<br />

Koeffizienten zu sogenannten „odds-ratio“-Werten bzw. Effektkoeffizienten transformiert werden:<br />

odds ratio = exp(ßi). Deren Abweichung von 1 gibt an, um welches Vielfache sich – unter<br />

Konstanthaltung der anderen Prädiktoren – das Verhältnis zwischen Erwerbs- <strong>und</strong> Nichterwerbswahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

ändert, wenn der Wert der unabhängigen Variable (Prädiktor) um e<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>heit erhöht wird, z.B. wenn das Alter e<strong>in</strong> Jahr höher ist. Bei nicht-metrischen Merkmalen<br />

(z.B. Haushaltstyp) drückt der Effektkoeffizient den Unterschied gegenüber der Referenzkategorie<br />

aus (z.B. Paare mit K<strong>in</strong>dern vs. Paare ohne K<strong>in</strong>der). Je größer die Relation des Koeffizienten<br />

zum Wert 1 ist, desto stärker ist der negative (1) der zugehörigen<br />

Variable/Kategorie auf die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit der Ausübung e<strong>in</strong>er Erwerbstätigkeit. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

ist dabei immer auch auf die unterschiedliche Skalenbreite der Prädiktoren zu achten. Der<br />

Pseudo-R²-Koeffizient (nach Nagelkerke) gibt Auskunft über die Erklärungs- bzw. Vorhersagekraft<br />

e<strong>in</strong>es Modells. Je näher das Maß an den Wert 1 reicht, desto höher die Erklärungskraft des<br />

Modells (vgl. Backhaus, Erichson, Pl<strong>in</strong>ke & Weiber 2000, S.133).<br />

Die Analyse zeigt, dass die neun e<strong>in</strong>bezogenen Merkmale zusammen 42 Prozent (Männer) bis<br />

43 Prozent (Frauen) der Varianz aufklären (vgl. nachfolgende Tabelle 3.3).


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

Tabelle 3.3:<br />

Prädiktoren der Erwerbstätigkeit von 40- bis 64-jährigen Männern <strong>und</strong> Frauen<br />

(Logistische Regression) 1<br />

Signifikanzniveau: ° = p


82<br />

Heribert Engstler<br />

Erwartungsgemäß hat das Alter bei beiden Geschlechtern e<strong>in</strong>en starken negativen E<strong>in</strong>fluss.<br />

Auch <strong>in</strong> Ostdeutschland zu wohnen, führt zu e<strong>in</strong>er Verr<strong>in</strong>gerung der Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit erwerbstätig<br />

zu se<strong>in</strong>; statistisch signifikant ist dieser Effekt allerd<strong>in</strong>gs nur bei den Männern. 11 Dies<br />

trifft auch auf den E<strong>in</strong>fluss der Regionsgröße zu: In weniger dicht besiedelten Regionen zu leben<br />

(BIK-Regionen mit weniger als 5000 E<strong>in</strong>wohnern) erhöht bei Männern die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

erwerbstätig zu se<strong>in</strong>, bei den Frauen hat der Urbanitäts- <strong>und</strong> Zentralitätsgrad der Wohnregion<br />

ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf die Erwerbsbeteiligung.<br />

Auffällig ist der gegensätzliche Effekt des Vorhandense<strong>in</strong>s von K<strong>in</strong>dern im Haushalt auf die<br />

Erwerbsbeteiligung der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Paarbeziehung lebenden Frauen <strong>und</strong> Männer. Während Frauen<br />

mit K<strong>in</strong>dern im Haushalt auch jenseits des 40. Lebensjahrs (bzw. nach der Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dphase)<br />

erheblich seltener erwerbstätig s<strong>in</strong>d als die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Paarbeziehung lebenden Frauen ohne K<strong>in</strong>der,<br />

geht die Existenz von K<strong>in</strong>dern im Haushalt bei den Männern mit e<strong>in</strong>er deutlichen Steigerung<br />

ihrer Erwerbswahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>her. In diesem Gegensatz kommt die verbreitete geschlechtsspezifische<br />

Arbeitsteilung bei Paaren mit K<strong>in</strong>dern zum Ausdruck. Etwas beunruhigend<br />

ist die Tatsache, dass besonders bei Frauen die Führung e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>personenhaushalts mit e<strong>in</strong>er<br />

im Vergleich zum Paarhaushalt ger<strong>in</strong>geren Erwerbswahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>her geht. Denn dies<br />

bedeutet auch das Fehlen von Erwerbse<strong>in</strong>künften bei gleichzeitig <strong>in</strong> diesem Alter erst zum Teil<br />

vorhandenem E<strong>in</strong>kommen aus Alterssicherungssystemen. Dass alle<strong>in</strong>lebende Frauen unter 65<br />

Jahren unter Kontrolle der anderen E<strong>in</strong>flüsse sogar seltener als Frauen mit K<strong>in</strong>dern erwerbstätig<br />

s<strong>in</strong>d, lässt zudem negative Auswirkungen auf die zu erwartende Höhe ihrer Altersrente erwarten.<br />

Tendenziell geht das Alle<strong>in</strong>leben auch bei Männern mit e<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>geren Erwerbsbeteiligung<br />

e<strong>in</strong>her, wenn auch der Effekt statistisch nicht signifikant, d.h. mit e<strong>in</strong>er höheren Irrtumswahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

behaftet ist.<br />

Nur bei den Frauen hängt die Erwerbsbeteiligung signifikant vom Qualifikationsniveau ab.<br />

Frauen mit Hochschulabschluss s<strong>in</strong>d zu e<strong>in</strong>em wesentlich höheren Grad erwerbstätig als andere<br />

Frauen. Studiert zu haben erhöht das Verhältnis zwischen Erwerbs- <strong>und</strong> Nichterwerbswahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

um r<strong>und</strong> das Dreifache zugunsten der Erwerbstätigkeit. Die Unterschiede zwischen<br />

den anderen Qualifikationsniveaus s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>gegen ger<strong>in</strong>g.<br />

11 Der deskriptive Vergleich der Alterssurveydaten zeigt ebenfalls, dass die Erwerbstätigenquote der 40- bis 64jährigen<br />

Männer <strong>und</strong> Frauen <strong>in</strong> Ostdeutschland etwas niedriger als <strong>in</strong> Westdeutschland ist. Dies bestätigen auch<br />

eigene Berechnungen aus den veröffentlichten Zahlen des Mikrozensus 2003 (Statistisches B<strong>und</strong>esamt 2003b)..<br />

Danach liegt die Erwerbstätigenquote der westdeutschen Männer um 10 Prozentpunkte, die der westdeutschen<br />

Frauen um 1 Prozentpunkt über der <strong>in</strong> Ostdeutschland. Bei den Frauen kommt dieser leichte Gesamtunterschied<br />

durch die ger<strong>in</strong>ge Erwerbsbeteiligung der 60- bis 64-Jährigen <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>esländern zustande, während im<br />

darunter liegenden Alter die Erwerbstätigenquote der ostdeutschen Frauen um r<strong>und</strong> 2 Prozentpunkte über der <strong>in</strong><br />

Westdeutschland liegt.


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

Die Erwerbsbeteiligung der Männer hängt nicht vom Qualifikationsniveau, sondern von der –<br />

an der beruflichen Stellung festgemachten – Schichtzugehörigkeit ab: Je höher die soziale<br />

Schicht, desto höher ist auch die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit der Männer erwerbstätig zu se<strong>in</strong>. Bei den<br />

Frauen ist dieser Zusammenhang nur schwach ausgeprägt. 12<br />

Mit e<strong>in</strong>er markanten Ausnahme haben die Branchenzugehörigkeit <strong>und</strong> die Größe des Betriebs,<br />

<strong>in</strong> dem man aktuell oder zuletzt gearbeitet hat, ke<strong>in</strong>en nennenswerten E<strong>in</strong>fluss auf die Erwerbsbeteiligung<br />

der Männer <strong>und</strong> Frauen. Die Ausnahme ist die Tätigkeit von Frauen im Öffentlichen<br />

Dienst. E<strong>in</strong> Arbeitsplatz im Öffentlichen Dienst erhöht die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit der Berufsausübung<br />

der Frauen ab 40 Jahren erheblich (verglichen mit e<strong>in</strong>em Industriearbeitsplatz um den<br />

Faktor 2,4).<br />

Offenbar begünstigen die im Öffentlichen Dienst relativ guten Beurlaubungs- <strong>und</strong> Teilzeitmöglichkeiten<br />

sowie die höhere Arbeitsplatzsicherheit die Rückkehr von Frauen <strong>in</strong> die Erwerbstätigkeit<br />

nach der Familienphase.<br />

Bei beiden Geschlechtern besteht e<strong>in</strong> starker Zusammenhang zwischen dem subjektiven Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />

<strong>und</strong> der Erwerbsbeteiligung: Je schlechter nach eigener E<strong>in</strong>schätzung der Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />

ist, desto seltener üben die Befragten e<strong>in</strong>e Erwerbstätigkeit aus.<br />

Ke<strong>in</strong>e signifikanten Zusammenhänge ergaben sich h<strong>in</strong>gegen mit den subjektiven E<strong>in</strong>schätzungen<br />

anderer Lebensaspekte, wie den Paar- <strong>und</strong> Familienbeziehungen, dem Verhältnis zu Fre<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> Bekannten, der Freizeitgestaltung, der Wohnsituation <strong>und</strong> der E<strong>in</strong>schätzung des eigenen<br />

Lebensstandards. 13<br />

Insgesamt zeigt sich e<strong>in</strong> deutlicher Zusammenhang der Erwerbsbeteiligung der über 40-Jährigen<br />

mit sozialstrukturellen <strong>und</strong> (familien)biografischen Merkmalen, während der E<strong>in</strong>fluss betriebsstruktureller<br />

Merkmale sehr begrenzt war. Dies kann daran liegen, dass mit der Branchenzugehörigkeit<br />

<strong>und</strong> Betriebsgröße nur zwei allgeme<strong>in</strong>e betriebliche Merkmale mit zugleich fallzahlbed<strong>in</strong>gter<br />

grober E<strong>in</strong>teilung untersucht wurden. Die querschnittliche Untersuchung von Faktoren<br />

der Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der relativ breiten Altersspanne der 40- bis 64-Jährigen ist zudem<br />

nur als erster E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> die Analyse des Übergangs <strong>in</strong> den Ruhestand zu verstehen. E<strong>in</strong>en genaueren<br />

E<strong>in</strong>blick wird die längsschnittliche Untersuchung der Erwerbsbeendigung der Panelteilnehmer<br />

ergeben, die 1996 <strong>und</strong> 2002 befragt werden konnten (vgl. hierzu Kapitel 3.3.4). Zuvor<br />

soll jedoch die allgeme<strong>in</strong>e Veränderung der Erwerbsbeteiligung zwischen diesen beiden<br />

Jahren anhand der Daten des Alterssurveys sowohl im Kohortenvergleich als auch <strong>in</strong> den <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n<br />

Verläufen dargestellt werden.<br />

12 Dieser geschlechtsspezifische Unterschied bleibt auch erhalten, wenn <strong>in</strong> das Modell jeweils nur die Schichtzugehörigkeit<br />

oder nur das Qualifikationsniveau e<strong>in</strong>bezogen wird. Die Rangkorrelation zwischen Schicht <strong>und</strong> Qualifikation<br />

hält sich <strong>in</strong> Grenzen (Kendalls taub: .40 (Frauen), .47 (Männer), p


3.3.3 <strong>Entwicklung</strong> der Erwerbsbeteiligung zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

Veränderungen im Kohortenvergleich<br />

84<br />

Heribert Engstler<br />

Die Betrachtung von <strong>Entwicklung</strong>en im Kohortenvergleich ist e<strong>in</strong> häufiges Verfahren zur Erfassung<br />

des sozialen <strong>Wandel</strong>s, da sich dieser oft <strong>in</strong> Form veränderter Verhaltensweisen der nachfolgenden<br />

Geburtsjahrgänge vollzieht (vgl. Alw<strong>in</strong> & McCammon, 2003). Damit kohortenspezifische<br />

Veränderungen ause<strong>in</strong>ander gehalten werden können von <strong>Entwicklung</strong>en, die mit dem<br />

<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Prozess des Alterns verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d, ist es s<strong>in</strong>nvoll, das Verhalten verschiedener<br />

Geburtsjahrgänge im jeweils gleichen Alter zu beobachten. Für den Vergleich der Erwerbsbeteiligung<br />

unterschiedlicher Geburtsjahrgänge werden daher die Befragten der Basisstichprobe von<br />

1996 ebenso wie die Befragten der Replikationsstichprobe 2002 <strong>in</strong> sechsjährige Altersgruppen<br />

unterteilt <strong>und</strong> mite<strong>in</strong>ander verglichen. Mit dieser Gruppenbildung wird verh<strong>in</strong>dert, dass e<strong>in</strong>zelne<br />

Geburtsjahrgänge zu beiden Messzeitpunkten der gleichen Altersgruppe angehören. Diese E<strong>in</strong>teilung<br />

ermöglicht e<strong>in</strong>en trennscharfen Vergleich unterschiedlicher Kohorten im jeweils gleichen<br />

Alter, wie <strong>in</strong> Abbildung 3.3 dargestellt. Dabei festzustellende Verhaltensunterschiede der<br />

Angehörigen verschiedener Kohorten im gleichen Alter können Ausdruck veränderter Erwerbsbiografien<br />

bei jüngeren Geburtsjahrgängen se<strong>in</strong> (Kohorteneffekt). Es ist jedoch nicht auszuschließen,<br />

dass zu den Unterschieden auch mögliche Besonderheiten des jeweiligen Messzeitpunkts<br />

beitragen, deren E<strong>in</strong>fluss sich auf alle Altersgruppen erstrecken oder nur vorübergehender<br />

Natur se<strong>in</strong> kann (Periodeneffekt).<br />

Abbildung 3.3:<br />

Erwerbsstatus nach Alter, 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

100<br />

80<br />

60<br />

%<br />

40<br />

20<br />

0<br />

19,5 14,9 18,3 16,3<br />

80,0 83,7 80,5 79,8<br />

Erw erbstätig Nicht-Erw erbstätig Ruhestand<br />

28,5<br />

66,2<br />

21,5<br />

74,6<br />

32,8<br />

33,6<br />

44,7<br />

23,8<br />

33,5 31,4<br />

1996 2002 1996 2002 1996 2002 1996 2002 1996 2002<br />

40-45* 46-51* 52-57* 58-63* 64-69<br />

Alter<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 (n=3498) <strong>und</strong> 2002 (Replikationsstichprobe, n=2080), gewichtet<br />

* = Unterschied im Erwerbsstatus 2002 gegenüber 1996 statistisch signifikant (Chi²-Test, p


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

Abbildung 3.4:<br />

Anteil erwerbstätiger* Männer <strong>und</strong> Frauen <strong>in</strong> West- <strong>und</strong> Ostdeutschland, 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

%<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

West<br />

Männer 1996<br />

Männer 2002<br />

Frauen 1996<br />

Frauen 2002<br />

40-45 46-51 52-57 58-63 64-69<br />

Alter<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

Männer 1996<br />

Männer 2002<br />

Frauen 1996<br />

Frauen 2002<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 (n=3498) <strong>und</strong> 2002 (Replikationsstichprobe, n=2080)<br />

* ohne erwerbstätige Rentner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Rentner.<br />

%<br />

Ost<br />

40-45 46-51 52-57 58-63 64-69<br />

Alter<br />

Die Gegenüberstellung der Ergebnisse von 1996 <strong>und</strong> 2002 zeigt, dass <strong>in</strong> nahezu jeder der betrachteten<br />

Altersgruppen <strong>in</strong> der Kohortenabfolge signifikante Veränderungen der Erwerbsbeteiligung<br />

stattgef<strong>und</strong>en haben. Bei den 40- bis 45-Jährigen nahm der Anteil Erwerbstätiger um<br />

knapp 4 Prozentpunkte zu, allerd<strong>in</strong>gs bei gegensätzlicher <strong>Entwicklung</strong> zwischen Männern <strong>und</strong><br />

Frauen: Während die Erwerbstätigenquote der Frauen stieg, fiel die der Männer, am stärksten<br />

die der ostdeutschen Männer (m<strong>in</strong>us 8 Prozentpunkte). Der Gesamtanstieg <strong>in</strong> dieser Altersgruppe<br />

resultiert weitgehend aus der beträchtlichen Steigerung des Erwerbstätigenanteils der westdeutschen<br />

Frauen um 15 Prozentpunkte (Abbildung 3.4 <strong>und</strong> Abbildung 3.5). Auch bei den 46-<br />

bis 51-Jährigen verbirgt sich h<strong>in</strong>ter dem leichten Rückgang der Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong>sgesamt<br />

die gegensätzliche <strong>Entwicklung</strong> bei Männern <strong>und</strong> Frauen, vor allem im Westen Deutschlands.<br />

Den höchsten Gesamtzuwachs erfuhr die Erwerbsbeteiligung der 52- bis 57-Jährigen: deren<br />

Erwerbstätigenquote stieg zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 von 66 auf knapp 75 Prozent. In dieser Altersgruppe<br />

nahm auch der Anteil erwerbstätiger Männer leicht zu. Die größte Steigerung weisen<br />

mit e<strong>in</strong>em Anstieg um 17 Prozentpunkte wiederum die westdeutschen Frauen auf.<br />

Bei den 58- bis 63-Jährigen g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> den sechs Jahren der Erwerbstätigenanteil leicht zurück<br />

(-2%-Punkte). Die Hauptveränderung <strong>in</strong> dieser Altersgruppe betrifft die Verschiebung <strong>in</strong>nerhalb<br />

der Nicht-Erwerbstätigen von den noch nicht im Ruhestand Bef<strong>in</strong>dlichen zu denen im Ruhestand:<br />

Zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 erhöhte sich bei den 58- bis 63-Jährigen der Anteil der im Ruhestand<br />

Bef<strong>in</strong>dlichen von 33 auf 45 Prozent, während der Anteil der Nicht-Erwerbstätigen ohne<br />

Rentenbezug von 34 auf 24 Prozent sank. Betrachtet man die <strong>Entwicklung</strong> auch <strong>in</strong> dieser Altersgruppe<br />

differenziert nach Geschlecht <strong>und</strong> Landesteil fällt auf, dass es zu ke<strong>in</strong>er gegensätzlichen<br />

<strong>Entwicklung</strong> zwischen Männern <strong>und</strong> Frauen, sondern zwischen Ost <strong>und</strong> West gekommen<br />

ist: die Erwerbstätigenquote der Westdeutschen ist zurück gegangen, die der Ostdeutschen hat<br />

zugenommen, am stärksten bei den ostdeutschen Männern (plus 12 Prozentpunkte). Offenbar ist<br />

<strong>in</strong> Ostdeutschland die Talsohle nach dem <strong>in</strong> der ersten Hälfte der 1990er Jahre erfolgten E<strong>in</strong>-<br />

85


86<br />

Heribert Engstler<br />

bruch der Erwerbsbeteiligung bei den rentennahen Jahrgängen durchschritten <strong>und</strong> die älteren<br />

Arbeitnehmer <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>esländern bleiben wieder länger im Erwerbsleben.<br />

Abbildung 3.5:<br />

Veränderung des Anteils erwerbstätiger* Männer <strong>und</strong> Frauen <strong>in</strong> West- <strong>und</strong> Ostdeutschland,<br />

2002 gegenüber 1996 (<strong>in</strong> %-Punkten)<br />

%-Punkte<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

-5<br />

-10<br />

-4,8<br />

-8,0<br />

15 ,4<br />

2,8<br />

-6,0<br />

-1,9<br />

6,3<br />

0,7<br />

1,7<br />

0,6<br />

16 ,9<br />

9,2<br />

-5,0<br />

12,3<br />

-3,9<br />

7,4<br />

4,5<br />

0,8<br />

-0,4<br />

40-45 46-51 52-57<br />

Alter<br />

58-63 64-69<br />

0,0<br />

Männer-West<br />

Männer-Ost<br />

Frauen-West<br />

Frauen-Ost<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 (n=3498) <strong>und</strong> 2002 (Replikationsstichprobe, n=2080)<br />

* Erwerbstätige, die noch nicht im Ruhestand s<strong>in</strong>d.<br />

Zahlenangabe im Fettdruck= Anteilsveränderung statistisch signifikant (Chi²-Test, p


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

<strong>und</strong> 14 Prozent waren weder erwerbstätig noch im Ruhestand, die meisten davon arbeitslos oder<br />

<strong>in</strong> den Vorruhestand gewechselt. Erwartungsgemäß sank der Anteil der noch im Erwerbsleben<br />

Stehenden mit dem Alter: Von den nun 58- bis 63-Jährigen haben 57 Prozent im Laufe der<br />

sechs Jahre ihre hauptberufliche Erwerbstätigkeit beendet, von den jetzt 64- bis 69-Jährigen<br />

waren es 95 Prozent (Abbildung 3.6). Aber auch <strong>in</strong> den jüngeren Altersgruppen ist es zu Übergängen<br />

<strong>in</strong> die Nicht-Erwerbstätigkeit gekommen. 12 Prozent der im Jahr 1996 40- bis 45jährigen<br />

Erwerbstätigen übten im Jahr 2002 ke<strong>in</strong>e Erwerbstätigkeit aus, hauptsächlich aufgr<strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>getretener Arbeitslosigkeit (8%). Von den erwerbstätigen 46- bis 51-Jährigen des Jahres<br />

1996 nahmen sechs Jahre später 17 Prozent nicht am Erwerbsleben teil, 6 Prozent weil sie <strong>in</strong>zwischen<br />

<strong>in</strong> den Ruhestand gewechselt waren, 8 Prozent aufgr<strong>und</strong> von Arbeitslosigkeit, 3 Prozent<br />

aus sonstigen Gründen.<br />

Am höchsten ist der Anteil derer, die zwar ihre Erwerbstätigkeit beendet haben, sich jedoch<br />

noch nicht im Altersruhestand mit Bezug e<strong>in</strong>er Versichertenrente oder Pension bef<strong>in</strong>den, bei<br />

den <strong>in</strong>zwischen 58- bis 63-Jährigen. Etwa e<strong>in</strong> Viertel (24%) bef<strong>in</strong>det sich im Jahr 2002 nach<br />

vorheriger Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> dieser Zwischenphase, die Hälfte davon ist arbeitslos oder im<br />

Vorruhestand (zusammen 13%). H<strong>in</strong>zu gerechnet werden könnten noch 5 Prozent, die <strong>in</strong> diesem<br />

Alter bereits den Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand vollzogen haben, aber nicht direkt aus der Erwerbstätigkeit<br />

<strong>in</strong> die Rente wechselten, sondern zuvor arbeitslos geworden waren. Diese Ergebnisse<br />

weisen darauf h<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong> bemerkenswerter Teil der Erwerbstätigen nicht unmittelbar aus<br />

der Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> den Ruhestand wechselt, sondern bis zum Rentenbeg<strong>in</strong>n noch e<strong>in</strong>e Zwischenphase<br />

zu überbrücken hat. Wie häufig dies vorkommt, welche <strong>Entwicklung</strong> dieses Übergangsmuster<br />

genommen hat <strong>und</strong> wie lange diese Zwischenphase dauert, wird <strong>in</strong> Kapitel 3.5<br />

näher untersucht.<br />

Abbildung 3.6:<br />

Erwerbsstatus 2002 der im Jahr 1996 Erwerbstätigen*, nach Alter<br />

100<br />

80<br />

60<br />

%<br />

40<br />

20<br />

0<br />

11,8<br />

11,3<br />

87,7 82,5<br />

32,7<br />

24,1<br />

43,2<br />

91,6<br />

4,8<br />

22,3<br />

14,4<br />

63,3<br />

46-51 52-57 58-63 64-69 46-69<br />

Alter im Jahr 2002<br />

Erwerbsstatus 2002:<br />

Erwerbstätig* Nicht-Erwerbstätig Ruhestand<br />

Quelle: Alterssurvey 1996/2002 (Panelstichprobe, n=750), gewichtet<br />

* ohne erwerbstätige Rentner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Rentner<br />

87


88<br />

Heribert Engstler<br />

Dass der Wechsel <strong>in</strong> die Nicht-Erwerbstätigkeit im rentennahen Alter meist den endgültigen<br />

Abschied aus dem Erwerbsleben bedeutet, verdeutlicht auch die ger<strong>in</strong>ge Rückkehrquote der<br />

über 50-jährigen Nicht-Erwerbstätigen <strong>in</strong> das Erwerbsleben. Von den 52- bis 57-Jährigen des<br />

Jahres 1996 ohne Job waren sechs Jahre später im Alter von 58 bis 63 Jahren nur 15 Prozent<br />

erwerbstätig, 36 Prozent vollzogen bis dah<strong>in</strong> den Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand, 49 Prozent waren<br />

weiterh<strong>in</strong> ohne Rentenbezug nicht erwerbstätig (Abbildung 3.7). Allgeme<strong>in</strong> gilt dabei: Je älter<br />

die Menschen ohne Erwerbsarbeit s<strong>in</strong>d, desto seltener werden sie nochmals erwerbstätig. Gemessen<br />

am Erwerbsstatus 2002 betrug die Erwerbsaufnahmequote der 46- bis 51-Jährigen 54<br />

Prozent, der 52- bis 57-Jährigen 29 Prozent <strong>und</strong> der 58- bis 63-Jährigen – wie erwähnt – 15<br />

Prozent. Von den noch Älteren wurde so gut wie niemand nochmals hauptberuflich erwerbstätig.<br />

Insgesamt bestätigen die Ergebnisse des Alterssurveys zu den altersspezifischen Wechseln <strong>in</strong><br />

die Nicht-Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> die Rückkehr <strong>in</strong> die Erwerbsarbeit Bef<strong>und</strong>e der Arbeitsmarktforschung,<br />

dass die im Querschnitt zu beobachtende höhere Arbeitslosenquote älterer Arbeitnehmer<br />

(vgl. Tabelle 3.1) weniger die Folge e<strong>in</strong>es höheren E<strong>in</strong>trittsrisikos <strong>in</strong> die Arbeitslosigkeit,<br />

sondern e<strong>in</strong>es höheren Verbleibsrisikos <strong>in</strong> der Arbeitslosigkeit ist (vgl. Koller, Bach & Brixy<br />

2003).<br />

Abbildung 3.7:<br />

Erwerbsstatus 2002 der im Jahr 1996 noch nicht im Ruhestand bef<strong>in</strong>dlichen Nicht-<br />

Erwerbstätigen, nach Alter<br />

100,0<br />

80,0<br />

60,0<br />

%<br />

40,0<br />

20,0<br />

0,0<br />

44,6<br />

53,6<br />

Erwerbsstatus 2002:<br />

60,0<br />

29,2<br />

36,4<br />

48,9<br />

14,8<br />

82,4<br />

15,3<br />

37,4<br />

40,8<br />

21,8<br />

46-51 52-57 58-63 64-69 46-69<br />

Alter im Jahr 2002<br />

Erwerbstätig* Nicht-Erwerbstätig Ruhestand<br />

Quelle: Alterssurvey 1996/2002 (Panelstichprobe, n=246), gewichtet<br />

* ohne erwerbstätige Rentner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Rentner<br />

Mit zunehmendem Alter wird Arbeitslosigkeit dann auch im Selbstverständnis der Betroffenen<br />

zu e<strong>in</strong>er zeitlichen Brücke <strong>in</strong> den Ruhestand: Im Jahr 2002 wollten von den 50- bis 57-jährigen<br />

Arbeitslosen 80 Prozent, von den Arbeitslosen ab 58 Jahren jedoch nur 34 Prozent sobald wie<br />

möglich wieder erwerbstätig werden. E<strong>in</strong> Drittel der älteren Arbeitslosen ab 58 Jahren erhielt <strong>in</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dung mit dem Ausscheiden aus dem Betrieb e<strong>in</strong>e Abf<strong>in</strong>dung oder regelmäßige Geldleistung<br />

des Arbeitgebers; unter E<strong>in</strong>bezug der im Vorruhestand Bef<strong>in</strong>dlichen waren es 40 Prozent


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

(Ergebnis der Replikationsstichprobe). In diesen Fällen dürfte die Erwerbsbeendigung für viele<br />

Betroffene mit der Perspektive des Übergangs <strong>in</strong> den Ruhestand erfolgt se<strong>in</strong>.<br />

3.3.4 Faktoren der Erwerbsbeendigung oder -unterbrechung<br />

In diesem Abschnitt wird untersucht, welchen E<strong>in</strong>fluss ausgewählte soziale, regionale <strong>und</strong> betriebliche<br />

Merkmale auf den Wechsel der erwerbstätigen Panelteilnehmer <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

bzw. die Nicht-Erwerbstätigkeit ausüben. Diese Analyse knüpft an die <strong>in</strong> Kapitel 3.3.2 erfolgte<br />

Untersuchung ausgewählter Faktoren der Erwerbsbeteiligung an, nun jedoch fokussiert auf <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong><br />

Veränderungen. Die Analyse bedient sich wiederum des Verfahrens der b<strong>in</strong>omialen<br />

logistischen Regression. Abhängige Größe ist – grob gesprochen – die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, mit<br />

der die Erwerbstätigen von 1996 im Jahr 2002 nicht mehr hauptberuflich erwerbstätig s<strong>in</strong>d. 14 Da<br />

e<strong>in</strong> solcher Wechsel im Erwerbsstatus für die Älteren häufiger als für die Jüngeren den endgültigen<br />

Ausstieg aus dem Erwerbsleben bedeutet <strong>und</strong> teilweise anderen E<strong>in</strong>flüssen unterliegt als<br />

Erwerbsunterbrechungen, wird die allgeme<strong>in</strong>e Analyse über den gesamten Altersbereich ergänzt<br />

durch getrennte Modelle für die 40- bis 49-Jährigen <strong>und</strong> die im Jahr 1996 Erwerbstätigen ab 50<br />

Jahren. Auf e<strong>in</strong>e zusätzliche getrennte Untersuchung der Wirkfaktoren bei Männern <strong>und</strong> Frauen<br />

muss wegen der ger<strong>in</strong>gen Fallzahl verzichtet werden. Das Geschlecht wird jedoch als Prädiktor<br />

e<strong>in</strong>bezogen.<br />

Die nachfolgende Tabelle 3.4 gibt Auskunft über Richtung, Stärke <strong>und</strong> statistische Signifikanz<br />

der untersuchten E<strong>in</strong>flussgrößen. Unter anderem zeigt sich der bekannte Alterseffekt: Je später<br />

geboren bzw. je jünger die Panelteilnehmer s<strong>in</strong>d, desto unwahrsche<strong>in</strong>licher ist es, dass sie im<br />

Jahr 2002 nicht mehr erwerbstätig s<strong>in</strong>d. 15 Man kann es auch umgekehrt formulieren: Je älter sie<br />

1996 waren, desto wahrsche<strong>in</strong>licher erfolgte der Wechsel von der Erwerbs- <strong>in</strong> die Nichterwerbstätigkeit.<br />

Wie der Vergleich zwischen den Personen unter <strong>und</strong> ab 50 Jahren zeigt, existiert dieser<br />

Alterse<strong>in</strong>fluss nur bei der älteren der beiden Altersgruppen. Dies zeigt, dass das Alter hauptsächlich<br />

für den endgültigen Ausstieg aus dem Erwerbsleben e<strong>in</strong>e signifikante Rolle spielt, während<br />

die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit der Beendigung e<strong>in</strong>er Erwerbstätigkeit im rentenferneren Alter, die<br />

e<strong>in</strong>e kurz- oder langfristige Unterbrechung se<strong>in</strong> kann, nicht signifikant mit dem Alter assoziiert<br />

ist. Wie alle nachfolgend kommentierten Bef<strong>und</strong>e zu Unterschieden <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>samkeiten der<br />

E<strong>in</strong>flüsse zwischen den beiden Altersgruppen ist allerd<strong>in</strong>gs auch dieser Bef<strong>und</strong> zurückhaltend<br />

zu <strong>in</strong>terpretieren, da die Ergebnisse auf e<strong>in</strong>er relativ ger<strong>in</strong>gen Fallzahl beruhen <strong>und</strong> nur der Erwerbsstatus<br />

zu zwei Messzeitpunkten, nicht jedoch der vollständige Verlauf untersucht wird.<br />

14 Die exakte abhängige Größe ist das logarithmierte Verhältnis der Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, im Jahr 2002 nicht mehr<br />

hauptberuflich erwerbstätig zu se<strong>in</strong>, zur Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit des Gegenteils.<br />

15 Die mögliche Ausübung e<strong>in</strong>er Erwerbstätigkeit im Ruhestand wird hier nicht berücksichtigt, da die Faktoren der<br />

Beendigung der hauptberuflichen Erwerbstätigkeit im Vordergr<strong>und</strong> des Interesses stehen.<br />

89


Tabelle 3.4:<br />

Prädiktoren der Nicht-Erwerbstätigkeit 2002 der im Jahr 1996 erwerbstätigen<br />

Panelteilnehmer (Logistische Regression) 1<br />

Signifikanzniveau: ° = p


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

In beiden Altersgruppen gibt es e<strong>in</strong>e Geschlechtsabhängigkeit der Erwerbsbeendigung oder<br />

-unterbrechung: Unter Kontrolle der anderen Faktoren weisen Frauen e<strong>in</strong>e erheblich höhere<br />

Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit als Männer auf, nach sechs Jahren nicht mehr Erwerbstätigkeit zu se<strong>in</strong>. Der<br />

Effekt ist bei den Frauen ab 50 Jahren stärker als im darunter liegenden Alter. Dies dürfte teilweise<br />

mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme der vorgezogenen Altersrente für Frauen zusammenhängen,<br />

aber auch den Wechsel <strong>in</strong> den Hausfrauenstatus be<strong>in</strong>halten. Dafür spricht, dass<br />

die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit des Wechsels <strong>in</strong> die Nicht-Erwerbstätigkeit auch bei den unter 50-<br />

Jährigen vom Geschlecht bee<strong>in</strong>flusst wird.<br />

Insgesamt stützen diese geschlechtsdifferierenden Ergebnisse die Vermutung, dass die <strong>in</strong> Kapitel<br />

3.3.1 beschriebenen altersspezifischen Unterschiede der Hausfrauenquote nicht nur auf Kohortenunterschiede<br />

zurückzuführen, sondern zum Teil auch Ergebnis biografischer Wechsel von<br />

der Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> den Hausfrauenstatus im mittleren Erwachsenenalter ist.<br />

Während die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, ob man im Alter von 40 bis 64 Jahren überhaupt erwerbstätig<br />

ist, durchaus davon abhängt, ob man <strong>in</strong> Ost- oder Westdeutschland lebt (vgl. Kapitel 3.3.2),<br />

hängt die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit der Erwerbsbeendigung <strong>in</strong>nerhalb des Untersuchungszeitraums<br />

von 1996 bis 2002 nicht signifikant vom Landesteil ab. Ostdeutsche dieses Alters stehen zwar<br />

etwas seltener im Erwerbsleben als Westdeutsche; diejenigen ab 40, die <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>esländern<br />

e<strong>in</strong>en Arbeitsplatz hatten, unterlagen jedoch nach 1996 – unter Kontrolle der anderen<br />

E<strong>in</strong>flüsse – ke<strong>in</strong>em erhöhten Risiko mehr, ihn zu verlieren bzw. <strong>in</strong> den Ruhestand zu wechseln.<br />

Als bedeutsamer für die Erwerbsbeendigung als der Ost-West-Unterschied erweist sich der Urbanitäts-<br />

bzw. Zentralitätsgrad der Region, wobei der Zusammenhang nicht l<strong>in</strong>ear ist. Zu e<strong>in</strong>er<br />

höheren Ausstiegswahrsche<strong>in</strong>lichkeit kommt es nur bei Personen, die <strong>in</strong> peripheren ländlichen<br />

Regionen ohne Anb<strong>in</strong>dung an e<strong>in</strong> Zentrum leben (BIK-Regionsgrößenklasse: < 5000 E<strong>in</strong>wohner).<br />

Zwischen den anderen Regionsklassen gibt es ke<strong>in</strong>e nennenswerten Unterschiede. Der<br />

E<strong>in</strong>fluss der Regionsgröße bzw. -zentralität ist zudem statistisch nur signifikant bei den ab 50-<br />

Jährigen, d.h. er richtet sich im wesentlichen auf den Zeitpunkt des endgültigen Ausstiegs aus<br />

dem Erwerbsleben. Der Zusammenhang der Verbleibswahrsche<strong>in</strong>lichkeit mit der Regionsgröße<br />

unterscheidet sich von dem <strong>in</strong> Kapitel 3.3.2 festgestellten Zusammenhang zwischen Erwerbstätigenquote<br />

<strong>und</strong> Regionsgröße, der auf e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> ländlichen Geme<strong>in</strong>den höhere Erwerbsbeteiligung<br />

der Männer verwies. Allerd<strong>in</strong>gs wurden dort ke<strong>in</strong>e getrennten Analysen für die beiden Altersgruppen,<br />

sondern für die beiden Geschlechter durchgeführt. Die unterschiedlichen Bef<strong>und</strong>e<br />

müssen allerd<strong>in</strong>gs ke<strong>in</strong>en Widerspruch bedeuten, da bei e<strong>in</strong>er höheren regionalen Erwerbsbeteiligung<br />

auch mehr Übergänge <strong>in</strong> die Nichterwerbstätigkeit möglich s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> die – unter Kontrolle<br />

der anderen Faktoren – überdurchschnittliche Erwerbstätigenquote dennoch erhalten bleibt.<br />

E<strong>in</strong>e vertiefende Betrachtung dieser Zusammenhänge soll hier nicht erfolgen, sondern muss<br />

zukünftigen Analysen vorbehalten se<strong>in</strong>.<br />

Die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit der Erwerbsbeendigung hängt nur bei der älteren der beiden Erwerbstätigengruppen<br />

<strong>und</strong> auch bei dieser nur schwach signifikant mit der Netzwerkgröße zusammen:<br />

Erwerbstätige ab 50 Jahren, die im Jahr 1996 viele Personen angaben, mit denen sie regelmäßig<br />

Kontakt haben <strong>und</strong> die ihnen wichtig s<strong>in</strong>d, s<strong>in</strong>d mit größerer Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit auch im Jahr<br />

2002 erwerbstätig als diejenigen mit e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Personennetzwerk. Die Aussicht darauf,<br />

nach dem Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand weiterh<strong>in</strong> vielfältige Kontakte pflegen zu können <strong>und</strong><br />

91


92<br />

Heribert Engstler<br />

nicht <strong>in</strong> die soziale Isolation zu geraten, fördert demnach nicht die Neigung zum Ausstieg aus<br />

dem Erwerbsleben. E<strong>in</strong> großes soziales Netzwerk zu haben steigert vielmehr die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit,<br />

im Erwerbsprozess zu bleiben. E<strong>in</strong>e höhere Ausstiegswahrsche<strong>in</strong>lichkeit haben h<strong>in</strong>gegen<br />

Personen mit kle<strong>in</strong>em privatem Netzwerk. Inwieweit Erwerbstätige mit e<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>gen<br />

Netzwerkgröße nach der Erwerbsbeendigung e<strong>in</strong>em erhöhten Risiko der sozialen Isolation ausgesetzt<br />

s<strong>in</strong>d, kann hier nicht untersucht werden.<br />

E<strong>in</strong>en starken E<strong>in</strong>fluss auf die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit des Wechsels <strong>in</strong> die Nichterwerbstätigkeit hat<br />

die Schichtzugehörigkeit. Ob jemand, der 1996 erwerbstätig war, dies im Jahr 2002 nicht mehr<br />

ist, hängt wesentlich von der sozialen Position bzw. der beruflichen Stellung ab. Je nach Alter<br />

weisen die Angehörigen der Unterschicht <strong>und</strong> unteren Mittelschicht gegenüber den Angehörigen<br />

der oberen Mittelschicht e<strong>in</strong> vier- bis fünffach höheres Risiko des zwischenzeitlich erfolgten<br />

Übergangs <strong>in</strong> die Nichterwerbstätigkeit auf. Die Schichtabhängigkeit ist <strong>in</strong> beiden Altersgruppen<br />

vorhanden. Der E<strong>in</strong>fluss der beruflichen Stellung richtet sich daher nicht nur auf den<br />

Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand, sondern betrifft auch Übergänge <strong>in</strong> die Nichterwerbstätigkeit aus<br />

anderen Gründen, <strong>in</strong>sbesondere aufgr<strong>und</strong> von Arbeitslosigkeit.<br />

In ähnlicher Weise gestaltet sich der Zusammenhang mit der Branchenzugehörigkeit. Von den<br />

unter 50-Jährigen haben die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes <strong>und</strong> die Erwerbstätigen im<br />

Handel <strong>und</strong> Dienstleistungsbereich e<strong>in</strong>e erheblich höhere Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit als die anderen,<br />

auch im Jahr 2002 noch erwerbstätig zu se<strong>in</strong>. Dar<strong>in</strong> spiegelt sich das ger<strong>in</strong>ge Arbeitslosigkeitsrisiko<br />

im Öffentlichen Dienst <strong>und</strong> die gegenüber dem sek<strong>und</strong>ären Sektor bessere Arbeitsmarktsituation<br />

des tertiären Sektors sowie der höhere Selbstständigenanteil <strong>in</strong> diesem Wirtschaftszweig<br />

wider. Auf die Bleibewahrsche<strong>in</strong>lichkeit der über 50-Jährigen hat – unter Kontrolle der<br />

anderen Faktoren – die Branchenzugehörigkeit h<strong>in</strong>gegen ke<strong>in</strong>en signifikanten E<strong>in</strong>fluss. Die<br />

höhere Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>er Erwerbstätigkeit bei Angehörigen des Öffentlichen Dienstes<br />

beruht daher nicht auf e<strong>in</strong>em späteren Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand, sondern auf dem ger<strong>in</strong>gen<br />

Arbeitslosigkeitsrisiko, dem selteneren Stellenwechsel (unter Inkaufnahme von temporärer<br />

Nicht-Erwerbstätigkeit) <strong>und</strong> den besseren Rückkehrmöglichkeiten nach familienbed<strong>in</strong>gter Erwerbsunterbrechung<br />

(siehe auch Kapitel 3.3.2).<br />

Bezogen auf die Betriebsgröße ergibt sich e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger signifikanter Zusammenhang: 1996 <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Betrieb mit mehr als 200 Beschäftigten gearbeitet zu haben, erhöht gegenüber Kle<strong>in</strong>betrieben<br />

die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit der Erwerbsbeendigung bis 2002 von über 50-Jährigen auf das<br />

Dreifache (im Vergleich zur Fortführungswahrsche<strong>in</strong>lichkeit). Dieses Ergebnis verw<strong>und</strong>ert<br />

nicht. Es s<strong>in</strong>d vor allem Großbetriebe, die bis <strong>in</strong> die jüngste Vergangenheit zum Zweck des Abbaus<br />

<strong>und</strong> der Umstrukturierung des Personals Vorruhestandsprogramme aufgelegt haben<br />

(George, 2000; S<strong>in</strong>g, 2003).<br />

Beschäftigte, die Anspruch auf e<strong>in</strong>e Betriebsrente oder Leistungen aus der Zusatzversorgung<br />

des Öffentlichen Dienstes haben, können nach dem Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand auf e<strong>in</strong> zusätzliches<br />

regelmäßiges <strong>und</strong> gesichertes E<strong>in</strong>kommen (neben den Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

<strong>und</strong> eventuell vorhandenen privaten E<strong>in</strong>kommensquellen) zurückgreifen. Da überwiegend<br />

langjährig <strong>und</strong> gut qualifizierte Beschäftigte Betriebsrentenansprüche haben, lässt<br />

dieses Vorhandense<strong>in</strong> zudem auch überdurchschnittliche Anwartschaften aus der Gesetzlichen


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

Alterssicherung <strong>und</strong> die häufigere Erfüllung der Wartezeit für die Inanspruchnahme vorgezogener<br />

Altersrenten erwarten.<br />

Die Aussicht auf dieses Zusatze<strong>in</strong>kommen im Alter führt dennoch zu ke<strong>in</strong>er Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitserhöhung<br />

der Erwerbsbeendigung. Im Gegenteil: Die Existenz e<strong>in</strong>es Betriebsrentenanspruchs<br />

verr<strong>in</strong>gert signifikant die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit des Übergangs <strong>in</strong> die Nichterwerbstätigkeit<br />

im Beobachtungszeitraum, besonders stark bei den unter 50-Jährigen (<strong>und</strong> nur bei diesen<br />

statistisch signifikant). Dies spricht dafür, dass mit diesem Merkmal nicht der positive Effekt<br />

auf das zu erwartende Alterse<strong>in</strong>kommen operationalisiert wird, sondern die höhere Arbeitsplatzsicherheit<br />

der Beschäftigten mit Betriebsrentenanspruch. 16<br />

Die Ausstiegswahrsche<strong>in</strong>lichkeit aus dem Beruf hängt nicht nur von objektiven Strukturmerkmalen<br />

der Erwerbstätigkeit ab, sie wird darüber h<strong>in</strong>aus auch von der subjektiven E<strong>in</strong>schätzung<br />

der beruflichen Situation <strong>und</strong> den persönlichen Plänen der Erwerbstätigen bee<strong>in</strong>flusst.<br />

Wurde die eigene berufliche Situation bei der Erstbefragung im Jahr 1996 nur als mittel oder als<br />

schlecht bis sehr schlecht e<strong>in</strong>gestuft, erhöht dies die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit beträchtlich, im Jahr<br />

2002 nicht mehr erwerbstätig zu se<strong>in</strong>. Dieser Zusammenhang besteht allerd<strong>in</strong>gs statistisch gesichert<br />

nur bei den Erwerbstätigen ab 50 Jahren. E<strong>in</strong>e vergleichsweise schlechte subjektive Bewertung<br />

der beruflichen Situation fördert daher besonders dann den Wechsel <strong>in</strong> die Nichterwerbstätigkeit,<br />

wenn dieser altersbed<strong>in</strong>gt den endgültigen Abschied aus dem Erwerbsleben <strong>und</strong><br />

den Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand ermöglicht. Ältere Arbeitskräfte forcieren ihren Ausstieg aus<br />

der Erwerbsarbeit, wenn sie ihre berufliche Situation als weniger gut e<strong>in</strong>schätzen.<br />

Etwas überraschend hatte e<strong>in</strong>e 1996 als schlecht empf<strong>und</strong>ene subjektive Ges<strong>und</strong>heit nur tendenziell<br />

e<strong>in</strong>en beschleunigenden Effekt auf die Erwerbsbeendigung. Überraschend deshalb, da <strong>in</strong><br />

Kapitel 3.3.2 e<strong>in</strong> starker negativer Zusammenhang zwischen der Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung <strong>und</strong><br />

der Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>er Erwerbstätigkeit festgestellt werden konnte. Bezogen auf den<br />

Verbleib <strong>in</strong> der Erwerbstätigkeit weist der Effektkoeffizient <strong>in</strong> Tabelle 3.4 zwar auf e<strong>in</strong>en –<br />

sogar kräftigen – E<strong>in</strong>fluss e<strong>in</strong>er subjektiv schlechten Ges<strong>und</strong>heit auf die Erwerbsbeendigung<br />

h<strong>in</strong>, der jedoch unter Kontrolle der anderen E<strong>in</strong>flüsse se<strong>in</strong>e statistische Signifikanz e<strong>in</strong>büßt. 17<br />

Dies könnte jedoch der ger<strong>in</strong>gen Fallzahl geschuldet se<strong>in</strong>. Immerh<strong>in</strong> wird der Zusammenhang<br />

bei e<strong>in</strong>er akzeptierten Irrtumswahrsche<strong>in</strong>lichkeit von p


94<br />

Heribert Engstler<br />

(ohne Nachweis), hatte ke<strong>in</strong>en zusätzlichen signifikanten Effekt auf das Ausstiegsverhalten der<br />

Panelteilnehmer im Beobachtungszeitraum.<br />

H<strong>in</strong>gegen tragen die 1996 geäußerten Angaben der Befragten, <strong>in</strong> welchem Alter sie ihre Erwerbstätigkeit<br />

zu beenden planen, erheblich zu e<strong>in</strong>er Verbesserung der Vorhersage ihrer Erwerbsbeteiligung<br />

im Jahr 2002 bei. Wurde damals geplant, bis spätestens 2002 <strong>in</strong> die Nicht-<br />

Erwerbstätigkeit zu wechseln, erhöht dies die Ausstiegs- versus Verbleibswahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

auf das 3,8-fache gegenüber jenen Befragten, die länger zu arbeiten planten (siehe Tabelle A3.2<br />

im Anhang). Hervorzuheben ist, dass das H<strong>in</strong>zufügen der Erwerbsbeendigungspläne als Prädiktor<br />

zu ke<strong>in</strong>er wesentlichen Änderung der Stärke <strong>und</strong> Signifikanz der anderen E<strong>in</strong>flussgrößen<br />

führt <strong>und</strong> die Erklärungskraft des Modells verbessert. Lediglich der Alters- <strong>und</strong> Geschlechtse<strong>in</strong>fluss<br />

verr<strong>in</strong>gert sich dadurch etwas. Die Erwerbsbeendigungspläne der Arbeitskräfte s<strong>in</strong>d somit<br />

ke<strong>in</strong>e bloße Funktion ihrer soziodemografischen <strong>und</strong> sozioökonomischen Situation, durch die<br />

sie determ<strong>in</strong>iert würden. Sie s<strong>in</strong>d vielmehr als offener, <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Ausdruck der Lebensplanung<br />

<strong>und</strong> -bewertung <strong>und</strong> als e<strong>in</strong>e eigenständige E<strong>in</strong>flussgröße auf das Übergangsalter <strong>in</strong> den<br />

Ruhestand zu begreifen. Das nachfolgende Kapitel beschäftigt sich daher näher mit der Veränderung<br />

der Erwerbsbeendigungspläne <strong>und</strong> deren Realisierung im Zeitraum zwischen 1996 <strong>und</strong><br />

2002.<br />

3.4 Das Ausstiegsalter aus dem Erwerbsleben<br />

3.4.1 Geplantes <strong>und</strong> realisiertes Ausstiegsalter<br />

Es gibt Anzeichen dafür, dass die jahrzehntelange Praxis der sozialverträglichen <strong>und</strong> für die<br />

Betroffenen f<strong>in</strong>anziell relativ gut abgesicherten Frühausgliederung aus dem Erwerbsleben bei<br />

den Beschäftigten zur Herausbildung, eventuell auch Verfestigung der Orientierung auf e<strong>in</strong>en<br />

frühen Ruhestand geführt hat. So weist S<strong>in</strong>g (2003) auf e<strong>in</strong>e von polis durchgeführte repräsentative<br />

Me<strong>in</strong>ungsumfrage aus dem Jahr 2002 h<strong>in</strong>, bei der nahezu zwei Drittel der Berufstätigen<br />

wünschten, mit 55 Jahren oder zwischen 55 <strong>und</strong> 60 Jahren <strong>in</strong> Rente zu gehen. Allerd<strong>in</strong>gs kann<br />

von solchen Wünschen nicht unmittelbar auf handlungsleitende Pläne geschlossen werden. In<br />

den Wünschen kommt das zum Ausdruck, was Menschen gerne machen würden, wenn sie konfligierende<br />

Ziele, Erwartungen Anderer <strong>und</strong> vorhandene Restriktionen nicht zu beachten hätten.<br />

Realistischer s<strong>in</strong>d geäußerte Erwartungen <strong>und</strong> konkret genannte Pläne zum Übergang <strong>in</strong> den<br />

Ruhestand. So konnte <strong>in</strong> amerikanischen <strong>und</strong> britischen Verlaufsstudien nachgewiesen werden,<br />

dass der tatsächliche Ruhestandsbeg<strong>in</strong>n bei etwa zwei Dritteln maximal 1 Jahr vor oder nach<br />

dem zuvor erwarteten Übergangsalter erfolgt <strong>und</strong> das subjektiv geplante E<strong>in</strong>trittsalter <strong>in</strong> den<br />

Ruhestand e<strong>in</strong>e hohe Vorhersagekraft für das nachfolgende Übergangsalter besitzt (Haider &<br />

Stephens, 2004; Disney & Tanner 1999; Bernheim 1989). Das geplante Alter der Erwerbsbeendigung<br />

ist nach diesen Studien e<strong>in</strong> guter Indikator für das spätere tatsächliche Beendigungsalter.<br />

Nachfolgend wird untersucht, wie ausgeprägt <strong>in</strong> Deutschland bei Erwerbstätigen ab 40 Jahren<br />

die Erwartung e<strong>in</strong>er frühzeitigen Beendigung des Erwerbslebens vor Erreichen der Regelaltersgrenze<br />

von 65 Jahren ist <strong>und</strong> ob es <strong>in</strong> den vergangenen Jahren zu Veränderungen <strong>in</strong> Richtung


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

e<strong>in</strong>es erwarteten längeren Verbleibs im Erwerbsleben gekommen ist. Damit soll der Frage<br />

nachgegangen werden, ob <strong>und</strong> wie deutlich die Erwerbstätigen den von Staat, Tarifparteien,<br />

Wissenschaft <strong>und</strong> Medien propagierten Paradigmenwechsel zum längeren Verbleib im Erwerbsleben<br />

<strong>in</strong> ihren Absichten <strong>und</strong> Handlungen nachvollziehen. Indikator dafür ist die <strong>Entwicklung</strong><br />

der <strong>in</strong> beiden Wellen des Alterssurveys erhobenen Pläne zur Erwerbsbeendigung. Die Frage an<br />

alle noch nicht im Ruhestand bef<strong>in</strong>dlichen Erwerbstätigen lautete: "Mit welchem Alter planen<br />

Sie, Ihre Erwerbstätigkeit zu beenden?" Genannt werden konnte entweder e<strong>in</strong> konkretes Altersjahr<br />

(mit ... Jahren) oder die Antwort "Weiß noch nicht". Erwartet wird e<strong>in</strong> Rückgang geplanter<br />

Frühausstiege.<br />

Die Darstellung der neueren <strong>Entwicklung</strong> der Erwerbsbeendigungspläne im Vergleich der Querschnitte<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 der deutschen Erwerbstätigen ab 40 Jahren wird ergänzt durch die Untersuchung<br />

des Verhältnisses zwischen dem geplanten <strong>und</strong> realisierten Ausstiegsalter sowie der<br />

<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Stabilität von Beendigungsplänen bei den weiterh<strong>in</strong> erwerbstätigen Panelteilnehmern.<br />

Dies lässt zum e<strong>in</strong>en auf die Relevanz <strong>und</strong> Prognosekraft des geplanten Ausstiegsalters<br />

für das tatsächliche Alter der Erwerbsbeendigung schließen, zum anderen liefert es H<strong>in</strong>weise,<br />

<strong>in</strong>wieweit Änderungen <strong>in</strong> den Rahmenbed<strong>in</strong>gungen die persönlichen Kalküle bee<strong>in</strong>flussen können.<br />

Erwartet wird e<strong>in</strong> hoher Übere<strong>in</strong>stimmungsgrad zwischen dem geplanten <strong>und</strong> realisierten<br />

Beendigungsalter bzw. die Ausübung e<strong>in</strong>er Erwerbstätigkeit im Jahr 2002, wenn der Ausstieg<br />

für e<strong>in</strong> späteres Jahr geplant war. Erwartet wird zudem bei weiterh<strong>in</strong> Erwerbstätigen im<br />

Durchschnitt e<strong>in</strong>e Verlagerung ihres geplanten Wechsels <strong>in</strong> die Nichterwerbstätigkeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

etwas höheres Alter.<br />

Die querschnittliche Veränderung der Ausstiegspläne zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

Sofern konkrete Vorstellungen zum geplanten Alter der Erwerbsbeendigung vorhanden s<strong>in</strong>d,<br />

konzentrieren sich diese auf e<strong>in</strong>zelne Altersjahre, die stark mit den Altersuntergrenzen für die<br />

Inanspruchnahme der verschiedenen gesetzlichen Altersrenten korrespondieren: Im Jahr 1996<br />

nannten 38 Prozent der Erwerbstätigen ab 40 Jahren das 60. Lebensjahr 18 als geplantes Ausstiegsalter,<br />

10 Prozent das 63. Lebensjahr, <strong>und</strong> 17 Prozent beabsichtigten, mit 65 Jahren aus<br />

dem Erwerbsleben auszuscheiden (Abbildung 3.8). 19 Andere Altersjahre werden nur selten genannt,<br />

am häufigsten noch das 55. <strong>und</strong> 58. Lebensjahr. Fasst man die e<strong>in</strong>zelnen Altersjahre zu<br />

Kategorien zusammen, plante im Jahr 1996 die Hälfte, mit spätestens 60 Jahren aus dem Erwerbsleben<br />

auszuscheiden. Nur 19 Prozent beabsichtigten, bis zum Alter von 65 Jahren erwerbstätig<br />

zu bleiben; 18 Prozent konnten noch ke<strong>in</strong> genaues Altersjahr nennen.<br />

18 Wenn vom Lebensjahr die Rede ist, wird das Jahr genannt, das bei der entsprechenden Altersjahrangabe vollendet<br />

wird (z.B. beim Alter 60 das 60. Lebensjahr).<br />

19 E<strong>in</strong>e etwas anders aufgebaute Darstellung dieses Sachverhalts mit den Daten der ersten Welle des Alterssurveys<br />

f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> Kohli 2000. Die ger<strong>in</strong>gen altersspezifischen Unterschiede <strong>in</strong> den Ausstiegsplänen führten ihn zur<br />

Vermutung e<strong>in</strong>er fehlenden Tendenz zur Verlängerung der geplanten Lebensarbeitszeit.<br />

95


96<br />

Heribert Engstler<br />

Abbildung 3.8:<br />

Geplantes Erwerbsbeendigungsalter der Erwerbstätigen ab 40 Jahren, 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

(Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

%<br />

40<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

unter<br />

55<br />

5,1<br />

3,5<br />

1996<br />

2002<br />

4,5<br />

2,2<br />

37,7<br />

27,0<br />

9,5<br />

7,5<br />

18,8<br />

17,1<br />

55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66<br />

<strong>und</strong><br />

älter<br />

Geplantes Beendigungsallter der Erw erbstätigkeit (<strong>in</strong> Jahren)<br />

18,3<br />

31,6<br />

Weiß<br />

noch<br />

nicht<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 (n=1871)<strong>und</strong> 2002 (Replikationsstichprobe, n=1114), gewichtet<br />

Erwerbstätige ohne Bezug e<strong>in</strong>er Altersrente/Pension<br />

%<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

18,3<br />

18,7<br />

12,7<br />

50,3<br />

31,6<br />

19,9<br />

13,6<br />

35,0<br />

1996 2002<br />

weiß noch nicht<br />

mit 65 J. oder später<br />

mit 61 - 64 Jahren<br />

mit 60 J. oder früher<br />

Sechs Jahre später, im Jahr 2002, sehen die Austrittspläne der Erwerbstätigen ab 40 Jahren deutlich<br />

anders aus: Nur noch 35 Prozent planen, spätestens mit 60 Jahren aus dem Erwerbsleben<br />

auszuscheiden. Dieser starke Rückgang um 15 Prozentpunkte bei den geplanten Frühausstiegen<br />

führte jedoch nur zu e<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>gen Zunahme des Anteils derer, die e<strong>in</strong> späteres Beendigungsalter<br />

nennen. Insgesamt stieg der Anteil der Befragten mit e<strong>in</strong>em geplanten Beendigungsalter<br />

jenseits des 60. Lebensjahres nur um 2 Prozentpunkte auf 33,5 Prozent. Statt dessen kam es fast<br />

zu e<strong>in</strong>er Verdoppelung des Anteils derer, die ke<strong>in</strong>e konkreten Angaben zum geplanten Erwerbsbeendigungsalter<br />

machen können (von 18 auf 32%).<br />

Diese <strong>Entwicklung</strong> wird folgendermaßen gedeutet: E<strong>in</strong>erseits haben die zwischen 1996 <strong>und</strong><br />

2002 e<strong>in</strong>geführten Rentenreformmaßnahmen (<strong>in</strong>sbesondere die schrittweise Erhöhung des Berechtigungsalters<br />

für e<strong>in</strong>en vollen Bezug vorgezogener Altersrenten <strong>und</strong> das Erschweren der<br />

Frühausgliederung zu Lasten der Arbeitslosenversicherung) <strong>und</strong> die öffentliche Diskussion über<br />

die Notwendigkeit e<strong>in</strong>es längeren Verbleibs älterer Arbeitnehmer im Erwerbsleben bei den Betroffenen<br />

zu e<strong>in</strong>er markanten Abkehr von der Perspektive des frühen Ruhestands beigetragen.<br />

Andererseits konkretisiert sich dieser Perspektivwechsel noch nicht <strong>in</strong> klaren Erwartungen darüber,<br />

bis zu welchem Alter man persönlich weiter erwerbstätig se<strong>in</strong> wird.<br />

Diese wachsende Ungewissheit hat nicht nur die Erwerbstätigen mittleren Alters erfasst, sondern<br />

auch rentennähere Altersgruppen. So verdoppelte sich zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 bei den<br />

55- bis 59-Jährigen der Anteil derer (von 12 auf 23%), die nicht sagen können, <strong>in</strong> welchem<br />

Alter sie aus dem Arbeitsprozess auszuscheiden planen (Abbildung 3.9).


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

Abbildung 3.9:<br />

Anteil Erwerbstätiger, die mit 60 Jahren oder früher aus dem Erwerbsleben auszuscheiden<br />

beabsichtigen oder noch ke<strong>in</strong> geplantes Ausstiegsalter nennen können, nach Alter<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 (Angaben <strong>in</strong> Prozent)*<br />

% mit 60 J. oder früher<br />

52,4<br />

54,2<br />

52,7<br />

49,8<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

38,9<br />

35,7<br />

40,4<br />

31,3<br />

40-44 45-49 50-54 55-59<br />

Alter der Befragten<br />

% Weiß noch nicht<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

23,0<br />

38,9<br />

19,1<br />

36,8<br />

17,6<br />

27,0<br />

11,9<br />

22,6<br />

1996<br />

2002<br />

15,1<br />

13,4<br />

40-44 45-49 50-54 55-59 60-64<br />

Alter der Befragten<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 (n=1340-1756) <strong>und</strong> 2002 (Replikationsstichprobe, n=842-1019), gewichtet<br />

* Die Unterschiede zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 s<strong>in</strong>d für alle Altersgruppen außer den 60- bis 64-Jährigen<br />

statistisch signifikant (Chi²-Test, p


Tabelle 3.5:<br />

Geplantes Ausstiegsalter aus der Erwerbstätigkeit der 40- bis 59-jährigen Frauen<br />

<strong>und</strong> Männer <strong>in</strong> Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland, 1996 <strong>und</strong> 2002 (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

98<br />

Heribert Engstler<br />

Geplantes Männer - West Männer - Ost Frauen - West Frauen - Ost<br />

Ausstiegsalter 1996 2002 1996 2002 1996 2002 1996 2002<br />

mit 60 J. oder früher 49,3 35,2 29,9 32,5 57,3 36,3 75,5 55,3<br />

mit 61-64 Jahren 16,2 11,9 7,1 4,9 6,8 12,6 5,4 12,3<br />

mit 65 J. oder später 20,3 22,0 46,4 35,0 8,0 12,0 10,3 12,3<br />

Weiß noch nicht 14,2 30,9 16,5 27,6 27,9 39,1 8,7 20,2<br />

Zusammen 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 (n=1340) <strong>und</strong> 2002 (Replikationsstichprobe, n=842), gewichtet<br />

Zu dieser erheblichen Verr<strong>in</strong>gerung hat sicherlich die Anhebung der Altersgrenze für die vorgezogene<br />

– abschlagsfreie – Frauenaltersrente von 60 auf 65 Jahre beigetragen. 20 Hervorzuheben<br />

ist, dass der Rückgang geplanter Frühausstiege bei den Frauen zudem häufiger als bei den Männern<br />

(die ebenfalls von Altersgrenzenanhebungen betroffen s<strong>in</strong>d) zu e<strong>in</strong>er Zunahme derjenigen<br />

geführt hat, die zwischen dem 61. bis 65. Lebensjahr <strong>in</strong> den Ruhestand zu gehen beabsichtigen.<br />

Während bei den Männern bis 2002 <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die Verunsicherung zugenommen hat, aber<br />

bis dah<strong>in</strong> nicht mehr Männer als 1996 angaben, voraussichtlich über das 60. Lebensjahr h<strong>in</strong>aus<br />

zu arbeiten, haben die Frauen die Altersgrenzenanhebung subjektiv bereits <strong>in</strong> höherem Maße<br />

nachvollzogen; sie nennen jetzt häufiger e<strong>in</strong> konkretes geplantes Ausstiegsalter zwischen dem<br />

61. <strong>und</strong> 65. Lebensjahr.<br />

Abbildung 3.10:<br />

Differenz 2002 gegenüber 1996 <strong>in</strong> den Angaben zum geplanten Erwerbsbeendigungsalter<br />

nach Geschlecht <strong>und</strong> Landesteil (<strong>in</strong> Prozent-Punkten)<br />

Veränderung <strong>in</strong> %-Punkten<br />

20<br />

16,7<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

-5<br />

-10<br />

-15<br />

-20<br />

-25<br />

-14,1<br />

2,6<br />

11,1 11,3 11,5<br />

-21,0<br />

-20,3<br />

M-West M-Ost F-West F-Ost<br />

mit 60 J. oder früher<br />

mit 61 - 64 Jahren<br />

mit 65 J. oder später<br />

weiß noch nicht<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 (n=1340) <strong>und</strong> 2002 (Replikationsstichprobe, n=842), gewichtet;<br />

Erwerbstätige im Alter von 40 bis 59 Jahren.<br />

20 E<strong>in</strong>en Überblick über die Altersgrenzenanhebungen gibt Tabelle A3.1 im Anhang.


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

Gegen den allgeme<strong>in</strong>en Trend e<strong>in</strong>er Abkehr von frühzeitigen Ausstiegsplänen äußern sich die<br />

ostdeutschen Männer. Bei ihnen erhöhte sich die Quote derer, die davon ausgehen, mit spätestens<br />

60 Jahren aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Auch nehmen 2002 deutlich weniger als<br />

1996 an, bis zum 65. Lebensjahr zu arbeiten. Bei dieser abweichenden <strong>Entwicklung</strong> der Ausstiegspläne<br />

ist jedoch zu berücksichtigen, dass ostdeutsche Männer 1996 mit 46 Prozent weit<br />

häufiger als die anderen Gruppen geplant hatten, bis zum 65. Lebensjahr zu arbeiten, <strong>und</strong> dass<br />

das Arbeitslosigkeitsrisiko im Osten stärker zugenommen hat als im Westen. Dennoch planten<br />

die ostdeutschen Männer auch im Jahr 2002 mit 35 Prozent immer noch häufiger e<strong>in</strong> Arbeiten<br />

bis zur Regelaltersgrenze als die westdeutschen Männer oder die ost- <strong>und</strong> westdeutschen Frauen.<br />

Der Abstand hat sich allerd<strong>in</strong>gs verkle<strong>in</strong>ert.<br />

Insgesamt beabsichtigten diejenigen mit konkreten Vorstellungen zum Ausstiegsalter bei der<br />

Erhebung 2002 im Durchschnitt mit 61,6 Jahren aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Frauen<br />

planen e<strong>in</strong> früheres Erwerbsende als Männer, Westdeutsche e<strong>in</strong> früheres als Ostdeutsche. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

s<strong>in</strong>d die Geschlechts- <strong>und</strong> Ost-West-Unterschiede <strong>in</strong> den vergangenen Jahren kle<strong>in</strong>er geworden.<br />

Am stärksten angestiegen ist das geplante Beendigungsalter im Ost-West- <strong>und</strong> Geschlechtervergleich<br />

bei den westdeutschen Frauen (vgl. Engstler, 2004, S.13).<br />

Geplantes <strong>und</strong> tatsächliches Ausstiegsalter im <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Erwerbsverlauf<br />

In welchem Verhältnis stehen die geäußerten Pläne der Beendigung bzw. Fortführung der Erwerbstätigkeit<br />

mit dem weiteren Handeln der Befragten? Setzen sie ihre Pläne <strong>in</strong> die Tat um?<br />

Steigen sie früher aus oder bleiben sie länger erwerbstätig als geplant? Ändern sich ihre Pläne?<br />

Zur Klärung dieser Fragen werden als erstes die 1996er Angaben der im Jahr 2002 erneut befragten<br />

Panelteilnehmer mit ihrem Erwerbsstatus zum Zeitpunkt der zweiten Befragung <strong>und</strong> –<br />

sofern e<strong>in</strong> Ausstieg erfolgte – dem realisierten Beendigungsjahr ihrer Erwerbstätigkeit verglichen.<br />

Dabei lassen sich drei Gruppen unterscheiden: 21<br />

Gruppe 1 (G1): Geplantes Ausstiegsalter zum Zeitpunkt der Befragung 2002 bereits erreicht<br />

Gruppe 2 (G2): Geplantes Ausstiegsalter noch nicht erreicht<br />

Gruppe 3 (G3): Befragte, die 1996 noch ke<strong>in</strong> geplantes Ausstiegsalter nennen konnten<br />

Tabelle 3.6 gibt Auskunft darüber, welchen Erwerbsstatus diese drei Gruppen der Panelteilnehmer<br />

zum Zeitpunkt der Zweitbefragung im Jahr 2002 hatten. Unterschieden werden aktiv Erwerbstätige<br />

(ohne im Ruhestand bef<strong>in</strong>dliche Erwerbstätige <strong>und</strong> Personen <strong>in</strong> der Freistellungsphase<br />

der Altersteilzeit), Personen im Ruhestand (ungeachtet e<strong>in</strong>er evtl. vorliegenden Erwerbstätigkeit)<br />

<strong>und</strong> sonstige Nicht-Erwerbstätige.<br />

Es zeigt sich, dass der Erwerbsstatus 2002 weitgehend konform geht mit den im Jahr 1996 gemachten<br />

Angaben zum geplanten Beendigungsalter. 81 Prozent derer, die 1996 planten, ihre<br />

Erwerbstätigkeit im Laufe der nächsten sechs Jahre zu beenden, haben dies auch getan; 94 Prozent<br />

davon bef<strong>in</strong>den sich im Ruhestand. Umgekehrt g<strong>in</strong>gen 78 Prozent derer, die beabsichtigten,<br />

21 Die Zuordnung zur Gruppe G1 oder G2 erfolgte unter der Annahme, dass der geplante Beendigungszeitpunkt am<br />

Ende des Monats liegt, <strong>in</strong> dem die Befragten das genannte Altersjahr vollenden. Dieses Vorgehen lässt sich damit<br />

begründen, dass der Rentene<strong>in</strong>tritt überwiegend im Monat nach Vollendung e<strong>in</strong>es Altersjahres erfolgte.<br />

99


100<br />

Heribert Engstler<br />

noch m<strong>in</strong>destens sechs Jahre erwerbstätig zu bleiben, zum Zeitpunkt der Zweitbefragung im<br />

Jahr 2002 tatsächlich e<strong>in</strong>er Erwerbstätigkeit nach. Nur 7 Prozent waren entgegen anderslautender<br />

Pläne bereits im Ruhestand, 14 Prozent jedoch aus anderen Gründen nicht erwerbstätig, vor<br />

allem aufgr<strong>und</strong> von Arbeitslosigkeit. E<strong>in</strong> Drittel derer, die 1996 noch ke<strong>in</strong>e konkreten Vorstellungen<br />

darüber hatten, bis zu welchem Alter sie voraussichtlich erwerbstätig bleiben werden,<br />

s<strong>in</strong>d im Jahr 2002 nicht mehr erwerbstätig; allerd<strong>in</strong>gs bef<strong>in</strong>den sich nur 12 Prozent im Ruhestand,<br />

22 Prozent s<strong>in</strong>d aus anderen Gründen nicht erwerbstätig, häufig aufgr<strong>und</strong> von Arbeitslosigkeit/Vorruhestand.<br />

Tabelle 3.6:<br />

Erwerbsstatus 2002 der im Jahr 1996 erwerbstätigen Panelteilnehmer, je nach<br />

ursprünglich geplantem Ausstiegszeitpunkt (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

1996 geplantes Ausstiegsalter<br />

ist bei Zweitbefragung<br />

2002...:<br />

Aktiv<br />

erwerbstätig 1<br />

Erwerbsstatus 2002<br />

Im<br />

Ruhestand 2<br />

Sonstige<br />

Nicht-<br />

Erwerbstätige<br />

Gesamt<br />

(= 100%)<br />

bereits erreicht (G1) 18,8 76,5 4,7 149<br />

noch nicht erreicht (G2) 78,2 7,3 14,4 436<br />

1996 ke<strong>in</strong> Jahr genannt (G3) 66,2 12,2 21,6 139<br />

Gesamt 63,7 22,5 13,8 724<br />

Quelle: Alterssurvey 1996/2002 – Panelstichprobe (n=751), gewichtet<br />

1 ohne im Ruhestand bef<strong>in</strong>dliche Erwerbstätige <strong>und</strong> ohne Personen <strong>in</strong> der Freistellungsphase der Altersteilzeit<br />

2 Bezieher von Altersrente/Pension oder Frührente, ungeachtet e<strong>in</strong>er evtl. Erwerbstätigkeit<br />

Insgesamt setzte also die große Mehrheit ihre Ausstiegspläne <strong>in</strong> die Tat um. Allerd<strong>in</strong>gs war<br />

2002 immerh<strong>in</strong> e<strong>in</strong> gutes Fünftel (22%) nicht erwerbstätig, obwohl dies nach ihren eigenen Plänen<br />

erst später e<strong>in</strong>treten sollte. Der Anteil der – entgegen damaliger Pläne – nicht mehr Erwerbstätigen<br />

ist dabei <strong>in</strong> Ostdeutschland mit 31 Prozent signifikant höher als <strong>in</strong> den alten B<strong>und</strong>esländern<br />

(19%), während es ke<strong>in</strong>en signifikanten Unterschied zwischen den Geschlechtern<br />

gibt.<br />

Für die zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 von der Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> die Nicht-Erwerbstätigkeit gewechselten<br />

Panelteilnehmer lässt sich als Zweites die zeitliche Differenz zwischen dem geplanten<br />

<strong>und</strong> tatsächlichen Zeitpunkt der Erwerbsbeendigung angeben.<br />

Wie nachfolgende Abbildung 3.11 zeigt, beendeten 44 Prozent der nicht mehr Erwerbstätigen<br />

mit vormals konkreten Vorstellungen zum Austrittsalter ihre Erwerbstätigkeit maximal e<strong>in</strong> Jahr<br />

früher oder später als geplant. Von denen, die <strong>in</strong> den Ruhestand gewechselt s<strong>in</strong>d, beendeten 60<br />

Prozent ihre Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> etwa zum geplanten Zeitpunkt. Demgegenüber erfolgte der<br />

Wechsel <strong>in</strong> die Nicht-Erwerbstätigkeit derer, die 2002 noch nicht im Ruhestand s<strong>in</strong>d, größtenteils<br />

früher als geplant. Hauptgr<strong>und</strong> dafür war der E<strong>in</strong>tritt von Arbeitslosigkeit. Diese Arbeitslosen<br />

s<strong>in</strong>d im Durchschnitt 54 Jahre alt. Vermutlich wird dieser Übergang für die meisten von<br />

ihnen den endgültigen Abschied vom Erwerbsleben bedeuten, da die Rückkehrwahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

von Arbeitslosen <strong>in</strong> diesem Alter ger<strong>in</strong>g ist (vgl. Koller, Bach & Brixy, 2003).


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

Abbildung 3.11:<br />

Zeitliche Differenz* zwischen geplantem <strong>und</strong> realisiertem Ausstiegsalter bei Panelteilnehmern,<br />

die zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 ihre hauptberufliche Erwerbstätigkeit beendet haben<br />

%<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

7,2 9,2<br />

7,0<br />

26,1<br />

11,1<br />

21,7<br />

26,9<br />

Panelteilnehmer<br />

mit beendeter<br />

Erwerbstätigkeit,<br />

<strong>in</strong>sg.<br />

8,8<br />

37,4<br />

13,6<br />

19,2<br />

12,0<br />

Personen im<br />

Ruhestand<br />

3,2<br />

27,1<br />

59,1<br />

10,6<br />

Sonstige Nicht-<br />

Erw.tätige<br />

Erwerbsbeendigung<br />

2-4 J. später<br />

1 Jahr später<br />

wie geplant<br />

1 Jahr früher<br />

2 bis 5 J. früher<br />

6 u.mehr J. früher<br />

als geplant<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 <strong>und</strong> 2002 (Panelteilnehmer), gewichtet<br />

* Zeitliche Differenz = Ausstiegsjahr – Kalenderjahr des geplanten Ausstiegsalters<br />

64 Prozent der 1996 erwerbstätigen Panelteilnehmer waren auch im Jahr 2002 erwerbstätig.<br />

Diese wurden erneut gefragt, mit welchem Alter sie planen, ihre hauptberufliche Erwerbstätigkeit<br />

zu beenden. Zwei Drittel davon haben bei beiden Befragungen e<strong>in</strong> konkretes Altersjahr<br />

genannt. Im Durchschnitt haben diese Personen ihr geplantes Ausstiegsalter um knapp 1 Jahr<br />

nach oben verändert. Während sie 1996 mit 61 Jahren aufzuhören planten, beabsichtigten sie<br />

2002, mit 62 Jahren aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. H<strong>in</strong>ter diesem Anstieg des Mittelwerts<br />

stehen jedoch Veränderungen <strong>in</strong> beide Richtungen. So planten 23 Prozent im Jahr 2002<br />

e<strong>in</strong>en früheren Ausstieg als 1996, 39 Prozent e<strong>in</strong>en späteren; 39 Prozent nannten das gleiche<br />

Alter wie 1996.<br />

Bezieht man auch diejenigen e<strong>in</strong>, die 1996 ke<strong>in</strong> konkretes Beendigungsalter nennen konnten,<br />

ergibt sich folgendes Bild: Von den im Jahr 2002 unter 60-Jährigen Erwerbstätigen, die 1996<br />

planten, mit spätesten 60 Jahren ihre Erwerbstätigkeit zu beenden, blieben 55 Prozent bei dieser<br />

Absicht des frühen Ausstiegs; 28 Prozent möchten nun länger arbeiten (Tabelle 3.7). 39 Prozent<br />

derer, die ursprünglich bis zum Alter 65 arbeiten wollten, planen nun e<strong>in</strong>en früheren Ausstieg.<br />

Exakt die Hälfte derer, die 1996 noch ke<strong>in</strong>e konkreten Pläne nennen konnten, haben 2002 konkrete<br />

Vorstellungen zum Ausstiegsalter; die Mehrzahl davon beabsichtigt mit spätestens 60<br />

Jahren aufzuhören. Interessant ist, dass umgekehrt r<strong>und</strong> 16 Prozent der Panelteilnehmer, die<br />

1996 e<strong>in</strong> konkretes Altersjahr für ihre geplante Erwerbsbeendigung nennen konnten, im Jahr<br />

2002 mit „weiß noch nicht“ antworten. Am häufigsten erfolgte dieser Wechsel <strong>in</strong> die Offenheit,<br />

wenn ursprünglich e<strong>in</strong> früher Ausstieg geplant war. Hier zeigt sich erneut, dass die Abkehr von<br />

e<strong>in</strong>em früh vorgesehenen Ausstieg aus dem Erwerbsleben bis 2002 nur teilweise mit neuen<br />

konkreten Vorstellungen darüber e<strong>in</strong>hergeht, wie lange man voraussichtlich erwerbstätig se<strong>in</strong><br />

wird.<br />

101


102<br />

Heribert Engstler<br />

Tabelle 3.7:<br />

Im Jahr 2002 geplantes Ausstiegsalter der Panelteilnehmer unter 60 Jahren, je nach deren<br />

geplantem Ausstiegsalter im Jahr 1996 (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

Geplantes Beendigungsalter<br />

1996<br />

mit 60 J.<br />

oder früher<br />

Geplantes Beendigungsalter 2002<br />

mit 61-64<br />

Jahren<br />

mit 65 J.<br />

oder später<br />

Weiß noch<br />

nicht<br />

Gesamt<br />

(= 100%)<br />

mit 60 J. oder früher 54,5 13,0 15,0 17,5 200<br />

mit 61-64 Jahren 29,2 37,5 22,9 10,4 48<br />

mit 65 J. oder später 21,3 17,5 47,5 13,8 80<br />

Weiß noch nicht 31,7 11,0 7,3 50,0 82<br />

Gesamt 40,5 16,3 20,7 22,4 410<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 <strong>und</strong> 2002 (Panelteilnehmer), gewichtet<br />

Alles <strong>in</strong> allem blieb – gemessen an den Alterskategorien der geplanten Erwerbsbeendigung –<br />

r<strong>und</strong> die Hälfte der weiterh<strong>in</strong> erwerbstätigen Panelteilnehmer bei ihren 1996 gemachten Angaben<br />

(siehe durch Fettdruck hervorgehobene Werte <strong>in</strong> Tabelle 3.7).<br />

Änderungen <strong>in</strong> Richtung e<strong>in</strong>es längeren Verbleibs im Erwerbsleben kommen häufiger vor als<br />

umgekehrt. Zudem nimmt mit dem Älterwerden der Anteil derer ab, die noch ke<strong>in</strong>e konkreten<br />

Vorstellungen zum geplanten Ausstiegsalter haben. Dennoch ist e<strong>in</strong> Teil der Befragten im Laufe<br />

der sechs Jahre wieder unsicherer geworden.<br />

Fazit<br />

Die 1996 festgestellten Erwerbsbeendigungspläne standen noch ganz im Zeichen der Erwartungshaltung,<br />

frühzeitig aus dem Erwerbsleben <strong>in</strong> den Ruhestand zu wechseln: Damals plante<br />

die Hälfte der Erwerbstätigen ab 40 Jahren, mit spätestens 60 Jahren auszuscheiden. Selbst von<br />

den 40- bis 49-Jährigen beabsichtigte jeder Zweite die Beendigung der Erwerbstätigkeit im Alter<br />

von 60 Jahren oder früher. Der durch Änderungen im Renten- <strong>und</strong> Arbeitsförderungsrecht<br />

begleitete Paradigmenwechsel vom frühen zum späteren Ausstieg aus dem Erwerbsleben auf<br />

der Makroebene führte anschließend jedoch zu e<strong>in</strong>em bemerkenswerten E<strong>in</strong>bruch <strong>in</strong> den Erwartungen<br />

e<strong>in</strong>es frühen Ruhestands. Allerd<strong>in</strong>gs konkretisierte sich die Abkehr von der Perspektive<br />

des Frühausstiegs zum<strong>in</strong>dest bis 2002 noch nicht <strong>in</strong> klaren Erwartungen darüber, wie viel länger<br />

man voraussichtlich im Arbeitsprozess verbleiben wird. Statt dessen nahm bei den Erwerbstätigen<br />

die Ungewissheit über die voraussichtliche Länge ihres Erwerbslebens zu. E<strong>in</strong>erseits ist den<br />

Erwerbstätigen bewusst, dass die Zeit der Frühausgliederungen <strong>und</strong> Frühverrentungen ihren<br />

Zenit überschritten hat; vielen fehlten jedoch zum<strong>in</strong>dest im Jahr 2002 noch neue biografische<br />

Orientierungspunkte für den Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand. Teilweise wird noch an unrealistisch<br />

frühen Ausstiegsplänen festgehalten, die vermutlich nicht oder nur mit erheblichen E<strong>in</strong>bußen<br />

des Alterse<strong>in</strong>kommens realisiert werden können. Dies lässt vermuten, dass viele die Relevanz<br />

der bereits gesetzten Rechtsänderungen für ihre zukünftigen Möglichkeiten des Erwerbsaus-


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

stiegs noch nicht richtig erkannt haben. E<strong>in</strong>e verbesserte Aufklärung über die Rechtssituation<br />

<strong>und</strong> die Neuregelungen könnte Abhilfe schaffen.<br />

Es ist zu erwarten, dass die im Jahr 2002 zu beobachtende Verunsicherung allmählich e<strong>in</strong>er<br />

Neuorientierung auf e<strong>in</strong>en längeren Verbleib im Erwerbsleben mit konkreteren Vorstellungen<br />

zum Zeitpunkt des Übergangs <strong>in</strong> den Ruhestand weicht. Die angehobenen Altersgrenzen für den<br />

– abschlagsfreien – Beg<strong>in</strong>n der vorgezogenen Altersrenten <strong>und</strong> die steigende Bedeutung der<br />

Regelaltersgrenze für den Rentenzugang dürften als neue biografische Orientierungspunkte<br />

aufgegriffen werden. Die Frauen orientieren sich daran offensichtlich jetzt schon stärker als die<br />

Männer.<br />

Bestätigt hat sich die Vermutung e<strong>in</strong>er weitgehenden Übere<strong>in</strong>stimmung zwischen dem geplanten<br />

<strong>und</strong> dem nachfolgend realisierten Beendigungsalter: Von denen, die 1996 planten, höchstens<br />

noch 6 Jahre erwerbstätig zu se<strong>in</strong>, standen im Jahr 2002 tatsächlich 81 Prozent nicht mehr im<br />

Erwerbsleben. Von denen, die <strong>in</strong> den Ruhestand gewechselt s<strong>in</strong>d, beendeten 60 Prozent ihre<br />

Erwerbstätigkeit maximal 1 Jahr vor oder nach dem 1996 geplanten Beendigungszeitpunkt. Die<br />

Ausstiegspläne der älteren Erwerbstätigen s<strong>in</strong>d damit e<strong>in</strong> guter Indikator für den späteren Übergang<br />

<strong>in</strong> den Ruhestand. Demgegenüber erfolgte die Erwerbsbeendigung derer, die 2002 noch<br />

nicht im Ruhestand s<strong>in</strong>d, größtenteils früher als geplant. Hauptgr<strong>und</strong> dafür war der E<strong>in</strong>tritt von<br />

Arbeitslosigkeit.<br />

3.4.2 Das Alter der Erwerbsbeendigung verschiedener Ruhestandsgenerationen<br />

Im Folgenden wird abschließend die bisherige <strong>Entwicklung</strong> des Beendigungsalters <strong>in</strong> der Abfolge<br />

der Geburtsjahrgänge dargestellt, die sich bereits vollständig oder zu großen Teilen im<br />

Ruhestand bef<strong>in</strong>den. Gr<strong>und</strong>lage s<strong>in</strong>d die Angaben der Bezieher<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bezieher von Altersrente<br />

<strong>und</strong> der anderen nicht mehr erwerbstätigen Personen ab 60 Jahren zum Beendigungsalter<br />

ihrer – hauptberuflichen – Erwerbstätigkeit. 22 Anhand dieser Angaben lässt sich die kohortenspezifische<br />

Verteilung der Ausstiegszeitpunkte auf die e<strong>in</strong>zelnen Altersjahre ermitteln <strong>und</strong> feststellen,<br />

wie viel Prozent der jetzt im Ruhestand Bef<strong>in</strong>dlichen e<strong>in</strong>es Geburtsjahrgangs <strong>in</strong> jedem<br />

e<strong>in</strong>zelnen zurückliegenden Altersjahr noch erwerbstätig waren.<br />

Abbildung 3.12 gibt Auskunft darüber, welchen Verlauf die Erwerbstätigenquote der Geburtskohorten<br />

1917 bis 1942 (d.h. der 60- bis 85-Jährigen) zwischen dem 55. <strong>und</strong> 65. Lebensjahr<br />

nahm. Zu berücksichtigen ist dabei, dass bei der Erhebung im Jahr 2002 e<strong>in</strong> Fünftel der jüngsten<br />

Kohortengruppe (Jahrgänge 1938/42) ihre hauptberufliche Erwerbstätigkeit noch nicht beendet<br />

hatte (siehe Tabelle 3.1 auf Seite 77) <strong>und</strong> die Ergebnisse der ältesten Geburtsjahrgänge<br />

(1917/22) aufgr<strong>und</strong> der geschlechtsspezifischen Unterschiede der Lebenserwartung <strong>in</strong> höherem<br />

Maße durch die Erwerbsbiografien der Frauen geprägt s<strong>in</strong>d.<br />

22 Die Frage lautete: "Bis zu welchem Jahr waren Sie hauptberuflich erwerbstätig?". Nicht e<strong>in</strong>bezogen s<strong>in</strong>d Personen,<br />

die – nach e<strong>in</strong>er möglichen Berufsausbildung – nie hauptberuflich erwerbstätig gewesen s<strong>in</strong>d: Diese können<br />

ke<strong>in</strong>e Angaben zum Beendigungszeitpunkt machen <strong>und</strong> wurden daher auch nicht danach gefragt. Deren Anteil ist<br />

<strong>in</strong>sgesamt ger<strong>in</strong>g. Von den 40- bis 85-Jährigen des Jahres 2002 waren es nur 2,5%.<br />

103


104<br />

Heribert Engstler<br />

Die Verläufe dieser beiden Kohortengruppen s<strong>in</strong>d daher mit denen der anderen Geburtsjahrgänge<br />

nur e<strong>in</strong>geschränkt vergleichbar. Um dennoch e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck von der zu erwartenden Gesamtverteilung<br />

der Austrittsalter <strong>in</strong> der jüngsten Kohortengruppe zu erhalten, wurde das Beendigungsalter<br />

der noch erwerbstätigen 60- bis 64-Jährigen anhand des bekannten Beendigungsalters<br />

der über das 60. Lebensjahr h<strong>in</strong>aus erwerbstätig gewesenen 65- bis 69-Jährigen geschätzt.<br />

Unter E<strong>in</strong>bezug dieser Schätzung ergibt sich für die Geburtsjahrgänge 1938/42 der mit gestrichelter<br />

L<strong>in</strong>ie dargestellte erwartete altersspezifische Rückgang der Erwerbstätigenquote.<br />

Betrachtet man zunächst nur die allgeme<strong>in</strong>e kohortenspezifische <strong>Entwicklung</strong> <strong>und</strong> lässt die besonders<br />

bei den älteren Kohorten bestehenden geschlechtsspezifischen Verlaufsunterschiede<br />

<strong>und</strong> die Ost-West-Differenzen vorerst noch außer acht, belegen die Verlaufskurven den allgeme<strong>in</strong>en<br />

Trend zur Vorverlagerung des Ausstiegs aus dem Erwerbsleben <strong>in</strong> den vergangenen<br />

Jahrzehnten. 23 Die Erwerbsbeteiligung der 1933/37 Geborenen g<strong>in</strong>g nach dem 55. Lebensjahr<br />

stärker zurück als bei den beiden vorherigen Kohortengruppen. Über das 60. Lebensjahr h<strong>in</strong>aus<br />

hauptberuflich erwerbstätig waren von den Jahrgängen 1933/37 nur 33 Prozent, gegenüber 42<br />

Prozent der Jahrgänge 1928/32 <strong>und</strong> 46 Prozent der Jahrgänge 1923/27.<br />

Abbildung 3.12:<br />

Beendigungsalter der hauptberuflichen Erwerbstätigkeit nach Alter<br />

bzw. Kohortenzugehörigkeit<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

% 40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

1938/42 (geschätzt)<br />

1938/42<br />

1933/37<br />

1928/32<br />

1923/27<br />

1917/22<br />

0<br />

55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65<br />

Anteil der AltersrentnerInnen <strong>und</strong> Nicht-Erw erbstätigen ohne Altersrente,<br />

die über e<strong>in</strong> Alter von ... Jahren h<strong>in</strong>aus erw erbstätig w aren<br />

Quelle: Alterssurvey 2002 - Replikationsstichprobe (n=1533), gewichtet<br />

23 Dies zeigen auch die <strong>in</strong> ähnlicher Weise aufbereiteten Daten der ersten Welle des Alterssurveys (vgl. Kohli 2000;<br />

Künem<strong>und</strong> 2001, S.56).


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

Von den bereits im Ruhestand bef<strong>in</strong>dlichen oder aus anderen Gründen nicht Erwerbstätigen der<br />

Geburtsjahrgänge 1938/42 waren nur 17 Prozent über das 60. Lebensjahr h<strong>in</strong>aus erwerbstätig<br />

gewesen. Zählt man allerd<strong>in</strong>gs die noch im Arbeitsprozess Stehenden dieser Geburtsjahrgänge<br />

h<strong>in</strong>zu, s<strong>in</strong>d es 35 Prozent. Mit 63 Jahren s<strong>in</strong>d von den Jahrgängen 1938/42 voraussichtlich nur<br />

noch 10 Prozent hauptberuflich erwerbstätig, verglichen mit 15 Prozent der Jahrgänge 1933/37<br />

<strong>und</strong> 25 Prozent der Jahrgänge 1923/27. Wie die Zahlen der älteren Kohorten zeigen, blieb auch<br />

<strong>in</strong> früheren Jahrzehnten nur e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze erwerbstätig.<br />

Selbst von den heute 75- bis 85-Jährigen (Geburtsjahrgänge 1917/27) waren nur 19 Prozent bis<br />

zum 65. Lebensjahr hauptberuflich erwerbstätig. Die oft gehörte Forderung, es sollten wieder<br />

mehr Menschen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze im Arbeitsprozess bleiben, geht häufig<br />

von falschen Vorstellungen über das Erwerbsbeendigungsalter früherer Generationen aus. Diese<br />

Forderung mag aus vielerlei Gründen berechtigt se<strong>in</strong>, der Verweis auf die Vergangenheit liefert<br />

jedenfalls ke<strong>in</strong>e ausreichende Begründung. Dies würde erst recht für den Vorschlag des H<strong>in</strong>ausschiebens<br />

des Ruhestandsbeg<strong>in</strong>ns über das 65. Lebensjahr gelten. 24 Denn auch die älteren Jahrgänge<br />

befanden sich mit spätestens 65 Jahren nahezu komplett im Ruhestand. Dieses Muster hat<br />

sich seither verfestigt.<br />

Die <strong>Entwicklung</strong> der jüngsten betrachteten Geburtsjahrgangsgruppe (Jahrgänge 1938/42) lässt<br />

noch ke<strong>in</strong>e Umkehr, aber e<strong>in</strong>e spürbare Abschwächung des Trends zum frühzeitigen Übergang<br />

<strong>in</strong> den Ruhestand erkennen. Die kohortenspezifisch aufbereiteten Zahlen des Alterssurveys<br />

zeichnen damit e<strong>in</strong> noch nicht ganz so optimistisches Bild wie die <strong>in</strong> Abbildung 3.1 auf Seite 67<br />

berichteten Zeitreihenergebnisse des Mikrozensus zur Erwerbsbeteiligung der 55- bis 64-<br />

Jährigen. Da die Bef<strong>und</strong>e des Alterssurveys zum Erwerbsbeendigungsalter der 60- bis 64-<br />

Jährigen (Jahrgänge 1938/42) zum Teil auf Schätzungen beruhen, für die das Ausstiegsverhalten<br />

der etwas älteren Jahrgänge herangezogen wurde, ist e<strong>in</strong>e weitere Verzögerung der Erwerbsbeendigung<br />

nicht auszuschließen. Es zeichnet sich ab, dass der Trend zum frühen Übergang <strong>in</strong> den<br />

Ruhestand se<strong>in</strong> - vorläufiges – Ende gef<strong>und</strong>en hat. Man kann erwarten, dass zukünftig mehr<br />

Frauen <strong>und</strong> Männer über das 60. Lebensjahr h<strong>in</strong>aus im Beruf bleiben <strong>und</strong> auch mehr Menschen<br />

wieder bis zum Erreichen der derzeitigen Regelaltersgrenze erwerbstätig se<strong>in</strong> werden, zumal als<br />

nächstes die außergewöhnlich schwach besetzten Geburtsjahrgänge 1943 bis 1947 folgen. Dass<br />

allerd<strong>in</strong>gs mehr Menschen freiwillig erst nach dem 65. Lebensjahr <strong>in</strong> die Rente gehen werden,<br />

ersche<strong>in</strong>t angesichts der berichteten Erwerbsbeendigungspläne <strong>und</strong> der nahezu fehlenden Praxis<br />

e<strong>in</strong>es solch späten Übergangs <strong>in</strong> der jüngeren Vergangenheit sowie der überaus ger<strong>in</strong>gen Inanspruchnahme<br />

der Teilrente (vgl. Künem<strong>und</strong>, 2001, S.58) eher unwahrsche<strong>in</strong>lich.<br />

Bei den <strong>in</strong> Abbildung 3.12 dargestellten kohortenspezifischen Rückgängen der Erwerbsbeteiligung<br />

mit steigendem Alter handelt es sich um Durchschnittswerte aus dem Ausstiegsverhalten<br />

aller Angehörigen der jeweiligen Geburtsjahrgänge. Dah<strong>in</strong>ter verbergen sich teilweise erhebliche<br />

Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen.<br />

24 Die Forderung nach e<strong>in</strong>er Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre wird jedoch meist mit der besseren Ges<strong>und</strong>heit<br />

<strong>und</strong> Leistungsfähigkeit der heute <strong>und</strong> zukünftig 65-Jährigen oder schlicht mit der Notwendigkeit zur Stabilisierung<br />

des Beitragssatzes <strong>in</strong> der Gesetzlichen Rentenversicherung begründet (vgl. B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>und</strong>heit<br />

<strong>und</strong> Soziale Sicherung, 2003).<br />

105


106<br />

Heribert Engstler<br />

Bedeutsame Differenzen bestehen – wie bereits erwähnt – zwischen Männern <strong>und</strong> Frauen <strong>und</strong><br />

zwischen Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland. Zur Verdeutlichung dieser Differenzen werden <strong>in</strong> Abbildung<br />

3.13 die Erwerbsbeteiligungsverläufe der im Jahr 2002 65- bis 69-jährigen <strong>und</strong> 70- bis<br />

74-jährigen Männer <strong>und</strong> Frauen <strong>in</strong> den alten <strong>und</strong> neuen B<strong>und</strong>esländern zwischen dem 55. <strong>und</strong><br />

65. Lebensjahr gegenüber gestellt. Ersichtlich wird der starke Rückgang des Erwerbsbeendigungsalters<br />

<strong>in</strong> Ostdeutschland <strong>und</strong> die im Westen besonders ausgeprägte Geschlechterdifferenz.<br />

Die 1928/32 geborenen ostdeutschen Männer waren mit 55 Jahren nahezu alle noch erwerbstätig<br />

(97%). Bis zum Alter von 59 Jahren verr<strong>in</strong>gerte sich dieser Anteil auf 84 Prozent, um anschließend<br />

rapide zurückzugehen. Die meisten Wechsel <strong>in</strong> die Nacherwerbsphase erfolgten mit<br />

60 <strong>und</strong> mit 65 Jahren. Bei den ostdeutschen Frauen der Jahrgänge 1928/32 konzentrierte sich<br />

die Erwerbsbeendigung – ausgehend von e<strong>in</strong>er ähnlich hohen Erwerbsbeteiligung wie die der<br />

Männer – sehr stark auf das 60. Lebensjahr: Vom 59. auf das 60. Altersjahr fiel ihre Erwerbstätigenquote<br />

von 72 auf 18 Prozent, wofür <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie der Wechsel <strong>in</strong> die vorgezogene Altersrente<br />

für Frauen ab dem vollendeten 60. Lebensjahr verantwortlich war. Die fünf Jahre später<br />

geborenen ostdeutschen Frauen <strong>und</strong> Männer standen schon mit 55 Jahren wesentlich häufiger<br />

nicht mehr im Erwerbsleben, wobei der Rückgang bei den Frauen stärker war (von 96 auf 67%)<br />

als bei den Männern (von 97 auf 82%). Am starken Abfall der Erwerbsbeteiligung zeigt sich<br />

deutlich die massenhafte Frühausgliederung der älteren ostdeutschen Arbeitskräfte aus dem<br />

Erwerbsleben im Zuge der Umstrukturierung der ostdeutschen Wirtschaft nach der Wiedervere<strong>in</strong>igung.<br />

Abbildung 3.13:<br />

Beendigungsalter der hauptberuflichen Erwerbstätigkeit der 65- bis 74-Jährigen des Jahres<br />

2002, nach Geschlecht <strong>und</strong> Landesteil<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

%<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

West<br />

M 1928/32<br />

M 1933/37<br />

F 1928/32<br />

F 1933/37<br />

0<br />

55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65<br />

Anteil der AltersrentnerInnen <strong>und</strong> Nicht-<br />

Erw erbstätigen ohne Altersrente, die über e<strong>in</strong> Alter<br />

von ... Jahren h<strong>in</strong>aus erw erbstätig w aren<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

%<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

Ost<br />

M 1933/37<br />

M 1928/32<br />

F 1933/37<br />

F 1928/32<br />

0<br />

55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65<br />

Anteil der AltersrentnerInnen <strong>und</strong> Nicht-<br />

Erw erbstätigen ohne Altersrente, die über e<strong>in</strong> Alter<br />

von ... Jahren h<strong>in</strong>aus erw erbstätig w aren<br />

Quelle: Alterssurvey 2002 - Replikationsstichprobe, n=450 (West), n=230 (Ost)


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

Die große Mehrheit der heute 65- bis 69-Jährigen Ostdeutschen beendete ihr Erwerbsleben<br />

schon vor Vollendung des 60. Lebensjahrs <strong>und</strong> damit vor dem potenziellen Bezug e<strong>in</strong>er vorgezogenen<br />

Altersrente. Mit 59 Jahren waren nur noch 35 Prozent der Frauen <strong>und</strong> 45 Prozent der<br />

Männer dieser ostdeutschen Jahrgänge erwerbstätig. Immer weniger konnten e<strong>in</strong>en nahtlosen<br />

Übergang vom Erwerbsleben <strong>in</strong> die Altersrente realisieren, immer mehr gelangten erst nach<br />

e<strong>in</strong>er Zwischenphase der Arbeitslosigkeit oder des Vorruhestands <strong>in</strong> die Rente (nähere Informationen<br />

hierzu <strong>in</strong> Kapitel 3.5). Das Erwerbsbeendigungsalter <strong>in</strong> Ostdeutschland ist zuletzt wieder<br />

etwas heterogener geworden. Dies zeigt sich auch an der <strong>Entwicklung</strong> der Standardabweichung,<br />

die die Streuung um den Mittelwert misst (Tabelle 3.8). Die Streuung ist <strong>in</strong>sbesondere bei den<br />

ostdeutschen Männern wieder größer geworden, auch wenn das Ausmaß der Heterogenität nach<br />

wie vor am stärksten bei den westdeutschen Frauen ist.<br />

Im Westen Deutschlands war das Alter der Erwerbsbeendigung schon <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />

heterogener als im Osten. Dies beruht vor allem auf den unterschiedlichen Erwerbsbiografien<br />

der Männer <strong>und</strong> Frauen. Von den 1933/37 geborenen Frauen waren mit 55 Jahren nur 67 Prozent<br />

erwerbstätig, da viele ihre Erwerbsarbeit im Zuge der Familiengründung <strong>und</strong> -erweiterung<br />

aufgegeben <strong>und</strong> nicht mehr <strong>in</strong>s Erwerbsleben zurückgekehrt s<strong>in</strong>d bzw. e<strong>in</strong>e dauerhafte Rückkehr<br />

nicht mehr gelungen ist. Hier<strong>in</strong> unterscheiden sie sich auch nur ger<strong>in</strong>gfügig von den fünf Jahre<br />

vor ihnen geborenen Frauen, die zwischen dem 55. <strong>und</strong> 62. Lebensjahr sogar etwas häufiger<br />

erwerbstätig waren (Abbildung 3.13).<br />

Verglichen mit den ostdeutschen Frauen der Jahrgänge 1933/37 war die weibliche Erwerbsbeteiligung<br />

<strong>in</strong> den alten B<strong>und</strong>esländern bis zum Alter von 59 Jahren ger<strong>in</strong>ger, danach jedoch höher<br />

als im Osten. Mitverantwortlich dafür s<strong>in</strong>d die wesentlich länger andauernden Erwerbsunterbrechungen<br />

der Frauen im Westen während der Familienphase, die dazu beitragen, dass die bis<br />

zum 60. Lebensjahr erworbenen Rentenansprüche niedriger s<strong>in</strong>d als im Osten. Dies führt dazu,<br />

dass den älteren erwerbstätigen Frauen im Westen der frühzeitige Wechsel <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

häufiger mangels ausreichender Versicherungsjahre versperrt ist oder angesichts der ger<strong>in</strong>geren<br />

Rentenanwartschaften nicht attraktiv ersche<strong>in</strong>t. Die etwas höhere Erwerbsbeteiligung im Westen<br />

nach dem 60. Lebensjahr dürfte zudem durch die bessere Arbeitsmarktsituation <strong>in</strong> den alten<br />

B<strong>und</strong>esländern gefördert werden. Dafür spricht die bei den Jahrgängen 1933/37 durchgängig<br />

über alle betrachteten Altersjahre höhere Erwerbsbeteiligung der westdeutschen Männer gegenüber<br />

den ostdeutschen Männern, die bei den fünf Jahre Älteren noch nicht gegeben war. Dennoch<br />

war auch bei den westdeutschen Männern im Kohortenvergleich der Trend zur Vorverlagerung<br />

des Übergangs <strong>in</strong> die Nacherwerbsphase noch nicht beendet. Ab e<strong>in</strong>em Alter von 58<br />

Jahren lag die Erwerbstätigenquote der Jahrgänge 1933/37 jeweils etwas unter jener der 1928/32<br />

Geborenen.<br />

107


Tabelle 3.8:<br />

Durchschnittliches Alter der Erwerbsbeendigung der ost- <strong>und</strong> westdeutschen Frauen<br />

<strong>und</strong> Männer nach Kohortenzugehörigkeit<br />

Geburtsjahrgang<br />

108<br />

M 1<br />

West Ost Deutschland<br />

Heribert Engstler<br />

F Zus. M F Zus. M F Zus.<br />

Durchschnittliches Beendigungsalter (arithm. Mittel, <strong>in</strong> Jahren):<br />

1917/22 61,3 49,0 53,5 64,5 60,1 61,4 61,8 51,3 55,0<br />

1923/27 60,6 52,1 55,8 63,2 58,4 59,9 61,0 53,6 56,7<br />

1928/32 60,9 49,9 54,9 61,6 58,7 60,0 61,1 51,5 55,9<br />

1933/37 61,1 49,4 55,0 58,1 55,7 56,8 60,4 50,8 55,4<br />

Standardabweichung (<strong>in</strong> Jahren):<br />

1917/22 7,7 15,8 14,6 3,2 7,1 6,5 7,2 15,1 13,8<br />

1923/27 6,5 15,6 13,1 3,1 8,2 7,3 6,1 14,4 12,2<br />

1928/32 6,2 16,5 14,0 2,8 6,8 5,5 5,7 15,6 13,0<br />

1933/37 3,2 15,9 13,0 6,2 7,9 7,2 4,2 14,7 12,0<br />

Quelle: Alterssurvey 2002 - Replikationsstichprobe (n=1.533), gewichtet<br />

1 M=Männer, F=Frauen, Zus.=Zusammen<br />

Insgesamt belegen die Bef<strong>und</strong>e zu den kohortenspezifischen Verläufen der Erwerbsbeteiligung<br />

ab dem 55. Lebensjahr <strong>und</strong> der <strong>Entwicklung</strong> des Erwerbsbeendigungsalters den langjährigen<br />

Trend zur Vorverlagerung des Ausstiegs aus dem Arbeitsleben, der zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> den alten B<strong>und</strong>esländern<br />

beendet sche<strong>in</strong>t. Deutlich hervor treten auch die enormen Umbrüche im ostdeutschen<br />

Beschäftigungssystem nach der Wiedervere<strong>in</strong>igung, die zu e<strong>in</strong>er massenhaften Ausgliederung<br />

älterer Arbeitnehmer aus dem Erwerbsprozess geführt haben. Erfolgte diese Ausgliederung<br />

anfangs noch über den frühzeitigen Wechsel von der Erwerbsarbeit <strong>in</strong> die Altersrente, wurden<br />

im weiteren Verlauf immer mehr ältere Arbeitskräfte bereits vor dem Rentenberechtigungsalter<br />

aus dem Arbeitsleben verabschiedet, d.h. <strong>in</strong> die Arbeitslosigkeit oder den Vorruhestand entlassen.<br />

Dies führt zu e<strong>in</strong>er Änderung der Übergangspfade von der Erwerbsarbeit <strong>in</strong> den Ruhestand.<br />

Es kommt häufiger zu e<strong>in</strong>er zeitlichen Lücke zwischen dem Ausstieg aus dem Beruf <strong>und</strong> dem<br />

E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Rente. Der Ausbreitung, Länge <strong>und</strong> Art dieser Zwischenphase widmet sich das<br />

nachfolgende Kapitel.<br />

3.5 Übergangspfade von der Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> die Altersrente<br />

Die Ergebnisse zum jahrzehntelangen Rückgang des Erwerbsbeendigungsalters, <strong>in</strong>sbesondere<br />

zum gestiegenen Anteil derer, die bereits vor Vollendung des 60. Lebensjahres ausgeschieden<br />

s<strong>in</strong>d, verweisen auf e<strong>in</strong>e gewachsene zeitliche Lücke zwischen dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben<br />

<strong>und</strong> dem Übergang <strong>in</strong> die Altersrente. Mit den Daten des Alterssurveys kann dieses<br />

Phänomen empirisch untersucht werden. Denn alle Personen ab 60 Jahren, die e<strong>in</strong>e Altersrente<br />

oder Pension aus eigener Erwerbstätigkeit beziehen, wurden nicht nur nach dem Jahr ihrer Erwerbsbeendigung<br />

<strong>und</strong> dem Startzeitpunkt des Bezugs von Altersrente/Pension gefragt, sondern


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

gaben auch Auskunft zur Situation unmittelbar vor Beg<strong>in</strong>n der Altersrente. 25 Dadurch lässt sich<br />

untersuchen, wie sich <strong>in</strong> der Abfolge der untersuchten Geburtsjahrgänge der Anteil derjenigen<br />

entwickelt hat, die direkt aus der Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> die Rente gewechselt s<strong>in</strong>d, aus welchem<br />

Status die restlichen Personen <strong>in</strong> die Altersrente kamen <strong>und</strong> wie sich die Dauer zwischen Erwerbsende<br />

<strong>und</strong> Altersrentenbeg<strong>in</strong>n entwickelt hat. Dabei ist zu beachten, dass <strong>in</strong> der jüngsten<br />

betrachteten Gruppe der 1938/42 Geborenen (60- bis 64-Jährige) zum Zeitpunkt der Befragung<br />

erst 51 Prozent Altersrente/Pension erhielten. Der Zugang zu vorgezogenen Altersrenten ist an<br />

bestimmte Übergangspfade geb<strong>und</strong>en. Vorgezogene Altersrenten stehen im wesentlichen nach<br />

Arbeitslosigkeit, Vorruhestand, Altersteilzeit sowie Schwerbeh<strong>in</strong>derten, langjährig Versicherten<br />

<strong>und</strong> Frauen mit längerer Erwerbsbiografie offen. Dies führt dazu, dass unter den 60- bis 64jährigen<br />

Altersrentenbeziehern zwangsläufig überdurchschnittlich viele Personen s<strong>in</strong>d, die aus<br />

vorheriger Arbeitslosigkeit, nach dem Vorruhestand oder im Anschluss an den Bezug e<strong>in</strong>er<br />

Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente <strong>in</strong> die Altersrente gewechselt s<strong>in</strong>d. Der Wechsel nach<br />

vorheriger Hausfrauentätigkeit ist dagegen relativ selten, da Hausfrauen oft nicht die Voraussetzungen<br />

für den Zugang zu e<strong>in</strong>er vorgezogenen Altersrente erfüllen. Dies lässt e<strong>in</strong>en Vergleich<br />

mit den Übergangswegen der über 65-Jährigen nur bed<strong>in</strong>gt zu. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wurde die<br />

Verteilung der bereits erfolgten Übergänge der Geburtsjahrgänge 1938/42 ergänzt durch die<br />

erwartete Gesamtverteilung unter E<strong>in</strong>bezug des aktuellen Erwerbsstatus der noch nicht Altersrente<br />

beziehenden 60- bis 64-Jährigen (siehe hierzu auch Tabelle 3.1, Seite 77). 26<br />

Aus Abbildung 3.14 ist erkennbar, dass <strong>in</strong>sgesamt tatsächlich immer weniger Personen direkt<br />

aus der Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> die Altersrente gelangen. Waren von den heute 75- bis 79-Jährigen<br />

74 Prozent bis unmittelbar vor Beg<strong>in</strong>n ihrer Altersrente erwerbstätig gewesen, beträgt diese<br />

Quote bei den 60- bis 64-Jährigen voraussichtlich nur noch 53 Prozent. Stark zugenommen hat<br />

der Anteil derer, die vor dem Übergang <strong>in</strong> die Rente e<strong>in</strong>e Phase der Arbeitslosigkeit oder des<br />

Vorruhestands h<strong>in</strong>ter sich brachten. Von den Jährgängen 1923/27 waren nur 4 Prozent vor Beg<strong>in</strong>n<br />

der Rente arbeitslos oder im Vorruhestand gewesen, bis zu den Jahrgängen 1938/42 verfünffachte<br />

sich diese Quote auf ca. 23 Prozent.<br />

Der Anteil derer, die als Hausfrauen (selten als Hausmänner) <strong>in</strong> die Altersrente wechseln, verr<strong>in</strong>gerte<br />

sich kont<strong>in</strong>uierlich bis zu den Jahrgängen 1933/37. Der sich nun abzeichnende höhere<br />

Anteil e<strong>in</strong>er vorgeschalteten Hausfrauenphase bei den 60- bis 64-Jährigen gegenüber den 65- bis<br />

69-Jährigen ist vermutlich mit darauf zurückzuführen, dass mehr langjährige Hausfrauen mit 65<br />

Jahren die Voraussetzungen für den Bezug e<strong>in</strong>er Altersrente erfüllen, unter anderem aufgr<strong>und</strong><br />

der verbesserten Anrechnung von Erziehungszeiten <strong>und</strong> dem abnehmenden Anteil an Frauen,<br />

die sich <strong>in</strong> jungen Jahren ihre Rentenversicherungsbeiträge haben ausbezahlen lassen.<br />

25 Die Antwortvorgaben waren: Ich war zuvor erwerbstätig, <strong>in</strong> der Freistellungsphase der Altersteilzeit, arbeitslos, im<br />

Vorruhestand (auch Altersübergang), Hausfrau/-mann, <strong>in</strong> Umschulung, Aus- oder Weiterbildung, länger krank <strong>und</strong><br />

habe Geld von der Krankenkasse erhalten, habe e<strong>in</strong>e Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente (Invalidenrente) bezogen<br />

oder war zuvor Sonstiges.<br />

26 Aufgr<strong>und</strong> von Auswertungsergebnissen zum Übergangsverhalten der Panelteilnehmer <strong>in</strong> den Ruhestand erfolgte<br />

dies unter der Annahme, dass ca. 81% der 60- bis 64-jährigen Hausfrauen/-männer <strong>und</strong> 100% aller anderen Nicht-<br />

Erwerbstätigen <strong>und</strong> Erwerbstätigen dieses Alters später Altersrente beziehen werden.<br />

109


Abbildung 3.14:<br />

Situation vor Beg<strong>in</strong>n der Altersrente nach Geburtsjahrgang<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

%<br />

20<br />

0<br />

110<br />

6,5 7,9 6,8 9,2 7,0<br />

5,0<br />

18,4 13,7<br />

10,9 8,5<br />

2,8<br />

4,4<br />

10,9<br />

72,3 74,0 71,4<br />

19,0<br />

28,5<br />

63,3 59,5<br />

1917/22 1923/27 1928/32 1933/37 1938/42<br />

aktuell<br />

12<br />

12<br />

23<br />

53<br />

1938/42<br />

erw artet<br />

80-85 75-79 70-74 65-69 60-64 60-64<br />

Geburtsjahrgang/Alter<br />

Übergang <strong>in</strong> die Altersrente:<br />

aus sonstigem Status<br />

nach Tätigkeit als Hausfrau/-mann<br />

aus der Arbeitslosigkeit oder dem Vorruhestand<br />

direkt aus der Erw erbstätigkeit*<br />

Quelle: Alterssurvey 2002 (Replikationsstichprobe, n=1.211), gewichtet<br />

* e<strong>in</strong>schl. aus Freistellungsphase der Altersteilzeit<br />

Heribert Engstler<br />

E<strong>in</strong> leichter Wiederanstieg ist beim Anteil jener zu erwarten, die weder aus der Erwerbsarbeit,<br />

noch aus der Arbeitslosigkeit, dem Vorruhestand oder der Tätigkeit als Hausfrau/-mann <strong>in</strong> die<br />

Altersrente wechseln. Von den 60- bis 64-Jährigen werden voraussichtlich 12 Prozent aus e<strong>in</strong>em<br />

anderen Status <strong>in</strong> die Altersrente kommen. Über die Gründe dafür kann an dieser Stelle nur<br />

spekuliert werden, da e<strong>in</strong>e weitere Differenzierung wegen der ger<strong>in</strong>gen Fallzahl <strong>und</strong> der teilweisen<br />

Schätzung der Anteile nicht möglich ist. Es könnte se<strong>in</strong>, dass die Zahl derer zugenommen<br />

hat bzw. zunimmt, die nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zunächst e<strong>in</strong>e Invalidenrente<br />

beziehen, um anschließend nach Erreichen des Berechtigungsalters <strong>in</strong> die Altersrente zu<br />

wechseln.<br />

Die Übergangspfade von der Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> den Ruhestand weisen markante Unterschiede<br />

zwischen den Geschlechtern auf, die sich jedoch bei den jüngeren Generationen verr<strong>in</strong>gert haben<br />

(Abbildung 3.15). 27 Männer s<strong>in</strong>d häufiger als Frauen bis zum Beg<strong>in</strong>n der Altersrente erwerbstätig,<br />

der Abstand ist jedoch kle<strong>in</strong>er geworden. Sie s<strong>in</strong>d auch etwas häufiger arbeitslos<br />

bzw. im Vorruhestand, wobei sich auch dieser Unterschied <strong>in</strong> der Kohortenabfolge verr<strong>in</strong>gert<br />

hat, da dieses Muster bei den Frauen erheblich zunahm: der Anteil der Frauen, die unmittelbar<br />

vor Beg<strong>in</strong>n der Altersrente arbeitslos oder im Vorruhestand waren, stieg von 3 Prozent (Jahrgänge<br />

1923/27) auf 19 Prozent (Jahrgänge 1933/37). Abgenommen hat – bis zu den 65- bis 69-<br />

Jährigen – der Übergang aus dem Hausfrauenstatus <strong>in</strong> die Altersrente.<br />

27 Der Geschlechter- <strong>und</strong> Ost-West-Vergleich beschränkt sich auf die Jahrgänge mit weitgehend abgeschlossenen<br />

Erwerbsbiografien, d.h. die Personen ab 65 Jahren.


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

Abbildung 3.15:<br />

Situation vor Beg<strong>in</strong>n der Altersrente nach Geschlecht <strong>und</strong> Landesteil<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

%<br />

20<br />

0<br />

Frauen<br />

6,6 7,5 3,8 6,0<br />

28,6<br />

62,6<br />

22,4<br />

3,0<br />

67,2<br />

20,6 16,7<br />

7,6<br />

67,9<br />

18,7<br />

58,7<br />

1917/22 1923/27 1928/32 1933/37<br />

80-85 75-79 70-74 65-69<br />

Geburtsjahrgang/Alter<br />

Übergang ...<br />

aus sonstigem Status<br />

nach Tätigkeit als Hausfrau<br />

aus der Arbeitslosigkeit oder dem Vorruhestand<br />

direkt aus der Erw erbstätigkeit*<br />

100<br />

%<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

West<br />

5,3 7,8 6,5 8,4<br />

22,8<br />

16,2<br />

5,0<br />

13,4 10,7<br />

7,5 11,1<br />

69,3 70,9 72,6 69,8<br />

1917/22 1923/27 1928/32 1933/37<br />

80-85 75-79 70-74 65-69<br />

Geburtsjahrgang/Alter<br />

Übergang ...<br />

aus sonstigem Status<br />

nach Tätigkeit als Hausfrau/-mann<br />

aus der Arbeitslosigkeit oder dem Vorruhestand<br />

direkt aus der Erw erbstätigkeit*<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

%<br />

20<br />

0<br />

Männer<br />

6,3 8,6 10,3 12,5<br />

91,7<br />

6,5<br />

83,9<br />

14,5<br />

75,2<br />

19,4<br />

68,1<br />

1917/22 1923/27 1928/32 1933/37<br />

80-85 75-79 70-74 65-69<br />

Übergang ...<br />

Geburtsjahrgang/Alter<br />

aus sonstigem Status<br />

nach Tätigkeit als Hausmann<br />

aus der Arbeitslosigkeit oder dem Vorruhestand<br />

direkt aus der Erw erbstätigkeit*<br />

100<br />

%<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

12,0 8,7 8,5 11,6<br />

88,0 87,0<br />

Ost<br />

25,5<br />

66,0<br />

44,9<br />

42,0<br />

1917/22 1923/27 1928/32 1933/37<br />

80-85 75-79 70-74 65-69<br />

Übergang ...<br />

Geburtsjahrgang/Alter<br />

aus sonstigem Status<br />

nach Tätigkeit als Hausfrau/-mann<br />

aus der Arbeitslosigkeit oder dem Vorruhestand<br />

direkt aus der Erw erbstätigkeit*<br />

Quelle: Alterssurvey 2002 (Replikationsstichprobe), n=651 (Männer), n=560 (Frauen), n=801 (West),<br />

n=410 (Ost), gewichtet<br />

*e<strong>in</strong>schl. aus Freistellungsphase der Altersteilzeit<br />

111


112<br />

Heribert Engstler<br />

Im Ost-West-Vergleich fällt der vormals höhere Anteil des Arbeitens bis zur Rente <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

auf, der auf der höheren Erwerbsbeteiligung der Frauen <strong>und</strong> dem systembed<strong>in</strong>gten<br />

Fehlen der Arbeitslosigkeit <strong>in</strong> der früheren DDR beruhte. In nur wenigen Jahren änderten sich<br />

die ostdeutschen Übergangspfade f<strong>und</strong>amental. Von den 65- bis 69-Jährigen waren nur noch 42<br />

Prozent bis zum Altersrentenbeg<strong>in</strong>n erwerbstätig, 45 Prozent waren zuvor arbeitslos oder im<br />

Vorruhestand, verglichen mit nur 11 Prozent der westdeutschen Rentner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Rentner dieser<br />

Jahrgänge. Das im Westen Deutschlands zwar lange Zeit rückläufige, aber immer noch vorhandene<br />

Muster des Übergangs <strong>in</strong> die Altersrente aus dem Status der Hausfrau fehlt im Osten<br />

nahezu gänzlich. Daran hat auch der Wegfall vieler Arbeitsplätze <strong>und</strong> die Frühausgliederung<br />

älterer Arbeitskräfte kaum etwas geändert. Nicht erwerbstätige ostdeutsche Frauen im rentennahen<br />

Alter def<strong>in</strong>ieren sich nur selten als Hausfrau. Sie s<strong>in</strong>d überwiegend erwerbsorientiert <strong>und</strong><br />

tauchen nur selten <strong>in</strong> die „Stille Reserve“ ab. Dies zeigt sich auch retrospektiv <strong>in</strong> den Aussagen<br />

der Altersrentner<strong>in</strong>nen zu ihrer Nichterwerbssituation unmittelbar vor Rentenbeg<strong>in</strong>n. Auffällig<br />

ist die im Westen über die Kohorten weitgehend konstant gebliebene Häufigkeit des Übergangs<br />

<strong>in</strong> die Altersrente direkt aus der Erwerbstätigkeit. Diese relative Konstanz wird durch die Zunahme<br />

der Erwerbsbeteiligung älterer Frauen verursacht, die auch zu e<strong>in</strong>em – zum<strong>in</strong>dest bis zu<br />

den Jahrgängen 1933/37 beobachtbaren – Rückgang des Rentene<strong>in</strong>tritts nach vorheriger Hausfrauentätigkeit<br />

führte. Ohne die gestiegene Erwerbsbeteiligung der Frauen wäre auch <strong>in</strong> den<br />

alten B<strong>und</strong>esländern das Muster des nahtlosen Übergangs von der Erwerbsarbeit <strong>in</strong> die Rente<br />

seltener geworden, wie an der Anteilszunahme der Arbeitslosigkeit, des Vorruhestands <strong>und</strong> der<br />

sonstigen Nichterwerbstätigkeit vor dem Altersrentenbeg<strong>in</strong>n erkennbar wird.<br />

Trotz der häufigeren Rückkehr der westdeutschen Frauen <strong>in</strong> die Erwerbsarbeit nach der Familienphase<br />

<strong>und</strong> der damit verb<strong>und</strong>enen Ausweitung ihrer Erwerbsbeteiligung im rentennahen Alter<br />

blieben <strong>in</strong> der Abfolge der untersuchten Geburtsjahrgänge <strong>in</strong>sgesamt <strong>in</strong> Deutschland immer<br />

weniger Menschen bis zum Beg<strong>in</strong>n der Altersrente erwerbstätig. Hauptgr<strong>und</strong> dafür war die<br />

frühzeitige Entlassung <strong>in</strong> die Arbeitslosigkeit oder den Vorruhestand. Dadurch erlebten mehr<br />

<strong>und</strong> mehr Menschen e<strong>in</strong> Ause<strong>in</strong>anderfallen des Zeitpunkts der Erwerbsbeendigung vom Zeitpunkt<br />

des Altersrentenbeg<strong>in</strong>ns. Bei <strong>in</strong>sgesamt höherer Prävalenz hat sich die durchschnittliche<br />

Dauer dieser Nichterwerbsphase bis zum Rentene<strong>in</strong>tritt allerd<strong>in</strong>gs verkürzt. Wie Tabelle 3.9<br />

zeigt, betrug sie bei den Geburtsjahrgängen 1917/27 im Durchschnitt noch 18 Jahre, bei den<br />

Jahrgängen 1933/37 nur 11 Jahre. Dieser Rückgang geht weitgehend auf das Konto der s<strong>in</strong>kenden<br />

Zahl an Frauen, die nach e<strong>in</strong>er kurzen Phase der Erwerbstätigkeit Hausfrau geworden <strong>und</strong><br />

bis zum Rentene<strong>in</strong>tritt geblieben s<strong>in</strong>d. Zieht man die Übergänge <strong>in</strong> die Rente nach vorheriger<br />

Tätigkeit als Hausfrau/-mann ab, schrumpft die durchschnittliche Dauer der nachberuflichen<br />

Phase bis zum Altersrentenbeg<strong>in</strong>n erheblich. Im Durchschnitt haben jene 28 Prozent der 65- bis<br />

69-Jährigen, die nicht direkt aus der Erwerbstätigkeit oder als Hausfrau/-mann <strong>in</strong> die Altersrente<br />

gegangen s<strong>in</strong>d, nach Beendigung ihrer hauptberuflichen Tätigkeit 4,6 Jahre auf den Beg<strong>in</strong>n ihrer<br />

Altersrente gewartet. Dies ist zwar weniger lang als bei den <strong>in</strong> gleicher Weise Betroffenen der<br />

75- bis 85-Jährigen aber länger als bei den 70- bis 74-Jährigen. Unter Abzug der Rentenübergänge<br />

aus dem Hausfrauendase<strong>in</strong> ist die Phase zwischen der Erwerbsbeendigung <strong>und</strong> dem Altersrentenbeg<strong>in</strong>n<br />

(nicht zu verwechseln mit dem Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er eventuell vorgeschalteten Erwerbs-<br />

oder Berufsunfähigkeitsrente) seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre demnach wieder


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

etwas länger geworden. 28 Dazu beigetragen hat die steigende Zahl älterer Langzeitarbeitsloser<br />

(vgl. auch Koller, Bach & Brixy, 2003).<br />

Tabelle 3.9:<br />

Mittlere Anzahl der Jahre zwischen Erwerbsbeendigung <strong>und</strong> Beg<strong>in</strong>n der Altersrente bei Altersrentner<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Altersrentnern ohne direkten Übergang aus der Erwerbstätigkeit, 2002<br />

Geburtsjahrgang (Alter) Personen mit Zwischenphase,<br />

<strong>in</strong>sgesamt<br />

Personen mit Zwischenphase,<br />

ohne vorherige Hausfrauen<br />

bzw. Hausmänner<br />

Jahre Jahre<br />

1917/27 (75-85) 18,0 6,2<br />

1928/32 (70-74) 14,3 3,8<br />

1933/37 (65-69) 11,2 4,6<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe (n=427, 327), gewichtet<br />

Mittelwertdifferenz zwischen den Kohorten 1933/37 (11,2 J.) <strong>und</strong> 1917/27 (18,0 J.) statistisch signifikant.<br />

3.6 Zusammenfassung <strong>und</strong> Fazit<br />

In der Untersuchung standen zwei Fragen im Vordergr<strong>und</strong>: (1.) Gibt es Anhaltspunkte dafür,<br />

dass sich gegenwärtig <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>e Trendwende h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em längeren Verbleib im Erwerbsleben<br />

vollzieht? Schlägt sich der von zahlreichen Reformmaßnahmen begleitete Paradigmenwechsel<br />

bereits im Beschäftigungssystem nieder? (2.) Lockert sich die enge Verb<strong>in</strong>dung<br />

zwischen dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben <strong>und</strong> dem Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand? Tritt<br />

zwischen der Aufgabe der Berufstätigkeit <strong>und</strong> dem E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Rente häufiger e<strong>in</strong>e zu überbrückende<br />

Nichterwerbsphase?<br />

Die Frage nach Anhaltspunkten für e<strong>in</strong>e Trendwende h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em späteren Ausstieg aus dem<br />

Erwerbsleben wurde erstens anhand der <strong>Entwicklung</strong> der alters- <strong>und</strong> kohortenspezifischen Erwerbsbeteiligung<br />

<strong>und</strong> -beendigung untersucht; zweitens wurde untersucht, ob sich die Menschen<br />

<strong>in</strong> ihren Plänen <strong>und</strong> Erwartungen bereits auf e<strong>in</strong>en längeren Verbleib im Erwerbsleben<br />

e<strong>in</strong>stellen. Ausgangspunkt war die Annahme, dass die zahlreichen gesetzlichen Maßnahmen der<br />

vergangenen Jahre zur Verr<strong>in</strong>gerung der Anreize für e<strong>in</strong>en frühzeitigen Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

erste Wirkungen entfalten, die sich zunächst vor allem <strong>in</strong> den Erwerbsbeendigungsplänen,<br />

aber noch nicht <strong>in</strong> gleicher Weise <strong>in</strong> der Erwerbsbeteiligung <strong>und</strong> dem Ausstiegsalter niederschlagen.<br />

E<strong>in</strong>em längeren Verbleib im Arbeitsprozess entgegen wirkt – so die Annahme – der<br />

nach wie vor hohe Druck zur Rationalisierung <strong>und</strong> zur Senkung der Personalkosten.<br />

Die Ergebnisse bestätigen im Großen <strong>und</strong> Ganzen diese Annahmen. Zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

kam es zu e<strong>in</strong>em regelrechten E<strong>in</strong>bruch <strong>in</strong> den Erwartungen e<strong>in</strong>es frühen Ruhestandes. Der Anteil<br />

der Erwerbstätigen im Alter von 55 bis 59 Jahren, die planen, mit spätestens 60 Jahren ihre<br />

28 Die Differenz ist jedoch statistisch nicht signifikant.<br />

113


114<br />

Heribert Engstler<br />

Erwerbstätigkeit zu beenden, fiel <strong>in</strong> nur sechs Jahren von 53 auf 31 Prozent. Allerd<strong>in</strong>gs konkretisierte<br />

sich die Abkehr von der Perspektive e<strong>in</strong>es frühen Ruhestands noch nicht <strong>in</strong> klaren Erwartungen<br />

darüber, bis zu welchem Alter man persönlich weiter erwerbstätig se<strong>in</strong> wird. Die<br />

gestiegene Ungewissheit über den voraussichtlichen Zeitpunkt des Abschieds aus dem Erwerbsleben<br />

entspricht der E<strong>in</strong>gangs geäußerten Vermutung, dass die kognitive Funktion der Rentenaltersgrenzen<br />

als Orientierungspunkte der <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Ruhestandsplanung geschwächt ist. Angesichts<br />

der zahlreichen Änderungen der Altersgrenzenregelung im Zuge der vergangenen Rentenreformen<br />

verw<strong>und</strong>ert dies nicht. Es kann erwartet werden, dass nach Abschluss der laufenden<br />

Anhebungsphase der Rentenaltersgrenzen mit ihren vielen Übergangsregelungen die neue relativ<br />

e<strong>in</strong>heitliche Altersgrenze 65 als Orientierungspunkt für die <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Ruhestandsplanungen<br />

fungieren wird. Sollte die öffentliche Diskussion über e<strong>in</strong>e weitere Anhebung jedoch <strong>in</strong>tensiver<br />

werden, kann dieser Orientierungspunkt durchaus auch wieder verloren gehen.<br />

Während sich <strong>in</strong> den Erwartungen <strong>und</strong> Plänen bereits e<strong>in</strong>e deutliche Abkehr vom frühen Ausscheiden<br />

aus dem Erwerbsleben zeigt, ist e<strong>in</strong>e solche Trendwende bei Betrachtung der altersspezifischen<br />

Erwerbsbeteiligung <strong>und</strong> des tatsächlichen Ausstiegsalters erst im Ansatz zu erkennen.<br />

Im Vergleich der Jahre 1996 <strong>und</strong> 2002 stagnierte <strong>in</strong>sgesamt die Erwerbstätigenquote der<br />

58- bis 63-Jährigen, allerd<strong>in</strong>gs bei gegensätzlicher <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland<br />

<strong>und</strong> zwischen den Geschlechtern. Der vorangegangene E<strong>in</strong>bruch der Erwerbsbeteiligung Ostdeutscher<br />

im rentennahen Alter konnte überw<strong>und</strong>en werden <strong>und</strong> wurde gefolgt von e<strong>in</strong>em spürbaren<br />

Beschäftigungsanstieg dieser Altersgruppe. In den alten B<strong>und</strong>esländern g<strong>in</strong>g die Erwerbstätigenquote<br />

der 58- bis 63-Jährigen h<strong>in</strong>gegen noch etwas zurück. E<strong>in</strong>e gestiegene Erwerbsbeteiligung<br />

war im Westen allerd<strong>in</strong>gs bei den Mittfünfzigern zu beobachten, besonders stark bei<br />

den Frauen. Ob dieser Anstieg dazu führen wird, dass auch mehr Frauen über das 60. Lebensjahr<br />

h<strong>in</strong>aus erwerbstätig bleiben werden, muss abgewartet werden. Bei den westdeutschen Männern<br />

deutet sich e<strong>in</strong>e Zweiteilung an: e<strong>in</strong>erseits scheiden mehr westdeutsche Männer bereits vor<br />

dem 60. Lebensjahr aus dem Erwerbsprozess aus als Mitte der 1990er Jahre, andererseits s<strong>in</strong>d<br />

die Verbleibenden dann häufiger bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze erwerbstätig.<br />

Später als mit 65 Jahren geht aktuell fast niemand <strong>in</strong> den Ruhestand, es plant auch nahezu niemand<br />

länger zu arbeiten, <strong>und</strong> es blieb auch <strong>in</strong> der beobachteten Vergangenheit kaum jemand<br />

länger erwerbstätig, wie die Angaben der befragten Rentner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Rentner gezeigt haben.<br />

Von den 75- bis 85-Jährigen war zudem nur e<strong>in</strong> Fünftel bis zum 65. Lebensjahr hauptberuflich<br />

erwerbstätig gewesen. Dass <strong>in</strong> Zukunft mehr Menschen freiwillig erst nach dem 65. Lebensjahr<br />

<strong>in</strong> Rente gehen werden, ersche<strong>in</strong>t angesichts der fehlenden Praxis auch <strong>in</strong> der jüngeren Vergangenheit<br />

<strong>und</strong> den geäußerten Erwerbsbeendigungsplänen der Menschen unwahrsche<strong>in</strong>lich.<br />

Die Bef<strong>und</strong>e zu den kohortenspezifischen Verläufen der Erwerbsbeteiligung im Alter ab 55<br />

Jahren konnten den lange anhaltenden Trend zur Vorverlagerung des Ruhestands, aber auch<br />

se<strong>in</strong>e Verlangsamung verdeutlichen. Offensichtlich wurde dar<strong>in</strong> auch die massenhafte Frühausgliederung<br />

älterer Arbeitnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Arbeitnehmer <strong>in</strong> Ostdeutschland nach der Wiedervere<strong>in</strong>igung.<br />

Erfolgte diese Ausgliederung anfangs noch über den frühzeitigen direkten Wechsel<br />

von der Erwerbsarbeit <strong>in</strong> die Altersrente, wurden im weiteren Verlauf immer mehr ältere Arbeitskräfte<br />

bereits vor dem Rentenberechtigungsalter <strong>in</strong> die Arbeitslosigkeit oder den Vorruhestand<br />

entlassen. In nur wenigen Jahren änderten sich die ostdeutschen Übergangspfade <strong>in</strong> den<br />

Ruhestand f<strong>und</strong>amental: Waren von den 1923/27 Geborenen noch 87 Prozent direkt aus der


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> die Altersrente gewechselt, haben von den 1933/37 Geborenen nur noch 42<br />

Prozent bis zum Altersrentenbeg<strong>in</strong>n gearbeitet; 45 Prozent wurden vorher arbeitslos oder g<strong>in</strong>gen<br />

<strong>in</strong> den Vorruhestand (im Westen: 11%). In den alten B<strong>und</strong>esländern blieb der Anteil der direkten<br />

Übergänge <strong>in</strong> die Altersrente <strong>in</strong> der Abfolge der betrachteten Geburtsjahrgänge weitgehend<br />

stabil. Diese Stabilität verdankt der Westen jedoch der Tatsache, dass mehr Frauen vor dem<br />

Rentenbeg<strong>in</strong>n erwerbstätig s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> dadurch die Übergänge <strong>in</strong> die Altersrente aus der Hausfrauentätigkeit<br />

seltener wurden. Ohne die gestiegene Erwerbsbeteiligung der Frauen im rentennahen<br />

Alter wäre auch <strong>in</strong> den alten B<strong>und</strong>esländern das Muster des nahtlosen Übergangs von der Erwerbsarbeit<br />

<strong>in</strong> die Rente seltener geworden. Insgesamt bestätigen die Bef<strong>und</strong>e die These e<strong>in</strong>er<br />

häufigeren zeitlichen Entkoppelung der Erwerbsbeendigung vom Altersrentenbeg<strong>in</strong>n. Mehr <strong>und</strong><br />

mehr Menschen schieden aus, bevor sie die Altersrente erhielten. Hauptgr<strong>und</strong> dafür war die<br />

Entlassung <strong>in</strong> die Arbeitslosigkeit oder den Vorruhestand. Die Dauer dieser zu überbrückenden<br />

Phase bis zum Altersrentenbeg<strong>in</strong>n betrug zuletzt – ohne die Rentenzugänge aus vorheriger Tätigkeit<br />

als Hausfrau oder Hausmann – durchschnittlich 4,6 Jahre mit steigender Tendenz.<br />

Ob <strong>in</strong> Zukunft noch mehr Menschen e<strong>in</strong> Ause<strong>in</strong>anderfallen des Zeitpunkts ihres Ausscheidens<br />

aus dem Erwerbsleben vom Zeitpunkt des Altersrentenbeg<strong>in</strong>ns erleben <strong>und</strong> bewältigen müssen,<br />

wird wesentlich davon abhängen, wie die Betriebe <strong>und</strong> die Beschäftigten auf die Anhebung der<br />

Rentenaltersgrenzen, die Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I <strong>und</strong> die allmähliche<br />

Verr<strong>in</strong>gerung des Rentenniveaus reagieren. H<strong>in</strong>ge die Erwerbsbeteiligung nur von der Arbeitsbereitschaft<br />

der Arbeitnehmer ab, würde die Entkoppelung zwischen Erwerbsende <strong>und</strong><br />

Rentene<strong>in</strong>tritt durch die getroffenen Gesetzesmaßnahmen vermutlich nicht weiter forciert werden.<br />

Da e<strong>in</strong> längerer Verbleib im Beschäftigungssystem jedoch e<strong>in</strong>e entsprechende Nachfrage<br />

nach älteren Arbeitskräften voraussetzt, s<strong>in</strong>d Zweifel angebracht. Im schlimmsten Fall, d.h. bei<br />

weiter praktizierter Frühausgliederung der Betriebe verlängert sich nur die Dauer der Arbeitslosigkeit<br />

bis zum Rentene<strong>in</strong>tritt bei zugleich verschlechterter f<strong>in</strong>anzieller Absicherung. Maßnahmen,<br />

die <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie darauf abzielen, den Druck zum Anbieten der eigenen Arbeitskraft zu<br />

erhöhen, werden vermutlich nicht ausreichen, um das von der Europäischen Union vorgegebene<br />

Ziel e<strong>in</strong>er Erwerbstätigenquote von 50 Prozent der älteren Arbeitskräfte bis 2010 zu erreichen.<br />

Sie bedürfen der Ergänzung durch Maßnahmen, die die Arbeitsfähigkeit fördern <strong>und</strong> die Nachfrage<br />

nach älteren Arbeitskräften stimulieren. Ob diese Nachfrage ausgerechnet durch die Beseitigung<br />

des Kündigungsschutzes gesteigert werden könnte, wie derzeit von manchen gefordert,<br />

ist jedoch ungewiss. Zunächst ist davon auszugehen, dass dies die Möglichkeiten der Ausgliederung<br />

älterer Arbeitskräfte erleichtert. Ob dies wettgemacht würde durch den von Arbeitgeberseite<br />

propagierten Abbau der Hemmnisse zur Wiedere<strong>in</strong>stellung älterer Arbeitsloser, ist unsicher.<br />

Wichtigste Voraussetzung für e<strong>in</strong> Gel<strong>in</strong>gen des Umsteuerns zu e<strong>in</strong>em längeren Verbleib im<br />

Erwerbsleben <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Akzeptanz bei Beschäftigten <strong>und</strong> Betrieben wird die Überw<strong>in</strong>dung der<br />

Wachstumsschwäche, e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Entspannung des Arbeitsmarkts, der Abbau von Vorbehalten<br />

gegenüber älteren Arbeitskräften sowie die Verbesserung der Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong><br />

die Förderung ihrer Arbeitsfähigkeit <strong>und</strong> -motivation se<strong>in</strong>.<br />

115


3.7 Literatur<br />

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<strong>Wandel</strong>. Innovationsfähigkeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er alternden Gesellschaft. Bonn: B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium<br />

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Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

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Statistisches B<strong>und</strong>esamt.<br />

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Ra<strong>in</strong>er Hampp Verlag.<br />

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Erhebungsdesign <strong>und</strong> Instrumente (DZA Diskussionspapiere Nr.35). Berl<strong>in</strong>: Deutsches<br />

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alternder Belegschaften. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung.<br />

119


120<br />

Heribert Engstler<br />

Tabelle A3.1:<br />

Anhebung der Altersgrenzen für die vorgezogenen Altersrenten <strong>in</strong> der Gesetzlichen Rentenversicherung<br />

Rentenart Schrittweise<br />

Anhebung der<br />

Altersgrenze<br />

von... auf ...<br />

Jahre<br />

Altersrente wegen<br />

Arbeitslosigkeit<br />

oder Altersteilzeit 1<br />

Altersrente für<br />

Frauen1<br />

Altersrente für<br />

Schwerbeh<strong>in</strong>derte<br />

Altersrente für<br />

langjährig<br />

Versicherte<br />

Anhebungsphase<br />

Von<br />

schrittweiser<br />

Anhebung<br />

betroffene<br />

Jahrgänge<br />

Erster von<br />

voller<br />

Anhebung<br />

betroffener<br />

Jahrgang<br />

Jahrgänge, die<br />

die Rente mit<br />

Abschlägen vorzeitig<br />

<strong>in</strong> Anspruch nehmen<br />

können<br />

60 auf 65 1997 – 2001 1937 – 1941 1942 1937-1945 (ab 60)<br />

1946-1948 (6063)<br />

1949-1951 (ab 63)<br />

60 auf 65 2000 – 2005 1940 – 1944 1945 1940-1951 (ab 60)<br />

60 auf 63 2001 – 2003 1941 - 1943 1944 1941 <strong>und</strong> später<br />

(ab 60)<br />

63 auf 65 2000 – 2001 1937 – 1938 1939 1937 <strong>und</strong> später<br />

(ab 62)<br />

Quelle: Eigene Zusammenstellung<br />

Die 1952 <strong>und</strong> später Geborenen können die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder Altersteilzeit <strong>und</strong> die Altersrente für<br />

Frauen nicht mehr <strong>in</strong> Anspruch nehmen.


Kapitel 3: Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>und</strong> der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

Tabelle A3.2:<br />

Prädiktoren der Nicht-Erwerbstätigkeit 2002 der im Jahr 1996 erwerbstätigen<br />

Panelteilnehmer (Logistische Regression) 1<br />

Signifikanzniveau: ° = p


122


4. Materielle Lagen alter Menschen - Verteilungen<br />

<strong>und</strong> Dynamiken <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

4.1 E<strong>in</strong>leitung<br />

Die alternde Gesellschaft wird heute noch kaum abschätzbare Herausforderungen stellen, aber<br />

auch vielfältige neue Chancen bieten. Obwohl sie die Bed<strong>in</strong>gungen des menschlichen Zusammenlebens<br />

f<strong>und</strong>amental verändern wird, haben jedoch lange Zeit weder Politik noch Wirtschaft<br />

darauf <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise reagiert, die die erheblichen Potenziale <strong>und</strong> Probleme des Alters angemessen<br />

<strong>in</strong> den Blick genommen hätte. Erst seit wenigen Jahren deutet sich hier e<strong>in</strong> <strong>Wandel</strong> an: Altersfragen<br />

<strong>und</strong> entsprechende Reformen gelten als gesellschaftliche Zukunftsprojekte. Dies betrifft<br />

z.B. die relative Bedeutung der älteren Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt <strong>und</strong> das politische<br />

Gewicht der Älteren sowie <strong>in</strong>sbesondere ihre Rolle als Nachfrager <strong>und</strong> Anbieter von Gütern <strong>und</strong><br />

Dienstleistungen. In der Diskussion um die Reform sozialer Sicherungssysteme rückt darüber<br />

h<strong>in</strong>aus die Frage nach der gesellschaftlichen Verteilung von Ressourcen zwischen Personen<br />

verschiedenen Alters <strong>und</strong> zwischen früher oder später Geborenen <strong>in</strong> den Mittelpunkt der Betrachtung.<br />

Immer häufiger werden Aspekte der Gerechtigkeit von Ressourcenallokation <strong>und</strong><br />

ihrer Effizienz diskutiert <strong>und</strong> mit Fragen des Altersstrukturwandels verb<strong>und</strong>en. In der allgeme<strong>in</strong>en<br />

Öffentlichkeit spielt dabei der Begriff der Generationengerechtigkeit e<strong>in</strong>e zentrale Rolle.<br />

Dieser von konzeptioneller Widersprüchlichkeit <strong>und</strong> empirischer Fragwürdigkeit gekennzeichnete<br />

Gedanke dom<strong>in</strong>iert derzeit weite Teile der populären politischen Debatten um Abbau, Umbau<br />

oder Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme. Diese Debatte geht weder spurlos<br />

am deutschen System der Alterssicherung vorbei noch lässt sie die wissenschaftlichen Diskussionen<br />

unbee<strong>in</strong>druckt. Sie hat damit auch Konsequenzen für die materiellen Lagen der heutigen<br />

<strong>und</strong> künftigen Älteren <strong>und</strong> deren wissenschaftliche Erforschung.<br />

Die Reformen sozialer Alterssicherung werden jedoch nicht nur politisch <strong>und</strong> wissenschaftlich<br />

diskutiert, sondern f<strong>in</strong>den bereits ihre gesetzgeberische Umsetzung. Zwischen den Erhebungen<br />

des Alterssurveys <strong>in</strong> den Jahren 1996 <strong>und</strong> 2002 lag e<strong>in</strong> im Zuge des Regierungswechsels Ende<br />

1998 widerrufener Reformversuch (das Rentenreformgesetz (RRG) 1999) <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e durchgesetzte<br />

Reform (RRG 2001). In beiden Fällen wurde – mit im Detail unterschiedlichen Maßnahmen,<br />

Gewichtungen, Argumentationen <strong>und</strong> Term<strong>in</strong>ologien – der Weg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e (Teil-)Privatisierung<br />

sozialer Sicherung <strong>und</strong> <strong>in</strong> die deutliche Absenkung der Sicherungsniveaus der Gesetzlichen<br />

Rentenversicherung (GRV) beschritten. Von beiden Maßnahmen ist anzunehmen, dass sie e<strong>in</strong>erseits<br />

die Partizipation älterer Menschen am gesellschaftlichen Wohlstand betreffen (also die<br />

Relationen zwischen Altersgruppen) <strong>und</strong> andererseits auch auf die Ungleichverteilung von Ressourcen<br />

im Alter auswirken (also auf die Ungleichheiten <strong>in</strong>nerhalb von Altersgruppen).<br />

Reformpolitiken der sozialen Sicherung wie auch Gesellschaftspolitik im Allgeme<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>d auf<br />

vorausschauende Szenarien künftiger <strong>Entwicklung</strong>en sowie auf zielgenaue Projektionen der<br />

123


124<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

künftigen Auswirkungen von aktuellen Entscheidungen angewiesen. Allerd<strong>in</strong>gs kann dabei die<br />

<strong>Entwicklung</strong> der Wirtschaft oder der Arbeitsmärkte nicht langfristig <strong>und</strong> mit h<strong>in</strong>reichender Genauigkeit<br />

prognostiziert werden. Dies ist e<strong>in</strong> Unsicherheitsfaktor, der sowohl die zukünftigen<br />

E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> Vermögen wie auch die Rentenanwartschaften, Z<strong>in</strong>serwartungen usw. betrifft<br />

<strong>und</strong> damit e<strong>in</strong>schneidende Folgen für die Möglichkeit der Abschätzung von Niveau <strong>und</strong> Verteilung<br />

der <strong>in</strong>teressierenden Größen hat. Sozialberichterstattung hat daher die Aufgabe, den stattf<strong>in</strong>denden<br />

<strong>Wandel</strong> zu begleiten. In e<strong>in</strong>er gesellschaftlichen Dauerbeobachtung zu Altersfragen,<br />

s<strong>in</strong>d Wandlungstendenzen kritisch zu betrachten <strong>und</strong> zu verfolgen. Für sozialpolitische Schlussfolgerung<br />

s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs nicht lediglich Querschnittsanalysen nutzbr<strong>in</strong>gend. Vielmehr s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

der gesellschaftlichen Dauerbeobachtung längsschnittliche Betrachtungen des sozialen <strong>Wandel</strong>s<br />

vonnöten, um e<strong>in</strong>e Art gesellschaftliches Frühwarnsystem für das Alter zu etablieren. Zugleich<br />

ist zielgenaue <strong>und</strong> damit effiziente sozialpolitische Intervention darauf angewiesen, Bestimmungsgründe<br />

für begünstigte oder benachteiligte Lebenssituationen zu analysieren <strong>und</strong> Fehlentwicklungen<br />

frühzeitig abzuschätzen. Gesellschaftspolitisch relevante Veränderungen der<br />

materiellen Lagen Älterer s<strong>in</strong>d vor allem h<strong>in</strong>sichtlich dreier <strong>Entwicklung</strong>en zu untersuchen:<br />

• Erstens können Ressourcen <strong>und</strong> Kaufkraft aber auch die Bedeutung von Problemlagen der<br />

Gruppe Älterer alle<strong>in</strong> durch Veränderungen ihrer absoluten Zahl variieren. Hierzu liegen –<br />

neben zahlreichen anderen Prognosen – die vergleichsweise belastbaren Bevölkerungsvorausberechnungen<br />

der amtlichen Statistik vor, die vor allem Variationen <strong>in</strong> der <strong>Entwicklung</strong><br />

von Lebenserwartung <strong>und</strong> Migration modellieren. Diese demografische Perspektive soll im<br />

Folgenden kurz geschildert werden.<br />

• Zweitens s<strong>in</strong>d Veränderungen der durchschnittlichen E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> Vermögen älterer<br />

Menschen plausibel anzunehmen, die sich sowohl absolut als auch relativ zu jenen jüngerer<br />

Gesellschaftsmitglieder zeigen könnten. Zentral hierfür dürfte sowohl die <strong>Entwicklung</strong> der<br />

Alterssicherung e<strong>in</strong>schließlich der H<strong>in</strong>wendung zu kapitalgedeckten Vorsorgekomponenten,<br />

wie auch die <strong>Entwicklung</strong> der sonstigen Vermögen se<strong>in</strong>. Hierbei steht <strong>in</strong>sbesondere auch die<br />

Frage nach den Vermögensübertragungen durch Erbschaft oder Inter-Vivos-Transfers derzeit<br />

im Zentrum des Interesses. Die <strong>Entwicklung</strong>en relativer <strong>und</strong> absoluter E<strong>in</strong>kommenslagen<br />

sowie die <strong>in</strong>tergenerationalen Übertragungen werden nachfolgend untersucht.<br />

• Drittens s<strong>in</strong>d Verschiebungen von Verteilungen <strong>in</strong>nerhalb der Gruppe älterer Menschen zu<br />

erwarten. Solche sukzessiven Veränderungen von Verteilungsparametern s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs –<br />

wie gesellschaftsvergleichende Betrachtungen plausibel annehmen lassen – aufgr<strong>und</strong> der<br />

vielen <strong>in</strong> die Betrachtung e<strong>in</strong>fließenden Parameter nur schwer prognostisch zu quantifizieren<br />

<strong>und</strong> nicht exakt abzubilden. Sie s<strong>in</strong>d sowohl <strong>in</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Längsschnitten als auch im<br />

Kohortenvergleich der Beobachtung <strong>und</strong> Analyse zugänglich zu machen. Beide dynamischen<br />

Perspektiven auf Verteilungen stehen nachfolgend im Blickfeld der Analysen.<br />

Die zentrale Bedeutung der Analysen materieller Lagen im höheren Lebensalter liegt dar<strong>in</strong> begründet,<br />

dass es zu den Aufgaben wohlfahrtsstaatlicher Politik <strong>in</strong> der B<strong>und</strong>esrepublik gehört,<br />

die Ressourcen zu e<strong>in</strong>er aktiven Gestaltung der Lebensphase des Ruhestands auch nach Ausscheiden<br />

aus dem Erwerbsleben aufgr<strong>und</strong> von Alter <strong>und</strong> nachlassender Erwerbsfähigkeit sowie<br />

zur Bewältigung der negativen Auswirkungen des Alterns bereitzustellen <strong>und</strong> zu sichern (Zacher,<br />

1992; Motel & Wagner, 1993; Motel & Künem<strong>und</strong>, 1996). Insofern s<strong>in</strong>d wissenschaftliche


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Analysen immer auch mit Blick auf die mit den sozialstaatlichen Zielsetzungen verb<strong>und</strong>enen<br />

sozialpolitischen Interventionen vorzunehmen. Die h<strong>in</strong>reichende Absicherung erweist sich als<br />

wichtig für die Integrationsleistung der Gesellschaft (vgl. Bäcker, Bisp<strong>in</strong>ck, Hofemann, & Naegele,<br />

2000; Kohli, 1989). Sie stellt zugleich e<strong>in</strong>e wesentliche Gr<strong>und</strong>lage der familiären Unterstützungsleistungen<br />

Älterer dar (Attias-Donfut, 1995; Motel & Spieß, 1995; Motel, 1997; Motel<br />

& Szydlik, 1999; Kohli, 1999b; Künem<strong>und</strong> & Re<strong>in</strong>, 1999; Künem<strong>und</strong> & Motel, 2000), die zur<br />

Stabilisierung von Altersrollen moderner Gesellschaften <strong>und</strong> zur familialen Unterstützung Jüngerer<br />

beitragen können.<br />

Die laufenden Diskussionen um die materiellen Lagen im Alter lassen sich an zwei Hauptstreitpunkten<br />

festmachen. E<strong>in</strong>erseits kreisen sie um die eher ökonomischen Fragen, <strong>in</strong>wieweit die<br />

Alterssicherung nach wie vor auf dem bisherigen Niveau wohlfahrtsstaatlich gewährleistet werden<br />

sollte oder ob e<strong>in</strong> vollständiger oder teilweiser Rückzug des Staates aus dieser Verantwortung<br />

s<strong>in</strong>nvoll <strong>und</strong> möglich ist. Dabei wird auf die Bedrohung des Generationenvertrages durch<br />

den demografischen <strong>Wandel</strong> <strong>und</strong> die <strong>Entwicklung</strong> auf dem Arbeitsmarkt verwiesen. Zudem<br />

wird die Zunahme privater Vermögen betont <strong>und</strong> hier mögliche Potenziale privater Sicherung<br />

vermutet. Andererseits ist e<strong>in</strong>e vor allem gesellschaftspolitische Debatte über Verteilungsziele<br />

<strong>und</strong> -normen <strong>in</strong> Gang gekommen. Sie stellt – durchaus verwoben mit dem ersten Diskussionsstrang<br />

– unter Rückgriff auf die subtile Argumentationsfigur der Generationengerechtigkeit<br />

(vgl. Bäcker, 2003; Bäcker & Koch, 2003; Leiser<strong>in</strong>g & Motel, 1997; Leiser<strong>in</strong>g, 2002; Miegel,<br />

Wahl, & Hefele, 2002; Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel & Backes, 2004; Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel & Tesch-Roemer,<br />

2004; Schmähl, 2004; Schmähl, Himmelreicher, & Viebrok, 2003) die bisher gleichwertige<br />

Teilhabe Älterer an den gesellschaftlichen Ressourcen <strong>in</strong>frage: Sollen Ältere <strong>in</strong> der nachberuflichen<br />

Lebensphase <strong>in</strong> gleicher Weise sozialstaatlich garantiert am gesellschaftlichen Reichtum<br />

teilhaben oder muss es vielmehr das vorrangige Ziel se<strong>in</strong>, gleichwertige Lebensbilanzen zu sichern?<br />

Soll darauf abgezielt werden, Vor- <strong>und</strong> Nachgeborenen ähnliche Renditen zu sichern,<br />

auch wenn dies zu E<strong>in</strong>schnitten <strong>in</strong> bestimmten Lebensphasen führen kann? Wie s<strong>in</strong>d beide Zielsetzungen<br />

mite<strong>in</strong>ander vere<strong>in</strong>bar? Inwieweit überhaupt Spielräume für solche Systemmodifikationen<br />

bestehen, wenn zum<strong>in</strong>dest das Ziel der weitreichenden Sicherung gegen Armut aufrechterhalten<br />

werden soll, ist empirisch allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e weith<strong>in</strong> offene Frage. Es s<strong>in</strong>d daher die aktuelle<br />

wirtschaftliche Lage der Älteren <strong>und</strong> deren <strong>Entwicklung</strong>stendenzen zu untersuchen. Der<br />

Alterssurvey bietet hierzu die derzeit beste verfügbare empirische Basis. Aus gerontologischer<br />

Sicht ist e<strong>in</strong> zweiter Punkt von Bedeutung: Die verfügbaren wirtschaftlichen Mittel determ<strong>in</strong>ieren<br />

nicht lediglich die Chancen e<strong>in</strong>er aktiven Lebensführung im Alter; vielmehr wirken sie auch<br />

auf die Entstehung von Lebensentwürfen älterer Menschen e<strong>in</strong>, da <strong>in</strong> diesem Prozess bereits e<strong>in</strong><br />

subjektiver Abgleich mit den Chancen ihrer E<strong>in</strong>lösung stattf<strong>in</strong>det.<br />

Die wirtschaftlichen Lagen im Alter bestimmen wesentlich die Lebenssituation <strong>und</strong> die Möglichkeiten<br />

e<strong>in</strong>er aktiven Lebensführung. Sie stellen <strong>in</strong> der Perspektive des Lebenslaufs e<strong>in</strong> Ergebnis<br />

von vergangenem Handeln auf Arbeits- oder Heiratsmärkten, von E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> wohlfahrtsstaatliche<br />

Sicherungsnetze <strong>und</strong> <strong>in</strong> familiale Transfersysteme dar (Kohli, 1985; Mayer &<br />

Blossfeld, 1990; Allmend<strong>in</strong>ger, 1994; Mayer, 1995). Ihre Dynamik ist wesentlich durch aktuelle<br />

Lebenssituationen <strong>und</strong> die Erwerbs- bzw. Ruhestandslage aber auch durch familiale Transfers<br />

<strong>und</strong> den Zufluss von Erbschaften bestimmt. Außerdem prägen der objektive Lebensstandard<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong>e <strong>Entwicklung</strong> über die Zeit die aktuelle Bewertung des Lebensstandards <strong>und</strong> den<br />

125


126<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

subjektiven Blick auf dessen künftige <strong>Entwicklung</strong> bzw. se<strong>in</strong>e <strong>Entwicklung</strong>smöglichkeiten. Sie<br />

bee<strong>in</strong>flussen damit wesentlich die aktuellen <strong>und</strong> künftigen Lebensentwürfe für das Alter.<br />

Aus e<strong>in</strong>er eher ökonomischen Sicht ergibt sich e<strong>in</strong>e weitere, dritte Perspektive auf die materiellen<br />

Lagen im Alter. Die zunehmende Zahl älterer Menschen mit ihren Bedarfen <strong>und</strong> Ressourcen<br />

erweist sich als e<strong>in</strong> erhebliches Marktpotenzial für die Anbieter von Konsumgütern <strong>und</strong> Dienstleistungen.<br />

Auch aus dieser Sicht ist es von erheblichem Interesse, zu verfolgen, wie sich die<br />

materiellen Lagen im Alter entwickeln, <strong>und</strong> welche Gruppen aktuell <strong>und</strong> künftig über so umfangreiche<br />

Ressourcen verfügen können, dass sie im Zentrum lohnender Angebotsstrategien<br />

stehen. Dies beschränkt sich aktuell <strong>und</strong> vor allem auch künftig nicht alle<strong>in</strong> auf die Palette der<br />

Dienstleistungen für Ältere im Bereich von Hilfe-, Unterstützungs- <strong>und</strong> Pflegedienstleistungen,<br />

sondern nimmt auch im immer stärkeren Maße den höherwertigen Konsum <strong>in</strong> den Blick – neben<br />

den <strong>Wandel</strong> der objektiven Ressourcen <strong>und</strong> ihrer subjektiven Bewertung ist hier auch der<br />

<strong>Wandel</strong> von Lebensentwürfen <strong>und</strong> -planungen aktueller <strong>und</strong> künftiger Altengenerationen von<br />

Bedeutung. Die objektive materielle Lage älterer Menschen, ihre absehbaren <strong>Entwicklung</strong>stendenzen,<br />

ihre subjektive Bewertung durch die Betroffenen <strong>und</strong> die Zusammenhänge dieser Dimensionen<br />

s<strong>in</strong>d Gegenstand der folgenden Analysen. Dabei wird wie folgt vorgegangen:<br />

• Erstens werden nach e<strong>in</strong>em kurzen Überblick über die Forschungslage die objektiven ökonomischen<br />

Lagen <strong>und</strong> die subjektiven Bewertungen des Lebensstandards im Querschnitt<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> ihrer Dynamik über die Zeit empirisch untersucht. Dabei muss unterschieden werden<br />

zwischen den <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Dynamiken über den Lebenslauf auf der e<strong>in</strong>en Seite, die <strong>in</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n<br />

Längsschnitten zu untersuchen s<strong>in</strong>d, <strong>und</strong> dem sozialen <strong>und</strong> wirtschaftlichen <strong>Wandel</strong><br />

auf der anderen Seite, der <strong>in</strong> der Perspektive e<strong>in</strong>er Kohortensequenzanalyse analysiert<br />

werden muss. Beiden dynamischen Perspektiven soll im vorliegenden Beitrag nachgegangen<br />

werden. Der Schwerpunkt wird dabei auf die Perspektive des sozialen <strong>Wandel</strong>s gelegt.<br />

• Zweitens geht der Beitrag der Frage nach, wie sich verb<strong>und</strong>en mit den E<strong>in</strong>kommens- <strong>und</strong><br />

Vermögenslagen das Sparen, die Vermögensauflösungen sowie die privaten Flüsse von<br />

Geld- <strong>und</strong> Sachwerten wie Erbschaften <strong>und</strong> Transfers zu Lebzeiten der Geber gestalten. Es<br />

wird vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der umfangreichen Querschnittsanalysen auf der Basis der ersten<br />

Welle des Alterssurveys <strong>in</strong>sbesondere gefragt, ob sich historische Stabilität <strong>in</strong> den 1996<br />

vorgef<strong>und</strong>enen Mustern der wirtschaftlichen Ausgestaltung familialer Beziehungen f<strong>in</strong>den<br />

lässt oder ob diese Gegenstand von <strong>Wandel</strong>ungsprozessen s<strong>in</strong>d.<br />

• Drittens werden die Bewertungen der vergangenen <strong>und</strong> die Erwartungen künftiger <strong>Entwicklung</strong>en<br />

des Lebensstandards betrachtet. Auch hier steht e<strong>in</strong>er für die Bewertung aktueller<br />

Problemlagen bedeutenden Querschnittsbetrachtung e<strong>in</strong>e dynamische Perspektive auf <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong><br />

Verläufe subjektiver Bewertung sowie auf Kohortendynamiken, also Veränderungen<br />

der Lage verschiedener Altersgruppen über die historische Zeit gegenüber.<br />

Insbesondere werden im vorliegenden Beitrag die Höhe des verfügbaren E<strong>in</strong>kommens, se<strong>in</strong>e<br />

Zusammensetzung, se<strong>in</strong>e Verteilung – <strong>in</strong>sbesondere Armut <strong>und</strong> Reichtum – <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Dynamik<br />

auf <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r <strong>und</strong> Kohortenebene betrachtet sowie Sparen <strong>und</strong> Entsparen, Vermögensbesitz<br />

<strong>und</strong> Verschuldung, Zu- <strong>und</strong> Abflüsse durch private Transfers <strong>und</strong> subjektive Bewertungen des


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Lebensstandards im historischen <strong>Wandel</strong> <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>in</strong>dividuell dynamischer Perspektive untersucht.<br />

1 Ziel des Beitrags ist es dabei vor allem, gr<strong>und</strong>legende Kennziffern <strong>in</strong> der Breite des<br />

Themenfeldes bereitzustellen. E<strong>in</strong>e vertiefte Detailanalyse e<strong>in</strong>zelner Aspekte muss an anderer<br />

Stelle h<strong>in</strong>zugefügt werden.<br />

4.2 Gesellschaftlicher <strong>Wandel</strong> <strong>und</strong> Alterssicherung<br />

4.2.1 Demografische <strong>Entwicklung</strong> <strong>und</strong> sozialer <strong>Wandel</strong><br />

Die aktuellen <strong>und</strong> künftigen <strong>Entwicklung</strong>en der Anzahl älterer Menschen <strong>und</strong> ihres Anteils an<br />

der Gesamtbevölkerung s<strong>in</strong>d zentrale E<strong>in</strong>flussgrößen bei der Abschätzung der künftigen Bedeutung<br />

Älterer als Konsumenten bzw. als Problemgruppe. Das Verhalten der Anbieter von Gütern<br />

<strong>und</strong> Dienstleistungen wie auch die Strategien sozialpolitischer Intervention stehen entscheidend<br />

auch unter dem E<strong>in</strong>fluss der absoluten Größenordnung der Population Älterer. Um diese <strong>Entwicklung</strong>en<br />

abzuschätzen, wurden im Rahmen der 10. koord<strong>in</strong>ierten Bevölkerungsvorausberechnung<br />

des Statistischen B<strong>und</strong>esamtes (Statistisches B<strong>und</strong>esamt, 2003) verschiedene Varianten<br />

der Bevölkerungsprognose über e<strong>in</strong>en Zeitraum von 50 Jahren gerechnet. 2<br />

Das Statistische B<strong>und</strong>esamt geht bei se<strong>in</strong>en Varianten im Mittel von e<strong>in</strong>er Schrumpfung des<br />

Umfangs der Gesamtbevölkerung aus. Die Bevölkerungsvorausberechnung quantifiziert jedoch<br />

nicht lediglich die Veränderung der Bevölkerungsgröße, sondern <strong>in</strong>sbesondere auch die Bewegungen<br />

<strong>in</strong> der Altersstruktur der Bevölkerung Deutschlands. So erhöht sich der „Altenquotient“–<br />

das Verhältnis der Bevölkerung im Rentenalter zu jener im Erwerbsalter – gemäß Variante<br />

5 bis 2050 von 44 Prozent auf 78 Prozent, sofern das Rentenzugangsalter konstant bei 60<br />

Jahren liegt. Die gesetzliche Altersgrenze ist allerd<strong>in</strong>gs Gegenstand politischer Aushandlung<br />

<strong>und</strong> die faktischen Ruhestandsalter werden <strong>in</strong> erheblichem Maße durch das Geschehen auf den<br />

Arbeitsmärkten bestimmt. Dies ist für e<strong>in</strong>e Abschätzung des Konsumverhaltens älter Menschen<br />

von erheblicher Bedeutung, da der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand nicht lediglich die verfügbaren<br />

f<strong>in</strong>anziellen Ressourcen, sondern auch die spezifischen Bedarfe <strong>und</strong> das verfügbare Zeitbudget<br />

bee<strong>in</strong>flusst.<br />

1 Wirtschaftliches Handeln sowie Wohnen <strong>und</strong> Wohnkosten werden <strong>in</strong> diesem Kapitel nicht gesondert analysiert.<br />

2 Sie zeichnen sich durch unterschiedliche Annahmen zur Höhe der künftigen Lebenserwartung e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> des<br />

künftigen Außenwanderungsgew<strong>in</strong>ns andererseits aus. Ansonsten wird von e<strong>in</strong>er weitgehend konstant <strong>und</strong> zugleich<br />

niedrigen Geburtenhäufigkeit von 1,4 K<strong>in</strong>dern pro Frau ausgegangen. Die „mittlere“ Variante 5 geht z.B. von e<strong>in</strong>er<br />

Zunahme der Lebenserwartung Neugeborener über den Prognosezeitraum bis 2050 um etwa sechs Jahre aus <strong>und</strong><br />

unterstellt e<strong>in</strong>en jährlichen Außenwanderungsgew<strong>in</strong>n von etwa 200 000 Personen.<br />

127


128<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Abbildung 4.1:<br />

<strong>Entwicklung</strong> der Zahl der 60- bzw. 65-Jährigen <strong>und</strong> Älteren bis 2030 – Schätzwerte der 10.<br />

koord<strong>in</strong>ierten Bevölkerungsvorausberechnung 2003 des Statistischen B<strong>und</strong>esamtes<br />

Bevölkerung <strong>in</strong> 1.000<br />

30.000<br />

28.000<br />

26.000<br />

24.000<br />

22.000<br />

20.000<br />

Variante 1<br />

Variante 2<br />

Variante 3<br />

Variante 4<br />

Variante 5<br />

Variante 6<br />

Variante 7<br />

Variante 8<br />

Variante 9<br />

60-Jährige <strong>und</strong> Ältere 65-Jährige <strong>und</strong> Ältere<br />

2001 2010 2020 2030<br />

Jahr<br />

Bevölkerung<strong>in</strong>1.000<br />

24.000<br />

22.000<br />

20.000<br />

18.000<br />

16.000<br />

14.000<br />

Variante 1<br />

Variante 2<br />

Variante 3<br />

Variante 4<br />

Variante 5<br />

Variante 6<br />

Variante 7<br />

Variante 8<br />

Variante 9<br />

2001 2010 2020 2030<br />

Jahr<br />

Quelle: Statistisches B<strong>und</strong>esamt, 2003. Bevölkerung Deutschlands bis 2050. 10. koord<strong>in</strong>ierte Bevölkerungsvorausberechnung.<br />

Wiesbaden: Statistisches B<strong>und</strong>esamt. Varianten 1-9.<br />

Wenn über Verteilungen <strong>in</strong>nerhalb der Gruppe Älterer gesprochen wird, s<strong>in</strong>d diese quantitativen<br />

Verschiebungen stets zu berücksichtigen: Selbst e<strong>in</strong> über die Zeit konstanter Anteil z.B. besonders<br />

Vermögender an der Gesamtgruppe der Älteren wird zu e<strong>in</strong>er gesellschaftlichen Bedeutungszunahme<br />

des Besitzes von Vermögen im Alter führen – ganz ähnlich sieht sie im H<strong>in</strong>blick<br />

auf benachteiligte Lebenslagen aus. Diese Sichtweise ist besonders dann von Relevanz, wenn<br />

über Ältere als Konsumenten von Gütern <strong>und</strong> Dienstleistungen <strong>und</strong> die <strong>Entwicklung</strong> von Altersmärkten<br />

gesprochen wird.<br />

Die demografische <strong>Entwicklung</strong> liefert e<strong>in</strong>en Rahmen für all jene Veränderungen, die als<br />

„Strukturwandel des Alters“ bezeichnet werden <strong>und</strong> die für die Analyse der materiellen Lagen<br />

ebenfalls bedeutsam s<strong>in</strong>d. Um e<strong>in</strong> vollständigeres Bild zu zeichnen, müssen der Bedeutungswandel<br />

der Altersphase im Lebenslauf bzw. des Alters <strong>in</strong>sgesamt sowie sozialstrukturelle Veränderungen<br />

<strong>in</strong>nerhalb der Gruppe der Älteren Berücksichtigung f<strong>in</strong>den. Wenn die Altersphase<br />

immer weniger Restzeit <strong>und</strong> immer mehr geplanter Lebensweg mit Wünschen, Zielen <strong>und</strong> Planungen<br />

ist, so verschiebt sich damit auch die Bedeutung materieller Ressourcen <strong>und</strong> die Bedarfe<br />

im späteren Lebenslauf.<br />

Zusätzlich br<strong>in</strong>gen die zukünftigen Älteren andere Voraussetzungen für die Gestaltung dieser<br />

Lebensphase mit, als Vorgängerkohorten. Neben der Generationenlagerung – die <strong>in</strong> näherer<br />

Zukunft Älteren s<strong>in</strong>d im „Wirtschaftsw<strong>und</strong>er“ <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Aufbauphase des Sozialismus aufgewachsen<br />

(Kohli, 2003) <strong>und</strong> haben frühzeitig Erfahrungen mit entsprechenden Beteiligungsmöglichkeiten<br />

gemacht – ändert sich zunächst e<strong>in</strong>mal zukünftig das durchschnittliche Bildungsniveau<br />

Älterer: Die künftigen Älteren erreichen die nachberufliche Lebensphase im Schnitt mit<br />

zunehmend besserer Bildung, wie Analysen auf Gr<strong>und</strong>lage der ersten Welle des Alterssurveys<br />

zeigen können (vgl. Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, Krause, & Künem<strong>und</strong>, 2004). Mit der Zunahme von Zahl<br />

<strong>und</strong> Niveau formaler Bildungsabschlüsse dürfte e<strong>in</strong> gewisser Anstieg der durchschnittlichen<br />

E<strong>in</strong>kommen (<strong>und</strong> damit tendenziell auch der durchschnittlichen Alterse<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> Vermögen)<br />

korrespondieren, auch wenn die Bildungsrenditen <strong>in</strong>sgesamt eher rückläufig se<strong>in</strong> sollten.<br />

Gleichzeitig s<strong>in</strong>d damit aber auch Bedarfe <strong>und</strong> Ansprüche an das Leben im Alter <strong>in</strong> Fluss gera-


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

ten. Die E<strong>in</strong>kommensverwendung sowie auch der Zusammenhang von objektiven Lagen <strong>und</strong><br />

ihren subjektiven Bewertungen sollte damit auch unter dem E<strong>in</strong>fluss dieser Wandlungsprozesse<br />

stehen. Die Analyse materieller Lagen muss daher auch diese, oftmals aus der Analyse ausgeblendeten,<br />

Aspekte gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s <strong>in</strong> die Interpretation ihrer Ergebnisse <strong>in</strong> Rechnung<br />

stellen.<br />

4.2.2 <strong>Entwicklung</strong>sl<strong>in</strong>ien des Alterssicherungssystems<br />

Die <strong>Entwicklung</strong> des Alterssicherungssystems <strong>in</strong> Deutschland stellt e<strong>in</strong>e entscheidende E<strong>in</strong>flussgröße<br />

für die künftige <strong>Entwicklung</strong> materieller Ressourcen älterer Menschen dar. Alle<br />

Prognosen gehen davon aus, dass auch <strong>in</strong> absehbarer Zukunft die Transfere<strong>in</strong>kommen aus dem<br />

öffentlichen Umlageverfahren den größten Anteil der Alterse<strong>in</strong>kommen ausmachen werden,<br />

auch wenn ihre relative Bedeutung sukzessive abnehmen dürfte (Albrecht & Polster, 1999). So<br />

haben derzeit knapp 95 Prozent der Westdeutschen bzw.100 Prozent der Ostdeutschen der Geburtsjahrgänge<br />

1936 bis 1955 e<strong>in</strong> Versichertenkonto bei der GRV . Diese Werte liegen damit <strong>in</strong><br />

den alten B<strong>und</strong>esländern sogar über jenen, die von früheren Geburtsjahrgängen bekannt s<strong>in</strong>d<br />

(Roth, 2000). Die Studie „Altersvorsorge <strong>in</strong> Deutschland 1996“ (AVID) (Verband Deutscher<br />

Rentenversicherungsträger, 1999) prognostiziert noch ohne Berücksichtigung der späteren Rentenreform<br />

2001 <strong>und</strong> der folgenden Debatten um weitere Systemänderungen beispielsweise für<br />

Ehepaare der Geburtsjahrgänge 1936 bis 1940 für das 65. Lebensjahr des Ehemannes e<strong>in</strong>en<br />

Anteil der Anwartschaften aus der GRV am Gesamte<strong>in</strong>kommen von 76,6 Prozent (West) bzw.<br />

92,7 Prozent (Ost). Die prognostizierten Anteile betragen für die zwischen 1951 <strong>und</strong> 1955 Geborenen<br />

(also für die jeweils 65-Jährigen der Jahre 2016 bis 2020) 72,3 Prozent (West) bzw.<br />

78,7 Prozent (Ost) (Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, 1999, S.140). Die E<strong>in</strong>führung<br />

der Riester-Rente mit Absenkung der Niveaus der GRV-Renten dürfte hier sicherlich für<br />

die Zukunft e<strong>in</strong>en erheblichen Schub <strong>in</strong> Richtung e<strong>in</strong>er Bedeutungszunahme privater Alterssicherung<br />

auslösen (Bulmahn, 2003). Der Anteil der Riester-Rente am Gesamtversorgungsniveau<br />

e<strong>in</strong>es Standardrentners dürfte laut entsprechender Prognose im Jahr 2030 mit maximal etwa<br />

13,8 Prozent zu Buche schlagen (2040: 18,6 Prozent, B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />

Soziale Sicherung, 2003, S.108), so dass künftig von e<strong>in</strong>em Anteil der GRV-Renten am Gesamtalterse<strong>in</strong>kommen<br />

von etwa 50 bis 60 Prozent auszugehen se<strong>in</strong> wird. 3 Neben der Bedeutungszunahme<br />

privater Alterssicherung <strong>und</strong> der Absenkung der durch die GRV bereitgestellten<br />

Renten wirken sich dabei Veränderungen <strong>in</strong> den Erwerbsbiografien aus. In anderer Perspektive<br />

ist auch von Wirkungen der Reformvorhaben auf die Erwerbsbiografien auszugehen. Insbesondere<br />

Entscheidungen zum Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand stehen im Fokus der Etablierung, <strong>in</strong>sbesondere<br />

von versicherungsmathematischen Abschlägen für frühe Übergänge (Berkel & Börsch-<br />

Supan, 2003). Auch hieraus können sich Veränderungen <strong>in</strong> Niveau <strong>und</strong> Verteilung der E<strong>in</strong>kommen<br />

<strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte ergeben.<br />

3 Diese Größenordnungen korrespondieren mit Ergebnissen alternativer Szenarien des Deutschen Instituts für Altersvorsorge<br />

(DIA) auf Basis der E<strong>in</strong>kommens- <strong>und</strong> Verbrauchsstichprobe 1998 (Miegel et al., 2002: 77).<br />

129


130<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Bereits seit der Rentenreform 1992 wurden empf<strong>in</strong>dliche E<strong>in</strong>schnitte <strong>in</strong> die künftig erwartbaren<br />

Anstiege der Alterssicherungse<strong>in</strong>kommen aus der GRV vorgenommen. H<strong>in</strong>zugekommen ist mit<br />

der Rentenreform 2001 die staatlich geförderte freiwillige kapitalgedeckte Altersvorsorge, die<br />

massive E<strong>in</strong>schnitte kompensieren sowie zugleich Nachhaltigkeit des Systems <strong>und</strong> die Generationengerechtigkeit<br />

verbessern helfen soll (Himmelreicher & Viebrok, 2003). Die derzeitigen<br />

Trends deuten somit deutlich auf e<strong>in</strong>e Absenkung der Niveaus der öffentlichen Transfere<strong>in</strong>kommen<br />

der Älteren <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Bedeutungszunahme privater Alterssicherung h<strong>in</strong>.<br />

Die aktuellen Reformvorhaben weisen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ähnliche Richtung. So hat die vom B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium<br />

für Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Soziale Sicherung (BMGS) e<strong>in</strong>gesetzte Kommission für die Nachhaltigkeit<br />

<strong>in</strong> der F<strong>in</strong>anzierung der Sozialen Sicherungssysteme e<strong>in</strong>e Reihe von Vorschlägen<br />

vorgelegt. 4 Die angestrebten Wirkungen s<strong>in</strong>d zum e<strong>in</strong>en die E<strong>in</strong>haltung e<strong>in</strong>es maximalen Beitragssatzes<br />

von 22 Prozent der Erwerbse<strong>in</strong>kommen. Durch die Kommissionsvorschläge ergibt<br />

sich e<strong>in</strong>e rechnerische Beitragssatzersparnis von <strong>in</strong>sgesamt 2,2 Prozentpunkten. Zum anderen ist<br />

e<strong>in</strong>e sukzessive Absenkung des Bruttorentenniveaus von derzeit 48 Prozent auf 40 Prozent beabsichtigt,<br />

wobei sich lediglich zwei Prozentpunkte aus den aktuellen Vorschlägen der Kommission<br />

ableiten lassen. 5 Die zeitweilig diskutierte e<strong>in</strong>malige Aussetzung der regelmäßigen Rentenanpassungen<br />

zur Behebung akuter F<strong>in</strong>anzierungsprobleme der GRV kann sich künftig ebenfalls<br />

langfristig dämpfend auf die Rentenzahlbeträge der GRV auswirken. 6<br />

Die ergänzende E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>er staatlich geförderten, freiwilligen kapitalgedeckten Altersvorsorge<br />

wird idealerweise die Ausfälle aufgr<strong>und</strong> der Reformen des Umlageverfahrens kompensieren<br />

(Bulmahn, 2003). Allerd<strong>in</strong>gs setzt dies e<strong>in</strong>e vollständige Inanspruchnahme durch alle Förderungsberechtigten<br />

voraus, die gemäß aktueller Forschungsergebnisse (Bertelsmann Stiftung,<br />

2003a, 2003b) sicherlich nicht als gegeben angenommen werden kann. Im Gegenteil spricht<br />

e<strong>in</strong>iges dafür, dass untere E<strong>in</strong>kommensschichten <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gerem Ausmaß derart vorsorgen <strong>und</strong><br />

die Ungleichverteilung der E<strong>in</strong>kommen unter den zukünftigen Älteren dadurch weiter verstärkt<br />

wird (s.u.). Zudem s<strong>in</strong>d Kapitale<strong>in</strong>künfte allgeme<strong>in</strong> ungleicher verteilt, als wir es von den heutigen<br />

Rentene<strong>in</strong>kommen kennen. Die zunehmende Dom<strong>in</strong>anz des Versicherungspr<strong>in</strong>zips privater<br />

Sicherung führt zu e<strong>in</strong>er Schwächung der Umverteilung zwischen Erwerbstätigen <strong>und</strong> Nicht-<br />

4 Konkret handelt es sich im Gr<strong>und</strong>satz um die folgenden Vorschläge: Anhebung des gesetzlichen Rentenalters auf<br />

e<strong>in</strong>e Regelaltersgrenze von 67 Jahren; e<strong>in</strong>e Reihe flankierender Maßnahmen zur Anhebung der Altersgrenzen (die<br />

E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>er Altersrente für langjährig Versicherte mit Abschlägen, die Beschränkung von Erwerbsm<strong>in</strong>derungsrenten<br />

auf mediz<strong>in</strong>ische Aspekte unter Ausschluss des Arbeitsmarktgeschehens sowie die langfristige Abschaffung<br />

der Altersrente für Schwerbeh<strong>in</strong>derte); die E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es Nachhaltigkeitsfaktors <strong>in</strong> die Rentenanpassungsformel<br />

zur Justierung des Verhältnisses von Beitragszahlen <strong>und</strong> Leistungsempfängern mit dem Effekt der<br />

langfristigen Absenkung der Alterse<strong>in</strong>kommen aus dem Umlageverfahren; die mittelfristige (Wieder-)Aufstockung<br />

der Schwankungsreserve bei h<strong>in</strong>reichender wirtschaftlicher Lage, wobei hier Gew<strong>in</strong>ne zur Aufstockung verwendet<br />

<strong>und</strong> nicht an die Leistungsempfänger weitergereicht werden sollen. Gleichzeitig sollen die Rentenanpassungen um<br />

e<strong>in</strong> halbes Jahr verschoben werden, was ebenfalls beitragssatz- <strong>und</strong> rentenm<strong>in</strong>dernd wirkt.<br />

5 Abschläge von sechs Prozentpunkte resultieren aus den künftig erwartbaren Wirkungen bereits heute geltenden<br />

Rechts <strong>und</strong> müssen somit derzeit als sozialrechtliche Gegebenheit <strong>in</strong> aktuelle Prognoseszenarien e<strong>in</strong>gehen.<br />

6 Daneben ist e<strong>in</strong>e Verlängerung der Lebensarbeitszeit <strong>in</strong>tendiert, wobei die angewendeten Mittel vor allem bei<br />

ger<strong>in</strong>gen Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer ebenfalls e<strong>in</strong>e m<strong>in</strong>dernde Wirkung auf die E<strong>in</strong>kommen Älterer<br />

entfalten dürften.


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Erwerbstätigen <strong>in</strong>nerhalb von Generationen (G<strong>in</strong>n & Arber, 2000), was künftig ebenfalls zu<br />

e<strong>in</strong>er Spreizung der Verteilung der Alterse<strong>in</strong>kommen beitragen dürfte.<br />

4.2.3 Szenarien zur <strong>Entwicklung</strong> der Ruhestandse<strong>in</strong>kommen<br />

Die <strong>Entwicklung</strong> der E<strong>in</strong>kommen aus den öffentlichen Alterssicherungssystemen ist von besonderer<br />

Bedeutung für das E<strong>in</strong>kommen Älterer. Im Folgenden soll daher auf die Szenarien der<br />

Kommission für die Nachhaltigkeit <strong>in</strong> der F<strong>in</strong>anzierung der Sozialen Sicherungssysteme zurückgegriffen<br />

werden, die Basis ihrer Empfehlungen zur Weiterentwicklung der GRV s<strong>in</strong>d. 7<br />

Basis der hier vorgestellten Überlegungen ist e<strong>in</strong> Anstieg der Durchschnittsentgelte der Erwerbstätige<br />

<strong>in</strong> Westdeutschland von 2.435 € im Jahr 2003 auf 3.567 € im Jahr 2030, der sich je<br />

nach Szenario <strong>in</strong> Anstiegen der faktischen Zahlbeträge von 1.924 € im Jahr 2003 auf 2.788 €<br />

oder 2.845 € im Jahr 2030 widerspiegelt. Entsprechend ist e<strong>in</strong>e <strong>Entwicklung</strong> der Bruttostandardrenten<br />

<strong>und</strong> der Rentenzahlbeträge der GRV zu schätzen: Die Kommission nimmt hier für die<br />

Bruttostandardrenten Anstiege von 1.170 € im Jahr 2003 auf 1.496 € bzw. 1.429 € im Jahr 2030<br />

an. Für die Rentenzahlbeträge des Standardrentners werden künftige Anstiege von 1.176 € im<br />

Jahr 2003 auf 1.368 € bzw. 1.291 € im Jahr 2030 errechnet. Niedrigere Werte für die Ruheständler<br />

bzw. höhere für die Erwerbstätigen ergeben sich jeweils <strong>in</strong> dem Szenario, das die vollständige<br />

Umsetzung der Kommissionsempfehlungen voraussetzt. Auch wenn e<strong>in</strong>e solche vollständige<br />

Umsetzung angesichts der politischen Verhältnisse <strong>in</strong> Deutschland unwahrsche<strong>in</strong>lich<br />

ersche<strong>in</strong>t, so weist das Reformszenario doch <strong>in</strong> jene Richtung, über die <strong>in</strong> Expertenkreisen im<br />

Gr<strong>und</strong>satz E<strong>in</strong>igkeit besteht: Relative Absenkung der GRV-Renten <strong>und</strong> Etablierung e<strong>in</strong>es stärker<br />

gemischten Systems der Alterssicherung mit wachsender Bedeutung kapitalgedeckter, privater<br />

Altersvorsorge mit staatlicher Absicherung. Die <strong>in</strong> den o.g. Zahlen zum Ausdruck kommende<br />

Dämpfung der Anstiege der GRV-Renten wird seit der Rentenreform 2001 durch die freiwillige<br />

kapitalgedeckte Zusatzvorsorge kompensiert, die mit staatlicher Förderung den Aufbau<br />

<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Alterssicherung jenseits der GRV unterstützen soll. Über die gesamte Laufzeit des<br />

Szenarios dürfte das Niveau der Zahlbeträge bei e<strong>in</strong>er Orientierung an der Standardrente überschätzt<br />

se<strong>in</strong>, da heute nur etwa 50 Prozent der Männer <strong>und</strong> fünf Prozent der Frauen die Voraussetzungen<br />

für e<strong>in</strong>e Standardrente überhaupt erfüllen.<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der E<strong>in</strong>führung der freiwilligen kapitalgedeckten Zusatzvorsorge im Alter kann<br />

von zwei Hauptwirkungen auf Höhe <strong>und</strong> Verteilung der Alterse<strong>in</strong>kommen ausgegangen werden.<br />

Zum e<strong>in</strong>en kann angenommen werden, dass der Anstieg der Alterse<strong>in</strong>kommen aufgr<strong>und</strong> der<br />

Integration der kapitalgedeckten Komponenten der E<strong>in</strong>kommen überschätzt wird, wenn e<strong>in</strong>e<br />

vollständige Inanspruchnahme der Fördermöglichkeiten zur Gr<strong>und</strong>lage der Berechnungen gemacht<br />

wird, da aufgr<strong>und</strong> der Freiwilligkeit der Vorsorge absehbar nur Teile der Bevölkerung<br />

dieses Vorsorgeangebot <strong>in</strong> Anspruch nehmen werden. Zum anderen ist es wahrsche<strong>in</strong>lich, dass<br />

7 Alle folgenden Angaben gelten <strong>in</strong> € pro Monat wobei diese jeweils preisbere<strong>in</strong>igt zum Ausgangsjahr 2003 angegeben<br />

werden. Die Abschätzungen nehmen e<strong>in</strong>e über den Betrachtungszeitraum konstante Inflationsrate von 1,5 Prozent<br />

an <strong>und</strong> schätzen die E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> Sozialbeiträge der Erwerbstätigen (Rentenversicherung, Pflegeversicherung,<br />

Krankenversicherung <strong>und</strong> Arbeitslosenversicherung) gemäß eigener Projektionen <strong>und</strong> deren Annahmen (vgl.<br />

ausführlich B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Soziale Sicherung, 2003).<br />

131


132<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

die (Nicht-)Inanspruchnahme der freiwilligen kapitalgedeckten Zusatzvorsorge im Alter auch<br />

sozial selektiv vonstatten geht. So unterlässt derzeit r<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Drittel der Befragten e<strong>in</strong>e private<br />

Zusatzvorsorge aus Geldmangel (Bertelsmann Stiftung, 2003a). Dies s<strong>in</strong>d vor allem Teilzeitbeschäftigte<br />

oder Nicht-Erwerbstätige, <strong>in</strong>sgesamt also Personengruppen, die ohneh<strong>in</strong> nur ger<strong>in</strong>ge<br />

Leistungen aus dem Umlageverfahren erwarten können. Auch darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d für Durchschnittshaushalte<br />

die Möglichkeiten zur (zusätzlichen) privaten Altersvorsorge begrenzt. Sie<br />

unterbleibt <strong>in</strong>sbesondere bei f<strong>in</strong>anziellen Belastungen, wodurch letztlich Bevorzugungen <strong>und</strong><br />

Benachteiligungen über den Lebenslauf kumulieren. Es wird so deutlich, dass „die Leistungen<br />

aus der privaten Altersvorsorge vor allem Haushalten mit höherem <strong>und</strong> hohem E<strong>in</strong>kommen<br />

zufließen“ werden, so Schmähl <strong>und</strong> Fach<strong>in</strong>ger (Schmähl & Fach<strong>in</strong>ger, 1998, S.31) bereits Ende<br />

der 90er Jahre. Gemäß der bereits genannten Umfrage der Bertelsmann-Stiftung wollte bis Ende<br />

2002 lediglich jeder Sechste se<strong>in</strong>e Altersvorsorge durch Abschluss e<strong>in</strong>er Riester-Rente verbessern<br />

<strong>und</strong> mittelfristig jeder Vierte e<strong>in</strong>en solchen Vertrag abschließen (Bertelsmann Stiftung,<br />

2003a). Langfristig ist daher wohl bestenfalls davon auszugehen, dass die Hälfte der Berechtigten<br />

hiervon Gebrauch machen wird.<br />

Weiterh<strong>in</strong> ist davon auszugehen, dass die Verlagerung vom Umlageverfahren zur privat organisierten,<br />

an Kapitaldeckung orientierten Alterssicherung mit der politisch <strong>und</strong> wirtschaftlich gewünschten<br />

verstärkten Orientierung der Alterse<strong>in</strong>kommen an f<strong>in</strong>anziellen Vorleistungen (Versicherungspr<strong>in</strong>zip)<br />

bereits im Gange ist. Zwar wurde ihre spezifische Förderung im Rahmen der<br />

Altersvorsorge erst <strong>in</strong> der Reform 2001 <strong>in</strong>stitutionell implementiert, doch ist sie darüber h<strong>in</strong>aus<br />

im Zuge der Infragestellung der Sicherheit der Arrangements der GRV spätestens seit Anfang/Mitte<br />

der 90er Jahre – teilweise langfristig fiskalisch gefördert – im größerem Umfang<br />

Gegenstand <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Sicherungsstrategien. Diese Verlagerung wird sukzessive die Komponenten<br />

des <strong>in</strong>tragenerationalen Ausgleichs <strong>in</strong> der Alterssicherung <strong>in</strong> Deutschland schwächen.<br />

Hierbei ergeben sich möglicherweise weitere Gew<strong>in</strong>ne für f<strong>in</strong>anziell ohneh<strong>in</strong> besser Gesicherte<br />

<strong>und</strong> absehbar Verluste unter denjenigen Gruppen, die vormals aufgr<strong>und</strong> ger<strong>in</strong>gerer Ansprüche<br />

aufgr<strong>und</strong> von Erwerbsarbeit von der Umverteilung profitiert haben (G<strong>in</strong>n & Arber, 2000).<br />

Schließlich gilt, dass die Alterse<strong>in</strong>kommen auf Kapitalerträgen- <strong>und</strong> Auflösungen generell ungleicher<br />

verteilt s<strong>in</strong>d, als Erwerbse<strong>in</strong>kommen oder E<strong>in</strong>kommen aus dem öffentlichen Umlageverfahren.<br />

8<br />

Dies alles berechtigt zu der Annahme, dass kapitalgedeckte Komponenten der Alterssicherung<br />

zu e<strong>in</strong>er sukzessiven Verstärkung der Ungleichverteilung der E<strong>in</strong>kommen Älterer beitragen<br />

wird. Diese Tendenz kann bereits im Vergleich der deutschen E<strong>in</strong>kommensverteilungen von<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 feststellbar se<strong>in</strong>.<br />

Die europäisch vergleichende Analyseperspektive kann diese Annahmen stützen. So zeigen<br />

Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel & Backes, 2004) im Vergleich zwischen Deutschland, Norwegen <strong>und</strong> England<br />

e<strong>in</strong>e stärkere Differenzierung von E<strong>in</strong>kommen – aber auch von subjektiven Maßen des<br />

Lebensstandards <strong>und</strong> der Lebensqualität – im stärker marktlich organisierten System mit ger<strong>in</strong>-<br />

8 Bekanntermaßen f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> Deutschland im Vergleich mit dem E<strong>in</strong>kommen im Ergebnis e<strong>in</strong>e etwa doppelt so<br />

starke Konzentration der Vermögen, was auch Resultat von Steuerpolitik <strong>und</strong> -praxis ist (Huster & Eissel, 2001;<br />

<strong>in</strong>ternational vergleichend zur Bedeutung des Steuersystems für Verteilungen im Ruhestand (vgl. Keenay & Whitehouse,<br />

2003).


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

gerer Ausgleichskomponente wie <strong>in</strong> England bzw. Großbritannien. Dies geht e<strong>in</strong>her mit e<strong>in</strong>er<br />

relativ ger<strong>in</strong>geren sozialstrukturellen Determ<strong>in</strong>iertheit der Verteilungen <strong>in</strong> diesen Gesellschaften.<br />

9 Es sche<strong>in</strong>t plausibel anzunehmen, dass diese <strong>Entwicklung</strong> auch für Deutschland relevant<br />

se<strong>in</strong> könnten, sollten die durch die Reformdiskussionen abgestoßenen Verschiebungen auch<br />

weiterh<strong>in</strong> (zum<strong>in</strong>dest teilweise) <strong>in</strong> Richtung marktlich, jenseits des Sozialstaats organisierter<br />

Lösungen gehen. Inwieweit dies gegenwärtig oder künftig der Fall ist, kann empirisch überprüft<br />

werden.<br />

Zusammengefasst bedeutet dies, dass der für die Alterse<strong>in</strong>kommen vergleichsweise günstige<br />

Verlauf des von der Rürup-Kommission (Szenario 7 <strong>in</strong> Abbildung 4.2; vgl. auch B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium<br />

für Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Soziale Sicherung, 2003) angegebenen Zukunftsszenarios „Rentenzahlbeträge<br />

mit Reform <strong>und</strong> Anpassung <strong>und</strong> Riesterrente“ mehrere Probleme aufwirft. Gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

unterschätzen Szenarien der Rentenzahlbeträge die Niveaus der Gesamte<strong>in</strong>kommen, da<br />

lediglich Teilaspekte der E<strong>in</strong>kommenslage E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> die Analysen f<strong>in</strong>den. H<strong>in</strong>sichtlich der<br />

skizzierten <strong>Entwicklung</strong>en kann es darüber h<strong>in</strong>aus zum e<strong>in</strong>en als tendenziell überschätzt gelten,<br />

da die Riester-Rente nur bed<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> Anspruch genommen wird. Zum anderen dürften zu den <strong>in</strong><br />

die Kommissionsberechnungen e<strong>in</strong>gehenden Riester-Renten künftig <strong>in</strong> vermehrtem Maße weitere<br />

E<strong>in</strong>künfte aus Kapitale<strong>in</strong>kommen treten, was wiederum zu e<strong>in</strong>er Erhöhung der mittleren<br />

Gesamte<strong>in</strong>kommen beitragen sollte.<br />

Daneben ist im Vergleich zur heutigen Situation künftig von e<strong>in</strong>er Spreizung der E<strong>in</strong>kommensverteilung<br />

auszugehen, die aus der <strong>in</strong> den Rürup-Szenarien gewählten Mittelwertdarstellung<br />

(Abbildung 4.2) nicht ersichtlich ist. Dies ist <strong>in</strong> der M<strong>in</strong>derung der relativen Bedeutung der<br />

Umverteilungskomponenten <strong>in</strong> der GRV <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Bedeutungszunahme von ungleich verteilten<br />

Kapitale<strong>in</strong>künften begründet. Beides zusammen dürfte zu ger<strong>in</strong>geren Anstiegen <strong>in</strong> den unteren<br />

Segmenten der Verteilung <strong>und</strong> zu e<strong>in</strong>er Ausdifferenzierung im Bereich vor allem mittlerer<br />

<strong>und</strong> höherer E<strong>in</strong>kommen beitragen. Es ist zu untersuchen , ob sich die angesprochenen künftigen<br />

Tendenzen bereits <strong>in</strong> der heutigen Verteilung materieller Lagen wiederf<strong>in</strong>den lassen. In<br />

jedem Falle s<strong>in</strong>d diese Tendenzen künftig im Rahmen der Alterssozialberichterstattung e<strong>in</strong>er<br />

kont<strong>in</strong>uierlichen Prüfung zu unterziehen, um die Zielerreichung der Systemänderung zu überprüfen<br />

<strong>und</strong> um ggf. rechtzeitig sozialpolitisch <strong>in</strong>tervenieren zu können.<br />

9 Auch der erweiterte Gesellschaftsvergleich kann hierzu e<strong>in</strong>en hilfreichen Beitrag leisten: Bereits heute lassen sich<br />

ungleichheitsverschärfende Tendenzen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reihe von Staaten (z.B. Großbritannien, Australien oder USA) aufzeigen,<br />

die bereits e<strong>in</strong>en höheren <strong>und</strong> weiter wachsenden Anteil des E<strong>in</strong>kommens aus privater Alterssicherung zu<br />

verzeichnen haben. Hier zeigt sich, dass das arithmetische Mittel der Alterse<strong>in</strong>kommen moderat angestiegen ist,<br />

was auf zunehmend hohe Alterse<strong>in</strong>kommen e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>derheit von Ruheständlern zurückgeht, während die unteren<br />

Alterse<strong>in</strong>kommen von der <strong>Entwicklung</strong> ausgenommen s<strong>in</strong>d, was sich auch <strong>in</strong> recht stabilen Armutsraten ausdrückt,<br />

die <strong>in</strong> den genannten Ländern allerd<strong>in</strong>gs teilweise erheblich über den derzeit <strong>in</strong> Deutschland bekannten liegen<br />

(Casey & Yamada, 2003).<br />

133


Abbildung 4.2:<br />

Prognose der künftigen <strong>Entwicklung</strong> von Rentenzahlbeträgen (Standardrentner)<br />

gemäß verschiedenen Reformszenarien bis 2030<br />

Beträge<strong>in</strong>€<br />

134<br />

1.600<br />

1.500<br />

1.400<br />

1.300<br />

1.200<br />

1.100<br />

1.000<br />

0<br />

1 2<br />

3 4<br />

5 6<br />

7<br />

2003 2010 2020 2030<br />

Jahr<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

In €/Monat, <strong>in</strong> Preisen von 2003, Inflationsrate 1,5% p.a., Standardrente alte B<strong>und</strong>esländer, Sozialbeiträge=PV, KV;<br />

Höhe: PV gemäß Projektionen, KV: konstant 14,3%, <strong>in</strong>kl. Ausgleichsbeitrag <strong>und</strong> nach Berücksichtigung der Erträge aus<br />

dem privaten Pflegekonto.<br />

Szenario 1: ohne Reform (gelt. Recht)<br />

Szenario 2: ohne Reform (gelt. Recht) + Riester-Rente (50% Inanspruchnahme)<br />

Szenario 3: ohne Reform (gelt. Recht) + Riester-Rente (100% Inanspruchnahme)<br />

Szenario 4: mit Reform (Kommission Nachhaltigkeit <strong>in</strong> der F<strong>in</strong>anzierung der Soz. Sicherungssyst.)<br />

Szenario 5: mit Reform (KNidF) + Anpassung 1)<br />

Szenario 6: mit Reform (KNidF) + Anpassung 1) + Riester-Rente (50% Inanspruchnahme)<br />

Szenario 7: mit Reform (KNidF) + Anpassung 1) + Riester-Rente (100% Inanspruchnahme).<br />

1) Es wird e<strong>in</strong> Anstieg der rentenrelevanten Entgeltpunkte entsprechend der Anhebung der Altersgrenze unterstellt.<br />

Quelle: B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Soziale Sicherung, 2003.<br />

4.2.4 Materielle Lagen <strong>und</strong> Generationentransfers<br />

Das System der öffentlichen Alterssicherung – oft auch allgeme<strong>in</strong>er als der öffentliche Generationenvertrag<br />

bezeichnet – steht seit geraumer Zeit im Mittelpunkt des allgeme<strong>in</strong>en Interesses.<br />

Doch diese Debatte blendet weiterh<strong>in</strong> wichtige Voraussetzungen des Generationenvertrages als<br />

Teil e<strong>in</strong>es Gesellschaftsvertrages oftmals aus (vgl. Leiser<strong>in</strong>g & Motel, 1997; Kohli, 2003). Sie<br />

suggeriert, die öffentlichen Transferleistungen an die Älteren seien von anderen gesellschaftlichen<br />

B<strong>in</strong>dungen <strong>und</strong> traditionellen Sicherungsformen losgelöst. Inwieweit den sozialstaatlichen,<br />

öffentlichen Leistungsströmen private Transfersysteme gegenüberstehen <strong>und</strong> ob diese die öffentlichen<br />

ergänzen oder ihre Verteilungswirkungen erweitern, wird <strong>in</strong> den aktuellen Debatten<br />

um den Sozialstaat traditionell selten betrachtet.<br />

Diesen Fragen ist der Alterssurvey bereits auf der Gr<strong>und</strong>lage der Daten der ersten Befragungswelle<br />

nachgegangen (Kohli, Künem<strong>und</strong>, Motel, & Szydlik, 2000; Künem<strong>und</strong>, Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel,<br />

& Kohli, 2004; Künem<strong>und</strong> & Motel, 1999; Motel & Szydlik, 1999; Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, 2000)<br />

<strong>und</strong> auch darüber h<strong>in</strong>aus liegen neuere Untersuchungen zum Thema vor (vgl. z.B. Attias-Donfut


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

& Wolff, 2000a; 2000b; Brown, 2003; Lerman & Sorensen, 2001; Reil-Held, 2002; Shuey &<br />

Hardy, 2003 Denn mit der Frage nach dem Zusammenhang der öffentlichen <strong>und</strong> privaten Ebene<br />

eröffnet sich e<strong>in</strong>e erweiterte Sicht auf die Verteilungsgerechtigkeit <strong>und</strong> die Effizienz der sozialpolitischen<br />

Interventionen (vgl. Barr, 1993; Barr, 2002). Die Analyse dieser Zusammenhänge –<br />

so Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, 2000 – ist von besonderer Bedeutung, wenn es gel<strong>in</strong>gen soll, unter der<br />

Bed<strong>in</strong>gung zunehmender Mittelknappheit die Resultate wohlfahrtsstaatlicher Leistungen <strong>in</strong> sozialer<br />

<strong>und</strong> politischer H<strong>in</strong>sicht tatsächlich zu optimieren <strong>und</strong> die Debatten um die (mögliche)<br />

Reformierung des Sozialstaats nicht zum Gegenstand bloßer <strong>in</strong>teressen- oder parteipolitischer<br />

Instrumentalisierung werden zu lassen. Damit ist auch weiterh<strong>in</strong> besonderes Augenmerk auf die<br />

familialen Unterstützungs- <strong>und</strong> Hilfeleistungen zu richten, die e<strong>in</strong> wichtiger Aspekt familialer<br />

Funktionen s<strong>in</strong>d (vgl. Kaufmann, 1997).<br />

Die <strong>in</strong> diesem Kapitel vorgestellten Analysen stellen e<strong>in</strong>e vor allem deskriptive Weiterführung<br />

der Darstellungen von Motel & Szydlik (1999), Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel (2000) sowie Kohli et al.<br />

(2000) dar. Für detailliertere konzeptionelle Ausführungen sei allgeme<strong>in</strong> auf Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

(2000) verwiesen.<br />

Im Mittelpunkt der Transferanalysen anhand der zweiten Befragungswelle steht vor allem die<br />

Frage nach den Auswirkungen des sozialen <strong>Wandel</strong>s auf die Ausgestaltung <strong>in</strong>tergenerationaler<br />

familialer Beziehungen. Es wird vor allem gefragt, wie sich sechs Jahre nach der ersten Datenerhebung,<br />

auf der die zahlreichen umfangreichen Alterssurveyanalysen aufsetzen, die familialen<br />

Ressourcenflüsse vorf<strong>in</strong>den lassen – die Analysen der ersten Querschnittsdaten zeichneten e<strong>in</strong><br />

durchaus positives Bild des <strong>in</strong>tergenerationalen Austauschgeschehens. Etwa jeder dritte über<br />

40-Jährige vergab damals <strong>in</strong>nerhalb von zwölf Monaten Geld- oder Sachtransfers an e<strong>in</strong>es se<strong>in</strong>er<br />

K<strong>in</strong>der. Selbst unter den über 60-Jährigen lag die Quote noch bei mehr als 25 Prozent <strong>und</strong><br />

die Leistungen hatten <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong>en Wert von sechs Prozent der gesamten Alterse<strong>in</strong>künfte<br />

bzw. r<strong>und</strong> acht Prozent der E<strong>in</strong>kommen aus den Alterssicherungssystemen (vgl. Kohli, 1999b;<br />

Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, 2000). Lässt sich dieses auch für die Folgekohorten <strong>und</strong> unter sich wandelnden<br />

wirtschaftlichen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen (vgl. Kapitel 1) aufrechterhalten<br />

oder s<strong>in</strong>d heute bereits erhebliche E<strong>in</strong>schränkungen der familialen Unterstützung zu registrieren,<br />

die e<strong>in</strong>en gesellschaftlichen Krisendiskurs der Familie <strong>und</strong> ihrer Funktionen rechtfertigen<br />

würden?<br />

4.3 Anmerkungen zum Forschungsstand<br />

Die materielle Lage älterer <strong>und</strong> jüngerer Menschen ist bereits seit langem Gegenstand von wissenschaftlichen<br />

<strong>und</strong> sozialpolitischen Analysen (vgl. z.B. Münke, 1956). Die Ausrichtung der<br />

alternswissenschaftlichen Befassung mit materiellen Lagen älterer Menschen hat sich dabei <strong>in</strong><br />

den vergangenen Jahrzehnten genauso verändert, wie sich die gesellschaftlichen Diagnosen<br />

verschoben haben. In den 90er-Jahren wurde – ganz anders als noch <strong>in</strong> den 70er-Jahren, wo von<br />

e<strong>in</strong>er besonderen Benachteiligung Älterer die Rede war – überwiegend e<strong>in</strong>e Ähnlichkeit der<br />

E<strong>in</strong>kommenssituation zwischen den Altersgruppen konstatiert. Dies basiert auch darauf, dass<br />

sich die E<strong>in</strong>kommens- <strong>und</strong> Vermögenssituation der älteren Bevölkerungsgruppen seit der Mitte<br />

des vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erts erheblich verbessert hat (vgl. B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium für Arbeit <strong>und</strong><br />

135


136<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Sozialordnung, 2001; Glatzer, 1992; Hauser & Becker, 2003; Hauser & Wagner, 1992). Mit<br />

dem Verweis auf die stetige Verbesserung der Wohlfahrtslagen alter Menschen <strong>in</strong> den alten<br />

B<strong>und</strong>esländern g<strong>in</strong>g bisher auch die Erwartung e<strong>in</strong>her, dass die älteren Menschen auch <strong>in</strong> der<br />

näheren Zukunft nicht mehr <strong>in</strong> besonderem Maß von Armut betroffen se<strong>in</strong> werden. Neuere<br />

Überlegungen h<strong>in</strong>gegen nehmen nicht zuletzt auch angesichts der Reformen der Alterssicherungssysteme<br />

die Altersarmut wieder <strong>in</strong> den Blick (vgl. z.B. Butrica, Smith, & Toder, 2002;<br />

Hauser, 1999; Hungerford, 2001; Vartanian & McNamara, 2002). Auch <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>esländern<br />

hat sich <strong>in</strong> der ersten Hälfte der 90er-Jahre die erhebliche relative <strong>und</strong> absolute Verbesserung<br />

der Wohlfahrtslage von Ruheständlern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er abnehmenden Betroffenheit von Altersarmut<br />

niedergeschlagen (Müller, Hauser, Frick, & Wagner, 1995, S.98ff). Bevölkerungsrepräsentative<br />

Studien wie das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) <strong>und</strong> der Alterssurvey zeigen dann<br />

auch, dass E<strong>in</strong>kommensarmut <strong>in</strong> ostdeutschen Haushalten mit e<strong>in</strong>em Haushaltsvorstand im Alter<br />

von über 65 Jahren <strong>in</strong>sgesamt seltener ist, als <strong>in</strong> den Haushalten Jüngerer. Sicherlich ist diese<br />

optimistische Aussage angesichts der verbleibenden, wenn auch ger<strong>in</strong>gen Quote etwas überzogen.<br />

Empirische Studien weisen nach wie vor bedeutende Armutsgruppen aus. So z.B. bei alten<br />

westdeutschen Frauen, bei den Geschiedenen sowie bei denjenigen, die bereits vor dem Ruhestand<br />

niedrige E<strong>in</strong>kommen bezogen haben (Habich & Krause, 1997; Motel, 2000). Verwitwete<br />

s<strong>in</strong>d unter den Armen nicht überdurchschnittlich häufig vertreten, obwohl die Verwitwung von<br />

Frauen im Alter traditionell als ökonomisches Risiko betrachtet wird (Backes, 1993; Hungerford,<br />

2001). Doch sicher hat Altersarmut <strong>in</strong> den 90er Jahren im Vergleich zur Armut anderer<br />

Altersgruppen generell an Bedeutung verloren. Inwieweit sich dieser aus alternswissenschaftlicher<br />

<strong>und</strong> -politischer Sicht positive Trend, der auch im Zusammenhang mit dem Analysefokus<br />

auf monetäre Ressourcen <strong>und</strong> den gewählten Berechnungsmethoden <strong>in</strong>terpretiert werden muss,<br />

stabilisiert oder aber bereits umkehrt ist e<strong>in</strong>e offene Frage, die die Alterssozialberichterstattung<br />

kont<strong>in</strong>uierlich verfolgen muss.<br />

Die Sichtweisen der dynamischen Alterns- <strong>und</strong> Lebenslaufforschung hatten <strong>in</strong> den 90er-Jahren<br />

auch zu e<strong>in</strong>er Dynamisierung der Analysen der materiellen Lagen im Alter beigetragen. Hier<br />

eröffnet sich e<strong>in</strong>e neue, bisher wenig beachtete Problemlage. Denn gerade Altersarmut ist oftmals<br />

Ausdruck länger andauernder Deprivation (Berger, 1994; Wagner & Motel, 1998). Dies<br />

steht im Kontrast zur Armut Jüngerer, deren hohe Dynamik seit Beg<strong>in</strong>n der 90er Jahre von vielen<br />

Autoren aufgr<strong>und</strong> von Analysen mit nunmehr verfügbaren Paneldaten hervorgehoben wird<br />

(Buhr, 1995; Leibfried et al., 1995), wobei Ansätze der Lebenslauf- <strong>und</strong> der Biografieforschung<br />

mit solchen der Ungleichheits- <strong>und</strong> Armutsforschung verb<strong>und</strong>en werden (vgl. Kohli, 1999a).<br />

Verbesserungen der relativen wirtschaftlichen Lage werden nach dem Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

zumeist über Veränderungen der Haushaltsstruktur vollzogen. E<strong>in</strong>e besondere Rolle spielt<br />

hierbei – neben der <strong>in</strong>tergenerationalen Koresidenz – die Verwitwung. Es konnte darüber h<strong>in</strong>aus<br />

gezeigt werden (vgl. Wagner & Motel, 1998), dass die verbleibende Dynamik der Alterse<strong>in</strong>kommen<br />

erheblich durch die jeweilige Quelle des Alterse<strong>in</strong>kommens determ<strong>in</strong>iert. Haushalte<br />

älterer Menschen, deren E<strong>in</strong>kommen ausschließlich aus Renten der GRV besteht, <strong>und</strong> Bezieher<br />

von Sozialhilfeleistungen haben nicht nur im Durchschnitt ger<strong>in</strong>gere E<strong>in</strong>kommen (vgl. B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium<br />

für Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Soziale Sicherung, 2001), sondern partizipieren im späten<br />

Teil des Lebenslaufs auch <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gerem Maße an allgeme<strong>in</strong>en Zuwächsen als Bezieher von<br />

Alterse<strong>in</strong>kommen aus anderen öffentlichen <strong>und</strong> privaten Sicherungssystemen.


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Prognosen für die weitere <strong>Entwicklung</strong> der ökonomischen Lage der Älteren fallen optimistisch<br />

aus, sofern e<strong>in</strong> Status Quo <strong>in</strong>stitutioneller <strong>und</strong> wirtschaftlicher Rahmenbed<strong>in</strong>gungen postuliert<br />

wird, jedoch existiert gegenwärtig ke<strong>in</strong> geschlossenes ökonomisches Modell, das alle Faktoren,<br />

die auf die materielle Lage Älterer <strong>und</strong> ihre <strong>Entwicklung</strong> wirken, umfassend berücksichtigt oder<br />

gar ihr Zusammenwirken erklärt (vgl. Schmähl & Fach<strong>in</strong>ger, 1998, S.95ff). Die Auswirkungen<br />

der Reformen der Alterssicherung s<strong>in</strong>d nur schwer abzuschätzen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e empirische Dauerbeobachtung,<br />

wie sie mit dem Alterssurvey möglich wird, ist daher von außerordentlich großer<br />

Bedeutung. Der angesprochene Status Quo wird vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> zeitweise rückläufiger<br />

Reallöhne, den demografischen Veränderungen, der Situation auf dem Arbeitsmarkt, der damit<br />

e<strong>in</strong>hergehenden Erhöhung der Inaktivenquoten <strong>und</strong> der daraus entstehenden langfristigen Probleme<br />

der Rentenf<strong>in</strong>anzierung von <strong>in</strong>teressierter Seite bereits seit längerem <strong>in</strong>frage gestellt (hierzu<br />

kritisch: Leiser<strong>in</strong>g, 1996; Leiser<strong>in</strong>g, 2002). Trotz der vielfältigen Kritik am gegenwärtigen<br />

Alterssicherungssystem ist jedoch e<strong>in</strong>e trag- <strong>und</strong> vor allem konsensfähige Alternative bislang<br />

nicht <strong>in</strong> Sicht. Auch steht letztlich e<strong>in</strong>e gesellschaftliche Verständigung über deren Sicherungsziel<br />

<strong>und</strong> -niveau bis heute aus (vgl. Leiser<strong>in</strong>g & Motel, 1997). Zu fragen ist, ob <strong>und</strong> <strong>in</strong> welcher<br />

Form sich diese neue strukturelle Unsicherheit <strong>in</strong> den Lebensperspektiven derjenigen Kohorten<br />

niederschlägt, die sich an der Schwelle zum Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand bef<strong>in</strong>den (vgl. hierzu<br />

Kapitel 3).<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der ökonomischen Lagen bestehen zudem weiterh<strong>in</strong> erhebliche Unterschiede zwischen<br />

den alten <strong>und</strong> neuen B<strong>und</strong>esländern (Ebert, 1995; Grabka, 2000; Hanesch, Krause, Bäcker,<br />

& <strong>und</strong> andere, 2000; Schwenk, 1995, S.16ff; Statistisches B<strong>und</strong>esamt, 2002). Zugleich<br />

lassen sich Konvergenztendenzen vor allem <strong>in</strong> den Verteilungen zeigen, weniger jedoch <strong>in</strong> den<br />

Niveaus. Diejenigen älteren Menschen, die sich bereits Ende 1989 im Ruhestand befanden,<br />

werden bis Mitte der 90er-Jahre zumeist als Gew<strong>in</strong>ner der Wiedervere<strong>in</strong>igung beschrieben (vgl.<br />

Hanesch et al. 1994; Bäcker 1995; Müller et al. 1995, S.100; Schwitzer 1995). Die Erwerbskarrieren<br />

dieser Kohorten waren geprägt durch Vollbeschäftigung <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e hohe berufliche Aufwärtsmobilität.<br />

Durch die Überleitung von <strong>in</strong> der DDR erworbenen Rentenansprüchen entstanden<br />

relativ hohe Ansprüche an die b<strong>und</strong>esdeutsche Rentenversicherung. Zudem wurde das Niveau<br />

der ostdeutschen Renten schnell jenem der Renten <strong>in</strong> Westdeutschland angeglichen. Hierbei<br />

handelt es sich aber wohl um Periodeneffekte des Systemübergangs, so dass mehr als fraglich<br />

se<strong>in</strong> dürfte, ob sich die Ruheständler <strong>in</strong> Ostdeutschland auch weiterh<strong>in</strong> als begünstigte<br />

Gruppe werden halten können.<br />

Auch sagen Durchschnittswerte wenig über die Verteilung der E<strong>in</strong>kommen aus – hier ist <strong>in</strong>sbesondere<br />

auch auf die Unterschiede zwischen den Geschlechtern h<strong>in</strong>zuweisen. Zwar lag die Erwerbsbeteiligung<br />

von Frauen <strong>in</strong> allen DDR-Kohorten erheblich über jener der B<strong>und</strong>esrepublik.<br />

Doch wurden die E<strong>in</strong>kommensdifferenzen zwischen den Geschlechtern nicht überw<strong>und</strong>en –<br />

Frauen arbeiteten trotz der Gleichstellungsbemühungen <strong>in</strong> der DDR bevorzugt trotz ähnlichem<br />

formalem Ausbildungsniveau <strong>in</strong> weiblich dom<strong>in</strong>ierten Branchen <strong>und</strong> Berufen mit ger<strong>in</strong>geren<br />

Löhnen. Auch oblag den Frauen <strong>in</strong> der DDR überwiegend alle<strong>in</strong> die Aufgabe der K<strong>in</strong>dererziehung,<br />

was allerd<strong>in</strong>gs durch staatliche <strong>und</strong> betriebliche Regelungen erleichtert wurde. Frauen<br />

waren durch die hohe weibliche Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong> der Lage, eigenständige Rentenansprüche<br />

zu erwerben, was sich <strong>in</strong> höheren Rentenanwartschaften alter Frauen <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

niederschlägt. Dagegen haben die Männer <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>esländern – vor allem aufgr<strong>und</strong><br />

137


138<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

des Fehlens von Betriebsrenten – niedrigere Anwartschaften aus eigener Erwerbstätigkeit als<br />

ihre Altersgenossen <strong>in</strong> den alten Ländern (vgl. Verband Deutscher Rentenversicherungsträger,<br />

1999). Inwieweit sich diese Konstellationen auch für neuere Ruhestandskohorten werden fortschreiben<br />

lassen, ist angesichts der Verschiebungen auf den Arbeitsmärkten <strong>und</strong> <strong>in</strong> den rentenrechtlichen<br />

Regelungen fraglich. Mitte der 90er-Jahre schien absehbar, dass „mit der Anpassung<br />

des Arbeitsmarktes an westdeutsche Strukturen (...) e<strong>in</strong>e Angleichung an westdeutsche geschlechtsspezifische<br />

Disparitäten erfolgen wird“ (Hanesch et al., 1994, S. 107). Es ist zu prüfen,<br />

ob sich dieses 2002 bereits abzuzeichnen beg<strong>in</strong>nt.<br />

Was die zukünftige <strong>Entwicklung</strong> betrifft, ist auch daran zu er<strong>in</strong>nern, dass die durchschnittlichen<br />

Erwerbse<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>esländern seit der Vere<strong>in</strong>igung deutlich unter den Niveaus<br />

der alten Länder liegen. Zugleich ist der Anteil erwerbsloser Männer <strong>und</strong> Frauen langfristig<br />

deutlich höher. Dieses wird dauerhaft negative Auswirkungen auf die <strong>Entwicklung</strong> der Niveaus<br />

der Altersrenten haben. Auch kann mit Blick auf den unteren Rand der Alterse<strong>in</strong>kommensverteilung<br />

davon ausgegangen werden, dass das Phänomen ger<strong>in</strong>ger Altersarmut <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

nur befristeter Natur ist, denn der Wegfall von Übergangsregelungen wie dem Sozialzuschlag<br />

<strong>und</strong> dem Auffüllbetrag Mitte der 90er Jahre wird wahrsche<strong>in</strong>lich sukzessive zu<br />

e<strong>in</strong>er weiteren Ausdifferenzierung der E<strong>in</strong>kommensverteilung an ihrem unteren Rand <strong>und</strong> damit<br />

zu e<strong>in</strong>er Zunahme des Sozialhilfebezuges <strong>und</strong> des Anteils von Beziehern von relativen Niedrige<strong>in</strong>kommen<br />

führen müssen. Dies sollte sich <strong>in</strong> der zweiten Welle des Alterssurveys bereits<br />

messbar manifestieren. Es ist auch e<strong>in</strong>e offene Frage, <strong>in</strong> welcher Weise sich die bereits heute<br />

antizipierbaren <strong>Entwicklung</strong>en <strong>in</strong> den Perspektiven älterer Menschen <strong>in</strong> Ostdeutschland niederschlagen.<br />

Neben dem E<strong>in</strong>kommen ist das Geldvermögen der privaten Haushalte <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Verteilung e<strong>in</strong><br />

wichtiger Indikator der materiellen Lage. Das Vermögen stellt neben dem E<strong>in</strong>kommen aus Renten-<br />

<strong>und</strong> Pensionsansprüchen e<strong>in</strong>e zweite mögliche f<strong>in</strong>anzielle Ressource im Alter dar. Vermögen<br />

<strong>und</strong> Vermögense<strong>in</strong>kommen s<strong>in</strong>d aber deutlich ungleicher verteilt als die E<strong>in</strong>kommen aus<br />

Erwerbsarbeit sowie die E<strong>in</strong>kommen aus öffentlichen Alterssicherungssystemen (vgl. z.B. Hauser<br />

& Becker, 2003, S. 83ff; e<strong>in</strong>e Ausnahme machen hier sicher die E<strong>in</strong>künfte aus selbständiger<br />

Tätigkeit, die <strong>in</strong> ähnlicher Weise ungleich verteilt s<strong>in</strong>d wie Vermögense<strong>in</strong>kommen). Der Analyse<br />

des Vermögens kommt im H<strong>in</strong>blick auf die Lebenslagen älterer Menschen <strong>in</strong> der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

<strong>in</strong> mehrfacher H<strong>in</strong>sicht Bedeutung zu: So ist das Vermögen <strong>in</strong> Längsschnittperspektive<br />

jenseits der Querschnittserhebung des Sparverhaltens <strong>und</strong> der Höhe der Netto-Sparquoten e<strong>in</strong>e<br />

notwendige Analysedimension des Sparens als e<strong>in</strong>e Strategie privater Alterssicherung. Der<br />

Vermögensbesitz kann dabei <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Zusammenhang mit <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n E<strong>in</strong>schätzungen zum<br />

Sozialstaat <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Leistungsfähigkeit sowie der Erwartungen künftiger <strong>Entwicklung</strong>en des<br />

Lebensstandards gestellt werden. So dürften <strong>in</strong>sbesondere E<strong>in</strong>schätzungen der Leistungsfähigkeit<br />

des Sozialversicherungssystems entscheidenden E<strong>in</strong>fluss auf Entscheidungen zur privaten<br />

Vorsorge haben. Die Handlungsrelevanz dieser E<strong>in</strong>schätzung dürfte aber <strong>in</strong> erheblichem Maße<br />

an das Vorhandense<strong>in</strong> ausreichender Ressourcen geb<strong>und</strong>en se<strong>in</strong>. Darüber h<strong>in</strong>aus steht die Vermögensbildung<br />

<strong>in</strong> Konkurrenz zu f<strong>in</strong>anziellen Transfers an K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Enkel, wobei gleichzeitig<br />

die Existenz e<strong>in</strong>es gewissen Vermögens e<strong>in</strong>e Voraussetzung dieser Transfers ist, da Leistungen<br />

an die K<strong>in</strong>der häufig aus diesem Ressourcenpool getätigt werden.


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

H<strong>in</strong>sichtlich des <strong>in</strong>tergenerationalen Transfergeschehens konnten die Analysen des Alterssurveys<br />

bisher e<strong>in</strong>drucksvoll die Reichhaltigkeit des Austauschs von Leistungen <strong>in</strong>nerhalb der Familien<br />

belegen. Sie verlaufen gemäß e<strong>in</strong>es unvollständigen Kaskadenmodells, <strong>in</strong> dem die<br />

Haupttransfers von Eltern an ihre K<strong>in</strong>der fließen. Daneben f<strong>in</strong>den sich aber auch Leistungen<br />

über zwei Generationen von Großeltern an ihre Enkel sowie – <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gem Ausmaß – auch<br />

Rücktransfers von Geld- <strong>und</strong> Sachwerten. Künem<strong>und</strong>, Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, & Kohli, (2003) konnten<br />

<strong>in</strong>zwischen zeigen, dass sich Transfers von Geld- <strong>und</strong> Sachwerten, je nachdem, ob sie als<br />

kle<strong>in</strong>ere Transfers, große e<strong>in</strong>malige Leistungen <strong>und</strong> Schenkungen oder als Erbschaften fließen,<br />

ganz unterschiedlich auf die Strukturen sozialer Ungleichheit auswirken mögen. Während kle<strong>in</strong>ere<br />

Transfers trotz ihres hohen Gesamtumfangs kaum Wirkungen auf die Ungleichverteilung<br />

zu haben sche<strong>in</strong>en – bestenfalls wirken sie leicht nivellierend, wenn vor allem K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> spezifischen<br />

Bedarfslagen unterstützt werden – so gehen die größeren Leistungen <strong>und</strong> vor allem die<br />

Erbschaften vorrangig an die K<strong>in</strong>der wohlhabender Eltern, ohne dass sich e<strong>in</strong>e spezifische Bedarfsorientierung<br />

nachweisen lässt, was die Ungleichverteilung von Ressourcen <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dergeneration<br />

verstärken sollte. In jedem Falle steht die Transfervergabe unter dem E<strong>in</strong>fluss der<br />

Verfügbarkeit von Ressourcen auf Seiten der Geber – wohlhabende Eltern geben nicht nur<br />

mehr, sondern auch mit größerer Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit Ressourcen an ihre K<strong>in</strong>der weiter. Bef<strong>in</strong>det<br />

sich die Ressourcenausstattung im <strong>Wandel</strong>, so kann von e<strong>in</strong>er negativen Rückwirkung auf<br />

Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit <strong>und</strong> Umfang der Transfers an erwachsene K<strong>in</strong>der ausgegangen werden (vgl.<br />

Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, 2000). Absolut oder auch relativ s<strong>in</strong>kende Alterse<strong>in</strong>kommen könnten zu e<strong>in</strong>er<br />

Abnahme von Transfers von alten Eltern an ihre erwachsenen K<strong>in</strong>der führen, während h<strong>in</strong>gegen<br />

sogar e<strong>in</strong>e Zunahme der Rücktransfers denkbar wäre. E<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Schwächung der <strong>in</strong>tergenerationalen<br />

B<strong>in</strong>dungen könnte zu Abnahmen der Transfers <strong>in</strong> beiden Richtungen beitragen. Es<br />

ist daher zu untersuchen, wie sich das private Transfergeschehen über die Zeit entwickelt.<br />

4.4 Datenerhebung <strong>und</strong> Konzepte<br />

Vor der Präsentation von Analysen ist es notwendig, e<strong>in</strong>ige der zentralen Konzepte der Erhebung<br />

genauer zu beschreiben. Dem soll im Folgenden nachgekommen werden. Im Rahmen der<br />

folgenden Analysen werden Angaben aus den mündlichen <strong>und</strong> schriftlichen, standardisierten<br />

Befragungen des Alterssurvey <strong>in</strong> den Jahren 1996 <strong>und</strong> 2002 verwendet. Gr<strong>und</strong>sätzlich zu unterscheiden<br />

s<strong>in</strong>d Analysen im Querschnittsvergleich <strong>und</strong> Längsschnittanalysen. Querschnittsanalysen<br />

beziehen sich auf die unabhängigen, repräsentativen, geschichteten Stichproben der 40- bis<br />

85-jährigen Wohnbevölkerung <strong>in</strong> privaten Haushalten mit deutscher Staatsbürgerschaft der beiden<br />

Wellen des Alterssurveys – die Basisstichprobe <strong>und</strong> die Replikationsstichprobe (vgl. Kapitel<br />

2). Deskriptive Aussagen auf dieser Gr<strong>und</strong>lage s<strong>in</strong>d auf die entsprechende Population übertragbar,<br />

wenn die Daten entsprechend der disproportionalen Stratifizierung gewichtet werden.<br />

Die Längsschnittanalysen beziehen sich auf e<strong>in</strong> gewichtetes Sample derjenigen Personen der<br />

Geburtsjahrgänge 1911 bis 1956, die zu beiden Erhebungszeitpunkten 1996 <strong>und</strong> 2002 befragt<br />

wurden – die Panelstichprobe. Ziel ist es hier, längsschnittlich dynamische Prozesse über den<br />

Lebenslauf <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte zu untersuchen – als Beispiel s<strong>in</strong>d hier E<strong>in</strong>kommensdynamiken<br />

zu nennen.<br />

139


140<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Analysen der Stichprobenselektivitäten zwischen den jeweiligen Stichproben <strong>und</strong> den Samples<br />

der mündlichen <strong>und</strong> schriftlichen Befragung (vgl. Kapitel 2) sowie die Überprüfungen der Itemselektivität<br />

der E<strong>in</strong>kommenserhebung ergeben nur wenige <strong>und</strong> schwache Effekte – <strong>in</strong>sbesondere<br />

im H<strong>in</strong>blick auf die Bildung <strong>und</strong> die subjektive Ges<strong>und</strong>heit der Befragten. Die vorgef<strong>und</strong>enen<br />

Effekte entsprechen weitgehend jenen der Selektivitätsanalysen vergleichbarer Studien wie z.B.<br />

der Berl<strong>in</strong>er Altersstudie (vgl. hierzu L<strong>in</strong>denberger, Gilberg, Pötter, Little, & Baltes, 1996) oder<br />

auch OASIS (Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, Tesch-Roemer, & von Kondratowitz, 2003) <strong>und</strong> deuten nicht<br />

auf spezielle Befragungsprobleme im Alterssurvey h<strong>in</strong>.<br />

4.4.1 E<strong>in</strong>kommenserhebung<br />

In den beiden standardisierten Befragungsteilen des Alterssurveys – dem mündlichen Interview<br />

der schriftlichen Erhebung – wurde das Haushaltse<strong>in</strong>kommen der Befragten erhoben. In der<br />

mündlichen Befragung wurde zur Abfrage des E<strong>in</strong>kommens e<strong>in</strong>e Standardformulierung verwendet,<br />

wie sie im Rahmen der Empfehlung des Arbeitskreises Deutscher Marktforschungs<strong>in</strong>stitute,<br />

der Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft Sozialwissenschaftlicher Institute <strong>und</strong> des Statistischen B<strong>und</strong>esamtes<br />

erarbeitet wurde (Statistisches B<strong>und</strong>esamt, 1993, 1999). In der schriftlichen Erhebung<br />

wurde h<strong>in</strong>gegen darauf abgezielt, auch die Zusammensetzung des Haushaltse<strong>in</strong>kommens zu<br />

erfragen. Hier wurde daher e<strong>in</strong>e Detailabfrage aller Komponenten des Haushaltse<strong>in</strong>kommens<br />

unternommen. Zusätzlich wurden für die E<strong>in</strong>kommen des Befragten <strong>und</strong> ggf. se<strong>in</strong>es Partners<br />

sowie für E<strong>in</strong>kommen, die ausschließlich auf Haushaltsebene erfragt werden können, wie Leistungen<br />

nach dem B<strong>und</strong>essozialhilfegesetz, auch die Beträge dieser Komponenten erfasst. Die<br />

Reliabilität der Abfrage erweist sich als hoch: Die Test-Retest-Korrelation beider Abfragen des<br />

Haushaltse<strong>in</strong>kommens liegt zu beiden Messzeitpunkten trotz der methodischen Differenzen <strong>in</strong><br />

der Abfrage mit r1996=0,92 (p


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Intervalls <strong>in</strong> die Berechnungen e<strong>in</strong>. Sie be<strong>in</strong>halten somit e<strong>in</strong>en gewissen Messfehler im S<strong>in</strong>ne<br />

e<strong>in</strong>er systematischen Verr<strong>in</strong>gerung der Varianz der Angaben. Jedoch ermöglicht dieses Vorgehen<br />

e<strong>in</strong>e erhebliche Senkung des Anteils fehlender Werte. Die so erstellte E<strong>in</strong>kommensvariable<br />

hat e<strong>in</strong>en Anteil fehlender Werte von weniger als zwölf Prozent (1996) bzw. zehn Prozent<br />

(2002) (vgl. Motel, 2000).<br />

Das Geldvermögen wurde, wie auch die Verschuldung, im schriftlichen Teil der Erhebung erfragt.<br />

In beiden Fällen wurde – wie schon bei der Erhebung des E<strong>in</strong>kommens <strong>in</strong> der mündlichen<br />

Befragung – auf e<strong>in</strong>e kategoriale Abfrage zurückgegriffen. Der Anteil fehlender Werte ist jeweils<br />

sehr ger<strong>in</strong>g <strong>und</strong> liegt bei zehn Prozent für die Vermögensabfrage <strong>und</strong> vier Prozent bei der<br />

Frage nach Verschuldung. Ähnliches gilt für den Immobilienbesitz, der ebenfalls im schriftlichen<br />

Erhebungsteil erfragt wurde. Bei weniger als e<strong>in</strong>em Prozent der Fälle fehlt die Antwort auf<br />

die Frage, ob sie solche Liegenschaften besitzen oder nicht. In e<strong>in</strong>em zweiten Schritt wurden<br />

auch die verschiedenen Formen von Immobilien wie Wohnungen, E<strong>in</strong>- oder Zweifamilienhäuser,<br />

Mehrfamilienhäuser, Ferienhäuser/-wohnungen <strong>und</strong> sonstige Gr<strong>und</strong>stücke erhoben. Auch<br />

hier liegt der Anteil fehlender Werte mit knapp vier Prozent sehr niedrig. Die subjektiven Bewertungen<br />

des Lebensstandards, se<strong>in</strong>er vergangenen <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er künftigen <strong>Entwicklung</strong> erfolgten<br />

analog der Erhebung der Bewertungen <strong>in</strong> anderen Schwerpunktbereichen des Alterssurveys.<br />

4.4.2 E<strong>in</strong>kommenskonzept<br />

Wird vor allem e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schätzung der wirtschaftlichen Lage der Betroffenen, d.h. ihrer relativen<br />

Wohlstandsposition, angestrebt, so ist das Äquivalenze<strong>in</strong>kommen das am häufigsten verwendete<br />

E<strong>in</strong>kommenskonzept. Ihm liegt die Idee zugr<strong>und</strong>e, dass „aussagekräftige Wohlstandsuntersuchungen<br />

(...) die Normierung der realiter vorf<strong>in</strong>dbaren, unterschiedlichen Haushaltsstrukturen“<br />

(Faik, 1995, S. 28; auch Faik, 1997) erfordern. Diese Normierung erfolgt über e<strong>in</strong>e differenzierte<br />

Gewichtung der Bedarfe unterschiedlicher Haushaltstypen, die zum e<strong>in</strong>en auf der Summe der<br />

von allen Mitgliedern e<strong>in</strong>es Haushaltes erzielten persönlichen Nettoe<strong>in</strong>kommen, zum anderen<br />

auf der Größe des Haushalts <strong>und</strong> zumeist auch auf der Altersstruktur se<strong>in</strong>er Mitglieder basiert.<br />

Verbrauchsorientiert berechnete Skalen, die im europäischen Raum aber bisher nur sehr selten<br />

verwendet werden, berücksichtigen darüber h<strong>in</strong>aus oft auch zusätzlich das Geschlecht, den Familienstand<br />

<strong>und</strong> den Erwerbsstatus der Haushaltsmitglieder. Das so berechnete Äquivalenze<strong>in</strong>kommen<br />

ist für die Ermittlung von Wohlfahrtspositionen aussagekräftiger als das von e<strong>in</strong>er<br />

Person, beispielsweise durch eigene Erwerbstätigkeit oder aufgr<strong>und</strong> von Renten- bzw. Pensionsansprüchen<br />

erzielte, persönliche E<strong>in</strong>kommen. Aufgr<strong>und</strong> der Integration der allgeme<strong>in</strong> angenommenen<br />

Kostendegression <strong>in</strong> größeren Haushalten ist diese Größe auch der e<strong>in</strong>fachen Summierung<br />

der persönlichen E<strong>in</strong>kommen zum Haushaltse<strong>in</strong>kommen überlegen (B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium<br />

für Arbeit <strong>und</strong> Sozialordnung, 1999; Danziger & Taussig, 1979). Der Berechnung des Äquivalenze<strong>in</strong>kommens<br />

liegt die Erhebung des Haushaltsnettoe<strong>in</strong>kommens sowie der Haushaltszusammensetzung<br />

als Basis der Kalkulation der Bedarfsgewichte zugr<strong>und</strong>e.<br />

Zur Normierung der Haushaltsstrukturen wird dabei jeweils e<strong>in</strong> Faktor der Bedarfsgewichtung<br />

e<strong>in</strong>geführt. Die Gesamtheit der jeweils verwendeten Gewichtungsfaktoren wird als „Äquivalenzskala“<br />

bezeichnet. Die Auswahl der verwendeten Skala ist nicht unproblematisch, denn sie<br />

141


142<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

bee<strong>in</strong>flusst die berechnete sozialstrukturelle Verteilung der Wohlfahrtspositionen (vgl. Aaberge<br />

& I., 1998; Buhmann, Ra<strong>in</strong>water, Schmaus, & Smeed<strong>in</strong>g, 1988; Citro & Michael, 1995; Coulter,<br />

Cowell, & Jenk<strong>in</strong>s, 1992; Faik, 1995; Faik, 1997; Piachaud, 1992; Schwarze, 2000). Unter<br />

den verschiedenen, <strong>in</strong> der Literatur beschriebenen Skalen ist ganz allgeme<strong>in</strong> zwischen E<strong>in</strong>- <strong>und</strong><br />

Zwei-Parameter-Äquivalenzskalen zu unterscheiden. Erstere berücksichtigen üblicherweise<br />

ausschließlich die Zahl der Haushaltsmitglieder zur Bedarfsgewichtung, während die letzteren<br />

meistens zusätzlich das Lebensalter der Haushaltsmitglieder, zum<strong>in</strong>dest aber die Frage, ob es<br />

sich bei den Personen im Haushalt um K<strong>in</strong>der oder um erwachsene Personen handelt - was die<br />

Präzision des Verfahrens erhöht (vgl. Fig<strong>in</strong>i, 1998).<br />

Trotz der ausführlichen Diskussionen über dieses Problem weichen die häufig verwendeten<br />

Äquivalenzskalen stark vone<strong>in</strong>ander ab – <strong>und</strong> zwar <strong>in</strong> Abhängigkeit davon, nach welchen Kriterien<br />

die jeweiligen Gewichtungen vorgenommen werden (Atk<strong>in</strong>son, 1983; Citro & Michael,<br />

1995; Fig<strong>in</strong>i, 1998). Institutionelle Skalen s<strong>in</strong>d durch e<strong>in</strong>e Reihe von Problemen gekennzeichnet.<br />

Sie s<strong>in</strong>d kaum empirisch-statistisch f<strong>und</strong>iert <strong>und</strong> <strong>in</strong> ihrer Aussagekraft auf bestimmte, eher<br />

niedrige Wohlfahrtsbereiche beschränkt. Trotzdem werden sie <strong>in</strong> der empirischen Forschung<br />

häufig verwendet (Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, 2000, S. 124ff). Denn ihre Alternative – empirisch begründete,<br />

„verbrauchsorientierte“ Skalen – s<strong>in</strong>d von Mängeln geprägt. So s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbesondere die<br />

Wirkungen faktisch stets vorhandener Budgetbeschränkungen auf die jeweiligen Ausgabenstrukturen<br />

ungeklärt. Es ist offen <strong>in</strong>wieweit <strong>und</strong> <strong>in</strong> welcher Form nicht lediglich Konsumpräferenzen<br />

sondern auch die beschränkte Verfügbarkeit von Ressourcen auf die empirisch vorgef<strong>und</strong>enen<br />

Ausgabenstrukturen der Haushalte wirken, aus denen die Verbrauchsskalen abgeleitet<br />

werden. Sie werden daher hier zugunsten der Berücksichtigung gängiger Expertenskalen nicht<br />

detailliert diskutiert <strong>und</strong> auch im Rahmen der empirischen Analysen <strong>in</strong> diesem Kapitel nicht<br />

angewendet.<br />

Aus der Menge gängig verwendeter Expertenskalen s<strong>in</strong>d jene der OECD hervorzuheben (Piachaud,<br />

1992). Die sogenannte alte OECD-Skala bestimmt den Bedarf weiterer erwachsener<br />

Personen im Haushalt mit dem Faktor 0,7 <strong>und</strong> den Bedarf von K<strong>in</strong>dern mit dem Wert 0,5. Der<br />

Haushaltsvorstand geht auch hier mit dem Wert 1 e<strong>in</strong>. Die neue Variante der OECD-Skala postuliert<br />

dagegen stärkere Ersparnisse durch die geme<strong>in</strong>same Haushaltsführung <strong>und</strong> weist den<br />

weiteren Erwachsenen den Faktor 0,5 <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong> Bedarfsgewicht von 0,3 zu. Ähnlich<br />

starke Effizienzgew<strong>in</strong>ne nimmt beispielsweise auch die Expertenskala an, die den spezifischen<br />

Bedarf e<strong>in</strong>es Haushaltes mit der Quadratwurzel der Zahl der Haushaltsmitglieder bestimmt.<br />

Hierbei handelt es sich um e<strong>in</strong>e vere<strong>in</strong>fachte Skala, die wohl auch aufgr<strong>und</strong> ihrer E<strong>in</strong>fachheit<br />

e<strong>in</strong>ige Beachtung <strong>in</strong> neueren Analysen f<strong>in</strong>det. Hier werden Bedarfsgewichte bestimmt, ohne das<br />

Alter der Personen zu berücksichtigen – es handelt sich also um e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>faktorielle Skala. Der<br />

Bedarf des Haushaltsvorstands (d.h. der ersten Person im Haushalt) ist demnach 1, während für<br />

das zweite Haushaltsmitglied e<strong>in</strong> Wert von ca. 0,41, für das dritte von 0,32 angenommen wird<br />

usw. Im Unterschied zu den OECD-Skalen nimmt diese Skala e<strong>in</strong>e fortschreitende Degression<br />

des relativen Bedarfs bei weiter wachsenden Haushalten an. Beispielsweise Citro <strong>und</strong> Michael<br />

<strong>in</strong>tegrieren diese Vorgehensweise beider Ansätze <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiteren Skalenentwurf (Citro &<br />

Michael, 1995). Dieser differenziert e<strong>in</strong>erseits nach Alter der Haushaltsmitglieder <strong>und</strong> führt<br />

andererseits <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Exponentialkonstruktion e<strong>in</strong>e Kostendegression nach Haushaltsgröße auch<br />

jenseits der Schwelle zwischen E<strong>in</strong>- <strong>und</strong> Mehrpersonenhaushalten e<strong>in</strong>. Da diese Skala allerd<strong>in</strong>gs


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

bisher <strong>in</strong> Deutschland nur selten Verwendung f<strong>in</strong>det, wird sie <strong>in</strong> den Analysen das Alterssurveys<br />

nicht zur Anwendung gebracht. Die bis h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> die späten 90er-Jahre <strong>in</strong> deutschen empirischen<br />

Studien der vergangenen beiden Jahrzehnte häufig verwendete Skala, die auf dem B<strong>und</strong>essozialhilfegesetz<br />

aufsetzt (vgl. Motel & Wagner, 1993, S. 436 ff, <strong>in</strong>sbesondere Tabelle 1)<br />

verliert seit e<strong>in</strong>igen Jahren erheblich an Bedeutung, so dass sie für die Analysen im Alterssurvey<br />

ebenfalls nicht (mehr) <strong>in</strong>frage kommen kann. 12 Für e<strong>in</strong>e Auswahl des Berechnungsverfahrens<br />

des Äquivalenze<strong>in</strong>kommens gibt es ke<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>en wissenschaftlichen oder gar politischen<br />

Vorgaben. Die unterschiedlichen Vorgehensweisen stellen letztlich e<strong>in</strong>e Konvention dar – mit<br />

zum Teil erheblichen Konsequenzen für die Durchschnittse<strong>in</strong>kommen verschiedener Haushaltstypen.<br />

Für die Berechnung der Äquivalenze<strong>in</strong>kommen werden im Folgenden gr<strong>und</strong>sätzlich die Äquivalenzgewichte<br />

gemäß der neuen OECD-Skala verwendet. Andere Skalen werden nur zur Überprüfung<br />

der Effekte verschiedener Berechnungsmodi verwendet. Diese Entscheidung erfolgt<br />

<strong>in</strong> Anlehnung an die derzeitigen Trends der E<strong>in</strong>kommens-, Armuts- <strong>und</strong> Reichtumsanalyse. Sie<br />

nimmt letztlich e<strong>in</strong>e Inkonsistenz zu den Analysen der ersten Welle <strong>in</strong> Kauf, die ganz überwiegend<br />

die BSHG-Skala herangezogen haben. Allerd<strong>in</strong>gs wurden bereits damals die OECD-<br />

Skalen für Vergleichsberechnungen von Mittelwerten, Quoten <strong>und</strong> Verteilungen herangezogen<br />

<strong>und</strong> die Werte auch für 1996 <strong>in</strong> diesem Beitrag gemäß der aktuell verwendeten Skala neu berechnet,<br />

so dass Vergleiche s<strong>in</strong>nvoll möglich s<strong>in</strong>d.<br />

4.4.3 Konzeption <strong>und</strong> Messung von Armut <strong>und</strong> Wohlstand<br />

So allgeme<strong>in</strong> Armut als gesellschaftlicher Missstand anerkannt wird, so problematisch s<strong>in</strong>d ihre<br />

konzeptionelle Abgrenzung <strong>und</strong> ihre empirische Bestimmung (vgl. Motel, 2000). Schon 1988<br />

unterscheiden Hagenaars <strong>und</strong> de Vos Def<strong>in</strong>itionen objektiver absoluter Armut, objektiver relativer<br />

Armut <strong>und</strong> subjektiver Armut <strong>und</strong> berechnen anhand e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zigen Datensatzes unter Verwendung<br />

verschiedener Armutsmaße Quoten von 5,7 Prozent bis zu 33,5 Prozent. E<strong>in</strong>e theoretisch<br />

begründete Def<strong>in</strong>ition ist daher unabd<strong>in</strong>gbare Voraussetzung von empirischen Analysen<br />

<strong>und</strong> ihrer Interpretation. E<strong>in</strong>e solche Armutsdef<strong>in</strong>ition hat zum<strong>in</strong>dest drei Aspekte zu berücksichtigen:<br />

Das Problem der Ressourcen bzw. des Ressourcenmangels, jenes des (relativen) Bedarfs<br />

<strong>und</strong> schließlich, dass Armut ke<strong>in</strong>eswegs als bloßes Problem physischer Existenz gedacht<br />

werden kann, sondern sozialwissenschaftlich immer auch die Relativität der Armutslage sowie<br />

der Aspekt der sozialen Deprivation zu berücksichtigen ist. Direkte Armutsdef<strong>in</strong>itionen heben<br />

auf Outcomes des Handelns von Personen mit ihnen zugänglichen Ressourcen ab <strong>und</strong> haben die<br />

Seite der Ressourcenverwendung im Blick (Sen, 1983; Sen, 1987). Indirekte Def<strong>in</strong>itionen zielen<br />

12 Sie gewichtet den f<strong>in</strong>anziellen Bedarf der Haushaltsmitglieder gemäß ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Altersgruppen<br />

<strong>in</strong> Anlehnung an jene Skala, die implizit <strong>in</strong> den Regelsätzen nach §22 B<strong>und</strong>essozialhilfegesetz enthalten<br />

ist. Die Skala gibt dem Haushaltsvorstand e<strong>in</strong> Gewicht von 1, zusätzlichen Erwachsenen e<strong>in</strong> Gewicht von 0,8 sowie<br />

K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Jugendlichen je nach Alter Gewichte zwischen 0,5 <strong>und</strong> 0,9 (bis 1990 zwischen 0,45 bis 0,9 bei<br />

ger<strong>in</strong>gfügig abweichender Altersgruppierung). Zuletzt f<strong>in</strong>den sich Bestrebungen zur <strong>Entwicklung</strong> e<strong>in</strong>er modifizierten<br />

Sozialhilfeskala, die die Wohnkostendegression stärker e<strong>in</strong>bezieht (Faik, 1997). Sie unterscheidet sich graduell<br />

durch etwas ger<strong>in</strong>gere Personengewichte von der ursprünglichen Sozialhilfeskala.<br />

143


144<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

dagegen auf die verfügbaren Ressourcen e<strong>in</strong>er Person ab (vgl. Andreß et al., 1996; B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium<br />

für Arbeit <strong>und</strong> Sozialordnung, 1999). Die direkte Bestimmung verzichtet dabei auf die<br />

Annahme allgeme<strong>in</strong> verb<strong>in</strong>dlicher Präferenzen, die der Ressourcenverwendung zugr<strong>und</strong>eliegen,<br />

eröffnet aber mit der Diskussion über die Struktur der Präferenzen, ihre Entstehung <strong>und</strong> Bestimmung<br />

e<strong>in</strong> neues Problemfeld. Zudem ist auch die Annahme e<strong>in</strong>es allgeme<strong>in</strong>verb<strong>in</strong>dlichen<br />

Lebensstandards problematisch. Für die empirische Analyse s<strong>in</strong>d also stets voraussetzungsvolle<br />

Annahmen vonnöten. Zwar ist der den Armutsdef<strong>in</strong>itionen zugr<strong>und</strong>e liegende Ressourcenbegriff<br />

nur bed<strong>in</strong>gt auf das E<strong>in</strong>kommen zu beschränken, doch gilt, dass den materiellen Gr<strong>und</strong>lagen<br />

<strong>und</strong> hier vor allem der E<strong>in</strong>kommenslage e<strong>in</strong>e im Vergleich mit anderen Lebenslagen zentrale<br />

Bedeutung zukommt (Backes & Clemens, 1998, S. 10). Zudem ist das E<strong>in</strong>kommen der zentrale<br />

Ansatzpunkt sozialstaatlicher Intervention <strong>in</strong> Deutschland. Dies gilt <strong>in</strong>sbesondere für die Alterssicherung.<br />

Der Begriff der Armut wird daher im Folgenden auf den Aspekt der ressourcenbezogenen<br />

Armut beschränkt.<br />

In der neueren deutschen Armutsforschung s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbesondere zwei Operationalisierungen von<br />

Armut verbreitet: Die Konzepte von Sozialhilfe <strong>und</strong> relativer E<strong>in</strong>kommensarmut. Die Bestimmung<br />

von Armut aufgr<strong>und</strong> des Erhalts von Sozialhilfeleistungen schließt an Subsistenzkonzepte<br />

an, die um die Bed<strong>in</strong>gungen der soziokulturellen Existenz erweitert werden. So def<strong>in</strong>ierte Armut<br />

ist auf den im B<strong>und</strong>essozialhilfegesetz (BSHG) bestimmten Bereich staatlicher Unterstützungsleistungen<br />

beschränkt. 13 Zum Empfang von „Hilfen zum Lebensunterhalt“ oder von „Hilfen<br />

<strong>in</strong> besonderen Lebenslagen“ berechtigte Personen werden so als arm bezeichnet. Oftmals<br />

wird trotz der dah<strong>in</strong>ter stehenden Dunkelziffern, also der unbekannten Verbreitung verdeckter<br />

Armut (s.u.), alle<strong>in</strong> schon die Sozialhilfequote als Armutsmaß verwendet. Im S<strong>in</strong>ne des BSHG<br />

gelten die Empfänger dieser staatlichen Transferleistungen allerd<strong>in</strong>gs nicht als arm, da hier Armut<br />

bereits erfolgreich durch die Leistungsbewilligung „bekämpft“ wird. Armut besteht dann<br />

nur für jenen Bevölkerungsteil, der im S<strong>in</strong>ne des B<strong>und</strong>essozialhilfegesetzes anspruchsberechtigt<br />

ist, diese Leistungen aber nicht <strong>in</strong> Anspruch nimmt. Bei Verwendung des Sozialhilfebezugs wie<br />

auch der Sozialhilfebedürftigkeit als Armuts<strong>in</strong>dikator begibt sich die Untersuchung <strong>in</strong> die Abhängigkeit<br />

von politischer Def<strong>in</strong>itionsmacht. E<strong>in</strong> politisch motiviertes Absenken des Anspruchsniveaus<br />

für Sozialhilfeleistungen führt paradoxerweise zu e<strong>in</strong>er Verr<strong>in</strong>gerung von so<br />

def<strong>in</strong>ierter Armut.<br />

Mit der Def<strong>in</strong>ition von Armut als Sozialhilfebezug konkurriert das Konzept der „relativen E<strong>in</strong>kommensarmut“,<br />

das sich am gesellschaftlichen Durchschnittse<strong>in</strong>kommen orientiert. Es geht<br />

hierbei um e<strong>in</strong>e Skala relativer Wohlfahrtslagen, wie sie mit Hilfe e<strong>in</strong>es Äquivalenze<strong>in</strong>kommens<br />

berechnet werden kann (s.o.) <strong>und</strong> deren untere Positionen als Lagen relativer E<strong>in</strong>kommensarmut<br />

zu def<strong>in</strong>ieren s<strong>in</strong>d (vgl. Piachaud, 1992). E<strong>in</strong>e Person wird dann als arm angesehen, sofern ihr –<br />

im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt – der Zugriff auf materielle Ressourcen (E<strong>in</strong>kommen)<br />

<strong>in</strong> erheblicher Weise verschlossen bleibt. Die so bestimmten Armutsgrenzen s<strong>in</strong>d proble-<br />

13 Es handelt es sich hier nicht um e<strong>in</strong> Konzept, das Armut an e<strong>in</strong>em absoluten physischen Existenzm<strong>in</strong>imum verankert.<br />

Die Sozialhilfegesetzgebung berücksichtigt auch die Dimension e<strong>in</strong>er angemessenen Teilhabe am gesellschaftlichen<br />

Leben. Es ist aber <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne absolut, dass diese Def<strong>in</strong>ition nicht direkt auf das Wohlstandsniveau<br />

der Gesellschaftsmitglieder im allgeme<strong>in</strong>en Bezug nimmt, sondern die Armutsgrenze als Setzung e<strong>in</strong>es absoluten<br />

Bedarfs von Individuen bestimmt wird.


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

matisch – wie letztlich alle normativen Setzungen von Expertenstandards (Statistisches B<strong>und</strong>esamt,<br />

2002).<br />

Armut wird im Folgenden durchgängig als relative E<strong>in</strong>kommensarmut def<strong>in</strong>iert. Sofern nichts<br />

anderes angegeben wird, bezieht sich der Begriff auf e<strong>in</strong> auf Gr<strong>und</strong>lage der neuen OECD-Skala<br />

berechnetes Äquivalenze<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong> Höhe von bis zu 50 Prozent des arithmetischen Mittelwertes<br />

des E<strong>in</strong>kommens <strong>in</strong> der gesamten B<strong>und</strong>esrepublik. E<strong>in</strong>e Berechnung unterschiedlicher<br />

Durchschnittse<strong>in</strong>kommen für Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland <strong>und</strong> damit die Verwendung unterschiedlicher<br />

Armutsgrenzen für beide Landesteile wird verworfen. Dieses Vorgehen wurde<br />

aufgr<strong>und</strong> der weit vorangeschrittenen Integration <strong>und</strong> der Angleichung der Strukturen <strong>in</strong> den<br />

Lebenshaltungsaufwendungen, durch die e<strong>in</strong>e Verwendung unterschiedlicher Referenzpunkte<br />

zur relationalen Bewertung von E<strong>in</strong>kommenslagen nicht geboten ersche<strong>in</strong>t, bereits für die Analysen<br />

der ersten Welle des Alterssurveys im Jahre 1996 gewählt. Seitdem ist die Angleichung<br />

<strong>und</strong> Integration weiter vorangeschritten, so dass ke<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong> zur Revision der vormaligen Entscheidungen<br />

besteht. Dies entspricht dem derzeitigen Standard (Statistisches B<strong>und</strong>esamt, 2002).<br />

Die e<strong>in</strong>kommensbasierte Messung von relativem Wohlstand oder Reichtum im Alter schließt<br />

sich an die Def<strong>in</strong>ition relativer E<strong>in</strong>kommensarmut an. Oftmals wird Wohlstand als Bezug e<strong>in</strong>es<br />

E<strong>in</strong>kommens <strong>in</strong> Höhe von 200 Prozent oder mehr des gesellschaftlichen Durchschnittse<strong>in</strong>kommens<br />

bestimmt (vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, 1990; Huster & Eissel, 2001),<br />

sofern Reichtum auf Gr<strong>und</strong>lage der E<strong>in</strong>kommenslage gemessen wird. Bei der Bewertung dieser<br />

Grenze ist aus gerontologischer <strong>und</strong> sozialpolitischer Perspektive allerd<strong>in</strong>gs zu beachten, dass<br />

e<strong>in</strong> so bestimmter Geldbetrag gerade dazu ausreichen dürfte, bei Unterstützung durch die Pflegeversicherung<br />

e<strong>in</strong>en Platz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em durchschnittlichen Pflegeheim ohne Vermögensauflösungen<br />

oder weitere Hilfen zur Pflege zu f<strong>in</strong>anzieren (Wagner, Motel, Spieß, & Wagner, 1996, S.<br />

284). Die Anmerkungen zur Def<strong>in</strong>ition der relativen E<strong>in</strong>kommensarmut gelten dabei im Folgenden<br />

s<strong>in</strong>ngemäß auch für die Def<strong>in</strong>ition des relativen Wohlstands.<br />

4.4.4 Zur Erhebung weiterer Indikatoren<br />

Geld- <strong>und</strong> Sachtransfers – Die Erhebung materieller Geld- <strong>und</strong> Sachtransfers hat mit Geldgeschenken,<br />

größeren Sachgeschenken <strong>und</strong> regelmäßigen f<strong>in</strong>anziellen Unterstützungen möglichst<br />

alle übertragbaren Formen materieller Güter zu umfassen. Zudem muss die Abfrage e<strong>in</strong>en genau<br />

umrissenen Zeitraum def<strong>in</strong>ieren, um e<strong>in</strong>deutige Zuordnungen des Transfergeschehens zu ermöglichen.<br />

Die Zahl möglicher Vorbilder war im deutschen Sprachraum zum Zeitpunkt der<br />

ersten Erhebungswelle des Alterssurveys mit der Berl<strong>in</strong>er Altersstudie (BASE) <strong>und</strong> dem Soziooekonomischen<br />

Panel (SOEP) ger<strong>in</strong>g. Auf dieser Basis lagen e<strong>in</strong>ige wenige Publikationen vor<br />

(vgl. Croda, 1998; Jürges, 1998; Motel & Spieß, 1995). Die Erhebung <strong>in</strong> der ersten Befragungswelle<br />

von 1996 hat sich bewährt (vgl. Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, 2000). Sie wurde <strong>in</strong> der zweiten<br />

Welle 2002 wiederholt. Lediglich auf die abermalige langfristige Abfrage umfangreicher Transfers<br />

wurde aufgr<strong>und</strong> der konzeptuellen Unschärfe der erzielbaren Ergebnisse verzichtet.<br />

Zur Erhebung der aktuellen privaten Transfers wird den Befragungspersonen des Alterssurveys<br />

daher zunächst folgende Frage gestellt: „Viele Menschen machen anderen Geld- oder Sachgeschenke<br />

oder unterstützen diese f<strong>in</strong>anziell? Dabei kann es sich z.B. um Eltern, K<strong>in</strong>der, Enkel<br />

145


146<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

oder andere Verwandte, aber auch um Fre<strong>und</strong>e oder Bekannte handeln. Wie ist das bei Ihnen?<br />

Haben Sie <strong>in</strong> den vergangenen 12 Monaten jemandem Geld geschenkt, größere Sachgeschenke<br />

gemacht oder jemanden regelmäßig f<strong>in</strong>anziell unterstützt?“. Wenn dies zutrifft, wird nach dem<br />

ersten Empfänger gefragt, der dann auf e<strong>in</strong>er „Personenkarte“ identifiziert werden soll. Hierbei<br />

wird zwischen bestimmten Verwandten wie Mutter, Schwiegermutter, Schwiegertochter, Partner,<br />

Schwester, Schwäger<strong>in</strong>, Tante, Kus<strong>in</strong>e, Nichte, 1. K<strong>in</strong>d, 2. K<strong>in</strong>d usw., nach Enkelk<strong>in</strong>d,<br />

bestimmten Fre<strong>und</strong>en, Arbeitskollegen usw. sowie anderen Personen differenziert, für die unter<br />

Verwendung von Personencodes Daten jeweils getrennt erhoben wurden (Tesch-Römer, Wurm,<br />

Hoff, & Engstler, 2002). Des weiteren wird nach der Art der Transfers (Geldgeschenke, größere<br />

Sachgeschenke, regelmäßige f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung oder anderes), nach der Transferhöhe <strong>in</strong><br />

den letzten 12 Monaten sowie danach gefragt, ob diese Zuwendung größer, ger<strong>in</strong>ger oder etwa<br />

genauso groß war wie im Jahr zuvor. Wenn Transfers an weitere Personen erfolgen, werden<br />

dieselben Fragen für die nächste Person gestellt. Diese Informationen werden für bis zu vier<br />

Empfänger erhoben, bei weiteren drei Empfängern wird lediglich noch die Person <strong>und</strong> ihre Stellung<br />

zum Geber erfragt. Entsprechend wird auch im H<strong>in</strong>blick auf den Erhalt von Transfers verfahren.<br />

Der Anteil fehlender Werte liegt bei beiden Transferrichtungen für die Frage nach Transfervergabe<br />

oder -erhalt bei knapp e<strong>in</strong>em Prozent. Werden diese Fragen bejaht, so fehlen bei weniger<br />

als 0,5 Prozent Angaben zu den begünstigten Personen. Der Wert der Vergaben wird h<strong>in</strong>gegen<br />

häufiger nicht angegeben: So fehlen <strong>in</strong> den Querschnittsstichproben z.B. bei der ersten begünstigten<br />

Person <strong>in</strong> beiden Wellen jeweils etwas mehr als 15 Prozent der Fälle die Wertangaben,<br />

was zu etwa gleichen Teilen auf Verweigerungen <strong>und</strong> Nichtwissen zurückgeht. Diese Größenordnungen<br />

s<strong>in</strong>d aus der e<strong>in</strong>fachen Abfrage der Haushaltse<strong>in</strong>kommen bekannt, wobei die<br />

Werte der Transfers häufig dann nicht angegeben werden, wenn auch die E<strong>in</strong>kommensangaben<br />

fehlen, so dass die Ergebnisse zur Itemselektivität der E<strong>in</strong>kommenserhebung <strong>in</strong> gewissem Maße<br />

fortgelten. Daneben s<strong>in</strong>d es oft f<strong>in</strong>anziell Bessergestellte <strong>und</strong> Personen mit höherem sozialem<br />

Status bzw. Prestige, die ke<strong>in</strong>e Angaben machen. Insofern ist es möglich, dass es zu e<strong>in</strong>er gewissen<br />

Unterschätzung des Umfangs des Transfergeschehens kommen kann. Die im Folgenden<br />

vorrangig untersuchte Verbreitung der <strong>in</strong>tergenerationalen Transfers ist hiervon allerd<strong>in</strong>gs nicht<br />

berührt.<br />

Erbschaften – In ganz ähnlicher Weise wurde die Erbschaftserhebung strukturiert. Auch sie<br />

wurde weitestgehend unverändert zu beiden Befragungen verwendet. Während aber die Transfers<br />

zu Lebzeiten jeweils Bestandteil des mündlichen Interviews s<strong>in</strong>d, f<strong>in</strong>den sich die Fragen zu<br />

Erbschaften getrennt davon im schriftlichen Fragebogen e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en <strong>in</strong> den Befragungsteil, der<br />

Angaben zu Vermögen <strong>und</strong> Verschuldung sowie zu Sparen <strong>und</strong> Entsparen erhebt. Ausgehend<br />

von e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>stiegsfrage („Haben Sie oder Ihr (Ehe-)Partner schon e<strong>in</strong>mal etwas geerbt? Bitte<br />

denken Sie dabei auch an kle<strong>in</strong>ere Nachlässe.“) werden bei Vorliegen e<strong>in</strong>er Erbschaft die Erblasser<br />

sowie grob kategorial der heutige Wert dieser Erbschaften erfragt. Zusätzlich wird <strong>in</strong><br />

beiden Erhebung die Frage nach künftig erwarteten Erbschaften <strong>und</strong> ihrem geschätzten Wert<br />

gestellt. Ähnlich wie bei den Transfers zu Lebzeiten ist der Anteil fehlender Werte bei der E<strong>in</strong>stiegsfrage<br />

ger<strong>in</strong>g (Welle 1: 2,1 Prozent; Welle 2: 1,7 Prozent), steigt aber wiederum deutlich<br />

bei der Abfrage des Erbschaftswertes an (Welle 1: 3,8 Prozent; Welle 2: 5,0 Prozent).


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Sparen <strong>und</strong> Entsparen – In ganz ähnlicher Weise wurde zu beiden Befragungszeitpunkten bei<br />

der Abfrage von Spar- <strong>und</strong> Entsparprozessen verfahren: E<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>stiegsfrage s<strong>in</strong>d<br />

hier Sparziele bzw. Verwendungszwecke nachgestellt. Die Abfrage wird durch die Erhebung<br />

kategorialer Angaben der Summen abgeschlossen. Die Anteile fehlender Werte liegen hier bei<br />

den Betragsangaben mit knapp 10 Prozent über jenen bei den Erbschaften. H<strong>in</strong>sichtlich der E<strong>in</strong>stiegsfragen<br />

ergeben sich ke<strong>in</strong>e Unterschiede.<br />

4.5 Die materielle Lage der 40- bis 85-Jährigen<br />

Im Folgenden werden die Verteilungen von E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> Vermögen – <strong>in</strong>sbesondere die<br />

Differenzen zwischen den Altersgruppen <strong>und</strong> Geschlechtern sowie Unterschiede zwischen Ost-<br />

<strong>und</strong> Westdeutschen – dargestellt. Dabei wird auch die Verbreitung von Armut <strong>und</strong> Reichtum<br />

erörtert sowie die Frage von Erbschaften <strong>und</strong> Transfers zu Lebezeiten von Gebern <strong>und</strong> Nehmern<br />

diskutiert. Zentral ist dabei neben e<strong>in</strong>er Deskription der Situation im Jahr 2002 die Diskussion<br />

der Veränderungen der Parameter über die Zeit. Zweitens wird die <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Dynamik der<br />

objektiven Lagen untersucht. Hierbei steht die <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> E<strong>in</strong>kommensentwicklung über die<br />

Zeit im Zentrum der Überlegungen. Drittens werden vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> subjektive Aspekte<br />

materieller Lagen beschrieben. Neben subjektiven Bewertungen der vergangenen <strong>Entwicklung</strong>en,<br />

des heutigen Niveaus <strong>und</strong> der erwarteten künftigen Veränderungen des persönlichen<br />

Lebensstandards <strong>und</strong> ihren Veränderungen, steht die Relation von Erwartungen <strong>und</strong> tatsächlichen<br />

<strong>Entwicklung</strong>en im Fokus der Analysen.<br />

4.5.1 Verteilung relativer E<strong>in</strong>kommenslagen<br />

Der arithmetische Mittelwert des Äquivalenze<strong>in</strong>kommens der 40- bis 85-Jährigen <strong>in</strong> der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

liegt nach Berechnungen des Alterssurvey im Jahr 2002 bei r<strong>und</strong> 1.530 € (Westdeutschland:<br />

1.610 €, Ostdeutschland: 1.230 €; vgl. Abbildung 4.3) <strong>und</strong> damit um 170 € über<br />

dem vom Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) ausgewiesenen Wert für die gesamte B<strong>und</strong>esrepublik<br />

(1.360 €) 14 .<br />

14 E<strong>in</strong> herzlicher Dank für die Bereitstellung der Berechnungen verschiedener Mittelwertangaben aufgr<strong>und</strong> des SOEP<br />

geht an Peter Krause (DIW, Berl<strong>in</strong>). Diese Mittelwertberechnungen stellen auch die Bemessungsgr<strong>und</strong>lage der<br />

Quoten von E<strong>in</strong>kommensarmut <strong>und</strong> Wohlstand dar.<br />

147


Abbildung 4.3:<br />

Mittlere Äquivalenze<strong>in</strong>kommen (OECD neu) nach Region, 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

arithm. Mittelwert <strong>in</strong>€<br />

148<br />

1.800<br />

1.600<br />

1.400<br />

1.200<br />

1.000<br />

800<br />

600<br />

400<br />

200<br />

0<br />

1996<br />

2002<br />

Westdeutschland Ostdeutschland Gesamt<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 4.275/2.686), gewichtet.<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Dieser Unterschied ist plausibel, da die Angabe des SOEP auch die ger<strong>in</strong>geren E<strong>in</strong>kommen der<br />

Haushalte jüngerer, unter 40-jähriger Personen <strong>und</strong> von E<strong>in</strong>wohnern ohne deutsche Staatsbürgerschaft<br />

e<strong>in</strong>schließt. Die sehr deutlichen Niveauunterschiede zwischen Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland<br />

(Abbildung 4.3; vgl. auch Anhangstabelle A.4.1) bestehen <strong>in</strong> allen Altersgruppen (Abbildung<br />

4.4). So verfügt beispielsweise e<strong>in</strong> 40- bis 54-jähriger Mann <strong>in</strong> den westlichen B<strong>und</strong>esländern<br />

im Jahr 2002 durchschnittlich über e<strong>in</strong> Äquivalenze<strong>in</strong>kommen von ca. 1.700 €, während<br />

e<strong>in</strong> gleichaltriger Mann im Osten Deutschlands nur e<strong>in</strong> monatliches Äquivalenze<strong>in</strong>kommen von<br />

etwas über 1.300 € zur Verfügung hat.<br />

Abbildung 4.4:<br />

Mittlere Äquivalenze<strong>in</strong>kommen (OECD neu) nach Alter, Geschlecht <strong>und</strong> Region,<br />

1996 <strong>und</strong> 2002<br />

arithm. Mittelwert <strong>in</strong>€<br />

1.800<br />

1.600<br />

1.400<br />

1.200<br />

1.000<br />

800<br />

600<br />

400<br />

200<br />

0<br />

40-54 55-69 70-85 40-54 55-69 70-85 Zeile 7 40-54 55-69 70-85 40-54 55-69 70-85<br />

Männer Frauen Männer Frauen<br />

Westdeutschland Ostdeutschland<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 4.275/2.686), gewichtet.<br />

1996<br />

2002


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Insgesamt lässt sich im zeitlichen Verlauf e<strong>in</strong>e weitgehende Stabilität der E<strong>in</strong>kommensverteilung<br />

über die Altersgruppen <strong>und</strong> letztlich auch zwischen Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland zeigen.<br />

Ausnahmen f<strong>in</strong>den sich bei den 55- bis 69-jährigen Männern im Westen, deren E<strong>in</strong>kommenslage<br />

sich deutlich überdurchschnittlich verbessert darstellt <strong>und</strong> bei der Gruppe 70- bis 85-jährigen<br />

Frauen <strong>in</strong> Ostdeutschland, deren E<strong>in</strong>kommenssituation bereits 1996 im Mittel vergleichsweise<br />

schlecht war, <strong>und</strong> die über den sechsjährigen Beobachtungszeitraum – gefolgt von den gleich<br />

alten ostdeutschen Männern – auch die ger<strong>in</strong>gsten nom<strong>in</strong>ellen, d.h. nicht <strong>in</strong>flations- oder kaufkraftbere<strong>in</strong>igten<br />

Zuwächse aufweisen. Da dies <strong>in</strong> schwächerem Ausmaß auch für die ostdeutschen<br />

Männer gilt, hat sich die Verteilung unter den Ostdeutschen so jener <strong>in</strong> Westdeutschland<br />

angepasst – wenngleich nur relativ h<strong>in</strong>sichtlich der Altersgruppenverteilung <strong>und</strong> noch nicht<br />

deutlich h<strong>in</strong>sichtlich der Niveaus: Auch im Jahr 2002 liegt der arithmetische Mittelwert für die<br />

neuen Länder <strong>in</strong> allen Altersgruppen deutlich unter jenem <strong>in</strong> den alten B<strong>und</strong>esländern, auch<br />

wenn sich die West-Ost-Relation sich <strong>in</strong>sgesamt von 1,35:1 im Jahr 1996 auf 1,31:1 im Jahr<br />

2002 zu Gunsten der Ostdeutschen verr<strong>in</strong>gert hat (vgl. Anhangstabelle A.4.1). Diese Veränderung<br />

der Relationen geht vor allem auf die Angleichung der E<strong>in</strong>kommen der 40- bis 54-Jährigen<br />

zurück (1996: 1,39; 2002: 1,29). Unter den 55- bis 69-Jährigen ist die Relation konstant (1996:<br />

1,35; 2002: 1,35) <strong>und</strong> unter den 70- bis 85-Jährigen hat sich die relative Differenz zwischen<br />

West- <strong>und</strong> Ostdeutschen sogar verschärft (1996: 1,24; 2002: 1,32).<br />

Die relative schlechte E<strong>in</strong>kommenslage älterer Frauen vor allem <strong>in</strong> Westdeutschland wurde für<br />

1996 als Ergebnis e<strong>in</strong>es Kohorteneffekts gedeutet (Motel, 2000). Es wurde argumentiert, dies<br />

sei e<strong>in</strong> Ergebnis der im Westen Deutschlands ger<strong>in</strong>geren Erwerbsbeteiligung der Frauen dieser<br />

frühen Geburtsjahrgänge <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Effekt der H<strong>in</strong>terbliebenengesetzgebung, die Witwen bei ungleichen<br />

Erwerbsbiografien letztlich schlechter stellt als Witwer (vgl. auch Wagner & Motel,<br />

1998). Da sich im Zeitvergleich zeigt, dass sich die ostdeutsche Verteilung der E<strong>in</strong>kommen<br />

jener im Westen mit ihrer Schlechterstellung älterer Frauen anzugleichen sche<strong>in</strong>t, ist nach den<br />

möglichen Gründen zu fragen. Bestätigten die Analysen für 1996 die Auswirkungen der für die<br />

Betroffenen günstigen Modalitäten der Überleitung der DDR-Alterssicherung <strong>in</strong> das b<strong>und</strong>esdeutsche<br />

Rentenrecht – ostdeutsche Ruheständler konnten hier zurecht als Gew<strong>in</strong>ner der E<strong>in</strong>heit<br />

bezeichnet werden – so erweisen sich offenbar vor allem die mittleren Altersgruppen <strong>in</strong> gewisser<br />

Weise als Gew<strong>in</strong>ner der Folgezeit, während es den bereits im Ruhestand bef<strong>in</strong>dlichen Gruppen<br />

nicht gel<strong>in</strong>gt, hier Schritt zu halten.<br />

Insgesamt sche<strong>in</strong>t sich e<strong>in</strong>e <strong>Entwicklung</strong> zuungunsten der Älteren <strong>in</strong> Ostdeutschland anzudeuten.<br />

Die nom<strong>in</strong>ellen Zuwächse unter den 70- bis 85-Jährigen liegen durchgängig unter dem<br />

Durchschnitt der betrachteten Altersgruppen, während Jüngere entsprechend im Mittel meist<br />

überdurchschnittliche Zuwächse verbuchen können. Relativ betrachtet jedoch können die über<br />

70-Jährigen im Westen ihre Position zum Durchschnitt der zweiten Lebenshälfte behaupten<br />

(1996: 0,87; 2002: 0,88). H<strong>in</strong>gegen ist der Trend im Osten Deutschlands – aufgr<strong>und</strong> der Gestaltung<br />

<strong>in</strong>stitutioneller Regelungen <strong>und</strong> der bekannten <strong>Entwicklung</strong> der Erwerbs- <strong>und</strong> Alterssicherungse<strong>in</strong>kommen<br />

über die Zeit – erwartungsgemäß deutlich. Vormals mit E<strong>in</strong>kommensressourcen<br />

ausgestattet, die den anderen Altersgruppen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte durchaus ähnlich<br />

waren, s<strong>in</strong>ken die Ostdeutschen Alten ab (1996: 0,95; 2002: 0,87) <strong>und</strong> die Altersgruppenverteilung<br />

pendelt sich recht genau beim westdeutschen Muster e<strong>in</strong>.<br />

149


150<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

E<strong>in</strong>erseits sagen Mittelwertangaben wenig über die gesellschaftliche Verteilung der f<strong>in</strong>anziellen<br />

Ressourcen aus. Andererseits ist zu fragen, <strong>in</strong>wieweit sich Veränderungen über die Zeit <strong>in</strong> der<br />

Verteilung über Altersgruppen auch <strong>in</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Verläufen spiegeln <strong>und</strong> welche Gruppen an<br />

den E<strong>in</strong>kommenszuwächsen partizipieren konnten bzw. welche hier nicht zum Zuge kamen. Es<br />

stellt sich also die Frage nach der Ungleichverteilung von E<strong>in</strong>kommen, ihren Veränderungen<br />

über die Zeit <strong>und</strong> den Bed<strong>in</strong>gungen von E<strong>in</strong>kommensdynamiken im Lebenslauf zu fragen. Beide<br />

dynamischen Perspektiven s<strong>in</strong>d schon seit längerem <strong>in</strong> der Diskussion (vgl. z.B. Berntsen,<br />

1992; Dannefer, 2003; Easterl<strong>in</strong> & Schaeffer, 1999; Gustafsson & Johansson, 1997; Motel-<br />

Kl<strong>in</strong>gebiel, 2004; Pris, 2000; Wagner & Motel, 1998). Dem soll im Folgenden nachgegangen<br />

werden.<br />

Tabelle 4.1:<br />

G<strong>in</strong>i- <strong>und</strong> Variationskoeffizienten15 des Äquivalenze<strong>in</strong>kommens (OECD neu)<br />

nach Erhebungsjahr <strong>und</strong> Region<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

G<strong>in</strong>i-Koeffizient<br />

1996 0.281 0.195 0.265<br />

2002 0.273 0.246 0.274<br />

Variationskoeffizient<br />

1996 0.625 0.387 0.615<br />

2002 0.580 0.532 0.585<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 4.275/2.686), gewichtet.<br />

Die Ungleichverteilung der E<strong>in</strong>kommen wird mit G<strong>in</strong>i- <strong>und</strong> Variationskoffizienten gemessen.<br />

Tabelle 4.1 zeigt die Werte für beide Maße nach Region <strong>und</strong> ihre Veränderung über die Zeit.<br />

Die hier geschilderten Werte korrespondieren mit Größenordnungen wie wir sie z.B. aus Analysen<br />

mit Daten der E<strong>in</strong>kommens- <strong>und</strong> Verbrauchsstichprobe kennen (Hauser & Becker, 2003, S.<br />

100). Die Verteilungsparameter für Westdeutschland zeigen über die Zeit nur ger<strong>in</strong>ge Abweichungen<br />

an (G<strong>in</strong>i1996/West:0.281; G<strong>in</strong>i2002/West: 0.273). Lagen die Ungleichheitsparameter 1996 <strong>in</strong><br />

Ostdeutschland noch deutlich unter den Westmarken (G<strong>in</strong>i1996/Ost:0.195), so f<strong>in</strong>den wir im Beobachtungszeitraum<br />

e<strong>in</strong>e zunehmende Annäherung der Werte an das Westniveau (G<strong>in</strong>i2002/Ost:<br />

0.246). Die Zunahme der Ungleichverteilung über die sechs Jahre zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 <strong>in</strong><br />

Ostdeutschland ist also sehr deutlich <strong>und</strong> f<strong>in</strong>det se<strong>in</strong>en Ausdruck unabhängig von der Wahl des<br />

Koeffizienten. Auf die Schilderung weiterer Koeffizienten wie den Perzentilsrelationen oder<br />

15 G<strong>in</strong>i- <strong>und</strong> Variationskoeffizient s<strong>in</strong>d gebräuchliche Maße zur Bestimmung der Ungleichheit e<strong>in</strong>er Verteilung. Der<br />

G<strong>in</strong>i-Koeffizient ist def<strong>in</strong>iert als Fläche zwischen e<strong>in</strong>er Lorenzkurve <strong>und</strong> der Gleichverteilungsgeraden, dividiert<br />

durch die Fläche unter der Gleichverteilungsgeraden. Der Koeffizient variiert zwischen null <strong>und</strong> e<strong>in</strong>s. E<strong>in</strong> Wert von<br />

‚0‘ steht dabei für e<strong>in</strong>e vollkommene Gleichverteilung z.B. der E<strong>in</strong>kommen, während e<strong>in</strong> Wert von ‚1‘ für e<strong>in</strong>e<br />

vollkommen ungleiche Verteilung stehen würde, bei der sich alle E<strong>in</strong>kommensressourcen <strong>in</strong> der Hand nur e<strong>in</strong>es<br />

Akteurs bef<strong>in</strong>den. Der Variationskoeffizient h<strong>in</strong>gegen relativiert die Standardabweichung am Mittelwert <strong>und</strong><br />

drückt die Standardabweichung <strong>in</strong> Mittelwertse<strong>in</strong>heiten aus. Er variiert theoretisch zwischen null <strong>und</strong> ∞. Beide<br />

Maße br<strong>in</strong>gen mit steigenden Werten e<strong>in</strong>e größere Ungleichheit der Verteilung zum Ausdruck.


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

dem Atk<strong>in</strong>sonmaß wurde an dieser Stelle aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichtet, da sie <strong>in</strong><br />

der Überprüfung nur analoge Ergebnisse abbilden.<br />

E<strong>in</strong> Blick auf die altersdifferenzierte Darstellung (Abbildung 4.5 <strong>und</strong> Abbildung 4.6) zeigt, dass<br />

es <strong>in</strong> Westdeutschland vor allem unter den Ältesten <strong>in</strong> den vergangenen sechs Jahren zu e<strong>in</strong>er<br />

Abnahme der Ungleichverteilung gekommen ist, die beg<strong>in</strong>nend von e<strong>in</strong>em höheren Ausgangsniveau<br />

unter den Männern stärker war als unter den Frauen, wo die Bewegung aber auch die<br />

mittlere der betrachteten Altersgruppen betrifft. Es f<strong>in</strong>den sich also gewisse Nivellierungstendenzen<br />

<strong>in</strong> diesem Bereich. H<strong>in</strong>gegen blieb sie unter den 40- bis 54-Jährigen stabil <strong>und</strong> nimmt<br />

sogar leicht zu, während es unter den 55- bis 69-Jährigen zu noch deutlicheren Ausdifferenzierungen<br />

gekommen ist. Die <strong>in</strong> der alters<strong>und</strong>ifferenzierten Betrachtung ausgewiesene Stabilität<br />

der Ungleichheitsmaße <strong>in</strong> Westdeutschland ist also Ergebnis durchaus divergenter <strong>Entwicklung</strong>en<br />

<strong>in</strong> den verschiedenen Altersgruppen <strong>und</strong> unter den Geschlechtern.<br />

Abbildung 4.5:<br />

G<strong>in</strong>ikoeffizienten des Äquivalenze<strong>in</strong>kommens (OECD neu) nach Alter,<br />

Geschlecht <strong>und</strong> Region<br />

arithm. Mittelwert <strong>in</strong>€<br />

0,35<br />

0,30<br />

0,25<br />

0,20<br />

0,15<br />

0,10<br />

0,05<br />

0,00<br />

40-54 55-69 70-85 40-54 55-69 70-85 Zeile 7 40-54 55-69 70-85 40-54 55-69 70-85<br />

Männer Frauen Männer Frauen<br />

Westdeutschland Ostdeutschland<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 4.275/2.686), gewichtet.<br />

In Ostdeutschland s<strong>in</strong>d die Zunahmen der Ungleichverteilung unter den ältesten Männern auf<br />

niedrigem Niveau relativ ger<strong>in</strong>g. Dies gilt auch bei e<strong>in</strong>er geschlechts<strong>in</strong>differenten Betrachtung<br />

über alle Älteren h<strong>in</strong>weg. H<strong>in</strong>gegen steigen die Kennziffern unter den Frauen <strong>und</strong> den Männern<br />

im Erwerbsalter deutlich an. Die allgeme<strong>in</strong>e Zunahme der Ungleichverteilung <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

geht damit ganz offensichtlich vor allem auf die Menschen im erwerbsfähigen Alter <strong>und</strong> <strong>in</strong> der<br />

Übergangsphase <strong>in</strong> den Ruhestand sowie daneben auch auf die bereits länger im Ruhestand<br />

bef<strong>in</strong>dlichen Frauen zurück. Die Altersgruppendifferenz der <strong>Entwicklung</strong>en ist <strong>in</strong> beiden Landesteilen<br />

also etwas ähnlich. Die <strong>Entwicklung</strong>en f<strong>in</strong>den aber auf unterschiedlichem Niveau statt<br />

<strong>und</strong> s<strong>in</strong>d im Osten durch Prozesse der sukzessiven Anpassung an westdeutsche Verteilungskonstellationen<br />

<strong>und</strong> Ungleichheitsniveaus überlagert.<br />

1996<br />

2002<br />

151


Abbildung 4.6:<br />

Variationskoeffizienten des Äquivalenze<strong>in</strong>kommens (OECD neu) nach Alter,<br />

Geschlecht <strong>und</strong> Region<br />

arithm. Mittelwert <strong>in</strong>€<br />

1,0<br />

0,8<br />

0,6<br />

0,4<br />

0,2<br />

0,0<br />

152<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

40-54 55-69 70-85 40-54 55-69 70-85 Zeile 7 40-54 55-69 70-85 40-54 55-69 70-85<br />

Männer Frauen Männer Frauen<br />

Westdeutschland Ostdeutschland<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 4.275/2.686), gewichtet.<br />

4.5.2 E<strong>in</strong>kommensdynamik<br />

Im Vergleich der E<strong>in</strong>kommensverteilung <strong>und</strong> der E<strong>in</strong>kommensentwicklung nach Alter (Abbildung<br />

4.7) zeigt sich, das im Vergleich zur <strong>Entwicklung</strong> des gesellschaftlichen Durchschnitts der<br />

E<strong>in</strong>kommenspositionen alle Älteren im Alter von 52 <strong>und</strong> mehr Jahren (Alter zum ersten Erhebungszeitpunkt<br />

1996) <strong>in</strong> der Zeit zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 im Mittel relative E<strong>in</strong>kommensverluste,<br />

also relative Abstiege h<strong>in</strong>nehmen mussten. Wie die vorangehenden Analysen zeigen<br />

konnten, geht dies aber meist nicht mit absoluten E<strong>in</strong>bußen h<strong>in</strong>sichtlich der E<strong>in</strong>kommen e<strong>in</strong>her,<br />

sondern resultiert daraus, dass im Mittel lediglich Zugew<strong>in</strong>ne realisiert werden konnten, die<br />

unter dem gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt liegen. E<strong>in</strong>e Ausnahme mag der Übergang <strong>in</strong><br />

den Ruhestand darstellen, der im <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Verlauf überwiegend mit E<strong>in</strong>kommense<strong>in</strong>bußen<br />

e<strong>in</strong>hergeht. Daher fällt <strong>in</strong> der Darstellung der E<strong>in</strong>kommensverteilungen über die Lebensalter zu<br />

allen Zeitpunkten der Knick der Verteilung um das 60. Lebensjahr auf.<br />

Sie bestätigen sich auch längsschnittlich als <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Abstiege über das Lebensereignis des<br />

Übergangs <strong>in</strong> den Ruhestand. Ruhestandsübergangsneutral verlieren <strong>in</strong> jedem Falle jene, die<br />

1996 bereits 64 Jahre <strong>und</strong> älter waren – sich also ganz überwiegend bereits damals im Ruhestand<br />

befanden. Starke Gew<strong>in</strong>ne zeigen sich im <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Längsschnitt vor allem bei den im<br />

Jahr 1996 unter 52-Jährigen – also jenen Personen, die über den gesamten Betrachtungszeitraum<br />

im Erwerbsalter waren. Insgesamt ist der Altersgradient (durchgezogene lange Geraden <strong>in</strong> Abbildung<br />

4.7) <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte 2002 stärker negativ, als noch sechs Jahre zuvor. Offenbar<br />

hat <strong>in</strong> diesem Zeitraum e<strong>in</strong>e sukzessive Verschiebung der E<strong>in</strong>kommensverteilung stattgef<strong>und</strong>en,<br />

<strong>in</strong> der sich die Relation zwischen den E<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong> der Erwerbsphase <strong>und</strong> der Ruhestandphase<br />

zuungunsten Letzterer verändert hat. Die E<strong>in</strong>kommenszuwächse der Ältesten konn-<br />

1996<br />

2002


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

ten nicht mit jenen der Jüngeren Schritt halten. Dies gilt übere<strong>in</strong>stimmend für die Querschnittsbetrachtung<br />

wie auch für die längsschnittliche Sichtweise.<br />

Abbildung 4.7:<br />

<strong>Entwicklung</strong> mittlerer relativer Äquivalenze<strong>in</strong>kommen (OECD neu) nach Alter I<br />

Mittleres relatives Äquivalenze<strong>in</strong>kommen<br />

1,3<br />

1,2<br />

1,1<br />

1,0<br />

0,9<br />

0,8<br />

1996<br />

2002<br />

40-45 46-51 52-57 58-63 64-69 70-75 76-81 82-85<br />

Alter <strong>in</strong> Jahren 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

Mittleres relatives Äquivalenze<strong>in</strong>kommen<br />

1,3<br />

1,2<br />

1,1<br />

1,0<br />

0,9<br />

0,8<br />

1996<br />

2002<br />

40-45 46-51 52-57 58-63 64-69 70-75 76-81 82-85<br />

Alter <strong>in</strong> Jahren 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

Mittlere Äquivalenze<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong> E<strong>in</strong>heiten des gesamtgesellschaftlichen arithmetischen Mittelwertes nach SOEP. Die <strong>in</strong><br />

der rechten der Abbildungen dargestellten Geraden repräsentieren l<strong>in</strong>eare Regressionsfunktionen für die jeweiligen<br />

Jahre. Quelle: Panelstichprobe des Alterssurveys (n= 1.286), gewichtet.<br />

Abbildung 4.8 verdeutlicht diese <strong>Entwicklung</strong> nochmals. Klar zu erkennen s<strong>in</strong>d die erheblichen<br />

relativen Abstiege der Ruhestandsübergangsjahrgänge <strong>und</strong> die moderaten relativen Niveauverluste<br />

bei den Ältesten, die auf ohneh<strong>in</strong> vergleichsweise niedrigen Niveaus stattf<strong>in</strong>den.<br />

Abbildung 4.8:<br />

<strong>Entwicklung</strong> mittlerer relativer Äquivalenze<strong>in</strong>kommen (OECD neu) nach Geburtskohorten<br />

Mittleres relatives Äquivalenze<strong>in</strong>kommen<br />

1,3<br />

1,2<br />

1,1<br />

1,0<br />

0,9<br />

0,8<br />

1996 2002<br />

Erhebungszeitpunkt<br />

1951-56<br />

1945-50<br />

1939-44<br />

1933-38<br />

1927-32<br />

1921-26<br />

1915-20<br />

Mittlere Äquivalenze<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong> E<strong>in</strong>heiten des gesamtgesellschaftlichen arithmetischen Mittelwertes nach SOEP<br />

Quelle: Panelstichprobe des Alterssurveys (n= 1.286), gewichtet.<br />

153


154<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Insgesamt stellt sich im Jahr 2002 die Verteilung über Altersgruppen bzw. Geburtsjahrgänge<br />

heterogener dar als noch 1996, was sowohl <strong>in</strong> der <strong>in</strong> Abbildung 4.7 dargestellten Verschiebung<br />

der Altersgradienten zum Ausdruck kommt, als auch im Querschnittsvergleich bei der Betrachtung<br />

der Ungleichheitsmaße zum Ausdruck kam.<br />

E<strong>in</strong> differenzierterer Blick auf die E<strong>in</strong>kommensdynamik über die vergangenen sechs Jahre zeigt<br />

zum e<strong>in</strong>en erhebliche Altersgruppendifferenzen (nachfolgende Tabelle 4.2): Aufstiege wurden<br />

vor allem von der jüngsten Kohorte der 1942- bis 1956 Geborenen realisiert, während Abstiege<br />

hier seltener waren. Den größten Anteil an Personen mit weitgehend konstanten E<strong>in</strong>kommen<br />

f<strong>in</strong>den wir unter den Ältesten, die bereits 1996 70 bis 85 Jahre alt waren (2002: 76-91 Jahre).<br />

Insgesamt s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs die Unterschiede zwischen West- <strong>und</strong> Ostdeutschland zu betonen: Die<br />

Ältesten <strong>in</strong> Ostdeutschland gehören besonders selten zur Gruppe der Aufsteiger <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>kommensverteilung,<br />

während hier besondere häufig Abstiege zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d. Dies ist angesichts der<br />

<strong>in</strong>zwischen endgültig ausgelaufenen Übergangsregelungen (Auffüllbetrag, Sozialzuschlag) zu<br />

erwarten gewesen, die anfangs im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es Bestandsschutzes die nom<strong>in</strong>elle Rentenhöhe der<br />

Ost-Rentner sicherstellten, jedoch nicht dynamisiert waren <strong>und</strong> im Zuge der Rentenanpassungen<br />

lediglich die relativen Abstiege dämpfen halfen – e<strong>in</strong> Prozess der im Laufe der 90er-Jahre zum<br />

Abschluss gekommen ist. Zugleich wurden die Rentenzahlbeträge vergleichsweise schnell nahe<br />

an das Westniveau gebracht, während die Erwerbse<strong>in</strong>kommen erst langsam nachholten. Auch<br />

dieser Prozess kommt <strong>in</strong> den Angaben zur E<strong>in</strong>kommensdynamik zum Ausdruck.


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Tabelle 4.2:<br />

Aufstiege <strong>und</strong> Abstiege 1996-2002 (<strong>in</strong> Prozent)<br />

Aufstieg >20%<br />

Aufstieg >5% ≤20%<br />

Konstanz ≤5%<br />

Abstieg >5% ≤20%<br />

Abstieg >20%<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Geburtskoh. Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

1942-56 30,9 32,7 31,8 31,3 34,4 32,8 31,0 33,1 32,0<br />

1927-41 15,4 21,5 18,2 19,6 16,7 18,1 16,2 20,4 18,2<br />

1911-26 28,1 23,6 25,4 5,8 9,8 8,1 23,6 21,1 22,1<br />

Gesamt 24,5 27,1 25,8 23,9 23,6 23,8 24,4 26,4 25,4<br />

1942-56 16,8 17,1 16,9 13,0 15,1 14,0 16,0 16,6 16,3<br />

1927-41 19,0 8,5 14,2 16,5 23,1 20,0 18,6 11,8 15,4<br />

1911-26 8,7 7,1 7,8 17,6 3,3 9,3 10,5 6,4 8,0<br />

Gesamt 16,6 12,1 14,4 14,8 16,1 15,5 16,3 13,0 14,6<br />

1942-56 12,7 13,8 13,2 7,3 6,5 6,9 11,6 12,2 11,9<br />

1927-41 14,2 10,0 12,3 20,3 9,4 14,6 15,3 9,9 12,7<br />

1911-26 21,2 17,7 19,1 16,1 21,3 19,1 20,2 18,4 19,1<br />

Gesamt 14,4 13,3 13,8 13,1 10,1 11,5 14,1 12,6 13,4<br />

1942-56 18,0 18,5 18,3 16,4 24,3 20,2 17,7 19,7 18,7<br />

1927-41 27,0 35,7 31,0 24,6 26,7 25,7 26,5 33,7 29,9<br />

1911-26 17,0 27,4 23,4 36,1 36,0 36,0 20,8 29,0 25,8<br />

Gesamt 21,4 26,1 23,7 21,8 27,2 24,6 21,5 26,3 23,9<br />

1942-56 21,6 18,0 19,8 31,9 19,8 26,1 23,8 18,4 21,1<br />

1927-41 24,4 24,4 24,4 19,0 24,0 21,6 23,4 24,3 23,8<br />

1911-26 24,9 24,1 24,4 24,4 29,7 27,5 24,8 25,1 25,0<br />

Gesamt 23,1 21,4 22,2 26,3 23,0 24,7 23,7 21,7 22,7<br />

Abweichungen 1996-2002 relativ zum arithmetischen Mittelwert der Bevölkerung<br />

Quelle: Panelstichprobe des Alterssurveys (n= 1.286), gewichtet<br />

4.5.3 Armut <strong>und</strong> Wohlstand<br />

Armut <strong>und</strong> Wohlstand s<strong>in</strong>d extreme Verteilungspositionen. Auf der e<strong>in</strong>en Seite werden damit<br />

besondere Benachteiligungen, verm<strong>in</strong>derte Lebenschancen <strong>und</strong> Exklusionsrisiken verb<strong>und</strong>en,<br />

auf der anderen Seite stellt sich mit Blick auf hohe E<strong>in</strong>kommenspositionen die Frage nach den<br />

Entstehungsbed<strong>in</strong>gungen solcher Lagen <strong>und</strong> nach der Gerechtigkeit <strong>und</strong> der Effizienz der gesellschaftlichen<br />

Ressourcenallokation. Wenn im Folgenden von Armut <strong>und</strong> Wohlstand / Reichtum<br />

gesprochen wird, so wird auf relative E<strong>in</strong>kommensarmut <strong>und</strong> -wohlstand Bezug genommen<br />

(s.o.). Als arm wird e<strong>in</strong>e Person def<strong>in</strong>iert, wenn das ihr zur Verfügung stehende bedarfsgewichtete<br />

Nettohaushaltse<strong>in</strong>kommen pro Kopf 50 Prozent oder weniger des gesamtgesellschaftlichen<br />

155


156<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

arithmetischen Mittelwertes beträgt. Analog dazu wird Wohlstand als e<strong>in</strong>e Position bestimmt, <strong>in</strong><br />

der das entsprechende E<strong>in</strong>kommen 200 Prozent des Mittels oder mehr beträgt.<br />

Tabelle 4.3:<br />

E<strong>in</strong>kommensarmut (<strong>in</strong> Prozent)<br />

1996<br />

2002<br />

Veränderung<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

40-54 Jahre 2,1 7,1 4,5 9,4 11,2 10,3 3,6 8,0 5,7<br />

55-69 Jahre 4,4 6,9 5,6 8,7 6,6 7,6 5,3 6,8 6,0<br />

70-85 Jahre 8,1 8,8 8,6 2,5 8,4 6,2 7,1 8,7 8,1<br />

Gesamt 3,8 7,4 5,6 8,3 8,9 8,6 4,7 7,7 6,2<br />

40-54 Jahre 6,4 4,5 5,5 14,9 12,2 13,6 8,2 6,1 7,2<br />

55-69 Jahre 5,8 8,6 7,3 9,0 10,3 9,7 6,5 9,0 7,8<br />

70-85 Jahre 4,4 7,7 6,4 6,3 14,4 11,4 4,8 9,1 7,4<br />

Gesamt 5,8 6,8 6,3 11,3 12,0 11,7 6,9 7,9 7,4<br />

40-54 Jahre 4,3 -2,6 1,0 5,5 1,0 3,3 4,6 -1,9 1,5<br />

55-69 Jahre 1,4 1,7 1,7 0,3 3,7 2,1 1,2 2,2 1,8<br />

70-85 Jahre -3,7 -1,1 -2,2 3,8 6,0 5,2 -2,3 0,4 -0,7<br />

Gesamt 2,0 -0,6 0,7 3,0 3,1 3,1 2,2 0,2 1,2<br />

Äquivalenzskala: OECD (neu); Armutsgrenze: 50% des arithmetischen Mittelwertes<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 4.275/2.686), gewichtet<br />

Verbreitung von Armut<br />

Die durchschnittliche Armutsquote liegt <strong>in</strong> der 40- bis 85-jährigen deutschen Wohnbevölkerung<br />

im Jahr 2002 bei 7,4 Prozent (Tabelle 4.3). Die Quote ist damit über die vergangenen sechs<br />

Jahre leicht angestiegen – sie betrug im Jahr 1996 noch 6,2 Prozent. 16 Von strenger Armut betroffen<br />

s<strong>in</strong>d im Jahr 2002 3,6 Prozent der Deutschen zwischen 40 <strong>und</strong> 85 Jahren – sie verfügen<br />

über höchstens 40 Prozent des Durchschnittse<strong>in</strong>kommens. Immerh<strong>in</strong> 14 Prozent der 40- bis 85jährigen<br />

Männer <strong>und</strong> Frauen leben <strong>in</strong> gemäßigter Armut <strong>und</strong> können auf e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>kommen von<br />

bis zu 60 Prozent des Durchschnitts der B<strong>und</strong>esrepublik zurückgreifen (vgl. Anhangstabelle<br />

A.4.2). Armut <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte ist <strong>in</strong> Ostdeutschland weiter verbreitet als <strong>in</strong> Westdeutschland.<br />

Während die Armutsquote <strong>in</strong> den alten B<strong>und</strong>esländern bei 6,3 Prozent liegt, f<strong>in</strong>det<br />

sich <strong>in</strong> den neuen Ländern e<strong>in</strong>e Quote von 11,7 Prozent. Dabei lassen sich Geschlechtsdifferen-<br />

16 Die Ergebnisse weichen aufgr<strong>und</strong> der veränderten Berechnungsgr<strong>und</strong>lage des Äquivalenze<strong>in</strong>kommens teilweise<br />

von jenen Resultaten ab, die <strong>in</strong> der ersten Welle des Alterssurveys diskutiert wurden (vgl. Motel, 2000). So betrug<br />

die Armutsquote <strong>in</strong> der auf der BSHG-Skala gestützten Berechnung im Jahr 1996 7,4 Prozent während der Wert<br />

aufgr<strong>und</strong> der Berechnungen mit der neuen OECD-Skala nunmehr für 1996 um 1,2 Prozentpunkte niedriger angegeben<br />

wird. Selbstverständlich werden für die Vergleiche zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 im vorliegenden Beitrag analoge<br />

Berechnungen verwendet.


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

zen <strong>in</strong> beiden Landsteilen vor allem unter den 70- bis 85-Jährigen zeigen. Zwischen den Altersgruppen<br />

f<strong>in</strong>den sich 2002 (im Gegensatz zu 1996) nur ger<strong>in</strong>ge Differenzen im Niveau der Armutsbetroffenheit,<br />

was aus stärkeren Zunahmen zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 unter den Jüngeren<br />

resultiert. Mit Blick auf die Verteilungen <strong>in</strong> beiden Teilen Deutschlands allerd<strong>in</strong>gs zeigen sich<br />

unterschiedliche Altersgruppeneffekte im Niveau <strong>und</strong> bei den Veränderungen über die Zeit. In<br />

Westdeutschland s<strong>in</strong>d die 55- bis 69-Jährigen mit 7,3 Prozent die Hauptbetroffenengruppe, dicht<br />

gefolgt von den 70- bis 85-Jährigen. Hier haben also die Ältesten zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 die<br />

Hauptbetroffenheit an die mittlere Altersgruppe abgegeben. H<strong>in</strong>gegen weisen die 55- bis 69-<br />

Jährigen im Osten Deutschlands mit 9,7 Prozent gerade die niedrigsten Armutsquoten <strong>in</strong> dieser<br />

Region auf. Hier s<strong>in</strong>d die 40- bis 54-Jährigen mit 13,6 Prozent <strong>und</strong> die 70- bis 85-Jährigen mit<br />

11,4 Prozent weitaus häufiger von Armut betroffen. Die Veränderungstendenzen divergieren<br />

zwischen West <strong>und</strong> Ost. In Westdeutschland lassen sich Zunahmen der Armutsbetroffenheit vor<br />

allem <strong>in</strong> der mittleren <strong>und</strong> jüngeren der untersuchten Altersgruppen nachweisen, während die<br />

Quoten im höheren Alter abs<strong>in</strong>ken. Dagegen f<strong>in</strong>den sich die stärksten Zuwächse gerade unter<br />

den 70- bis 85-Jährigen <strong>in</strong> Ostdeutschland <strong>und</strong> die Anstiege unter den beiden jüngeren Gruppen<br />

s<strong>in</strong>d ger<strong>in</strong>ger. Zeigte sich noch 1996 e<strong>in</strong>e für Ostdeutschland nach der Vere<strong>in</strong>igung spezifische,<br />

ganz herausragende Armutsbetroffenheit der noch im Erwerbsleben stehenden Gruppen, so<br />

haben die ältesten Ruheständler nunmehr gleichgezogen. Dieser Trend entspricht den zuvor<br />

angesichts der wirtschaftlichen <strong>und</strong> rechtlichen Verschiebungen formulierten Erwartungen.<br />

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich überdurchschnittliche Anstiege der Verbreitung<br />

von Armut vor allem unter den Ältesten <strong>in</strong> Ostdeutschland <strong>und</strong> unter 40- bis 54-jährigen<br />

Männern <strong>in</strong> beiden Landesteilen f<strong>in</strong>den lassen. Aufgr<strong>und</strong> der Altersdifferenzen <strong>in</strong> Ehen- <strong>und</strong><br />

anderen Partnerschaften ist plausibel anzunehmen, dass die Quoten unter jüngeren Frauen <strong>in</strong><br />

den nächsten Jahren nachziehen können. Es deuten sich hier neue Problemgruppen an: Ältere,<br />

die mit der E<strong>in</strong>kommensentwicklung der Jüngeren nicht Schritt halten können <strong>und</strong> Personen im<br />

Erwerbsleben, die ke<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichenden E<strong>in</strong>kommen erzielen können. Hiermit korrespondieren<br />

auch die zuvor genannten Ergebnisse zur allgeme<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>kommens-Ungleichheit.<br />

Verbreitung von Wohlstand<br />

Fragen nach Reichtum <strong>und</strong> Wohlstand <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft – die Analyse besonders vorteilhaft<br />

situierter Gruppen <strong>und</strong> der Mechanismen ihrer Bevorzugung – s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den letzten Jahren stärker<br />

<strong>in</strong> das Bewusstse<strong>in</strong> von Forschung <strong>und</strong> Gesellschaftspolitik gerückt worden (Nollmann & Strasser,<br />

2002). Als Beispiel hierfür können die Armuts- <strong>und</strong> Reichtumsberichte der B<strong>und</strong>esregierung<br />

<strong>und</strong> die darum rankende wissenschaftliche Aktivität gelten (B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium für Arbeit<br />

<strong>und</strong> Sozialordnung, 2001; Merz, 2001; Huster & Eissel, 2001). Allgeme<strong>in</strong> werden jedoch Fragen<br />

des Zusammenhangs von Reichtum <strong>und</strong> Alter <strong>in</strong> der Armuts- <strong>und</strong> Reichtumsberichterstattung<br />

des B<strong>und</strong>es weitgehend ignoriert. Im Zentrum stehen hier konventionellerweise Erwerbstätige.<br />

Mit Blick auf das Alter f<strong>in</strong>den sich bestenfalls Feststellungen, die Sicherung der Alterse<strong>in</strong>kommen<br />

sei zentrales Politikziel (sogleich ergänzt <strong>und</strong> relativiert durch die Absicht, die Sozialversicherungsbeiträge<br />

stabil zu halten) (B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium für Arbeit <strong>und</strong> Sozialordnung,<br />

2001: XIX) oder die Bekämpfung verschämter Altersarmut sei e<strong>in</strong> bedeutendes Politikziel<br />

(XXIII). Differenzierung nach Alter f<strong>in</strong>den sich nur selten <strong>und</strong> ggf. nur alternswissenschaftlich<br />

unzureichend grob kategorisierend (vgl. z.B. Schupp & Wagner, 2003, S.60).<br />

157


158<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Die Frage nach der Verbreitung von Reichtum ist aber auch aus der Perspektive der sozial- <strong>und</strong><br />

verhaltenswissenschaftlichen Altersforschung relevant. Zugleich stellt sie e<strong>in</strong>en zentralen Bestandteil<br />

der allgeme<strong>in</strong>eren Untersuchung sozialer Ungleichheit dar. Es stellt sich auch sozialpolitisch<br />

aus Sicht der laufenden Debatten vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der Bestrebungen zur Reform der<br />

GRV<strong>und</strong> der F<strong>in</strong>anzierungsnöte von B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Gebietskörperschaften die sozialpolitische Frage,<br />

ob es e<strong>in</strong>e große Gruppe alter Menschen gibt, die über derart hohe wirtschaftliche Ressourcen<br />

verfügt, dass beispielsweise spezifische <strong>und</strong> gezielte Beschränkungen von Leistungen der<br />

öffentlichen Alterssicherungssysteme möglich s<strong>in</strong>d. Zugleich ließe sich fragen, <strong>in</strong>wieweit sich<br />

besonders bevorzugte Alternslagen ihren Niederschlag <strong>in</strong> spezifischen Planungen <strong>und</strong> Bewertungen<br />

f<strong>in</strong>den, oder ob solche Begünstigungen eher nur ger<strong>in</strong>ge Auswirkungen auf Alternsverläufe<br />

<strong>und</strong> Planungen haben. Differenzierende Analysen s<strong>in</strong>d also auch aus der Sicht der Alternsforschung<br />

wünschenswert. Nachfolgend soll aber alle<strong>in</strong> die Verteilung begünstigter E<strong>in</strong>kommenslagen<br />

beschrieben werden. Weitergehende Analysen s<strong>in</strong>d an anderer Stelle vorzustellen.<br />

Bislang vorliegenden Analysen zum Wohlstand im Alter zeigen, dass der Anteil der Wohlhabenden<br />

unter den Alten ger<strong>in</strong>g ist <strong>und</strong> – wie auch <strong>in</strong> anderen Altersgruppen – im Bereich der<br />

Armutsquoten oder noch darunter liegt (vgl. B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium für Arbeit <strong>und</strong> Sozialordnung,<br />

2001). Der Anteil über 65-Jähriger mit mehr als dem zweifachen Durchschnittse<strong>in</strong>kommen ist<br />

auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels wegen zu ger<strong>in</strong>ger Fallzahlen kaum nachweisbar.<br />

Der Alterssurvey stellte hier 1996 erstmals die für solche Analysen notwendigen Items <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

ausreichend großen, repräsentativen Stichprobe bereit (Künem<strong>und</strong>, 2000; Motel, 2000) <strong>und</strong><br />

belegte nur ger<strong>in</strong>ge Quoten des Wohlstands <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte. So überhaupt quantitativ<br />

bedeutsam nachweisbar, häuften sie sich <strong>in</strong> der Mitte der 90er-Jahre Reichtumslagen unter<br />

Erwerbstätigen <strong>in</strong> Westdeutschland. In Ostdeutschland war die Verbreitung von Reichtumslagen<br />

als überhaupt nur marg<strong>in</strong>al zu bezeichnen.<br />

E<strong>in</strong>kommensreichtum, gemessen als die Verfügung über e<strong>in</strong> Äquivalenze<strong>in</strong>kommen von m<strong>in</strong>destens<br />

200 Prozent des arithmetischen Mittel der Gesamtbevölkerung (s.o.), ist im Jahr 2002<br />

unter den 40- bis 85-Jährigen <strong>in</strong> Deutschland ähnlich häufig verbreitet wie die E<strong>in</strong>kommensarmut.<br />

Die Quote beträgt 7,8 Prozent (relative E<strong>in</strong>kommensarmut: 7,4 Prozent) <strong>und</strong> hat sich zwischen<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 ger<strong>in</strong>gfügig erhöht (Tabelle 4.4). Die Geschlechtsdifferenzen s<strong>in</strong>d<br />

deutschlandweit vor allem <strong>in</strong> der mittleren Altersgruppe der 55- bis 69-Jährigen relevant. Unter<br />

den 40- bis 54-Jährigen zeigen sich generell ähnliche Quoten. Dies war zu erwarten, da Geschlechtsdifferenzen<br />

ohneh<strong>in</strong> vor allem von den Alle<strong>in</strong>lebenden – hier vor allem von den Witwen<br />

– herrühren. Die Wohlstandsquote nimmt über die Altersgruppen stark ab. Während 9,4<br />

Prozent der 40- bis 85-Jährigen als e<strong>in</strong>kommensreich oder wohlhabend zu bezeichnen s<strong>in</strong>d, gilt<br />

dies nur für 4,2 Prozent der 70- bis 85-Jährigen. Die Unterschiede zwischen West- <strong>und</strong> Ostdeutschland<br />

s<strong>in</strong>d weiterh<strong>in</strong> stark ausgeprägt. 9,1 Prozent der Westdeutschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

aber nur 2,8 Prozent der gleich alten Ostdeutschen s<strong>in</strong>d reich bzw. wohlhabend. Erstaunlich<br />

ersche<strong>in</strong>t, dass der bereits im Jahr 1996 verschw<strong>in</strong>dend ger<strong>in</strong>ge Anteil von 0,5 Prozent<br />

unter den 70- bis 85-Jährigen <strong>in</strong> Ostdeutschland bis 2002 stabil bleibt. Altersreichtum kommt<br />

auch zu Beg<strong>in</strong>n des neuen Jahrtausends <strong>in</strong> Ostdeutschland kaum vor.


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Tabelle 4.4:<br />

E<strong>in</strong>kommensreichtum (<strong>in</strong> Prozent)<br />

1996<br />

2002<br />

Veränderg.<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

40-54 Jahre 12,8 10,3 11,6 1,6 1,7 1,7 10,6 8,5 9,6<br />

55-69 Jahre 7,8 6,2 7,0 1,0 0,7 0,8 6,5 4,9 5,7<br />

70-85 Jahre 7,6 4,7 5,8 0,5 0,5 0,5 6,4 3,9 4,8<br />

Gesamt 10,2 7,6 8,9 1,2 1,1 1,2 8,4 6,3 7,3<br />

40-54 Jahre 11,2 10,3 10,8 3,6 4,7 4,1 9,6 9,1 9,4<br />

55-69 Jahre 12,9 6,6 9,7 4,5 0,7 2,5 11,1 5,4 8,1<br />

70-85 Jahre 6,7 4,1 5,1 0,0 0,7 0,4 5,5 3,4 4,2<br />

Gesamt 11,0 7,4 9,1 3,4 2,3 2,8 9,4 6,3 7,8<br />

40-54 Jahre -1,6 0,0 -0,8 2,0 3,0 2,4 -1,0 0,6 -0,2<br />

55-69 Jahre 5,1 0,4 2,7 3,5 0,0 1,7 4,6 0,5 2,4<br />

70-85 Jahre -0,9 -0,6 -0,7 -0,5 0,2 -0,1 -0,9 -0,5 -0,6<br />

Gesamt 0,8 -0,2 0,2 2,2 1,2 1,6 1,0 0,0 0,5<br />

Äquivalenzskala: OECD (neu); Reichtumsgrenze: 200% des arithmetischen Mittelwertes.<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 4.275/2.686), gewichtet.<br />

In der Betrachtung des zeitlichen <strong>Wandel</strong>s zeigen sich aber <strong>in</strong> den Niveaus allgeme<strong>in</strong>e Nivellierungstendenzen<br />

zwischen den Landesteilen. Der Anteil <strong>in</strong> Westdeutschland ist nämlich über die<br />

Zeit nahezu konstant geblieben, wenngleich sich auch im Westen ger<strong>in</strong>gfügige Verschiebungen<br />

<strong>in</strong> der Verteilung des Wohlstands zeigen, die mit den allgeme<strong>in</strong>eren Ergebnissen zur <strong>Entwicklung</strong><br />

der E<strong>in</strong>kommensungleichheit korrespondieren. Zunahmen des Anteils f<strong>in</strong>den sich vor allem<br />

unter den 55- bis 69-Jährigen Männern, die ihre hohen E<strong>in</strong>kommen offenbar <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

mitnehmen können (solche Effekte s<strong>in</strong>d für Frauen aufgr<strong>und</strong> der Altersdifferenzen wohl<br />

eher nachlaufend zu erwarten), während sich leichte Abnahmen vor allem unter den über 70-<br />

Jährigen nachweisen lassen. Im Gegensatz zur westdeutschen <strong>Entwicklung</strong> hat sich der Anteil<br />

besonders wohlhabender Personen mit mehr als dem doppelten Durchschnittse<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong><br />

Ostdeutschland auf sehr niedrigem Niveau verdoppelt – die West-Ost-Ratio von r<strong>und</strong> 7,4:1<br />

(1996) verr<strong>in</strong>gert sich damit bis zum Jahr 2002 deutlich auf etwa 3,3:1. Die Altersgruppendifferenzen<br />

verschärfen sich <strong>in</strong> Ostdeutschland im Betrachtungszeitraum, denn die Niveaugew<strong>in</strong>ne<br />

gehen alle<strong>in</strong> auf die jüngste Altersgruppe – bei den Männern auch auf die mittlere Gruppe –<br />

zurück. Die geschlechtsdisparate <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> der mittleren der Altersgruppen (die sich letztlich<br />

ja bereits <strong>in</strong> den westdeutschen Quoten zeigte) verschärft dann auch die bestehenden Geschlechterdifferenzen<br />

<strong>in</strong> Ostdeutschland – e<strong>in</strong>e <strong>Entwicklung</strong>, die sich moderater auch <strong>in</strong> Westdeutschland<br />

abzeichnet. In beiden Landesteilen zeigt sich h<strong>in</strong>sichtlich der Reichtumslagen also<br />

e<strong>in</strong>e Verschärfung der Geschlechterungleichheit unter den Altersgruppen, die dabei s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> den<br />

Ruhestand überzugehen oder diesen Schritt <strong>in</strong> der jüngeren Vergangenheit gerade getan haben.<br />

159


4.5.4 Vermögen, Verschuldung, Sparen <strong>und</strong> Entsparen<br />

160<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Aktuelle <strong>und</strong> künftige Ruheständler kompensieren M<strong>in</strong>derungen der Leistungen der GRV möglicherweise<br />

<strong>in</strong> erheblichem Maße durch Zuflüsse aus Erbschaften <strong>und</strong> durch Kapitale<strong>in</strong>kommen.<br />

Erstens zeigt sich bereits heute, dass die Vermögensausstattung künftiger Ruhestandskohorten<br />

häufig günstiger ist als die heutiger Älterer (z.B. Braun, Burger, Miegel, Pfeiffer, & Schulte,<br />

2002; Kohli et al., 2000; Lauterbach & Lüscher, 1995; Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, 2000). Zweitens deuten<br />

alle verfügbaren Daten auf e<strong>in</strong>e Zunahme von Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit <strong>und</strong> Umfang von Erbschaften<br />

h<strong>in</strong> (Braun et al., 2002; Lauterbach, 1998; Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel et al., 2004; Szydlik,<br />

1999). Vermögen <strong>und</strong> Zuflüsse von Erbschaften betreffen dabei vor allem Personen mit höheren<br />

E<strong>in</strong>kommen: „’Besserverdiener’ besitzen höhere Vermögen“, „’Besserverdiener’ erben häufiger“<br />

<strong>und</strong> „’Besserverdiener’ erben mehr“ (Braun et al., 2002; Künem<strong>und</strong> et al., 2004; Szydlik,<br />

1999). Erbschaften haben also e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf Verteilungen <strong>in</strong>nerhalb von Geburtskohorten,<br />

jedoch wird Ungleichheit allgeme<strong>in</strong> nicht durch Erbschaften erzeugt, sondern lediglich über die<br />

Zeit <strong>und</strong> Kohorten perpetuiert.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs wird die Gesamtentwicklung mittelfristig mit e<strong>in</strong>er erheblichen Zunahme der Ungleichverteilung<br />

von Alterse<strong>in</strong>kommen e<strong>in</strong>hergehen: Während sich die E<strong>in</strong>kommen unterer<br />

sozialer Schichten mit Blick auf diese Ursachen eher stabil entwickeln dürften, was sich je nach<br />

Berechnungsgr<strong>und</strong>lage <strong>in</strong> konstanten oder leicht ansteigenden Armutsquoten äußern dürfte,<br />

könnten <strong>in</strong>sbesondere hohe E<strong>in</strong>kommen weiter ansteigen, wie der <strong>in</strong>ternationale Vergleich nahe<br />

legt (G<strong>in</strong>n & Arber, 2000; Yamada, 2003), so dass die Annahme der sozialen Ausdifferenzierung<br />

mit weiter zunehmender Ausprägung e<strong>in</strong>er quantitativ bedeutsamen, besonders e<strong>in</strong>kommensstarken<br />

Gruppe Älterer plausibel ersche<strong>in</strong>t. Die <strong>Entwicklung</strong> von Vermögensbesitz <strong>und</strong><br />

Verschuldung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte sowie von Zu- <strong>und</strong> Abflüssen durch Erbschaften,<br />

Sparen <strong>und</strong> Entsparen s<strong>in</strong>d daher langfristig zu beobachten <strong>und</strong> <strong>in</strong> ihren Wirkungen zu untersuchen.<br />

Geldvermögen <strong>und</strong> Verb<strong>in</strong>dlichkeiten<br />

Trotz der <strong>in</strong> weiten Teilen der Bevölkerung durchaus beachtlichen Kapitalbestände (vgl. Hauser<br />

& Ste<strong>in</strong>, 2001) ist der Bevölkerungsanteil, der <strong>in</strong> nennenswerter Weise auf Kapitalerträge aus<br />

Geldvermögen zurückgreifen kann, vergleichsweise ger<strong>in</strong>g. Das mittlere, jährliche Vermögense<strong>in</strong>kommen<br />

beträgt gemäß den Angaben der E<strong>in</strong>kommens- <strong>und</strong> Verbrauchsstichprobe (EVS)<br />

1998 r<strong>und</strong> 18.000 DM (etwa 9.000 €), wobei aber die Verteilung selbst unter den Beziehern<br />

(also unter Ausschluss derjenigen ohne Vermögense<strong>in</strong>kommen) mit e<strong>in</strong>em G<strong>in</strong>i-Koeffizienten<br />

von .40 deutlich ungleicher als im Falle der Nettoäquivalenze<strong>in</strong>kommen ist (vgl. Hauser & Becker,<br />

2003). 17 Die Nettovermögen s<strong>in</strong>d noch weitaus ungleicher verteilt. Der G<strong>in</strong>i-Koeffizient<br />

liegt hier lt. EVS im Jahr 1998 auf Haushaltsebene bei etwa 0.640 (West) bzw. 0,676 (Ost) <strong>und</strong><br />

auf Personenebene bei 0.624 (West) bzw. 0.635 (Ost) (vgl. Hauser & Becker, 2003, S. 124 <strong>und</strong><br />

133).<br />

17 Der Koeffizient liegt <strong>in</strong> der EVS 1998 dabei e<strong>in</strong>malig niedrig - <strong>in</strong> allen Jahren zuvor lassen sich Werte deutlich<br />

über .50 errechnen.


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Tabelle 4.5:<br />

Vermögensbesitz privater Haushalte nach Alter <strong>und</strong> relativer E<strong>in</strong>kommensposition, 2002<br />

(E<strong>in</strong>kommen - äquivalenzgewichtet nach Citro & Michael, 1995)<br />

Bevölkerung. <strong>in</strong>sgesamt Ältere von 65 – 85 Jahren<br />

Vermögen Bestand Wert (> 0) Bestand Wert (> 0)<br />

E<strong>in</strong>kommensposition (<strong>in</strong> %) (<strong>in</strong> €) (<strong>in</strong> %) (<strong>in</strong> €)<br />

mehr als 200 % 93,6 % 296.640 € 97,7 % 360.315 €<br />

151 –200 % 89,7 % 136.630 € 99,4 % 220.296 €<br />

101 – 150 % 83,2 % 98.353 € 85,8 % 148.171 €<br />

51 – 100 % 69,8 % 74.457 € 76,8 % 86.799 €<br />

0 – 50% 43,0 % 61.135 € 57,5 % 106.522 €<br />

Gesamt 73,4 % 105.785 € 78,3 % 124.912 €<br />

Quelle: SOEP, Berechnungen nach Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel et al., 2004.<br />

Zwar ist gerade das Geldvermögen <strong>in</strong> den zurückliegenden Jahren überproportional angestiegen<br />

<strong>und</strong> die Analysen des Alterssurvey, des SOEP oder auch der EVS können zeigen, dass e<strong>in</strong>e<br />

deutliche Mehrheit der Gesamtbevölkerung Zugriff auf Vermögensbestände hat, doch ist zum<br />

e<strong>in</strong>em dieser Zugriff stets auch stark nach sozialen Gruppen differenziert – Bezieher niedriger<br />

E<strong>in</strong>kommen besitzen e<strong>in</strong>erseits generell seltener Vermögen, andererseits haben sie auch als<br />

Vermögensbesitzer im Mittel deutlich ger<strong>in</strong>gere Beträge zur Verfügung (Tabelle 4.5). Zum<br />

anderen bestehen die privaten Vermögensbestände <strong>in</strong>sgesamt <strong>in</strong> selbstgenutztem Wohneigentum<br />

(etwa zwei Drittel des privaten Vermögensbesitzes umfasst diese Vermögensform), das<br />

(sieht man e<strong>in</strong>mal von dem geldwerten Vorteil durch E<strong>in</strong>sparen der Mietzahlungen ab) nicht<br />

unmittelbar e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>kommenserzielung zulässt <strong>und</strong> auch nicht ohne weiteres zur Erhöhung des<br />

E<strong>in</strong>kommens kapitalisiert werden kann.<br />

Die Daten des Alterssurvey belegen, dass die Verbreitung des Vermögensbesitzes zwischen<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 <strong>in</strong>sgesamt weitgehend stabil geblieben ist (Tabelle 4.6; vgl. auch Anhangstabelle<br />

A.4.3). E<strong>in</strong>bußen f<strong>in</strong>den sich allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> Ostdeutschland <strong>und</strong> hier vor allem bei den über 70-<br />

Jährigen. H<strong>in</strong>sichtlich der Verb<strong>in</strong>dlichkeiten sehen wir e<strong>in</strong> anderes Bild (Tabelle 4.7; vgl. auch<br />

Anhangstabelle A.4.4). Hier zeigen sich <strong>in</strong>sgesamt Rückgänge der Verbreitung der Verschuldung,<br />

die gleichermaßen aus <strong>Entwicklung</strong>en <strong>in</strong> West- wie <strong>in</strong> Ostdeutschland resultieren. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

greift dieser Trend vor allem für die 40- bis 54-Jährigen, wo auf hohem Niveau Rückgänge<br />

zu verzeichnen s<strong>in</strong>d. Die Verbreitung der Verschuldung unter den 70- bis 85-Jährigen ist<br />

dagegen auf niedrigem Niveau weitgehend stabil.<br />

161


Tabelle 4.6:<br />

Geldvermögen (<strong>in</strong> Prozent)<br />

1996<br />

2002<br />

162<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

40-54 Jahre 86,3 79,5 83,0 86,2 80,9 83,6 86,3 79,7 83,2<br />

55-69 Jahre 82,2 76,7 79,5 82,2 80,7 81,5 82,2 77,5 79,9<br />

70-85 Jahre 79,5 68,8 72,9 87,6 76,2 80,3 80,9 70,1 74,2<br />

Gesamt 83,8 76,2 79,9 84,8 79,9 82,3 84,0 76,9 80,4<br />

40-54 Jahre 80,2 80,9 80,6 76,4 75,0 75,7 79,5 79,7 79,6<br />

55-69 Jahre 85,2 77,5 81,3 76,8 71,9 74,3 83,6 76,4 79,9<br />

70-85 Jahre 79,6 73,0 75,6 71,7 59,7 64,1 78,2 70,5 73,5<br />

Gesamt 81,9 77,7 79,7 75,8 70,2 72,9 80,7 76,2 78,4<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 3.610/2.485), gewichtet.<br />

Tabelle 4.7:<br />

Verb<strong>in</strong>dlichkeiten (<strong>in</strong> Prozent)<br />

1996<br />

2002<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

40-54 Jahre 35,1 29,0 32,1 36,4 29,5 33,0 35,3 29,1 32,3<br />

55-69 Jahre 16,6 12,7 14,6 19,7 18,7 19,2 17,2 13,8 15,5<br />

70-85 Jahre 4,1 3,7 3,9 4,5 4,0 4,2 4,2 3,8 3,9<br />

Gesamt 23,7 17,6 20,5 26,2 20,7 23,3 24,2 18,2 21,1<br />

40-54 Jahre 29,0 23,7 26,4 30,4 24,2 27,3 29,3 23,8 26,6<br />

55-69 Jahre 13,5 9,6 11,5 13,5 12,6 13,0 13,5 10,2 11,8<br />

70-85 Jahre 5,2 2,2 3,3 5,1 2,9 3,7 5,2 2,3 3,4<br />

Gesamt 18,9 13,2 15,9 20,1 14,9 17,4 19,1 13,6 16,2<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 3.880/2.702), gewichtet.<br />

Immobilienvermögen<br />

Der Immobilienbesitz ist neben dem Geldvermögen e<strong>in</strong>e zweite wichtige Form des privaten<br />

Vermögensbesitzes. Zwar s<strong>in</strong>d Immobilien weniger verbreitet als der Besitz von Geldwerten<br />

(vgl. Tabelle 4.8). Doch h<strong>in</strong>sichtlich des Wertes des Besitzes übertrifft der Immobilienbesitz das<br />

private Geldvermögen deutlich (vgl. Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel et al., 2004; Hauser & Becker, 2003).<br />

Immobilienvermögen ist also weitaus ungleicher verteilt als das Geldvermögen. Vor allem der<br />

Besitz selbstgenutzten Wohneigentums stellt im Alter, wenn das Wohneigentum der Ruheständler<br />

nicht mehr mit Hypotheken belastet ist, angesichts der hierdurch ersparten Ausgaben für<br />

Mieten e<strong>in</strong>e bedeutende Ressource dar.


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Der Besitz von Immobilienvermögen ist weit verbreitet. Insgesamt knapp 64 Prozent der 40- bis<br />

85-Jährigen s<strong>in</strong>d im Besitz von Immobilien. Dies s<strong>in</strong>d E<strong>in</strong>familienhäuser, Reihenhäuser, Doppelhaushälften,<br />

Mehrfamilienhäuser, Eigentumswohnungen sowie auch Ferienhäuser <strong>und</strong> -<br />

wohnungen. Der Besitz „sonstiger Gr<strong>und</strong>stücke“ wurde <strong>in</strong> den vorliegenden Berechnungen<br />

nicht berücksichtigt. Die Quoten haben sich <strong>in</strong> Westdeutschland über den Beobachtungszeitraum<br />

<strong>in</strong>sgesamt kaum verändert, auch wenn sich die Verteilung über die Altersgruppen offenbar<br />

im <strong>Wandel</strong> bef<strong>in</strong>det. E<strong>in</strong> erheblicher Anstieg f<strong>in</strong>det sich bei den Älteren über 55 Jahren, während<br />

unter den 40- bis 54-Jährigen die Quoten sogar leicht rückläufig s<strong>in</strong>d. Offenbar gel<strong>in</strong>gt es<br />

den Älteren derzeit oftmals mit Immobilienbesitz zu altern, während die Mitglieder der <strong>in</strong> die<br />

zweite Lebenshälfte nachrückenden Kohorten seltener mit Immobilienbesitz ausgestattet s<strong>in</strong>d.<br />

Tabelle 4.8:<br />

Besitz von Immobilienvermögen (<strong>in</strong> Prozent)<br />

1996<br />

2002<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

40-54 Jahre 67,4 71,5 69,4 44,7 48,6 46,6 62,9 67,0 64,9<br />

55-69 Jahre 69,8 69,7 69,7 44,3 37,9 41,1 64,9 63,6 64,2<br />

70-85 Jahre 62,8 47,6 53,4 39,8 30,6 33,8 59,0 44,5 49,9<br />

Gesamt 67,7 65,7 66,7 44,0 41,2 42,5 63,1 61,0 62,0<br />

40-54 Jahre 64,0 66,6 65,3 51,8 54,6 53,2 61,5 64,1 62,8<br />

55-69 Jahre 73,3 76,1 74,7 56,6 45,9 51,1 69,9 69,8 69,8<br />

70-85 Jahre 67,0 56,0 60,2 33,6 26,1 28,8 61,1 50,3 54,4<br />

Gesamt 67,9 67,0 67,5 50,7 44,6 47,5 64,5 62,5 63,5<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 3.866/2.734), gewichtet.<br />

In Ostdeutschland h<strong>in</strong>gegen verschiebt sich auf niedrigerem Niveau (2002: knapp 48 Prozent)<br />

die Verteilung weiter zugunsten der jüngeren Geburtskohorten. Bei den unter 70-Jährigen überschreitet<br />

der Anteil die 50-Prozent-Marke, während er bei den Ältesten sogar leicht rückläufig<br />

zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t. Die stärksten Zunahmen f<strong>in</strong>den sich hier <strong>in</strong> der mittleren Gruppe der 55- bis 69-<br />

Jährigen.<br />

Sparen <strong>und</strong> Entsparen<br />

Der Alterssurvey bietet <strong>in</strong> beiden Erhebungswellen die Möglichkeit, die Entstehung <strong>und</strong> Auflösung<br />

von Vermögen zu beobachten. Dabei kommt von Spar- <strong>und</strong> Entsparvorgängen e<strong>in</strong>e bedeutende<br />

Rolle zu. Daneben s<strong>in</strong>d Übertragungen <strong>in</strong> der Form von Vererbung <strong>und</strong> von Transfervergaben<br />

relevant die später untersucht werden sollen.<br />

Sparen ist <strong>in</strong> allen Altersgruppen auch im Jahr 2002 weit verbreitet. R<strong>und</strong> 61 Prozent der 40- bis<br />

85-Jährigen geben an, regelmäßig oder auch unregelmäßig Geld zurückzulegen. Trotz der nach<br />

wie vor hohen Verbreitung des Sparens ist die Sparneigung zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 <strong>in</strong> allen<br />

Altersgruppen deutlich zurückgegangen. Hiervon besonders betroffen s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs die über<br />

163


164<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

70-Jährigen, bei denen bei Rückgängen von fast 10 Prozentpunkten (West) bzw. über 20 Prozentpunkten<br />

(Ost) von regelrechten E<strong>in</strong>brüchen im Sparverhalten gesprochen werden muss (vgl.<br />

Tabelle 4.9). Die <strong>in</strong> den oberen Altersgruppen ger<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> gegenüber 1996 im Jahr 2002 auch<br />

überdurchschnittlich verr<strong>in</strong>gerte Sparneigung korrespondiert mit den vorangehenden Schilderungen<br />

der <strong>Entwicklung</strong> der E<strong>in</strong>kommen. Hier wurde deutlich, dass die E<strong>in</strong>kommen der über<br />

70-Jährigen nicht mit der allgeme<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>kommensentwicklung Schritt halten konnte. Gleiches<br />

gilt für die Verr<strong>in</strong>gerung der Sparneigung unter den 40- bis 55-Jährigen bzw. der 70- bis 85-<br />

Jährigen. Auch hier spiegelt sich die Veränderung der E<strong>in</strong>kommenslagen.<br />

Tabelle 4.9:<br />

Sparen (<strong>in</strong> Prozent)<br />

1996<br />

2002<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

40-54 Jahre 72,3 67,1 69,8 65,6 68,0 66,8 71,0 67,3 69,2<br />

55-69 Jahre 69,5 69,1 69,3 71,0 68,7 69,8 69,8 69,0 69,4<br />

70-85 Jahre 70,1 59,6 63,5 78,9 68,7 72,3 71,5 61,2 65,0<br />

Gesamt 70,9 66,1 68,5 69,3 68,4 68,8 70,6 66,6 68,5<br />

40-54 Jahre 60,1 62,6 61,3 61,5 55,6 58,6 60,4 61,2 60,8<br />

55-69 Jahre 70,2 61,7 65,8 62,4 62,3 62,4 68,6 61,8 65,1<br />

70-85 Jahre 58,3 51,4 54,1 60,6 46,4 51,6 58,7 50,5 53,7<br />

Gesamt 63,4 59,4 61,3 61,7 55,8 58,6 63,1 58,7 60,8<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 3.931/2.734), gewichtet.<br />

Bei den Zwecken, die von den 40- bis 85-Jährigen mit dem Sparen verfolgt werden, rangieren<br />

besondere Anschaffungen an erster Stelle (Tabelle 4.10). Allerd<strong>in</strong>gs ist diese Stellung <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

weniger ausgeprägt – hier liegt die Vorsorge für das eigene Alter nahezu gleichauf.<br />

Nur <strong>in</strong>sgesamt etwa e<strong>in</strong> Sechstel der 40- bis 85-Jährigen legt h<strong>in</strong>gegen Geld für Angehörige<br />

zurück. Alle<strong>in</strong> unter den 70- bis 85-Jährigen spielt dieses Ziel e<strong>in</strong>e besonders herausragende<br />

Bedeutung – r<strong>und</strong> 28 Prozent der Personen <strong>in</strong> diesem Alter gibt an, für die Unterstützung von<br />

Angehörigen zu sparen. Dies geschieht offenbar zu Lasten des Sparens für Anschaffungen, während<br />

das Sparmotiv der Altersvorsorge auch <strong>in</strong> dieser Altersgruppe ungebrochen sche<strong>in</strong>t. Sonstige<br />

Sparziele gibt ebenfalls etwa jeder Sechste an.


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Tabelle 4.10:<br />

Sparzwecke (nur Sparer, <strong>in</strong> Prozent)<br />

Für bestimmte<br />

Anschaffungen<br />

Für das<br />

eigene Alter<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

59,4 59,4 59,4 54,6 48,3 51,4 58,5 57,3 57,9<br />

49,4 44,7 47,0 53,4 52,7 49,4 50,2 46,2 48,2<br />

Für Angehörige 17,7 17,9 17,8 13,2 16,7 15,0 16,8 17,7 17,2<br />

Für sonstige Zwecke 13,6 15,9 14,7 15,3 15,4 15,3 13,9 15,8 14,9<br />

Quelle: Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 2.659), nur Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft, gewichtet,<br />

Mehrfachnennungen s<strong>in</strong>d möglich.<br />

Auch das Entsparen geschieht im Jahr 2002 offenbar <strong>in</strong> deutlich gedämpfterem Umfang als dies<br />

noch 1996 der Fall war (Tabelle 4.11). Entnahmen 1996 noch r<strong>und</strong> 44 Prozent der 40- bis 85-<br />

Jährigen Vermögensressourcen für bestimmte Zwecke, so ist der Anteil bis 2002 auf etwa e<strong>in</strong><br />

Drittel abgesunken. Die Abnahmen s<strong>in</strong>d – wie schon beim Sparen – <strong>in</strong> Ostdeutschland besonders<br />

deutlich erkennbar: S<strong>in</strong>kt die Quote <strong>in</strong> Westdeutschland um etwa 10 Prozentpunkte von 43<br />

and 33 Prozent, so f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> Ostdeutschland Abnahmen von 52 auf 34 Prozent – also um<br />

r<strong>und</strong> 18 Prozentpunkte.<br />

Tabelle 4.11:<br />

Entsparen (<strong>in</strong> Prozent)<br />

1996<br />

2002<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

40-54 Jahre 50,3 46,6 48,5 49,5 58,1 53,7 50,2 48,9 49,5<br />

55-69 Jahre 39,1 40,9 40,0 51,4 55,1 53,3 41,4 43,7 42,6<br />

70-85 Jahre 33,6 31,7 32,4 49,7 36,8 41,5 36,3 32,6 34,0<br />

Gesamt 43,7 41,3 42,5 50,3 52,9 51,6 45,0 43,5 44,2<br />

40-54 Jahre 33,1 39,2 36,1 32,7 31,8 32,3 33,0 37,7 35,4<br />

55-69 Jahre 35,2 33,2 34,2 38,7 37,8 38,2 35,9 34,2 35,0<br />

70-85 Jahre 26,7 22,9 24,4 31,6 27,4 29,0 27,5 23,7 25,2<br />

Gesamt 32,7 32,9 32,8 34,8 32,9 33,8 33,1 32,9 33,0<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 3.873/2.708), gewichtet.<br />

Die im Jahr 1996 noch vorzuf<strong>in</strong>denden West-Ost-Unterschiede haben sich dabei nivelliert. Die<br />

Unterschiede im Niveau bestehen nicht mehr, jedoch zeigen sich <strong>in</strong> den alten B<strong>und</strong>esländern<br />

andere Verteilungsmuster über die Altersgruppen als <strong>in</strong> den neuen Ländern: S<strong>in</strong>d hier die Altersgruppendifferenzen<br />

schwach, so zeigt sich <strong>in</strong> Westdeutschland, dass die Entsparhäufigkeit<br />

unter den 40- bis 54-Jährigen etwa 50 Prozent über jener unter den 70- bis 85-Jährigen liegt.<br />

165


166<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Unter den Zielen, die mit der Entnahme von Vermögensteilen verfolgt werden (Tabelle 4.12),<br />

rangieren <strong>in</strong>sgesamt Konsumziele ganz vorn. Besondere Anschaffungen, Investitionen <strong>in</strong> Haus<br />

oder Wohnung sowie Urlaubsreisen werden vorrangig genannt. Die Verwendung für den normalen<br />

Lebensunterhalt – e<strong>in</strong> Motiv, das auf f<strong>in</strong>anzielle Problemlagen h<strong>in</strong>deutet – f<strong>in</strong>det sich<br />

h<strong>in</strong>ter jeder siebten Entnahme. Für die Unterstützung von Angehörigen f<strong>in</strong>det jede sechste Entnahme<br />

statt. Es f<strong>in</strong>den sich bestimmte Unterschiede <strong>in</strong> den Entnahmezwecken zwischen West-<br />

<strong>und</strong> Ostdeutschland. Besondere Anschaffungen spielen <strong>in</strong> Westdeutschland e<strong>in</strong>e bedeutendere<br />

Rolle, während h<strong>in</strong>gegen die Entnahmen zur Unterstützung von Angehörigen <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

häufiger angegeben werden. Auch bei der Entnahme für Angehörige zeigen sich – wie schon<br />

beim entsprechenden Sparziel – deutliche Altersgruppeneffekte: 29 Prozent der West- <strong>und</strong> sogar<br />

41 Prozent der Ostdeutschen im Alter von 70 bis 86 Jahren geben an, dass das entnommene<br />

Geld zur Unterstützung von Angehörigen bestimmt gewesen sei. H<strong>in</strong>gegen gilt dies <strong>in</strong> beiden<br />

Regionen nur für etwa 9 Prozent der 40- bis 54-Jährigen. Entgegengesetzte Altersgruppendifferenzen<br />

gibt es h<strong>in</strong>gegen wieder bei dem Zweck der besonderen Anschaffung.<br />

Tabelle 4.12:<br />

Gründe für Entsparen (nur Entsparer, <strong>in</strong> Prozent)<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Für den Lebensunterhalt 17,0 13,5 15,2 18,2 8,9 13,4 17,2 12,6 14,8<br />

Für bes. Anschaffungen 41,6 42,2 41,9 25,5 29,2 27,4 38,2 39,6 38,9<br />

Für d. Wohnung/Haus 39,9 43,8 42,0 41,1 45,8 43,5 40,1 44,2 42,3<br />

Für Urlaubsreisen 31,1 28,9 29,9 31,9 28,5 30,1 31,3 28,8 30,0<br />

Für die Unterstützung<br />

von Angehörigen<br />

17,1 12,5 14,7 22,6 22,0 22,3 18,2 14,4 16,2<br />

Für sonstige Zwecke 9,1 9,6 9,4 12,7 8,6 10,6 9,9 9,4 9,6<br />

Quelle: Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 2.698), nur Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft, gewichtet,<br />

Mehrfachnennungen s<strong>in</strong>d möglich.<br />

4.5.5 Erbschaften <strong>und</strong> Transfers zu Lebzeiten<br />

Erbschaften<br />

Der Frage nach der Bedeutung <strong>in</strong>tergenerationaler Ressourcenflüsse durch Erbschaften für die<br />

künftige Vermögensverteilung spielt e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle <strong>in</strong> den Diskussionen um e<strong>in</strong>e<br />

gerechte Ressourcenverteilung zwischen Generationen <strong>und</strong> über die Möglichkeiten <strong>und</strong> Spielräume<br />

für e<strong>in</strong> Zurückführen öffentlichen Transferleistungen an die Älteren. Die prospektive<br />

Fortschreibungen der Erbschaftssituation 1996 auf der Basis der ersten Erhebungswelle des<br />

Alterssurveys (vgl. Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel et al., 2004) deuten denn auch auf e<strong>in</strong>e künftig deutlich<br />

wachsende Verbreitung der Erbschaften h<strong>in</strong>. Die Kumulation von 1996 bereits erhaltenen <strong>und</strong><br />

künftig erwarteten Erbschaft der 60- bis 85-Jährigen steigt von etwa 49 Prozent <strong>in</strong> 1996 auf 60<br />

Prozent im Jahre 2015 (Abbildung 4.9), wo sie bis etwa 2030 entsprechend den Angaben des


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Alterssurveys 1996 verharrt. Möglicherweise handelt es sich bei e<strong>in</strong>em Teil der Abflachung der<br />

Kurve nach 2015 um e<strong>in</strong>en bloßen Erhebungs- <strong>und</strong> Stichprobeneffekt derart, dass die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

weit <strong>in</strong> der Zukunft möglicherweise e<strong>in</strong>treffender Ereignisse unterschätzt wird<br />

<strong>und</strong> die Fortschreibung des Alterssurveys nachwachsende Generationen von Ruheständlern<br />

nicht ausreichend repräsentiert. Wird daher die nahezu l<strong>in</strong>eare <strong>Entwicklung</strong> des ersten Teils des<br />

Betrachtungszeitraumes fortgeschrieben, um e<strong>in</strong>en oberen Wert für e<strong>in</strong>e Schätzung zu generieren,<br />

so lässt sich für die Ruheständler künftig e<strong>in</strong>e Erbschaftsquote von etwa 60 bis zu 70 Prozent<br />

erwarten (Abbildung 4.9).<br />

Abbildung 4.9:<br />

Erhaltene <strong>und</strong> erwartete Erbschaften heutiger <strong>und</strong> künftiger 65- bis 85-Jähriger <strong>in</strong> Deutschland<br />

(Basis 1996)<br />

Prozent<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

1996 erhaltene <strong>und</strong> erwartete Erbschaften<br />

1996 erwartete Erbschaften<br />

1996 bereits erhaltene Erbschaften<br />

1996 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030<br />

Jahr<br />

Fortgeschriebene Zahlen des Jahres 1996. = l<strong>in</strong>eare Fortschreibung der <strong>Entwicklung</strong> über die<br />

ersten zwei Jahrzehnte des Betrachtungszeitraums. 2025: 69- bis 85-Jährige, 2030: 74- bis 85-Jährige.<br />

Quelle: Basisstichprobe des Alterssurveys (n= 3.833), nach Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel et al., 2004.<br />

Die Fortschreibung der Verbreitung von Erbschaften korrespondiert mit erwarteten <strong>Entwicklung</strong>en<br />

ihres tatsächlichen oder erwarteten Umfangs. Über den Untersuchungszeitraum bis 2030<br />

h<strong>in</strong>weg deutet sich e<strong>in</strong> Rückgang der relativen Bedeutung kle<strong>in</strong>erer Erbschaften an, während<br />

gemäß der Fortschreibung der 1996er Daten bis 2030 der Anteil größerer Erbschaften im Wert<br />

von 250.000 € <strong>und</strong> darüber (Werte von 1996) auf zehn Prozent ansteigen wird (Abbildung<br />

4.10). Auch hier ist freilich e<strong>in</strong> Effekt der besseren Vorhersehbarkeit größerer Erbschaften plausibel<br />

anzunehmen. Teilweise ist die Basis der Abschätzungen aber auch noch gänzlich unbekannt,<br />

da sich die später zu erbenden Vermögen noch im Aufbau bef<strong>in</strong>den oder selbst erst noch<br />

durch Erbschaft erworben werden müssen. In anderer Richtung besteht auch die Möglichkeit,<br />

dass Vermögen, deren Vererbung erwartet wird, vor dem Tod des Erblassers teilweise oder<br />

vollständig aufgezehrt werden. Dies ist letztlich für die Befragten langfristig nur schwer vorhersehbar.<br />

Man kann also davon ausgehen, dass die hier angedeuteten <strong>Entwicklung</strong>en nur sehr grob<br />

prospektiv abgeschätzt werden können.<br />

167


168<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Es ist im Folgenden zu fragen, ob sich die 1996 angedeuteten <strong>Entwicklung</strong>en <strong>in</strong> den Daten des<br />

Jahres 2002 bereits faktisch nachzeichnen lassen – ob also die 1996 prognostizierten Anstiege <strong>in</strong><br />

Quoten <strong>und</strong> Werten als Trend durch die Zahlen 2002 bestätigt werden.<br />

Abbildung 4.10:<br />

Wert erhaltener <strong>und</strong> erwarteter Erbschaften heutiger <strong>und</strong> künftiger 65- bis 85-Jähriger <strong>in</strong><br />

Deutschland, 1996<br />

Prozent<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

1996 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030<br />

Jahr<br />

1000000 <strong>und</strong> mehr<br />

500000 - 999999 DM<br />

100000 - 499999 DM<br />

25000 - 99999 DM<br />

5000 - 24999 DM<br />

Unter 5.000 DM<br />

Fortgeschriebene Zahlen des Jahres 1996. Geschätzter Wert der bisherigen <strong>und</strong> künftigen Erbschaften <strong>in</strong> Preisen von<br />

1996; graduelle Unterschätzung des Wertes bei Kumulation bisheriger <strong>und</strong> künftiger Erbschaften durch Kumulation<br />

kategorialer Werte. Der Anstieg der Erbschaftswerte über den Untersuchungszeitraum wird so <strong>in</strong> der Tendenz systematisch<br />

ger<strong>in</strong>gfügig unterschätzt. 2025: 69- bis 85-Jährige, 2030: 74- bis 85-Jährige.<br />

Quelle: Basisstichprobe des Alterssurveys (n= 3.762), nach Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel et al., 2004.<br />

Es zeigt sich, dass die allgeme<strong>in</strong>e Häufigkeit erhaltener Erbschaften zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

ger<strong>in</strong>gfügig von 47 auf 48 Prozent angestiegen ist. Dabei s<strong>in</strong>d erwartungsgemäß <strong>in</strong>sbesondere<br />

die Häufigkeiten unter den 55- bis 69-Jährigen angestiegen. Die Differenz zwischen West- <strong>und</strong><br />

Ostdeutschland ist <strong>in</strong> diesem Prozess eher leicht größer geworden, denn die Zunahmen gehen<br />

alle<strong>in</strong> auf Anstiege <strong>in</strong> Westdeutschland zurück, während <strong>in</strong> Ostdeutschland im Jahr 2002 sogar<br />

leicht niedrigere Quoten zu verzeichnen s<strong>in</strong>d. Dies ist e<strong>in</strong>erseits den 70- bis 85-Jährigen, vor<br />

allem aber auch den neu <strong>in</strong> die zweite Lebenshälfte gekommenen Gruppen der 40- bis 54-<br />

Jährigen zuzuschreiben. Hier erreichen die Quoten im Jahr 2002 nicht mehr das Niveau der<br />

ersten Erhebungswelle 1996. Dieser Effekt zeigt sich im Übrigen auch für die 40- bis 54-<br />

Jährigen Westdeutschen, während tatsächlich starke Anstiege unter den 55- bis 69-Jährigen<br />

stattf<strong>in</strong>den, wie <strong>in</strong> der Fortschreibung der 1996er Daten auch erwartet. Offenbar aber deutet sich<br />

unter den jüngeren Gruppen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte bereits jetzt schon e<strong>in</strong> Rückgang <strong>in</strong> der<br />

Verbreitung von Erbschaften an. Es ist also für die Zukunft nicht e<strong>in</strong>fach von stetige Zuwächsen<br />

auszugehen. Stattdessen haben wir es heute <strong>und</strong> <strong>in</strong> der nahen Zukunft mit e<strong>in</strong>em historisch neuen<br />

„Erbschaftsberg“ zu tun, dessen Effekte nicht e<strong>in</strong>fach für künftige Generationen Älterer fortgeschrieben<br />

werden können.


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Tabelle 4.13:<br />

Erbschaften (<strong>in</strong> Prozent)<br />

1996<br />

2002<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

40-54 Jahre 47,0 47,1 47,0 39,5 38,3 38,9 45,6 45,3 45,4<br />

55-69 Jahre 52,2 54,4 53,3 42,4 45,5 43,9 50,3 52,7 51,5<br />

70-85 Jahre 50,3 40,9 44,4 48,3 38,3 41,9 49,9 40,4 44,0<br />

Gesamt 49,4 48,3 48,9 41,7 40,8 41,3 48,0 46,9 47,4<br />

40-54 Jahre 40,7 44,2 42,4 33,7 33,6 33,6 39,2 42,1 40,7<br />

55-69 Jahre 59,4 60,1 59,8 41,7 47,6 44,8 55,9 57,5 56,7<br />

70-85 Jahre 53,2 49,5 50,9 41,4 32,9 36,0 51,1 46,3 48,2<br />

Gesamt 49,8 51,0 50,5 37,9 38,5 38,2 47,4 48,5 48,0<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 3.949/2.741), gewichtet.<br />

Der Wert der Erbschaften sollte nicht überschätzt werden. Der Wert der Erbschaften liegt zu<br />

beiden Erhebungszeitpunkten unter DM 100.000 bzw. 51.000 € (vgl. Anhangstabelle A.4.11).<br />

Die gilt jeweils für etwa 70 Prozent der westdeutschen Nachlässe <strong>und</strong> 90 Prozent der Erbschaften<br />

<strong>in</strong> Ostdeutschland. H<strong>in</strong>zu kommt, dass große Erbschaften häufig <strong>in</strong>sbesondere an solche<br />

Personen(gruppen) fließen, die ohneh<strong>in</strong> über eigene Vermögensbestände verfügen, <strong>und</strong> Vermögenslose<br />

leer ausgehen oder nur ger<strong>in</strong>ge Beträge erben (Künem<strong>und</strong> et al., 2004) – Erbschaften<br />

verbessern also ggf. die Vermögensausstattung begründen, aber nur selten erheblichen Vermögensbesitz<br />

zu schaffen. Wie auch die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, überhaupt etwas zu erben, so s<strong>in</strong>d also<br />

auch die geerbten Werte zwischen West- <strong>und</strong> Ostdeutschen sehr ungleich verteilt: jede dritte<br />

Erbschaft <strong>in</strong> Ostdeutschland hat e<strong>in</strong>en Wert von weniger als 2.500 € während dies nur für etwa<br />

jede siebte Erbschaft im Westen gilt (vgl. Anhangstabelle A.4.11).<br />

Von Bedeutung für die Vermögensverteilung dürften lediglich die Erbschaften etwas größeren<br />

Umfangs se<strong>in</strong>. Im Folgenden werden Erbschaften im Wert von 2.500 € <strong>und</strong> mehr als größere<br />

Erbschaften bezeichnet (Tabelle 4.14). Hier zeigt sich auf niedrigerem Niveau von im Jahr 2002<br />

<strong>in</strong>sgesamt 41 Prozent e<strong>in</strong> ähnliches Bild: die Quoten <strong>in</strong> den beiden oberen Altersgruppen s<strong>in</strong>d<br />

signifikant angestiegen, während sich e<strong>in</strong> deutlicher Rückgang <strong>in</strong> der Gruppe der 40- bis 54-<br />

Jährigen belegen lässt. Dies ist e<strong>in</strong>e <strong>Entwicklung</strong>, die <strong>in</strong>sgesamt vor allem auf die Westdeutschen<br />

zurückgeht – <strong>in</strong> Ostdeutschland h<strong>in</strong>gegen s<strong>in</strong>d die Quoten <strong>in</strong> allen Altersgruppen weitgehend<br />

konstant. Möglicherweise überlagern sich hier <strong>in</strong> der empirischen Darstellung bestimmte<br />

Nachholeffekte <strong>und</strong> Kohortendifferenzen.<br />

169


Tabelle 4.14:<br />

Erbschaften im Umfang von 2.500 € <strong>und</strong> mehr (<strong>in</strong> Prozent)<br />

1996<br />

2002<br />

170<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

40-54 Jahre 40,8 39,6 40,2 25,0 22,5 23,8 37,7 36,2 37,0<br />

55-69 Jahre 45,4 45,8 45,6 28,6 27,7 28,1 42,2 42,2 42,2<br />

70-85 Jahre 43,3 32,8 36,8 32,4 25,7 28,1 41,5 31,5 35,3<br />

Gesamt 42,9 40,3 41,5 27,3 25,0 26,1 39,9 37,3 38,6<br />

40-54 Jahre 34,5 35,0 34,7 23,8 22,6 23,2 32,3 32,6 32,4<br />

55-69 Jahre 56,2 52,9 54,5 26,3 34,7 30,7 50,2 49,1 49,7<br />

70-85 Jahre 47,8 45,5 46,4 30,7 26,6 28,1 44,8 41,9 43,0<br />

Gesamt 44,9 43,9 44,3 25,8 28,0 27,0 41,1 40,7 40,9<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 3.949/2.741), gewichtet.<br />

Neben den <strong>in</strong> der Vergangenheit erhaltenen Erbschaften erfragt der Alterssurvey auch die Erwartung<br />

künftiger Zuflüsse von Vermögen durch Erbschaft. Die Erwartung künftiger Nachlässe<br />

ist <strong>in</strong> den jüngeren Altersgruppen am weitesten verbreitet. Allerd<strong>in</strong>gs zeigt sich im Vergleich<br />

der Erhebungszeitpunkte e<strong>in</strong>e merkliche Dämpfung der Erwartungshaltung, welche vor allem <strong>in</strong><br />

der jüngsten der betrachteten Altersgruppen auftritt (Tabelle 4.15). Dieses Ergebnis bestätigt die<br />

Annahme e<strong>in</strong>er künftig, im Vergleich zu den angesprochenen, sehr optimistischen Fortschreibungen,<br />

deutlich gedämpften Erbschaftsentwicklung. Die Analysen legen nahe anzunehmen,<br />

dass der derzeitig sichtbaren Erbengeneration e<strong>in</strong>e Generation folgen wird, auf die e<strong>in</strong>e Fortschreibung<br />

der aktuell günstigen <strong>Entwicklung</strong> h<strong>in</strong>sichtlich der <strong>in</strong>tergenerationalen Weitergabe<br />

von Ressourcen nicht s<strong>in</strong>nvoll ersche<strong>in</strong>t.<br />

Tabelle 4.15:<br />

Künftig erwartete Erbschaften (<strong>in</strong> Prozent)<br />

1996<br />

2002<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

40-54 Jahre 38,2 28,7 33,6 22,9 16,5 19,8 35,2 26,3 30,8<br />

55-69 Jahre 16,1 8,5 12,3 10,9 6,5 8,6 15,1 8,1 11,6<br />

70-85 Jahre 1,9 2,1 2,0 1,1 1,2 1,2 1,8 1,9 1,9<br />

Gesamt 24,7 15,9 20,2 15,7 9,9 12,7 23,0 14,7 18,7<br />

40-54 Jahre 32,8 24,9 28,9 17,6 15,2 16,5 29,7 22,9 26,3<br />

55-69 Jahre 15,2 10,4 12,7 9,0 4,7 6,7 13,9 9,2 11,5<br />

70-85 Jahre 2,9 1,1 1,8 1,4 1,4 1,4 2,6 1,1 1,7<br />

Gesamt 20,9 13,7 17,1 11,9 8,1 9,9 19,1 12,6 15,6<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 3.845/2.736), gewichtet.


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Die Kumulation erhaltener <strong>und</strong> erwarteter Erbschaften (Tabelle 4.16) legt die Annahme nahe,<br />

dass die Zuflüsse materieller Ressourcen durch Erbschaften an künftigen Altengenerationen<br />

wohl eher auf dem heutigen Niveau verharren dürfte. Demnach teilt sich die Gesellschaft recht<br />

konstant jeweils etwa hälftig <strong>in</strong> Erben <strong>und</strong> Nichterben – mit e<strong>in</strong>er erheblichen Spreizung unter<br />

den Erben h<strong>in</strong>sichtlich der geerbten Vermögenswerte.<br />

Tabelle 4.16:<br />

Kumulation erhaltener <strong>und</strong> erwarteter Erbschaften (<strong>in</strong> Prozent)<br />

1996<br />

2002<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

40-54 Jahre 63,9 57,8 60,9 49,8 46,8 48,3 61,2 55,6 58,4<br />

55-69 Jahre 57,3 55,9 56,6 45,9 49,0 47,5 55,1 54,5 54,8<br />

70-85 Jahre 50,5 42,0 45,3 48,9 39,3 42,8 50,3 41,6 44,8<br />

Gesamt 59,5 53,7 56,5 48,2 46,1 47,1 57,4 52,2 54,7<br />

40-54 Jahre 59,7 54,4 57,1 41,3 39,7 40,5 55,9 51,6 53,7<br />

55-69 Jahre 64,9 62,7 63,8 48,1 48,3 48,2 61,5 59,7 60,6<br />

70-85 Jahre 54,2 49,8 51,5 42,1 32,9 36,3 52,1 46,6 48,7<br />

Gesamt 60,5 56,1 58,2 43,9 41,2 42,5 57,2 53,1 55,1<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 3.950/2.742), gewichtet.<br />

Transfers zu Lebzeiten der Geber<br />

Transfers zu Lebzeiten der Geber stellen e<strong>in</strong>en weiteren, sehr bedeutenden Aspekt der privaten<br />

<strong>in</strong>tergenerationalen Weitergaben materieller Ressourcen dar. Aus der ersten Erhebung des Alterssurvey<br />

im Jahr 1996 <strong>und</strong> den darauf aufbauenden Publikationen (Motel & Szydlik, 1999;<br />

Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, 2000; Kohli et al., 2000) ist bekannt, dass fast jeder Dritte der 40- bis 85-<br />

Jährigen <strong>in</strong>nerhalb von zwölf Monaten Geld- oder Sachtransfers an Dritte geleistet hat (Tabelle<br />

4.17). Der Erhalt solcher Leistungen ist h<strong>in</strong>gegen wesentlich seltener: weniger als jeder Zehnte<br />

gibt an, solche Leistungen auch erhalten zu haben. Auch mit Blick auf den Wert der Leistungen<br />

s<strong>in</strong>d die 40- bis 85-Jährigen im Mittel als Geber zu bezeichnen (vgl. Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, 2000).<br />

Wie gestaltet sich dieses aber nun sechs Jahre später? Trägt die veränderte Ressourcenausstattung<br />

zu abnehmenden Transferquoten bei oder schlägt sich der soziale <strong>Wandel</strong> über die Zeit von<br />

sechs Jahren nieder?<br />

Die im Jahr 1996 vorgef<strong>und</strong>ene Quote von 31 Prozent wird <strong>in</strong> der Erhebung von 2002 e<strong>in</strong>drucksvoll<br />

bestätigt: 31,3 Prozent der 40- bis 85-Jährigen geben an, anderen Personen Geld-<br />

oder Sachgeschenke gemacht oder diese f<strong>in</strong>anziell unterstützt zu haben (Tabelle 4.17).<br />

Während sich 1996 aber nahezu e<strong>in</strong>e Gleichverteilung der Transferhäufigkeiten über die Altersgruppen<br />

belegen ließ, zeigt sich 2002 e<strong>in</strong>e leichte Konzentration auf die Gruppe der 55- bis 69-<br />

Jährigen: leichte Abnahmen um r<strong>und</strong> zwei Prozentpunkte bei den Jüngeren <strong>und</strong> Älteren, steht<br />

hier e<strong>in</strong>e Zunahme der Transferwahrsche<strong>in</strong>lichkeit um r<strong>und</strong> vier Prozentpunkte gegenüber.<br />

171


172<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Diese strukturelle Verlagerung ist allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong> re<strong>in</strong>er Westeffekt. Er geht <strong>in</strong>sgesamt mit disparaten<br />

<strong>Entwicklung</strong>en <strong>in</strong> Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland e<strong>in</strong>her. Während <strong>in</strong> Westdeutschland die<br />

Transferquoten zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 leicht angestiegen s<strong>in</strong>d (e<strong>in</strong>e <strong>Entwicklung</strong>, die <strong>in</strong> allen<br />

Altersgruppen, vor allem aber unter den 55- bis 69-Jährigen beobachtet werden kann), ist <strong>in</strong><br />

Ostdeutschland e<strong>in</strong> Rückgang im Transfergeschehen zu konstatieren, der alle Altersgruppen<br />

betrifft, vor allem aber auf die Ältesten zurückgeht. Es ist daran zu er<strong>in</strong>nern, dass es gerade<br />

diese Gruppe der 70- bis 85-Jährigen ist, für die <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>kommensanalysen relative Abstiege<br />

der mittleren E<strong>in</strong>kommenspositionen vermerkt werden müssen. Offenbar schlägt sich im Transfergeschehen<br />

die Verschiebung der Ressourcengr<strong>und</strong>lagen zwischen den Altersgruppen deutlich<br />

nieder.<br />

Tabelle 4.17:<br />

Transfervergabe (<strong>in</strong> Prozent)<br />

1996<br />

2002<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

40-54 Jahre 29,3 28,5 28,9 25,7 36,3 30,9 28,6 30,0 29,3<br />

55-69 Jahre 32,7 33,0 32,9 32,8 30,2 31,5 32,8 32,4 32,6<br />

70-85 Jahre 36,9 28,7 31,8 38,3 33,3 35,1 37,2 29,5 32,3<br />

Gesamt 31,7 30,1 30,9 29,9 33,5 31,8 31,4 30,8 31,0<br />

40-54 Jahre 27,6 26,7 27,1 27,3 26,6 27,0 27,5 26,7 27,1<br />

55-69 Jahre 40,2 36,5 38,3 30,8 29,8 30,3 38,3 35,1 36,7<br />

70-85 Jahre 35,0 30,5 32,2 33,5 20,1 25,0 34,8 28,5 30,9<br />

Gesamt 33,6 31,0 32,2 29,6 26,2 27,8 32,8 30,0 31,3<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 4.791/3.065), gewichtet.<br />

E<strong>in</strong> Blick auf die Transferflüsse an die 40- bis 85-Jährigen (Tabelle 4.18) stützt diese These auf<br />

den ersten Blick allerd<strong>in</strong>gs weniger. Bei <strong>in</strong>sgesamt leicht s<strong>in</strong>kenden Transferquoten, s<strong>in</strong>d es<br />

besonders die 70- bis 85-Jährigen <strong>in</strong> Ostdeutschland, die absolut wie relativ besonders starke<br />

Verr<strong>in</strong>gerungen zu verzeichnen haben. Offenbar ziehen sich ältere Ostdeutsche <strong>in</strong>sgesamt deutlich<br />

aus den privaten Austauschprozessen zurück – e<strong>in</strong> Effekt der angesichts der Ergebnisse der<br />

Transferliteratur durchaus ebenfalls mit gem<strong>in</strong>derten Ressourcenausstattungen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />

gebracht werden kann. Denn häufig wird e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>geschränkte Möglichkeit zur Partizipation an<br />

Reziprozitätsketten <strong>in</strong> der Rolle des Gebers mit e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>derung der Bereitschaft zur Annahme<br />

von Gaben verb<strong>und</strong>en. E<strong>in</strong>e abschließende Interpretation der Ergebnisse muss mit weitergehenden<br />

Analysen verb<strong>und</strong>en werden <strong>und</strong> kann an dieser Stelle noch nicht geleistet werden.


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Tabelle 4.18:<br />

Transfererhalt (<strong>in</strong> Prozent)<br />

1996<br />

2002<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

40-54 Jahre 11,3 14,2 12,7 12,5 13,0 12,7 11,5 13,9 12,7<br />

55-69 Jahre 4,7 5,3 5,0 6,5 8,1 7,3 5,0 5,8 5,4<br />

70-85 Jahre 2,0 3,9 3,2 3,4 5,1 4,5 2,2 4,1 3,4<br />

Gesamt 7,5 8,8 8,2 9,1 9,7 9,4 7,8 9,0 8,4<br />

40-54 Jahre 10,6 13,3 11,9 8,5 12,4 10,4 10,2 13,1 11,6<br />

55-69 Jahre 4,4 6,8 5,7 4,1 5,6 4,9 4,3 6,6 5,5<br />

70-85 Jahre 1,4 4,0 3,0 2,6 ,6 1,3 1,6 3,3 2,7<br />

Gesamt 6,6 8,7 7,7 5,9 7,1 6,6 6,5 8,4 7,5<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 4.804/3.070), gewichtet.<br />

Tabelle 4.19:<br />

Transfervergabe <strong>und</strong> -erhalt nach Empfängern <strong>und</strong> Gebern (<strong>in</strong> Prozent)<br />

Vergabe 1996<br />

Vergabe 2002<br />

Erhalt 1996<br />

Erhalt 2002<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Gesamt 31,7 30,1 30,9 29,9 33,5 31,8 31,4 30,8 31,0<br />

Darunter:<br />

Elterngeneration* 2,8 2,4 2,6 2,3 1,7 2,0 2,7 2,3 2,5<br />

K<strong>in</strong>dergen.* 27,5 25,9 26,7 26,6 28,6 27,7 27,3 26,5 26,9<br />

Gesamt 33,6 31,0 32,2 29,6 26,2 27,8 32,8 30,0 31,3<br />

Darunter:<br />

Elterngeneration* 3,7 2,1 3,0 1,8 1,1 1,5 3,3 1,9 2,7<br />

K<strong>in</strong>dergen. * 26,1 24,9 25,5 26,1 22,7 24,2 26,1 24,4 25,2<br />

Gesamt 7,5 8,8 8,2 9,1 9,7 9,4 7,8 9,0 8,4<br />

Darunter:<br />

Elterngeneration* 5,7 5,6 5,6 6,1 5,8 5,9 5,8 5,6 5,7<br />

K<strong>in</strong>dergen.* 1,1 1,6 1,4 2,8 3,7 3,3 1,4 2,0 1,7<br />

Gesamt 6,6 8,7 7,7 5,9 7,1 6,6 6,5 8,4 7,5<br />

Darunter:<br />

Elterngeneration* 7,3 9,1 8,1 6,1 8,9 7,4 7,1 9,0 8,0<br />

K<strong>in</strong>dergen.* 1,0 1,9 1,4 1,4 2,2 1,8 1,0 1,9 1,4<br />

* sofern vorhanden. Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 4.791-4.804/3.065-3.070),<br />

gewichtet.<br />

173


174<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Tabelle 4.19 lässt e<strong>in</strong>en Blick auf die <strong>in</strong>tergenerationale <strong>und</strong> familiale Dimension der Transfervergabe<br />

zu. Inzwischen wissen wir gut, dass dieser Aspekt das Transfergeschehen dom<strong>in</strong>iert –<br />

der überwiegende Teil aller Transfers wird <strong>in</strong>nerhalb von Familien <strong>und</strong> dort entlang der direkten<br />

Verwandtschaftsl<strong>in</strong>ien geleistet. Insgesamt deuten die Resultate auf e<strong>in</strong>e Stabilität der Transfers<br />

zwischen K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Eltern. Allerd<strong>in</strong>gs zeigt sich e<strong>in</strong>e Hauptveränderung: leicht verr<strong>in</strong>gert hat<br />

sich die Häufigkeit von Leistungen an die K<strong>in</strong>dergeneration (1996: 26,9 Prozent; 2002: 25,2<br />

Prozent) <strong>und</strong> deutlich verstärkt zeigen sich der Erhalt von Leistungen von den alten Eltern<br />

(1996: 5,7 Prozent; 2002: 8,0 Prozent). Die 40- bis 85-Jährigen kommen also <strong>in</strong>nerhalb ihrer<br />

Familien eher von der Rolle e<strong>in</strong>er Gebergruppe ab <strong>und</strong> tendieren dazu „häufiger“ Leistungen zu<br />

beziehen.<br />

Tabelle 4.20:<br />

Transfervergabe an erwachsene K<strong>in</strong>der außerhalb des Haushalts (<strong>in</strong> Prozent)<br />

1996<br />

2002<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

40-54 Jahre 41,6 32,9 36,4 32,7 35,9 34,5 39,1 33,7 35,9<br />

55-69 Jahre 30,8 31,6 31,2 29,1 23,9 26,4 30,5 29,9 30,2<br />

70-85 Jahre 27,2 20,4 23,0 31,6 28,7 29,8 27,9 22,0 24,2<br />

Gesamt 32,5 28,8 30,4 30,7 29,2 29,9 32,1 28,8 30,3<br />

40-54 Jahre 37,9 30,1 33,5 28,8 27,9 28,2 35,2 29,4 31,9<br />

55-69 Jahre 31,8 27,8 29,7 24,3 23,2 23,7 30,2 26,7 28,4<br />

70-85 Jahre 23,8 19,9 21,5 21,7 14,9 17,5 23,5 18,9 20,7<br />

Gesamt 30,9 25,7 28,0 25,1 22,5 23,6 29,6 25,0 27,0<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 3.192/2.083), gewichtet.<br />

E<strong>in</strong>e etwas genauere Betrachtung der <strong>in</strong>tergenerationalen, familialen Transfers zwischen Eltern<br />

<strong>und</strong> ihren erwachsenen K<strong>in</strong>dern (Tabelle 4.20) zeigt, dass der angedeutete Rückgang <strong>in</strong> Westdeutschland<br />

schwächer ausgeprägt ist als <strong>in</strong> Ostdeutschland. In den ostdeutschen B<strong>und</strong>esländern<br />

weisen von allem die 70- bis 85-Jährigen deutliche E<strong>in</strong>bußen im Transfergeschehen auf. Hier<br />

s<strong>in</strong>kt die Transferquote zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 von 29,9 Prozent – e<strong>in</strong>em Wert, der dem gesamtdeutschen<br />

Mittelwert entspricht <strong>und</strong> deutlich über jenem der westdeutschen Altersgenossen<br />

liegt – auf nur noch 17,5 Prozent. Der Erhalt von Leistungen der eigenen K<strong>in</strong>der (Tabelle 4.21)<br />

spielt nach wie vor nur e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle.<br />

Im Vergleich beider Erhebungspunkte zeigt sich hier Stabilität im Westen <strong>und</strong> schwache Abnahmen<br />

<strong>in</strong> Ostdeutschland, die unter den über 70-Jährigen am stärksten ausgeprägt s<strong>in</strong>d. Dieser<br />

Trend entspricht jenem, der bereits weiter oben für das Gesamtgeschehen dokumentiert wurde.


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Tabelle 4.21:<br />

Transfererhalt von erwachsenen K<strong>in</strong>dern außerhalb des Haushalts (<strong>in</strong> Prozent)<br />

1996<br />

2002<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

40-54 Jahre 1,3 2,6 2,1 3,5 1,9 2,6 2,0 2,4 2,2<br />

55-69 Jahre 1,3 0,7 1,0 4,3 4,5 4,4 1,9 1,5 1,7<br />

70-85 Jahre 1,8 3,0 2,5 4,0 4,8 4,5 2,2 3,3 2,9<br />

Gesamt 1,4 1,9 1,7 4,0 3,7 3,8 2,0 2,3 2,1<br />

40-54 Jahre 0,0 2,3 1,3 0,0 2,9 1,7 0,0 2,5 1,4<br />

55-69 Jahre 2,2 1,1 1,6 2,7 2,6 2,7 2,3 1,4 1,8<br />

70-85 Jahre 1,0 3,7 2,6 2,1 0,7 1,3 1,2 3,1 2,4<br />

Gesamt 1,4 2,2 1,9 1,8 2,2 2,0 1,5 2,2 1,9<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 3.204/2.115), gewichtet.<br />

Der Umfang der Transfers zu Lebzeiten der Geber<br />

Die Analyse des Wertes der Geld- <strong>und</strong> Sachtransfers zeigt die quantitative Bedeutung der allgeme<strong>in</strong>en<br />

Transferleistungen <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbesondere der Transfers zwischen Eltern <strong>und</strong> ihren erwachsenen<br />

K<strong>in</strong>dern. Transfers von Geld- <strong>und</strong> Sachwerten werden ganz überwiegend im Bereich bis<br />

etwa 2.500 € pro Jahr vergeben (Tabelle 4.22). Lediglich 20 Prozent der Geber transferieren<br />

mehr – dies gilt gleichermaßen für West- <strong>und</strong> Ostdeutschland. Große Transfers im Wert von<br />

mehr als 10.000 € s<strong>in</strong>d eher selten <strong>und</strong> werden nur von etwa fünf Prozent der Geber geleistet.<br />

Bedeutend ist hierbei, dass die „Vielgeber“ im Westen e<strong>in</strong>e besonders bedeutende Rolle spielen,<br />

da hierbei hohe Summen oft an mehrere Personen vergeben werden, was sich dann auch <strong>in</strong> der<br />

Verteilung der Transferwerte niederschlägt. Die Wert aller von den 40- bis 85-Jährigen geleisteten<br />

Transfers beträgt <strong>in</strong>sgesamt etwa 2.600 € pro Transfergeber. Die Differenz zwischen West-<br />

<strong>und</strong> Ostdeutschland ist dabei zu beachten: Während <strong>in</strong> Westdeutschland im Mittel gut 2.700 €<br />

transferiert werden, s<strong>in</strong>d es im Osten lediglich knapp 2.300 €. Diese Differenz resultiert vor<br />

allem aus den bereits angesprochenen, besonders umfangreichen Vergaben. Werden diese <strong>in</strong> der<br />

Überprüfung ausgeschlossen, so liegt der Wert der Transfers <strong>in</strong> Ostdeutschland sogar leicht über<br />

Westniveau.<br />

Der Wert Leistungen an die erwachsenen K<strong>in</strong>der übersteigt jenen, der <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong>en Betrachtung<br />

berechnet wurde. Kle<strong>in</strong>e Leistungen im Wert von weniger als etwa 250 € spielen hier<br />

nur e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Rolle. H<strong>in</strong>gegen bestimmen Transfers von bis zu r<strong>und</strong> 2.500 € das Geschehen.<br />

Auch besonders umfangreiche Leistungen s<strong>in</strong>d hier besonders häufig vorzuf<strong>in</strong>den.<br />

175


Tabelle 4.22:<br />

Wert der materiellen Transferleistungen <strong>in</strong> den vergangenen 12 Monaten, 2002<br />

176<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Westdeutschland Ostdeutschland B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Vergaben <strong>in</strong>sgesamt<br />

Bis zu 255 € 13,3 17,0 15,2 11,3 12,8 12,0 13,0 16,3 14,6<br />

256-510 € 17,4 19,9 18,7 14,5 17,1 15,8 16,9 19,4 18,2<br />

511-1.022 € 22,2 22,3 22,3 21,1 24,3 22,7 22,0 22,7 22,3<br />

1.023-2.555 € 22,3 19,4 20,9 29,4 21,4 25,5 23,6 19,7 21,7<br />

2.556-5.112 € 10,9 10,7 10,8 12,1 10,0 11,1 11,1 10,6 10,8<br />

5.113-10.225€ 7,4 6,6 7,0 8,4 10,7 9,5 7,6 7,3 7,5<br />

10.226+ € 6,4 4,0 5,2 3,2 3,6 3,4 5,9 3,9 4,9<br />

Mean 2.714 € 2.281 € 2.638 €<br />

Vergaben an erwachsene K<strong>in</strong>der außerhalb des Haushalts<br />

Bis zu 255 € 4,3 7,7 6,0 3,2 9,0 6,3 4,1 8,0 6,1<br />

256-510 € 14,1 19,9 17,0 20,5 16,8 18,5 15,3 19,2 17,3<br />

511-1.022 € 16,7 17,5 17,1 14,3 24,4 19,7 16,3 19,0 17,6<br />

1.023-2.555 € 22,6 19,2 20,9 31,8 15,6 23,2 24,4 18,4 21,4<br />

2.556-5.112 € 12,1 10,2 11,2 13,9 10,9 12,3 12,4 10,4 11,4<br />

5.113-10.225 € 8,6 8,4 8,5 5,8 8,8 7,4 8,1 8,5 8,3<br />

10.226+ € 21,5 17,1 19,3 10,5 14,6 12,7 19,4 16,6 18,0<br />

Mean 3.296 € 2.396 € 3.109 €<br />

Die arithmetischen Mittelwerte ergeben sich als Summe der Kategorienmittelwerte <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d damit vor allem als näherungsweise<br />

Schätzung der Transferbeträge zu verstehen, nicht aber als exakte Angaben. Die „krummen“ Zahlenangaben<br />

resultieren aus der Übertragung der 1996 <strong>in</strong> DM gewählten Kategoriengrenzen <strong>in</strong> €-Beträge.<br />

Quelle: Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 779/455), gewichtet.<br />

Insgesamt bestätigen diese deskriptiven Bef<strong>und</strong>e die ausführlicheren Analysen der ersten Befragungswelle<br />

von 1996. Weitere Studien zur längsschnittlichen <strong>Entwicklung</strong> des Transfergeschehens<br />

vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> variierender Ressourcen- <strong>und</strong> Bedarfslagen müssen folgen, die die<br />

vorliegenden querschnittlichen Analysen (vgl. Motel & Szydlik, 1999; Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, 2000;<br />

Künem<strong>und</strong> et al., 2004) fortführen.<br />

4.5.6 Zusammenschau von Kennziffern der materiellen Lage<br />

Die folgende Zusammenschau von Kennziffern der ökonomischen Lage zeigt e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong>e<br />

erhebliche Stabilität der materiellen Lagen. So erweist sich <strong>in</strong> der Zusammenschau der Vermögensbesitze<br />

als stabil. Hier steht e<strong>in</strong>em marg<strong>in</strong>al abnehmenden Besitz von Geldvermögen e<strong>in</strong>e


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

leichte Zunahme des Immobilienbesitzes gegenüber. Daneben zeigen sich konstante Quoten<br />

h<strong>in</strong>sichtlich der Erbschaften <strong>und</strong> auch der Transfervergabe an Dritte, seien es nun K<strong>in</strong>der bzw.<br />

andere Familienangehörige oder auch weitere Personen. Andererseits kündigen sich moderate<br />

Veränderungen von Niveaus <strong>und</strong> Verteilungen an. Besorgnis könnten steigende Quoten der<br />

relativen E<strong>in</strong>kommensarmut erregen, denen stabile Quoten hoher E<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte gegenüberstehen. Daneben ist e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>kende Sparneigung festzustellen, die auch<br />

mit e<strong>in</strong>er abnehmende Erbschaftserwartung e<strong>in</strong>hergeht – beide Aspekte der Vermögensbildung<br />

zusammen sche<strong>in</strong>en geschwächt zu se<strong>in</strong>. Insgesamt deutet sich auf der Basis der Ergebnisse des<br />

Alterssurveys somit an, dass e<strong>in</strong>e Fortschreibung der bisher stetigen Verbesserung materieller<br />

Lagen im Alter nicht geboten ersche<strong>in</strong>t. Vielmehr deutet sich e<strong>in</strong> ambivalentes Bild an, <strong>in</strong> dem<br />

vor allem weitere Differenzierung der Lagen die Situation bestimmen werden. Es wird im Folgenden<br />

zu prüfen se<strong>in</strong>, wie sich dies auf die subjektive Wahrnehmung des Lebensstandards <strong>in</strong><br />

der zweiten Lebenshälfte niederschlägt.<br />

Tabelle 4.23:<br />

Kennziffern der wirtschaftlichen Lage, 1996 <strong>und</strong> 2002 (<strong>in</strong> Prozent)<br />

E<strong>in</strong>kommensarmut<br />

E<strong>in</strong>kommensreichtum<br />

Geldvermögen<br />

Verschuldung<br />

Wohnen im Wohneigentum<br />

Besitz von Wohneigentum<br />

Sparen<br />

Entsparen<br />

Transfers an Dritte geleistet<br />

Transfers von Dritten erhalten<br />

Erbschaften gemacht<br />

Erbschaften erwartet<br />

40-54 Jahre 55-69 Jahre 70-85 Jahre Gesamt<br />

1996 5,7 6,0 8,1 6,2<br />

2002 7,2 7,8 7,4 7,4<br />

1996 9,6 5,7 4,8 7,3<br />

2002 9,4 8,1 4,2 7,8<br />

1996 83,2 79,9 74,2 80,4<br />

2002 79,6 79,9 73,5 78,4<br />

1996 32,3 15,5 3,9 21,1<br />

2002 26,6 11,8 3,4 16,2<br />

1996 59,6 61,5 48,2 58,2<br />

2002 59,4 60,9 47,9 57,7<br />

1996 63,1 62,1 48,3 60,2<br />

2002 62,8 69,8 54,4 63,5<br />

1996 69,2 69,4 65,3 68,5<br />

2002 60,8 65,1 53,7 60,8<br />

1996 49,5 42,7 34,0 44,2<br />

2002 35,4 35,0 25,2 33,0<br />

1996 29,3 32,6 32,3 31,0<br />

2002 27,1 36,7 30,9 31,3<br />

1996 12,7 5,4 3,4 8,4<br />

2002 11,6 5,5 2,7 7,5<br />

1996 45,4 51,5 44,0 47,4<br />

2002 40,7 56,7 48,2 48,0<br />

1996 30,8 11,6 1,9 18,7<br />

2002 26,3 11,5 1,7 15,6<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 4838/3084), gewichtet.<br />

177


4.6 Die subjektive Bewertung des Lebensstandards<br />

178<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Die subjektive Bewertung des Lebensstandards sowie se<strong>in</strong>er vergangenen <strong>und</strong> künftigen <strong>Entwicklung</strong><br />

ist e<strong>in</strong> zentraler Aspekt der allgeme<strong>in</strong>en Lebensqualität <strong>und</strong> dürfte besonders für die<br />

Lebenszufriedenheit <strong>und</strong> Lebensplanung bedeutsam se<strong>in</strong>. Im Folgenden soll daher betrachtet<br />

werden, wie sich vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der objektiven Lagen die subjektiven Bewertungen im<br />

Lebensbereich „E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> materielle Sicherung“ verteilen. Es ist zu untersuchen, ob sich<br />

hier Muster zeigen lassen, die den Verteilungen von E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> Vermögen entsprechen.<br />

Zum e<strong>in</strong>em soll geschildert werden, wie sich die Bewertungen im Jahr 2002 verteilen. Zum<br />

anderen wird analysiert, welche Veränderungen sich <strong>in</strong> den Verteilungen zwischen 1996 <strong>und</strong><br />

2002 ergeben haben.<br />

Abbildung 4.11:<br />

Subjektive Bewertungen des aktuellen Lebensstandards, 2002<br />

Bereichsbewertung (Range 1-5)<br />

4,00<br />

3,50<br />

3,00<br />

2,50<br />

2,00<br />

40-54 55-69 70-85 40-54 55-69 70-85 Zeile 7 40-54 55-69 70-85 40-54 55-69 70-85<br />

Männer Frauen Männer Frauen<br />

Westdeutschland Ostdeutschland<br />

Der Range der Bewertungen reicht von 1 bis 5. Während <strong>in</strong> der Erhebung niedrige Werte e<strong>in</strong>e besonders positive Bewertung<br />

zum Ausdruck brachten, wurde hier zur besseren Darstellbarkeit die Skalierung umgekehrt.<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 4.805/3.074), gewichtet.<br />

1996<br />

2002<br />

4.6.1 Bewertung des aktuellen Lebensstandards<br />

Insgesamt entsprechen die Verteilungen der mittleren Bewertung des Lebensstandards nach<br />

Altersgruppe, Region <strong>und</strong> Geschlecht im Jahr 2002 jenen, die bereits sechs Jahre zuvor bekannt<br />

s<strong>in</strong>d. Das Niveau liegt im Westen leicht über jenem <strong>in</strong> Ostdeutschland. Dabei zeigen sich <strong>in</strong><br />

Westdeutschland kaum Unterschiede zwischen den Altersgruppen, während sich <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

die Jüngeren nach wie vor deutlich weniger positiv über ihren Lebensstandard äußern als<br />

die Älteren. In dieser H<strong>in</strong>sicht s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Ostdeutschland über die Zeit leichte Nivellierungstendenzen<br />

zu vermelden, die aus Gew<strong>in</strong>nen unter den jüngeren Altersgruppen <strong>und</strong> Abstiegen unter den<br />

über 70-Jährigen resultieren. Im Westen h<strong>in</strong>gegen verlieren vor allen die 40- bis 54-Jährigen,<br />

während die Zugew<strong>in</strong>ne unter den 70- bis 85-Jährigen moderat <strong>und</strong> unter den 55- bis 69-<br />

Jährigen stärker ausfallen. Alle geschilderten <strong>Entwicklung</strong>en gelten <strong>in</strong> ganz ähnlicher Weise für


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Männer wie für Frauen. Die <strong>Entwicklung</strong>en spiegeln die Verschiebungen vor allem der mittleren<br />

E<strong>in</strong>kommenslagen durchaus plausibel wieder. Allerd<strong>in</strong>gs korrespondieren die von den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Gruppen erreichten E<strong>in</strong>kommensniveaus unmittelbar mit den subjektiven Bewertungen<br />

des Lebensstandards. Möglicherweise erfolgen die Anpassungen der Bewertungen den objektiven<br />

Veränderungen zeitlich nachlaufend, so dass hier künftig weitere Verschiebungen aufgr<strong>und</strong><br />

der bereits stattgef<strong>und</strong>enen Modifikationen der Ressourcenverteilung zu erwarten se<strong>in</strong> dürften.<br />

Der Blick nicht nur auf gruppenspezifische Mittelwerte sondern auf die komplette Verteilung<br />

(Anhangstabelle A.4.6) zeigt auch, dass die Disparitäten <strong>in</strong>nerhalb der Regionen im Westen<br />

größer sche<strong>in</strong>en als im Osten.<br />

4.6.2 Bewertung vergangener <strong>Entwicklung</strong>en des Lebensstandards<br />

Auch die mittleren Bewertungen der vergangenen <strong>Entwicklung</strong>en des Lebensstandards spiegeln<br />

<strong>in</strong> den <strong>Wandel</strong> der mittleren relativen E<strong>in</strong>kommenspositionen (Abbildung 4.12). Besonders<br />

positiv äußern sich die Gew<strong>in</strong>nergruppen der letzten Jahre – <strong>in</strong>sgesamt f<strong>in</strong>det sich aber <strong>in</strong> Westdeutschland<br />

e<strong>in</strong>e Konstanz der Abschätzung der <strong>Entwicklung</strong>en <strong>und</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland im Mittel<br />

e<strong>in</strong> Abs<strong>in</strong>ken der Vergangenheitsbewertungen. Überdurchschnittlich positiv urteilen <strong>in</strong> beiden<br />

Landesteilen die 40- bis 54-Jährigen, die generell auch die Gew<strong>in</strong>ner der Verschiebungen <strong>in</strong><br />

der E<strong>in</strong>kommensstruktur darstellen. Die 55- bis 69-Jährigen Westdeutschen stellen allerd<strong>in</strong>gs<br />

e<strong>in</strong>e Ausnahme dar. Während sie objektiv zu den Gew<strong>in</strong>nern zu zählen se<strong>in</strong> sollten, geben sie<br />

im Mittel nur mäßige Bewertungen der Veränderungen an. Dieses wird <strong>in</strong> Zukunft gesondert zu<br />

untersuchen se<strong>in</strong>.<br />

Abbildung 4.12:<br />

Subjektive Bewertungen des der vergangenen <strong>Entwicklung</strong>en des Lebensstandards, 2002<br />

Bereichsbewertung (Range 1-5)<br />

4,00<br />

3,50<br />

3,00<br />

2,50<br />

2,00<br />

1996<br />

2002<br />

40-54 55-69 70-85 40-54 55-69 70-85 Zeile 7 40-54 55-69 70-85 40-54 55-69 70-85<br />

Männer Frauen Männer Frauen<br />

Westdeutschland Ostdeutschland<br />

Der Range der Bewertungen reicht von 1 bis 5. Während <strong>in</strong> der Erhebung niedrige Werte e<strong>in</strong>e besonders positive Bewertung<br />

zum Ausdruck brachten, wurde hier zur besseren Darstellbarkeit die Skalierung umgekehrt. Quelle: Basis- <strong>und</strong><br />

Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 4.820/3.075), gewichtet.<br />

179


180<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Die Darstellung von Gruppenmittelwerten verdeckt aber den Blick auf die Verteilungen der<br />

Bewertungen. Die Anhangstabelle A.4.7 deutet besonders <strong>in</strong> Ostdeutschland auf abnehmende<br />

Polarisierungen h<strong>in</strong>. War noch 1996 zu konstatieren, dass die Bewertung der Vergangenheit –<br />

damals noch der Vere<strong>in</strong>igungszeit – als „viel besser geworden“ oder „viel schlechter geworden“<br />

häufiger vorgenommen wurde als <strong>in</strong> Westdeutschland, so hat sich dies 2002 relativiert. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

ist nach wie vor festzuhalten, dass die Bewertung „gleich geblieben“ <strong>in</strong> Westdeutschland<br />

häufiger vorkommt als im Osten, wo positive oder negative Nennungen üblicher s<strong>in</strong>d. Allgeme<strong>in</strong><br />

sche<strong>in</strong>t es aber zu e<strong>in</strong>er Stabilisierung der Bewertungen gekommen zu se<strong>in</strong>.<br />

4.6.3 Erwartungen künftiger <strong>Entwicklung</strong>en des Lebensstandards<br />

Künftige Verbesserungen des Lebensstandards zu erwarten, ist <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong> Westdeutschland<br />

unter den Jüngeren – den 40- bis 54-Jährigen – <strong>in</strong> ähnlicher Weise verbreitet wie <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

(nachfolgende Abbildung 4.13). Während sich <strong>in</strong> Ostdeutschland <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht zwischen<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 wenig getan hat, zeigen sich im Westen 2002 unter den Jüngeren deutlich<br />

optimistischere Aussagen, als dies noch 1996 der Fall war. Auch dieser Trend gilt für Männer<br />

<strong>und</strong> Frauen <strong>in</strong> ganz ähnlicher Weise. Die Anhangstabelle A.4.8 weist darüber h<strong>in</strong>aus aus, dass<br />

sich hier weiterh<strong>in</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland e<strong>in</strong>e deutlichere Polarisierung zwischen Optimisten <strong>und</strong><br />

Pessimisten zeigt. Im Westen h<strong>in</strong>gegen ist die Konstanzerwartung weiter verbreitet – abgenommen<br />

haben hier vor allem auch die Abstiegsbefürchtungen. Die Erwartung, dass der künftige<br />

Lebensstandard deutlich s<strong>in</strong>ken wird, f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> Westdeutschland im Jahr 2002 kaum<br />

mehr (0,7 Prozent).


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

Abbildung 4.13:<br />

Subjektive Bewertungen künftiger <strong>Entwicklung</strong>en, 2002<br />

Bereichsbewertung (Range 1-5)<br />

4,00<br />

3,50<br />

3,00<br />

2,50<br />

2,00<br />

40-54 55-69 70-85 40-54 55-69 70-85 Zeile 7 40-54 55-69 70-85 40-54 55-69 70-85<br />

Männer Frauen Männer Frauen<br />

Westdeutschland Ostdeutschland<br />

Der Range der Bewertungen reicht von 1 bis 5. Während <strong>in</strong> der Erhebung niedrige Werte e<strong>in</strong>e besonders positive Bewertung<br />

zum Ausdruck brachten, wurde hier zur besseren Darstellbarkeit die Skalierung umgekehrt.<br />

Quelle: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n= 3.062/4.809), gewichtet.<br />

4.6.4 Zur Korrespondenz erwarteter <strong>und</strong> tatsächlicher <strong>Entwicklung</strong>en des<br />

Lebensstandards<br />

Wenden wir uns e<strong>in</strong>er genaueren Betrachtung des Zusammenhangs erwarteter <strong>und</strong> tatsächlicher<br />

<strong>Entwicklung</strong>en zu, da sich die Frage nach der Relevanz der Zukunftserwartungen als Indikator<br />

tatsächlicher <strong>Entwicklung</strong>en stellen kann (zu e<strong>in</strong>er erweiterten Sicht auf die Bewertungen <strong>in</strong> den<br />

e<strong>in</strong>zelnen Lebensbereichen <strong>und</strong> die Lebensqualität im Alter vgl. Kapitel 9). Was sagt die subjektive<br />

Erwartung künftiger <strong>Entwicklung</strong>en über die tatsächliche <strong>Entwicklung</strong> künftiger Bewertungen<br />

voraus? Tabelle 4.24 beschreibt diese Zusammenhänge. Es ist deutlich zu erkennen, dass<br />

die Erwartung künftiger <strong>Entwicklung</strong>en nur e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Vorhersagekraft für tatsächliche Veränderungen<br />

der Bewertung <strong>in</strong> den folgenden Jahren hat. Die Bedeutung im H<strong>in</strong>blick auf die<br />

Veränderung objektiver Lagen muss an anderer Stelle analysiert <strong>und</strong> diskutiert werden. Es zeigt<br />

sich bestenfalls, dass e<strong>in</strong>e Extremerwartung („besser“ oder „schlechter“) positiv mit künftigen<br />

Verbesserungen zusammenhängt, während vormalige Konstanzerwartungen auch mit Konstanz<br />

der tatsächlichen Gegenwartsbewertungen korrespondieren.<br />

1996<br />

2002<br />

181


182<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Tabelle 4.24:<br />

Erwartete <strong>und</strong> tatsächliche <strong>Entwicklung</strong>en des subjektiven Lebensstandards (<strong>in</strong> Prozent)<br />

Bewertung des Lebensstandards 1996<br />

gut<br />

Mittel<br />

Schlech<br />

Gesamt<br />

<strong>Entwicklung</strong> 1996-2002<br />

Erwartung 1996 verbessert Konstant verschlechtert Gesamt<br />

verbessert 1,3 6,9 3,0 11,2<br />

konstant 9,7 45,8 21,2 76,7<br />

verschlechtert 1,3 7,6 3,1 12,0<br />

verbessert 14,1 13,2 3,2 30,5<br />

konstant 25,5 24,3 2,7 52,5<br />

verschlechtert 8,4 7,5 1,1 17,0<br />

verbessert 28,6 4,3 1,4 34,3<br />

konstant 18,6 1,4 - 20,0<br />

verschlechtert 37,1 5,7 2,9 45,7<br />

verbessert 6,3 8,6 3,0 17,9<br />

konstant 14,7 37,4 14,8 67,0<br />

verschlechtert 5,1 7,5 2,5 15,1<br />

Quelle: Panelstichprobe des Alterssurveys (n= 1.509), gewichtet.<br />

Auch e<strong>in</strong>e Trennung der Analyse entsprechend der Ausgangsniveaus des Jahres 1996 erbr<strong>in</strong>gt<br />

ke<strong>in</strong>e nennenswerte Akzentuierung. Der lediglich schwache Zusammenhang zwischen Erwartungen<br />

<strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong>en sche<strong>in</strong>t unabhängig vom Ausgangsniveau zu bestehen. Es bleibt<br />

festzuhalten, dass es zum<strong>in</strong>dest fraglich bleiben muss, <strong>in</strong>wieweit aus den Erwartungen künftiger<br />

<strong>Entwicklung</strong>en auf künftige subjektive Bewertungen des Lebensstandards geschlossen werden<br />

kann, <strong>und</strong> damit, wie relevant die Zukunftsbewertungen für Abschätzungen der Lebensplanungen<br />

se<strong>in</strong> können. Diese Überlegungen relativieren die Aussagekraft der Ergebnisse zu subjektiven<br />

Indikatoren im Rahmen der Ausarbeitung politikrelevanter Empfehlungen. Sie verweisen<br />

darüber h<strong>in</strong>aus auf die Relevanz der Dauerbeobachtung objektiver Indikatoren sozialer Lagen.<br />

Detailliertere Analysen hierzu werden allerd<strong>in</strong>gs notwendig se<strong>in</strong>.<br />

4.7 Zusammenfassung<br />

Der vorliegende Beitrag unternimmt es, die materielle Lage <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte zu Beg<strong>in</strong>n<br />

dieses Jahrzehnts anhand e<strong>in</strong>er für belastbare Aussagen h<strong>in</strong>reichend großen, repräsentativen<br />

Stichprobe zu beschreiben, <strong>und</strong> die <strong>Entwicklung</strong> materieller Lagen über die Zeit zu untersuchen.<br />

Dies geschieht erstens durch den Vergleich der Lage der Altersgruppen zu verschiedenen<br />

Erhebungszeitpunkten, also als Kohortensequenzanalyse <strong>und</strong> zweitens durch die Untersuchung<br />

<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Dynamiken über den Lebenslauf. Neben der aktuellen Bestandsaufnahme im S<strong>in</strong>ne<br />

der Alterssozialberichterstattung steht die Untersuchung der Veränderung der <strong>in</strong> kohortenvergleichender<br />

Perspektive im Zentrum das Beitrags. Die Veränderungen der materiellen Lagen im<br />

Alter sowie die damit verb<strong>und</strong>enen Potenziale <strong>und</strong> Problemlagen, wurden im vorliegenden Bei-


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

trag <strong>in</strong> dreierlei H<strong>in</strong>sicht untersucht. Für alle drei Aspekte soll nachfolgend e<strong>in</strong> kurzer Abriss<br />

versucht werden.<br />

Erstens wurde auf die zahlenmäßige <strong>Entwicklung</strong> der älteren Bevölkerung abgehoben. Hiermit<br />

verkoppelt variieren Kaufkraft aber auch die Bedeutung von Randlagen bereits bei konstanten<br />

relativen Parametern wie Prozentanteilen oder Mittelwerten alle<strong>in</strong> durch die demografischen<br />

Verschiebungen. Die wirtschaftliche wie sozialpolitische Bedeutung der Älteren <strong>und</strong> ihrer materiellen<br />

Ressourcen wird sich demnach alle<strong>in</strong> wegen des demografischen Umbruchs deutlich<br />

erhöhen. Prognostizierte Zunahmen der Anzahl z.B. der über 60-Jährigen um r<strong>und</strong> 40 Prozent<br />

bis zum Jahr 2030 lassen dieses Szenario als sehr wahrsche<strong>in</strong>lich sche<strong>in</strong>en. Aufgr<strong>und</strong> des im<br />

Alterssurvey vergleichsweise kle<strong>in</strong>en Zeitfensters können hierzu bisher aber noch ke<strong>in</strong>e über die<br />

Demografie h<strong>in</strong>ausgehenden empirischen Aussagen getroffen werden.<br />

Zweitens kann es – so die Vorannahme dieses Beitrags – zu absoluten oder auch relativen Verschiebungen<br />

<strong>in</strong> den materiellen Lagen älterer Menschen kommen. Dieses Argument zielt vor<br />

allem auf die Relationen zwischen den Altersgruppen. Die Analysen des Alterssurveys konnten<br />

hier letztlich zeigen, dass die Ältesten vor allem im Osten Deutschlands derzeit mit den aktuellen<br />

E<strong>in</strong>kommensentwicklungen im Mittel nicht Schritt halten können. Für die Ältesten im Westen<br />

gilt dies im e<strong>in</strong>geschränkten Ausmaß ebenfalls. Während die Relationen zwischen den Altersgruppen<br />

im Westen Deutschland im Wesentlichen durch die Alterung e<strong>in</strong>er möglicherweise<br />

materiell e<strong>in</strong>malig gut gestellten Kohorte der heute 55- bis 69-Jährigen gekennzeichnet, gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

aber stabil sche<strong>in</strong>t, erweist sich die im Zuge der Systemanpassung <strong>in</strong> den ersten Jahren<br />

nach der Vere<strong>in</strong>igung vergleichsweise sehr gute Position der Ältesten als zunehmend fragil.<br />

Dies war angesichts der <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong>stitutioneller Regelungen zu erwarten. Die <strong>Entwicklung</strong><br />

f<strong>in</strong>det ihren Ausdruck auch <strong>in</strong> steigenden Armutsquoten <strong>in</strong> dieser Gruppe, während <strong>in</strong>sbesondere<br />

der Anteil besonders wohlhabender Personen mit hohen E<strong>in</strong>kommen weiterh<strong>in</strong> marg<strong>in</strong>al<br />

bleibt. Auch der Vermögensbesitz ist hier weiterh<strong>in</strong> weniger stark verbreitet als <strong>in</strong> anderen<br />

Gruppen. Bemerkenswerterweise f<strong>in</strong>det dies bisher kaum Niederschlag <strong>in</strong> den subjektiven Bewertungen<br />

des gegenwärtigen Lebensstandards. Ganz im Gegenteil geben die 70- bis 85-<br />

Jährigen – <strong>in</strong>sbesondere die Männer – deutlich günstigere Bewertungen ab als die jüngeren Altersgruppen<br />

<strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte. Dieser Effekt war bereits 1996 deutlich erkennbar <strong>und</strong><br />

hat sich lediglich sehr ger<strong>in</strong>gfügig abgeschwächt. In Westdeutschland zeigen sich im Gegensatz<br />

dazu übrigens zu ke<strong>in</strong>em der beiden Erhebungszeitpunkte deutliche Altersgruppendifferenzen <strong>in</strong><br />

der Bewertung das aktuellen Lebensstandards. Im Gegensatz zur aktuellen Bewertung steht die<br />

Beurteilung der bisherigen <strong>Entwicklung</strong> des Lebensstandards. Diese wird von den 70- bis 85-<br />

Jährigen <strong>in</strong> Ostdeutschland im Gegensatz zu 1996 deutlich schlechter e<strong>in</strong>geschätzt als von den<br />

jüngeren Altersgruppen. Noch 1996 zeichneten sich die 70- bis 85-Jährigen <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

durch die b<strong>und</strong>esweit besten Bewertungen der bisherigen <strong>Entwicklung</strong>en aus – dies war angesichts<br />

der <strong>Entwicklung</strong> objektiver Indikatoren durchaus berechtigt.<br />

Drittens werden Verschiebungen <strong>in</strong>nerhalb der Gruppe der Älteren erwartet. Die Analysen zeigen<br />

<strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht allerd<strong>in</strong>gs recht konstante Niveauunterschiede zwischen West- <strong>und</strong> Ost.<br />

Dieser ausbleibenden Annäherung der E<strong>in</strong>kommensniveaus steht die Angleichung der Verteilung<br />

über die Altersgruppen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte gegenüber. Auch <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

bilden sich zunehmend aus Westdeutschland lang bekannte Muster heraus, nach dem die Jüngeren<br />

im noch erwerbsfähigen Alter über deutlich höhere E<strong>in</strong>kommens- <strong>und</strong> Vermögenswerte<br />

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Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

verfügen als die über 70-Jährigen. Dies revidiert das noch Mitte der 90er-Jahre <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

vorgef<strong>und</strong>ene Muster, nachdem die materiellen Älteren jenen der mittleren Altersgruppen<br />

zum<strong>in</strong>dest ebenbürtig waren. Damit verb<strong>und</strong>en f<strong>in</strong>det sich auch e<strong>in</strong>e deutliche Ausdifferenzierung<br />

der Verteilungen <strong>in</strong>nerhalb der Altersgruppen <strong>in</strong> Ostdeutschland. Die Diagnose deutlich<br />

zunehmender Ungleichheit betrifft ganz besonders die Jüngeren der betrachteten Altersgruppen.<br />

Hier geht das späte Aufholen h<strong>in</strong>sichtlich der Niveaus (die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Angleichung der Altersverteilungen<br />

an die Westmuster münden) mit e<strong>in</strong>er deutlichen Vertiefung der E<strong>in</strong>kommensungleichheit<br />

e<strong>in</strong>her. Nachfolgend sollen e<strong>in</strong>ige E<strong>in</strong>zelergebnisse zusammengefasst werden:<br />

E<strong>in</strong>kommenslagen – Annahmen für künftige <strong>Entwicklung</strong>en der Ruhestandse<strong>in</strong>kommen lassen<br />

erwarten, dass diese nicht mit den Erwerbse<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong> der Lebensmitte Schritt halten dürften.<br />

Zugleich s<strong>in</strong>d Ausdifferenzierungen der Verteilungen zu erwarten. Beide Tendenzen lassen sich<br />

mit gewissen E<strong>in</strong>schränkungen bereits heute ausmachen. Zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 haben <strong>in</strong>sbesondere<br />

<strong>in</strong> Ostdeutschland die E<strong>in</strong>kommen der über 70-Jährigen nicht mit jenen der Jüngeren<br />

Schritt gehalten. In Ostdeutschland ist auch e<strong>in</strong>e Ausdifferenzierung der E<strong>in</strong>kommen aller Altersgruppen<br />

<strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte (mit Ausnahme der über 70-jährigen Männer) festzustellen.<br />

Dieser Bef<strong>und</strong> ist allerd<strong>in</strong>gs nicht auf Westdeutschland übertragbar, wo sich leichte<br />

Verstärkungen der Ungleichheit der E<strong>in</strong>kommenslagen nur unter den unter 70-jährigen Männern<br />

zeigen lassen. Allgeme<strong>in</strong> stellen sich die E<strong>in</strong>kommensverteilungen im Westen im Jahr 2002<br />

allerd<strong>in</strong>gs sogar leicht homogener dar, als noch sechs Jahre zuvor.<br />

E<strong>in</strong>kommensdynamik – Entgegen der landläufigen Erwartung sehr stabiler Alterse<strong>in</strong>kommen,<br />

zeigt sich <strong>in</strong> allen E<strong>in</strong>kommensgruppen, dass Auf- oder Abstiege <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>kommensverteilung<br />

sehr häufig s<strong>in</strong>d. Dennoch ist der Anteil stabiler E<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong> den oberen Altersgruppen deutlich<br />

höher. Aufstiege f<strong>in</strong>den sich besonders häufig unter den zwischen 1942 <strong>und</strong> 1956 geborenen<br />

– also den 40- bis 54-Jährigen des Jahres 1996. Dieses repräsentiert sich auch <strong>in</strong> den mittleren<br />

Veränderungen. Demnach gehören die Altersgruppen im erwerbsfähigen Alter im Mittel<br />

verglichen mit der allgeme<strong>in</strong>ern E<strong>in</strong>kommensentwicklung zu den Aufsteigern, da sie überproportionale<br />

Gew<strong>in</strong>ne realisieren konnten, während die Personen im Ruhestandsalter im Mittel<br />

absteigen. Dass besonders starke E<strong>in</strong>bußen bei jenen Geburtsjahrgängen zu verzeichnen s<strong>in</strong>d,<br />

die zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 <strong>in</strong> den Ruhestand übergegangen s<strong>in</strong>d, entspricht den Erwartungen.<br />

Besonders häufig s<strong>in</strong>d Abstiege unter den Ostdeutschen der Geburtsjahrgänge 1911 bis 1926,<br />

die bereits 1996 70 Jahre <strong>und</strong> älter waren. Bei ihnen f<strong>in</strong>den sich auch überproportional selten<br />

Aufstiege <strong>in</strong> der relativen E<strong>in</strong>kommensposition.<br />

Armut <strong>und</strong> Wohlstand – Die Ergebnisse h<strong>in</strong>sichtlich der Randlagen der E<strong>in</strong>kommensverteilung,<br />

wie sie <strong>in</strong> Armut <strong>und</strong> Wohlstand zum Ausdruck kommen, entsprechen teilweise den Tendenzen,<br />

die h<strong>in</strong>sichtlich der E<strong>in</strong>kommen beschrieben wurden. Moderate allgeme<strong>in</strong>e Anstiege der Armutsquoten<br />

<strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>in</strong> Deutschland verdecken e<strong>in</strong>e zweigeteilte <strong>Entwicklung</strong><br />

zwischen West <strong>und</strong> Ost. Während die Quote <strong>in</strong> Westdeutschland nahezu konstant bleibt,<br />

steigt sie <strong>in</strong> Ostdeutschland deutlich an. Diese Disparität tritt unter den über 70-Jährigen am<br />

deutlichsten zu Tage. Es f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> Westdeutschland sogar Absenkungen der Armutsbetroffenheit<br />

unter den Ältesten während sich h<strong>in</strong>gegen die <strong>in</strong> den untersuchten Altersgruppen stärksten<br />

Anstiege unter den Altersgenossen <strong>in</strong> Ostdeutschland f<strong>in</strong>den. Daneben steigen die Armutsquoten<br />

– b<strong>und</strong>esweit – deutlich unter den 40- bis 54-jährigen Männern an. Der Trend zu immer<br />

weniger Armut <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte sche<strong>in</strong>t bereits über die Jahrtausendwende mittel-


Kapitel 4: Materielle Lagen alter Menschen<br />

fristig gebrochen zu se<strong>in</strong> <strong>und</strong> setzt sich nur noch im höchsten Alter im Westen fort. H<strong>in</strong>sichtlich<br />

des Wohlstands zeigt sich, das auch hier die Ältesten <strong>in</strong> Ostdeutschland kaum an hohen E<strong>in</strong>kommen<br />

partizipieren während die Jüngeren hier aufholen konnten. Gew<strong>in</strong>ner sche<strong>in</strong>en hier die<br />

55- bis 69-jährigen Männer <strong>in</strong> Westdeutschland zu se<strong>in</strong>.<br />

Vermögen <strong>und</strong> Verschuldung – H<strong>in</strong>sichtlich Vermögen <strong>und</strong> Verschuldung zeigen sich <strong>in</strong> den<br />

Niveaus kaum Veränderungen über die Zeit <strong>und</strong> die Differenzen zwischen West <strong>und</strong> Ost bleiben<br />

bestehen. Allerd<strong>in</strong>gs ist auch hier nach Altersgruppen zu differenzieren, denn die unter 70-<br />

Jährigen <strong>in</strong> Ostdeutschland zeigen die größten Gew<strong>in</strong>ne, während die Verbreitung des Vermögensbesitzes<br />

unter den über 70-Jährigen <strong>in</strong> Ostdeutschland deutlich zurückgeht. Auch hier deutet<br />

sich wiederum die besondere Problemlage der Ältesten <strong>in</strong> Ostdeutschland: zwischen 1996<br />

<strong>und</strong> 2002 nur noch schwach steigenden E<strong>in</strong>kommen stehen ger<strong>in</strong>ge Vermögen gegenüber.<br />

Sparen <strong>und</strong> Entsparen – Sparen <strong>und</strong> Entsparen bef<strong>in</strong>den sich zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 auf dem<br />

Rückzug. Insbesondere hat die Spartätigkeit der über 70-Jährigen deutlich abgenommen, wobei<br />

auch hier die Rückgänge im Osten noch über denen <strong>in</strong> Westdeutschland liegen.<br />

Erbschaften – Die Verbreitung der Erbschaften entspricht 2002 <strong>in</strong> etwa jener von 1996 <strong>und</strong> liegt<br />

bei knapp 50 Prozent. Während allerd<strong>in</strong>gs die Erbschaftsquote unter den 55- bis 69-Jährigen<br />

allgeme<strong>in</strong> weiter angestiegen ist, können die 40- bis 54-Jährigen im Jahr 2002 nicht mehr das<br />

Niveau von 1996 erreichen. Offenbar wurde hier <strong>in</strong> der Vergangenheit e<strong>in</strong>e Höchstmarke überschritten,<br />

die entgegen weit verbreiteterer Hoffnungen künftig nicht mehr fortzuschreiben se<strong>in</strong><br />

wird. Diese Annahme wird bestätigt, wenn die Erbschaftserwartung betrachtet wird, denn auch<br />

künftig ist nicht damit zu rechnen, dass die bisher ger<strong>in</strong>ge Quote unter den 40- bis 54-Jährigen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Maße angehoben werden wird, dass <strong>in</strong> der Kumulation die Niveaus der Vorgängerjahrgänge<br />

erreicht werden<br />

Transfers zu Lebzeiten – Die Ergebnisse zur privaten Weitergabe von Geld- <strong>und</strong> Sachwerten<br />

jenseits der Erbschaft bestätigen weitgehend die Resultate der umfangreichen Analysen anhand<br />

der ersten Welle. Die Verbreitung solcher Leistungen ist unverändert hoch. Doch konzentriert<br />

sich e<strong>in</strong>erseits das Vergabegeschehen 2002 zunehmend auf die 55- bis 69-Jährigen. Andererseits<br />

zeigen sich disparate <strong>Entwicklung</strong>en <strong>in</strong> West <strong>und</strong> Ost. Während die Quoten <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

allgeme<strong>in</strong> s<strong>in</strong>ken, f<strong>in</strong>den sich ger<strong>in</strong>gfügige Verr<strong>in</strong>gerungen im Westen nur unter den 40- bis 54-<br />

Jährigen. In den anderen Altersgruppen f<strong>in</strong>den sich eher leichte bist starke Zunahmen. Es zeigt<br />

sich, dass <strong>in</strong>sbesondere die Vergabe von Leistungen an die K<strong>in</strong>der bei den alten Ostdeutschen<br />

seltener wird. Hier dürften sich die oben geschilderten Ressourcenverschiebungen bemerkbar<br />

machen, die die relative Bedürftigkeit <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dergeneration tendenziell m<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> die für<br />

Transfers bereitstehenden Ressourcen der Älteren schmälern sollte. Der Wert der vergebenen<br />

Leistungen entspricht 2002 <strong>in</strong> etwa jenen Größenordnungen die aus dem Jahr 1996 bekannt<br />

s<strong>in</strong>d. Der Erhalt von Leistungen ist allgeme<strong>in</strong> stabil, doch zeigt sich auch, dass sich die Ältesten<br />

<strong>in</strong> Ostdeutschland trotz oder gerade wegen ihrer relativ s<strong>in</strong>kenden Ressourcen aus den Vergabeprozessen<br />

auch als Empfänger zurückziehen. Es bleibt aber <strong>in</strong>sgesamt festzuhalten, dass weiterh<strong>in</strong><br />

dem öffentlichen Transferfluss an die Ruheständler e<strong>in</strong> stabiles, zumeist familiales Transfersystem<br />

gegenüber steht, dass umfangreiche Leistungen <strong>in</strong> der Gegenrichtung vergibt.<br />

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186<br />

Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Subjektive Bewertungen des Lebensstandards <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er <strong>Entwicklung</strong>en – Die Niveaus der subjektiven<br />

Bewertungen des Lebensstandards haben sich nur ger<strong>in</strong>gfügig verändert. Die bei den<br />

objektiven Lagen geschilderten Verschiebungen f<strong>in</strong>den sich hier nicht wieder. Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d<br />

die Bewertungen vergangener <strong>Entwicklung</strong>en nun auch im Osten weniger von den Vere<strong>in</strong>igungsprozessen<br />

<strong>und</strong> damit positiv bee<strong>in</strong>flusst. Auch hier f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> Niveau <strong>und</strong> Verteilung<br />

e<strong>in</strong>e Annäherung an Westniveaus. Zukunftserwartungen s<strong>in</strong>d allgeme<strong>in</strong> weiterh<strong>in</strong> auf Konstanz<br />

gerichtet <strong>und</strong> unter den Jüngeren im Mittel besser <strong>und</strong> ungleicher als unter den Älteren. Diese<br />

Differenz zwischen den Altersgruppen hat sich zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 verstärkt.<br />

Implikationen – Da die Ältesten ganz besonders <strong>in</strong> Ostdeutschland zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 nur<br />

unterdurchschnittlich an der Wohlfahrtsentwicklung partizipieren konnten, deuten sich hier<br />

aktuelle Problemlagen an. Weitere Absenkungen der relativen E<strong>in</strong>kommenslagen durch Dämpfungen<br />

der Rentenanpassungen sche<strong>in</strong>en damit problematisch zu se<strong>in</strong>, wenn hierdurch ke<strong>in</strong>e<br />

massive Ausweitung von Armutslagen verb<strong>und</strong>en se<strong>in</strong> soll. Mit Blick auf die künftigen Alten<br />

deutet sich e<strong>in</strong>e Bestätigung der Erwartung an, dass die aktuell sehr positive ausfallende Beschreibung<br />

der materiellen Lagen der jüngsten Ruhestandskohorten nicht e<strong>in</strong>fach fortgeschrieben<br />

werden kann. Die Hoffnung, dass verm<strong>in</strong>derte E<strong>in</strong>kommen aus öffentlichen Alterssicherungssystemen<br />

auch durch private Vermögensübertragungen kompensiert werden können, s<strong>in</strong>d<br />

durch die Ergebnisse das Alterssurvey kaum zu nähren. Es ist nicht nur der Fall, dass solche<br />

Übertragungen häufig jenen zugute kommen, die ohneh<strong>in</strong> bereits über h<strong>in</strong>reichende E<strong>in</strong>kommen<br />

<strong>und</strong> Vermögen verfügen. Vielmehr s<strong>in</strong>kt ganz allgeme<strong>in</strong> die Verbreitung von Erbschaften unter<br />

den Altersgruppen, die sich noch <strong>in</strong> der Erwerbsphase bef<strong>in</strong>den.<br />

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die Analysen e<strong>in</strong> <strong>in</strong>sgesamt eher positives <strong>und</strong> über<br />

die Zeit recht stabiles Bild der materiellen Lagen im Alter beschreiben. So s<strong>in</strong>d beispielsweise<br />

der Anteil besonders hoher E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> der Vermögensbesitz recht stabil, was verb<strong>und</strong>en<br />

mit dem starken Wachstum der Zahl älterer Menschen erhebliche Markpotenziale aufzeigt.<br />

Problemlagen zeigen sich aktuell vor allem bei den ältesten Ostdeutschen. Befürchtungen über<br />

künftig verschlechterte Lagen nähren sich langfristig vor allem aus den Ergebnissen zur Lage<br />

der 40- bis 54-Jährigen. Die oftmals vermuteten Spielräume für Rückführungen der wohlfahrtsstaatlichen<br />

Alterssicherung sche<strong>in</strong>en hier ger<strong>in</strong>ger zu se<strong>in</strong>, als es oftmals vermutet wird.


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Tabelle A4.1: Äquivalenze<strong>in</strong>kommen (OECD neu; Angaben <strong>in</strong> Euro)<br />

40 bis 54 Jahre 55 bis 69 Jahre 70 bis 85 Jahre Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

1996<br />

Alte Länder x 1531 1430 1483 1347 1304 1326 1297 1124 1191 1429 1319 1373<br />

s 894 766 836 971 816 900 1022 595 793 947 758 859<br />

Neue Länder x 1079 1060 1069 1006 961 983 1031 925 964 1045 996 1020<br />

s 449 446 447 381 321 352 293 306 305 407 381 394<br />

Gesamt x 1441 1354 1399 1279 1227 1254 1249 1086 1149 1353 1252 1302<br />

s 844 727 791 895 749 827 940 557 732 881 709 800<br />

Relation West/Ost 1,42 1,35 1,39 1,34 1,36 1,35 1,26 1,22 1,24 1,37 1,32 1,35<br />

Ost/West 0,70 0,74 0,72 0,75 0,74 0,74 0,79 0,82 0,81 0,73 0,76 0,74<br />

2002<br />

Alte Länder x 1703 1684 1694 1752 1507 1625 1507 1346 1411 1684 1535 1606<br />

s 1050 954 1005 1151 743 967 718 607 658 1039 813 931<br />

Neue Länder x 1297 1337 1317 1284 1134 1206 1158 1013 1067 1270 1186 1226<br />

s 687 811 749 774 423 621 310 454 411 679 625 652<br />

Gesamt x 1620 1610 1615 1653 1429 1536 1444 1281 1346 1600 1462 1528<br />

s 999 936 969 1098 705 921 677 595 633 990 790 894<br />

Relation West/Ost 1,31 1,26 1,29 1,36 1,33 1,35 1,30 1,33 1,32 1,33 1,29 1,31<br />

Ost/West 0,76 0,79 0,78 0,73 0,75 0,74 0,77 0,75 0,76 0,75 0,77 0,76<br />

Äquivalenze<strong>in</strong>kommen: gemäß der sog. neuen OECD-Skala bedarfsgewichtetes Haushaltse<strong>in</strong>kommen pro Kopf.<br />

Datengr<strong>und</strong>lage: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n=4.275/2.686), gewichtet.<br />

197


Tabelle A4.2: Relative E<strong>in</strong>kommensarmut <strong>und</strong> relativer Wohlstand (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

198<br />

40 bis 54 Jahre 55 bis 69 Jahre 70 bis 85 Jahre Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

1996<br />

Alte Länder 2,1 7,1 4,5 4,4 6,9 5,6 8,1 8,8 8,6 3,8 7,4 5,6<br />

Neue Länder 9,4 11,2 10,3 8,7 6,6 7,6 2,5 8,4 6,2 8,3 8,9 8,6<br />

Gesamt 3,6 8,0 5,7 5,3 6,8 6,0 7,1 8,7 8,1 4,7 7,7 6,2<br />

Armut<br />

Alte Länder 0,2 2,0 1,0 1,3 1,9 1,6 4,4 3,9 4,1 1,2 2,4 1,8<br />

Neue Länder 2,5 1,7 2,1 3,2 1,0 2,1 0,0 3,4 2,2 2,4 1,8 2,1<br />

Gesamt 0,6 1,9 1,3 1,7 1,7 1,7 3,6 3,8 3,7 1,5 2,3 1,9<br />

Strenge Armut<br />

Alte Länder 6,9 11,5 9,1 12,4 15,2 13,7 16,5 22,6 20,2 10,3 15,2 12,8<br />

Neue Länder 20,1 22,9 21,5 19,0 19,7 19,4 6,6 21,2 15,8 18,0 21,4 19,7<br />

Gesamt 9,5 13,8 11,6 13,7 16,2 14,9 14,7 22,3 19,4 11,8 16,5 14,2<br />

Gemäß. Armut<br />

Alte Länder 12,8 10,3 11,6 7,8 6,2 7,0 7,6 4,7 5,8 10,2 7,6 8,9<br />

Neue Länder 1,6 1,7 1,7 1,0 0,7 0,8 0,5 0,5 0,5 1,2 1,1 1,2<br />

Gesamt 10,6 8,5 9,6 6,5 4,9 5,7 6,4 3,9 4,8 8,4 6,3 7,3<br />

Wohlstand<br />

2002<br />

Alte Länder 6,4 4,5 5,5 5,8 8,6 7,3 4,4 7,7 6,4 5,8 6,8 6,3<br />

Neue Länder 14,9 12,2 13,6 9,0 10,3 9,7 6,3 14,4 11,4 11,3 12,0 11,7<br />

Gesamt 8,2 6,1 7,2 6,5 9,0 7,8 4,8 9,1 7,4 6,9 7,9 7,4<br />

Armut<br />

Alte Länder 2,7 2,6 2,6 1,7 4,7 3,2 1,9 2,6 2,3 2,2 3,3 2,8<br />

Neue Länder 7,1 8,1 7,6 3,9 5,5 4,7 3,5 11,5 8,5 5,3 8,0 6,7<br />

Gesamt 3,6 3,7 3,7 2,2 4,8 3,5 2,2 4,3 3,5 2,8 4,3 3,6<br />

Strenge Armut<br />

Alte Länder 11,9 9,3 10,7 11,9 14,0 13,0 8,6 16,2 13,2 11,3 12,7 12,0<br />

Neue Länder 20,2 26,4 23,2 18,1 20,5 19,4 10,5 30,9 23,3 17,9 25,3 21,8<br />

Gesamt 13,6 12,9 13,3 13,2 15,3 14,3 8,9 19,1 15,1 12,6 15,4 14,0<br />

Gemäß. Armut<br />

Alte Länder 11,2 10,3 10,8 12,9 6,6 9,7 6,7 4,1 5,1 11,0 7,4 9,1<br />

Neue Länder 3,6 4,7 4,1 4,5 0,7 2,5 0,0 0,7 0,4 3,4 2,3 2,8<br />

Gesamt 9,6 9,1 9,4 11,1 5,4 8,1 5,5 3,4 4,2 9,4 6,3 7,8<br />

Wohlstand<br />

Armut (strenge A./gemäßigte A.): bis zu 50 Prozent (40 Prozent/60 Prozent) des arithmet. Mittels der Gesamtbevölkerung; Wohlstand: m<strong>in</strong>d. 200 Prozent des arithmet. Mittels der Gesamtbevölkerung.<br />

Datengr<strong>und</strong>lage: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n=4.275/2.686), gewichtet.


Tabelle A4.3: Geldvermögen brutto (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

40 bis 54 Jahre 55 bis 69 Jahre 70 bis 85 Jahre Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

1996<br />

ke<strong>in</strong> Guthaben Alte Länder 13,7 20,5 17,0 17,8 23,3 20,5 20,5 31,3 26,9 16,2 23,7 20,0<br />

Neue Länder 13,8 19,1 16,4 17,8 19,3 18,5 12,4 23,8 19,6 15,2 20,1 17,7<br />

Gesamt 13,7 20,3 16,9 17,8 22,5 20,1 19,1 29,8 25,5 16,0 23,0 19,5<br />

unter 2556 € Alte Länder 8,2 7,0 7,6 6,2 8,0 7,1 5,3 9,9 8,1 7,1 8,0 7,5<br />

Neue Länder 14,8 11,3 13,1 10,6 16,2 13,4 3,1 14,9 10,6 11,8 13,8 12,8<br />

Gesamt 9,5 7,9 8,7 7,1 9,7 8,4 4,9 10,9 8,5 8,0 9,1 8,6<br />

2556-12.781 € Alte Länder 21,2 23,0 22,1 23,4 24,9 24,2 22,0 31,3 27,5 22,1 25,4 23,8<br />

Neue Länder 36,7 40,7 38,6 37,9 41,7 39,7 57,8 44,0 49,1 39,7 41,7 40,7<br />

Gesamt 24,3 26,6 25,4 26,4 28,3 27,3 28,2 33,8 31,6 25,6 28,7 27,1<br />

12.782-51.128 € Alte Länder 32,2 32,7 32,5 35,9 30,8 33,4 35,9 19,1 25,8 34,1 29,3 31,7<br />

Neue Länder 30,0 24,5 27,3 29,9 21,5 25,8 24,8 16,1 19,3 29,3 21,7 25,5<br />

Gesamt 31,8 31,1 31,4 34,7 28,9 31,9 34,0 18,5 24,6 33,2 27,8 30,4<br />

51.129 € u. mehr Alte Länder 24,7 16,7 20,9 16,6 12,9 14,8 16,3 8,6 11,7 20,5 13,7 17,1<br />

Neue Länder 4,8 4,4 4,6 3,8 1,3 2,6 1,9 1,2 1,4 4,0 2,7 3,3<br />

Gesamt 20,8 14,2 17,6 14,0 10,5 12,3 13,8 7,1 9,7 17,3 11,5 14,3<br />

2002<br />

ke<strong>in</strong> Guthaben Alte Länder 19,8 19,1 19,4 14,8 22,5 18,7 20,4 27,0 24,4 18,1 22,3 20,2<br />

Neue Länder 23,6 25,0 24,3 23,2 28,1 25,6 28,3 40,3 36,0 24,2 29,8 27,1<br />

Gesamt 20,6 20,3 20,4 16,5 23,6 20,1 21,8 29,6 26,5 19,3 23,8 21,6<br />

unter 2556 € Alte Länder 8,4 11,0 9,7 4,2 4,0 4,1 7,3 10,3 9,1 6,7 8,4 7,6<br />

Neue Länder 9,6 16,4 12,9 8,7 8,3 8,5 6,3 14,7 11,7 8,7 13,3 11,1<br />

Gesamt 8,7 12,2 10,4 5,1 4,8 5,0 7,1 11,2 9,6 7,1 9,4 8,3<br />

2556-12.781 € Alte Länder 19,0 20,1 19,5 21,8 25,4 23,6 22,5 25,8 24,5 20,7 23,4 22,1<br />

Neue Länder 33,1 22,9 28,1 34,1 33,1 33,6 31,5 27,1 28,7 33,2 27,4 30,1<br />

Gesamt 22,0 20,7 21,3 24,3 26,9 25,6 24,1 26,1 25,3 23,2 24,2 23,7<br />

12.782-51.128 € Alte Länder 29,7 31,4 30,5 36,3 34,1 35,1 33,2 29,0 30,7 32,7 31,7 32,2<br />

Neue Länder 22,9 27,1 25,0 23,9 24,8 24,4 29,9 13,2 19,3 24,4 22,9 23,6<br />

Gesamt 28,3 30,5 29,4 33,8 32,3 33,0 32,6 25,9 28,5 31,1 30,0 30,5<br />

51.129 € u. mehr Alte Länder 23,1 18,4 20,8 22,9 14,1 18,4 16,6 7,9 11,4 21,8 14,3 17,9<br />

Neue Länder 10,8 8,6 9,7 10,1 5,8 8,0 3,9 4,7 4,4 9,5 6,7 8,0<br />

Gesamt 20,5 16,3 18,5 20,3 12,5 16,4 14,4 7,3 10,1 19,4 12,7 15,9<br />

Datengr<strong>und</strong>lage: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n=3.611/2.492), gewichtet.<br />

199


Tabelle A4.4: Verschuldung brutto (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

200<br />

40 bis 54 Jahre 55 bis 69 Jahre 70 bis 85 Jahre Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

1996<br />

Ke<strong>in</strong>e Schulden Alte Länder 66,2 71,8 68,9 83,9 87,6 85,7 95,9 97,4 96,8 77,1 82,8 80,0<br />

Neue Länder 63,6 71,2 67,3 80,6 81,3 80,9 95,5 96,0 95,8 74,2 79,7 77,0<br />

Gesamt 65,7 71,6 68,6 83,2 86,3 84,8 95,8 97,1 96,6 76,5 82,2 79,4<br />

unter 2556 € Alte Länder 6,6 5,1 5,9 2,1 2,4 2,3 0,8 0,6 0,7 4,1 3,2 3,6<br />

Neue Länder 8,3 4,7 6,5 3,6 4,4 4,0 1,7 1,1 1,4 5,6 3,9 4,7<br />

Gesamt 7,0 5,0 6,0 2,4 2,8 2,6 1,0 0,7 0,8 4,4 3,3 3,8<br />

2556-12.781 € Alte Länder 13,1 9,1 11,1 8,0 5,4 6,7 1,9 1,7 1,8 9,6 6,2 7,9<br />

Neue Länder 17,1 15,3 16,2 10,8 11,2 11,0 1,7 2,3 2,1 12,7 11,3 11,9<br />

Gesamt 13,9 10,4 12,2 8,6 6,5 7,6 1,9 1,8 1,9 10,2 7,2 8,7<br />

12.782-51.128 € Alte Länder 9,0 7,2 8,1 3,1 3,9 3,5 1,1 0,0 0,4 5,7 4,5 5,1<br />

Neue Länder 9,7 6,0 7,9 3,6 2,0 2,8 0,6 0,6 0,6 6,2 3,5 4,8<br />

Gesamt 9,1 7,0 8,1 3,2 3,5 3,4 1,0 0,1 0,5 5,8 4,3 5,0<br />

51.129 € u. mehr Alte Länder 5,1 6,8 5,9 2,9 0,7 1,8 0,3 0,3 0,3 3,6 3,3 3,4<br />

Neue Länder 1,4 2,8 2,1 1,4 1,2 1,3 0,6 0,0 0,2 1,3 1,7 1,5<br />

Gesamt 4,4 6,0 5,2 2,6 0,8 1,7 0,3 0,2 0,3 3,1 3,0 3,0<br />

2002<br />

Ke<strong>in</strong>e Schulden Alte Länder 71,3 77,2 74,3 86,8 90,4 88,6 94,8 97,8 96,6 81,5 87,1 84,4<br />

Neue Länder 70,1 76,9 73,4 87,1 89,3 88,2 94,9 97,1 96,3 80,4 86,2 83,5<br />

Gesamt 71,0 77,2 74,1 86,8 90,2 88,5 94,8 97,7 96,6 81,3 86,9 84,2<br />

unter 2556 € Alte Länder 6,0 5,5 5,8 2,6 3,0 2,8 2,3 0,7 1,3 4,0 3,4 3,7<br />

Neue Länder 3,6 10,2 6,8 2,6 4,3 3,4 1,5 0,7 1,0 2,9 5,8 4,4<br />

Gesamt 5,5 6,5 6,0 2,6 3,2 2,9 2,1 0,7 1,3 3,8 3,9 3,8<br />

2556-12.781 € Alte Länder 10,6 7,7 9,2 6,8 4,3 5,5 1,3 1,4 1,4 7,5 4,9 6,1<br />

Neue Länder 18,0 6,8 12,5 4,5 5,0 4,8 2,2 2,2 2,2 10,4 5,0 7,6<br />

Gesamt 12,2 7,5 9,9 6,3 4,4 5,4 1,5 1,6 1,5 8,1 4,9 6,4<br />

12.782-51.128 € Alte Länder 8,5 5,5 7,0 2,3 2,0 2,1 1,3 0,0 0,5 4,8 2,9 3,8<br />

Neue Länder 6,0 2,7 4,4 3,9 1,4 2,6 0,7 0,0 0,3 4,4 1,6 2,9<br />

Gesamt 8,0 5,0 6,5 2,6 1,9 2,2 1,2 0,0 0,5 4,7 2,6 3,6<br />

51.129 € u. mehr Alte Länder 3,5 4,0 3,8 1,6 0,3 1,0 0,3 0,0 0,1 2,2 1,7 1,9<br />

Neue Länder 2,4 3,4 2,9 1,9 0,0 1,0 0,7 0,0 0,3 2,0 1,4 1,6<br />

Gesamt 3,3 3,9 3,6 1,7 0,3 1,0 0,4 0,0 0,2 2,2 1,6 1,9<br />

Datengr<strong>und</strong>lage: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n=3.879/2.704), gewichtet.


Tabelle A4.5: Geldvermögen netto (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

40 bis 54 Jahre 55 bis 69 Jahre 70 bis 85 Jahre Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

1996<br />

Negative Misch. Alte Länder 8,8 8,7 8,8 4,3 4,3 4,3 0,6 0,7 0,6 6,0 5,5 5,8<br />

Neue Länder 7,8 8,1 7,9 7,0 6,6 6,8 1,9 1,3 1,5 6,8 6,2 6,5<br />

Gesamt 8,6 8,6 8,6 4,9 4,8 4,8 0,8 0,8 0,8 6,1 5,7 5,9<br />

Nur Schulden Alte Länder 5,2 4,4 4,8 3,0 2,7 2,9 0,9 1,0 1,0 3,8 3,1 3,4<br />

Neue Länder 5,4 7,1 6,2 3,1 4,8 4,0 0,0 1,3 0,8 3,8 5,1 4,5<br />

Gesamt 5,2 4,9 5,1 3,0 3,1 3,1 0,7 1,1 0,9 3,8 3,5 3,6<br />

Null o. ausgegl. Alte Länder 13,1 20,2 16,5 16,5 22,2 19,3 20,4 29,9 26,1 15,4 22,9 19,2<br />

Neue Länder 15,6 16,7 16,1 16,3 16,3 16,3 13,1 20,8 17,9 15,6 17,3 16,5<br />

Gesamt 13,6 19,5 16,4 16,4 21,0 18,7 19,1 28,1 24,5 15,4 21,8 18,6<br />

Nur Positivverm. Alte Länder 57,7 55,6 56,7 69,6 66,8 68,2 76,3 68,1 71,4 64,7 62,1 63,4<br />

Neue Länder 55,1 59,1 57,0 65,1 67,0 66,0 83,1 76,7 79,1 62,4 65,4 63,9<br />

Gesamt 57,2 56,3 56,8 68,7 66,8 67,8 77,5 69,8 72,8 64,3 62,8 63,5<br />

Positive Misch. Alte Länder 15,3 11,0 13,3 6,5 4,1 5,3 1,8 0,3 0,9 10,1 6,4 8,2<br />

Neue Länder 16,1 9,1 12,7 8,5 5,3 6,9 1,9 0,0 0,7 11,4 5,9 8,6<br />

Gesamt 15,5 10,6 13,1 6,9 4,3 5,6 1,8 0,3 0,9 10,4 6,3 8,3<br />

2002<br />

Negative Misch. Alte Länder 5,9 6,8 6,3 3,2 1,8 2,5 0,3 1,2 0,9 3,9 3,6 3,8<br />

Neue Länder 7,9 7,3 7,6 6,5 0,8 3,7 1,6 0,0 0,6 6,4 3,3 4,8<br />

Gesamt 6,3 6,9 6,6 3,8 1,6 2,7 0,6 1,0 0,8 4,4 3,6 4,0<br />

Nur Schulden Alte Länder 5,2 6,1 5,6 2,5 2,9 2,7 1,0 1,2 1,1 3,4 3,7 3,6<br />

Neue Länder 3,9 5,1 4,5 ,7 5,0 2,9 0,0 1,6 1,0 2,1 4,2 3,2<br />

Gesamt 4,9 5,9 5,4 2,1 3,3 2,7 0,9 1,3 1,1 3,2 3,8 3,5<br />

Null o. ausgegl. Alte Länder 18,1 16,2 17,2 14,1 20,9 17,5 21,7 25,2 23,8 17,3 20,1 18,8<br />

Neue Länder 21,7 22,6 22,2 23,9 22,7 23,3 29,4 38,6 35,2 23,7 26,6 25,2<br />

Gesamt 18,8 17,5 18,2 16,1 21,2 18,7 23,0 27,8 25,9 18,5 21,4 20,0<br />

Nur Positivverm. Alte Länder 56,5 63,2 59,7 73,9 70,7 72,3 74,8 72,4 73,4 66,2 68,2 67,2<br />

Neue Länder 52,6 58,4 55,5 63,0 65,5 64,3 65,9 59,1 61,6 58,6 61,0 59,9<br />

Gesamt 55,7 62,2 58,9 71,7 69,7 70,7 73,3 69,8 71,2 64,7 66,7 65,8<br />

Positive Misch. Alte Länder 14,4 7,8 11,2 6,4 3,7 5,0 2,1 0,0 0,8 9,2 4,4 6,7<br />

Neue Länder 13,8 6,6 10,2 5,8 5,9 5,8 3,2 0,8 1,7 9,1 4,9 6,9<br />

Gesamt 14,3 7,5 11,0 6,2 4,1 5,2 2,3 0,2 1,0 9,2 4,5 6,7<br />

Datengr<strong>und</strong>lage: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n=3.552/2.467), gewichtet.<br />

201


Tabelle A4.6: Subjektiver Lebensstandard (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

202<br />

40 bis 54 Jahre 55 bis 69 Jahre 70 bis 85 Jahre Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

1996<br />

Sehr gut Alte Länder 12,2 14,9 13,5 8,8 8,8 8,8 8,6 9,6 9,2 10,4 11,6 11,0<br />

Neue Länder 4,9 6,3 5,6 4,9 4,6 4,7 9,4 5,6 6,9 5,5 5,5 5,5<br />

Gesamt 10,8 13,2 12,0 8,1 7,9 8,0 8,8 8,9 8,8 9,5 10,4 10,0<br />

Gut Alte Länder 57,6 54,1 55,8 56,6 54,1 55,3 60,3 58,8 59,4 57,6 55,1 56,3<br />

Neue Länder 43,7 44,6 44,2 53,4 53,8 53,6 63,9 63,0 63,3 49,9 51,5 50,7<br />

Gesamt 54,9 52,2 53,5 56,0 54,0 55,0 60,9 59,5 60,0 56,1 54,4 55,2<br />

Mittel Alte Länder 26,3 27,4 26,8 29,5 32,5 31,0 28,2 26,8 27,3 27,8 29,0 28,4<br />

Neue Länder 43,0 39,8 41,4 37,2 35,7 36,5 23,8 29,2 27,2 38,4 36,2 37,3<br />

Gesamt 29,5 29,8 29,7 30,9 33,1 32,0 27,4 27,2 27,3 29,8 30,4 30,1<br />

Schlecht Alte Länder 3,8 3,2 3,5 4,2 3,1 3,6 2,4 4,1 3,5 3,7 3,4 3,6<br />

Neue Länder 6,1 7,1 6,6 3,0 4,6 3,8 2,5 2,3 2,4 4,5 5,2 4,9<br />

Gesamt 4,2 4,0 4,1 4,0 3,4 3,7 2,4 3,8 3,3 3,9 3,7 3,8<br />

Sehr schlecht Alte Länder 0,2 0,5 0,3 1,0 1,6 1,3 0,4 0,7 0,6 0,5 0,9 0,7<br />

Neue Länder 2,3 2,2 2,3 1,5 1,3 1,4 0,5 0,0 0,2 1,8 1,5 1,6<br />

Gesamt 0,6 0,8 0,7 1,1 1,5 1,3 0,5 0,5 0,5 0,7 1,0 0,9<br />

2002<br />

Sehr gut Alte Länder 8,2 13,4 10,7 13,2 10,9 12,0 11,9 12,9 12,5 10,7 12,4 11,6<br />

Neue Länder 4,8 11,8 8,3 8,2 5,0 6,5 5,7 4,9 5,2 6,2 7,7 7,0<br />

Gesamt 7,5 13,1 10,2 12,2 9,7 10,9 10,8 11,4 11,2 9,8 11,4 10,7<br />

Gut Alte Länder 59,8 55,6 57,7 63,6 65,0 64,3 61,3 56,0 58,1 61,5 59,0 60,2<br />

Neue Länder 47,3 45,0 46,2 54,7 60,9 57,9 66,7 56,2 60,0 53,2 53,4 53,3<br />

Gesamt 57,3 53,4 55,4 61,8 64,1 63,0 62,2 56,0 58,4 59,8 57,8 58,8<br />

Mittel Alte Länder 24,8 26,2 25,5 20,2 21,5 20,9 24,9 27,4 26,4 23,1 24,9 24,1<br />

Neue Länder 38,8 32,5 35,7 30,6 28,6 29,5 27,0 33,3 31,0 33,9 31,3 32,5<br />

Gesamt 27,6 27,5 27,6 22,3 22,9 22,6 25,2 28,5 27,3 25,3 26,2 25,7<br />

Schlecht Alte Länder 6,6 3,5 5,1 2,3 2,4 2,3 1,7 3,1 2,5 4,2 3,0 3,5<br />

Neue Länder 6,4 9,5 7,9 4,7 5,6 5,2 0,6 5,6 3,8 4,8 7,1 6,1<br />

Gesamt 6,6 4,7 5,7 2,8 3,0 2,9 1,5 3,6 2,8 4,3 3,8 4,0<br />

Sehr schlecht Alte Länder 0,6 1,3 1,0 0,6 0,3 0,4 0,3 0,6 0,5 0,5 0,8 0,7<br />

Neue Länder 2,7 1,2 1,9 1,8 0,0 0,8 0,0 0,0 0,0 1,9 0,5 1,1<br />

Gesamt 1,0 1,3 1,2 0,8 0,2 0,5 0,2 0,5 0,4 0,8 0,7 0,8<br />

Datengr<strong>und</strong>lage: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n=4.805/3.074), gewichtet.


Tabelle A4.7: Bewertung der <strong>Entwicklung</strong>en des Lebensstandards <strong>in</strong> den letzten 10 Jahren (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

40 bis 54 Jahre 55 bis 69 Jahre 70 bis 85 Jahre Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

1996<br />

viel besser<br />

Alte Länder 9,9 8,9 9,4 4,2 4,1 4,1 1,5 1,7 1,7 6,6 5,6 6,1<br />

geworden Neue Länder 11,7 13,0 12,3 9,1 8,8 9,0 15,8 12,4 13,6 11,2 11,4 11,3<br />

Gesamt 10,3 9,7 10,0 5,1 5,0 5,1 3,9 3,6 3,7 7,4 6,7 7,1<br />

etwas besser gewor- Alte Länder 34,9 35,7 35,3 21,6 19,8 20,7 10,4 10,6 10,5 26,4 24,6 25,5<br />

den Neue Länder 42,6 41,9 42,2 41,5 41,5 41,5 44,8 43,6 44,0 42,5 42,1 42,3<br />

Gesamt 36,4 36,9 36,7 25,4 24,2 24,8 16,1 16,4 16,3 29,4 28,0 28,7<br />

Gleich<br />

Alte Länder 40,1 42,3 41,1 53,6 58,4 56,0 77,7 71,4 73,7 50,5 54,4 52,5<br />

geblieben Neue Länder 24,2 22,6 23,4 32,3 31,7 32,0 33,0 35,3 34,5 28,3 28,4 28,4<br />

Gesamt 37,0 38,3 37,6 49,6 53,1 51,3 70,2 65,1 67,0 46,4 49,3 47,9<br />

etwas schlechter Alte Länder 12,0 10,8 11,4 16,3 14,4 15,4 9,5 13,9 12,3 13,3 12,7 13,0<br />

geworden Neue Länder 13,2 12,2 12,7 13,1 12,7 12,9 4,4 7,3 6,3 12,1 11,4 11,8<br />

Gesamt 12,2 11,1 11,7 15,7 14,1 14,9 8,7 12,7 11,2 13,1 12,5 12,8<br />

viel schlechter Alte Länder 3,1 2,4 2,7 4,3 3,3 3,8 0,9 2,4 1,8 3,2 2,7 3,0<br />

geworden Neue Länder 8,3 10,4 9,3 4,0 5,2 4,6 2,0 1,4 1,6 5,9 6,8 6,3<br />

Gesamt 4,1 3,9 4,0 4,3 3,7 4,0 1,1 2,2 1,8 3,7 3,5 3,6<br />

2002<br />

viel besser<br />

Alte Länder 10,2 9,4 9,8 4,7 1,5 3,0 0,6 2,8 1,9 6,4 4,9 5,6<br />

geworden Neue Länder 9,0 17,2 13,1 5,3 7,5 6,4 5,1 0,6 2,2 7,0 9,7 8,4<br />

Gesamt 10,0 10,9 10,5 4,8 2,7 3,7 1,4 2,3 2,0 6,6 5,9 6,2<br />

etwas besser gewor- Alte Länder 33,4 37,4 35,4 18,2 17,1 17,6 7,9 8,6 8,3 23,2 22,9 23,0<br />

den Neue Länder 37,2 29,6 33,5 24,7 26,1 25,4 24,1 20,5 21,8 30,5 26,1 28,1<br />

Gesamt 34,2 35,8 35,0 19,5 18,9 19,2 10,7 10,8 10,8 24,6 23,5 24,0<br />

gleich<br />

Alte Länder 39,8 38,8 39,3 56,9 59,4 58,2 76,3 70,0 72,4 52,7 54,0 53,4<br />

geblieben Neue Länder 27,1 28,4 27,8 51,2 50,9 51,0 55,7 64,0 61,0 40,7 45,1 43,0<br />

Gesamt 37,2 36,7 36,9 55,7 57,7 56,7 72,7 68,9 70,3 50,3 52,2 51,3<br />

etwas schlechter Alte Länder 12,3 10,7 11,5 17,3 19,1 18,2 14,4 17,1 16,1 14,5 15,3 14,9<br />

geworden Neue Länder 19,1 17,2 18,2 14,7 13,7 14,2 12,0 13,0 12,7 16,4 14,9 15,6<br />

Gesamt 13,7 12,0 12,9 16,8 18,0 17,4 14,0 16,4 15,4 14,9 15,2 15,1<br />

viel schlechter Alte Länder 4,2 3,7 4,0 2,9 2,9 2,9 0,8 1,5 1,3 3,1 2,9 3,0<br />

geworden Neue Länder 7,4 7,7 7,6 4,1 1,9 2,9 3,2 1,9 2,3 5,5 4,2 4,8<br />

Gesamt 4,9 4,5 4,7 3,2 2,7 2,9 1,3 1,6 1,5 3,6 3,2 3,4<br />

Datengr<strong>und</strong>lage: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n=4.820/3.075), gewichtet.<br />

203


Tabelle A4.8: Erwartungen künftiger Veränderungen des Lebensstandards (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

204<br />

40 bis 54 Jahre 55 bis 69 Jahre 70 bis 85 Jahre Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

1996<br />

wird viel besser Alte Länder 4,1 2,4 3,3 1,1 0,6 0,9 0,4 0,0 0,2 2,5 1,2 1,8<br />

werden Neue Länder ,8 1,9 1,3 1,8 0,0 0,9 0,0 0,0 0,0 1,1 0,8 0,9<br />

Gesamt 3,5 2,3 2,9 1,3 0,5 0,9 0,4 0,0 0,1 2,2 1,1 1,6<br />

wird etwas besser Alte Länder 17,7 18,4 18,1 6,9 5,9 6,4 2,7 1,7 2,1 11,5 10,3 10,9<br />

werden Neue Länder 26,4 23,3 24,9 11,0 13,4 12,2 8,9 7,4 7,9 18,4 16,6 17,5<br />

Gesamt 19,4 19,4 19,4 7,7 7,4 7,5 3,7 2,7 3,1 12,8 11,6 12,1<br />

wird gleich bleiben Alte Länder 59,8 65,7 62,7 70,6 71,9 71,2 80,7 83,9 82,7 66,9 71,9 69,5<br />

Neue Länder 58,5 54,1 56,3 64,3 61,3 62,8 83,7 83,4 83,5 63,8 62,4 63,1<br />

Gesamt 59,5 63,3 61,4 69,4 69,8 69,6 81,2 83,8 82,9 66,3 70,1 68,2<br />

wird etwas schlech- Alte Länder 15,5 11,8 13,7 18,6 18,9 18,8 15,3 12,4 13,5 16,6 14,4 15,5<br />

ter werden<br />

Neue Länder 11,7 16,7 14,2 19,5 21,0 20,3 6,4 8,8 7,9 14,0 16,7 15,4<br />

Gesamt 14,7 12,8 13,8 18,7 19,4 19,0 13,8 11,8 12,5 16,1 14,9 15,5<br />

wird viel schlechter Alte Länder 2,9 1,7 2,3 2,9 2,7 2,8 0,9 2,0 1,6 2,6 2,1 2,4<br />

werden<br />

Neue Länder 2,6 4,1 3,4 3,4 4,3 3,8 1,0 0,5 0,6 2,7 3,4 3,1<br />

Gesamt 2,9 2,2 2,5 3,0 3,0 3,0 0,9 1,7 1,4 2,6 2,4 2,5<br />

2002<br />

wird viel besser Alte Länder 2,4 2,4 2,4 1,5 0,0 0,7 0,0 0,0 0,0 1,6 1,0 1,3<br />

werden Neue Länder 2,1 1,2 1,7 0,0 0,0 0,0 0,6 0,0 0,2 1,1 0,5 0,8<br />

Gesamt 2,4 2,2 2,3 1,2 0,0 0,6 0,1 0,0 0,0 1,5 0,9 1,2<br />

wird etwas besser Alte Länder 23,6 19,0 21,3 9,7 5,9 7,8 1,1 2,2 1,8 14,4 10,1 12,1<br />

werden<br />

Neue Länder 26,7 19,5 23,2 8,2 7,5 7,8 4,5 1,9 2,8 16,3 11,0 13,4<br />

Gesamt 24,3 19,1 21,7 9,4 6,2 7,8 1,7 2,1 2,0 14,8 10,3 12,4<br />

wird gleich bleiben Alte Länder 63,3 68,4 65,9 75,5 79,4 77,5 85,3 82,8 83,7 71,8 75,9 74,0<br />

Neue Länder 55,1 62,7 58,9 72,4 79,5 76,1 82,8 87,3 85,7 66,0 74,6 70,6<br />

Gesamt 61,6 67,3 64,4 74,9 79,4 77,2 84,8 83,6 84,1 70,6 75,7 73,3<br />

wird etwas schlech- Alte Länder 9,7 9,6 9,7 12,7 14,5 13,6 12,7 14,2 13,6 11,3 12,5 11,9<br />

ter werden<br />

Neue Länder 10,2 12,4 11,3 16,5 11,8 14,0 11,5 8,9 9,8 12,7 11,3 12,0<br />

Gesamt 9,8 10,2 10,0 13,5 13,9 13,7 12,5 13,2 12,9 11,6 12,2 12,0<br />

wird viel schlechter Alte Länder 0,9 0,5 0,7 0,6 0,3 0,4 0,8 0,9 0,9 0,8 0,6 0,7<br />

werden<br />

Neue Länder 5,9 4,1 5,0 2,9 1,2 2,1 0,6 1,9 1,4 3,9 2,6 3,2<br />

Gesamt 1,9 1,3 1,6 1,1 0,5 0,8 0,8 1,1 1,0 1,4 1,0 1,2<br />

Datengr<strong>und</strong>lage: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n=4.809/3.062), gewichtet.


Tabelle A4.9: Materielle Transfers <strong>in</strong>sgesamt – Erhalt <strong>und</strong> Vergabe (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

40 bis 54 Jahre 55 bis 69 Jahre 70 bis 85 Jahre Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

1996<br />

Erhalt Alte Länder 11,3 14,2 12,7 4,7 5,3 5,0 2,0 3,9 3,2 7,5 8,8 8,2<br />

Neue Länder 12,5 13,0 12,7 6,5 8,1 7,3 3,4 5,1 4,5 9,1 9,7 9,4<br />

Gesamt 11,5 13,9 12,7 5,0 5,8 5,4 2,2 4,1 3,4 7,8 9,0 8,4<br />

Vergabe Alte Länder 29,3 28,5 28,9 32,7 33,0 32,9 36,9 28,7 31,8 31,7 30,1 30,9<br />

Neue Länder 25,7 36,3 30,9 32,8 30,2 31,5 38,3 33,3 35,1 29,9 33,5 31,8<br />

Gesamt 28,6 30,0 29,3 32,8 32,4 32,6 37,2 29,5 32,3 31,4 30,8 31,0<br />

2002<br />

Erhalt Alte Länder 10,6 13,3 11,9 4,4 6,8 5,6 1,4 4,0 3,0 6,6 8,7 7,7<br />

Neue Länder 8,5 12,4 10,4 4,1 5,6 4,9 2,6 0,6 1,3 5,9 7,1 6,6<br />

Gesamt 10,2 13,1 11,6 4,3 6,6 5,5 1,6 3,3 2,7 6,5 8,4 7,5<br />

Vergabe Alte Länder 27,6 26,7 27,1 40,1 36,5 38,3 35,0 30,5 32,2 33,5 31,0 32,2<br />

Neue Länder 27,3 26,6 27,0 30,6 29,8 30,2 33,5 20,6 25,3 29,5 26,3 27,8<br />

Gesamt 27,5 26,7 27,1 38,1 35,1 36,6 34,8 28,6 31,0 32,7 30,1 31,3<br />

Datengr<strong>und</strong>lage: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (nErhalt=4.804/3.070, nVergabe=4.791/3.065), gewichtet<br />

205


Tabelle A4.10: Materielle Transfers an erwachsene K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> von erwachsenen K<strong>in</strong>dern (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

206<br />

40 bis 54 Jahre 55 bis 69 Jahre 70 bis 85 Jahre Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

1996<br />

Erhalt Alte Länder 1,3 2,6 2,1 1,3 0,7 1,0 1,8 3,0 2,5 1,4 1,9 1,7<br />

Neue Länder 3,5 1,9 2,6 4,3 4,5 4,4 4,0 4,8 4,5 4,0 3,7 3,8<br />

Gesamt 2,0 2,4 2,2 1,9 1,5 1,7 2,2 3,3 2,9 2,0 2,3 2,1<br />

Vergabe Alte Länder 41,6 32,9 36,4 30,8 31,6 31,2 27,2 20,4 23,0 32,5 28,8 30,4<br />

Neue Länder 32,7 35,9 34,5 29,1 23,9 26,4 31,6 28,7 29,8 30,7 29,2 29,9<br />

Gesamt 39,1 33,7 35,9 30,5 29,9 30,2 27,9 22,0 24,2 32,1 28,8 30,3<br />

2002<br />

Erhalt Alte Länder 0,0 2,3 1,3 2,2 1,1 1,6 1,0 3,7 2,6 1,4 2,2 1,9<br />

Neue Länder 0,0 2,9 1,7 2,7 2,6 2,7 2,1 0,7 1,3 1,8 2,2 2,0<br />

Gesamt 0,0 2,5 1,4 2,3 1,4 1,8 1,2 3,1 2,4 1,5 2,2 1,9<br />

Vergabe Alte Länder 37,9 30,1 33,5 31,6 27,8 29,7 23,8 19,9 21,5 30,8 25,7 28,0<br />

Neue Länder 28,8 27,9 28,2 24,1 23,2 23,6 21,7 15,6 17,9 25,0 22,7 23,7<br />

Gesamt 35,2 29,4 31,9 30,0 26,7 28,3 23,5 19,0 20,8 29,5 25,0 27,0<br />

Datengr<strong>und</strong>lage: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (nErhalt=3.204/2.115, nVergabe=3.192/2.083), gewichtet.


Tabelle A4.11: Wert erhaltener Erbschaften (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

40 bis 54 Jahre 55 bis 69 Jahre 70 bis 85 Jahre Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

1996<br />

Unter<br />

Alte Länder 13,5 16,5 14,9 13,6 16,3 15,0 15,0 21,4 18,7 13,7 17,3 15,5<br />

5.000 DM Neue Länder 37,2 42,2 39,6 33,6 40,2 37,1 33,3 33,8 33,6 35,3 39,8 37,6<br />

Gesamt 17,5 20,9 19,1 16,8 20,3 18,6 18,2 23,6 21,3 17,3 21,1 19,3<br />

5.000-<br />

Alte Länder 26,5 26,3 26,4 30,0 24,9 27,4 30,1 29,8 29,9 28,4 26,4 27,4<br />

24.999 DM Neue Länder 37,2 26,5 32,0 35,3 31,3 33,2 34,5 38,2 36,7 36,1 30,6 33,3<br />

Gesamt 28,3 26,4 27,4 30,9 26,0 28,4 30,8 31,3 31,1 29,7 27,1 28,3<br />

25.000-<br />

Alte Länder 28,3 27,7 28,0 29,2 29,9 29,5 32,4 21,4 26,1 29,2 27,4 28,3<br />

99.999 DM Neue Länder 15,1 21,7 18,3 18,1 21,4 19,9 19,0 16,2 17,4 16,8 20,6 18,7<br />

Gesamt 26,0 26,7 26,3 27,4 28,4 27,9 30,1 20,5 24,6 27,1 26,3 26,7<br />

100.000-<br />

Alte Länder 24,2 24,6 24,4 22,8 24,4 23,6 17,9 20,6 19,5 22,8 23,8 23,3<br />

499.999 DM Neue Länder 8,1 8,4 8,3 12,1 7,1 9,5 13,1 11,8 12,3 10,3 8,5 9,4<br />

Gesamt 21,5 21,8 21,6 21,1 21,5 21,3 17,1 19,1 18,2 20,7 21,2 21,0<br />

500.000-<br />

Alte Länder 4,5 4,0 4,3 2,4 2,7 2,6 3,5 3,8 3,7 3,5 3,5 3,5<br />

999.999 DM Neue Länder 1,2 1,2 1,2 0,9 0,0 0,4 0,0 0,0 0,0 0,9 0,5 0,7<br />

Gesamt 3,9 3,5 3,7 2,2 2,3 2,2 2,9 3,1 3,0 3,1 3,0 3,0<br />

1.000.000 DM Alte Länder 3,1 0,9 2,0 2,0 1,8 1,9 1,2 3,1 2,2 2,4 1,6 2,0<br />

<strong>und</strong> mehr Neue Länder 1,2 0,0 0,6 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,6 0,0 0,3<br />

Gesamt 2,8 0,7 1,8 1,7 1,5 1,6 1,0 2,5 1,9 2,1 1,4 1,7<br />

2002<br />

Unter<br />

Alte Länder 15,9 22,5 19,3 5,6 13,1 9,4 11,0 8,7 9,6 10,5 15,2 13,0<br />

2.556 € Neue Länder 31,5 36,4 33,8 38,7 28,8 33,2 30,0 22,0 25,3 34,3 30,0 32,0<br />

Gesamt 18,6 24,6 21,6 10,6 15,9 13,3 13,6 10,4 11,7 14,2 17,5 15,9<br />

2.556-<br />

Alte Länder 22,1 28,3 25,2 28,1 22,0 25,0 22,1 22,8 22,5 24,7 24,4 24,6<br />

12.781 € Neue Länder 40,7 34,1 37,6 32,3 37,9 35,4 34,0 24,4 28,4 36,1 33,9 35,0<br />

Gesamt 25,4 29,1 27,3 28,7 24,8 26,7 23,7 23,0 23,3 26,5 25,9 26,2<br />

12.782-<br />

Alte Länder 32,7 27,5 30,1 29,8 32,7 31,3 26,6 33,1 30,5 30,3 31,0 30,7<br />

51.128 € Neue Länder 25,9 20,5 23,4 16,1 22,7 19,8 26,0 36,6 32,1 21,9 24,7 23,4<br />

Gesamt 31,6 26,5 29,0 27,7 31,0 29,4 26,5 33,5 30,7 29,0 30,0 29,5<br />

51.129-<br />

Alte Länder 23,0 15,2 19,0 30,3 26,8 28,6 31,2 27,6 29,0 27,8 23,0 25,3<br />

255.645 € Neue Länder 0,0 9,1 4,3 12,9 9,1 10,8 8,0 14,6 11,9 6,7 10,2 8,5<br />

Gesamt 19,0 14,3 16,6 27,7 23,6 25,6 28,1 25,9 26,8 24,5 21,0 22,6<br />

255.646-<br />

Alte Länder 4,4 5,8 5,1 3,9 4,2 4,1 7,1 6,3 6,6 4,7 5,3 5,0<br />

511.291€ Neue Länder 1,9 0,0 1,0 0,0 1,5 0,8 2,0 2,4 2,3 1,1 1,2 1,2<br />

Gesamt 4,0 4,9 4,5 3,3 3,7 3,5 6,5 5,8 6,1 4,2 4,6 4,4<br />

511.292 €<br />

Alte Länder 1,8 0,7 1,2 2,2 1,2 1,7 1,9 1,6 1,7 2,0 1,1 1,5<br />

<strong>und</strong> mehr Neue Länder 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0<br />

Gesamt 1,5 0,6 1,0 1,9 1,0 1,4 1,7 1,4 1,5 1,7 1,0 1,3<br />

Datengr<strong>und</strong>lage: Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Alterssurveys (n=1.771/1.195), gewichtet<br />

207


208


5. Intergenerationale Familienbeziehungen<br />

im <strong>Wandel</strong><br />

Andreas Hoff<br />

5.1 E<strong>in</strong>leitung<br />

Familien gehören zu den ältesten Institutionen der Menschheit. Be<strong>in</strong>ahe jeder Mensch wird <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e Familie h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren. Soziale Beziehungen zu anderen Familienangehörigen s<strong>in</strong>d dementsprechend<br />

die ältesten <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Regel auch die stabilsten Beziehungen, die uns e<strong>in</strong> Leben<br />

lang begleiten. E<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> e<strong>in</strong> familiales Netzwerk werden wir sozialisiert <strong>und</strong> verbr<strong>in</strong>gen<br />

e<strong>in</strong>en großen Teil unserer Freizeit mit unseren Familienangehörigen. Es bleiben e<strong>in</strong>e Vielzahl<br />

geme<strong>in</strong>samer Er<strong>in</strong>nerungen <strong>und</strong> Erfahrungen, auf denen sich das besondere Zusammengehörigkeitsgefühl<br />

von Familien gründet. Dazu gehören auch erlebte Unterstützung <strong>und</strong> Solidarität.<br />

Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl wird durch fortgesetzte wechselseitige Interaktion <strong>und</strong><br />

Kommunikation ständig erneuert <strong>und</strong> zum Teil auch neu begründet. Im Endeffekt ist es also<br />

notwendig, die sich im Lebensverlauf entwickelnden Familienbeziehungen zu untersuchen,<br />

wenn man verstehen will, was es heißt, alt zu werden.<br />

Diese auf die <strong>Entwicklung</strong> von Familienbeziehungen im gesamten Lebensverlauf gerichtete<br />

Perspektive bildet neben der Perspektive des gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s die zentrale theoretisch-konzeptuelle<br />

Gr<strong>und</strong>lage dieses Kapitels, das Generationenbeziehungen im Kontext der<br />

erweiterten Familie untersucht. Auf der Basis der nun vorliegenden zwei Erhebungszeitpunkte<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 ist es mit den Alterssurvey-Daten erstmals möglich, <strong>Wandel</strong> <strong>und</strong> Kont<strong>in</strong>uität<br />

sozialer Beziehungen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte über e<strong>in</strong>en Zeitraum von mehreren Jahren zu<br />

verfolgen. Es ersche<strong>in</strong>t jedoch e<strong>in</strong>e Warnung vor übertriebenen Erwartungen angebracht. Sechs<br />

Jahre (zwischen der Ersterhebung 1996 <strong>und</strong> der zweiten Welle im Jahre 2002) s<strong>in</strong>d, aus e<strong>in</strong>er<br />

Lebenslaufperspektive betrachtet, e<strong>in</strong> relativ kurzer Zeitraum. Tiefgreifende E<strong>in</strong>schnitte oder<br />

Veränderungen sozialer Beziehungen <strong>in</strong> Familien s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>nerhalb weniger Jahre kaum zu erwarten.<br />

Von Interesse dürfte jedoch se<strong>in</strong>, ob erkennbare Unterschiede im Vergleich zum vorigen<br />

Untersuchungszeitpunkt als Vorboten e<strong>in</strong>er zukünftigen Veränderung von Familienbeziehungen<br />

<strong>in</strong>terpretiert werden können.<br />

Das vorliegende Kapitel ist explizit deskriptiv angelegt. Die hauptsächliche Zielstellung ist es,<br />

auf Basis der Alterssurvey-Daten e<strong>in</strong>erseits <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong>sverläufe <strong>in</strong> bestimmten<br />

Phasen der zweiten Lebenshälfte nachzuvollziehen <strong>und</strong> andererseits nach Anzeichen e<strong>in</strong>es familialen<br />

<strong>Wandel</strong>s <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte zu suchen. Dementsprechend wird der <strong>Wandel</strong> von<br />

Generationenbeziehungen durch den Vergleich von Basisstichprobe 1996 <strong>und</strong> Replikationsstichprobe<br />

2002 nachgezeichnet. Die Darstellung <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r <strong>Entwicklung</strong>en erfolgt h<strong>in</strong>gegen<br />

entsprechend der dazu notwendigen Längsschnittperspektive ausschließlich auf Basis der<br />

Panelstichprobe. Gegenstand dieses Kapitels ist also e<strong>in</strong>e umfassende Deskription von Generationenbeziehungen<br />

<strong>in</strong>nerhalb der Familie, e<strong>in</strong>schließlich der Dimension sozialer Unterstützung.<br />

209


210<br />

Andreas Hoff<br />

Damit wird den Anforderungen an e<strong>in</strong>e empirische Sozialberichterstattung entsprochen (Noll,<br />

1999; Tesch-Römer, Wurm, Hoff, & Engstler, 2002). Abschließend werden die zentralen Ergebnisse<br />

dieses Reports noch e<strong>in</strong>mal gebündelt <strong>und</strong> <strong>in</strong> konkrete sozialpolitische Handlungsempfehlungen<br />

umgesetzt.<br />

Das Kapitel ist folgendermaßen gegliedert: Zu Beg<strong>in</strong>n wird der Zusammenhang zwischen den<br />

beiden zentralen Betrachtungsweisen dieses Kapitels – <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>und</strong> <strong>Wandel</strong><br />

von Familienbeziehungen – argumentativ untermauert, gefolgt von der Formulierung der zentralen<br />

Fragestellungen dieses Kapitels. Im Anschluss daran erfolgt die Präsentation empirischer<br />

Ergebnisse. In e<strong>in</strong>em ersten Schritt wird e<strong>in</strong> Überblick über die gelebten Generationenbeziehungen<br />

<strong>in</strong> der Familie gegeben. Dazu gehört auch die Darstellung spezifischer Generationenkonstellationen<br />

<strong>in</strong> der erweiterten Familie. Das vierte Unterkapitel ist der Frage gewidmet, mit wem<br />

Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte unmittelbar zusammenleben. Ausgangspunkt ist die Analyse<br />

der Wohnentfernung zwischen K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Eltern, gefolgt von der Untersuchung <strong>in</strong>tergenerationaler<br />

Beziehungskonstellationen auf Haushaltsebene. E<strong>in</strong> dritter Abschnitt ist der Bedeutung<br />

familialer Generationenbeziehungen gewidmet. Dabei wird zunächst die subjektive Wahrnehmung<br />

der Befragten untersucht, bevor der Blick auf andere, „objektive“ Indikatoren, wie die<br />

Kontakthäufigkeit zwischen Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dern gelenkt wird. Dem folgt e<strong>in</strong>e umfassende Analyse<br />

<strong>in</strong>tergenerationaler Unterstützungsbeziehungen <strong>in</strong> der Familie. Den Abschluss bildet die<br />

Diskussion der sozial- <strong>und</strong> familienpolitischen Implikationen der vorgestellten Ergebnisse.<br />

5.2 Familienbeziehungen <strong>und</strong> sozialer <strong>Wandel</strong><br />

In diesem Unterkapitel wird das Konzept des <strong>Wandel</strong>s von Familienbeziehungen e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong><br />

den breiteren Rahmen des familialen <strong>und</strong> demografischen <strong>Wandel</strong>s, welche wiederum Bestandteile<br />

des gesamtgesellschaftlichen oder sozialen <strong>Wandel</strong>s s<strong>in</strong>d. Dabei wird angeknüpft an die<br />

theoretisch-konzeptuellen Überlegungen aus dem E<strong>in</strong>führungskapitel (vgl. Kapitel 1 dieses<br />

Bandes) – <strong>in</strong>sbesondere jenen zum Paradigma der Lebensverlaufsperspektive <strong>und</strong> dem Konzept<br />

des sozialen <strong>Wandel</strong>s. Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage werden im Folgenden <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Akteure, Familie<br />

<strong>und</strong> sozialer <strong>Wandel</strong> zue<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> Beziehung gesetzt. Dem schließt sich die Herleitung der<br />

zentralen Fragestellungen dieses Kapitels an.<br />

5.2.1 Individuum, Familie <strong>und</strong> sozialer <strong>Wandel</strong><br />

Individuum, Familie <strong>und</strong> sozialer <strong>Wandel</strong> stehen für die drei klassischen Ebenen soziologischer<br />

Analyse – Mikro, Meso- <strong>und</strong> Makroebene. Die Mikroebene entspricht der Ebene des <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n<br />

Handelns. Im Gegensatz dazu stellt die Makroebene die Ebene gesamtgesellschaftlicher<br />

Wirkungszusammenhänge dar. Soziale Strukturen werden dabei als Ergebnisse <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n<br />

Handelns betrachtet, wobei es sich dabei <strong>in</strong> der Regel um un<strong>in</strong>tendierte Konsequenzen <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n<br />

Handelns handelt (Coleman, 1990; Esser, 1993, 1999). Menschengruppen wie beispielsweise<br />

die Familie oder auch soziale Netzwerke s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne <strong>in</strong>termediäre Strukturen,<br />

welche der zwischen Mikro- <strong>und</strong> Makroebene liegenden sogenannten Mesoebene zuzuordnen<br />

s<strong>in</strong>d. Die Manifestation der Ergebnisse <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Handelns <strong>in</strong> soziale Strukturen wird durch


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

solche <strong>in</strong>termediären Strukturen vermittelt (Galaskiewicz & Wasserman, 1994). Individuen<br />

werden dabei als <strong>in</strong>teragierende Mitglieder der Gesellschaft betrachtet – <strong>und</strong> nicht als Elemente<br />

e<strong>in</strong>es abstrakten sozialen Systems.<br />

Mit dem Begriff des sozialen <strong>Wandel</strong>s wird die Veränderung der Gesellschaft <strong>und</strong> dabei <strong>in</strong>sbesondere<br />

die Veränderung sozialer Strukturen <strong>und</strong>/oder sozialen Verhaltens bezeichnet (Wiswede,<br />

2000). Der sehr allgeme<strong>in</strong>e Begriff des sozialen <strong>Wandel</strong>s bezieht sich auf die gesamtgesellschaftliche<br />

Ebene. Der Charme dieses Konzepts besteht im Wesentlichen dar<strong>in</strong>, dass es den<br />

dynamischen Charakter gesellschaftlicher Veränderungen betont <strong>und</strong> sich so von konventionellen<br />

statischen Vergleichen abgrenzt (für e<strong>in</strong>en Überblick über das Konzept sozialen <strong>Wandel</strong>s<br />

vgl. Hradil, 2001). E<strong>in</strong>en nach wie vor lesenswerten Überblick über Theorien des sozialen<br />

<strong>Wandel</strong>s bietet Zapf (1971). Der Nachteil des Konzepts besteht jedoch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em hohen Abstraktionsgrad<br />

aufgr<strong>und</strong> der gesamtgesellschaftlichen Bezugsebene. Konkrete, operationalisierbare<br />

Indikatoren sozialen <strong>Wandel</strong>s s<strong>in</strong>d nur sehr schwer zu identifizieren.<br />

Gesamtgesellschaftliche Veränderungen, die mit dem Begriff „sozialer <strong>Wandel</strong>“ bezeichnet<br />

werden, vollziehen sich jedoch nicht nur auf Gesellschaftsebene – sie treten auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Vielzahl<br />

von Teilbereichen der Gesellschaft auf. Ihre jeweilige Bezeichnung richtet sich nach diesen<br />

Teilbereichen – Begriffe wie familialer <strong>Wandel</strong>, demografischer <strong>Wandel</strong>, Altersstrukturwandel,<br />

etc. geben H<strong>in</strong>weise auf ihre Bezugspunkte. So beschäftigt sich der familiale <strong>Wandel</strong> mit Veränderungen<br />

der Familienstruktur oder der demografische <strong>Wandel</strong> mit Veränderungen der Bevölkerungsstruktur.<br />

Diese Unterkonzepte s<strong>in</strong>d konkret zu erfassen <strong>und</strong> mit Hilfe konkreter Indikatoren<br />

messbar. Die für die zweite Lebenshälfte relevanten Indikatoren demografischen <strong>und</strong><br />

familialen <strong>Wandel</strong>s werden im Anschluss benannt. Erklärtes Ziel des Kapitels ist es festzustellen,<br />

<strong>in</strong> welchem Maße sich die Familienbeziehungen der befragten 40- bis 85-Jährigen (im<br />

Längsschnitt: 46- bis 91-Jährigen) <strong>in</strong> den letzten sechs Jahren verändert haben. In e<strong>in</strong>em zweiten<br />

Schritt soll dann untersucht werden, <strong>in</strong>wieweit Veränderungen demografische <strong>und</strong> familienstrukturelle<br />

Wandlungsprozesse die Gestaltung von Familienbeziehungen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

bee<strong>in</strong>flussen. Im Folgenden wird zunächst e<strong>in</strong> kurzer Überblick über die wesentlichen<br />

Trends des demografischen <strong>und</strong> des familialen <strong>Wandel</strong>s gegeben.<br />

Im Zuge des demografischen <strong>Wandel</strong>s hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung <strong>in</strong>nerhalb<br />

des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts auf 75,4 bzw. 81,2 Jahre für 2000/2002 geborene Männer bzw. Frauen<br />

mehr als verdoppelt (Statistisches B<strong>und</strong>esamt, 2004). E<strong>in</strong>e deutlich gestiegene Lebenserwartung<br />

war <strong>und</strong> ist e<strong>in</strong>e wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Menschen <strong>in</strong> Deutschland heutzutage<br />

mit e<strong>in</strong>iger Sicherheit erwarten können, e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong> oder sogar zwei Jahrzehnte umfassenden<br />

Lebensabend <strong>in</strong> relativ guter Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Paarbeziehung zu erleben. So haben<br />

2000/2002 65-jährige Männer noch e<strong>in</strong>e durchschnittliche fernere Lebenserwartung von 16<br />

Jahren, Frauen sogar von fast 20 Jahren (Statistisches B<strong>und</strong>esamt, 2004).<br />

Erst die gestiegene Lebenserwartung ermöglicht die Existenz von drei, vier oder mehr Generationen<br />

<strong>in</strong>nerhalb desselben Familiennetzwerks (Lauterbach & Kle<strong>in</strong>, 1997). Das vielfach beschworene<br />

harmonische Zusammenleben mehrerer Generationen <strong>in</strong> der vormodernen Großfamilie<br />

muss schon alle<strong>in</strong> deshalb als Mythos der Familienforschung e<strong>in</strong>gestuft werden (Nave-Herz,<br />

2004; Rosenbaum, 1982). Die deutlich gestiegene Lebenserwartung ist im übrigen auch Voraussetzung<br />

dafür, dass e<strong>in</strong>e Mehrheit der Bevölkerung heute erfüllte Großeltern-Enkel-<br />

211


212<br />

Andreas Hoff<br />

Beziehungen erleben kann (Lange & Lauterbach, 1997; Lauterbach, 2002; Uhlenberg & Kirby,<br />

1998).<br />

Aber es gibt auch gegenläufige demografische Trends. Der Rückgang der Geburtenrate <strong>und</strong> das<br />

steigende Lebensalter von Frauen bei der Geburt ihres ersten K<strong>in</strong>des verr<strong>in</strong>gern die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

der parallelen Existenz vieler Generationen, da die Abstände zwischen den Generationen<br />

immer größer werden. E<strong>in</strong>e weitere Konsequenz dieser <strong>Entwicklung</strong> ist es, dass es <strong>in</strong> den<br />

nachrückenden Generationen immer weniger K<strong>in</strong>der (<strong>und</strong> dementsprechend Enkel <strong>und</strong> Urenkel)<br />

gibt. Dementsprechend haben Anzahl <strong>und</strong> Anteil k<strong>in</strong>derloser Haushalte zugenommen – <strong>und</strong><br />

zwar nicht nur <strong>in</strong> den Altersgruppen, die nach dem Auszug ihrer K<strong>in</strong>der aus dem elterlichen<br />

Haushalt alle<strong>in</strong> leben (Engstler & Menn<strong>in</strong>g, 2003).<br />

E<strong>in</strong> weiterer, von Familienpolitikern mit Sorge betrachteter Trend ist die Zunahme von Haushalten<br />

alle<strong>in</strong>lebender Menschen. Dies betrifft vor allem höheraltrige <strong>und</strong> hochaltrige Frauen,<br />

deren männliche Lebenspartner vor ihnen gestorben s<strong>in</strong>d. Diese Frauen s<strong>in</strong>d oft hilfebedürftig,<br />

während die Anzahl verwandter Personen, die als Hilfepotenzial <strong>in</strong> Frage kommen, auch aus<br />

natürlichen Gründen immer ger<strong>in</strong>ger wird (B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium für Familie, 2002).<br />

Seit den 70er Jahren ist die Zahl der Ehescheidungen sprunghaft angestiegen: wurde damals nur<br />

jede sechste Ehe geschieden, so waren es im Jahre 2000 mehr als 38 Prozent aller Ehen<br />

(Engstler & Menn<strong>in</strong>g, 2003, S. 81). Parallel dazu nahm die Zahl der Eheschließungen deutlich<br />

ab (Engstler & Menn<strong>in</strong>g, 2003, S. 65). So haben sich die Formen des Zusammenlebens, zum<strong>in</strong>dest<br />

<strong>in</strong> den jüngeren Generationen, erheblich verändert. Das gilt auch für die Lebensform Familie.<br />

Seit den 70er Jahren s<strong>in</strong>d Anzahl <strong>und</strong> Anteil sogenannter „neuer“ Familienformen an allen<br />

Familienhaushalten um e<strong>in</strong> Vielfaches gestiegen. Der Anteil von familialen Haushalten mit<br />

K<strong>in</strong>dern ist seitdem rückläufig – zwischen 1972 <strong>und</strong> 2000 verr<strong>in</strong>gerte sich ihr Anteil von 69 auf<br />

55 Prozent (Engstler & Menn<strong>in</strong>g, 2003). Vor dreißig Jahren war das Monopol der ehelichen<br />

Familie mit K<strong>in</strong>dern noch ungebrochen. Obwohl sie noch immer die mit Abstand am weitesten<br />

verbreitete Familienform (mit K<strong>in</strong>dern) ist (2000: 77 Prozent), so haben sich doch <strong>in</strong>zwischen<br />

auch andere Familienformen etabliert, <strong>in</strong>sbesondere Alle<strong>in</strong>erziehende (2000: 18 Prozent) <strong>und</strong><br />

nichteheliche Lebensgeme<strong>in</strong>schaften mit K<strong>in</strong>dern (2000: 5 Prozent) (Engstler & Menn<strong>in</strong>g,<br />

2003). Die Mehrzahl Alle<strong>in</strong>erziehender geht früher oder später e<strong>in</strong>e neue Paarbeziehung e<strong>in</strong>, mit<br />

der Konsequenz der Bildung von Stieffamilien (Klar, 1996). In den letzten Jahren haben sich für<br />

solche aus mehreren „alten“ <strong>und</strong> „neuen“ Familienmitgliedern zusammengesetzte Familiennetzwerke<br />

der Begriff „Patchwork-Familie“ e<strong>in</strong>gebürgert. Es stellt sich nun die Frage, welche<br />

Konsequenzen diese <strong>Entwicklung</strong> für Familienbeziehungen im Alter hat bzw. haben wird.<br />

Obwohl die Lebensform Familie historisch betrachtet selten Konstanz erlebt hat (Nave-Herz,<br />

2004; Rosenbaum, 1982), s<strong>in</strong>d die dramatischen demografischen Veränderungen <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick<br />

auf Lebenserwartung, Fertilität, Haushaltsstrukturen, Heirats- vs. Scheidungshäufigkeit <strong>und</strong> die<br />

zunehmende Pluralisierung von Familienformen (Alle<strong>in</strong>erziehende, nicht-eheliche Lebensgeme<strong>in</strong>schaften),<br />

die wir seit Beg<strong>in</strong>n der 70er-Jahre des zwanzigsten Jahrh<strong>und</strong>erts erleben, <strong>in</strong> ihrer<br />

Häufung außergewöhnlich. Angesichts dieser Ballung verschiedener demografischer Trends<br />

muss von e<strong>in</strong>em gravierenden Strukturwandel der Familie gesprochen werden (Hill & Kopp,<br />

1995). Dieses Urteil hat auch dann Bestand, wenn man die vormalige „Monopolstellung“ der<br />

„bürgerlichen Kle<strong>in</strong>- oder Kernfamilie“ während der 50er- <strong>und</strong> 60er-Jahre als historische Aus-


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

nahmesituation <strong>und</strong> die seitdem entstehende Vielfalt von Familienformen als Prozess der historischen<br />

Normalisierung (Meyer, 1992) betrachtet.<br />

E<strong>in</strong>e der brennendsten Fragen der Alter(n)sforschung ist es, welche Konsequenzen der oben <strong>in</strong><br />

groben Zügen beschriebene demografische <strong>und</strong> familiale <strong>Wandel</strong> auf die Ausprägung von Familienbeziehungen<br />

im Alter hat bzw. haben wird. Im Vordergr<strong>und</strong> steht dabei zum e<strong>in</strong>en der Erhalt<br />

der Funktionalität der Institution Familie <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte (z.B. Unterstützung<br />

<strong>und</strong> Pflege bedürftiger Angehöriger, Reproduktion <strong>und</strong> Sozialisation nachfolgender Generationen),<br />

zum anderen die soziale Integration von Familienmitgliedern.<br />

5.2.2 Fragestellungen<br />

In diesem Abschnitt werden die Fragestellungen, die <strong>in</strong> diesem Kapitel untersucht werden sollen,<br />

hergeleitet. Ausgangspunkt s<strong>in</strong>d die beiden zentralen Betrachtungsweisen des vorliegenden<br />

Berichts, die Lebensverlaufsperspektive sowie der <strong>Wandel</strong> von Familienbeziehungen.<br />

Zwischen den Konzepten der Familie <strong>und</strong> des Lebensverlaufs besteht e<strong>in</strong> enger Zusammenhang.<br />

Dabei ist „...der <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Lebensverlauf als Abfolge von Aktivitäten <strong>und</strong> Ereignissen <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Lebensbereichen <strong>und</strong> verschiedenen <strong>in</strong>stitutionalisierten Handlungsfeldern...“ (Mayer,<br />

1990, Seite 9) zu verstehen. Fast jeder Mensch bleibt im Verlauf se<strong>in</strong>es/ihres gesamten Lebens<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong> bestimmtes Familiennetzwerk e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en.Vergangene Interaktionen mit Familienmitgliedern<br />

bee<strong>in</strong>flussen gegenwärtige <strong>und</strong> zukünftige Interaktionen ebenso, wie die lebenslange<br />

<strong>Entwicklung</strong> des fraglichen Individuums. Die Lebensverlaufsperspektive versetzt uns <strong>in</strong><br />

die Lage, die Variabilität von Unterstützungsmustern <strong>und</strong> die Erwartungen zukünftiger Unterstützungsleistung<br />

aus der <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Historie gelebter Familien- <strong>und</strong> Unterstützungsbeziehungen<br />

abzuleiten (Fry & Keith, 1982; Jackson, Antonucci, & Gibson, 1990; Kohli, 1986). Unterschiedliche<br />

Erfahrungen zu Beg<strong>in</strong>n des Lebensverlaufs bee<strong>in</strong>flussen zudem die Ausstattung<br />

mit Bildungs- <strong>und</strong> sozio-ökonomischen Ressourcen im weiteren Lebensverlauf (Elder, 1974;<br />

Hareven & Adams, 1996). E<strong>in</strong>e Erweiterung der Lebensverlaufsperspektive, vor allem <strong>in</strong> Bezug<br />

auf die Untersuchung des Austauschs sozialer Unterstützung, stellt das sogenannte ‚Konvoi-<br />

Modell’ dar (Antonucci, 1985; Antonucci & Akiyama, 1995; Kahn & Antonucci, 1980). Das<br />

Modell des sozialen Konvois betont den kumulativen Charakter sozialer Beziehungen, die sich<br />

im Verlauf e<strong>in</strong>es Lebens im Ergebnis wiederholter Austauschbeziehungen <strong>und</strong> daraus resultierender<br />

Erfahrungen herausbilden. Soziale Beziehungen müssen <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne im Längsschnitt<br />

betrachtet werden, um ihre Natur auf der Gr<strong>und</strong>lage ihrer Entstehungsgeschichte verstehen zu<br />

können.<br />

Mit dem Vorliegen der zweiten Welle des Alterssurveys gibt es erstmals die Möglichkeit, <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong>en <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte im Längsschnitt zu untersuchen. Für den<br />

sechs Jahre langen Lebensabschnitt zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 können <strong>Entwicklung</strong>sverläufe<br />

nachvollzogen werden. Außerdem erleichtert die Längsschnittperspektive die Isolierung von<br />

Alterseffekten. Diese Veränderungen werden beim Vergleich von Unterschieden zwischen jüngeren<br />

<strong>und</strong> älteren Menschen identifiziert (Alw<strong>in</strong> & McCammon, 2003). Auslöser dieser Veränderung<br />

s<strong>in</strong>d vor allem biologische <strong>und</strong> psychologische, aber auch soziale Faktoren. Ziel dieser<br />

213


214<br />

Andreas Hoff<br />

Betrachtungsweise ist schlussendlich die Identifikation <strong>in</strong>tra-<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Veränderungen mit<br />

zunehmendem Alter (Hoff, Tesch-Römer, Wurm, & Engstler, 2003).<br />

Trotz des im E<strong>in</strong>leitungskapitel beschriebenen gr<strong>und</strong>sätzlichen Problems, dass es bis dato ke<strong>in</strong>e<br />

perfekte Analysemethode zur Trennung von Alters-, Perioden- <strong>und</strong> Kohorteneffekten gibt (Donaldson<br />

& Horn, 1992; Glenn, 2003; Haagenaars, 1990), s<strong>in</strong>d verschiedene methodische Designs<br />

unterschiedlich gut geeignet, diese Aspekte zu erfassen. Zur Untersuchung von Alterseffekten<br />

eignet sich e<strong>in</strong> Paneldesign, also die wiederholte Befragung derselben Personen, am besten.<br />

Im Gegensatz dazu erleichtert die Untersuchung derselben Merkmale gleichaltriger, aber unterschiedlicher<br />

Personen die Isolation äußerer E<strong>in</strong>flussfaktoren. Wenn sich also die Merkmale von<br />

zwei zu unterschiedlichen Zeitpunkten befragten, gleichaltrigen Menschen unterscheiden, dann<br />

handelt es sich dabei sicherlich nicht um e<strong>in</strong>en Alterseffekt, sondern um e<strong>in</strong>en Effekt, dessen<br />

Ursache entweder <strong>in</strong> spezifischen gesellschaftlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zum Interviewzeitpunkt<br />

(Periodeneffekt) zu suchen ist oder aber <strong>in</strong> spezifischen biografischen Bed<strong>in</strong>gungen, die<br />

sich aus der Term<strong>in</strong>ierung bestimmter Lebensereignisse oder Statuspassagen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em konkreten<br />

historischen Kontext ergeben (Kohorteneffekt).<br />

Die Zugehörigkeit von Menschen zu e<strong>in</strong>er Kohorte wird durch den Zeitbezug zu e<strong>in</strong>em bestimmten<br />

Ausgangsereignis def<strong>in</strong>iert (z.B. Geburtskohorten über das Geburtsjahr, Heiratskohorten<br />

über das Heiratsdatum). Bezogen auf e<strong>in</strong>en historischen Kontext s<strong>in</strong>d Kohorten also Menschengruppen,<br />

die <strong>in</strong>nerhalb desselben Zeitabschnitts bestimmte historische Ereignisse erlebt<br />

haben bzw. deren Leben von <strong>in</strong> demselben Zeitabschnitt erlebten historischen Ereignissen entscheidend<br />

geprägt wurde. Die Untersuchung von Kohorteneffekten zielt also auf die zeitliche<br />

Passung zwischen <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Übergängen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Ereignissen (Hu<strong>in</strong><strong>in</strong>k,<br />

1995). Die E<strong>in</strong>ordnung von Individuen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e bestimmte Geburtskohorte erweist sich dabei als<br />

sehr präzise Methode der Verb<strong>in</strong>dung von <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>m Alter <strong>und</strong> historischer Zeit. Indem<br />

<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>und</strong> historischer <strong>Wandel</strong> <strong>in</strong> Beziehung zue<strong>in</strong>ander gesetzt werden,<br />

werden E<strong>in</strong>zelschicksale mit dem sozialen <strong>Wandel</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten historischen Epoche verknüpft.<br />

Die Analyse sozialen <strong>Wandel</strong>s wird am besten auf der Gr<strong>und</strong>lage wiederholter Querschnitte<br />

vorgenommen (Alw<strong>in</strong> & McCammon, 2003). Innerhalb des Alterssurveys werden dazu<br />

die beiden Querschnittsdatensätze der Basisstichprobe 1996 <strong>und</strong> der Replikationsstichprobe<br />

2002 e<strong>in</strong>gesetzt.<br />

Die familiensoziologische Zielstellung des Kapitels besteht dar<strong>in</strong>, <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>und</strong><br />

sozialen <strong>Wandel</strong> im H<strong>in</strong>blick auf ausgewählte, zentrale Aspekte der Generationenbeziehungen<br />

im erweiterten Familiennetzwerks zu untersuchen. Im Kern geht es darum zu analysieren, welche<br />

Konsequenzen der <strong>in</strong> der Familienforschung <strong>und</strong> <strong>in</strong> der amtlichen Statistik bereits vielfach<br />

konstatierte demografische <strong>Wandel</strong> <strong>und</strong> <strong>Wandel</strong> der Familienstrukturen für die Funktionalität<br />

der Familie <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte hat. Konkret werden daraus folgende vier Fragenkomplexe<br />

abgeleitet, deren Beantwortung dieses Kapitel zum Ziel hat <strong>und</strong> die sich dementsprechend<br />

<strong>in</strong> der Gliederung des Kapitels <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Unterkapiteln widerspiegeln.


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

Wie verbreitet s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>tergenerationale Beziehungen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte?<br />

Gegenstand dieses Fragenkomplexes ist die Deskription <strong>in</strong>tergenerationaler Familienbeziehungen.<br />

Dabei geht es zum e<strong>in</strong>en um die Erfassung der Anzahl tatsächlich im Familienkontext<br />

nachweisbarer Generationen <strong>und</strong> zum anderen um die Verteilung e<strong>in</strong>zelner, die jeweiligen Generationen<br />

repräsentierenden Personengruppen. Auf e<strong>in</strong>em etwas höheren Abstraktionsniveau<br />

soll zudem untersucht werden, wie sich spezifische Generationenkonstellationen (zum Begriff<br />

der Generationenkonstellationen vgl. (Kohli, Künem<strong>und</strong>, Motel, & Szydlik, 2000) e<strong>in</strong>erseits mit<br />

zunehmendem Alter entwickeln <strong>und</strong> andererseits, ob nachfolgende Kohorten hier andere Muster<br />

aufweisen als die 1996 erstmals befragten Teilnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Teilnehmer am Alterssurvey.<br />

Das konkrete Forschungs<strong>in</strong>teresse an diesen Fragen ergibt sich aus e<strong>in</strong>er kontrovers geführten<br />

Diskussion <strong>in</strong> der Familiensoziologie. Auf der e<strong>in</strong>en Seite werden dramatische Veränderungen<br />

der Generationenstruktur von Familien als Folge des demografischen <strong>Wandel</strong>s vorhergesagt.<br />

E<strong>in</strong> besonders anschauliches Beispiel ist die Prognose der sogenannten „Bohnenstangenfamilie“<br />

(Bengtson, Rosenthal, & Burton, 1990). Die Metapher der Bohnenstange wird zur Veranschaulichung<br />

des <strong>Wandel</strong>s von Familienstrukturen verwendet: die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit des Auftretens<br />

von Vier-, Fünf- oder sogar Sechsgenerationen-Familien hat gegenüber früheren Epochen zugenommen,<br />

während gleichzeitig e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tragenerationale „Verschmälerung“ (Hörl & Kytir, 1998)<br />

aufgr<strong>und</strong> von ger<strong>in</strong>geren K<strong>in</strong>der- <strong>und</strong> Geschwisterzahlen stattf<strong>in</strong>det. Auf der anderen Seite gehen<br />

andere davon aus, dass diese Mehrgenerationenkonstellationen nur äußerst selten <strong>und</strong> wenn,<br />

dann nur sehr kurzfristig auftreten (zum Beispiel Uhlenberg, 1995).<br />

Die Datenlage zur Verbreitung von Mehrgenerationenfamilien <strong>in</strong> Deutschland muss als unbefriedigend<br />

e<strong>in</strong>geschätzt werden. Den bahnbrechenden, allerd<strong>in</strong>gs nicht auf Repräsentativerhebungen<br />

basierenden Studien von Kruse (1983) sowie Lehr & Schneider (1983) (vgl. Kruse,<br />

1983; Lehr & Schneider, 1983) folgten die umfassenden Erhebungen des Familiensurveys, <strong>in</strong><br />

deren Fokus sich jedoch explizit die jüngeren Generationen befanden <strong>und</strong> die zudem maximal<br />

Drei-Generationen-Konstellationen erfasst haben (vgl. die Beiträge der Autoren <strong>in</strong> Bien, 1994).<br />

Auch die viel beachtete Studie von Lauterbach & Kle<strong>in</strong> (1997) ist <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>geschränkt als<br />

dass sie ke<strong>in</strong>e Aussagen über Urgroßeltern treffen kann. Die Berl<strong>in</strong>er Altersstudie (BASE)<br />

schließlich bietet zwar umfassende Daten zu Mehrgenerationenbeziehungen, allerd<strong>in</strong>gs ausschließlich<br />

aus der Sicht über 70-Jähriger <strong>und</strong> regional (auf Berl<strong>in</strong>) beschränkt (Mayer & Baltes,<br />

1999; Wagner, Schütze, & Lang, 1999). Die erste umfassende <strong>und</strong> auf b<strong>und</strong>esweit repräsentativen<br />

Daten basierende Erhebung von Generationenbeziehungen <strong>und</strong> Generationenkonstellationen<br />

im mittleren <strong>und</strong> höheren Erwachsenenalter war die 1996 durchgeführte erste Welle des<br />

Alterssurveys (vgl. Kohli et al., 2000; Szydlik, 2000).<br />

Die Untersuchung der Generationenbeziehungen <strong>und</strong> -konstellationen <strong>in</strong> der zweiten Welle des<br />

Alterssurveys richtet sich also zum e<strong>in</strong>en auf die Frage, ob die Ergebnisse der ersten Welle bestätigt<br />

werden können. Sollte dies nicht der Fall se<strong>in</strong>, stellt sich (im Querschnittsvergleich der<br />

beiden Wellen) die Frage, ob es sich bei solchen Divergenzen um H<strong>in</strong>weise auf e<strong>in</strong>en sich vollziehenden<br />

<strong>Wandel</strong> der Familienstrukturen handelt. Maßgeblichen E<strong>in</strong>fluss darauf haben zwei<br />

gegensätzliche demografische Trends: E<strong>in</strong>erseits nimmt mit weiterh<strong>in</strong> steigender Lebenserwartung<br />

auch die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit der Existenz von mehr als drei Generationen im erweiterten<br />

Familiennetzwerk zu. Urgroßeltern <strong>und</strong> Urenkel s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Seltenheit mehr. Andererseits führt<br />

215


216<br />

Andreas Hoff<br />

das steigende Alter deutscher Frauen bei der Geburt ihres ersten K<strong>in</strong>des zu e<strong>in</strong>er Vergrößerung<br />

des Abstandes zwischen den Generationen. Es ist noch unklar, welcher der beiden Trends den<br />

stärkeren Effekt auf Generationenbeziehungen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte haben wird, das<br />

heißt, ob <strong>in</strong>nerhalb der erweiterten Familie e<strong>in</strong>e Zunahme oder e<strong>in</strong>e Abnahme der Prävalenz von<br />

Mehrgenerationenkonstellationen erwartet werden kann.<br />

Schließlich liegen mit der Panelstichprobe erstmals Längsschnittdaten zur Untersuchung der<br />

<strong>Entwicklung</strong> von Generationenbeziehungen über e<strong>in</strong>en Abschnitt von sechs Jahren vor. Für<br />

diesen Zeitraum können altersspezifische Veränderungen identifiziert <strong>und</strong> analysiert werden. Es<br />

wird erwartet, dass mit zunehmendem Alter der Anteil von Mehrgenerationenkonstellationen<br />

zunimmt.<br />

Wie gestaltet sich das Zusammenleben von Generationen?<br />

Im Gegensatz zum ersten Fragenkomplex liegt hier der Fokus auf Generationenkonstellationen<br />

im Zusammenleben von Menschen – also primär auf der Haushaltsebene. Hier kommen dieselben<br />

demografischen Trends zur Wirkung wie <strong>in</strong> der erweiterten Familie – aus diesem Gr<strong>und</strong><br />

wird hier auf e<strong>in</strong>e nochmalige ausführliche Darstellung verzichtet. Im Gegensatz zur „multilokalen<br />

Mehrgenerationenfamilie“ (Bertram, 2000) wird für die <strong>Entwicklung</strong> von Haushaltsstrukturen<br />

jedoch erwartet, dass sich Familienhaushalte im Querschnitt durch e<strong>in</strong>e Abnahme der<br />

Generationenvielfalt auszeichnen. Dies liegt vor allem <strong>in</strong> der zunehmenden Anzahl von k<strong>in</strong>derlosen<br />

Paaren <strong>und</strong> S<strong>in</strong>gles (Enquête-Kommission, 2002) <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Pluralisierung von Lebensformen<br />

(Hu<strong>in</strong><strong>in</strong>k & Wagner, 1998) begründet. Nach dem Auszug der K<strong>in</strong>der aus dem elterlichen<br />

Haushalt dom<strong>in</strong>ieren E<strong>in</strong>-Generationen-Haushalte, die sich aus den beiden Ehe- bzw. Lebenspartnern<br />

zusammensetzen. Dies gilt vor allem für Männer. Frauen h<strong>in</strong>gegen leben ab dem<br />

75. Lebensjahr häufig als Alle<strong>in</strong>stehende (Engstler & Menn<strong>in</strong>g, 2003). Dementsprechend wird<br />

das höhere Lebensalter, das aufgr<strong>und</strong> der durchschnittlich höheren Lebenserwartung von Frauen<br />

vor allem diese trifft, oft als strukturell isolierte Lebenssituation angesehen (Wagner & Wolf,<br />

2001).<br />

Im Gegensatz dazu stellt sich die Frage, ob im hohen Lebensalter der Anteil von Mehrgenerationenhaushalten<br />

wieder zunimmt, dann nämlich, wenn Hochaltrige pflegebedürftig werden <strong>und</strong><br />

von Angehörigen <strong>in</strong> häuslicher Pflege gepflegt werden müssen. In solchen Fällen ist die Koresidenz<br />

von hochaltrigen Eltern mit ihren K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> gegebenenfalls deren K<strong>in</strong>dern vorgezeichnet.<br />

In der ersten Welle des Alterssurveys wurde e<strong>in</strong>e leichte Zunahme des Anteils von Haushalten,<br />

<strong>in</strong> denen Höheraltrige mit ihren erwachsenen K<strong>in</strong>dern zusammenleben, festgestellt (Kohli et<br />

al., 2000). Pflegebedürftigkeit tritt jedoch erst ab e<strong>in</strong>em Lebensalter von 80-85 Jahren verstärkt<br />

auf. Auf der Basis der mit der zweiten Welle des Alterssurveys vorliegende Panelstichprobe<br />

kann nun untersucht werden, ob es mit zunehmendem Alter tatsächlich zu e<strong>in</strong>er Zunahme von<br />

Mehrgenerationenhaushalten kommt.<br />

Daneben kommt der Untersuchung der über den unmittelbaren Haushalt h<strong>in</strong>ausgehenden<br />

Wohnentfernung große Bedeutung zu, da diese e<strong>in</strong> entscheidender Prädiktor wechselseitiger<br />

Unterstützung ist (Lauterbach & Pillemer, 2001). Es wird erwartet, dass sich diese altersgruppenspezifisch<br />

unterschiedlich entwickelt: Für die 40- bis 60-Jährigen, die <strong>in</strong> dieser Lebensphase<br />

den Auszug ihrer K<strong>in</strong>der aus dem elterlichen Haushalt erleben, ist von e<strong>in</strong>er Vergrößerung der


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

Wohnentfernung auszugehen. Im Gegensatz dazu wird für die Höher- <strong>und</strong> Hochaltrigen e<strong>in</strong>e<br />

Verr<strong>in</strong>gerung der Wohnentfernung zu ihren K<strong>in</strong>dern erwartet, da e<strong>in</strong>e stärkere Angewiesenheit<br />

der hilfebedürftigen Eltern auf die soziale Unterstützung ihrer K<strong>in</strong>der die räumliche Nähe zum<strong>in</strong>dest<br />

e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des erforderlich macht.<br />

Welchen Bedeutung haben <strong>in</strong>tergenerationale Familienbeziehungen?<br />

Familienbeziehungen gehören zu den wichtigsten sozialen Beziehungen überhaupt. Dies äußert<br />

sich sowohl <strong>in</strong> der subjektiven Bewertung der Bedeutung von Familienbeziehungen <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Gefühl enger Verb<strong>und</strong>enheit mit der eigenen Familie als auch <strong>in</strong> „objektiven“ Indikatoren<br />

der Kontakthäufigkeit oder des Anteils von Familienangehörigen am gesamten sozialen Netzwerk.<br />

Der rapide <strong>Wandel</strong> von Formen familialen Zusammenlebens könnte die wahrgenommene<br />

Bedeutung von Familie nachhaltig unterm<strong>in</strong>iert haben, entsprechend der von e<strong>in</strong>igen Familienforschern<br />

zu Beg<strong>in</strong>n der 80er-Jahre geäußerten Befürchtungen (vgl. beispielsweise Berger &<br />

Berger, 1984). E<strong>in</strong>e Vielzahl empirischer Erhebungen hat jedoch den nach wie vor äußerst hohen<br />

Stellenwert von Familie <strong>in</strong> allen Altersgruppen der deutschen Bevölkerung nachgewiesen,<br />

der demzufolge <strong>in</strong> den letzten 20 Jahren sogar noch gestiegen ist (Nave-Herz, 2004; Weick,<br />

1999). Angesichts dieser gegensätzlichen Tendenzen stellt sich die Frage nach den Konsequenzen<br />

sozialen <strong>Wandel</strong>s bei der Bewertung familialer Beziehungen durch Menschen <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte. Auf der Basis der Alterssurvey-Daten wird dieser Frage für die Menschen <strong>in</strong><br />

der zweiten Lebenshälfte nachgegangen. Dabei ist sowohl die Frage nach der <strong>Entwicklung</strong> der<br />

subjektiven E<strong>in</strong>schätzung mit zunehmendem Alter auf der Basis der Panelstichprobe, als auch<br />

die Überprüfung auf etwaige Veränderungen im Kohortenvergleich von Interesse.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Literatur verschiedene Merkmale der Beziehungsqualität diskutiert<br />

worden. Dabei handelt es sich vor allem um die subjektiv wahrgenommene Verb<strong>und</strong>enheit zwischen<br />

K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Eltern e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> das objektive Maß der Kontakthäufigkeit zwischen<br />

beiden Seiten andererseits. Die Ergebnisse bisheriger Studien zeigen, dass Eltern e<strong>in</strong>e größere<br />

Verb<strong>und</strong>enheit zu ihren K<strong>in</strong>dern angeben als umgekehrt (Bengtson & Kuypers, 1971; Giarusso,<br />

Stall<strong>in</strong>gs, & Bengtson, 1995; Kohli et al., 2000). Szydlik (1995, 1997) betont zudem die Wichtigkeit<br />

dieses subjektiven Indikators für das Verstehen von Generationenbeziehungen – neben<br />

den „härteren“ Indikatoren Kontakthäufigkeit <strong>und</strong> Wohnentfernung. Auf der Basis von Familiensurvey-Daten<br />

wurden für 40-70 Prozent der befragten erwachsenen K<strong>in</strong>der tägliche Kontakte<br />

zu den Eltern ermittelt (Bertram, 1995b). Die erste Welle des Alterssurveys kam zu etwas weniger<br />

optimistischen Ergebnissen – dennoch gaben mehr als drei Viertel der befragten K<strong>in</strong>der <strong>und</strong><br />

Eltern an, m<strong>in</strong>destens wöchentlich mit dem jeweiligen Gegenüber <strong>in</strong> Kontakt zu se<strong>in</strong> (Kohli et<br />

al., 2000).<br />

Diese Ergebnisse werden <strong>in</strong> der zweiten Welle des Alterssurveys um die Resultate der Zweiterhebung<br />

ergänzt. Der Vergleich beider Wellen kann gegebenenfalls Aufschluss über e<strong>in</strong>en <strong>Wandel</strong><br />

der Familienbeziehungen im gesamtgesellschaftlichen Kontext geben. Darüber h<strong>in</strong>aus gilt<br />

auch hier der erstmals möglichen Beobachtung der <strong>Entwicklung</strong> von Kontakthäufigkeit <strong>und</strong> der<br />

subjektiv wahrgenommenen Verb<strong>und</strong>enheit mit zunehmendem Alter besondere Aufmerksamkeit.<br />

Es wird erwartet, dass Verb<strong>und</strong>enheit <strong>und</strong> Kontakthäufigkeit zwischen K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> ihren<br />

Eltern stabil bleiben <strong>und</strong> zwar sowohl im Querschnitt als auch mit zunehmendem Alter.<br />

217


Wie unterstützen sich die Generationen <strong>in</strong>nerhalb der Familie?<br />

218<br />

Andreas Hoff<br />

E<strong>in</strong>e der zentralen Funktionen von Familien <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte besteht <strong>in</strong> der wechselseitigen<br />

Unterstützung von Familienangehörigen. E<strong>in</strong> gängiges Altersbild ist das der hilfebedürftigen<br />

Alten, die auf <strong>in</strong>formelle Unterstützung ihrer K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> anderer Familienangehöriger<br />

zur Bewältigung ihres Haushalts angewiesen s<strong>in</strong>d. Dieses Image weist älteren Menschen e<strong>in</strong>e<br />

passive Rolle als Empfänger von Unterstützung zu. Nachdem sie im Verlauf des Großteils ihres<br />

Lebens Unterstützung gegeben haben, s<strong>in</strong>d sie nun <strong>in</strong> der Rolle des Unterstützungsempfängers<br />

angelangt. Im Gegensatz zu dieser pauschalen Annahme mehren sich die H<strong>in</strong>weise aus der Forschung,<br />

dass gerade die Älteren ganz entscheidende <strong>in</strong>strumentelle Hilfen für die Jüngeren bereitstellen,<br />

etwa durch Betreuung ihrer Enkel (Lauterbach, 2002; Uhlenberg & Kirby, 1998) –<br />

<strong>und</strong> nicht zuletzt durch die Gewährung f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung helfen, deren Lebensstandard<br />

zu verbessern bzw. aufrechtzuerhalten (Motel & Szydlik, 1999). Ältere Menschen s<strong>in</strong>d also<br />

demnach noch lange <strong>in</strong> der Lage, erhaltene Unterstützung zu erwidern. Allerd<strong>in</strong>gs wird <strong>in</strong> der<br />

Forschung bis heute kontrovers diskutiert, ob auch familiale Austauschbeziehungen der – laut<br />

Gouldner (1960) universell gültigen – Reziprozitätsnorm unterliegen. E<strong>in</strong>ige Autoren sehen<br />

gerade <strong>in</strong> der fehlenden Erwartung von Reziprozität <strong>in</strong> Familienbeziehungen den entscheidenden<br />

Unterschied zu Austausch <strong>in</strong> persönlichen, nicht auf Verwandtschaft beruhenden Beziehungen<br />

(Bengtson et al., 1990; Motel & Szydlik, 1999). Andere Autoren verweisen darauf, dass<br />

familiale Austauschbeziehungen durchaus von Reziprozität gekennzeichnet s<strong>in</strong>d (beispielsweise<br />

Alt, 1994; Rossi & Rossi, 1990). Im Gegensatz zu anderen Austauschbeziehungen beruhen diese<br />

jedoch auf der Basis sehr langfristiger (teilweise lebenslanger) Verpflichtungen, so dass sie <strong>in</strong><br />

der Regel <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er nachgelagerten Reziprozität auftritt (Antonucci, 1985; Antonucci,<br />

Sherman, & Akiyama, 1996; Antonucci, 2001), die zum Teil auch über andere Familienmitglieder<br />

vermittelt wird, etwa im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es Kaskadenmodells (Nye, 1979) oder der sogenannten<br />

„<strong>in</strong>tergenerational stake hypothesis“ (Giarusso et al., 1995).<br />

Der Alterssurvey bietet e<strong>in</strong>e umfassende Datenbasis zur Beschreibung von Familienbeziehungen<br />

<strong>und</strong> von Unterstützungsleistungen. Wie nicht zuletzt die Ergebnisse der ersten Welle des<br />

Alters-Survey 1996 nachdrücklich unter Beweis gestellt haben (Kohli et al., 2000), erfolgt<br />

wechselseitige Unterstützung <strong>in</strong>nerhalb der Familie vor allem <strong>in</strong>tergenerational, also zwischen<br />

den Generationen – <strong>und</strong> hierbei <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie zwischen Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dern. E<strong>in</strong> Großteil der<br />

Teilnehmer/Teilnehmer<strong>in</strong>nen des Alterssurveys nimmt ihre Unterstützungsfunktion aus e<strong>in</strong>er<br />

Doppelrolle heraus wahr: e<strong>in</strong>mal als erwachsenes K<strong>in</strong>d, zum anderen selbst als Eltern von K<strong>in</strong>dern.<br />

Der Alterssurvey stellt diesbezüglich Daten sowohl aus Eltern- als auch aus K<strong>in</strong>derperspektive<br />

zur Verfügung. E<strong>in</strong> wesentliches Ergebnis der ersten Welle des Alterssurveys war der<br />

Nachweis der aktiven Rolle der älteren Generationen bei der Unterstützung der Jüngeren (Kohli<br />

et al., 2000).<br />

In diesem Kapitel soll untersucht werden, ob die sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

bereits zu e<strong>in</strong>er Veränderung der sozialen Unterstützungsfunktion der Familie<br />

geführt haben. Stärkere Belastungen von Familien aufgr<strong>und</strong> höherer Anforderungen an die Flexibilität<br />

von Arbeitnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Arbeitnehmern ohne Rücksichtnahme auf ihre Familiensituation<br />

e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> zunehmende Arbeitslosigkeit andererseits, im Kontext von Sozialstaatsreform<br />

<strong>und</strong> daraus resultierenden zusätzlichen f<strong>in</strong>anziellen Verpflichtungen, erhöhen die Notwen-


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

digkeit der Nutzung familialer Ressourcen. Leisten bzw. erhalten Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

heute weniger Unterstützung als vor sechs Jahren? Gibt es Veränderungen h<strong>in</strong>sichtlich<br />

der personellen Zusammensetzung des Unterstützungsnetzwerks? Erste Reduktionen bzw.<br />

Veränderungen der personellen Struktur an dieser Stelle könnten darauf h<strong>in</strong>deuten, dass die<br />

Familie künftig nicht oder nur noch e<strong>in</strong>geschränkt <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong> wird, ihre Unterstützungsfunktion<br />

zu erfüllen. Daneben soll auf der Gr<strong>und</strong>lage der Panelstichprobe untersucht werden,<br />

wie sich Leistung <strong>und</strong> Erhalt von sozialer Unterstützung mit zunehmendem Alter entwickeln. Es<br />

wird erwartet, dass Menschen <strong>in</strong> der ältesten Altersgruppe des Alterssurveys, also die 2002 76-<br />

bis 91-Jährigen, mehr Hilfe <strong>in</strong> Anspruch nehmen als sechs Jahre zuvor. Außerdem wird erwartet,<br />

dass die Verkle<strong>in</strong>erung der sozialen Netzwerke <strong>in</strong> dieser Altersgruppe zu e<strong>in</strong>er abnehmenden<br />

Zahl von Unterstützungspersonen geführt hat.<br />

Abschließend noch e<strong>in</strong>e Vorbemerkung zu Umfang <strong>und</strong> „Tiefe“ der Darstellungen <strong>in</strong> diesem<br />

Kapitel. Ziel dieses Kapitels war es, e<strong>in</strong>en möglichst breiten Überblick über den <strong>Wandel</strong> von<br />

Familienbeziehungen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte zu geben. Daher wurde jenen Fragen der<br />

Vorzug gegeben, die <strong>in</strong> beiden Erhebungswellen umfassend erhoben wurden. Obwohl die zweite<br />

Welle des Alterssurveys die Instrumente aus Welle 1 nahezu 1 : 1 übernommen <strong>und</strong> nur an<br />

wenigen Stellen noch verfe<strong>in</strong>ert hat, gibt es punktuell auch Neuerungen, die e<strong>in</strong>e vertiefende<br />

Analyse bestimmter theoretischer Perspektiven ermöglichen. Dies gilt <strong>in</strong>sbesondere für das von<br />

Lüscher & Pillemer (1996) e<strong>in</strong>geführte Konzept der Ambivalenz von Generationenbeziehungen<br />

(Lüscher & Pillemer, 1996; Lüscher, 1999; 2000), das im Rahmen dieses Kapitels jedoch nicht<br />

berücksichtigt wurde. Es steht außer Frage, dass auf dieser Basis noch e<strong>in</strong>e ganze Reihe von<br />

vertiefenden Analysen möglich <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nvoll s<strong>in</strong>d.<br />

Der Aufbau des vorliegenden Kapitels orientiert sich an diesen vier zentralen Fragestellungen,<br />

die im Folgenden <strong>in</strong> dieser Reihenfolge abgehandelt werden. Dabei entspricht der erste Fragenkomplex<br />

„Verbreitung <strong>in</strong>tergenerationaler Beziehungen“ dem unmittelbar folgenden Unterkapitel<br />

3, die zweite Fragestellung „Zusammenleben von Generationen“ Unterkapitel 4, die dritte<br />

„Bedeutung <strong>in</strong>tergenerationaler Familienbeziehungen“ Unterkapitel 5 <strong>und</strong> schließlich das sechste<br />

Unterkapitel der vierten zentralen Fragestellung „<strong>in</strong>tergenerationale Unterstützung“.<br />

5.3 Generationenkonstellationen im multilokalen Familienverb<strong>und</strong><br />

Generationenbeziehungen werden vor allem im familiären Kontext gelebt. In westlichen Industrienationen<br />

der Gegenwart ist die sogenannte „multilokale Mehrgenerationenfamilie“ (Bertram,<br />

1995a) der Normalfall, d.h. die Angehörigen e<strong>in</strong> <strong>und</strong> derselben Familie, leben <strong>und</strong> wirtschaften<br />

<strong>in</strong> mehreren Haushalten, oftmals durch größere räumliche Entfernungen vone<strong>in</strong>ander getrennt.<br />

Das Konzept e<strong>in</strong>es familialen „Netzwerks“ wird dementsprechend der Lebenswirklichkeit der<br />

erweiterten Familie am besten gerecht. Dementsprechend wird im folgenden Abschnitt das<br />

Konzept der Generationenkonstellationen auf das gesamte Netzwerk der an mehreren Orten<br />

lebenden Familienmitglieder angewandt. Das Unterkapitel beg<strong>in</strong>nt mit e<strong>in</strong>er Bestandsaufnahme<br />

der gelebten Generationenbeziehungen <strong>in</strong> der erweiterten Familie. Im Anschluss daran werden<br />

die im Familienverb<strong>und</strong> prävalenten Generationenkonstellationen untersucht.<br />

219


5.3.1 Generationen <strong>in</strong> der erweiterten Familie<br />

220<br />

Andreas Hoff<br />

Mit Hilfe des Alterssurveys können sechs Generationen identifiziert <strong>und</strong> Transferleistungen<br />

zwischen fünf dieser Generationen beschrieben werden 1 . Die <strong>in</strong> diesem Abschnitt dargestellten<br />

familialen Generationenkonstellationen schließen folgende Generationen e<strong>in</strong>: (1) Großeltern, (2)<br />

Eltern (e<strong>in</strong>schließlich Schwiegereltern, Onkel/Tanten), (3) Interviewteilnehmer/Interviewteilnehmer<strong>in</strong>nen<br />

(e<strong>in</strong>schließlich Lebenspartner/Lebenspartner<strong>in</strong>nen, Geschwister, Schwäger<strong>in</strong>nen/Schwager,<br />

Cous<strong>in</strong>s/Cous<strong>in</strong>en), (4) K<strong>in</strong>der (e<strong>in</strong>schließlich Nichten/Neffen), (5) Enkel <strong>und</strong><br />

(6) Urenkel. Abbildung 5.1 auf dieser Seite veranschaulicht die prozentuale Verteilung der für<br />

die jeweiligen Generationen namensgebenden Gruppen Familienangehöriger 2 , die zugleich jeweils<br />

die wesentlichen Interaktionspartner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> -partner <strong>in</strong> der <strong>in</strong>tergenerationalen Interaktion<br />

<strong>und</strong> Kommunikation s<strong>in</strong>d.<br />

Der Vergleich zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 (vgl. Abbildung 5.1 unten) bestätigt, dass sich die erweiterte<br />

Familie <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte im H<strong>in</strong>blick auf ihre personelle Zusammensetzung<br />

vor allem durch Stabilität auszeichnet. Der Kohortenvergleich ergibt ke<strong>in</strong>e größeren Veränderungen.<br />

Lediglich für Väter e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> Enkel andererseits kann im Vergleich zu 1996 e<strong>in</strong><br />

leichter Anstieg von drei Prozent konstatiert werden. Zahlenmäßig dom<strong>in</strong>ierend s<strong>in</strong>d erwartungsgemäß<br />

zum e<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> zum anderen Ehe- bzw. Lebenspartner.<br />

Abbildung 5.1:<br />

Existenz ausgewählter Familienmitglieder, 1996 <strong>und</strong> 2002 (<strong>in</strong> Prozent) 3<br />

Familienmitglieder<br />

(1) Großeltern<br />

(2) Vater<br />

(2) Mutter<br />

(3) Partner<br />

(4) K<strong>in</strong>der<br />

(5) Enkel<br />

(6) Urenkel<br />

4,9<br />

5<br />

5,2<br />

6<br />

16,6<br />

19,6<br />

21,3<br />

24,3<br />

36,5<br />

36,2<br />

79,8<br />

78,1<br />

85,6<br />

84,2<br />

0 20 40 60 80 100<br />

Prozent<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 Basisstichprobe (n= 4.838) <strong>und</strong> 2002 Replikationsstichprobe (n= 3.084), gewichtete Daten<br />

1996<br />

2002<br />

1 Von der jüngsten erfassten Generation – Urenkel – wurde lediglich deren Vorhandense<strong>in</strong> erfasst.<br />

2 Eltern wurden separat nach Vater <strong>und</strong> Mutter aufgeführt, wobei <strong>in</strong> diesen Kategorien neben den biologischen auch<br />

Adoptiv-, Pflege- <strong>und</strong> Stiefeltern berücksichtigt wurden.<br />

3 Mehrfachnennungen möglich


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

Nahezu 85 Prozent der Befragten gaben an, noch lebende K<strong>in</strong>der zu haben. Knapp 80 Prozent<br />

der Befragten lebten mit ihrem Partner zusammen. Mehr als e<strong>in</strong> Drittel der Teilnehmer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Teilnehmer am Alterssurvey berichtete zudem, dass zum<strong>in</strong>dest ihre Mutter noch am Leben<br />

ist, während der Anteil derer, die gleiches über ihre Väter sagen können, um die Hälfte ger<strong>in</strong>ger<br />

ist. Die beiden <strong>in</strong> der Zeit „am weitesten von der Zielperson entfernten“ Generationen – die der<br />

Großeltern e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> der Urenkel andererseits – treten naturgemäß am wenigsten <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung.<br />

Es versteht sich von selbst, dass mit zunehmendem Alter <strong>in</strong>nerhalb des Familienverb<strong>und</strong>s e<strong>in</strong>e<br />

Verschiebung zugunsten jüngerer Familienangehöriger erfolgt. Während beispielsweise bei<br />

mehr als drei Viertel der befragten 40- bis 54-Jährigen die Eltern noch lebten, so waren das bei<br />

den 55- bis 69-Jährigen nur noch 20 Prozent. Bemerkenswert ist, dass es 2002 auch unter den<br />

70- bis 85-Jährigen noch sieben Personen gab, deren Mutter noch am Leben ist.<br />

Beim Vergleich der e<strong>in</strong>zelnen Altersgruppen spiegeln sich die im Verlauf des demografischen<br />

<strong>Wandel</strong>s abnehmenden Geburtenraten wider: die älteren Geburtskohorten haben durchschnittlich<br />

mehr K<strong>in</strong>der als die jüngeren 4 . Dieses Ergebnis wird durch die Betrachtung nach Altersgruppen<br />

bestätigt: Betrug die durchschnittliche K<strong>in</strong>derzahl <strong>in</strong> der ältesten Alterskategorie noch<br />

2,08 (SD: 1,5), so hat sich diese auf 1,98 (SD: 1,21) <strong>in</strong> der mittleren bzw. 1,63 (SD: 1,12) <strong>in</strong> der<br />

jüngsten Altersklasse reduziert. Den größten Anteil unter den Familien mit K<strong>in</strong>dern im Alterssurvey<br />

2002 nehmen mit mehr als 38 Prozent Zweik<strong>in</strong>dfamilien e<strong>in</strong>, gefolgt von E<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dfamilien<br />

(22,8 Prozent) <strong>und</strong> Dreik<strong>in</strong>dfamilien (16,7 Prozent). Mehr als drei K<strong>in</strong>der haben weniger als<br />

acht Prozent der Deutschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte, mehr als vier K<strong>in</strong>der haben nur drei<br />

Prozent der Befragten. Die maximale K<strong>in</strong>derzahl lag bei 14 K<strong>in</strong>dern.<br />

Angesichts der aus der amtlichen Statistik bekannten Geburtenentwicklung <strong>in</strong> den jüngeren<br />

Geburtskohorten kann davon ausgegangen werden, dass Menschen, die heute zwischen 40 <strong>und</strong><br />

85 Jahre alt s<strong>in</strong>d, über potentiell größere familiale Netzwerke verfügen als die folgenden Generationen.<br />

Darauf deutet bereits heute die Abnahme der K<strong>in</strong>derzahl im Altersgruppenvergleich<br />

des Alterssurveys 2002 h<strong>in</strong>.<br />

5.3.2 Generationenkonstellationen im multilokalen Familienverb<strong>und</strong><br />

Diesem allgeme<strong>in</strong>en Überblick über prozentuelle Verteilungen ausgewählter Familienmitglieder<br />

folgt nun die differenzierte Darstellung der Generationenkonstellationen im Familienverb<strong>und</strong>,<br />

zunächst wiederum differenziert nach Altersgruppen (vgl. Tabelle 5.1 unten). In der Regel leben<br />

die Deutschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>in</strong> Familien mit drei Generationen. Dies betrifft <strong>in</strong>sgesamt<br />

mehr als 60 Prozent der Befragten. Auch e<strong>in</strong>e altersgruppendifferenzierte Betrachtung<br />

kommt zu demselben Ergebnis – Drei-Generationen-Konstellationen dom<strong>in</strong>ieren <strong>in</strong> allen Altersgruppen.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs nimmt diese Dom<strong>in</strong>anz mit steigendem Alter ab: entsprechen noch<br />

4 Die e<strong>in</strong>zige Ausnahme von dieser Regel bildet die Kohorte der 1921-26 Geborenen, deren Familiengründungspläne<br />

durch den Zweiten Weltkrieg negativ bee<strong>in</strong>flusst wurden. Angehörige dieser Kohorte haben ebenfalls deutlich weniger<br />

K<strong>in</strong>der.<br />

221


222<br />

Andreas Hoff<br />

mehr als drei Viertel der Familien 40- bis 54-Jähriger diesem Modell, so reduziert sich ihr Anteil<br />

auf 55 Prozent bei den 55- bis 69-Jährigen <strong>und</strong> schließlich nur noch 38 Prozent bei den 70-<br />

bis 85-Jährigen (vgl. nachstehende Tabelle 5.1).<br />

Tabelle 5.1:<br />

Generationenkonstellationen im Familienverb<strong>und</strong> nach Altersgruppen, 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

(<strong>in</strong> Prozent)<br />

40-54 55-69 70-85 40-85<br />

1996 2002 1996 2002 1996 2002 1996 2002<br />

1-Generationen-Konstellation 0,6 0,5 3,5 2,1 3,9 5,7 2,3 2,2<br />

2-Generationen-Konstellation 6,9 8,3 21,5 23,2 33,4 34,4 17,0 19,2<br />

3-Generationen-Konstellation 80,2 78,2 54,2 54,5 40,0 38,0 63,5 61,2<br />

4-Generationen-Konstellation 12,1 13,0 19,3 19,4 20,8 20,7 16,3 16,9<br />

5-Generationen-Konstellation 0,2 - 1,4 0,7 1,9 1,2 1,0 0,5<br />

N 1.719 1.096 1.779 1.004 1.340 984 4.838 3.084<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 Basisstichprobe (n= 4.838) <strong>und</strong> 2002 Replikationsstichprobe (n= 3.084), gewichtete Daten<br />

Signifikanz der Unterschiede p < .05.<br />

In Abhängigkeit vom Alter variiert auch die Zusammensetzung dieser Drei-Generationen-<br />

Familien: In der jüngsten Altersgruppe gehören neben Angehörigen der eigenen Generation die<br />

Generationen der K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> der Eltern zur Familie. In der mittleren Altersgruppe hat deren<br />

Anteil rapide abgenommen, gleichzeitig ist der Anteil e<strong>in</strong>er Generationenkonstellation mit K<strong>in</strong>dern<br />

<strong>und</strong> Enkeln gestiegen, welcher <strong>in</strong> der Gruppe der 70- bis 85-Jährigen klar dom<strong>in</strong>iert.<br />

Daneben gibt es e<strong>in</strong>e Reihe von Menschen, <strong>in</strong> deren Familiennetzwerken noch mehr Generationen<br />

leben. Knapp 17 Prozent der Teilnehmer/Teilnehmer<strong>in</strong>nen am Alterssurvey 2002 geben an,<br />

<strong>in</strong> Familien mit vier Generationen zu leben – e<strong>in</strong>ige wenige (n= 15) leben sogar <strong>in</strong> Fünf-<br />

Generationen-Familien. Im Gegensatz zu Drei-Generationen-Konstellationen nimmt der Anteil<br />

von Vier- <strong>und</strong> Fünf-Generationen-Konstellationen mit steigendem Alter zu. Mehr als e<strong>in</strong> Fünftel<br />

der 70- bis 85-Jährigen leben <strong>in</strong> Vier-Generationen-Familien.<br />

Doch auch der Anteil generationenhomogener Familiennetzwerke wächst mit steigendem Alter.<br />

E<strong>in</strong> Fünftel der Befragten gibt an, lediglich e<strong>in</strong>e andere als die eigene Generation <strong>in</strong>nerhalb des<br />

erweiterten Familienkreises zu haben. Dabei handelt es sich vorwiegend um K<strong>in</strong>der. Während<br />

e<strong>in</strong>e Zwei-Generationen-Konstellation nur e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheit der 40- bis 54-Jährigen betrifft<br />

(weniger als 10 Prozent), steigt der Anteil von Zwei-Generationen-Konstellationen bei den<br />

70- bis 85-Jährigen auf mehr als e<strong>in</strong> Drittel. Nur Angehörige der eigenen Generation zu haben<br />

gaben 2,4 Prozent der Teilnehmer/<strong>in</strong>nen am Alterssurvey 2002 an, wobei auch hier deren Anteil<br />

<strong>in</strong> der ältesten Altersgruppe mit 5,7 Prozent am höchsten ist.<br />

Vergleicht man die beiden Erhebungszeitpunkte 1996 <strong>und</strong> 2002, so ist festzuhalten, dass sich<br />

die Generationenkonstellationen <strong>in</strong>nerhalb des Beobachtungszeitraums durch große Stabilität<br />

auszeichnen. Im Detail zeichnet sich jedoch e<strong>in</strong>e leichte Verschiebung von Drei-Generationen-<br />

Konstellationen h<strong>in</strong> zu Zwei-Generationen-Konstellationen ab. So hat sich <strong>in</strong>nerhalb des kurzen


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

Zeitraums von nur sechs Jahren seit der Ersterhebung der Anteil von Drei-Generationen-<br />

Familien von 63,5 auf 61,2 Prozent verr<strong>in</strong>gert, während gleichzeitig der Anteil von Zwei-<br />

Generationen-Familien von 17 auf 19,2 Prozent angestiegen ist. Diese Veränderung ist vor allem<br />

der Tatsache geschuldet, dass der Anteil von Drei-Generationen-Konstellationen mit K<strong>in</strong>dern<br />

<strong>und</strong> Eltern deutlich abgenommen hat.<br />

Im Folgenden erfolgt e<strong>in</strong>e nach Geburtskohorten differenzierte Analyse mit dem Ziel, diese im<br />

Altersgruppenvergleich identifizierte leichte Verschiebung h<strong>in</strong> zu Zwei-Generationen-<br />

Konstellationen genauer lokalisieren zu können. Wegen des Sechsjahres-Abstands der beiden<br />

Erhebungszeitpunkte 1996 <strong>und</strong> 2002 s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong>en trennscharfen Kohortenvergleich die Befragten<br />

jeweils <strong>in</strong> sechs Jahre umfassende Alters- bzw. Geburtsjahrgangsgruppen unterteilt worden.<br />

Mit dieser Gruppenbildung wird verh<strong>in</strong>dert, dass e<strong>in</strong>zelne Geburtsjahrgänge zu beiden Messzeitpunkten<br />

der gleichen Altersgruppe angehören (vgl. die Ausführungen im Methodenkapitel 2<br />

<strong>in</strong> diesem Band, S. 7-8). Die detaillierten Ergebnisse des Kohortenvergleichs der Generationenkonstellationen<br />

<strong>in</strong> der erweiterten Familie können der Tabelle 5.2 entnommen werden.<br />

Die Darstellung <strong>in</strong> Tabelle 5.2 ersche<strong>in</strong>t auf den ersten Blick sehr komplex. Beim genaueren<br />

H<strong>in</strong>sehen zeichnen sich jedoch e<strong>in</strong>ige Unterschiede zwischen Welle 1 <strong>und</strong> Welle 2 ab. Auch<br />

hier lässt sich die herausragende Bedeutung von Drei-Generationen-Konstellationen <strong>in</strong> den Familien<br />

der zweiten Lebenshälfte nachweisen. Wie schon beim Altersgruppenvergleich <strong>in</strong> Tabelle<br />

5.1 beobachtet, nimmt diese zu beiden Erhebungszeitpunkten mit zunehmendem Alter kont<strong>in</strong>uierlich<br />

ab. Im Folgenden steht die Identifikation des mit dem Alterseffekt konf<strong>und</strong>ierten Kohorteneffekts<br />

im Mittelpunkt des Interesses.<br />

Tabelle 5.2<br />

Altersspezifische Generationenkonstellationen <strong>in</strong> der erweiterten Familie nach<br />

Geburtskohorten, 1996 <strong>und</strong> 2002 (<strong>in</strong> Prozent)<br />

1-Generation-<br />

Konstellation<br />

2-Generation-<br />

Konstellation<br />

3-Generation-<br />

Konstellation<br />

4-Generation-<br />

Konstellation<br />

5-Generation-<br />

Konstellation<br />

Alter 1996 2002 1996 2002 1996 2002 1996 2002 1996 2002<br />

40-45 0,5 0,6 4,0 6,4 78,8 74,3 15,6 18,7 0,1 -<br />

46-51 0,4 0,4 6,3 7,2 84,6 83,7 8,4 8,7 0,4 -<br />

52-57 1,3 0,7 14,2 13,8 69,8 73,8 14,5 11,6 0,2 -<br />

58-63 3,2 1,4 22,0 20,7 54,7 57,1 18,8 20,1 1,2 (0,8)<br />

64-69 5,4 3,3 26,8 29,1 43,5 46,9 21,8 20,0 2,5 (0,7)<br />

70-75 4,2 4,8 32,4 39,6 41,3 39,3 19,7 15,0 2,3 (1,2)<br />

76-81 3,3 7,7 36,3 29,8 38,1 38,2 20,5 23,5 1,8 (0,7)<br />

N 107 81 852 609 2.800 1.747 822 525 63 20<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 Basisstichprobe (n= 4.644) <strong>und</strong> 2002 Replikationsstichprobe (n= 2.982), gewichtete Daten<br />

Signifikanz der Unterschiede p < .05 außer Fünf-Generationen-Konstellationen (nicht signifikant).<br />

223


224<br />

Andreas Hoff<br />

Zwei Veränderungen fallen <strong>in</strong>s Auge: 1.) Die Dom<strong>in</strong>anz von Drei-Generationen-<br />

Konstellationen <strong>in</strong> den familialen Netzen hat sich seit 1996 <strong>in</strong> den mittleren Geburtskohorten<br />

des Alterssurveys, also bei den 52- bis 69-Jährigen, noch verstärkt. Am stärksten ausgeprägt ist<br />

dieser Kohorteneffekt <strong>in</strong> der Altersgruppe der 52- bis 57-Jährigen im Jahre 2002. Wie <strong>in</strong> Tabelle<br />

5.2 <strong>in</strong> der Spalte „Drei-Generationen-Konstellation“ zu erkennen ist, verzeichnen diese Generationen-Konstellationen<br />

<strong>in</strong> den genannten Geburtskohorten e<strong>in</strong>en deutlichen Zuwachs gegenüber<br />

den sechs Jahre zuvor Geborenen. In diesem Anstieg spiegelt sich vor allem die bessere Ges<strong>und</strong>heit<br />

der Eltern der Befragten wider. Allerd<strong>in</strong>gs zeichnet sich bereits für die nachrückenden<br />

Geburtskohorten, die 2002 40- bis 45-Jährigen, e<strong>in</strong> Rückgang des Anteils von Drei-<br />

Generationen-Konstellationen ab. Aufgr<strong>und</strong> der weiter steigenden Lebenserwartung ist von<br />

e<strong>in</strong>er zunehmenden Verbreitung von Vier-Generationen-Konstellationen auszugehen. 2.) Zwischen<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 kam es zu e<strong>in</strong>em deutlichen Anstieg von Zwei-Generationen-<br />

Konstellationen <strong>in</strong> den ältesten Kohorten. So hat ihr Anteil bei den im Jahre 2002 70- bis 75-<br />

Jährigen gegenüber von 1996 um mehr als 7 Prozent auf nunmehr knapp 40 Prozent stark zugenommen.<br />

Im Ergebnis dieses starken Anstiegs erreichen Zwei-Generationen-Konstellationen bei<br />

dieser Kohorte den gleichen Verbreitungsgrad wie Drei-Generationen-Konstellationen. Umgekehrt<br />

hat sich der Anteil von Zwei-Generationen-Konstallationen <strong>in</strong> der ältesten Kohorte der 76-<br />

bis 81-Jährigen um 6,5 Prozent verr<strong>in</strong>gert. Diese Veränderungen werden durch zwei unterschiedliche<br />

Geburtskohorten verursacht: der deutliche Anstieg bei den 70- bis 75-Jährigen durch<br />

die Kohorte der 1927-32 Geborenen <strong>und</strong> die der 1921-26 Geborenen, bei denen der Anteil von<br />

Zwei-Generationen-Konstellationen <strong>in</strong>nerhalb der letzten sechs Jahre erstaunlich stabil geblieben<br />

ist.<br />

In e<strong>in</strong>em Zwischenfazit bleibt festzuhalten, dass sich die Generationen-Konstellationen <strong>in</strong> der<br />

zweiten Lebenshälfte durch e<strong>in</strong> hohes Maß an Kont<strong>in</strong>uität auszeichnen. Weder die gestiegene<br />

Lebenserwartung noch der Trend zunehmender Abstände zwischen den e<strong>in</strong>zelnen Generationen<br />

aufgr<strong>und</strong> des zunehmenden Alters von Frauen bei der Geburt ihres ersten K<strong>in</strong>des schlägt sich <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Veränderung der Generationen-Konstellationen der 40- bis 85-Jährigen nieder. In ger<strong>in</strong>gfügigem<br />

Umfang konnte e<strong>in</strong>e Verschiebung des Anteils von Drei-Generationen-Konstellationen<br />

h<strong>in</strong> zu Zwei-Generationen-Konstellationen beobachtet werden (p < .01). Ob es sich dabei um<br />

e<strong>in</strong>en ersten H<strong>in</strong>weis auf familienstrukturelle Wandlungsprozesse oder aber um e<strong>in</strong>e zufällige<br />

Abweichung handelt, kann erst nach dem Vorliegen e<strong>in</strong>es weiteren Messzeitpunkts entschieden<br />

werden.<br />

Nachdem wir e<strong>in</strong>en Überblick über die Verteilung von E<strong>in</strong>-, Zwei, Drei- <strong>und</strong> Mehr-<br />

Generationenhaushalten <strong>in</strong> den Familien von Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte gewonnen<br />

haben, gilt unsere Aufmerksamkeit den <strong>Entwicklung</strong>strends auf der <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Ebene. Abbildung<br />

5.2 unten gibt auf Basis der Panelstichprobe e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die <strong>Entwicklung</strong>sverläufe<br />

zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002, jeweils differenziert nach Altersgruppen. Die l<strong>in</strong>ke Grafik enthält die<br />

<strong>Entwicklung</strong>sverläufe für die jüngste Altersgruppe im Alterssurvey, also die 1996 40- bis 54-<br />

Jährigen <strong>und</strong> dementsprechend 2002 46- bis 60-Jährigen, gefolgt von der mittleren (55-69 bzw.<br />

61-75 Jahre) <strong>und</strong> der ältesten Altersgruppe (70-85 bzw. 76-91 Jahre). Noch e<strong>in</strong>mal zur Er<strong>in</strong>nerung:<br />

Es wird erwartet, dass mit zunehmendem Alter der Anteil von Mehr-Generationen-<br />

Konstellationen zunimmt.


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

Abbildung 5.2:<br />

<strong>Entwicklung</strong> von Generationen-Konstellationen im familialen Netz nach Altersgruppen,<br />

1996-2002 (<strong>in</strong> Prozent)<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Jüngste Altersgr. 46-60 (2002)<br />

1996 2002<br />

1 Generation 2 Generation 3 Generation<br />

4 Generation 5 Generation<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Mittlere Altersgr. 61-75 (2002)<br />

1996 2002<br />

1 Generation 2 Generation 3 Generation<br />

4 Generation 5 Generation<br />

Quelle: Alterssurvey Panelstichprobe 1996 <strong>und</strong> 2002 (n= 1.515), gewichtete Daten<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Älteste Altersgr. 76-91 (2002)<br />

1996 2002<br />

1 Generation 2 Generation 3 Generation<br />

4 Generation 5 Generation<br />

Beg<strong>in</strong>nen wir die Betrachtung mit der l<strong>in</strong>ken Grafik, also der jüngsten Altersgruppe im Alterssurvey.<br />

Bei e<strong>in</strong>em Blick auf diese Abbildung <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em ersten Vergleich mit den <strong>Entwicklung</strong>sverläufen<br />

<strong>in</strong> den beiden älteren Altersgruppen fällt auf, dass sich die jüngste Altersgruppe<br />

durch e<strong>in</strong> hohes Maß an Stabilität auszeichnet – seit 1996 hat es nur moderate Veränderungen<br />

gegeben, was sich im vergleichsweise flachen Kurvenverlauf widerspiegelt. In dieser Lebensphase<br />

dom<strong>in</strong>ieren Drei-Generationen-Konstellationen klar – daran hat sich auch sechs Jahre<br />

später nichts geändert. Obwohl Drei-Generationen-Konstellationen auch 2002 e<strong>in</strong>deutig vorherrschen,<br />

zeichnet sich dennoch seit 1996 e<strong>in</strong> Alterseffekt ab: Der Anteil von Drei- <strong>und</strong> von<br />

Vier-Generationen-Konstellationen ist seit 1996 leicht zurückgegangen, gleichzeitig ist der Anteil<br />

von Zwei-Generationen-Konstellationen etwas gestiegen. Damit haben Vier-Generationen-<br />

Konstellationen ihren Stellenwert als die am zweithäufigsten verbreitete Generationen-<br />

Konstellation an Zwei-Generationen-Konstellationen verloren.<br />

In der mittleren Altersgruppe (mittlere Grafik) lassen sich h<strong>in</strong>gegen steilere <strong>Entwicklung</strong>sverläufe<br />

beobachten. Der bereits <strong>in</strong> der jüngsten Altersgruppe beobachtete Alterseffekt e<strong>in</strong>er Zunahme<br />

des Anteils von Zwei-Generationen-Konstellationen bei paralleler Abnahme von Drei-<br />

<strong>und</strong> Vier-Generationen-Konstellationen kann <strong>in</strong> der mittleren Altersgruppe e<strong>in</strong>deutig identifiziert<br />

werden. Das äußert sich vor allem <strong>in</strong> dem steilen Anstieg des Anteils von Zwei-<br />

Generationen-Familien. Ursache für diese <strong>Entwicklung</strong> ist <strong>in</strong> den meisten Fällen der Tod der<br />

Eltern. In der Konsequenz hat sich der Anteil von Drei- <strong>und</strong> Vier-Generationen-Konstellationen<br />

spürbar verr<strong>in</strong>gert. Drei-Generationen-Konstellationen s<strong>in</strong>d zwar nach wie vor am weitesten<br />

verbreitet, ihr Anteil hat sich jedoch seit 1996 deutlich verr<strong>in</strong>gert.<br />

Erst bei den 2002 76- bis 91-Jährigen (rechte Grafik) zeichnet sich e<strong>in</strong>e gegenläufige <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>in</strong> Gestalt e<strong>in</strong>er deutlichen Zunahme von Vier-Generationen-Konstellationen ab. Bemerkenswert<br />

ist zudem die Verdoppelung des Anteils von E<strong>in</strong>-Generationen-Konstellationen, wenn<br />

auch auf niedrigem absoluten Niveau. Hier zeichnet sich e<strong>in</strong>e Zweiteilung der weiteren Ent-<br />

225


226<br />

Andreas Hoff<br />

wicklung ab – je nachdem, ob es <strong>in</strong> der Familie K<strong>in</strong>der gibt oder nicht. Während sich <strong>in</strong> Familien<br />

mit K<strong>in</strong>dern (<strong>und</strong> Enkeln, ggf. Urenkeln) Mehr-Generationen-Konstellationen entwickeln,<br />

wachsen <strong>in</strong> Familien K<strong>in</strong>derloser ke<strong>in</strong>e neuen Generationen nach 5 .<br />

Die Ergebnisse aus der Längsschnittperspektive zusammenfassend kann also festgestellt werden,<br />

dass sich Generationen-Konstellationen <strong>in</strong> der erweiterten Familie mit zunehmendem Alter<br />

den zuvor formulierten Erwartungen entsprechend entwickelt haben. Der Anteil von Mehr-<br />

Generationen-Konstellationen nimmt mit zunehmendem Alter zu. Dieser Effekt kommt allerd<strong>in</strong>gs<br />

erst bei hochaltrigen Menschen zum Tragen.<br />

5.4 Zusammenleben der Generationen<br />

Wie im vorangegangenen Kapitel diskutiert, hat sich <strong>in</strong> den 90er-Jahren das Konzept der multilokalen<br />

Familie (Bertram, 1995a) durchgesetzt, welches bewusst den Blick auf den erweiterten<br />

Familienverb<strong>und</strong> richtet. Dieser besteht aus mehreren, geographisch vone<strong>in</strong>ander getrennten<br />

Haushalten. In diesem Unterkapitel ist der Fokus auf das unmittelbare Zusammenleben <strong>und</strong><br />

Zusammenwirtschaften von Generationen gerichtet. Untersuchungsgegenstände s<strong>in</strong>d also die<br />

Haushalte von Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte. Dabei ist das Hauptaugenmerk auf den<br />

Kern <strong>in</strong>tergenerationaler Beziehungen gerichtet, nämlich auf Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehungen. Der<br />

detaillierten Betrachtung von Haushaltsbeziehungen logisch vorgelagert ist jedoch die Frage<br />

nach der Wohnentfernung zwischen Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dern. Geographische Nähe bzw. Ferne hat<br />

e<strong>in</strong>en entscheidenden E<strong>in</strong>fluss auf qualitative <strong>und</strong> quantitative Merkmale von Generationenbeziehungen<br />

(Szydlik, 1995) <strong>und</strong> auf die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit wechselseitiger Unterstützung (Lauterbach<br />

& Pillemer, 2001). Befragte mit K<strong>in</strong>dern erleben diese besondere Beziehung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Doppelrolle – zum e<strong>in</strong>en als K<strong>in</strong>d alternder Eltern <strong>und</strong> zum anderen als Vater oder Mutter eigener<br />

K<strong>in</strong>der. Beiden Perspektiven wird <strong>in</strong> diesem Unterkapitel Rechnung getragen.<br />

<strong>Sozialer</strong> <strong>Wandel</strong> im gesamten Familiennetzwerk muss sich auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Elementen, den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Haushalten, <strong>in</strong> Form veränderter Haushaltsstrukturen niederschlagen. Dementsprechend<br />

bezieht sich die Untersuchung sozialen <strong>Wandel</strong>s von Familienstrukturen <strong>und</strong> Familienfunktionen<br />

<strong>in</strong> diesem Kapitel auf die Haushaltsebene. Zunächst werden Veränderungen der Haushaltsgröße<br />

betrachtet, bevor die Aufmerksamkeit auf Kont<strong>in</strong>uität <strong>und</strong> <strong>Wandel</strong> von Konstellationen<br />

<strong>in</strong>nerhalb von Haushalten gerichtet wird.<br />

5.4.1 Wohnentfernung zwischen K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Eltern<br />

Die <strong>in</strong> diesem Abschnitt vorgestellten Ergebnisse betreffen nur die Befragten des Alterssurveys,<br />

die K<strong>in</strong>der haben. Das ist die große Mehrheit der Befragten von immerh<strong>in</strong> 86 Prozent (2002).<br />

Damit hat sich der Anteil von K<strong>in</strong>derlosen gegenüber der Ersterhebung im Jahre 1996, als 87<br />

Prozent der Befragten K<strong>in</strong>der hatten, nicht merklich erhöht.<br />

5 Das trifft natürlich nur auf solche Familien zu, <strong>in</strong> denen es überhaupt ke<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der gibt.


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

Die Beziehung zu den eigenen Eltern ist, neben der zu den eigenen K<strong>in</strong>dern, die stärkste <strong>und</strong><br />

dauerhafteste B<strong>in</strong>dung, die e<strong>in</strong> Mensch im Verlauf se<strong>in</strong>es Lebens e<strong>in</strong>geht. Sie ist aus e<strong>in</strong>er Vielzahl<br />

von Gründen e<strong>in</strong>zigartig <strong>und</strong> für das eigene Leben außerordentlich wichtig. Das schließt<br />

emotionale, biografisch-identitätsbildende Beziehungsaspekte ebenso e<strong>in</strong> wie normative <strong>und</strong><br />

funktionale. Die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit der Leistung bzw. des Erhalts von <strong>in</strong>formeller Unterstützung<br />

nimmt mit abnehmender Wohnentfernung zu (Marbach, 1994). Natürlich leben Eltern <strong>und</strong><br />

K<strong>in</strong>der oft nicht am selben Ort – was von Rosenmayr <strong>und</strong> Köckeis (1965) bereits vor 40 Jahren<br />

so treffend mit dem Konzept der „Intimität aus der Ferne“ (Rosenmayr & Köckeis, 1965) bezeichnet<br />

wurde. Moderne Telekommunikation hat auch zu e<strong>in</strong>er Aufweichung des l<strong>in</strong>earen Zusammenhangs<br />

zwischen Wohnentfernung <strong>und</strong> Kontakthäufigkeit geführt. Nichtsdestotrotz erhöht<br />

e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Wohnentfernung nach wie vor die Möglichkeit wechselseitiger Interaktion<br />

<strong>und</strong> Kommunikation <strong>und</strong> eröffnet die Möglichkeit spontaner oder anderweitig kurzfristiger<br />

Kontakte. So ist e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Wohnentfernung e<strong>in</strong>e wichtige, aber nicht unabd<strong>in</strong>gbare Bed<strong>in</strong>gung<br />

für die emotionale Enge der Beziehung (Szydlik, 1995).<br />

Wohnentfernung zu den K<strong>in</strong>dern<br />

Die Wohnentfernung zwischen Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dern ist im Lebensverlauf beträchtlichen Veränderungen<br />

unterworfen: dem Leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Haushalt folgt der Aus- <strong>und</strong> Wegzug<br />

der K<strong>in</strong>der. Der Alterssurvey vere<strong>in</strong>t Menschen <strong>in</strong> unterschiedlichen Lebensphasen: viele Untersuchungsteilnehmer/Untersuchungsteilnehmer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>in</strong> der jüngsten Altersgruppe haben gerade<br />

erst den Auszug ihrer K<strong>in</strong>der erlebt, während dies bei der mittleren Altersgruppe schon länger<br />

zurück liegt. Wenn Eltern alt <strong>und</strong> hilfebedürftig werden, kann die Notwendigkeit entstehen,<br />

dass sich zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> relativer räumlicher Nähe zu den Eltern aufhält, um Unterstützung<br />

zu leisten. Nicht selten ziehen auch hochbetagte Eltern <strong>in</strong> den Haushalt e<strong>in</strong>es erwachsenen<br />

K<strong>in</strong>des. Möglicherweise gibt es e<strong>in</strong>ige Menschen <strong>in</strong> der ältesten Altersgruppe, die <strong>in</strong> der jüngeren<br />

Vergangenheit <strong>in</strong> größere räumliche Nähe zu ihren erwachsenen K<strong>in</strong>dern gezogen s<strong>in</strong>d. Aus<br />

diesem Gr<strong>und</strong>e konzentriert sich die folgende Darstellung der Wohnentfernung auf das räumlich<br />

am nächsten wohnende K<strong>in</strong>d. Ergebnisse für beide Erhebungszeitpunkte wurden auf der Basis<br />

dieses Konzepts berechnet, so dass es zu Abweichungen von bereits publizierten Ergebnissen<br />

aus der ersten Welle des Alterssurveys (vgl. zum Beispiel Kohli et al., 2000), die Durchschnittswerte<br />

für die ersten vier K<strong>in</strong>der berechnet hatten, kommen kann 6 . Die nachfolgende Tabelle<br />

5.3 gibt e<strong>in</strong>en Überblick über die Veränderung der Wohnentfernung zwischen Eltern <strong>und</strong><br />

ihren jeweils am nächsten lebenden K<strong>in</strong>dern zwischen den beiden Erhebungszeitpunkten 1996<br />

<strong>und</strong> 2002.<br />

Wie schon 1996 berichtete die übergroße Mehrheit der Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte,<br />

dass zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>es ihrer K<strong>in</strong>der <strong>in</strong>nerhalb von zwei St<strong>und</strong>en erreichbar ist. Fast drei Viertel<br />

gaben sogar an, dass e<strong>in</strong>es ihrer K<strong>in</strong>der im gleichen Ort lebt. Insgesamt konnte damit der Bef<strong>und</strong><br />

aus der ersten Welle bestätigt werden (Kohli et al., 2000).<br />

6 Daten zur Wohnentfernung werden im Alterssurvey nur für das 1. bis 4. K<strong>in</strong>d erfasst.<br />

227


Tabelle 5.3:<br />

Wohnentfernung zum nächstwohnenden K<strong>in</strong>d nach Altersgruppen, 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

(<strong>in</strong> Prozent)<br />

228<br />

Andreas Hoff<br />

40-54 55-69 70-85 40-85<br />

1996 2002 1996 2002 1996 2002 1996 2002<br />

Im selben Haus 70,0 67,5 34,3 27,3 25,9 22,2 47,0 39,7<br />

In der Nachbarschaft 6,2 4,9 14,7 14,3 17,6 18,9 11,8 12,2<br />

Im gleichen Ort 8,9 9,4 24,4 23,8 23,9 28,7 18,0 20,1<br />

Innerhalb v. 2 h erreichbar 11,3 13,2 19,6 26,1 23,4 22,4 17,0 20,8<br />

Weiter entfernt 3,7 5,1 7,1 8,5 9,2 7,7 6,1 7,2<br />

N 1.219 691 1.532 903 1.137 870 3.888 2.464<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 Basisstichprobe (n= 3.888) <strong>und</strong> 2002 Replikationsstichprobe (n= 2.464), gewichtete Daten<br />

Signifikanz der Unterschiede p < .01.<br />

Der Anteil von Befragten, die angaben, dass e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d im selben Haus oder Haushalt lebt, ist seit<br />

1996 jedoch beträchtlich gesunken – von 47 auf knapp 40 Prozent (vgl. rechte Spalte von Tabelle<br />

5.3). Interessanterweise wird dieser Rückgang überwiegend durch die deutliche Abnahme<br />

ihres Anteils <strong>in</strong> den alten B<strong>und</strong>esländern erklärt (1996: 48 – 2002: 39 Prozent). Leichte Anstiege<br />

s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>gegen <strong>in</strong> den Kategorien der am selben Ort wohnenden <strong>und</strong> der <strong>in</strong>nerhalb von zwei<br />

St<strong>und</strong>en Reiseentfernung lebenden K<strong>in</strong>der zu verzeichnen. Anders ausgedrückt, haben im Jahr<br />

2002 28 Prozent der Befragten ke<strong>in</strong>e am selben Ort lebenden K<strong>in</strong>der. Das bedeutet e<strong>in</strong>en Anstieg<br />

um 5 Prozentpunkte seit 1996. Für diese Menschen gibt es also e<strong>in</strong>e deutlich verr<strong>in</strong>gerte<br />

Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, dass ihnen ihre erwachsenen K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> Notfällen oder auch im Alltag<br />

schnell zur Hilfe kommen können.<br />

Die Zunahme der Wohnentfernung zu dem am nächsten lebenden K<strong>in</strong>d ist <strong>in</strong> der Gruppe der 55-<br />

bis 69-Jährigen am stärksten. In dieser Altersgruppe hat sich der Anteil der im selben Haus oder<br />

Haushalt lebenden K<strong>in</strong>der von mehr als e<strong>in</strong>em Drittel auf e<strong>in</strong> gutes Viertel verr<strong>in</strong>gert. Parallel<br />

dazu ist der Anteil der nächstlebenden K<strong>in</strong>der, die nicht im gleichen Ort leben, von 27 auf 35<br />

Prozent gestiegen (= Summe der Kategorien „anderer Ort, weniger als 2 St<strong>und</strong>en“ + „weiter<br />

entfernt“). Diese Menschen verfügen also über weitaus weniger unmittelbare Unterstützungsmöglichkeiten<br />

durch ihre K<strong>in</strong>der.<br />

In der ältesten Altersgruppe ist ebenfalls e<strong>in</strong> Rückgang der Koresidenz von Eltern <strong>und</strong> erwachsenen<br />

K<strong>in</strong>dern festzustellen, wobei dieser aber durch die prozentuale Zunahme von <strong>in</strong> der<br />

Nachbarschaft <strong>und</strong> vor allem am gleichen Ort lebenden K<strong>in</strong>dern kompensiert wird. Nahezu<br />

konstant geblieben ist h<strong>in</strong>gegen die Wohnentfernung zum nächstlebenden K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Altersgruppe<br />

der 40- bis 54-Jährigen.<br />

Im Kohortenvergleich fallen drei Geburtskohorten auf, die im Wesentlichen für die oben beschriebene<br />

<strong>Entwicklung</strong> verantwortlich s<strong>in</strong>d. Bezogen auf Koresidenz mit erwachsenen K<strong>in</strong>dern<br />

im selben Haus f<strong>in</strong>den sich die stärksten Effekte bei den jeweils 52- bis 63-Jährigen.


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

Als nächstes wenden wir uns der Frage zu, wie sich die Wohnentfernung mit zunehmendem<br />

Alter entwickelt. Zur Beantwortung dieser Frage ist e<strong>in</strong>e Längsschnittbetrachtung die am besten<br />

geeignete Methode – die Panelstichprobe des Alterssurveys bildet die Datenbasis (vgl. Abbildung<br />

5.3).<br />

Abbildung 5.3:<br />

<strong>Entwicklung</strong> der Wohnentfernung zum nächstwohnenden K<strong>in</strong>d, 1996 – 2002 (<strong>in</strong> Prozent)<br />

Prozent<br />

jüngste Altersgruppe<br />

(2002: 46-60 Jahre)<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

1996 2002<br />

selb. Haus Nachbarsch<br />

gleicher Ort <strong>in</strong> 2 h<br />

mehr als 2 h<br />

Prozent<br />

Mittlere Altersgruppe<br />

(2002: 61-75 Jahre)<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

1996 2002<br />

selb. Haus Nachbarsch<br />

gleicher Ort <strong>in</strong> 2 h<br />

mehr als 2 h<br />

Quelle: Alterssurvey Panelstichprobe 1996 <strong>und</strong> 2002 (n= 1.176), gewichtete Daten<br />

Prozent<br />

Älteste Altersgruppe<br />

(2002:76-91 Jahre)<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

1996 2002<br />

selb. Haus Nachbarsch<br />

gleicher Ort <strong>in</strong> 2 h<br />

mehr als 2 h<br />

Hier werden also <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong>sverläufe dargestellt. In der l<strong>in</strong>ken Grafik s<strong>in</strong>d die<br />

Verläufe für die 1996 40- bis 54-Jährigen abgebildet. Bei der Zweiterhebung im Jahre 2002 s<strong>in</strong>d<br />

sie nicht nur sechs Jahre älter geworden, sondern viele K<strong>in</strong>der haben <strong>in</strong>zwischen den elterlichen<br />

Haushalt verlassen. Dies lässt sich an der steil abfallenden oberen L<strong>in</strong>ie ablesen. Parallel dazu<br />

s<strong>in</strong>d für alle anderen Kategorien leichte Anstiege zu verzeichnen.<br />

E<strong>in</strong>e bemerkenswerte <strong>Entwicklung</strong> erlebten h<strong>in</strong>gegen Angehörige der mittleren Altersgruppe,<br />

die 2002 61 bis 75 Jahre alt waren (mittlere Grafik). Die Wohnentfernung zu den nächstlebenden<br />

K<strong>in</strong>dern hat sich <strong>in</strong> dieser Altersgruppe zu mehr Heterogenität h<strong>in</strong> entwickelt, was <strong>in</strong> der<br />

annähernden Gleichverteilung der Anteile aller Entfernungskategorien zum Ausdruck kommt.<br />

Die Wohnentfernungen zu den am nächsten wohnenden K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> der älteste Altersgruppe der<br />

nun 76- bis 91-Jährigen h<strong>in</strong>gegen zeichnen sich durch e<strong>in</strong> hohes Maß an Stabilität aus (vgl.<br />

rechte Grafik). Lediglich zwischen den Kategorien „wohnt <strong>in</strong> der Nachbarschaft“ <strong>und</strong> „wohnt<br />

im selben Ort“ kam es zu ger<strong>in</strong>gfügigen Verschiebungen.<br />

Es bleibt also festzuhalten, dass nach wie vor fast drei Viertel wenigstens e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d vor Ort haben,<br />

das ihnen im Bedarfsfall helfen kann. Insgesamt nimmt die Wohnentfernung zu nächstlebenden<br />

K<strong>in</strong>dern jedoch mit zunehmendem Alter leicht zu. Bemerkenswert ist vor allem die<br />

gestiegene Anzahl derjenigen, deren K<strong>in</strong>der nicht am selben Ort leben. Dies könnte gerade im<br />

hohen Alter, <strong>in</strong>sbesondere bei Pflegebedürftigkeit der Eltern, zu Problemen bei der Bereitstellung<br />

von Unterstützungsleistungen durch die K<strong>in</strong>der führen.<br />

229


Wohnentfernung zu den Eltern<br />

230<br />

Andreas Hoff<br />

Wie e<strong>in</strong>gangs erwähnt, bef<strong>in</strong>den sich viele Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Doppelrolle<br />

als Eltern heranwachsender K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> als erwachsene K<strong>in</strong>der alternder Eltern<br />

andererseits. Dementsprechend stellt die nachfolgende Tabelle 5.4 die Veränderung der<br />

Wohnentfernung zu den eigenen Eltern dar. In der Gruppe der 70- bis 85-Jährigen waren allerd<strong>in</strong>gs<br />

nur noch 13 (1996) bzw. 10 (2002) Eltern am Leben. Da auf dieser Basis ke<strong>in</strong>e zuverlässigen<br />

Schlussfolgerungen gezogen werden können, wurde <strong>in</strong> dieser Altersgruppe auf e<strong>in</strong>e Darstellung<br />

<strong>und</strong> Interpretation der Ergebnisse verzichtet.<br />

Tabelle 5.4:<br />

Wohnentfernung zum nächstwohnenden Elternteil nach Altersgruppen, 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

(<strong>in</strong> Prozent)<br />

40-54 55-69 70-85 40-85<br />

1996 2002 1996 2002 1996 2002 1996 2002<br />

Im selben Haus 13,0 10,4 17,3 12,9 / / 13,9 10,8<br />

In der Nachbarschaft 11,7 12,7 13,6 14,8 / / 12,1 13,0<br />

Im gleichen Ort 25,2 25,7 22,9 27,6 / / 24,7 26,1<br />

Innerhalb v. 2 h erreichbar 34,8 35,8 28,5 31,0 / / 33,5 35,0<br />

Weiter entfernt 15,3 15,4 17,8 13,8 / / 15,8 14,1<br />

N 1.156 787 381 192 13 10 1.549 1.190<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 Basisstichprobe (n= 1.549) <strong>und</strong> 2002 Replikationsstichprobe (n= 1.190), gewichtete Daten<br />

Signifikanz der Unterschiede: p < .05.<br />

Wie die Ergebnisse <strong>in</strong> Tabelle 5.4 zeigen, ist die Wohnentfernung zu den eigenen Eltern durch<br />

e<strong>in</strong> hohes Maß an Stabilität gekennzeichnet. Betrachtet man alle<strong>in</strong> die <strong>in</strong> der rechten Spalte abgetragenen<br />

Gesamtverteilungen, so ist ke<strong>in</strong> wesentlicher Unterschied zwischen beiden Erhebungszeitpunkten<br />

zu erkennen. Die Häufigkeitsverteilungen s<strong>in</strong>d nahezu konstant geblieben.<br />

Die e<strong>in</strong>zige Abweichung stellt die auch hier erkennbare Reduktion des Anteils von Koresidenz<br />

mit den Eltern dar – hier hat sich der Gesamtanteil von knapp 14 auf 11 Prozent verr<strong>in</strong>gert. Die<br />

altersgruppenspezifische Betrachtung bestätigt dieses Ergebnis, wobei diese Abnahme <strong>in</strong> der<br />

mittleren Altersgruppe am stärksten ausgeprägt ist. Davon abgesehen, ist der <strong>in</strong> Bezug auf K<strong>in</strong>der<br />

identifizierte Trend sich vergrößernder Wohnentfernungen <strong>in</strong> der Beziehung zu den Eltern<br />

nicht erkennbar.<br />

Abschließend werden die <strong>Entwicklung</strong>strends bei den zweimal befragten Personen <strong>in</strong> Bezug auf<br />

den Wohnort der Eltern dargestellt (vgl. Abbildung 5.4 unten). Es kann nicht überraschen, dass<br />

es 2002 ke<strong>in</strong>e 76- bis 91-Jährigen gab, deren Eltern noch am Leben waren. Dementsprechend<br />

muss sich die Darstellung auf die beiden jüngeren Altersgruppen beschränken. Hält man sich<br />

das Alter der Befragten <strong>in</strong> der mittleren Altersgruppe (2002: 61 bis 75 Jahre) vor Augen, so<br />

wird klar, dass es sich bei diesen Eltern nur um sehr wenige, hochaltrige Menschen handeln<br />

kann, die vergleichsweise oft soziale Unterstützung benötigen. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e wurde die<br />

Darstellung <strong>in</strong> Abbildung 5.4 auf zwei Dimensionen der Wohnentfernung zugespitzt: Wohnen<br />

am selben Ort vs. weiter entferntes Wohnen.


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

Abbildung 5.4:<br />

Veränderung der Wohnentfernung zum nächstwohnenden Elternteil, 1996 – 2002<br />

(<strong>in</strong> Prozent)<br />

Prozent<br />

jüngste Altersgruppe (2002: 46-60 Jahre)<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

1996 2002<br />

gleicher Ort w eiter entfernt<br />

Prozent<br />

mittlere Altersgruppe (2002: 61-75 Jahre)<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

1996 2002<br />

gleicher Ort w eiter entfernt<br />

Quelle: Alterssurvey Panelstichprobe 1996 (n= 592) <strong>und</strong> 2002 (n= 403), gewichtete Daten<br />

Wie Abbildung 5.4 zu entnehmen ist, unterscheiden sich die <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Veränderungen gravierend<br />

von jenen für die Wohnentfernung zu den K<strong>in</strong>dern. In der jüngsten Altersgruppe des<br />

Alterssurveys herrscht be<strong>in</strong>ahe absolute Stabilität <strong>in</strong> den Wohnverhältnissen vor – die Wohnentfernung<br />

zwischen den Befragten <strong>und</strong> ihren Eltern hat sich nicht verändert. E<strong>in</strong> angesichts dessen<br />

unerwartetes Ergebnis erwartet den Betrachter <strong>in</strong> der mittleren Altersgruppe: mehr als die Hälfte<br />

der hochaltrigen Eltern leben nicht mehr am gleichen Ort wie ihre K<strong>in</strong>der (siehe rechte Grafik),<br />

wobei sich dieser Anteil <strong>in</strong> den letzten sechs Jahren auf nunmehr knapp 60 Prozent erhöht hat.<br />

Nachfolgend erfolgt e<strong>in</strong>e Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse im H<strong>in</strong>blick auf die<br />

Wohnentfernung zwischen K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Eltern <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte: Die überwiegende<br />

Mehrheit der Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte lebt <strong>in</strong> räumlicher Nähe zu ihren K<strong>in</strong>dern<br />

bzw. Eltern. Im Jahre 2002 gab es bei mehr als 70 Prozent der Befragten zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d,<br />

das im selben Ort wie die Eltern wohnte. Im Vergleich zu 1996 hat der Anteil der vor Ort lebenden<br />

K<strong>in</strong>der jedoch deutlich abgenommen. Dabei handelt es sich sowohl um e<strong>in</strong>en Alterseffekt,<br />

als auch um Auswirkungen sozialen <strong>Wandel</strong>s, die im Vergleich von Gleichaltrigen zwischen<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 identifiziert wurden. Auch Koresidenz von Eltern <strong>und</strong> erwachsenen K<strong>in</strong>dern<br />

ist immer weniger die Norm. Gleiches gilt auch für Koresidenz mit hochaltrigen Eltern.<br />

Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte legen offenbar bis <strong>in</strong>s hohe Lebensalter Wert auf Unabhängigkeit,<br />

was im Wohnen im eigenen Haushalt se<strong>in</strong>en Niederschlag f<strong>in</strong>det. Aufgelöst wird<br />

dieser immer öfter erst durch den Tod oder den ‚Umzug’ <strong>in</strong>s Pflegeheim. Der <strong>in</strong> den letzten<br />

Jahrzehnten beobachtete Individualisierungstrend <strong>in</strong> der Gesellschaft setzt sich also mehr <strong>und</strong><br />

mehr auch <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte durch.<br />

5.4.2 Generationen-Konstellationen im Haushalt<br />

Nachdem im vorigen Abschnitt die Wohnentfernung zwischen den Haushalten von Eltern <strong>und</strong><br />

K<strong>in</strong>dern betrachtet wurde, stehen nun die Generationenbeziehungen <strong>in</strong>nerhalb dieser Haushalte<br />

231


232<br />

Andreas Hoff<br />

im Mittelpunkt. Anhand der Veränderung der durchschnittlichen Haushaltsgröße <strong>in</strong> Deutschland<br />

seit Beg<strong>in</strong>n des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts lässt sich der phänomenale <strong>Wandel</strong>, den deutsche Haushalte im<br />

letzten Jahrh<strong>und</strong>ert durchlaufen haben, erahnen. Lebten 1900 noch durchschnittlich 4,5 Personen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haushalt, so hatte sich deren Anzahl bis zum Jahr 2000 auf 2,2 Personen halbiert<br />

(Statistisches B<strong>und</strong>esamt, 2002). Natürlich s<strong>in</strong>d Veränderungen dieser Größenordnung bei e<strong>in</strong>em<br />

Beobachtungszeitraum von sechs Jahren nicht zu erwarten, zumal der Alterssurvey nur<br />

e<strong>in</strong>en Teil der Bevölkerung, die 40- bis 85-Jährigen, untersucht. Dennoch ergeben sich beim<br />

Vergleich der Haushaltszusammensetzung im Jahre 2002 (Replikationsstichprobe) mit jener der<br />

Basisstichprobe 1996 Anzeichen für e<strong>in</strong>e Fortsetzung dieses allgeme<strong>in</strong>en demografischen<br />

Trends. Selbst für diesen vergleichsweise kurzen Untersuchungszeitraum von sechs Jahren lässt<br />

sich e<strong>in</strong>e Verr<strong>in</strong>gerung der Haushaltsgröße feststellen. Betrug die durchschnittliche Haushaltsgröße<br />

der 40- bis 85-jährigen Deutschen 1996 noch 2,52 Personen (SD 1,19), so hatte sich diese<br />

im Jahre 2002 auf 2,35 verr<strong>in</strong>gert (SD 1,13) 7 . Dieses Resultat bestätigt den aus der amtlichen<br />

Statistik bekannten allgeme<strong>in</strong>en Trend der Verkle<strong>in</strong>erung von Haushaltsgrößen seit Mitte der<br />

1950er Jahre. Im Vergleich mit den Daten des Mikrozensus aus dem Jahr 2000 liegt die durchschnittliche<br />

Haushaltsgröße <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte jedoch noch ger<strong>in</strong>gfügig höher als im<br />

Durchschnitt der Gesamtbevölkerung (Engstler & Menn<strong>in</strong>g, 2003).<br />

Die überwiegende Mehrheit der 40- bis 85-jährigen Deutschen lebt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Haushaltsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

mit anderen. Der Anteil von alle<strong>in</strong>lebenden Personen ist allerd<strong>in</strong>gs zwischen 1996 <strong>und</strong><br />

2002 von 16,2 Prozent auf 20,5 Prozent deutlich angestiegen. Bezieht man darüber h<strong>in</strong>aus auch<br />

Zweipersonenhaushalte <strong>in</strong> die Betrachtung e<strong>in</strong>, deren Anteil ebenfalls leicht zugenommen hat,<br />

so verstärkt sich der E<strong>in</strong>druck tendenziell abnehmender Haushaltsgrößen – zwei Drittel der Befragten<br />

<strong>in</strong> Welle 2 lebten <strong>in</strong> E<strong>in</strong>- oder Zweipersonenhaushalten verglichen mit lediglich 60 Prozent<br />

im Jahre 1996. Der Anteil von Haushalten mit mehr als zwei Personen ist h<strong>in</strong>gegen spürbar<br />

zurückgegangen (vgl. nachfolgende Abbildung 5.5).<br />

7 Die Mittelwertdifferenz zwischen beiden Erhebungszeitpunkten ist hoch signifikant: p < 0.001.


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

Abbildung 5.5:<br />

Anzahl im Haushalt lebender Personen (<strong>in</strong> Prozent)<br />

19,1<br />

14,3<br />

4,4<br />

1,7<br />

1996<br />

16,2<br />

44,3<br />

1 Person 2 Personen 3 Personen<br />

4 Personen 5 Personen 6 u. mehr P.<br />

16,1<br />

11,9<br />

3,4<br />

1,2<br />

2002<br />

46,9<br />

20,5<br />

1 Person 2 Personen 3 Personen<br />

4 Personen 5 Personen 6 u. mehr P.<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 (n= 4.834) <strong>und</strong> 2002 (n= 3.082), jeweils gewichtete Daten<br />

In e<strong>in</strong>em nächsten Schritt erfolgt e<strong>in</strong>e nach Altersgruppen, Geschlecht <strong>und</strong> Region differenzierte<br />

Betrachtungsweise. Dabei bilden wiederum die beiden Querschnitte der Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 die Datengr<strong>und</strong>lage. Auch hier zeigen sich zum Teil erhebliche<br />

Unterschiede:<br />

Haushaltsgröße nach Altersgruppen<br />

Die durchschnittliche Haushaltsgröße verr<strong>in</strong>gert sich mit zunehmendem Alter. Ergab sich für<br />

die jüngste im Alterssurvey 2002 befragte Altersgruppe der 40- bis 54-Jährigen e<strong>in</strong>e durchschnittliche<br />

Haushaltsgröße von 2,94 Personen (SD 1,27), so verr<strong>in</strong>gert sich diese auf 2,07 (SD<br />

0,80) <strong>in</strong> der mittleren (55-69 Jahre) bzw. 1,67 (SD 0,67) <strong>in</strong> der ältesten Altersgruppe (70-85<br />

Jahre). Diese Veränderung markiert den typischen Familienzyklus <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte:<br />

<strong>in</strong> der jüngsten Altersgruppe des Alterssurveys (40 bis 54 Jahre) leben <strong>in</strong> der Mehrzahl der<br />

Haushalte noch K<strong>in</strong>der. Spätestens <strong>in</strong> der mittleren Altersgruppe der 55- bis 69-Jährigen haben<br />

die K<strong>in</strong>der den elterlichen Haushalt verlassen – das (noch immer typischerweise) verheiratete<br />

Paar lebt im sogenannten „empty nest“. Die älteste Altersgruppe des Alterssurvey (70 bis 85<br />

Jahre) erlebt nun vielfach e<strong>in</strong>e weitere deutliche Verkle<strong>in</strong>erung des Haushalts durch den Tod<br />

e<strong>in</strong>es (<strong>in</strong> der Regel des männlichen) Ehepartners. Jedoch nicht nur im Vergleich zwischen e<strong>in</strong>zelnen<br />

Lebensphasen, sondern auch im Vergleich zwischen den beiden Erhebungszeitpunkten<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 hat sich die durchschnittliche Haushaltsgröße der jüngeren Altersgruppen signifikant<br />

verr<strong>in</strong>gert. 1996 lebten mit durchschnittlich 3,14 Personen (SD 1,25) noch signifikant<br />

mehr Personen im Haushalt 40- bis 54-jähriger Befragter. In ger<strong>in</strong>gerem Umfang, aber ebenfalls<br />

signifikant, hat sich das arithmetische Mittel der Haushaltsgröße <strong>in</strong> der Altersgruppe der 55- bis<br />

69-Jährigen von 2,16 (SD 0,82) auf 2,07 Personen (SD 0,8) reduziert. Lediglich <strong>in</strong> der ältesten<br />

Altersgruppe der 70- bis 85-Jährigen blieb die durchschnittliche Haushaltsgröße konstant (1996:<br />

1,69 (SD 0,78) – 2002: 1,67 (SD 0,67).<br />

233


Haushaltsgröße nach Geschlecht<br />

234<br />

Andreas Hoff<br />

Neben dem Alters- gibt es auch e<strong>in</strong>en erkennbaren Geschlechtseffekt: Männer leben im Durchschnitt<br />

<strong>in</strong> größeren Haushalten als Frauen im selben Lebensabschnitt (2002: 2,47 vs. 2,24 Personen).<br />

Dieses Ergebnis ist der höheren Lebenserwartung von Frauen geschuldet, die ihre<br />

männlichen Lebenspartner <strong>in</strong> der Regel überleben <strong>und</strong> dann alle<strong>in</strong> im vormals ehelichen Haushalt<br />

zurückbleiben. Zwischen Welle 1 <strong>und</strong> 2 hat sich die durchschnittliche Haushaltsgröße für<br />

beide signifikant verr<strong>in</strong>gert (Männer: von 2,66 (SD 1,14) auf 2,47 (SD 1,1); Frauen: von 2,40<br />

(SD 1,22) auf 2,24 (SD 1,14)). Auch hier zeigen sich also die erwartbaren Anzeichen des demografischen<br />

<strong>Wandel</strong>s.<br />

Haushaltsgröße <strong>in</strong> Ost/West<br />

Hatte sich die durchschnittliche Haushaltsgröße von 40- bis 85-jährigen Menschen <strong>in</strong> West- <strong>und</strong><br />

Ostdeutschland 1996 noch signifikant vone<strong>in</strong>ander unterschieden, so ist dies 2002 nicht mehr<br />

der Fall. Bed<strong>in</strong>gt durch den deutlichen Rückgang <strong>in</strong> den alten B<strong>und</strong>sländern (1996: 2,55 (SD<br />

1,21) – 2002: 2,35 Personen (SD 1,16) hat sich die durchschnittliche Haushaltsgröße <strong>in</strong> beiden<br />

Landesteilen auf nahezu identischem Niveau von 2,35 (West) bzw. 2,33 (Ost) Personen im<br />

Haushalt e<strong>in</strong>gependelt. Klare Unterschiede ergeben sich h<strong>in</strong>gegen beim Vergleich von Haushalten<br />

<strong>in</strong> ländlichen <strong>und</strong> städtischen Geme<strong>in</strong>den. Als Faustregel gilt: Je größer die Geme<strong>in</strong>de, desto<br />

kle<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>d die Haushalte älterer Menschen.<br />

In e<strong>in</strong>em kurzen Zwischenfazit bleibt also festzuhalten, dass sich die Haushaltsgrößen <strong>in</strong> der<br />

zweiten Lebenshälfte seit 1996 spürbar verr<strong>in</strong>gert haben. Männer leben nach wie vor <strong>in</strong> größeren<br />

Haushalten als Frauen. Die zwischen West <strong>und</strong> Ost vor sechs Jahren noch existierenden<br />

Unterschiede <strong>in</strong> der Haushaltsgröße bestehen nicht mehr.<br />

Die Haushaltsgröße alle<strong>in</strong> sagt jedoch wenig aus über die gelebten Beziehungen von Menschen<br />

<strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte. Wie im vorigen Abschnitt auf der Basis von Daten aus der Replikationsstichprobe<br />

2002 gezeigt wurde, lebt die überwiegende Mehrheit von Menschen <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte mit anderen Menschen zusammen. Von herausragender Bedeutung s<strong>in</strong>d dabei<br />

Ehe- bzw. Lebenspartner <strong>und</strong> Lebenspartner<strong>in</strong>nen – drei Viertel aller Befragten teilten im Jahre<br />

2002 ihren Haushalt mit e<strong>in</strong>em Partner bzw. e<strong>in</strong>er Partner<strong>in</strong>. Dabei ist zu bedenken, dass ihr<br />

Anteil ohne Berücksichtigung der 70- bis 85-Jährigen noch deutlich höher ausfallen würde. In<br />

der ältesten Altersgruppe lebten 2002 nur noch wenig mehr als die Hälfte (52,5 Prozent) geme<strong>in</strong>sam<br />

mit ihrem Partner. Hier zeigt sich auch der durch die unterschiedliche Lebenserwartung<br />

bed<strong>in</strong>gte Geschlechtsunterschied – ältere Männer leben häufiger <strong>in</strong> Paarhaushalten als<br />

Frauen.<br />

E<strong>in</strong> Drittel der Befragten gab an, dass <strong>in</strong> ihrem Haushalt K<strong>in</strong>der lebten. Dies betraf jedoch vorwiegend<br />

die Jüngeren, die noch die Erziehungsverantwortung für m<strong>in</strong>derjährige K<strong>in</strong>der hatten.<br />

Dementsprechend lebten mehr als drei Viertel der angegebenen K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> den Haushalten 40-<br />

bis 54-jähriger Befragter, lediglich 5 Prozent <strong>in</strong> jenen der ältesten Altersgruppe (70 bis 85<br />

Jahre). Auch e<strong>in</strong>e Betrachtung nach Alterskohorten kommt zu dem Ergebnis, dass mit zunehmendem<br />

Alter e<strong>in</strong>e kont<strong>in</strong>uierliche Abnahme des Anteils von Haushalten mit K<strong>in</strong>dern zu beobachten<br />

ist. Andere Personengruppen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den Haushalten älterer Menschen kaum anzutref-


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

fen, wobei darunter die eigenen Eltern mit 1,8 Prozent (n= 55) noch am häufigsten <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung<br />

treten.<br />

E<strong>in</strong> Ergebnis der Ersterhebung des Alterssurveys im Jahre 1996 war es, dass <strong>in</strong> Deutschland<br />

Haushalte mit drei oder mehr Generationen die absolute Ausnahme bilden <strong>und</strong> dass der Anteil<br />

von Personen ohne Angehörige anderer Generationen im selben Haushalt mit zunehmendem<br />

Alter stark zunimmt (Kohli et al., 2000). Wenn man die Vorgehensweise aus Welle 1 unter<br />

Verwendung des von Kohli et al. (2000) e<strong>in</strong>geführten Konzepts der Generationen-<br />

Konstellationen repliziert <strong>und</strong> diese lediglich um die Ergebnisse aus der Replikationsstichprobe<br />

des Alterssurveys 2002 ergänzt, so bestätigen diese die Ergebnisse von 1996 (vgl. Tabelle 5.5<br />

unten).<br />

Tabelle 5.5:<br />

Haushaltsbezogene Generationen-Konstellationen nach Altersgruppen, 1996 <strong>und</strong> 2002 (<strong>in</strong><br />

Prozent)<br />

40-54 55-69 70-85 40-85<br />

1996 2002 1996 2002 1996 2002 1996 2002<br />

1 Generationen 31,5 38,8 74,8 82,9 91,5 92,2 58,1 65,8<br />

- E<strong>in</strong>personen 6,8 12,7 15,5 17,2 41,3 41,6 16,2 20,5<br />

2 Generationen 65,5 58,8 23,4 15,9 6,7 6,9 39,6 32,5<br />

- mit Eltern 2,4 1,6 2,8 1,9 0,3 0,2 2,2 1,4<br />

- mit K<strong>in</strong>dern 63,0 57,2 19,8 14,1 6,0 6,3 36,9 31,1<br />

3 Generationen 3,0 2,4 1,8 1,2 1,8 0,9 2,4 1,7<br />

- Eltern/K<strong>in</strong>der 2,9 2,3 1,1 0,3 - - 1,7 1,1<br />

- K<strong>in</strong>der/Enkel 0,1 0,2 0,8 0,9 1,8 0,9 0,7 0,6<br />

N 1.715 1.091 1.776 1.004 1.339 983 4.830 3.078<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 Basisstichprobe (n= 4.830) <strong>und</strong> 2002 Replikationsstichprobe (n= 3.078), gewichtete Daten<br />

Signifikanz der Unterschiede: p < .01; außer „Zwei-Generationen-HH mit Eltern“ u. „Drei-Generationen-HH mit Eltern/<br />

K<strong>in</strong>dern“ (jeweils p < .05), sowie „Drei-Generationen-HH mit K<strong>in</strong>dern/Enkeln“ (p nicht signifikant)<br />

Während <strong>in</strong> der Gruppe der 40- bis 54-Jährigen Zwei-Generationen-Haushalte mit K<strong>in</strong>dern dom<strong>in</strong>ieren,<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den beiden älteren Altersgruppen E<strong>in</strong>-Generationen-Haushalte mit Abstand am<br />

weitesten verbreitet.<br />

Tabelle 5.5 enthält jedoch auch H<strong>in</strong>weise auf e<strong>in</strong>e im Vergleich zu Welle 1 bemerkenswerte<br />

Veränderung: <strong>in</strong> den beiden jüngeren Altersgruppen (also bei den 40- bis 69-Jährigen) ist e<strong>in</strong>e<br />

deutliche Verschiebung des Anteils von Zwei-Generationen-Haushalten h<strong>in</strong> zu E<strong>in</strong>-<br />

Generationen-Haushalten festzustellen. In der Gruppe der 40- bis 54-Jährigen nahm der Anteil<br />

der E<strong>in</strong>-Generationen-Haushalte zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 um 7,3 Prozentpunkte zu, bei den 55-<br />

bis 69-Jährigen betrug der Zuwachs 8,1 Prozentpunkte, <strong>in</strong> der ältesten Altersgruppe (70 bis 85<br />

Jahre) h<strong>in</strong>gegen ist der Anteil nahezu konstant geblieben. Besonders stark fällt der Anstieg <strong>in</strong><br />

der jüngsten Altersgruppe der 40- bis 54-Jährigen aus, <strong>in</strong> der sich der Anteil von E<strong>in</strong>personenhaushalten<br />

im Vergleich zu 1996 be<strong>in</strong>ahe verdoppelt hat.<br />

235


236<br />

Andreas Hoff<br />

Diese Veränderungen korrespondieren mit e<strong>in</strong>em starken Rückgang des Anteils von Haushalten<br />

mit K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> den beiden jüngeren Altersgruppen (40- bis 54-Jährige: m<strong>in</strong>us 5,8 Prozentpunkte;<br />

55- bis 69-Jährige: m<strong>in</strong>us 5,7 Prozentpunkte). Weniger als zwei Prozent der 40- bis 85jährigen<br />

deutschen Bevölkerung lebte 2002 <strong>in</strong> häuslicher Geme<strong>in</strong>schaft mit zwei anderen, also<br />

<strong>in</strong>sgesamt drei Generationen. Haushalte, <strong>in</strong> denen vier Generationen zusammen lebten, konnten<br />

<strong>in</strong> der zweiten Welle des Alterssurveys überhaupt nicht nachgewiesen werden.<br />

Zurückkehrend zur Ausgangsfrage dieses Kapitels nach der Identifikation von sozialem <strong>Wandel</strong><br />

stellt sich nun die Frage, ob neben den benannten Alterseffekten auch Kohorteneffekte identifiziert<br />

werden können. Tabelle 5.6 auf der folgenden Seite enthält die nach Geburtskohorten aufgeschlüsselten<br />

Ergebnisse der Querschnitte (Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe) beider Erhebungswellen.<br />

Tabelle 5.6:<br />

Haushaltsbezogene Generationen-Konstellationen nach Geburtskohorten, 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

(<strong>in</strong> Prozent)<br />

Geburtskohorten 1 Generation<br />

im HH<br />

2 Generationen<br />

im HH<br />

3 Generationen<br />

im HH<br />

Alter 1996 2002 1996 2002 1996 2002 1996 2002<br />

40-45 1951-56 1957-62 20,3 31,9 76,5 66,9 3,2 1,3<br />

46-51 1945-50 1951-56 31,7 35,9 65,4 60,4 2,9 3,7<br />

52-57 1939-44 1945-50 59,0 60,8 38,4 37,7 2,5 1,5<br />

58-63 1933-38 1939-44 73,4 82,1 24,6 16,8 2,0 1,2<br />

64-69 1927-32 1933-38 86,3 88,5 12,6 10,4 1,1 1,2<br />

70-75 1921-26 1927-32 91,3 92,2 7,4 7,2 1,3 0,6<br />

76-81 1915-20 1921-26 93,4 94,1 4,7 5,9 1,8 -<br />

N 4.637 2.977 2.948 2.068 1.593 863 96 46<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 Basisstichprobe (n= 4.828) <strong>und</strong> 2002 Replikationsstichprobe (n= 2.977), gewichtete Daten<br />

Signifikanz der Unterschiede p < 0.01.<br />

Die Altersspannen von jeweils sechs Jahren, auf denen der Kohortenvergleich beruht, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

der ersten Spalte abgetragen, <strong>in</strong> den Spalten 2 <strong>und</strong> 3 folgt die Zuweisung der entsprechenden<br />

Geburtskohorten zum Erhebungszeitpunkt der Welle 1 (Spalte 2) <strong>und</strong> der Welle 2 (Spalte 3).<br />

Die Angaben zu E<strong>in</strong>-, Zwei- <strong>und</strong> Drei-Generationen-Haushalten folgen derselben Logik. Das<br />

heißt, die Erhebungszeitpunkte 1996 <strong>und</strong> 2002 beziehen sich auf zwei unterschiedliche Geburtskohorten,<br />

die zum Interviewzeitpunkt gleich alt waren. Der Unterschied im Vergleich der<br />

beiden Erhebungszeitpunkte (z.B. 20,3 Prozent (1996) vs. 31,9 Prozent (2002) für E<strong>in</strong>-<br />

Generationen-Haushalte) kann also als Kohorteneffekt <strong>in</strong>terpretiert werden.<br />

Wie aus den Daten <strong>in</strong> Tabelle 5.6 ersichtlich wird, ist die Tendenz e<strong>in</strong>er Zunahme des Anteils<br />

von E<strong>in</strong>-Generationen- auf Kosten e<strong>in</strong>er Abnahme des Anteils von Zwei-Generationen-<br />

Haushalten auch im Kohortenvergleich festzustellen. Dabei dürfte es sich allerd<strong>in</strong>gs vorwiegend


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

um die Auswirkungen des mit dem Kohorteneffekt konf<strong>und</strong>ierten Alterseffekts handeln, nämlich<br />

die auf Folgen des Auszugs der erwachsenen K<strong>in</strong>der aus dem elterlichen Haushalt. Das<br />

betrifft vor allem die beiden jüngsten Kohorten, also die 40- bis 51-Jährigen. Neben dieser aus<br />

dem normalen Familienzyklus erklärbaren Veränderung fällt jedoch e<strong>in</strong>e weitere, deutlich ältere<br />

Geburtskohorte auf, für die e<strong>in</strong>e deutliche Veränderung konstatiert werden kann – die 58- bis<br />

63-Jährigen. Bei diesen Geburtsjahrgängen, die heute den Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand vollziehen,<br />

handelt es sich um die <strong>in</strong> der Zeit des Nationalsozialismus (1996: Geburtsjahrgänge 1933-<br />

38) bzw. während des Zweiten Weltkriegs (2002: Geburtsjahrgänge 1939-44) Geborenen.<br />

Im Ergebnis der Betrachtung der beiden Querschnitte aus Erst- <strong>und</strong> Zweiterhebung des Alterssurveys<br />

kann also festgehalten werden, dass sich die generationenbezogene Haushaltsstruktur<br />

seit 1996 deutlich verändert hat. Der zu Beg<strong>in</strong>n dieses Kapitels <strong>in</strong> Ansätzen beschriebene demografische<br />

<strong>und</strong> familiale <strong>Wandel</strong> hat hier deutliche Spuren h<strong>in</strong>terlassen.<br />

Dementsprechend wird dieser Frage im Folgenden mit Daten aus der Panelstichprobe des Alterssurveys<br />

nachgegangen. Abbildung 5.6 enthält die drei <strong>Entwicklung</strong>sverläufe für die drei<br />

Altersgruppen, jeweils für den Untersuchungszeitraum 1996-2002.<br />

Vergleicht man die drei großen Altersgruppen <strong>in</strong> Abbildung 5.6 mite<strong>in</strong>ander, so ergibt sich e<strong>in</strong><br />

völlig unterschiedliches Bild. Auf den ersten Blick haben diese wenig geme<strong>in</strong>. Sieht man jedoch<br />

genauer h<strong>in</strong>, offenbaren sie die Kont<strong>in</strong>uität bestimmter <strong>Entwicklung</strong>strends, namentlich der<br />

Verr<strong>in</strong>gerung des Anteils von Zwei-Generationen-Haushalten bei gleichzeitigem Anstieg des<br />

Anteils von E<strong>in</strong>-Generationen-Haushalten mit zunehmendem Alter. In der jüngsten Altersgruppe<br />

der 1996 40- bis 54-Jährigen (l<strong>in</strong>ke Grafik <strong>in</strong> Abbildung 5.6) fällt dieser Alterseffekt besonders<br />

auf: während 1996 lediglich e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheit <strong>in</strong> E<strong>in</strong>-Generationen- <strong>und</strong> die große Mehrheit<br />

<strong>in</strong> Zwei-Generationen-Konstellationen lebte, hat sich dieses Verhältnis <strong>in</strong>nerhalb der vergangenen<br />

sechs Jahre umgekehrt – nun lebt die knappe Mehrheit <strong>in</strong> E<strong>in</strong>-Generationen-Haushalten.<br />

H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> dieser <strong>Entwicklung</strong> ist der verstärkte Auszug erwachsener K<strong>in</strong>der aus dem Elternhaus<br />

gerade <strong>in</strong> diesem Zeitraum.<br />

Abbildung 5.6:<br />

<strong>Entwicklung</strong> haushaltsbezogener Generationen-Konstellationen, 1996-2002 (<strong>in</strong> Prozent)<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Jüngste Altersgr. 46-60 (2002)<br />

1996 2002<br />

1 Generation 2 Generationen<br />

3 Generationen<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Mittlere Altersgr. 61-75 (2002)<br />

1996 2002<br />

1 Generation 2 Generationen<br />

3 Generationen<br />

Quelle: Alterssurvey Panelstichprobe 1996 <strong>und</strong> 2002 (n= 1.515), gewichtete Daten<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Älteste Altersgr. 76-91 (2002)<br />

1996 2002<br />

1 Generation 2 Generationen<br />

3 Generationen<br />

237


238<br />

Andreas Hoff<br />

Es stellt sich die Frage, ob auch im Lebensverlauf, nachdem die Befragten um sechs Jahre gealtert<br />

s<strong>in</strong>d, deutliche Veränderungen feststellbar s<strong>in</strong>d. Diese Fragestellung erfordert e<strong>in</strong> Längsschnittdesign.<br />

Auch <strong>in</strong> der mittleren Altersgruppe der 2002 61- bis 75-Jährigen (mittlere Grafik) geht die <strong>Entwicklung</strong><br />

e<strong>in</strong>deutig <strong>in</strong> Richtung E<strong>in</strong>-Generationen-Haushalte. Fast alle 61- bis 75-Jährigen leben<br />

<strong>in</strong> E<strong>in</strong>-Generationen-Haushalten. In der ältesten Altersgruppe (2002: 76 bis 91 Jahre) hat sich<br />

der Anteil von E<strong>in</strong>-Generationen-Haushalten auf diesem hohem Niveau stabilisiert. Mit dem<br />

E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Hochaltrigkeit erhöht sich jedoch auch das Angewiesense<strong>in</strong> auf Hilfe durch Familienangehörige.<br />

In e<strong>in</strong>igen Fällen führte dies zum Zusammenzug <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Haushalt<br />

mit den erwachsenen K<strong>in</strong>dern, was sich <strong>in</strong> der – wenngleich auf niedrigem absoluten Niveau<br />

– Vervielfachung des Anteils von Drei-Generationen-Haushalten widerspiegelt. Drei-<br />

Generationen-Haushalte s<strong>in</strong>d somit unter den 76- bis 91-Jährigen zum<strong>in</strong>dest häufiger anzutreffen<br />

als Zwei-Generationen-Haushalte.<br />

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die große Mehrheit der Menschen <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Haushaltsgeme<strong>in</strong>schaft mit anderen lebt. Der demografische <strong>Wandel</strong><br />

macht sich jedoch <strong>in</strong> der Haushaltszusammensetzung bemerkbar – im Vergleich zu 1996 hat<br />

sich sowohl der Anteil von Alle<strong>in</strong>lebenden als auch der von Zweipersonenhaushalten deutlich<br />

erhöht. Mit zunehmendem Alter verr<strong>in</strong>gert sich der Anteil von Menschen, die <strong>in</strong> Zwei-<br />

Generationen-Haushalten leben zugunsten e<strong>in</strong>es ebenso deutlichen Anstiegs des Anteils von<br />

E<strong>in</strong>-Generationen-Haushalten. Neben dieser <strong>Entwicklung</strong> im Lebensverlauf zeichnet sich jedoch<br />

auch e<strong>in</strong> gr<strong>und</strong>legender <strong>Wandel</strong> der generationenbezogenen Haushaltszusammensetzung<br />

ab – künftig werden <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte E<strong>in</strong>-Generationen-Haushalte dom<strong>in</strong>ieren, der<br />

Anteil von Mehr-Generationen-Haushalten wird weiter abnehmen. Dies geht e<strong>in</strong>her mit dem<br />

Streben nach unabhängiger Lebensgestaltung bis <strong>in</strong>s hohe Lebensalter. Das deutet darauf h<strong>in</strong>,<br />

dass <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>in</strong>tergenerationale Beziehungen <strong>in</strong> Zukunft noch weniger im<br />

unmittelbaren Zusammenleben <strong>und</strong> geme<strong>in</strong>samen Wirtschaften <strong>in</strong>nerhalb desselben Haushalts<br />

stattf<strong>in</strong>den werden. Daraus ergibt sich die Frage, wie es angesichts dieses <strong>Wandel</strong>s der Formen<br />

des Zusammenlebens um die Bedeutung von <strong>in</strong>tergenerationalen Beziehungen im erweiterten<br />

Familiennetzwerk bestellt ist. Das ist Gegenstand des folgenden Unterkapitels.<br />

5.5 Die Bedeutung familialer Generationenbeziehungen<br />

Nachdem <strong>in</strong> den beiden vorangegangenen Unterkapiteln die Verbreitung von Generationen-<br />

Konstellationen e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> sich daraus ergebende Strukturen im Zusammenleben der Generationen<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> der erweiterten Familie andererseits betrachtet wurden, widmet sich das nun<br />

folgende Unterkapitel der Bedeutung von Generationenbeziehungen. In e<strong>in</strong>em ersten Abschnitt<br />

wird die subjektive E<strong>in</strong>schätzung der Familienbeziehungen durch die Befragten wiedergegeben<br />

sowie die Verbreitung des für den Zusammenhalt der Familie essentiellen Gefühls der Verb<strong>und</strong>enheit<br />

untersucht. Im weiteren Verlauf des fünften Unterkapitels wird die Kontakthäufigkeit<br />

zwischen Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dern analysiert.


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

5.5.1 Subjektive Bewertung von Familienbeziehungen<br />

Familienbeziehungen spielen e<strong>in</strong>e zentrale Rolle im Leben von Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte.<br />

Dementsprechend gaben mehr als drei Viertel der Befragten des Alterssurveys bei<br />

der Erstbefragung im Jahre 1996 an, dass sie ihre Beziehung zu ihrer Familie als gut oder sehr<br />

gut e<strong>in</strong>schätzen. Unter den Bed<strong>in</strong>gungen gesellschaftspolitischer <strong>und</strong> ökonomischer Krisenersche<strong>in</strong>ungen<br />

hat die Familie <strong>in</strong> den letzten Jahren offenbar noch an Bedeutung gewonnen. So ist<br />

die Wertschätzung der Familie im Urteil der Teilnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Teilnehmer am Alterssurvey<br />

seit 1996 gestiegen: nahezu 80 Prozent der 40- bis 69-Jährigen <strong>und</strong> sogar etwas mehr als 80<br />

Prozent der 70- bis 85-Jährigen schätzten im Jahre 2002 ihre Familienbeziehungen als sehr gut<br />

oder gut e<strong>in</strong> (vgl. Abbildung 5.7 unten) 8 . Dabei hat die positive Bewertung <strong>in</strong> allen Altersgruppen<br />

signifikant zugenommen. Die größte Wertschätzung erfahren Familienbeziehungen <strong>in</strong> der<br />

ältesten Altersgruppe des Alterssurveys. Darüber h<strong>in</strong>aus berichteten Frauen generell positiver<br />

über Familienbeziehungen – im Jahre 2002 gab es 82,1 Prozent, die sehr gute oder gute Beziehungen<br />

zur Familie angaben - gegenüber 78,4 Prozent der Männer. Dies bedeutete jedoch<br />

gleichzeitig für beide e<strong>in</strong>e Steigerung um mehr als 3 Prozent gegenüber von 1996.<br />

Abbildung 5.7:<br />

Subjektive Bewertung der Beziehung zur Familie, 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

Prozent<br />

Bewertung der Beziehung zur Familie, 1996 <strong>und</strong><br />

2002<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

76,1<br />

79,4<br />

76,9<br />

79,4<br />

82,4<br />

84,3<br />

20,7 17,1 18,6 17,2 14 12,8<br />

3,2 3,6 4,5 3,4 3,6 2,8<br />

1996 2002 1996 2002 1996 2002<br />

jüngste Altersgruppe mittlere Altersgruppe älteste Altersgruppe<br />

sehr gut + gut mittel sehr schlecht + schlecht<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 Basisstichprobe (n= 4.660) <strong>und</strong> 2002 Replikationsstichprobe (n= 2.999), gewichtete Daten<br />

Die Analyse der hier nicht graphisch dargestellten Panelstichprobe weist im Längsschnitt e<strong>in</strong>en<br />

klaren Alterseffekt nach. Der Anteil derjenigen, die ihre familialen Beziehungen als sehr gut<br />

oder gut e<strong>in</strong>schätzen, ist bei den nun sechs Jahre Älteren noch e<strong>in</strong>mal deutlich angestiegen. Diese<br />

<strong>Entwicklung</strong> lässt sich für jede e<strong>in</strong>zelne Altersgruppe nachvollziehen.<br />

8 Der Wortlaut der Frage war: „E<strong>in</strong>mal <strong>in</strong>sgesamt betrachtet, wie bewerten Sie Ihre derzeitige Beziehung zu Ihrer<br />

Familie?“ (Frage 319)<br />

239


240<br />

Andreas Hoff<br />

Diese überaus positive subjektive Bewertung der Familienbeziehungen ist auch über e<strong>in</strong>en längeren<br />

Zeitraum stabil. So berichtete die überwältigende Mehrheit der Teilnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />

Teilnehmer am Alterssurvey 2002, dass ihre Beziehung zur Familie <strong>in</strong> den letzten sechs Jahren<br />

– also seit der Ersterhebung – „gleich geblieben“ ist. Auch hier s<strong>in</strong>d die Zustimmungsraten bei<br />

den Älteren signifikant höher (40- bis 54-Jährige: 75 Prozent, 55- bis 69-Jährige: 80,6 Prozent;<br />

70- bis 85-Jährige: 85,9 Prozent; jeweils gewichtete Daten). Mehr als 90 Prozent der Menschen<br />

<strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte erwarten zudem, dass sich ihre Familienbeziehungen auch <strong>in</strong> Zukunft<br />

nicht verändern werden. Wenn man die zuvor diskutierte, überaus positive Bewertung der<br />

gegenwärtigen Familienbeziehungen zugr<strong>und</strong>e legt, dann ist das e<strong>in</strong>e sehr erfreuliche Perspektive.<br />

Mehr Bedeutung noch als der allgeme<strong>in</strong>en Bewertung der Beziehungen zur Familie wird dem<br />

Gefühl der Verb<strong>und</strong>enheit mit den am nächsten stehenden Familienangehörigen e<strong>in</strong>geräumt.<br />

Dieses Maß wurde <strong>in</strong> den wechselseitigen Beziehungen zwischen Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dern zu beiden<br />

Untersuchungszeitpunkten erhoben. Der Tatbestand, dass die Wahrnehmung großer Verb<strong>und</strong>enheit<br />

<strong>in</strong>nerhalb der Familie für Erhalt bzw. Leistung von sozialer Unterstützung förderlich ist,<br />

wurde <strong>in</strong> der Vergangenheit vielfach empirisch nachgewiesen. Dabei sehen Eltern ihre Beziehung<br />

zu ihren K<strong>in</strong>dern oft als enger an als diese im umgekehrten Verhältnis (Bengtson & Kuypers,<br />

1971; Giarusso et al., 1995; Kohli et al., 2000). Im Alterssurvey wurden die Befragten<br />

gebeten, ihre derzeitige Beziehung zu ihren K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> zu ihren Eltern andererseits<br />

zu bewerten. Dazu wurde ihnen als Antwortmöglichkeiten e<strong>in</strong>e 5er-Skala mit den Ausprägungen<br />

„Sehr eng“, „Eng“, „Mittel“, „Weniger eng“ <strong>und</strong> „Überhaupt nicht eng“ vorgelegt.<br />

Auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser Alterssurvey-Daten ist von e<strong>in</strong>er Krise der Familienbeziehungen<br />

nichts zu spüren: knapp 95 Prozent der Befragten berichten e<strong>in</strong> „sehr enges“ oder „enges“ Verhältnis<br />

zu ihren K<strong>in</strong>dern, mehr als zwei Drittel sogar e<strong>in</strong> „sehr enges“. Das gilt für alle Altersgruppen<br />

<strong>und</strong> Geburtskohorten ebenso wie für alte <strong>und</strong> neue B<strong>und</strong>esländer. Im Kohortenvergleich<br />

hat sich daran ebenso wenig geändert wie <strong>in</strong> der Längsschnittbetrachtung. Frauen berichteten<br />

e<strong>in</strong> noch größeres Gefühl der Verb<strong>und</strong>enheit als Männer – wenngleich auch mehr als 90<br />

Prozent der Männer angaben, sich „sehr eng“ oder „eng“ mit ihren K<strong>in</strong>dern verb<strong>und</strong>en zu fühlen.<br />

Umgekehrt zeichnen sich auch die Beziehungen der Befragten zu ihren Eltern durch hohe<br />

Verb<strong>und</strong>enheitswerte aus, wenngleich nicht auf ganz so hohem Niveau wie zu den K<strong>in</strong>dern.<br />

„Sehr enge“ oder „enge“ Beziehungen zu ihren Eltern berichteten etwa drei Viertel der Befragten.<br />

In e<strong>in</strong>em ersten Zwischenfazit kann festgehalten werden, dass die übergroße Mehrheit der Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehungen<br />

<strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte durch e<strong>in</strong> Gefühl enger oder sogar sehr<br />

enger Verb<strong>und</strong>enheit charakterisiert werden. Daran hat sich auch <strong>in</strong> den vergangenen sechs<br />

Jahren nichts geändert. Der von Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte wahrgenommene Zusammenhalt<br />

<strong>in</strong>nerhalb von Familien wird also durch e<strong>in</strong> hohes Maß an Stabilität <strong>und</strong> Kont<strong>in</strong>uität<br />

gekennzeichnet.


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

5.5.2 Kontakthäufigkeit<br />

E<strong>in</strong> weiteres Maß für die Bedeutung von Familie ist die Kontakthäufigkeit zwischen ihren Mitgliedern.<br />

Es ist sicherlich unbestritten, dass es e<strong>in</strong>en Zusammenhang zwischen Wohnentfernung<br />

<strong>und</strong> Kontakthäufigkeit gibt. Allerd<strong>in</strong>gs haben moderne Kommunikationsmedien dazu beigetragen,<br />

dass wechselseitige Kommunikation nicht länger an die physische Präsenz beider Interaktionspartner/Interaktionspartner<strong>in</strong>nen<br />

geknüpft ist. Anders sieht es h<strong>in</strong>gegen bei der Leistung<br />

von sozialer Unterstützung aus. Während kognitive, emotionale <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung<br />

bis zu e<strong>in</strong>em gewissen Grad auch ohne physische Präsenz des Hilfeleistenden erfolgen kann,<br />

trifft dies für <strong>in</strong>strumentelle Unterstützung nicht zu. Im Folgenden wird die Kontakthäufigkeit<br />

der befragten Eltern zu ihren K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>erseits bzw. zu ihren Eltern andererseits untersucht.<br />

Nachstehende Tabelle 5.7 gibt e<strong>in</strong>en Überblick über die Kontakthäufigkeit der Befragten zu<br />

demjenigen ihrer K<strong>in</strong>der, mit dem sie am häufigsten kommunizieren.<br />

Tabelle 5.7:<br />

Kontakthäufigkeit zu K<strong>in</strong>dern nach Altersgruppen, 1996 <strong>und</strong> 2002 (<strong>in</strong> Prozent)<br />

40-54 55-69 70-85 40-85<br />

1996 2002 1996 2002 1996 2002 1996 2002<br />

Täglich 74,3 72,8 50,6 41,8 47,7 42,3 59,5 52,4<br />

M<strong>in</strong>destens wöchentlich 19,6 20,3 37,4 48,2 40,5 46,1 30,9 38,2<br />

Weniger häufig 5,5 5,5 11,3 8,7 10,8 11,1 9,6 6,3<br />

Nie 0,7 1,5 0,8 1,2 1,1 0,3 0,8 1,1<br />

N 1.215 694 1.539 913 1.144 873 3.898 2.480<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 Basisstichprobe (n= 3.898) <strong>und</strong> 2002 Replikationsstichprobe (n= 2.480), gewichtete Daten<br />

Signifikanz der Unterschiede: p < .05.<br />

Insgesamt betrachtet, hat mehr als die Hälfte der Teilnehmer/Teilnehmer<strong>in</strong>nen am Alterssurvey<br />

täglich Kontakt zu m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>em ihrer K<strong>in</strong>der (vgl. rechte Spalte <strong>in</strong> Tabelle 5.7). Etwa 90<br />

Prozent stehen m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal pro Woche mit e<strong>in</strong>em ihrer K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung. Zwischen<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 gab es jedoch e<strong>in</strong>en deutlichen Rückgang der maximalen Kontakthäufigkeit –<br />

der Anteil von m<strong>in</strong>destens täglichen Interaktionen hat sich von knapp 60 auf wenig mehr als 50<br />

Prozent reduziert, zugleich nahm der Anteil der zweithäufigsten Kategorie („mehrmals wöchentlich“)<br />

ebenso deutlich zu. Es sei an dieser Stelle noch e<strong>in</strong>mal das Ergebnis tendenziell<br />

zunehmender Wohnentfernungen (vgl. Unterkapitel 5.4.1.) <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung gerufen. Im Vergleich<br />

zu 1996 hat sich die Wohnentfernung zum nächstwohnenden K<strong>in</strong>d erhöht – dementsprechend<br />

hat auch die Kontakthäufigkeit abgenommen. E<strong>in</strong>e nach Altersgruppen differenzierte Betrachtung<br />

offenbart, dass diese <strong>in</strong> Anbetracht des kurzen Zeitraums von sechs Jahren erstaunlich klare<br />

Veränderung ihren Ausgangspunkt <strong>in</strong> der mittleren <strong>und</strong> älteren Altersgruppe, also bei den 55-<br />

bis 85-Jährigen, hat. In diesen Familien leben die K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> der Regel nicht mehr im elterlichen<br />

Haushalt.<br />

Mit Hilfe e<strong>in</strong>es Kohortenvergleichs lässt sich diese Gruppe genauer e<strong>in</strong>grenzen: Demzufolge<br />

s<strong>in</strong>d von dieser <strong>Entwicklung</strong> vor allem die 52- bis 63-Jährigen betroffen, also die Menschen, die<br />

241


242<br />

Andreas Hoff<br />

sich kurz vor dem oder bereits im Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand bef<strong>in</strong>den. Während <strong>in</strong> der Geburtskohorte<br />

1945-50 54 Prozent täglich Kontakt zu ihren K<strong>in</strong>dern haben, s<strong>in</strong>d das bei den<br />

1939-44 Geborenen sogar nur 38 Prozent. Danach – bei den noch früher geborenen Jahrgängen<br />

– steigt der Anteil täglicher Kontakte wieder leicht auf über 40 Prozent an. Bisher ist die Familienforschung<br />

davon ausgegangen, dass am Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand e<strong>in</strong>e Rückbes<strong>in</strong>nung auf<br />

die Familie <strong>und</strong> auf andere Netzwerkaktivitäten stattf<strong>in</strong>det. Stellt dieser Bef<strong>und</strong> die Rückbes<strong>in</strong>nungsthese<br />

<strong>in</strong> Frage? Könnte es sich hier um die Vorboten langfristigen sozialen <strong>Wandel</strong>s handeln?<br />

Es wäre denkbar, dass gerade die Angehörigen der sogenannten „Sandwich-Generation“<br />

(Hörl & Kytir, 1998) angesichts der wachsenden Belastungen bei der Vere<strong>in</strong>barung von Familie<br />

<strong>und</strong> Beruf weniger Zeit für ihre Eltern haben. Auch die zunehmende Wohnentfernung könnte<br />

ihre Ursache dar<strong>in</strong> haben. Umgekehrt wäre jedoch genauso gut denkbar, dass die „aktiven Alten“<br />

weniger Zeit für ihre K<strong>in</strong>der haben. Dies sollte <strong>in</strong> zukünftigen vertiefenden Analysen genauer<br />

untersucht werden.<br />

Angesichts dieser deutlichen Veränderungen kommt der Längsschnittperspektive <strong>in</strong> dieser Frage<br />

besondere Bedeutung zu. Gibt es auch auf der <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Ebene mit zunehmendem Alter<br />

starke Veränderungen? Besonderes Augenmerk gilt angesichts des obigen Ergebnisses der mittleren<br />

Altersgruppe – <strong>und</strong> hierbei <strong>in</strong>sbesondere den Kohorten, die seit 1996 den Übergang <strong>in</strong> den<br />

Ruhestand vollzogen haben. Die nachstehende Abbildung 5.8 fasst die diesbezüglichen <strong>Entwicklung</strong>sverläufe<br />

zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 zusammen.<br />

Abbildung 5.8:<br />

<strong>Entwicklung</strong> der Kontakthäufigkeit zu den K<strong>in</strong>dern nach Altersgruppen, 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

(<strong>in</strong> Prozent)<br />

Prozent<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

jüngste Altersgruppe<br />

(2002: 46-60)<br />

1996 2002<br />

täglich<br />

m<strong>in</strong>destens w öchentlich<br />

w eniger häufig<br />

nie<br />

Prozent<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

mittlere Altersgruppe<br />

(2002: 61-75)<br />

1996 2002<br />

täglich<br />

m<strong>in</strong>destens w öchentlich<br />

w eniger häufig<br />

Quelle: Alterssurvey Panelstichprobe 1996 <strong>und</strong> 2002 (n= 1.180), gewichtete Daten<br />

nie<br />

Prozent<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

älteste Altersgruppe<br />

(2002: 76-91)<br />

1996 2002<br />

täglich<br />

m<strong>in</strong>destens w öchentlich<br />

w eniger häufig<br />

Diese Abbildung 5.8 erbr<strong>in</strong>gt den Nachweis e<strong>in</strong>er klaren Abnahme der Kontakthäufigkeit zwischen<br />

Eltern <strong>und</strong> ihren erwachsenen K<strong>in</strong>dern. Ob es sich hierbei auch um e<strong>in</strong>en Alterseffekt<br />

handelt, kann nicht e<strong>in</strong>deutig beantwortet werden. Möglich wäre auch e<strong>in</strong> Periodeneffekt, der<br />

alle gleichermaßen betrifft. Für alle drei Altersgruppen kann im Verlauf der letzten sechs Jahre<br />

e<strong>in</strong> deutlicher Rückgang täglicher Kontakte bei paralleler Zunahme e<strong>in</strong>- bis mehrmaliger Inter-<br />

nie


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

aktionen pro Woche konstatiert werden. Dasselbe gilt auch im Vergleich zwischen der jüngsten<br />

<strong>und</strong> den beiden älteren Altersgruppen. Überraschenderweise gibt es jedoch e<strong>in</strong>e sehr große Ähnlichkeit<br />

der Verläufe <strong>in</strong> den beiden älteren Altersgruppen.<br />

Im Folgenden wenden wir uns nun der umgekehrten Seite der Beziehungsrolle der Befragten zu:<br />

der Häufigkeit ihrer Kontakte zu den eigenen Eltern. Tabelle 5.8 enthält den Altersgruppenvergleich<br />

der Kontakthäufigkeit zu den Eltern. Hat es hier ähnlich starke Veränderungen seit 1996<br />

gegeben wie <strong>in</strong> der Beziehung zu den erwachsenen K<strong>in</strong>dern?<br />

Zunächst fällt auf, dass Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte gr<strong>und</strong>sätzlich weniger häufig<br />

Kontakt zu ihren Eltern als zu ihren K<strong>in</strong>dern haben. Waren <strong>in</strong> der Interaktion mit K<strong>in</strong>dern tägliche<br />

Kontakte mit zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d die Regel, so dom<strong>in</strong>ieren im Verhältnis zu den Eltern<br />

e<strong>in</strong>- oder mehrmalige Kontakte pro Woche. Verglichen mit der Kontakthäufigkeit zu K<strong>in</strong>dern<br />

fällt auch der Anteil von e<strong>in</strong>em knappen Fünftel, der zu se<strong>in</strong>en Eltern weniger häufig als wöchentlich<br />

Kontakt hat, auf.<br />

Der Querschnittsvergleich zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 zeigt <strong>in</strong> der Beziehung zu den Eltern mehr<br />

Stabilität als <strong>in</strong> dem zu K<strong>in</strong>dern. Allerd<strong>in</strong>gs gab es auch hier spürbare Veränderungen, vor allem<br />

<strong>in</strong> der Gruppe der 40- bis 54-jährigen Befragten: so ist <strong>in</strong> dieser Gruppe der Anteil täglicher<br />

Kontakte seit 1996 weiter zugunsten wöchentlicher Interaktionen zurückgegangen. In der mittleren<br />

Altersgruppe der 55- bis 69-Jährigen h<strong>in</strong>gegen nahm die Kontakthäufigkeit zu. In dieser<br />

Altersgruppe machen Gebrechlichkeit oder gar Pflegebedürftigkeit e<strong>in</strong> höheres Maß an Aufmerksamkeit<br />

erforderlich. Auch 2002 gab es <strong>in</strong> der ältesten Altersgruppe der 70- bis 85-Jährigen<br />

immerh<strong>in</strong> noch 10 Personen, die angaben, dass wenigstens e<strong>in</strong> Elternteil noch am Leben sei.<br />

Angesichts der ger<strong>in</strong>gen Fallzahl wurde jedoch auf e<strong>in</strong>e Auszählung <strong>und</strong> Interpretation der Ergebnisse<br />

verzichtet.<br />

Tabelle 5.8:<br />

Kontakthäufigkeit zu den Eltern nach Altersgruppen, 1996 <strong>und</strong> 2002 (<strong>in</strong> Prozent)<br />

40-54 55-69 70-85 40-85<br />

1996 2002 1996 2002 1996 2002 1996 2002<br />

Täglich 26,9 21,8 34,6 34,5 / / 28,5 24,4<br />

M<strong>in</strong>destens wöchentlich 49,3 56,8 44,3 48,2 / / 48,2 55,0<br />

Weniger häufig 21,9 19,4 20,4 15,9 / / 21,6 18,7<br />

Nie 1,9 1,9 0,8 1,4 / / 1,6 1,8<br />

N 1.173 804 385 200 14 10 1.572 1.014<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 Basisstichprobe (n= 1.572) <strong>und</strong> 2002 Replikationsstichprobe (n= 1.014), gewichtete Daten<br />

Signifikanz der Unterschiede: p < .05.<br />

Abschließend erfolgt e<strong>in</strong> Blick auf die <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n <strong>Entwicklung</strong>sverläufe für die beiden jüngeren<br />

Altersgruppen auf Basis der Panelstichprobe. Diese s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der nachfolgenden Abbildung<br />

5.9 dargestellt.<br />

243


Abbildung 5.9:<br />

<strong>Entwicklung</strong> der Kontakthäufigkeit zu den Eltern nach Altersgruppen, 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

(<strong>in</strong> Prozent)<br />

Prozent<br />

244<br />

Jüngste Altersgruppe (2002: 46-60)<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

1996 2002<br />

täglich m<strong>in</strong>d estens wö chentlich<br />

wenig er häuf ig nie<br />

Prozent<br />

Mittlere Altersgruppe (2002: 61-75)<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

1996 2002<br />

täglich m<strong>in</strong>d estens wö chentlich<br />

wenig er häuf ig nie<br />

Quelle: Alterssurvey Panelstichprobe 1996 <strong>und</strong> 2002 (n= 417), gewichtete Daten<br />

Andreas Hoff<br />

Dabei unterscheiden sich die <strong>Entwicklung</strong>sverläufe zwischen beiden Altersgruppen wiederum<br />

gr<strong>und</strong>legend. Für Angehörige der jüngeren Altersgruppe des Alterssurveys kann relative Stabilität<br />

festgestellt werden. Während der Anteil täglicher Kontakte unverändert bei mehr als e<strong>in</strong>em<br />

Viertel lag, ist der Anteil seltenerer Interaktionen zugunsten wöchentlicher Kontakte zurückgegangen.<br />

Für die 2002 46- bis 60-Jährigen kann also <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong>e eher zunehmende Kontakthäufigkeit<br />

zu den Eltern festgestellt werden (vgl. die l<strong>in</strong>ke Grafik <strong>in</strong> Abbildung 5.9). Im Gegensatz<br />

dazu geht der für die 2002 61- bis 75-Jährigen ebenfalls konstatierte Anstieg wöchentlicher<br />

Interaktionen primär zu Lasten täglicher Kontakte (rechte Abbildung).<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Kontakthäufigkeit seit 1996 <strong>in</strong>sgesamt<br />

leicht verr<strong>in</strong>gert hat. Dies gilt sowohl im Kohorten- als auch im Längsschnittvergleich. Der<br />

Anteil täglicher Interaktionen hat sich verr<strong>in</strong>gert, während der Anteil e<strong>in</strong>- oder mehrmaliger<br />

Kontakte pro Woche zugenommen hat. Bei diesem Bef<strong>und</strong> könnte es sich zum e<strong>in</strong>en um e<strong>in</strong><br />

Indiz für größere wechselseitige Unabhängigkeit als Konsequenz fortgesetzter Individualisierungstendenzen<br />

<strong>in</strong> unserer Gesellschaft handeln. Es könnte sich jedoch auch um erste Anzeichen<br />

e<strong>in</strong>er beg<strong>in</strong>nenden Überlastung <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Akteure, die sich im Alltag zwischen Familie<br />

<strong>und</strong> Beruf aufreiben, handeln. Es sollte die Aufgabe vertiefender Analysen se<strong>in</strong>, dies näher zu<br />

ergründen.<br />

Zum Abschluss dieses Unterkapitels kann festgehalten werden, dass die Menschen <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte ihren Beziehungen zu anderen Familienmitgliedern große Bedeutung beimessen.<br />

Das kommt sowohl <strong>in</strong> dem ausgeprägten Gefühl der Verb<strong>und</strong>enheit zwischen Eltern <strong>und</strong><br />

K<strong>in</strong>dern als auch <strong>in</strong> der subjektiven E<strong>in</strong>schätzung der vergangenen, gegenwärtigen <strong>und</strong> zukünftigen<br />

Familienbeziehungen zum Ausdruck. Im Widerspruch dazu stehen allerd<strong>in</strong>gs die tendenziell<br />

zunehmende Wohnentfernung <strong>und</strong> die tendenziell abnehmende Kontakthäufigkeit.


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

5.6 Intergenerationale Unterstützung<br />

Im Zuge der öffentlichen Diskussion um den demografischen <strong>Wandel</strong> wird immer wieder die<br />

Sorge geäußert, dass die abnehmende K<strong>in</strong>derzahl <strong>in</strong> deutschen Familien bei gleichzeitiger Zunahme<br />

der Anzahl hochaltriger Personen <strong>in</strong> Zukunft zu e<strong>in</strong>er Überlastung familialer Unterstützungsnetzwerke<br />

führen wird. Das gängige Altersbild, welches dar<strong>in</strong> implizit zum Ausdruck<br />

kommt, ist das der hilfebedürftigen Alten, die auf Unterstützung ihrer K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> anderer Familienangehöriger<br />

angewiesen s<strong>in</strong>d. Dieses Image weist älteren Menschen e<strong>in</strong>e passive Rolle als<br />

Empfänger von Unterstützung zu. Nachdem sie im Verlauf ihres Lebens Unterstützung gegeben<br />

haben, s<strong>in</strong>d sie nun <strong>in</strong> der Rolle des Unterstützungsempfängers angelangt. Im Gegensatz zu<br />

dieser pauschalen Annahme mehren sich die H<strong>in</strong>weise aus der Forschung, dass gerade die Älteren<br />

ganz entscheidende Hilfen für die Jüngeren bereitstellen, etwa durch Betreuung ihrer Enkel<br />

– <strong>und</strong> nicht zuletzt durch die Gewährung f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung helfen, deren Lebensstandard<br />

zu verbessern bzw. aufrechtzuerhalten. Die Untersuchung dieser <strong>in</strong>tergenerationalen Transferströme<br />

hatte <strong>in</strong> den Auswertungen der ersten Welle des Alterssurveys e<strong>in</strong>en prom<strong>in</strong>enten<br />

Stellenwert. Die Ergebnisse s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong> zahlreichen Publikationen veröffentlicht worden<br />

(z. B. Kohli et al., 2000; Künem<strong>und</strong> & Hollste<strong>in</strong>, 2000; Motel & Szydlik, 1999; Motel-<br />

Kl<strong>in</strong>gebiel, 2000). Wie gezeigt werden konnte, leisten ältere Menschen noch bis <strong>in</strong>s hohe Alter<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> soziale Unterstützung. Die Ausweitung der Datenbasis um e<strong>in</strong>e zweite Welle bietet erweiterte<br />

Möglichkeiten zur Beschreibung des Austauschs von sozialer Unterstützung.<br />

Gegenstand dieses Unterkapitels ist zunächst e<strong>in</strong>e umfassende Bestandsaufnahme von Leistung<br />

<strong>und</strong> Erhalt sozialer Unterstützung 9 . Während im Mittelpunkt des ersten Abschnitts die Erfassung<br />

tatsächlich geleisteter bzw. empfangener <strong>in</strong>formeller Hilfen steht, konzentriert sich der nachfolgende<br />

zweite Abschnitt auf das verfügbare personelle Unterstützungspotenzial. Zentral ist <strong>in</strong><br />

beiden Abschnitten wiederum die Identifikation von Alterseffekten <strong>und</strong> die Frage, <strong>in</strong>wieweit<br />

Veränderungen <strong>in</strong> diesem Bereich als Indikatoren sozialen <strong>Wandel</strong>s <strong>in</strong>terpretiert werden können.<br />

5.6.1 Leistung <strong>und</strong> Erhalt von sozialer Unterstützung<br />

Wie bereits gezeigt wurde, gibt es e<strong>in</strong>en Trend der Abnahme der Anzahl sozialer Kontakte mit<br />

zunehmendem Alter. Daraus auch e<strong>in</strong>e l<strong>in</strong>eare Abnahme des Empfangs <strong>und</strong> der Bereitstellung<br />

<strong>in</strong>formeller Unterstützung zu schlussfolgern, wäre allerd<strong>in</strong>gs voreilig. Künem<strong>und</strong> & Hollste<strong>in</strong><br />

(2000: 242ff.) konstatieren unterschiedliche Verläufe nach Unterstützungstyp <strong>und</strong> Geschlecht.<br />

Es gibt e<strong>in</strong>e Reihe e<strong>in</strong>flussreicher Typologien von Unterstützungsarten (beispielsweise Pearson,<br />

1990; Cutrona & Suhr, 1994). Diewald (1991) unterscheidet 16 Formen sozialer Unterstützung,<br />

differenziert nach den drei Dimensionen „konkrete Interaktion“, „Anerkennung“ <strong>und</strong> „emotionaler<br />

Unterstützung“ (Diewald, 1991).<br />

9 Im Verlauf dieses Kapitels werden die Begriffe „soziale Unterstützung“ <strong>und</strong> „<strong>in</strong>formelle Unterstützung“ synonym<br />

gebraucht.<br />

245


246<br />

Andreas Hoff<br />

Die folgende Analyse <strong>in</strong>strumenteller Unterstützungsformen berücksichtigt alle<strong>in</strong> konkrete Interaktionsformen:<br />

(a) kognitive, (b) emotionale, (c) <strong>in</strong>strumentelle <strong>und</strong> (d) f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung<br />

(Künem<strong>und</strong> & Hollste<strong>in</strong>, 2000; Kohli et al., 2000).<br />

Unterstützungsleistung <strong>und</strong> Unterstützungserhalt wurden im Alterssurvey folgendermaßen operationalisiert.<br />

Für jeden e<strong>in</strong>zelnen Unterstützungstyp (kognitiv, emotional, <strong>in</strong>strumentell, f<strong>in</strong>anziell)<br />

wurde zunächst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten Schritt die erwartete Verfügbarkeit, also das Unterstützungspotential,<br />

erfragt. Dies geschah aufgr<strong>und</strong> der folgenden Frage (Beispiel für Erfassung<br />

kognitiver Unterstützung, Frage 700): „Wenn Sie wichtige persönliche Entscheidungen zu treffen<br />

haben: Hätten Sie da jemanden, den Sie um Rat fragen können?“ E<strong>in</strong>e analoge Filterfrage<br />

gab es auch für alle anderen Unterstützungstypen. Emotionale Unterstützung wurde durch folgende<br />

Frage erfasst: „An wen könnten Sie sich wenden, wenn Sie e<strong>in</strong>mal Trost oder Aufmunterung<br />

brauchen, z.B. wenn Sie traurig s<strong>in</strong>d.“ E<strong>in</strong>e Besonderheit betrifft die Abfrage <strong>in</strong>strumenteller<br />

Unterstützung, die mittels „Arbeiten im Haushalt, z.B. beim Saubermachen, bei kle<strong>in</strong>en Reparaturen<br />

oder beim E<strong>in</strong>kaufen“ operationalisiert wurde: Hier wurden nur Personen berücksichtigt,<br />

die nicht im selben Haushalt leben. F<strong>in</strong>anzielle Unterstützung wurde mit Hilfe der Frage<br />

nach „Geldgeschenken, größeren Sachgeschenken oder regelmäßiger f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung“<br />

abgefragt. Tatsächliche Inanspruchnahme oder Leistung von Hilfen wurde mit Hilfe der<br />

Frage nach der Unterstützungshäufigkeit <strong>in</strong> den letzten 12 Monaten gemessen (für e<strong>in</strong>e<br />

detaillierte Darstellung für die Auswahl dieser Erhebungs<strong>in</strong>strumente vgl. Künem<strong>und</strong> &<br />

Hollste<strong>in</strong>, 2000).<br />

In der folgenden Darstellung geht es nicht um die erwartete Verfügbarkeit <strong>in</strong>formeller Unterstützung,<br />

sondern um das härtere Kriterium der tatsächlichen Inanspruchnahme <strong>in</strong>nerhalb der<br />

vergangenen 12 Monate. Diese wird <strong>in</strong> Abbildung 5.10 auf der nächsten Seite der im gleichen<br />

Zeitraum geleisteten sozialen Unterstützung gegenübergestellt, um die Doppelrolle von Menschen<br />

<strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte als Empfänger/Empfänger<strong>in</strong> von Unterstützung <strong>und</strong> als Unterstützungsleistende/Unterstützungsleistender<br />

von Anfang an im Zusammenhang betrachten zu<br />

können. Die Betrachtung beider Seiten ist wichtig, um der realen Lebenssituation älterer Menschen<br />

<strong>und</strong> ihrer E<strong>in</strong>bettung <strong>in</strong> soziale Netzwerke gerecht zu werden. Obwohl <strong>in</strong> familialen Netzen<br />

Unterstützung primär aufgr<strong>und</strong> des Bedürftigkeitspr<strong>in</strong>zips <strong>und</strong> nicht <strong>in</strong> Erwartung von Gegenleistungen<br />

(Reziprozitätspr<strong>in</strong>zip) bereitgestellt wird, so ist dennoch unbestritten, dass die<br />

Fähigkeit zur Reziprozität e<strong>in</strong>e wichtige Quelle von Selbstwertgefühl für die Empfänger sozialer<br />

Unterstützung <strong>und</strong> damit nicht zuletzt Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Unterstützung<br />

ist.<br />

In Abbildung 5.10 wurden Angaben von all jenen berücksichtigt, die angaben, überhaupt Zugang<br />

zu den genannten Unterstützungstypen zu haben. Dies ist ke<strong>in</strong>eswegs selbstverständlich.<br />

So verfügte zu beiden Erhebungszeitpunkten ca. e<strong>in</strong> Zehntel der Befragten über ke<strong>in</strong>e Personen,<br />

die ihnen kognitive Unterstützung im S<strong>in</strong>ne von Rat <strong>und</strong> Entscheidungshilfe oder emotionale<br />

Unterstützung im S<strong>in</strong>ne von Trost <strong>und</strong> Zuwendung leisten könnten. Dabei handelt es sich nicht<br />

um Personen, die <strong>in</strong> den letzten 12 Monaten ke<strong>in</strong>e solche Hilfen benötigt haben, sondern um<br />

Menschen, denen diese Unterstützungsformen nach eigener E<strong>in</strong>schätzung auch im Bedarfsfall<br />

nicht zur Verfügung stehen. Jeder zehnte Mensch <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte muss also <strong>in</strong> Krisensituationen<br />

ohne kognitive <strong>und</strong> emotionale Unterstützung auskommen. Im Folgenden liegt


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

der Schwerpunkt der Darstellung jedoch zunächst auf Leistung <strong>und</strong> Erhalt von <strong>in</strong>formeller Unterstützung.<br />

Abbildung 5.10 gibt diesbezüglich e<strong>in</strong>en ersten Überblick.<br />

Von denjenigen Personen, die überhaupt von Zugang zu emotionaler <strong>und</strong> kognitiver Unterstützung<br />

berichtet hatten, hatten mehr als drei Viertel <strong>in</strong> den vorangegangenen 12 Monaten beide<br />

Unterstützungstypen sowohl empfangen als auch selbst geleistet. Beim Vergleich von geleisteter<br />

(l<strong>in</strong>ke Grafik) <strong>und</strong> erhaltener (rechte Grafik) Unterstützung fällt auf, dass Menschen <strong>in</strong> der<br />

zweiten Lebenshälfte bei allen Unterstützungstypen mehr Unterstützung an andere leisten als sie<br />

selbst <strong>in</strong> Anspruch nehmen. Dies gilt für kognitive, emotionale, <strong>in</strong>strumentelle <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzielle<br />

Unterstützung. Besonders groß ist diese Diskrepanz h<strong>in</strong>sichtlich f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung –<br />

hier greifen ältere Menschen anderen mehr als viermal so häufig unter die Arme als sie selbst<br />

f<strong>in</strong>anzielle Hilfe <strong>in</strong> Anspruch nehmen. So gaben im Jahre 2002 31,3 Prozent der Befragten an,<br />

andere f<strong>in</strong>anziell unterstützt zu haben während gerade e<strong>in</strong>mal 7,5 Prozent selbst <strong>in</strong>formelle<br />

Geldleistungen <strong>in</strong> Empfang genommen hatten. Aber auch der Anteil derer, die <strong>in</strong> den letzten 12<br />

Monaten emotionale Unterstützung geleistet haben, ist mit 83,9 Prozent (2002) um mehr als 10<br />

Prozent höher als der derjenigen, die im selben Zeitraum selbst getröstet werden mussten.<br />

Abbildung 5.10:<br />

Geleistete vs. erhaltene <strong>in</strong>formelle Unterstützung <strong>in</strong> den letzten 12 Monaten, 1996 u. 2002<br />

(<strong>in</strong> Prozent)<br />

kognitiv<br />

emotional<br />

<strong>in</strong>strumentell<br />

f<strong>in</strong>anziell<br />

Geleistete soziale Unterstützung<br />

29,6<br />

31<br />

34,3<br />

31,3<br />

87,7<br />

84,7<br />

84,2<br />

83,9<br />

0 20 40 60 80 100<br />

2002 1996<br />

100<br />

84,7<br />

81,9<br />

75,2<br />

73,4<br />

80<br />

Erhaltene soziale Unterstützung<br />

60<br />

30,6<br />

40<br />

2002 1996<br />

25<br />

20<br />

8,4<br />

7,5<br />

0<br />

kognitiv<br />

emotional<br />

<strong>in</strong>strumentell<br />

f<strong>in</strong>anziell<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 Basisstichprobe (n= 4.838) <strong>und</strong> 2002 Replikationsstichprobe (n= 3.084), gewichtete Daten<br />

Bei <strong>in</strong>strumenteller Unterstützung fällt der positive Saldo von geleisteter vs. erhaltener Unterstützung<br />

mit 4,6 Prozent etwas ger<strong>in</strong>ger, aber immer noch deutlich aus. Am ausgeglichensten ist<br />

das Verhältnis bei kognitiver Unterstützung – hier beträgt der Unterschied nur knapp 3 Prozent.<br />

Auch im Vergleich der beiden Untersuchungszeitpunkte 1996 <strong>und</strong> 2002 unterscheiden sich Unterstützungsleistung<br />

<strong>und</strong> Unterstützungserhalt signifikant vone<strong>in</strong>ander. Dabei fällt auf, dass sich<br />

der Umfang geleisteter Unterstützung kaum verändert hat. Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

leisteten 2002 genauso viel Unterstützung wie sechs Jahre zuvor, mit Ausnahme von <strong>in</strong>strumenteller<br />

Unterstützung. Im Gegensatz dazu hat sich das schon 1996 bestehende Ungleichgewicht<br />

zwischen Leistung <strong>und</strong> Erhalt von sozialer Unterstützung (vgl. auch Kohli et al., 2000)<br />

247


248<br />

Andreas Hoff<br />

seitdem sogar noch verschärft: Menschen im Alter zwischen 40 <strong>und</strong> 85 Jahren erhielten 2002 <strong>in</strong><br />

allen Unterstützungsarten weniger Hilfe als noch Mitte der 1990er Jahre.<br />

Am deutlichsten fällt dieser Rückgang bei <strong>in</strong>strumenteller Unterstützung (m<strong>in</strong>us 5,6 Prozent)<br />

aus. Nur ger<strong>in</strong>gfügig verändert hat sich der Umfang <strong>in</strong>formeller f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung, wobei<br />

hier allerd<strong>in</strong>gs auch schon 1996 gerade e<strong>in</strong>mal 8,4 Prozent der Befragten angaben, überhaupt<br />

f<strong>in</strong>anzielle Hilfen erhalten zu haben.<br />

E<strong>in</strong>e differenziertere Analyse versucht, diesen Indikatoren e<strong>in</strong>es möglicherweise bereits jetzt<br />

erkennbaren sozialen <strong>Wandel</strong>s aufzuspüren. Den Anfang macht dabei wiederum e<strong>in</strong>e nach Altersgruppen<br />

differenzierte Betrachtung der e<strong>in</strong>zelnen Unterstützungstypen auf Gr<strong>und</strong>lage der<br />

Querschnittsdaten von Basisstichprobe 1996 <strong>und</strong> Replikationsstichprobe 2002. E<strong>in</strong> zentraler<br />

Aspekt der gewählten Darstellungsform ist die Gegenüberstellung von Unterstützungsleistung<br />

<strong>und</strong> Unterstützungserhalt, also von „Geben <strong>und</strong> Nehmen“.<br />

Abbildung 5.11:<br />

Geleistete vs. erhaltene <strong>in</strong>formelle Unterstützung <strong>in</strong> den letzten 12 Monaten nach<br />

Altersgruppen, 1996 u. 2002 (<strong>in</strong> Prozent)<br />

40 - 54<br />

55 - 69<br />

70 - 85<br />

40 - 54<br />

55 - 69<br />

70 - 85<br />

Geleistet<br />

(1) Kognitiv (2) Emotional<br />

83,3<br />

80,2<br />

74,6<br />

91,5<br />

91<br />

86,8<br />

0 20 40 60 80 100<br />

18,1<br />

15,6<br />

2002 1996<br />

Geleistet<br />

41,8<br />

37,3<br />

32,8<br />

29,1<br />

0 20 40 60 80 100<br />

2002 1996<br />

100<br />

88<br />

84,9<br />

82,5<br />

80,2<br />

80,2<br />

78,5<br />

80<br />

60<br />

Erhalten<br />

40<br />

2002 1996<br />

20<br />

0<br />

40 - 54<br />

55 - 69<br />

70 - 85<br />

40 - 54<br />

55 - 69<br />

70 - 85<br />

Geleistet<br />

79<br />

82,2<br />

74,2<br />

87,8<br />

83,4<br />

89,3<br />

0 20 40 60 80 100<br />

2002 1996<br />

(3) Instrumentell (4) F<strong>in</strong>anziell<br />

100<br />

80<br />

60<br />

Erhalten<br />

41,3<br />

36,2<br />

40<br />

2002 1996<br />

29,8<br />

22,7<br />

26,4<br />

20,7<br />

20<br />

0<br />

40 - 54<br />

55 - 69<br />

70 - 85<br />

40 - 54<br />

55 - 69<br />

70 - 85<br />

Geleistet<br />

29,3<br />

27,1<br />

32,4<br />

31<br />

32,6<br />

36,6<br />

0 20 40 60 80 100<br />

2002 1996<br />

100<br />

100<br />

77,5<br />

78,2<br />

73,2<br />

72,8<br />

68,3<br />

73<br />

80<br />

80<br />

60<br />

Erhalten<br />

40<br />

2002 1996<br />

60<br />

Erhalten<br />

40<br />

2002 1996<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 Basisstichprobe (n= 4.838) <strong>und</strong> 2002 Replikationsstichprobe (n= 3.084), gewichtet<br />

12,7<br />

11,6<br />

20<br />

20<br />

5,4<br />

5,5<br />

2,7<br />

3,5<br />

0<br />

0<br />

40 - 54<br />

55 - 69<br />

70 - 85<br />

40 - 54<br />

55 - 69<br />

70 - 85


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

Abgesehen von wenigen Ausnahmen erbr<strong>in</strong>gen Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

mehr soziale Unterstützung als sie von anderen erhalten. Insgesamt ist festzuhalten,<br />

dass die 40- bis 54-Jährigen (entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit) bei allen immateriellen<br />

Unterstützungsarten den größten Anteil der Hilfeleistungen erbr<strong>in</strong>gen. Im Gegensatz dazu leisten<br />

die 55- bis 85-Jährigen den größten Teil der f<strong>in</strong>anziellen Unterstützung. Nach Unterstützungstypen<br />

differenziert ergibt sich folgendes Bild:<br />

Kognitive Unterstützung: Rat <strong>und</strong> Entscheidungshilfen werden am häufigsten von den 40- bis<br />

54-Jährigen erbracht – allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d sie auch diejenigen, die umgekehrt am häufigsten kognitive<br />

Unterstützung <strong>in</strong> Anspruch nehmen. Während die Ausgangssituation aus dem Jahr 1996<br />

nahezu e<strong>in</strong> Gleichgewicht von Leistung <strong>und</strong> Erhalt kognitiver Unterstützung ergab, hat es seither<br />

e<strong>in</strong>en leichten Rückgang sowohl von Leistung als auch des Erhalts von Rat <strong>und</strong> Entscheidungshilfen<br />

gegeben 10 . Auffällig ist dabei vor allem der reduzierte Anteil geleisteter Unterstützung<br />

<strong>in</strong> der ältesten Altersgruppe, die im Ergebnis dieses Rückgangs nun mehr kognitive Unterstützung<br />

empfängt, als sie selbst leistet.<br />

Emotionale Unterstützung: Hier ergibt sich e<strong>in</strong> ähnliches Bild wie bei kognitiver Unterstützung<br />

– <strong>in</strong> der jüngsten Altersgruppe der 40- bis 54-Jährigen wird sowohl am häufigsten Trost <strong>und</strong><br />

Aufmunterung an andere geleistet, als auch selbst <strong>in</strong> Anspruch genommen. Verglichen mit 1996<br />

dom<strong>in</strong>iert Kont<strong>in</strong>uität der Verhältnisse. Gestört wird dieser allgeme<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>druck der Stabilität<br />

jedoch durch deutliche Veränderungen <strong>in</strong> zwei Altersgruppen: (a) Die 55- bis 69-Jährigen erhielten<br />

2002 deutlich weniger emotionale Unterstützung als noch sechs Jahre zuvor; (b) Ähnlich<br />

wie bei der kognitiven Unterstützung leisteten die 70- bis 85-Jährigen 2002 erkennbar weniger<br />

emotionale Unterstützung.<br />

Instrumentelle Unterstützung: Das für beide Erhebungszeitpunkte beobachtete typische Muster<br />

ist entsprechend der jeweiligen körperlichen Voraussetzungen e<strong>in</strong> Plus geleisteter <strong>in</strong>strumenteller<br />

Hilfen <strong>in</strong> der jüngeren <strong>und</strong> der mittleren Altersgruppe, während die 70- bis 85-Jährigen mehr<br />

<strong>in</strong>strumentelle Unterstützung <strong>in</strong> Anspruch nehmen, als sie selbst leisten. Dem Gr<strong>und</strong>satz nach<br />

hat sich daran <strong>in</strong> den letzten sechs Jahren nichts geändert. Der auf der vorigen Seite konstatierte<br />

allgeme<strong>in</strong>e, erhebliche Rückgang von Leistung <strong>und</strong> Erhalt <strong>in</strong>strumenteller Unterstützung ist<br />

Abbildung 5.11 zufolge e<strong>in</strong> universelles Phänomen, das alle Altersgruppen gleichermaßen betrifft.<br />

Die Reduktionsraten s<strong>in</strong>d jedoch sowohl auf der Leistungs- als auch auf der Empfangsseite<br />

<strong>in</strong> der jüngeren Altersgruppe am höchsten.<br />

F<strong>in</strong>anzielle Unterstützung: Im H<strong>in</strong>blick auf f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung fällt das bereits aus der<br />

allgeme<strong>in</strong>en Darstellung <strong>in</strong> Abbildung 5.10 bekannte deutliche Missverhältnis zwischen Unterstützungsleistung<br />

<strong>und</strong> den <strong>in</strong> weitaus ger<strong>in</strong>gerem Umfang erhaltenen f<strong>in</strong>anziellen Hilfen <strong>in</strong>s<br />

Auge. Der ger<strong>in</strong>ge Umfang des Erhalts <strong>in</strong>formeller f<strong>in</strong>anzieller Hilfen durch Menschen <strong>in</strong> der<br />

zweiten Lebenshälfte betrifft alle Altersgruppen, wobei die Divergenz zwischen Leistung <strong>und</strong><br />

eigener Inanspruchnahme f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung <strong>in</strong> der ältesten Altersgruppe e<strong>in</strong>deutig am<br />

stärksten ausgeprägt ist. Während 40- bis 54-Jährige mehr als doppelt so häufig f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung<br />

leisten wie sie selbst empfangen, tun dies 55- bis 69-Jährige sogar mehr als sechs-<br />

10 Die e<strong>in</strong>zige Ausnahme davon ist <strong>in</strong> der jüngsten Altersgruppe zu f<strong>in</strong>den, bei der die Häufigkeit von Hilfeleistungen<br />

konstant geblieben ist.<br />

249


250<br />

Andreas Hoff<br />

mal <strong>und</strong> 70- bis 85-Jährige mehr als elfmal so oft. Der schon aus Welle 1 bekannte ger<strong>in</strong>ge Umfang<br />

des Erhalts f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung (Kohli et al., 2000) hat sich praktisch nicht verändert.<br />

Bei der Leistung f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung s<strong>in</strong>d für die jüngere <strong>und</strong> die ältere Altersgruppe<br />

ger<strong>in</strong>gfügige Verr<strong>in</strong>gerungen festzustellen. Auffallend ist zudem e<strong>in</strong> deutlicher Anstieg der<br />

Unterstützungshäufigkeit durch die 55- bis 69-Jährigen.<br />

Wie <strong>in</strong> den Abbildungen 5.10 <strong>und</strong> 5.11 gezeigt wurde, waren Leistung <strong>und</strong> Erhalt sozialer Unterstützung<br />

zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 <strong>in</strong> Anbetracht des vergleichsweise kurzen Beobachtungszeitraums<br />

zum Teil erheblichen Veränderungen ausgesetzt. Bei diesen Veränderungen handelte<br />

es sich überwiegend um leichte Rückgänge des Erhalts bzw. der Inanspruchnahme <strong>in</strong>formeller<br />

Unterstützung. Offenbar handelt es sich hier um Anzeichen e<strong>in</strong>es sich vollziehenden sozialen<br />

<strong>Wandel</strong>s. Weniger klar ist die Interpretation dieser Veränderungen. Wenn die Menschen <strong>in</strong> der<br />

zweiten Lebenshälfte weniger soziale Unterstützung erhalten, so könnte dies auf e<strong>in</strong>en Mangel<br />

an Unterstützungsressourcen <strong>in</strong> ihrem familialen Umfeld h<strong>in</strong>deuten. Genauso gut könnte e<strong>in</strong>e<br />

zurückgehende Inanspruchnahme <strong>in</strong>formeller Unterstützungsleistungen aber auch e<strong>in</strong>e Verbesserung<br />

der allgeme<strong>in</strong>en Lebensbed<strong>in</strong>gungen dieser Menschen bedeuten, die e<strong>in</strong>e Inanspruchnahme<br />

<strong>in</strong>formeller Unterstützung nicht mehr benötigt.<br />

Im Folgenden wird untersucht, wie sich Leistung <strong>und</strong> Erhalt von sozialer Unterstützung mit<br />

zunehmendem Alter entwickeln. Die Datenbasis für diese Längsschnittanalysen bildet dabei die<br />

Panelstichprobe. Zunächst erfolgt die Darstellung der <strong>Entwicklung</strong> der Unterstützungsleistung.<br />

In Abbildung 5.12 werden die entsprechenden <strong>Entwicklung</strong>sverläufe für jede Altersgruppe jeweils<br />

nach Unterstützungstyp separat abgebildet.<br />

Abbildung 5.12:<br />

<strong>Entwicklung</strong> geleisteter Unterstützung mit zunehmendem Alter, 1996 u. 2002 (<strong>in</strong> Prozent)<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Kognitive<br />

Unterstützung<br />

1996 2002<br />

jüngste mittlere<br />

älteste<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Emotionale<br />

Unterstützung<br />

1996 2002<br />

jüngste mittlere<br />

älteste<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Instrumentelle<br />

Unterstützung<br />

1996 2002<br />

jüngste mittlere<br />

älteste<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 <strong>und</strong> 2002 Panelstichprobe (n= 1.524), gewichtet<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

F<strong>in</strong>anzielle<br />

Unterstützung<br />

1996 2002<br />

jüngste mittlere<br />

Abbildung 5.12 offenbart klare Alterseffekte <strong>in</strong> Bezug auf zwei Unterstützungstypen: Mit zunehmendem<br />

Alter nimmt die Leistung kognitiver <strong>und</strong> <strong>in</strong>strumenteller Unterstützung ab. Im Altersgruppenvergleich<br />

ist zudem e<strong>in</strong>e beschleunigte Abnahme von jüngerer zu mittlerer <strong>und</strong> noch<br />

stärker von mittlerer zu älterer Altersgruppe zu beobachten, was an dem steileren Kurvenverlauf<br />

erkennbar ist.<br />

älteste


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

Weniger e<strong>in</strong>deutig stellt sich die <strong>Entwicklung</strong> der Leistung emotionaler <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung<br />

dar. Während sich die emotionale Unterstützungsleistung durch Angehörige der jüngeren<br />

<strong>und</strong> der älteren Altersgruppe durch Konstanz auf hohem Niveau auszeichnen, ist es <strong>in</strong> der<br />

mittleren Altersgruppe zu e<strong>in</strong>em spürbaren Rückgang der Unterstützungsleistung gekommen.<br />

Ganz anders stellt sich das Bild im H<strong>in</strong>blick auf f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung dar. Hier ist der Leistungsumfang<br />

<strong>in</strong> der mittleren Altersgruppe nahezu konstant geblieben, während er <strong>in</strong> den beiden<br />

anderen Gruppen durch gegenläufige Trends charakterisiert wird: E<strong>in</strong>er deutlichen Zunahme <strong>in</strong><br />

der Gruppe der 2002 46- bis 60-Jährigen steht e<strong>in</strong> ebenso deutlicher Rückgang f<strong>in</strong>anzieller Unterstützungsleistung<br />

durch die 2002 76- bis 91-Jährigen gegenüber.<br />

In e<strong>in</strong>em nächsten Schritt erfolgt die Darstellung der Ergebnisse für die Gegenseite, also die<br />

<strong>Entwicklung</strong> des Erhalts sozialer Unterstützung durch Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

mit zunehmendem Alter (vgl. Abbildung 5.13 unten).<br />

Abbildung 5.13:<br />

<strong>Entwicklung</strong> erhaltener Unterstützung mit zunehmendem Alter, 1996 u. 2002 (<strong>in</strong> Prozent)<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Kognitive<br />

Unterstützung<br />

1996 2002<br />

jüngste mittlere<br />

älteste<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Emotionale<br />

Unterstützung<br />

1996 2002<br />

jüngste mittlere<br />

älteste<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Instrumentelle<br />

Unterstützung<br />

1996 2002<br />

jüngste mittlere<br />

älteste<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 <strong>und</strong> 2002 Panelstichprobe (n= 1.524), gewichtet<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

F<strong>in</strong>anzielle<br />

Unterstützung<br />

1996 2002<br />

jüngste mittlere<br />

Wie schon im H<strong>in</strong>blick auf Unterstützungsleistung gibt es auch bei der Inanspruchnahme kognitiver<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong>strumenteller Unterstützung klare Alterseffekte. Die <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> Bezug auf den<br />

Erhalt kognitiver Unterstützung verläuft analog zu dem für die Leistung kognitiver Hilfe: Mit<br />

zunehmendem Alter nimmt der Empfang bzw. die Inanspruchnahme dieser Unterstützungsform<br />

<strong>in</strong> allen Altersgruppen ab. Dabei nehmen Menschen <strong>in</strong> der älteren Altersgruppe weniger häufig<br />

kognitive Hilfen <strong>in</strong> Anspruch als Jüngere. Umgekehrt nehmen Angehörige der jüngeren Altersgruppe<br />

öfter als Ältere diese Form der Unterstützung <strong>in</strong> Anspruch.<br />

Im Gegensatz zur Leistung verläuft beim Erhalt <strong>in</strong>strumenteller Unterstützung die <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>in</strong> den Altersgruppen nicht synchron. Während die 2002 46- bis 60-Jährigen e<strong>in</strong>e spürbare Verr<strong>in</strong>gerung<br />

des Erhalts <strong>in</strong>strumenteller Hilfen berichteten, nahmen die 76- bis 91-Jährigen 2002<br />

erheblich mehr <strong>in</strong>strumentelle Unterstützung <strong>in</strong> Anspruch als noch sechs Jahre zuvor. Ursache<br />

ist der mit dem E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Hochaltrigkeit e<strong>in</strong>hergehende klare Anstieg der Bedürftigkeit.<br />

Wenig verändert hat sich h<strong>in</strong>gegen für die 61- bis 75-Jährigen (2002).<br />

älteste<br />

251


252<br />

Andreas Hoff<br />

Weniger ausgeprägt s<strong>in</strong>d die Alterseffekte <strong>in</strong> Bezug auf f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung. Während die<br />

2002 61- bis 91-Jährigen gleichbleibend wenig f<strong>in</strong>anzielle Hilfen erhalten, gaben die Angehörigen<br />

der jüngeren Altersgruppe e<strong>in</strong>en deutlichen Rückgang der Inanspruchnahme <strong>in</strong>formeller<br />

f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung an.<br />

Am wenigsten e<strong>in</strong>deutig s<strong>in</strong>d die <strong>Entwicklung</strong>srichtungen für den Erhalt emotionaler Unterstützung.<br />

Die älteste Altersgruppe berichtete e<strong>in</strong>en massiven Anstieg (um fast 16 Prozent) der Inanspruchnahme<br />

von Trost <strong>und</strong> Aufmunterung. E<strong>in</strong>e Veränderung <strong>in</strong> dieser Größenordnung ist<br />

<strong>in</strong>nerhalb des kurzen Betrachtungszeitraums von nur sechs Jahren äußerst bemerkenswert, auch<br />

wenn der E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Hochaltrigkeit <strong>und</strong> die damit e<strong>in</strong>hergehenden ges<strong>und</strong>heitlichen Probleme<br />

die Notwendigkeit e<strong>in</strong>er verstärkten Nachfrage nach emotionaler Unterstützung nur zu verständlich<br />

ersche<strong>in</strong>en lässt. E<strong>in</strong> gegenläufiger Trend lässt sich für die mittlere Altersgruppe ausmachen,<br />

die 2002 deutlich weniger Trost <strong>und</strong> Aufmunterung erhalten hat. Relativ konstant<br />

geblieben ist h<strong>in</strong>gegen das Unterstützungsniveau für die Jüngeren.<br />

Wie dieser Abschnitt zu Leistung <strong>und</strong> Erhalt von sozialer Unterstützung nachdrücklich belegt,<br />

s<strong>in</strong>d die Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte ke<strong>in</strong>eswegs die Kostgänger der jüngeren Generationen<br />

– im Gegenteil, sie leisten mehr Unterstützung als sie selbst erhalten. Während die<br />

ältere Generation auch 2002 genauso viel Unterstützung leistete wie vor sechs Jahren, erhielt sie<br />

im Gegenzug sogar noch weniger Unterstützung von anderen.<br />

5.6.2 Unterstützungspersonen<br />

Nachdem im vorangegangenen Abschnitt der Umfang der Leistung <strong>und</strong> des Erhalts sozialer<br />

Unterstützung umfassend beleuchtet wurde, wenden wir uns jetzt der Frage zu, wer die wesentlichen<br />

Unterstützer von Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> wen diese im Gegenzug<br />

vorwiegend unterstützen. Auch hier gibt es e<strong>in</strong> zweigeteiltes Forschungs<strong>in</strong>teresse: 1.) Mit zunehmendem<br />

Alter verändert sich die Zusammensetzung familialer Netze aufgr<strong>und</strong> des Ablebens<br />

der älteren <strong>und</strong> des „Nachrückens“ jüngerer Generationen. Aus der Längsschnittperspektive ist<br />

also <strong>in</strong>sbesondere von Interesse, ob Befragte, die nun sechs Jahre älter s<strong>in</strong>d, spürbare personelle<br />

Veränderungen ihres Unterstützungspotentials berichten. Das gilt <strong>in</strong> besonderem Maße für die<br />

ältesten Teilnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Teilnehmer am Alterssurvey. 2.) Wenngleich gr<strong>und</strong>legende Veränderungen<br />

im Querschnitt weniger wahrsche<strong>in</strong>lich s<strong>in</strong>d, so ist doch e<strong>in</strong>e kontrollierende Überprüfung<br />

etwaiger Kohorteneffekte ebenfalls s<strong>in</strong>nvoll.<br />

Insgesamt zeichnet sich der personelle Umfang sozialer Unterstützungsnetze durch e<strong>in</strong> hohes<br />

Maß an Stabilität aus. Da im Kohortenvergleich ke<strong>in</strong>e bedeutsamen Unterschiede festgestellt<br />

werden konnten, wird hier auf e<strong>in</strong>e Darstellung verzichtet. Die folgenden Ausführungen konzentrieren<br />

sich dementsprechend alle<strong>in</strong> auf die Panelstichprobe zur Analyse der <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n<br />

<strong>Entwicklung</strong> im Längsschnitt. Dabei wird zunächst die Anzahl der genannten potentiellen Unterstützer<br />

<strong>in</strong>s Auge genommen. Abbildung 5.14 gibt den <strong>Entwicklung</strong>sverlauf der durchschnittlich<br />

verfügbaren Anzahl von kognitiven, emotionalen, <strong>in</strong>strumentellen <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anziellen Helfern,<br />

differenziert nach Altersgruppen, zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 wieder.


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

Abbildung 5.14:<br />

<strong>Entwicklung</strong> der durchschnittlich verfügbaren Anzahl von Unterstützungspersonen<br />

nach Altersgruppen, 1996 u. 2002 (arithmetisches Mittel)<br />

Anzahl Potentielle Helfer<br />

Jüngere Altersgr. (2002: 46-60)<br />

2,5<br />

2<br />

1,5<br />

1<br />

0,5<br />

0<br />

1996 2002<br />

(1) kognitiv<br />

(2) emotional<br />

(3) <strong>in</strong>strumentell<br />

(4) f<strong>in</strong>anziell<br />

Anzahl Potentielle Helfer<br />

Mittlere Altersgr. (2002: 61-75)<br />

2,5<br />

2<br />

1,5<br />

1<br />

0,5<br />

0<br />

1996 2002<br />

(1) kognitiv<br />

(2) emotional<br />

(3) <strong>in</strong>strumentell<br />

(4) f<strong>in</strong>anziell<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 <strong>und</strong> 2002 Panelstichprobe (n= 1.524), gewichtet<br />

Anzahl Potentielle Helfer<br />

Ältere Altersgr. (2002: 76-91)<br />

2,5<br />

2<br />

1,5<br />

1<br />

0,5<br />

0<br />

1996 2002<br />

(1) kognitiv<br />

(2) emotional<br />

(3) <strong>in</strong>strumentell<br />

(4) f<strong>in</strong>anziell<br />

Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte verfügen im Durchschnitt über zwei Personen, die ihnen<br />

bei Bedarf mit Rat <strong>und</strong> Entscheidungshilfe zur Seite stehen können. Fast genauso viele Personen<br />

leisten emotionale Unterstützung. Deutlich weniger Personen helfen im Haushalt mit oder<br />

stellen f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung bereit. Der personelle Umfang sozialer Unterstützungsnetze<br />

zeichnet sich im Längsschnitt durch e<strong>in</strong> hohes Maß an Konstanz aus. Für die im Jahre 2002 46-<br />

bis 75-Jährigen hat sich diesbezüglich <strong>in</strong> ihren vergangenen sechs Lebensjahren nur sehr wenig<br />

verändert. Etwas anders stellt sich die Situation für die 76- bis 91-Jährigen dar. Der Übergang <strong>in</strong><br />

die Hochaltrigkeit ist für viele von ihnen mit e<strong>in</strong>er deutlichen Abnahme der Zahl potentieller<br />

kognitiver <strong>und</strong> emotionaler Helfer <strong>und</strong> Helfer<strong>in</strong>nen verb<strong>und</strong>en (vgl. rechte Grafik). Zugenommen<br />

hat h<strong>in</strong>gegen die Zahl von Personen, die Hilfe im Haushalt verrichteten. Erst <strong>in</strong> diesem<br />

Alter kommt die Notwendigkeit dazu voll zum Tragen. Es ist auf der anderen Seite e<strong>in</strong> schönes<br />

Ergebnis, dass die <strong>in</strong>formellen Unterstützungsnetzwerke nach wie vor <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, dieses<br />

im höheren Lebensalter erwachsende Bedürfnis zu erfüllen.<br />

Bemerkenswert ist zudem, dass Frauen gr<strong>und</strong>sätzlich über mehr kognitive <strong>und</strong> emotionale Unterstützer<br />

<strong>und</strong> Unterstützer<strong>in</strong>nen verfügen als Männer, wobei dieser Unterschied mit dem um<br />

sechs Jahre höheren Alter im Jahre 2002 noch zugenommen hat. Ke<strong>in</strong>e signifikanten geschlechtsspezifischen<br />

Unterschiede gibt es h<strong>in</strong>gegen bei <strong>in</strong>strumenteller <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung.<br />

Wurden noch 1996 <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>esländern deutlich mehr potentielle <strong>in</strong>strumentelle Helfer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Helfer angegeben, so gibt es hier heute ke<strong>in</strong>e signifikanten Unterschiede zwischen<br />

beiden Landesteilen mehr. Der Osten hat sich dem niedrigeren westdeutschen Niveau angeglichen.<br />

Umgekehrt stehen den Menschen <strong>in</strong> den alten B<strong>und</strong>esländern nun deutlich mehr emotionale<br />

Unterstützer zur Verfügung als jenen <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>esländern – <strong>und</strong> das obwohl noch<br />

vor sechs Jahren ke<strong>in</strong>e bedeutsamen Unterschiede feststellbar waren.<br />

253


254<br />

Andreas Hoff<br />

Während es sich bei den eben beschriebenen <strong>Entwicklung</strong>strends vorwiegend um Alterseffekte<br />

gehandelt haben dürfte, folgen nun Querschnittsanalysen mit dem Ziel der Identifikation sozialer<br />

Trends, die auf e<strong>in</strong>en nachhaltigen sozialen <strong>Wandel</strong> der Unterstützungsbeziehungen <strong>in</strong> der<br />

Familie h<strong>in</strong>deuten könnten. Datenbasis s<strong>in</strong>d dementsprechend Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe<br />

– <strong>und</strong> nicht die Panelstichprobe. Der Fokus der Analysen richtet sich jedoch auf dieselben<br />

Personengruppen, die bei der Vorstellung der Längsschnittanalysen im Mittelpunkt standen.<br />

Bezogen auf den Anteil von Familienmitgliedern am gesamten <strong>in</strong>formellen Unterstützungspotential<br />

dom<strong>in</strong>ieren Kont<strong>in</strong>uität <strong>und</strong> Stabilität auf hohem Niveau. Die Familie stellt bei allen Unterstützungstypen<br />

den mit weitem Abstand größten Anteil potentieller Helfer, mit der aus der<br />

Längsschnittanalyse bereits bekannten E<strong>in</strong>schränkung h<strong>in</strong>sichtlich <strong>in</strong>strumenteller Hilfen im<br />

Haushalt, wobei sie auch hier immerh<strong>in</strong> knapp 60 Prozent stellt. Dieser Bef<strong>und</strong> für die 40- bis<br />

85-Jährigen wurde durch die Ergebnisse der Replikationsstichprobe 2002 bestätigt.<br />

Abbildung 5.15:<br />

Personelle Struktur <strong>in</strong>formeller Unterstützungsnetzwerke, 1996 u. 2002 (<strong>in</strong> Prozent)<br />

Familie <strong>in</strong>sges.<br />

Ehepartner<br />

K<strong>in</strong>der<br />

Eltern<br />

Geschw ister<br />

Fre<strong>und</strong>e<br />

Familie <strong>in</strong>sges.<br />

K<strong>in</strong>der<br />

Eltern<br />

Geschw ister<br />

Fre<strong>und</strong>e<br />

and. Personen<br />

Kognitive Helfer<br />

31,6<br />

33,1<br />

29<br />

24,3<br />

4,9<br />

6,4<br />

6,6<br />

9,1<br />

15,8<br />

17,9<br />

78,8<br />

78,2<br />

0 20 40 60 80 100<br />

2002 1996<br />

Instrumentelle Helfer<br />

6<br />

4,7<br />

4,5<br />

5,1<br />

17, 5<br />

17, 4<br />

25,2<br />

23,9<br />

27,2<br />

29,4<br />

57,3<br />

58 ,7<br />

0 20 40 60 80 100<br />

2002 1996<br />

Familie <strong>in</strong>sges.<br />

Ehepartner<br />

K<strong>in</strong>der<br />

Eltern<br />

Geschw ister<br />

Fre<strong>und</strong>e<br />

Familie <strong>in</strong>sges.<br />

Ehepartner<br />

K<strong>in</strong>der<br />

Eltern<br />

Schw iegerfam.<br />

Geschw ister<br />

Fre<strong>und</strong>e<br />

Emotionale Helfer<br />

4,7<br />

5,4<br />

5,4<br />

7,5<br />

30,1<br />

24,3<br />

16,4<br />

19,5<br />

33,3<br />

35<br />

79,3<br />

76,8<br />

0 20 40 60 80 100<br />

2002 1996<br />

F<strong>in</strong>anzielle Helfe r<br />

8<br />

7,5<br />

3,8<br />

5,3<br />

2,3<br />

6,5<br />

21<br />

19,5<br />

15<br />

15<br />

42,4<br />

35,7<br />

95,4<br />

89,3<br />

0 20 40 60 80 100<br />

2002 1996<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 Basisstichprobe (n= 4.838) <strong>und</strong> 2002 Replikationsstichprobe (n= 3.084), gewichtet


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

Auf den Anteil der Familie an den verfügbaren Unterstützungsleistenden bezogen fällt nur e<strong>in</strong><br />

Ergebnis aus dem Rahmen, welches jedoch gerade deshalb besondere Aufmerksamkeit verdient<br />

– verglichen mit 1996 ist der Anteil Familienangehöriger an der Bereitstellung f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung<br />

deutlich – von 95 auf 89 Prozent – zurückgegangen. Noch e<strong>in</strong>mal zur Er<strong>in</strong>nerung, es<br />

handelt sich hierbei nicht um e<strong>in</strong>en Alterseffekt. Zielgruppe der Untersuchung waren <strong>in</strong> beiden<br />

Fällen die 40- bis 85-Jährigen (die detaillierten Ergebnisse können Abbildung 5.16 entnommen<br />

werden).<br />

Ähnlich wie schon bei der Längsschnittanalyse diskutiert, ragen Ehepartner e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> K<strong>in</strong>der<br />

andererseits als am häufigsten genannte potentielle Ratgeber <strong>und</strong> Trostspender <strong>und</strong> -<br />

spender<strong>in</strong>nen heraus. Auffällig ist jedoch sowohl bei der Analyse der kognitiven, als auch der<br />

emotionalen Unterstützung der deutliche Rückgang des Anteils von K<strong>in</strong>dern am <strong>in</strong>formellen<br />

Unterstützungspotential (von 29 bzw. 30 Prozent auf nunmehr 24 Prozent). Möglicherweise<br />

spiegeln sich hier bereits die <strong>in</strong> jüngeren Geburtskohorten abnehmenden K<strong>in</strong>derzahlen wieder.<br />

Leicht zugenommen hat h<strong>in</strong>gegen die Bedeutung von Geschwistern e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> von Fre<strong>und</strong>en<br />

andererseits (vgl. obige Abbildung 5.15).<br />

Dieser e<strong>in</strong>führenden Erläuterung folgt nun die detaillierte Analyse der personellen Zusammensetzung<br />

der <strong>in</strong>formellen Unterstützungsnetzwerke von Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte.<br />

Die <strong>Entwicklung</strong> der personellen Struktur <strong>in</strong>formeller Unterstützungsnetzwerke <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte wird gleichermaßen durch Kont<strong>in</strong>uität <strong>und</strong> Dynamik gekennzeichnet. Kont<strong>in</strong>uität<br />

ist dabei das Wesensmerkmal der auf kognitive <strong>und</strong> emotionale Unterstützung gerichteten<br />

Netzwerke – hier ist es im Längsschnitt kaum zu Veränderungen gekommen. In beiden Fällen<br />

waren <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d fast 80 Prozent der genannten Unterstützungspersonen Familienangehörige.<br />

Herausragend ist dabei die Bedeutung von Ehe- bzw. Lebenspartner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> -partnern e<strong>in</strong>erseits<br />

<strong>und</strong> von K<strong>in</strong>dern andererseits (vgl. Abbildung 5.16 unten), die etwa e<strong>in</strong> Drittel (Partner/<strong>in</strong>nen)<br />

bzw. knapp 30 Prozent (K<strong>in</strong>der) der potentiellen Hilfeleistenden stellen. Die drittgrößte<br />

Gruppe stellen Fre<strong>und</strong>e mit ca. e<strong>in</strong>em Sechstel.<br />

Abbildung 5.16:<br />

<strong>Entwicklung</strong> der Personalstruktur <strong>in</strong>formeller Unterstützungsnetzwerke, 1996 u. 2002<br />

(<strong>in</strong> Prozent)<br />

Prozent<br />

Anteil kognitiver<br />

Helfer<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

1996 2002<br />

Fre<strong>und</strong>e Geschw.<br />

Eltern K <strong>in</strong>der<br />

Ehepart . Familie<br />

Prozent<br />

Anteil em otionaler<br />

Helfer<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

1996 2002<br />

Fre<strong>und</strong>e Geschw.<br />

Elt ern K<strong>in</strong>d er<br />

Ehep art . Familie<br />

Prozent<br />

Anteil <strong>in</strong>strum ent.<br />

Helfer<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

1996 2002<br />

Fre<strong>und</strong>e Geschw .<br />

Eltern K<strong>in</strong>d er<br />

and. Pers. Familie<br />

Quelle: Alterssurvey 1996 <strong>und</strong> 2002 Panelstichprobe (n= 1.524), gewichtet<br />

Prozent<br />

Anteil f<strong>in</strong>anzieller<br />

Helfer<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

1996 2002<br />

Fre<strong>und</strong>e Geschw .<br />

Elt ern K<strong>in</strong>d er<br />

Ehep art . Familie<br />

255


256<br />

Andreas Hoff<br />

Erwartungsgemäß <strong>und</strong> altersbed<strong>in</strong>gt ist der Anteil der eigenen Eltern am Hilfepotential weiter<br />

zurückgegangen, was durch e<strong>in</strong>en Anstieg des Anteils von Geschwistern kompensiert wurde.<br />

Das bestätigt das aus der <strong>in</strong>ternationalen Familien- <strong>und</strong> Alternssoziologie bekannte Ergebnis der<br />

zunehmenden Bedeutung von Geschwistern im höheren <strong>und</strong> hohen Lebensalter (vgl. Connidis,<br />

2001).<br />

Im Gegensatz zum kognitiven <strong>und</strong> emotionalen Hilfepotential wird die <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong>strumenteller<br />

<strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung durch dynamische Verläufe charakterisiert, wie e<strong>in</strong> Blick<br />

auf die beiden rechten Grafiken <strong>in</strong> Abbildung 5.16 verrät. Instrumentelle Hilfe ist diejenige der<br />

vier Unterstützungstypen, bei dem Familienangehörige den ger<strong>in</strong>gsten Anteil des Unterstützungspotentials<br />

stellen – nur wenig mehr als die Hälfte der <strong>in</strong>strumentelle Hilfe erbr<strong>in</strong>genden<br />

Personen s<strong>in</strong>d Familienangehörige. Haushaltshilfen durch Personen, die nicht im Haushalt der<br />

Befragungsteilnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> -teilnehmer leben, werden vorwiegend von zwei Personengruppen<br />

erbracht: nicht-verwandte Personen, zum großen Teil bezahlte Helfer, bildeten schon<br />

1996 die größte E<strong>in</strong>zelgruppe. Ihr Anteil hat seitdem weiter zugenommen <strong>und</strong> macht 2002 fast<br />

30 Prozent der <strong>in</strong>strumentellen Hilfeleistenden aus. Mit zunehmendem Alter der Befragten ist<br />

zugleich der Anteil der zweitgrößten Gruppe – nämlich der eigenen K<strong>in</strong>der – weiter gestiegen.<br />

Diese machen nun deutlich mehr als e<strong>in</strong> Viertel des Unterstützungspotentials aus. Trotz des<br />

hohen Anteils nicht-verwandter Hilfepersonen bleibt festzuhalten, dass deren Anteil mit zunehmendem<br />

Alter zugunsten e<strong>in</strong>es größeren Anteils von Familienangehörigen abnimmt. Das wird<br />

vor allem durch den deutlichen Rückgang <strong>in</strong>strumenteller Hilfeleistung durch Fre<strong>und</strong>e erklärt.<br />

Viele befre<strong>und</strong>ete Menschen von Hochaltrigen haben <strong>in</strong>zwischen selbst e<strong>in</strong> hohes Alter erreicht<br />

oder s<strong>in</strong>d verstorben, so dass sie als Unterstützer nicht mehr zur Verfügung stehen.<br />

Die dramatischsten Veränderungen <strong>in</strong> der personellen Zusammensetzung des Unterstützungspotentials<br />

hat es bei der f<strong>in</strong>anziellen Unterstützung gegeben. Wenngleich hier der Anteil familialer<br />

Unterstützung mit mehr als 90 Prozent mit Abstand am höchsten ist <strong>und</strong> sich zudem durch e<strong>in</strong><br />

hohes Maß an Kont<strong>in</strong>uität auszeichnet, ist es doch <strong>in</strong> den letzten sechs Jahren zu erheblichen<br />

Verschiebungen zwischen den e<strong>in</strong>zelnen Generationen <strong>in</strong>nerhalb der Familie gekommen. Der<br />

Anteil der Elterngeneration an den f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung bereitstellenden Personen ist von<br />

44 Prozent 1996 auf knapp 29 Prozent im Jahre 2002 drastisch zurückgegangen, während sich<br />

gleichzeitig der Anteil der K<strong>in</strong>dergeneration von 16 auf 35 Prozent mehr als verdoppelt hat.<br />

Diese deutliche Verschiebung der personellen Verantwortung für f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung<br />

<strong>in</strong>nerhalb der Familie mit zunehmendem Alter hat weitreichende Konsequenzen. Bei der Interpretation<br />

dieses Ergebnisses ist jedoch Vorsicht angebracht: e<strong>in</strong> abnehmender Anteil von Unterstützungspersonen<br />

bedeutet nicht automatisch e<strong>in</strong>en (gleich großen) Rückgang der f<strong>in</strong>anziellen<br />

Unterstützungsleistung.<br />

Kaum verändert hat sich das Bild im H<strong>in</strong>blick auf <strong>in</strong>strumentelle Unterstützung. Hier unterscheidet<br />

sich die personelle Struktur des Unterstützungsnetzwerks im Jahre 2002 kaum von der<br />

1996. E<strong>in</strong>e Überraschung hält jedoch der Blick auf die äußerst rechts stehende Grafik <strong>in</strong> Abbildung<br />

5.16 zu dem f<strong>in</strong>anziellen Hilfepotential bereit. Konnte der dramatische Rückgang des Anteils<br />

von Eltern <strong>in</strong> der Längsschnittanalyse noch plausibel als Alterseffekt erklärt werden, so ist<br />

die ebenfalls sehr deutliche Abnahme des Anteils von Eltern im Querschnittsvergleich (von 42<br />

auf knapp 36 Prozent) nicht ohne weiteres zu erklären. Von dieser Veränderung abgesehen<br />

bleibt das aus der ersten Welle bekannte Muster ziemlich stabil, lediglich der Anteil von Freun-


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

den als f<strong>in</strong>anzielle Unterstützer <strong>und</strong> Unterstützer<strong>in</strong>nen hat sich, wenngleich auf niedrigem Niveau,<br />

spürbar erhöht.<br />

Das Unterkapitel zu sozialer Unterstützung zusammenfassend, bleibt folgendes festzuhalten:<br />

Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte leisten mehr Unterstützung als sie von anderen bekommen.<br />

Dies gilt <strong>in</strong> besonderem Maße für f<strong>in</strong>anzielle Hilfen. Dieses bereits aus der ersten Welle<br />

1996 bekannte Ergebnis konnte bestätigt werden. Allerd<strong>in</strong>gs erhalten die 40- bis 85-Jährigen<br />

2002 noch weniger Unterstützung als dies vor sechs Jahren der Fall war. Im Lebensverlauf<br />

nimmt jedoch die Fähigkeit zur Unterstützungsleistung mit zunehmendem Alter ab. Das Unterstützungsnetzwerk<br />

von Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte zeichnet sich durch Kont<strong>in</strong>uität<br />

aus. Die Anzahl von Hilfspersonen bleibt bis <strong>in</strong>s hohe Alter weitestgehend konstant. Soziale<br />

Unterstützung wird überwiegend von Familienangehörigen geleistet.<br />

5.7 Zusammenfassung <strong>und</strong> sozialpolitische Implikationen<br />

Abschließend werden die wichtigsten Ergebnisse des vorliegenden Kapitels zusammengefasst.<br />

Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage werden im Anschluss daran sozialpolitische Handlungsempfehlungen<br />

formuliert. Ziel dieses Kapitels war es, den <strong>Wandel</strong> von Familiengenerationen zu untersuchen.<br />

Vier zentrale Fragestellungen standen im Mittelpunkt.<br />

Wie verbreitet s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>tergenerationale Beziehungen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte?<br />

Generationenbeziehungen werden heute vor allem im „multilokalen Familienverb<strong>und</strong>“ gelebt.<br />

Das Konzept der Generationen-Konstellationen gibt Auskunft über die Anzahl der Generationen<br />

<strong>und</strong> der Generationenstruktur <strong>in</strong> der erweiterten Familie. Die meisten Deutschen leben heute <strong>in</strong><br />

Drei-Generationen-Konstellationen. In der zweiten Lebenshälfte zeichnen sich Generationen-<br />

Konstellationen durch e<strong>in</strong> hohes Maß an Kont<strong>in</strong>uität aus. Erste Anzeichen für die Auswirkungen<br />

des demografischen <strong>Wandel</strong>s machen sich jedoch bei den 40- bis 54-Jährigen bemerkbar.<br />

Es konnte e<strong>in</strong>e Verschiebung des Anteils von Drei-Generationen-Konstellationen h<strong>in</strong> zu Zwei-<br />

Generationen-Konstellationen beobachtet werden. Im Gegensatz dazu haben sich die Ergebnisse<br />

im Längsschnitt entsprechend den Erwartungen entwickelt. Mit zunehmendem Alter nimmt der<br />

Anteil von Mehr-Generationen-Konstellationen <strong>in</strong> der erweiterten Familie zu.<br />

Wie gestaltet sich das Zusammenleben von Generationen?<br />

Die große Mehrheit der Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte lebt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Haushaltsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

mit anderen. Der demografische <strong>Wandel</strong> macht sich jedoch <strong>in</strong> der Haushaltszusammensetzung<br />

bemerkbar – im Vergleich zu 1996 hat sich sowohl der Anteil von Alle<strong>in</strong>lebenden, als<br />

auch der von Paaren ohne K<strong>in</strong>der deutlich erhöht. Mit zunehmendem Alter verr<strong>in</strong>gert sich der<br />

Anteil von Menschen, die <strong>in</strong> Zwei-Generationen-Haushalten leben zugunsten e<strong>in</strong>es ebenso deutlichen<br />

Anstiegs des Anteils von E<strong>in</strong>-Generationen-Haushalten. Neben dieser <strong>Entwicklung</strong> im<br />

Lebensverlauf zeichnet sich auch e<strong>in</strong> gr<strong>und</strong>legender <strong>Wandel</strong> der generationenbezogenen Haushaltszusammensetzung<br />

ab – mit dem weiteren Anstieg k<strong>in</strong>derloser Haushalte <strong>in</strong> den nächsten<br />

Jahren wird sich der Anteil von E<strong>in</strong>-Generationen-Haushalten weiter erhöhen. Obwohl die<br />

257


258<br />

Andreas Hoff<br />

überwiegende Mehrheit der Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>in</strong> räumlicher Nähe zu ihren<br />

K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Eltern lebt, ist die Wohnentfernung zwischen Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dern 2002 größer als<br />

vor sechs Jahren. Vor allem der Anteil von am selben Ort lebenden K<strong>in</strong>dern hat im Vergleich zu<br />

1996 abgenommen. Koresidenz von Eltern <strong>und</strong> erwachsenen K<strong>in</strong>dern ist 2002 noch weniger die<br />

Norm als vor sechs Jahren.<br />

Welche Bedeutung haben <strong>in</strong>tergenerationale Familienbeziehungen?<br />

Die Beziehungen zu ihrer Familie werden von fast allen Befragten als positiv e<strong>in</strong>geschätzt. Sie<br />

haben sich gegenüber von 1996 sogar noch verbessert. In E<strong>in</strong>klang damit werden Eltern-K<strong>in</strong>d-<br />

Beziehungen durch e<strong>in</strong> Gefühl großer Verb<strong>und</strong>enheit charakterisiert. Die wichtigsten Kontaktpersonen<br />

s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> bleiben Familienangehörige. Im Gegensatz dazu hat sich allerd<strong>in</strong>gs die Kontakthäufigkeit<br />

zwischen Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dern etwas verr<strong>in</strong>gert.<br />

Wie unterstützen sich die Generationen <strong>in</strong>nerhalb der Familie?<br />

Das Bild der „hilfebedürftigen Alten“ entspricht nicht der Realität. Menschen <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>eswegs die Kostgänger der jüngeren Generationen – im Gegenteil, sie<br />

leisten mehr Unterstützung als sie umgekehrt erhalten. Im Jahre 2002 hat sich dieses Missverhältnis<br />

noch verschärft – die Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte erhalten jetzt noch weniger<br />

Unterstützung als vor sechs Jahren. Mit zunehmendem Lebensalter nimmt aber die Unterstützungsleistung<br />

ab. Parallel dazu steigt die Inanspruchnahme von emotionaler Unterstützung <strong>und</strong><br />

von <strong>in</strong>strumentellen Hilfen, nicht jedoch von kognitiver <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung. Soziale<br />

Unterstützung wird überwiegend von Familienangehörigen geleistet. Die Anzahl von Hilfepersonen<br />

bleibt bis <strong>in</strong>s hohe Alter weitestgehend konstant.<br />

Es stellt sich nun die Frage, was staatliche Sozialpolitik zur Stärkung <strong>in</strong>tergenerationaler Familienbeziehungen<br />

beitragen kann. Die Institution Familie hat nach wie vor e<strong>in</strong>e zentrale gesellschaftliche<br />

Bedeutung. Gerade <strong>in</strong> Zeiten e<strong>in</strong>es tiefgreifenden <strong>Wandel</strong>s der Gesellschaft gibt die<br />

Familie Halt. Durch die Pluralisierung von Lebensformen hat sich jedoch die Familie <strong>in</strong> ihrem<br />

äußeren Ersche<strong>in</strong>ungsbild gewandelt. Der demografische <strong>Wandel</strong> führt zu veränderten Familienstrukturen.<br />

Deutschland zeichnet sich schon jetzt durch e<strong>in</strong>en im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich<br />

außergewöhnlich hohen Anteil von E<strong>in</strong>personenhaushalten aus. Generationenbeziehungen werden<br />

daher überwiegend jenseits der Haushaltsebene, <strong>in</strong> der „multilokalen Generationenfamilie“<br />

(Bertram, 2000) gelebt. Dieser Trend wird sich mit dem weiter steigenden Anteil von älteren<br />

<strong>und</strong> alten Menschen bei gleichzeitig s<strong>in</strong>kenden Geburtenraten noch verschärfen.<br />

Die Mehrzahl der heute 60-Jährigen kann damit rechnen, e<strong>in</strong> bis zwei weitere Lebensjahrzehnte<br />

<strong>in</strong> guter Ges<strong>und</strong>heit zu verbr<strong>in</strong>gen. Viele von ihnen werden aktiv an der Betreuung ihrer Enkelk<strong>in</strong>der<br />

teilnehmen <strong>und</strong> die Geburt von Urenkeln erleben. Mehr-Generationen-Konstellationen <strong>in</strong><br />

der erweiterten Familie s<strong>in</strong>d die Regel. Mit dem Nachrücken der geburtenschwächeren Jahrgänge<br />

<strong>in</strong> die Elterngeneration wird sich die Zahl von K<strong>in</strong>dern, Enkeln <strong>und</strong> Urenkeln jedoch sukzessive<br />

verr<strong>in</strong>gern. Was die nach dem Umlageverfahren f<strong>in</strong>anzierten Sozialversicherungssysteme<br />

vor enorme Probleme stellt, kann sich für die wenigen K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Enkelk<strong>in</strong>der zunächst positiv


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

auswirken, wenn sie zum Empfänger der gebündelten Aufmerksamkeit <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzieller Transfers<br />

von mehreren Großeltern werden, die sich wenige Enkel „teilen“ müssen.<br />

Das Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zip, auf dem der deutsche Sozialstaat beruht, hat <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />

dazu geführt, dass Familien <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>e Vielzahl von Aufgaben übernommen haben,<br />

die <strong>in</strong> anderen Gesellschaftssystemen von anderen Institutionen getragen werden. Indem Menschen<br />

<strong>in</strong>formelle Unterstützung leisten, entlasten sie den Sozialstaat um Milliardenbeträge, die<br />

andernfalls <strong>in</strong> die Bereitstellung formeller Hilfestrukturen <strong>in</strong>vestiert werden müssten. Zudem hat<br />

soziale Unterstützung e<strong>in</strong>en positiven Effekt auf die Lebensqualität. Im Zuge der sich verlängernden<br />

Lebenszeit übernehmen Familien neue Aufgaben bei der Pflege <strong>und</strong> Betreuung alter<br />

Familienangehöriger. Neben der Reproduktions-, Sozialisations-, <strong>und</strong> der Regenerationsfunktion<br />

ist die Funktion der sozialen Unterstützung e<strong>in</strong> wesentlicher Bestandteil familialer Beziehungen<br />

geworden.<br />

Soziale Unterstützungsbeziehungen <strong>und</strong> <strong>in</strong>tergenerationale Solidarität werden <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dheit<br />

geprägt. Voraussetzung für verlässliche <strong>und</strong> belastbare soziale Unterstützung im Alter s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

erster L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong>takte Familien. Daher ist es empfehlenswert, noch mehr <strong>in</strong> Hilfen zu Erziehung<br />

<strong>und</strong> Familienbildung zu <strong>in</strong>vestieren, um Familien zu helfen, <strong>in</strong> denen diese Werte nicht im<br />

Rahmen der k<strong>in</strong>dlichen Sozialisation vermittelt werden. Geld, das so frühzeitig <strong>in</strong> die Förderung<br />

sozialer Unterstützungsbeziehungen <strong>in</strong>vestiert wird, ist e<strong>in</strong>e gute Geldanlage mit lebenslangem<br />

Nutzen sowohl für Familie als auch für den Sozialstaat.<br />

Wie <strong>in</strong> diesem Kapitel gezeigt wurde, erfolgt der wechselseitige Austausch von Unterstützung<br />

primär zwischen den Generationen, vor allem zwischen erwachsenen K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> ihren Eltern.<br />

Gerade die relativ wenigen Angehörigen der geburtenschwachen Jahrgänge werden für die<br />

Pflege der Angehörigen der „Babyboom“-Generation aufkommen müssen. E<strong>in</strong> Szenario, <strong>in</strong> dem<br />

sich e<strong>in</strong>e Person um die Pflege mehrerer Familienangehöriger kümmern muss, wird <strong>in</strong> Zukunft<br />

immer wahrsche<strong>in</strong>licher. Die übergroße Mehrheit der Deutschen räumt der häuslichen Pflege<br />

nach wie vor e<strong>in</strong>deutig Vorrang gegenüber der stationären Pflege e<strong>in</strong> (Berger-Schmidt, 2003).<br />

Da es noch immer vorwiegend Frauen s<strong>in</strong>d, die sich um pflegebedürftige Familienangehörige<br />

kümmern, werden gerade sie Unterstützung benötigen. War bisher die Forderung nach e<strong>in</strong>er<br />

besseren „Vere<strong>in</strong>barkeit von Familie <strong>und</strong> Beruf“ ausschließlich auf Eltern mit kle<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dern<br />

gerichtet, sollte sie künftig auch Anwendung f<strong>in</strong>den auf die Förderung von Frauen (<strong>und</strong> Männern),<br />

die pflegebedürftige Familienangehörige betreuen. Die Tatsache, dass es mehrere Jahrzehnte<br />

gedauert hat bis auch Männer bereit waren, sich stärker an der K<strong>in</strong>dererziehung zu beteiligen,<br />

unterstreicht zudem die Dr<strong>in</strong>glichkeit e<strong>in</strong>es gesellschaftlichen Umdenkens, das Männern<br />

e<strong>in</strong>e stärkere Verantwortungsübernahme <strong>in</strong> der häuslichen Pflege erleichtert.<br />

Verschärft wird sich diese Situation für k<strong>in</strong>derlose Menschen darstellen. K<strong>in</strong>derlose werden ihre<br />

Eltern genauso pflegen wie andere auch – doch wer pflegt sie im Alter? K<strong>in</strong>derlose Menschen<br />

verfügen im Alter <strong>in</strong> weitaus ger<strong>in</strong>gerem Maße über soziales Unterstützungspotential <strong>in</strong> ihrem<br />

familiären Umfeld. K<strong>in</strong>derlose werden die fehlende Unterstützung im Fre<strong>und</strong>eskreis, vor allem<br />

aber durch die Bezahlung entsprechender Dienstleistungen kompensieren müssen. Es ist jedoch<br />

abzusehen, dass nicht alle k<strong>in</strong>derlosen Menschen wohlhabend genug se<strong>in</strong> werden, um dieses<br />

Defizit auszugleichen. Hier entsteht e<strong>in</strong>e neue Zielgruppe staatlicher Sozialpolitik. Der Sozial-<br />

259


260<br />

Andreas Hoff<br />

staat wird zur Unterstützung dieser Menschen <strong>in</strong> Zukunft mehr ambulante Pflegestrukturen aufbauen<br />

bzw. f<strong>in</strong>anzieren müssen.<br />

Schließlich trägt noch e<strong>in</strong> dritter Trend zur Notwendigkeit des Ausbaus ambulanter Pflegestrukturen<br />

bei: Wie im vorliegenden Kapitel gezeigt wurde, nimmt die Wohnentfernung zwischen<br />

Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dern zu. Solange <strong>in</strong> der deutschen Gesellschaft die Erfordernisse des Arbeitsmarktes<br />

Priorität haben gegenüber den Bedürfnissen von Familien, wird vielen Angehörigen der<br />

Elterngeneration im hohen Lebensalter die unmittelbare Unterstützung durch ihre K<strong>in</strong>der vor<br />

Ort fehlen. Der schon heute feststellbare Rückgang an <strong>in</strong>strumenteller Unterstützung unterstreicht<br />

diese Notwendigkeit zusätzlich.<br />

Auch hochaltrige Menschen legen großen Wert auf e<strong>in</strong>e unabhängige Lebensführung. Da die<br />

nachrückenden Generationen <strong>in</strong> noch viel stärkerem Maße durch die Individualisierung der<br />

Gesellschaft geprägt wurden, wird sich dieser Wunsch nach Unabhängigkeit noch verstärken.<br />

Hochaltrige Menschen benötigen Unterstützung zur Führung ihres Haushalts. Wenn diese durch<br />

Familienangehörige wegen zu großer Wohnentfernung nicht geleistet werden kann, müssen<br />

diese Hilfen entweder privat bezahlt oder durch den Sozialstaat bereitgestellt werden.<br />

Sozialpolitik besteht jedoch nicht nur <strong>in</strong> der Bereitstellung von Leistungen – zu Sozialpolitik<br />

gehört auch die Schaffung von geeigneten Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für die Hilfe zur Selbsthilfe.<br />

Der demografische <strong>Wandel</strong> wird <strong>in</strong> den nächsten Jahren zu e<strong>in</strong>schneidenden Veränderungen auf<br />

dem Arbeitsmarkt führen. So wird es künftig zu wenige Pflegekräfte für die wachsende Zahl<br />

hochaltriger Menschen geben. Zur Lösung dieses Problems könnte die Beschäftigung von ausländischen<br />

Pflegekräften sowohl <strong>in</strong> der stationären <strong>und</strong> ambulanten Pflege als auch <strong>in</strong> den<br />

Haushalten hochaltriger Menschen beitragen. Deutschland wird jedoch um diese begehrten Arbeitskräfte<br />

aus dem Ausland mit anderen europäischen Ländern konkurrieren müssen.<br />

Der demografische <strong>Wandel</strong> wird <strong>in</strong> den kommenden Jahrzehnten zu e<strong>in</strong>em gewaltigen Anstieg<br />

der Anzahl Hochaltriger führen. Soziale Unterstützung hat jedoch ihre Grenzen – sie wird nie<br />

e<strong>in</strong>e adäquate stationäre Pflege schwer <strong>und</strong> schwerst Pflegebedürftiger leisten können. Schon<br />

alle<strong>in</strong> deshalb stehen ambulante <strong>und</strong> stationäre Pflegee<strong>in</strong>richtungen vor völlig neuen Herausforderungen,<br />

die sich nur durch den umfassenden Ausbau der vorhandenen Strukturen lösen lassen.<br />

Obwohl Deutschland mit der E<strong>in</strong>führung der Pflegeversicherung gegenüber vielen anderen<br />

Ländern im Vorteil ist, bedarf auch diese fünfte Säule der deutschen Sozialversicherung e<strong>in</strong>er<br />

umfassenden Reform.<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n dieses Abschnitts ist die aktive Förderung des Erlernens sozialer Unterstützungsbeziehungen<br />

von K<strong>in</strong>dheit an empfohlen worden. Außerdem s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Reihe von Maßnahmen zur<br />

Unterstützung häuslicher Pflege benannt worden. Neben diesen konkreten, sozialpolitischen<br />

Empfehlungen wird abschließend <strong>in</strong> Anlehnung an e<strong>in</strong>e Idee von Lüscher & Liegle (2003) die<br />

Zusammenführung der bisher separat geführten politischen Handlungsfelder von Familien-,<br />

K<strong>in</strong>der-, Senioren- <strong>und</strong> Bildungspolitik zu e<strong>in</strong>er „Generationenpolitik“ (Lüscher & Liegle,<br />

2003) angeregt. Dabei handelt es sich um e<strong>in</strong> gesellschaftspolitisches Programm zur Förderung<br />

des künftigen Zusammenlebens von Generationen. Generationenpolitik setzt die Kooperation<br />

verschiedener gesellschaftlicher Akteure (Staat, Kirchen, Verbände, Unternehmen, etc.) voraus.<br />

E<strong>in</strong>e koord<strong>in</strong>ierte Generationenpolitik hat die Interessen aller Generationen im Blick <strong>und</strong> geht<br />

von den Leitideen der Generationengerechtigkeit, wechselseitiger Verantwortung <strong>und</strong> der Ver-


Kapitel 5: Intergenerationale Familienbeziehungen im <strong>Wandel</strong><br />

antwortung für die Zukunft im S<strong>in</strong>ne von Nachhaltigkeit aus. Wenn beispielsweise K<strong>in</strong>der zu<br />

Generationensolidarität <strong>und</strong> <strong>in</strong>tergenerationaler Unterstützung erzogen werden, dann werden<br />

damit zugleich die Interessen der älteren Generation vertreten. So werden K<strong>in</strong>der- <strong>und</strong> Seniorenpolitik<br />

zu zwei Seiten derselben Medaille.<br />

261


5.8 Literatur<br />

262<br />

Andreas Hoff<br />

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6. Tätigkeiten <strong>und</strong> Engagement im Ruhestand<br />

Harald Künem<strong>und</strong><br />

6.1 E<strong>in</strong>leitung<br />

Dass es auch <strong>in</strong> der Lebensphase nach dem Beruf noch systematisch strukturierte Tätigkeiten jenseits<br />

der re<strong>in</strong>en Reproduktionsarbeit gibt, ist – über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum betrachtet – nicht<br />

sonderlich neu. Die Bedeutung, die diesen zukommt, hat jedoch deutlich zugenommen, <strong>und</strong> sie<br />

wird <strong>in</strong> der näheren Zukunft noch weiter zunehmen. Verständlich wird diese <strong>Entwicklung</strong>, wenn<br />

man <strong>in</strong> historischer Perspektive die sozialpolitischen <strong>und</strong> demographischen Veränderungen <strong>in</strong> den<br />

Blick nimmt. Zum Zeitpunkt der E<strong>in</strong>führung der Alters- <strong>und</strong> Invalidenversicherung im Jahre 1891<br />

erreichten z.B. nur knapp 40 Prozent der Frauen <strong>und</strong> r<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Drittel der Männer überhaupt das 60.<br />

Lebensjahr. Heute s<strong>in</strong>d es mehr als vier Fünftel der Frauen <strong>und</strong> mehr als neun Zehntel der Männer,<br />

die dieses Lebensalter erreichen, welches ungefähr dem derzeitigen durchschnittlichen Rentenzugangsalter<br />

entspricht. Und die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt dann noch weitere knapp<br />

18 Jahre für die Männer <strong>und</strong> gut 22 Jahre für die Frauen (vgl. Kohli, 1998, S.3). Nur noch e<strong>in</strong> Achtel<br />

der über 60-jährigen Männer s<strong>in</strong>d erwerbstätig, bei den Frauen sogar nur 12 Prozent, obwohl<br />

ihre Erwerbsbeteiligung <strong>in</strong>sgesamt stark zugenommen hat. Über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum betrachtet<br />

lässt sich also feststellen: E<strong>in</strong> zunehmender Teil der Menschen erreicht das Rentenalter, <strong>und</strong> der<br />

ganz überwiegende Teil derjenigen, die das Rentenalter erreichen, geht dann auch tatsächlich <strong>in</strong><br />

den Ruhestand, ohne noch h<strong>in</strong>zuzuverdienen. Wir haben es daher heute mit e<strong>in</strong>er strukturell klar<br />

abgrenzbaren Lebensphase von erheblicher Länge für den überwiegenden Teil der Bevölkerung zu<br />

tun – also mit Alter als e<strong>in</strong>em selbstverständlichen <strong>und</strong> eigenständigen Teil der Normalbiographie<br />

(Kohli, 1985). Wenn die Soziologie also die Frage nach der Produktivität <strong>in</strong> der nachberuflichen<br />

Lebensphase aufgreift, ist dies ke<strong>in</strong> randständiges Thema, sondern es betrifft aktuell die Lebenssituation<br />

von fast e<strong>in</strong>em Viertel der Bevölkerung. Schon bald werden die über 60-Jährigen sogar<br />

mehr als e<strong>in</strong> Drittel der Bevölkerung stellen.<br />

Die gegenwärtige Aktualität der Frage nach produktiven Tätigkeiten im Ruhestand nährt sich aber<br />

auch aus weiteren Quellen. Neben der gestiegenen durchschnittlichen Lebenserwartung, des im<br />

Schnitt ger<strong>in</strong>geren Alters bei Beendigung der Erwerbsphase <strong>und</strong> der dadurch zunehmenden „Entberuflichung“<br />

des Alters (Tews, 1989) s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbesondere zwei weitere Aspekte zentral: Zum e<strong>in</strong>en<br />

die mit dem steigenden Anteil der Älteren an der Gesamtbevölkerung e<strong>in</strong>hergehende „Alterslast“<br />

für die Sozialversicherungssysteme, zum anderen die zunehmend günstigere Ressourcenausstattung<br />

der Älteren: e<strong>in</strong>em zunehmend brachliegenden „Humankapital“.<br />

Der erste Aspekt steht zumeist im Vordergr<strong>und</strong>, wenn das Thema „Alter“ <strong>in</strong> der öffentlichen Diskussion<br />

auftaucht. Besonders auffällig s<strong>in</strong>d die wiederkehrenden Versuche, e<strong>in</strong>en Generationenkonflikt<br />

zu schüren. Jörg Tremmel – Mitbegründer der „Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen“<br />

– sieht z.B. e<strong>in</strong>e Altenlobby am Werk, die die Zukunftschancen der Jüngeren ru<strong>in</strong>iert,<br />

<strong>und</strong> malt das Schreckensbild e<strong>in</strong>er „Diktatur der Senioren <strong>und</strong> Senilen“ (Tremmel, 1996, S. 60) an<br />

267


268<br />

Harald Künem<strong>und</strong><br />

die Wand. Zugespitzt wird formuliert, die Älteren hätten sich auf Kosten der nachfolgenden Generationen<br />

unrechtmäßig bereichert <strong>und</strong> würden heute vom Wohlfahrtsstaat unverhältnismäßig begünstigt:<br />

Der Wohlstand der heutigen Rentner <strong>und</strong> Pensionäre gehe zulasten enormer ökonomischer<br />

Folgekosten (Arbeitslosigkeit durch zu hohe Lohnnebenkosten, K<strong>in</strong>derarmut, Verschuldung)<br />

<strong>und</strong> ökologischer Schäden (hemmungslose Ausbeutung der Ressourcen, Umweltzerstörung) für die<br />

jüngeren Generationen, während sich die Älteren derweil geruhsam <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e sozial abgefederte<br />

Konsumentenrolle zurückziehen <strong>und</strong> „<strong>in</strong> schmucken Ferienhäusern am Mittelmeer“ überw<strong>in</strong>tern<br />

(Schreiber, 1996, S. 93). Es wird e<strong>in</strong>e „gierige Generation“ (Klöckner, 2003) beklagt, <strong>und</strong> dabei<br />

zumeist geflissentlich übersehen, dass nicht alle Älteren im sonnigen Süden überw<strong>in</strong>tern, nicht alle<br />

die Umwelt gleichermaßen vernachlässigt haben, <strong>und</strong> ke<strong>in</strong>esfalls nur Rentner Zweitwohnungen im<br />

südlichen Ausland besitzen. Die Relevanz sozialer Ungleichheit wird <strong>in</strong> dieser Diskussion zumeist<br />

ignoriert, e<strong>in</strong> <strong>in</strong> weiten Teilen altersunabhängiges Verteilungsproblem zum „Altersklassenkampf“<br />

(Schreiber, 1996) stilisiert. 1 Dabei wird die Leistungsbilanz zwischen den Generationen <strong>in</strong> diesem<br />

Zusammenhang meist e<strong>in</strong>seitig – nämlich mit alle<strong>in</strong>igem Blick auf die öffentlichen Transferleistungen<br />

an die Älteren – dargestellt. Allenfalls die früheren Leistungen der Älteren – etwa <strong>in</strong> der<br />

Aufbauphase der B<strong>und</strong>esrepublik oder ihre geleisteten Beiträge zum System sozialer Sicherung –<br />

f<strong>in</strong>den vere<strong>in</strong>zelt anerkennende Erwähnung. Weitgehend unberücksichtigt aber bleiben die aktuellen<br />

Leistungen der Älteren selbst: Die wohlfahrtsstaatliche Umverteilung von den Erwerbstätigen<br />

zu den Rentnern <strong>und</strong> Pensionären schafft Freiräume <strong>und</strong> stellt Ressourcen bereit, die u.a. durch<br />

ehrenamtliche Tätigkeiten, Pflege, (Enkel-)K<strong>in</strong>derbetreuung, <strong>in</strong>formelle Unterstützungsleistungen<br />

<strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzielle Transfers <strong>in</strong> der Familie auch den Jüngeren wieder zugute kommen (vgl. Künem<strong>und</strong>,<br />

1999; Kohli et al., 2000). Ohneh<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d die hohen Rentenversicherungsbeiträge derzeit noch<br />

weniger den demographischen Veränderungen als jenen am Arbeitsmarkt geschuldet – dieses<br />

Problem steht erst noch an. 2<br />

H<strong>in</strong>sichtlich des zweiten Aspektes ist festzuhalten, dass die Älteren zunehmend e<strong>in</strong>en Personenkreis<br />

darstellen, der mit den bisherigen Kategorien <strong>und</strong> Wahrnehmungsformen von „Rentnern“<br />

nicht mehr angemessen zu erfassen ist: Sie werden nicht nur zahlenmäßig mehr, sondern sie<br />

verbr<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>e deutlich gestiegene Lebenszeit im Ruhestand, sie s<strong>in</strong>d „jünger“ <strong>und</strong> leben zugleich<br />

länger. Vor allem aber weist bislang jede jüngere Ruhestandskohorte e<strong>in</strong>e im Schnitt bessere Bildung,<br />

e<strong>in</strong>e bessere Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> auch e<strong>in</strong>e bessere f<strong>in</strong>anzielle Absicherung auf. Die Älteren<br />

br<strong>in</strong>gen also zunehmend bessere Voraussetzungen für e<strong>in</strong>e aktive <strong>und</strong> produktive Gestaltung mit <strong>in</strong><br />

die nachberufliche Lebensphase. Insofern wäre es nicht überraschend, neue Partizipations- <strong>und</strong><br />

Tätigkeitsformen im Alter vorzuf<strong>in</strong>den, die sich von der „Altersfreizeit“ z.B. der 70er Jahre deut-<br />

1 Zu e<strong>in</strong>em wirklichen Altersklassenkampf fehlt <strong>in</strong> gewisser H<strong>in</strong>sicht noch der Gegner auf gleicher Augenhöhe – zum<strong>in</strong>dest<br />

bislang treten noch kaum öffentlichkeitswirksame <strong>und</strong> schlagkräftige Organisationen Älterer auf, die ähnlich<br />

plakativ den Jüngeren e<strong>in</strong>en kollektiven Egoismus vorwerfen – die rücksichtlose Maximierung ihrer „Wohlfahrtsbilanz“<br />

als k<strong>in</strong>derlose Doppelverdiener, denen die Alten als „Renditekiller“ nur im Weg stehen.<br />

2 Die absehbaren Probleme z.B. der Staatsverschuldung <strong>und</strong> abnehmender Kohortengrößen sollen an dieser Stelle nicht<br />

<strong>in</strong> Abrede gestellt werden – im Gegenteil. Nur deren Rahmung als Generationenkonflikt ist nicht h<strong>in</strong>reichend differenziert<br />

<strong>und</strong> legt „Lösungen“ nahe, die ihrerseits sozial differenzierend wirken. Dies wird – beabsichtigt oder nicht – zu<br />

selten ausführlich erörtert.


Kapitel 6: Tätigkeiten <strong>und</strong> Engagement im Ruhestand<br />

lich unterscheiden. Tatsächlich wird – seit die genannten Trends <strong>in</strong> das Blickfeld geraten s<strong>in</strong>d – das<br />

Entstehen e<strong>in</strong>er neuen Generation „zwischen Lebensmitte <strong>und</strong> Lebensabend“ (Opaschowski &<br />

Neubauer, 1984, S. 36), e<strong>in</strong>es „gewandelten Ruhestandsbewußtse<strong>in</strong>s“ (Naegele 1984: 64), e<strong>in</strong>er<br />

„neuen Muße-Klasse“ (Tokarski, 1985), von „neuen Freizeitgenerationen“ (Attias-Donfut, 1988)<br />

oder zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>e Ausdifferenzierung von Lebensstilen auch im Alter erwartet (Tokarski, 1989).<br />

Die empirische Bef<strong>und</strong>lage hierzu ist bislang allerd<strong>in</strong>gs äußerst dünn. Die wenigen Studien, die<br />

„junge“ oder „neue“ Alte auf repräsentativer Basis empirisch identifizieren konnten, s<strong>in</strong>d widersprüchlich<br />

<strong>und</strong> z.T. auch methodisch fragwürdig: zwischen zwei <strong>und</strong> 25 Prozent variieren die Ergebnisse<br />

alle<strong>in</strong> für den Anteil „neuer“ Alter (Künem<strong>und</strong>, 2001). Gelegentlich wird die Existenz<br />

neuer Lebens- <strong>und</strong> Freizeitstile im Alter schlicht unterstellt (z.B. Tokarski 1998, S. 111), doch<br />

überzeugende empirische Belege fehlen bislang. Dass sich die gesellschaftliche Partizipation im<br />

Alter weniger schnell <strong>und</strong> drastisch verändert, als dies <strong>in</strong> Anbetracht der veränderten Ressourcen<br />

zu erwarten wäre, liegt teilweise auch an den gesellschaftlichen Strukturen, die sich an das Altern<br />

der Gesellschaft noch kaum angepasst haben (Riley et al. 1994). Gemessen an der historischen<br />

Zunahme der Lebenszeit außerhalb des Bereichs der Erwerbsarbeit <strong>und</strong> der zunehmend besseren<br />

Ressourcenausstattung der Älteren ersche<strong>in</strong>t die „gesellschaftliche Produktivität des Alters unterentwickelt“<br />

(Tews 1996, S. 193), weil auch die Opportunitätsstrukturen e<strong>in</strong> produktives Engagement<br />

der Älteren unterentwickelt s<strong>in</strong>d.<br />

Für die beiden genannten Aspekte ist somit die Frage nach der Produktivität des Alters zentral.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs ist umstritten, was unter „Produktivität “ zu verstehen ist, <strong>und</strong> ob man diesen Begriff<br />

überhaupt verwenden sollte (vgl. als Übersicht zu verschiedenen Def<strong>in</strong>itionen O´Reilly/Caro<br />

1994). Während <strong>in</strong> soziologischer <strong>und</strong> ökonomischer Perspektive neben der Erwerbsarbeit primär<br />

Haushaltsproduktion, Eigenarbeit, Ehrenamt <strong>und</strong> Netzwerkhilfen <strong>in</strong> das Blickfeld geraten (z.B.<br />

Glatzer, 1986), kann <strong>in</strong> psychologischer Perspektive bereits die erfolgreiche Anpassung an spezifische<br />

Lebensbed<strong>in</strong>gungen, also z.B. an alterspezifische Verluste, als „produktiv“ bezeichnet werden<br />

(z.B. Baltes, 1996). Wird der Begriff dabei zu eng gefasst, besteht die Gefahr e<strong>in</strong>er Privilegierung<br />

e<strong>in</strong>zelner Tätigkeiten bei der gesellschaftlichen Bewertung e<strong>in</strong>es erfolgreichen Alterns, bzw. umgekehrt:<br />

e<strong>in</strong>er Stigmatisierung anderer Tätigkeiten sowie großer Teile der Bevölkerung als „unproduktiv“.<br />

Dies ist an dieser Stelle selbstverständlich nicht beabsichtigt. Wird der Begriff aber zu<br />

weit gefasst, so verbleibt nur e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Prozentsatz „unproduktiver“ Menschen, deren „Unproduktivität“<br />

oftmals nicht freiwillig gewählt se<strong>in</strong> dürfte <strong>und</strong> für die dieses Konzept daher besonders<br />

unpassend ersche<strong>in</strong>t. Soll die Perspektive der Produktivität empirisch Trennschärfe besitzen, muss<br />

daher irgendwo zwischen solchen Extremen e<strong>in</strong>e Trennl<strong>in</strong>ie gezogen werden – e<strong>in</strong>e Engführung<br />

des Begriffs ist unerlässlich. Es geht dabei dann darum, die Produktivität gemäß dieser Def<strong>in</strong>ition<br />

<strong>in</strong> groben Zügen zu vermessen, wohl wissend, dass andere Aspekte von Produktivität dabei ausgeklammert<br />

bleiben <strong>und</strong> andere Def<strong>in</strong>itionen auch zu anderen Ergebnisse führen können.<br />

Es wurde bereits an früherer Stelle skizziert, welche Tätigkeitsfelder <strong>in</strong> der Lebensphase „Alter“<br />

gesellschaftlich als relevant herausgehoben werden können, aber zumeist noch zu selten angemessen<br />

zur Kenntnis genommen wurden (Kohli & Künem<strong>und</strong>, 1996; Künem<strong>und</strong>, 2000). An dieser<br />

Stelle soll diese Bestandsaufnahme auf der Basis der zweiten Welle des Alterssurveys aktualisiert<br />

werden, wobei sich die Darstellung auf e<strong>in</strong>e sehr knappe Skizze „produktiver“ Tätigkeiten <strong>und</strong><br />

<strong>in</strong>formeller Unterstützungsleistungen beschränkt. Deutlich gemacht werden soll damit, dass sich<br />

die Älteren ke<strong>in</strong>eswegs kollektiv <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e sozial abgefederte Konsumentenrolle zurückziehen <strong>und</strong><br />

269


270<br />

Harald Künem<strong>und</strong><br />

daher empirisch stichhaltig pauschal als egoistische, gierige Generation bezeichnet werden können,<br />

sondern sie <strong>in</strong> beträchtlichem Ausmaß produktiv etwas für die Gesellschaft leisten. Diese Leistung<br />

würde bei e<strong>in</strong>er weiter gefassten Perspektive noch höher liegen, etwa bei Berücksichtigung psychologischer<br />

Aspekte wie z.B. der S<strong>in</strong>nerfüllung im Alter, die wiederum – auch <strong>in</strong> ihrer „Summe“<br />

– e<strong>in</strong>e erhebliche gesellschaftliche Bedeutung haben. Zwar zeigt sich im Vergleich der Altersgruppen<br />

zumeist e<strong>in</strong> deutlicher Rückgang der Partizipationsquoten im höheren Alter, aber die Ursachen<br />

hierfür s<strong>in</strong>d nicht zw<strong>in</strong>gend <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Egoismus der älteren Generation zu suchen – Opportunitätsstrukturen<br />

<strong>und</strong> Ressourcen wie Ges<strong>und</strong>heit, Bildung <strong>und</strong> e<strong>in</strong> h<strong>in</strong>reichendes <strong>und</strong> verlässliches E<strong>in</strong>kommen<br />

dürften neben e<strong>in</strong>geschliffenen Rout<strong>in</strong>en der Lebensführung <strong>und</strong> Altersbildern weit entscheidender<br />

se<strong>in</strong>. Dass die Verfügbarkeit <strong>und</strong> Verlässlichkeit dieser Ressourcen <strong>in</strong> der gegenwärtigen<br />

Diskussion um die Zukunft des Sozialstaats dennoch <strong>in</strong>frage gestellt werden, ist so betrachtet<br />

sogar widers<strong>in</strong>nig: Die Gr<strong>und</strong>lagen für e<strong>in</strong>e „produktive“ Partizipation stehen damit für Teile der<br />

Älteren ebenfalls <strong>in</strong>frage.<br />

Im Folgenden wird die gegenwärtige Verbreitung der wichtigsten Tätigkeiten dokumentiert, wie<br />

sie mit dem Alterssurvey 2002 erfasst wurden. Auch wenn sich das Interesse an dieser Stelle<br />

hauptsächlich auf die gegenwärtigen Tätigkeiten im Ruhestand richtet, ist der E<strong>in</strong>bezug jüngerer<br />

Personen wichtig: Die Besonderheiten dieser Lebensphase treten erst im Vergleich hervor. In den<br />

Abbildungen werden daher Altersunterschiede über die Spanne von 40 bis 85 Jahren <strong>in</strong> Fünfjahresgruppen<br />

ausgewiesen, jeweils getrennt für Männer <strong>und</strong> Frauen <strong>in</strong> Ost <strong>und</strong> West. Trotz der <strong>in</strong>sgesamt<br />

hohen Fallzahl ist damit fast die Grenze der Aussagefähigkeit erreicht. Dies gilt <strong>in</strong>sbesondere<br />

für die Altersgruppen 75-79 Jahre <strong>und</strong> 80-85 Jahre <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>esländern, da die Ausschöpfung<br />

bei den Ältesten etwas weniger gut ausfiel. Konkret basieren die Daten für die neuen B<strong>und</strong>esländer<br />

im Jahre 1996 auf 52 Männern <strong>und</strong> 69 Frauen der Altersgruppe 75-79 Jahre sowie 49 Männern<br />

<strong>und</strong> 53 Frauen der Altersgruppe 80-85 Jahre (jeweils ungewichtete Fallzahlen). Im Jahr 2002<br />

s<strong>in</strong>d es <strong>in</strong> der Altersgruppe 75-79 Jahre mit 54 <strong>und</strong> 67 Fällen ähnlich viele Befragte, <strong>und</strong> auch <strong>in</strong><br />

den jüngeren Altersgruppen s<strong>in</strong>d es nur je um die 50 Fälle. Bei den 80- bis 85-Jährigen s<strong>in</strong>d es<br />

sogar nur 28 Männer <strong>und</strong> 39 Frauen. In E<strong>in</strong>zelfällen kann es bei dieser fe<strong>in</strong>en Untergliederung <strong>in</strong><br />

diesen Gruppen somit zu „ungewöhnlichen“ Quoten kommen, die nicht über<strong>in</strong>terpretiert werden<br />

sollten. Die Tabellen im Anhang geben zusätzlich e<strong>in</strong>e Übersicht zu den wichtigsten Ergebnissen,<br />

gegliedert nach den Schichtungskriterien der Stichprobe.<br />

6.2 Erwerbstätigkeit<br />

Mit dem Altern der Gesellschaft geht e<strong>in</strong>e Verknappung des Arbeitskräfteangebots e<strong>in</strong>her: Dem<br />

Arbeitsmarkt werden – auch bei fortgesetzter Zuwanderung – <strong>in</strong> Zukunft deutlich weniger junge<br />

Arbeitskräfte zur Verfügung stehen als bisher. Dem „Altern der Gesellschaft“ korrespondiert daher<br />

e<strong>in</strong> „Altern der Belegschaften“, was für die Leistungs- <strong>und</strong> Konkurrenzfähigkeit der Betriebe wie<br />

auch der Volkswirtschaft <strong>in</strong>sgesamt gänzlich neue Herausforderungen stellt, die bislang noch kaum<br />

h<strong>in</strong>reichend erkannt worden s<strong>in</strong>d (vgl. z.B. Frerichs, 1998; Bull<strong>in</strong>ger, 2001; Herfurth et al., 2003).<br />

Die bisherige Praxis der beruflichen Frühausgliederung muss vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> ebenso <strong>in</strong>frage<br />

gestellt werden wie das gängige Bild älterer Arbeitnehmer mit ger<strong>in</strong>gerer Leistungsfähigkeit,<br />

höheren krankheitsbed<strong>in</strong>gten Ausfallzeiten, ger<strong>in</strong>gerer Qualifikation vor allem im Umgang mit<br />

neuen Technologien usw., im Gegenteil s<strong>in</strong>d Diskussionen notwendig zu Stichworten wie dem


Kapitel 6: Tätigkeiten <strong>und</strong> Engagement im Ruhestand<br />

„Lebenslangen Lernen im Beruf“, der Gestaltung der Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen für ältere Arbeitnehmer<br />

sowie nicht zuletzt der Veränderung der Altersgrenzen beim Ausscheiden aus dem Erwerbsleben<br />

<strong>und</strong> dem Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand, soll das Altern der Gesellschaft nicht zu e<strong>in</strong>em zusätzlichen<br />

„Standortnachteil“ werden.<br />

Der Blick auf die gegenwärtige Erwerbsbeteiligung Älterer ist vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>in</strong>struktiv,<br />

<strong>in</strong>sofern er die Beschäftigungsfelder, Kompetenzen <strong>und</strong> Ressourcen <strong>in</strong> den Blick nehmen kann,<br />

auch wenn es sich derzeit nicht um e<strong>in</strong>e besonders verbreitete Form nachberuflicher Tätigkeit handelt.<br />

Der Blick auf die Erwerbsbeteiligung steht aber hier auch deshalb an erster Stelle, weil der<br />

Rückgang der Erwerbsbeteiligung im Alter den H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> für die Frage nach den nachberuflichen<br />

Tätigkeitsfeldern erhellt.<br />

Die Ergebnisse des Alterssurvey zeigen e<strong>in</strong>e relativ hohe Arbeitsmarktbeteiligung der 40- bis 44jährigen<br />

Männer <strong>in</strong> den alten B<strong>und</strong>esländern (89 Prozent, e<strong>in</strong>schließlich unregelmäßiger, ger<strong>in</strong>gfügiger<br />

<strong>und</strong> Nebenerwerbstätigkeiten sowie der Erwerbstätigkeit von Rentnern <strong>und</strong> Pensionären; vgl.<br />

Abbildung 6.1), während <strong>in</strong> der Altersgruppe der 60- bis 64-Jährigen dieser Anteil nur bei 31 Prozent<br />

liegt. Im Vergleich zu 1996 s<strong>in</strong>d diese Anteile etwas gesunken, aber <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>esländern<br />

liegen diese Anteile längst nicht mehr so deutlich unter jenen im Westen, wie dies noch 1996<br />

der Fall war (vgl. Künem<strong>und</strong>, 2000). Dies dürfte daran liegen, dass die Vorruhestands- <strong>und</strong> Altersübergangsgeldregelungen<br />

im Osten Deutschlands nicht mehr greifen bzw. ausgelaufen s<strong>in</strong>d; die<br />

Wirkungen der massiven Ausgliederung älterer Arbeitnehmer nach der Wende – 1996 noch deutlich<br />

erkennbar – s<strong>in</strong>d kaum noch auszumachen.<br />

Abbildung 6.1:<br />

Alle Erwerbstätigkeiten<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, gewichtet.<br />

40-44<br />

45-49<br />

50-54<br />

55-59<br />

60-64<br />

65-69<br />

70-74<br />

75-79<br />

80-85<br />

Altersgruppen<br />

Männer (West)<br />

Männer (Ost)<br />

Frauen (West)<br />

Frauen (Ost)<br />

Die Quoten bei den 60- bis 64-Jährigen lägen noch etwas niedriger, wenn nur hauptberufliche Tätigkeiten<br />

betrachtet werden würden – die hier e<strong>in</strong>bezogenen Erwerbstätigkeiten der Altersrentner<br />

271


272<br />

Harald Künem<strong>und</strong><br />

führen zu e<strong>in</strong>er leichten Überschätzung des Anteils der Personen, die noch voll im Erwerbsleben<br />

stehen. E<strong>in</strong>e solche Erwerbstätigkeit nach dem Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand ist noch immer e<strong>in</strong>e<br />

seltene Ausnahme, aber etwas häufiger als noch 1996: Es s<strong>in</strong>d 6,3 Prozent derjenigen unter 86<br />

Jahren erwerbstätig, die bereits e<strong>in</strong>e Altersrente aus eigener Erwerbstätigkeit beziehen (1996: 5,1<br />

Prozent); bei den 70- bis 85-Jährigen s<strong>in</strong>d es 4,7 Prozent (vgl. Tabelle A6.1). 3 Die Männer s<strong>in</strong>d<br />

dabei mit 7,2 Prozent etwa aktiver als die Frauen (5,5 Prozent). Und im Osten Deutschlands ist<br />

e<strong>in</strong>e Erwerbstätigkeit von Altersrentnern <strong>und</strong> Pensionären mit 4,9 Prozent etwas seltener als im<br />

Westen (6,7 Prozent). Insgesamt aber kann man festhalten, dass die „Entberuflichung“ des Alters<br />

heute be<strong>in</strong>ahe vollständig erfolgt ist. Welche Tätigkeiten treten an diese Stelle? Welche werden<br />

neu aufgenommen, welche <strong>in</strong>tensiviert?<br />

6.3 Ehrenamtliches Engagement<br />

Das Interesse am Feld der ehrenamtlichen Tätigkeiten hat <strong>in</strong> den letzten Jahren enorm zugenommen,<br />

<strong>und</strong> zwar auch h<strong>in</strong>sichtlich der Älteren. Die Datenlage hierzu hat sich ebenfalls deutlich verbessert,<br />

allerd<strong>in</strong>gs ist sie nicht immer leicht <strong>in</strong>terpretierbar. Unter ehrenamtlicher Tätigkeit wurde<br />

lange Zeit freiwillige, nicht auf Entgelt ausgerichtete Tätigkeit im Rahmen von Institutionen <strong>und</strong><br />

Vere<strong>in</strong>igungen verstanden, also e<strong>in</strong>e an die Mitgliedschaft <strong>in</strong> Organisationen, Vere<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Verbänden<br />

geb<strong>und</strong>ene Funktion. Dieses „traditionelle“ Bild des Ehrenamts gerät seit längerem <strong>in</strong> Bedrängnis<br />

– es wird e<strong>in</strong>e „neue Ehrenamtlichkeit“ außerhalb oder am Rande der traditionellen Institutionen<br />

– <strong>in</strong>sbesondere der großen Wohlfahrtsverbände – konstatiert, nämlich <strong>in</strong> selbstorganisierten<br />

Gruppen, Initiativen <strong>und</strong> Projekten (Olk, 1987). Was das qualitativ Neue an der neuen Ehrenamtlichkeit<br />

ist, bleibt dennoch etwas unklar. Schmitz-Scherzer et al. (1994, S. 70) heben z.B. den<br />

Aspekt der Professionalisierung <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Abkehr vom Pr<strong>in</strong>zip der Unentgeltlichkeit hervor. In<br />

dieser Perspektive handelt es sich also tendenziell um e<strong>in</strong>e „schlecht bezahlte Erwerbsarbeit“, deren<br />

verstärkte Inanspruchnahme letztlich helfen soll, den Sozialstaat zu entlasten (vgl. auch die<br />

Diskussion im Band von Müller & Rauschenbach, 1988). Braun et al. (1997, S. 98f.) stellen als<br />

Unterschied heraus, dass „traditionelles“ Ehrenamt primär „Tätigkeit für andere“ sei, das „neue“<br />

Ehrenamt eher „Tätigkeit für sich <strong>und</strong> für andere“. In dieser Perspektive wird das gesellschaftliche<br />

bzw. sozialpolitische Interesse an e<strong>in</strong>er verstärkten Nutzung unausgeschöpfter Potentiale ehrenamtlichen<br />

Engagements neben e<strong>in</strong>en expliziten H<strong>in</strong>weis auf die „process benefits“ für die beteiligten<br />

Individuen gestellt. Empirisch allerd<strong>in</strong>gs dürften sowohl diese Differenzierung zwischen altruistischen<br />

bzw. Verpflichtungsmotiven <strong>und</strong> egoistischen bzw. Selbstentfaltungsmotiven als auch deren<br />

konkrete Mischungsverhältnisse kaum bestimmbar se<strong>in</strong>, 4 so dass auch dieser <strong>Wandel</strong> nur schwer<br />

3 Nicht erhoben wurden Erwerbstätigkeiten von Vorruheständlern, Arbeitslosen <strong>und</strong> Beziehern von Erwerbs- <strong>und</strong> Berufsunfähigkeitsrenten.<br />

4 E<strong>in</strong>e Mischung dieser Motive ist ohneh<strong>in</strong> auch beim „traditionellen“ Ehrenamt wahrsche<strong>in</strong>lich: Das Erlangen der<br />

„Ehre“, welche mit dem traditionellen politischen Ehrenamt e<strong>in</strong>hergeht, kann selbst e<strong>in</strong> wesentliches Motiv zur Ausübung<br />

dieser Tätigkeiten darstellen. Und auch beim sozialen Ehrenamt spielen <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Interessen <strong>und</strong> Präferenzen<br />

(e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle Aufgabe zu haben, Kontakte zu Anderen usw.) sicher schon länger e<strong>in</strong>e erhebliche Rolle.


Kapitel 6: Tätigkeiten <strong>und</strong> Engagement im Ruhestand<br />

empirisch belegt werden kann. E<strong>in</strong>deutig sche<strong>in</strong>t lediglich der Bef<strong>und</strong>, dass sich die Felder ehrenamtlichen<br />

Engagements ausdifferenzieren <strong>und</strong> nicht mehr auf die traditionellen Vere<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Verbände<br />

beschränken.<br />

Daneben kamen <strong>in</strong> den letzten Jahren zunehmend neuere Konzepte wie bürgerschaftliches Engagement<br />

oder freiwillige soziale Tätigkeiten <strong>in</strong> die Diskussion, die empirisch unterschiedlich erfasst<br />

werden <strong>und</strong> daher zu gänzlich anderen Ergebnissen führen. In die Erhebung bürgerschaftlichen<br />

Engagements etwa geht bereits die aktive Beteiligung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Selbsthilfegruppe oder der Kirchengeme<strong>in</strong>de<br />

e<strong>in</strong>, auch wenn damit ke<strong>in</strong> „Amt“ oder e<strong>in</strong>e spezifische „Funktion“ verb<strong>und</strong>en ist (Klages<br />

1998). Es stehen also weniger Funktionen oder Ämter als vielmehr das Engagement an sich im<br />

Vordergr<strong>und</strong>, d.h. auch jemand, der sich aktiv z.B. für Dorf- <strong>und</strong> Stadtteilverschönerung e<strong>in</strong>setzt,<br />

soll explizit e<strong>in</strong>gerechnet werden, <strong>und</strong> zwar auch dann, wenn diese Person <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />

ke<strong>in</strong> Amt bekleidet, sondern sich eben nur aktiv beteiligt. Diese Breite ist bei der allgeme<strong>in</strong>eren<br />

Frage nach dem bürgerschaftlichen Engagement auch durchaus s<strong>in</strong>nvoll, jedoch s<strong>in</strong>d die Ergebnisse<br />

dann nur sehr e<strong>in</strong>geschränkt mit den bisherigen Ergebnissen zum ehrenamtlichen Engagement<br />

vergleichbar: die so ermittelten Beteiligungsquoten liegen zwangsläufig deutlich höher.<br />

Damit werden nicht nur die Ergebnisse empirischer Forschung vielfältiger; auch e<strong>in</strong> Querschnittsvergleich<br />

zur Abschätzung gesellschaftlicher Veränderungen <strong>in</strong> diesem Bereich wird erschwert. Im<br />

Alterssurvey wurde h<strong>in</strong>gegen versucht, das traditionelle Ehrenamt <strong>in</strong> den Mittelpunkt zu stellen,<br />

um mit früheren Studien vergleichbar zu bleiben, zugleich aber neuere Formen des Engagements<br />

<strong>in</strong>sbesondere im alterspezifischen Bereich sowie weitere ehrenamtliche Tätigkeiten ohne Anb<strong>in</strong>dung<br />

an Vere<strong>in</strong>e oder Verbände zusätzlich e<strong>in</strong>zubeziehen. 5<br />

Im Bereich des so gemessenen ehrenamtlichen Engagements fällt der Rückgang der Partizipation<br />

im höheren Alter weit weniger dramatisch als etwa die Erwerbstätigkeit, aber immer noch erheblich<br />

aus (vgl. Abbildung 6.2 sowie Tabelle A6.1). Die Beteiligung geht von 23 Prozent bei den 40-<br />

bis 54-Jährigen auf neun Prozent bei den 70- bis 85-Jährigen zurück. Im Osten ist e<strong>in</strong> ehrenamtliches<br />

Engagement <strong>in</strong> allen Altersgruppen deutlich seltener als im Westen. Männer s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> allen<br />

Altersgruppen – <strong>in</strong> Ost <strong>und</strong> West – häufiger ehrenamtlich tätig als Frauen, <strong>und</strong> diese Differenz<br />

nimmt über die Altersgruppen zu, stärker noch, als dies bereits 1996 der Fall war.<br />

5 Die verwendete Liste zu den Vere<strong>in</strong>en, Gruppen <strong>und</strong> Verbänden schließt u.a. Selbsthilfegruppen, Bürger<strong>in</strong>itiativen,<br />

Seniorengenossenschaften, Gruppen für freiwillige Tätigkeiten <strong>und</strong> Hilfen e<strong>in</strong>; es lassen sich also mit dem Alterssurvey<br />

– zumal auch <strong>in</strong>formelle Hilfen <strong>und</strong> Pflegetätigkeiten erhoben wurden – verschiedene Konzepte messen <strong>und</strong> analysieren.<br />

Im Folgenden wird e<strong>in</strong>e eher restriktive Def<strong>in</strong>ition des Ehrenamts verwendet, die nur konkrete Funktionen<br />

bzw. Ämter <strong>in</strong> diesen Gruppen berücksichtigt, nicht aber bereits die Mitgliedschaft z.B. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Selbsthilfegruppe oder<br />

Bürger<strong>in</strong>itiative.<br />

273


Abbildung 6.2:<br />

Ehrenamtliches Engagement<br />

274<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, gewichtet.<br />

40-44<br />

45-49<br />

50-54<br />

55-59<br />

60-64<br />

65-69<br />

70-74<br />

75-79<br />

80-85<br />

Altersgruppen<br />

Männer (West)<br />

Männer (Ost)<br />

Frauen (West)<br />

Frauen (Ost)<br />

Harald Künem<strong>und</strong><br />

Die höchsten Quoten von ehrenamtlich Tätigen unter den 40- bis 85-Jährigen f<strong>in</strong>den sich bei den<br />

Sportvere<strong>in</strong>en, geselligen Vere<strong>in</strong>igungen, kirchlichen bzw. religiösen Gruppen <strong>und</strong> den wohltätigen<br />

Organisationen, d.h. solchen Vere<strong>in</strong>en, Gruppen <strong>und</strong> Verbänden, die man als „altersunspezifisch“<br />

bezeichnen kann. Im Kontrast zu der wissenschaftlichen <strong>und</strong> sozialpolitischen Aufmerksamkeit,<br />

die dem „altersspezifischen“ Bereich der Seniorengenossenschaften, Vorruhestands- <strong>und</strong><br />

Seniorenselbsthilfegruppen, politischen Interessenvertretungen Älterer oder dem Bereich der Bildung<br />

im Alter zuteil wird, ist e<strong>in</strong>e faktische Teilnahme <strong>in</strong> diesen Bereichen eher selten. Und bei<br />

diesen altersspezifischen Gruppen <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>en ist die Beteiligung im „traditionellen“ Bereich am<br />

stärksten, also <strong>in</strong> den Seniorenfreizeitstätten oder z.B. <strong>in</strong> Seniorentanzgruppen. Die „neuen“ Formen<br />

altersspezifischer Partizipation stoßen auf wesentlich ger<strong>in</strong>geren Zuspruch. Vergleichsweise<br />

hoch liegt dagegen mit gut sechs Prozent der Anteil der Ehrenämter <strong>und</strong> Funktionen, die nicht an<br />

e<strong>in</strong>e Mitgliedschaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vere<strong>in</strong> oder Verband geb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d.<br />

Die ehrenamtlich Tätigen <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>en oder Verbänden s<strong>in</strong>d meist wöchentlich (48 Prozent) oder<br />

monatlich (36 Prozent) <strong>in</strong> dieser Funktion tätig; drei Prozent s<strong>in</strong>d sogar täglich, weitere 13 Prozent<br />

aber auch seltener als monatlich engagiert. Frauen <strong>und</strong> Männer unterscheiden sich <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht<br />

nicht – es gibt also <strong>in</strong> allen Altersgruppen bei Männern <strong>und</strong> Frauen etwa gleich hohe Anteile<br />

von mehr <strong>und</strong> weniger aktiven Ehrenamtlichen. Im Schnitt werden knapp 18 St<strong>und</strong>en pro Monat <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e ehrenamtliche Tätigkeit <strong>in</strong>vestiert – 19 St<strong>und</strong>en von den 40- bis 54-Jährigen <strong>und</strong> 17 St<strong>und</strong>en<br />

von den 70- bis 85-Jährigen. Dem deutlichen Rückgang im Beteiligungsgrad entspricht also ke<strong>in</strong><br />

ebenso deutlicher Rückgang der Intensität des Ehrenamtes. Es handelt sich oftmals um e<strong>in</strong> erhebliches<br />

Engagement, welches die Älteren weitgehend unentgeltlich e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen.


Kapitel 6: Tätigkeiten <strong>und</strong> Engagement im Ruhestand<br />

6.4 Pflegetätigkeiten<br />

Nach den jüngsten Ergebnissen e<strong>in</strong>er Repräsentativerhebung im Auftrag des B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isteriums<br />

für Familie, Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend (BMFSFJ) liegt die Zahl der Hilfs- <strong>und</strong> Pflegebedürftigen<br />

<strong>in</strong> Privathaushalten – gemessen an den Leistungsbeziehern der sozialen oder privaten Pflegeversicherung<br />

– bei r<strong>und</strong> 1,4 Millionen (Schneekloth & Leven, 2003). H<strong>in</strong>zu kommen zusätzlich<br />

knapp 3 Millionen so genannte hauswirtschaftlich Hilfebedürftige, die bei ihren alltäglichen Verrichtungen<br />

e<strong>in</strong>geschränkt s<strong>in</strong>d; knapp die Hälfte davon ist auf tägliche Hilfe angewiesen. Die Studie<br />

zeigt auch, dass <strong>in</strong> ganz überwiegendem Maße die näheren Angehörigen für die Betreuung<br />

Pflege- <strong>und</strong> Hilfsbedürftiger <strong>in</strong> Privathaushalten – meist unbezahlt – die Hauptverantwortung tragen.<br />

Bei den ersten Auswertungen des Alterssurvey hatte sich gezeigt, dass die bisherigen Studien (<strong>und</strong><br />

auch neuere wie z.B. Schneekloth & Leven, 2003) durch die Konzentration auf die jeweiligen<br />

Hauptpflegepersonen auf der Ebene pflegenden Personen ke<strong>in</strong>e Repräsentativität beanspruchen<br />

können <strong>und</strong> hier eher zu Fehlschlüssen verleiten. Dies wurde u.a. daran deutlich, dass sich im Alterssurvey<br />

e<strong>in</strong> höherer Anteil von pflegenden Männern ergab, als dies üblicherweise angenommen<br />

wurde (vgl. ausführlich hierzu: Künem<strong>und</strong>, 2000). Inzwischen konnte diese Perspektive auch mit<br />

Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) repliziert werden, wobei die Ergebnisse jenen des<br />

Alterssurvey weitgehend entsprechen (vgl. Schupp & Künem<strong>und</strong>, 2004).<br />

Auch die Ergebnisse der zweiten Welle weisen <strong>in</strong> diese Richtung. Insgesamt betreuen gut elf Prozent<br />

der 40- bis 85-jährigen hilfe- oder pflegebedürftige Personen, <strong>und</strong> zwar überwiegend die<br />

(Schwieger-)Eltern: 51 Prozent der Pflegenden betreuen e<strong>in</strong>en Angehörigen der Elterngeneration.<br />

Nur e<strong>in</strong> Prozent der Pflegenden betreut e<strong>in</strong>en Angehörigen der Großelterngeneration, 18 Prozent<br />

betreuen e<strong>in</strong>en (Ehe-)Partner, 19 Prozent e<strong>in</strong>en anderen Verwandten <strong>und</strong> 17 Prozent e<strong>in</strong>e nichtverwandte<br />

Person. Der Anteil derjenigen Pflegenden, die e<strong>in</strong>en Angehörigen der Elterngeneration<br />

betreuen, ist bei den 40- bis 54-Jährigen am höchsten (72 Prozent), da <strong>in</strong> den höheren Altersgruppen<br />

die Existenz e<strong>in</strong>es Angehörigen der Elterngeneration zunehmend unwahrsche<strong>in</strong>licher wird. Bei<br />

den 70- bis 85-Jährigen s<strong>in</strong>d es h<strong>in</strong>gegen überwiegend die (Ehe-)Partner, die gepflegt werden (45<br />

Prozent). Aber auch der Prozentsatz derjenigen, die e<strong>in</strong>e nicht-verwandte Person betreuen, nimmt<br />

über die Altersgruppen zu: Von den Pflegenden betreuen 15 Prozent der 40- bis 54-Jährigen, 22<br />

Prozent der 55- bis 69-Jährigen <strong>und</strong> 32 Prozent der 70- bis 85-Jährigen e<strong>in</strong>e Person, mit der sie<br />

nicht verwandt s<strong>in</strong>d. Gleichzeitig geht die Quote der Pflegenden im Altersgruppenvergleich kaum<br />

zurück (vgl. Abbildung 6.3).<br />

275


Abbildung 6.3:<br />

Pflegetätigkeiten<br />

276<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, gewichtet.<br />

40-44<br />

45-49<br />

50-54<br />

55-59<br />

60-64<br />

65-69<br />

70-74<br />

75-79<br />

80-85<br />

Altersgruppen<br />

Männer (West)<br />

Männer (Ost)<br />

Frauen (West)<br />

Frauen (Ost)<br />

Harald Künem<strong>und</strong><br />

Die Unterschiede zwischen den Altersgruppen fallen also weniger deutlich aus als z.B. beim Ehrenamt.<br />

Deutlich erkennbar ist die höhere Quote der pflegenden Frauen: Sie pflegen mit knapp 15<br />

Prozent deutlich häufiger als Männer (acht Prozent). Dieser Unterschied zwischen Frauen <strong>und</strong><br />

Männern ist am höchsten <strong>in</strong> der Gruppe der 40- bis 54-Jährigen, <strong>in</strong> der es hauptsächlich um die<br />

Pflege der (Schwieger-)Eltern geht, <strong>und</strong> ger<strong>in</strong>ger <strong>in</strong> der mittleren <strong>und</strong> höchsten der drei Altersgruppen,<br />

<strong>in</strong> der die Pflege des (Ehe-)Partners <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong> tritt. Und wo (Ehe-)Partner gepflegt<br />

werden, handelt es sich oftmals um e<strong>in</strong>e Betreuung „r<strong>und</strong> um die Uhr“, weshalb der durchschnittliche<br />

Zeitaufwand bei den 70- bis 85-Jährigen auch fast doppelt so hoch ausfällt wie bei den<br />

40- bis 54-Jährigen. Dem leichten Rückgang des Anteils der Pflegenden <strong>in</strong> den höheren Altersgruppen<br />

steht also e<strong>in</strong>e erhebliche zeitliche Intensivierung gegenüber, zugleich aber auch e<strong>in</strong> häufigeres<br />

Engagement für entferntere Verwandte, Fre<strong>und</strong>e, Bekannte <strong>und</strong> Nachbarn, als dies bei den<br />

jüngeren zu beobachten ist.<br />

6.5 (Enkel-)K<strong>in</strong>derbetreuung<br />

Die Betreuung von Enkelk<strong>in</strong>dern wurde <strong>in</strong> der Literatur zu Tätigkeitsformen im Alter bislang eher<br />

selten zum Thema gemacht. Sie ist dennoch <strong>in</strong> vielerlei H<strong>in</strong>sicht von Bedeutung: für die Vergesellschaftung<br />

<strong>und</strong> familiale Integration der Älteren, aber auch für die mittlere Generation (z.B. h<strong>in</strong>sichtlich<br />

der Entlastung erwerbstätiger Personen) <strong>und</strong> die Sozialisation der Enkelk<strong>in</strong>der. Die strukturellen<br />

Möglichkeiten für solche Tätigkeiten haben historisch betrachtet deutlich zugenommen –<br />

die angestiegene Lebenserwartung hat die geme<strong>in</strong>same Lebenszeit unterschiedlicher Generationen<br />

<strong>in</strong>nerhalb der Familie stark erhöht (Uhlenberg, 1980, 1996).


Kapitel 6: Tätigkeiten <strong>und</strong> Engagement im Ruhestand<br />

E<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>derbetreuung ist als Tätigkeit bei den 55- bis 69-Jährigen am häufigsten vorf<strong>in</strong>dbar (vgl.<br />

Abbildung 6.4 sowie Tabelle A6.1). Der ger<strong>in</strong>gere Anteil bei den Ältesten hängt wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

damit zusammen, dass die Enkelk<strong>in</strong>der hier oftmals e<strong>in</strong> Alter erreicht haben, <strong>in</strong> dem die Betreuung<br />

zunehmend überflüssig wird. Wie bei den Pflegetätigkeiten s<strong>in</strong>d es eher die Frauen, die <strong>in</strong> diesem<br />

Bereich tätig s<strong>in</strong>d. Die Unterschiede zwischen den alten <strong>und</strong> neuen B<strong>und</strong>esländern s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sofern<br />

überraschend, also 1996 noch e<strong>in</strong>e sehr deutlich höhere Beteiligung im Osten festgestellt wurde:<br />

Von beiden Geschlechtern <strong>und</strong> <strong>in</strong> allen Altersgruppen wurde diese Tätigkeit <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>esländern<br />

häufiger ausgeübt. Dies dürfte z.T. auf die etwas höhere Fertilität <strong>und</strong> das niedrigere Alter<br />

der Eltern bei der Geburt der K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>esländern zurückgegangen se<strong>in</strong>. H<strong>in</strong>gegen<br />

dürfte sich heute der drastische Geburtenrückgang nach der Wende stärker auswirken – die Gelegenheitsstrukturen<br />

für solche Tätigkeiten haben sich <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>esländern verschlechtert.<br />

Abbildung 6.4:<br />

(Enkel-)K<strong>in</strong>derbetreuung<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, gewichtet.<br />

40-44<br />

45-49<br />

50-54<br />

55-59<br />

60-64<br />

65-69<br />

70-74<br />

75-79<br />

80-85<br />

Altersgruppen<br />

Männer (West)<br />

Männer (Ost)<br />

Frauen (West)<br />

Frauen (Ost)<br />

Der Zeitaufwand für diese Tätigkeit liegt im Durchschnitt bei ca. 35 St<strong>und</strong>en pro Monat. Die Varianz<br />

ist aber erheblich, da <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen wenigen Fällen e<strong>in</strong>e Betreuung „r<strong>und</strong> um die Uhr“ angegeben<br />

wurde, <strong>in</strong> anderen Fällen nur e<strong>in</strong>e St<strong>und</strong>e pro Monat. Die betreuten Personen s<strong>in</strong>d überwiegend die<br />

Enkelk<strong>in</strong>der (73 Prozent), allerd<strong>in</strong>gs bei erheblichen Altersunterschieden: Bei den Jüngeren s<strong>in</strong>d es<br />

überwiegen K<strong>in</strong>der von Fre<strong>und</strong>en oder Bekannten (35 Prozent); Enkelk<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d hier noch vergleichsweise<br />

selten vorhanden. Bei den 70- bis 85-Jährigen aber s<strong>in</strong>d es zu 90 Prozent Enkelk<strong>in</strong>der.<br />

Das Engagement der Älteren <strong>in</strong> diesem Bereich kommt also fast ausschließlich der Familie zugute.<br />

277


6.6 Informelle Hilfen <strong>und</strong> Transfers<br />

278<br />

Harald Künem<strong>und</strong><br />

Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, <strong>in</strong>formelle Hilfe <strong>und</strong> Unterstützung zu benötigen.<br />

Es ist aber auch h<strong>in</strong>sichtlich solcher Unterstützungsleistungen im Alltag zu e<strong>in</strong>seitig, die<br />

Älteren nur als potentielle oder faktische Empfänger von Hilfen darzustellen – e<strong>in</strong> erheblicher Anteil<br />

auch der Ältesten ist h<strong>in</strong>sichtlich solcher Unterstützungsleistungen im Alltag nicht Hilfebedürftig<br />

(vgl. Künem<strong>und</strong> & Hollste<strong>in</strong>, 2000). Im Gegenteil hat sogar von den 70- bis 85-Jährigen jeder<br />

Siebente e<strong>in</strong>er anderen Person, die nicht im gleichen Haushalt lebt, bei Arbeiten im Haushalt, z.B.<br />

beim Saubermachen, bei kle<strong>in</strong>eren Reparaturen oder beim E<strong>in</strong>kaufen geholfen. Bei den 40- bis 54-<br />

Jährigen liegt dieser Anteil allerd<strong>in</strong>gs bei 47 Prozent, d.h. auch solche Tätigkeiten werden über die<br />

Altersgruppen h<strong>in</strong>weg betrachtet deutlich seltener (Abbildung 6.5).<br />

Abbildung 6.5:<br />

Informelle Unterstützungsleistungen<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, gewichtet.<br />

40-44<br />

45-49<br />

50-54<br />

55-59<br />

60-64<br />

65-69<br />

70-74<br />

75-79<br />

80-85<br />

Altersgruppen<br />

Männer (West)<br />

Männer (Ost)<br />

Frauen (West)<br />

Frauen (Ost)<br />

In den neuen B<strong>und</strong>esländern s<strong>in</strong>d solche Unterstützungsleistungen <strong>in</strong> allen Altersgruppen etwas<br />

seltener, <strong>und</strong> zwar <strong>in</strong>sbesondere bei den Frauen. Bei den Jüngeren könnte dabei die stärkere Arbeitsmarktbeteiligung<br />

e<strong>in</strong>e Rolle spielen, aber <strong>in</strong>sgesamt ist dieser Trend überraschend, denn 1996<br />

war es noch umgekehrt: In den neuen B<strong>und</strong>esländern waren solche Unterstützungsleistungen <strong>in</strong><br />

allen Altersgruppen häufiger, <strong>und</strong> dies lag <strong>in</strong>sbesondere an den Männern, die hier stärker engagiert<br />

waren als die Frauen. Möglicherweise f<strong>in</strong>det aber auch bei den Männern hier die veränderte Arbeitsmarktsituation<br />

ihren Niederschlag, denn 1996 hatten Vorruhestand, Altersübergang, Kurzarbeit<br />

usw. noch e<strong>in</strong> anderes Ausmaß. Auch hat sich die ökonomische Lage offenbar verschlechtert<br />

(vgl. Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel <strong>in</strong> diesem Bericht), d.h. die Ressourcen, Zeit <strong>und</strong> Geld s<strong>in</strong>d knapper geworden.<br />

Sollte dieser Zusammenhang für diesen Rückgang erklärungskräftig se<strong>in</strong>, müsste man h<strong>in</strong>sichtlich<br />

der weiteren <strong>Entwicklung</strong> – <strong>in</strong> Anbetracht der im Schnitt eher knapperen Renten <strong>und</strong> der<br />

längeren Lebensarbeitszeit – skeptisch se<strong>in</strong>.


Kapitel 6: Tätigkeiten <strong>und</strong> Engagement im Ruhestand<br />

Betrachten wir die Personengruppen, die <strong>in</strong>strumentell unterstützt werden, wird deutlich, dass die<br />

40- bis 54-Jährigen häufig ihre (Schwieger-)Eltern unterstützen. Da die Existenz von Eltern mit<br />

steigendem Alter zunehmend unwahrsche<strong>in</strong>licher wird, geht dieser Anteil über die Altersgruppen<br />

stark zurück (von 21 auf e<strong>in</strong> Prozent). Abgesehen von den K<strong>in</strong>dern werden aber auch alle anderen<br />

Personengruppen von den 70- bis 85-Jährigen seltener unterstützt als von den 40-bis 54-Jährigen,<br />

auch Nachbarn <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e. Und die 70- bis 85-Jährigen unterstützen ihre K<strong>in</strong>der seltener <strong>in</strong>strumentell<br />

als z.B. die 40- bis 54-Jährigen ihre Eltern. Dies weist aber nicht zwangsläufig auf e<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>seitigkeit der familialen <strong>in</strong>tergenerationellen Hilfebeziehungen h<strong>in</strong>. Den <strong>in</strong>strumentellen Hilfen<br />

stehen private materielle Transfers zwischen den Generationen gegenüber, die überwiegend <strong>in</strong><br />

entgegengesetzter Richtung fließen. Und zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> diesem Punkt lässt sich ke<strong>in</strong>e dramatische<br />

Altersabnahme feststellen (vgl. Abbildung 6.6): knapp e<strong>in</strong> Drittel der 40- bis 85-Jährigen unterstützt<br />

andere Personen f<strong>in</strong>anziell, <strong>und</strong> zwar ganz überwiegend K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Enkel. Transferströme <strong>in</strong><br />

umgekehrter Richtung s<strong>in</strong>d kaum zu sehen (vgl. Tabelle A6.2).<br />

Abbildung 6.6:<br />

Geleistete private Transfers<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, gewichtet.<br />

40-44<br />

45-49<br />

50-54<br />

55-59<br />

60-64<br />

65-69<br />

70-74<br />

75-79<br />

80-85<br />

Altersgruppen<br />

Männer (West)<br />

Männer (Ost)<br />

Frauen (West)<br />

Frauen (Ost)<br />

Der Anteil der Unterstützenden ist mit 37 Prozent <strong>in</strong> der mittleren Altersgruppe am höchsten;<br />

höchstwahrsche<strong>in</strong>lich spielen dabei sowohl die verfügbaren Ressourcen als auch die spezifischen<br />

Bedarfslagen der jeweiligen K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Enkel e<strong>in</strong>e größere Rolle. In dieser Altersgruppe werden<br />

die K<strong>in</strong>der mit 71 Prozent am Häufigsten genannt, die Enkelk<strong>in</strong>der von 24 Prozent. Bei den 70- bis<br />

85-Jährigen liegt der Anteil der K<strong>in</strong>der nur noch bei 59 Prozent, dafür steigt der Anteil derjenigen,<br />

die monetäre Transfers (auch) an die Enkelk<strong>in</strong>der leisten (48 Prozent). Insgesamt gesehen ist dies<br />

e<strong>in</strong>er der wenigen Bereiche, <strong>in</strong> denen sich ke<strong>in</strong>e signifikante Abnahme <strong>in</strong> den höheren Altergruppen<br />

zeigt. Dies ist lediglich bei den älteren Frauen der Fall, was wiederum auf die verfügbaren<br />

Ressourcen verweisen dürfte. Solche Transfers können aber gerade für die Ältesten <strong>und</strong> Hilfsbe-<br />

279


280<br />

Harald Künem<strong>und</strong><br />

dürftigen von zentraler Bedeutung se<strong>in</strong>, da sie nicht e<strong>in</strong>fach nur passive Empfänger von Hilfen<br />

bleiben müssen, sonder etwas „zurückgeben“ (<strong>und</strong> vielfach deshalb auch erst annehmen) können.<br />

6.7 Partizipation an Bildungsangeboten<br />

Die Frage nach der Partizipation an Bildung ist nicht nur für die späten Phasen des Erwerbslebens<br />

kritisch, wenn es um die Frage der Verlängerung der Lebensarbeitszeit <strong>und</strong> die Beschäftigungschancen<br />

älterer Arbeitnehmer geht. Sie hat auch <strong>in</strong> mehrerlei H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong>e herausragende Bedeutung<br />

<strong>in</strong> der nachberuflichen Lebensphase. Beispielsweise hat die Technisierung der Umwelt – <strong>in</strong>sbesondere<br />

auch im Haushalt – die Handlungsspielräume auch im höheren Alter erweitert <strong>und</strong> die<br />

Alltagsarbeit erheblich erleichtert. Wird der Umgang mit moderner Technik jedoch nicht erlernt<br />

bzw. geübt, bleibt es <strong>in</strong> vielen Bereichen der alltäglichen Lebensführung nicht nur bei e<strong>in</strong>em relativen<br />

Verlust an Lebensqualität im Vergleich zu jenen, die den Umgang mit dieser Technik beherrschen,<br />

sondern diese Technik kann dann sogar zu e<strong>in</strong>em H<strong>in</strong>dernis werden <strong>und</strong> zu e<strong>in</strong>em Verlust<br />

an Lebensqualität führen, etwa wenn der Bankautomat nicht bedient werden kann (vgl. z.B. Mollenkopf<br />

& Kaspar 2004). Handlungsspielräume werden e<strong>in</strong>geschränkt <strong>und</strong> die Lebensführung <strong>in</strong>sgesamt<br />

erschwert. E<strong>in</strong>e Teilnahme an Bildungsangeboten kann demgegenüber Produktivität freisetzen<br />

<strong>und</strong> zu selbstorganisierter produktiver Tätigkeit anregen (Schäffter 1989, S. 22). Dafür<br />

spricht der wiederholt belegte Zusammenhang zwischen Bildung <strong>und</strong> anderen produktiven Tätigkeiten,<br />

z.B. dem Ehrenamt: Bildung ist e<strong>in</strong>er der stärksten Prädiktoren für e<strong>in</strong> solches Engagement<br />

(Künem<strong>und</strong>, 2000).<br />

Für die Individuen kann die Partizipation an Bildung im Alter zudem Selbstsicherheit <strong>und</strong> Unabhängigkeit<br />

steigern, sie kann praktische <strong>und</strong> psychologische Probleme besser lösen helfen, neue<br />

Aufgabenfelder erschließen, Selbsterfahrung <strong>und</strong> Selbst<strong>in</strong>terpretation stärken <strong>und</strong> auch zur Strukturierung<br />

von Zeit, zur E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> soziale Interaktion oder zur Erfahrung gesellschaftlicher Veränderungen<br />

beitragen. Auch können alterstypische Reduktionen der Leistungsfähigkeit im H<strong>in</strong>blick<br />

auf Gedächtnis <strong>und</strong> psychomotorische Funktionen abgemildert werden (vgl. Baltes, 1987;<br />

Kruse & Rud<strong>in</strong>ger, 1997). Bildung im Alter kann also die allgeme<strong>in</strong>e Lebensqualität <strong>und</strong> Unabhängigkeit<br />

steigern <strong>und</strong> daher als sozialpolitische Prävention betrachtet werden (Naegele, 1991).<br />

Daneben können z.B. bereits ehrenamtlich Tätige ihre Kompetenzen durch gezielte Weiterbildung<br />

erweitern. Auch im Alter ist Bildung somit nicht nur „Konsum”, sondern bleibt Investition: sie<br />

erhält <strong>und</strong> erweitert das Humanpotential im weitesten S<strong>in</strong>ne. Sie dient nicht e<strong>in</strong>fach <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n<br />

„Freizeit“-Interessen, sondern kann konkrete psychologische, soziale <strong>und</strong> ökonomische Effekte<br />

positiver Art haben (vgl. Sommer et al., 2004).<br />

Entsprechend hoch ist die Aufmerksamkeit, die der Bildung im Alter zuteil wird. Dennoch ist dies<br />

e<strong>in</strong> Bereich, <strong>in</strong> dem die Partizipation im höheren Alter eher ger<strong>in</strong>g ausfällt – von den 70- bis 85-<br />

Jährigen besuchen nur 13 Prozent wenigstens e<strong>in</strong>mal im Jahr e<strong>in</strong>en Kurs oder Vortrag – <strong>und</strong> im<br />

Altersgruppenvergleich extrem stark zurückgeht (vgl. Abbildung 6.7).


Kapitel 6: Tätigkeiten <strong>und</strong> Engagement im Ruhestand<br />

Abbildung 6.7:<br />

Besuch von Kursen <strong>und</strong> Vorträgen<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, gewichtet.<br />

40-44<br />

45-49<br />

50-54<br />

55-59<br />

60-64<br />

65-69<br />

70-74<br />

75-79<br />

80-85<br />

Altersgruppen<br />

Männer (West)<br />

Männer (Ost)<br />

Frauen (West)<br />

Frauen (Ost)<br />

Von den 40- bis 54-Jährigen haben mehr als die Hälfte m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>e solche Bildungsveranstaltung<br />

besucht (vgl. Tabelle A6.3). Zwischen Männern <strong>und</strong> Frauen zeigen sich dabei ke<strong>in</strong>e nennenswerten<br />

Unterschiede, im Osten Deutschlands fällt die Beteiligung <strong>in</strong> diesem Bereich <strong>in</strong> allen hier<br />

betrachteten Altersgruppen etwas ger<strong>in</strong>ger aus. Altersbildung erreicht also offenbar ke<strong>in</strong>e breite<br />

Schicht der Älteren, sondern nur e<strong>in</strong>en relativ kle<strong>in</strong>en <strong>und</strong> h<strong>in</strong>sichtlich der sozialen Schichtung<br />

höchstwahrsche<strong>in</strong>lich sehr selektiven Teil der Altenpopulation (vgl. ausführlich hierzu Sommer et<br />

al., 2004).<br />

6.8 Weitere Tätigkeiten<br />

Die weiteren Tätigkeitsfelder <strong>und</strong> -bereiche, die mit dem Alterssurvey erhoben wurden, sollen<br />

abschließend überblicksartig zusammengefasst werden, wobei der Schwerpunkt der Darstellung<br />

auf die Unterschiede zwischen den Altersgruppen gelegt wird.<br />

Was zunächst die Hand-, Bastel- <strong>und</strong> Heimwerkerarbeiten betrifft, ist e<strong>in</strong> nur leichter Rückgang<br />

der Anteile über die Altersgruppen zu beobachten – r<strong>und</strong> drei Viertel der 40- bis 69-Jährigen <strong>und</strong><br />

zwei Drittel der 70- bis 85-Jährigen geben e<strong>in</strong>e solche Tätigkeit an. Die Abnahme im Altersgruppenvergleich<br />

ist dabei alle<strong>in</strong> bei den eher selteneren Engagements feststellbar, „tägliche“ Hand-,<br />

Bastel- <strong>und</strong> Heimwerkerarbeiten s<strong>in</strong>d davon nicht betroffen. Das etwas ger<strong>in</strong>gere Ausmaß der Beschäftigung<br />

<strong>in</strong> diesem Bereich <strong>in</strong> der höchsten Altersgruppe verweist wahrsche<strong>in</strong>lich auf das Zunehmen<br />

ges<strong>und</strong>heitlicher Bee<strong>in</strong>trächtigungen, welche zu e<strong>in</strong>er gewissen Polarisierung <strong>in</strong> Aktivität<br />

<strong>und</strong> Inaktivität bezüglich physisch anforderungsreicher Tätigkeiten führt. In diese Richtung weist<br />

auch die ähnlich gelagerte Verteilung bei Gartenarbeit. Sie ist <strong>in</strong> der mittleren Altersgruppe am<br />

weitesten verbreitet, im höheren Alter kommt es <strong>in</strong> diesem Bereich zu e<strong>in</strong>er stärkeren Polarisierung<br />

281


282<br />

Harald Künem<strong>und</strong><br />

<strong>in</strong> täglich bzw. mehrmals wöchentlich Aktive <strong>und</strong> gänzlich Inaktive. Der Anteil derjenigen, die <strong>in</strong><br />

den letzten zwölf Monaten ke<strong>in</strong>e Gartenarbeit verrichtet haben, liegt <strong>in</strong> der höchsten Altersgruppe<br />

mit 39 Prozent sehr deutlich über jenem der unteren <strong>und</strong> mittleren Altersgruppen (26 respektive 23<br />

Prozent); diese Differenz ist damit jener bei den Hand-, Bastel- <strong>und</strong> Heimwerkerarbeiten sehr ähnlich.<br />

Insgesamt handelt es sich bei Hand-, Bastel- <strong>und</strong> Heimwerkerarbeiten sowie Gartenarbeit <strong>in</strong><br />

den Sommermonaten aber für e<strong>in</strong>en erheblichen Teil der Älteren – Männer wie Frauen <strong>in</strong> Ost <strong>und</strong><br />

West – um e<strong>in</strong> relativ häufiges <strong>und</strong> bedeutsames Tätigkeitsfeld.<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der sportlichen Aktivität ist der Zusammenhang mit dem Alter erwartungsgemäß deutlich<br />

stärker. Immerh<strong>in</strong> r<strong>und</strong> 40 Prozent der 70- bis 85-Jährigen geben aber an, sich <strong>in</strong> den letzten<br />

zwölf Monaten sportlich betätigt zu haben. Auch hier bleibt der Anteil derer, die sich täglich engagieren,<br />

über die Altersgruppen h<strong>in</strong>weg betrachtet eher konstant. R<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Viertel der 70- bis 85jährigen<br />

Männer besucht zudem m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal im Jahr e<strong>in</strong>e Sportveranstaltung, von den Frauen<br />

etwa jede Zehnte. Bei den 40- bis 54-Jährigen liegen diese Anteile bei 57 <strong>und</strong> 33 Prozent, <strong>in</strong> der<br />

mittleren Altersgruppe bei 43 <strong>und</strong> 24 Prozent; d.h. der im Altersgruppenvergleich feststellbare<br />

Rückgang verläuft bei beiden Geschlechtern etwa parallel. Das Spazierengehen zählt zu den wenigen<br />

Tätigkeiten, die von den Älteren genauso häufig angegeben werden wie von den Jüngeren: 88<br />

Prozent der 70- bis 85-Jährigen, 92 Prozent der 55- bis 69-Jährigen <strong>und</strong> 91 Prozent der 40- bis 54-<br />

Jährigen gehen überhaupt je spazieren. Die Häufigkeit nimmt sogar deutlich zu.<br />

E<strong>in</strong> ganz ähnliches Bild ergibt sich h<strong>in</strong>sichtlich der Beschäftigung mit Kreuzworträtseln oder<br />

Denksportaufgaben – hier gibt es ke<strong>in</strong>e Abnahme <strong>in</strong> den höheren Altersgruppen, wohl aber e<strong>in</strong>e<br />

deutlich häufigere Nennung von „täglich“. Abgesehen vom Fernsehen s<strong>in</strong>d dies die e<strong>in</strong>zigen Tätigkeiten,<br />

die von den Älteren <strong>in</strong>tensiver ausgeübt werden als von den Jüngeren. Auch bei der<br />

künstlerischen Betätigung s<strong>in</strong>d die Unterschiede zwischen den Altersgruppen eher ger<strong>in</strong>g. Dagegen<br />

werden Konzert , Theater- oder Museumsbesuche <strong>in</strong> den höheren Altersgruppen zunehmend seltener,<br />

was im Vergleich zur eigenen künstlerischen Betätigung eher auf ges<strong>und</strong>heitliche <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzielle<br />

Ressourcen denn als auf e<strong>in</strong>en Rückgang des Interesses im Prozess des Alterns h<strong>in</strong>weisen<br />

dürfte. E<strong>in</strong> Teil dieser Altersunterschiede könnte aber auch im S<strong>in</strong>ne von Kohorteneffekten <strong>in</strong>terpretiert<br />

werden – anders gelagerte Interessen der verschiedenen Geburtsjahrgänge aufgr<strong>und</strong> ja spezifischer<br />

Sozialisationserfahrungen, Ressourcen <strong>und</strong> Lebensstile.<br />

E<strong>in</strong> Besuch von oder bei Fre<strong>und</strong>en oder Bekannten wird <strong>in</strong> allen drei Altersgruppen am Häufigsten<br />

„e<strong>in</strong>- bis dreimal im Monat“ angegeben. Der Anteil derjenigen, die <strong>in</strong> den letzten zwölf Monaten<br />

ke<strong>in</strong>e solchen Besuche bekamen oder selbst unternahmen, steigt über die Altersgruppe h<strong>in</strong>weg<br />

betrachtet von zwei auf elf Prozent an, <strong>und</strong> auch „seltene“ Besuche werden von den Ältesten häufiger<br />

genannt als von den Jüngeren. Karten- <strong>und</strong> Gesellschaftsspiele werden ebenfalls im höheren<br />

Alter seltener angegeben – der Anteil derer, die dies nie tun, steigt von 29 auf 53 Prozent. Die soziale<br />

E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung nimmt <strong>in</strong>sofern offenbar stetig ab. Es gibt hier aber dennoch zugleich e<strong>in</strong>e gewisse<br />

Zunahme <strong>in</strong> der Kategorie „täglich“.<br />

Auch politische Veranstaltungen werden von den Älteren zunehmend weniger besucht. Insbesondere<br />

bei den 70- bis 85-jährigen Frauen kommt dies praktisch gar nicht vor (knapp 94 Prozent beantworteten<br />

diese Frage mit „nie“), während von den 70- bis 85-jährigen Männern im Westen immerh<strong>in</strong><br />

noch jeder Vierte, im Osten knapp jeder Fünfte m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>e solche Veranstaltung <strong>in</strong><br />

den letzten zwölf Monaten vor der Befragung besucht hat. In den jüngeren hier betrachteten Al-


Kapitel 6: Tätigkeiten <strong>und</strong> Engagement im Ruhestand<br />

tersgruppen liegen diese Anteile jeweils r<strong>und</strong> zehn Prozent höher, wobei dieser Rückgang bei den<br />

Frauen deutlich stärker ausfällt als bei den Männern. Entsprechend ist der Unterschied zwischen<br />

Männern <strong>und</strong> Frauen bei den 40- bis 54-Jährigen weniger groß als im Alter. Dass es sich hier um<br />

e<strong>in</strong>en Kohorteneffekt handelt, so dass der Unterschied zwischen den Geschlechtern bei den zukünftigen<br />

Älteren ger<strong>in</strong>ger se<strong>in</strong> wird als bei den heutigen Älteren, sche<strong>in</strong>t recht wahrsche<strong>in</strong>lich.<br />

Fast 40 Prozent der 40- bis 85-Jährigen nutzen privat e<strong>in</strong>en Computer. E<strong>in</strong>en steileren Abfall der<br />

Anteile über die Altersgruppen h<strong>in</strong>weg – <strong>und</strong> somit e<strong>in</strong>e stärkere Ungleichheit zwischen ihnen –<br />

kann man allerd<strong>in</strong>gs lediglich bei der Erwerbstätigkeit feststellen: 63 Prozent der 40- bis 54-<br />

Jährigen, aber nur acht Prozent der 70- bis 85-Jährigen verwendete <strong>in</strong> den letzten 12 Monaten m<strong>in</strong>destens<br />

e<strong>in</strong>mal privat e<strong>in</strong>en Computer. Diese Tendenz ist noch ausgeprägter, wenn man auch die<br />

berufliche Nutzung von Computern e<strong>in</strong>bezieht. Der sog. „digital divide“ konturiert sich sehr deutlich<br />

entlang der Altersachse, wesentlich stärker als etwa zwischen den Geschlechtern. Dies ist –<br />

wie bereits <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>leitung angesprochen – <strong>in</strong>sofern bedenklich, als dass gerade die Älteren mit<br />

der Technisierung <strong>und</strong> Computerisierung des Alltags Probleme haben können, obwohl gerade sie<br />

erheblich von den neuen Technologien profitieren könnten.<br />

Was schließlich die Hausarbeit betrifft, zeigt sich e<strong>in</strong>e höhere Beteiligung der Männer mit zunehmendem<br />

Alter – was das „tägliche“ Engagement betrifft – ebenso wie e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere – nämlich mit<br />

Blick auf jenen Anteil der Männer, die nie Hausarbeit machen. Während für Letzteres wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

traditionelle, kohortenspezifische Rollenerwartungen verantwortlich s<strong>in</strong>d, deutet ersteres auf<br />

e<strong>in</strong>en Ruhestandseffekt. Allerd<strong>in</strong>gs bleibt offen, welcher Art die Beteiligung an der Hausarbeit ist<br />

<strong>und</strong> ob die (Ehe-)Frauen dadurch entlastet werden. Sie s<strong>in</strong>d jedenfalls <strong>in</strong> allen Altersgruppen zu<br />

über 80 Prozent täglich mit Arbeiten im Haushalt befasst. Das Lesen von Tageszeitungen wird von<br />

der mittleren der hier betrachteten Altersgruppe am Häufigsten angegeben: Hier lesen drei Viertel<br />

täglich e<strong>in</strong>e Tageszeitung. Überraschend hoch – jedenfalls im Vergleich zu den Männern – s<strong>in</strong>d die<br />

Anteile der 70- bis 85-jährigen Frauen, die „nie“ e<strong>in</strong>e Tageszeitung lesen: In Ost <strong>und</strong> West jeweils<br />

jede siebente Frau. Beim Fernsehen gibt es e<strong>in</strong>e solche Auffälligkeit nicht. Dies ist zugleich auch<br />

jene Tätigkeit, die als E<strong>in</strong>zige e<strong>in</strong>en deutlichen Zuwachs sowohl h<strong>in</strong>sichtlich der Partizipationsquote<br />

als auch der zeitlichen Intensität im Vergleich der Altersgruppen offenbart.<br />

6.9 Schlussfolgerungen<br />

Für die meisten dieser Tätigkeiten gilt also, dass sie – wenn auch <strong>in</strong> ganz unterschiedlichem Ausmaß<br />

– mit zunehmendem Alter seltener ausgeübt werden. Ausnahmen mit e<strong>in</strong>er deutlichen Zunahme<br />

oder Intensivierung s<strong>in</strong>d das Fernsehen <strong>und</strong> die Beschäftigung mit Kreuzworträtseln oder<br />

Denksportaufgaben. Eher stabil bleiben im Altersgruppenvergleich Spazierengehen sowie f<strong>in</strong>anzielle<br />

Transfers, ansonsten zeigt sich fast überall e<strong>in</strong> mehr oder weniger deutlicher Rückgang der<br />

Partizipationsquoten. Es entsteht nicht der E<strong>in</strong>druck, als würden neue Lebensstile <strong>und</strong> Partizipationsformen<br />

an Bedeutung gew<strong>in</strong>nen. Eher sche<strong>in</strong>t es, als würde im Ruhestand eher wenig „Neues“<br />

entdeckt, <strong>und</strong> das Freizeitverhalten folge dem Muster e<strong>in</strong>er zeitlichen Dehnung <strong>und</strong> Streckung<br />

solcher Tätigkeiten, die schon zuvor ausgeübt wurden. Dennoch s<strong>in</strong>d auch die 70- bis 85-Jährigen<br />

ke<strong>in</strong>esfalls nur „passive“ Empfänger von familialen oder sozialstaatlichen Hilfen <strong>und</strong> Transfers,<br />

sondern sie tragen selbst <strong>in</strong> beträchtlichem Maße produktiv etwas zur Gesellschaft bei – es handelt<br />

283


284<br />

Harald Künem<strong>und</strong><br />

sich zum Teil um Tätigkeiten, mit denen sie erhebliche wirtschaftliche Leistungen erbr<strong>in</strong>gen (vgl.<br />

Künem<strong>und</strong>, 1999).<br />

E<strong>in</strong>schränkend muss konstatiert werden, dass diejenigen, die sich <strong>in</strong> m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>em dieser Bereiche<br />

engagieren, <strong>in</strong> der M<strong>in</strong>derheit s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> ihr Anteil über die Altersgruppen h<strong>in</strong>weg stark abnimmt.<br />

In Zukunft dürfte sich im Zuge der Verbesserung der <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Ressourcen dieser Personenkreis<br />

erweitern: Jede jüngere Ruhestandskohorte weist e<strong>in</strong> höheres Ausbildungsniveau, e<strong>in</strong>e<br />

bessere Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> – zum<strong>in</strong>dest bislang – e<strong>in</strong>e bessere materielle Absicherung auf, verfügt<br />

also über mehr Ressourcen für Aktivität als jede ältere Kohorte. Da Ges<strong>und</strong>heit, materielle Absicherung<br />

<strong>und</strong> vor allem Bildungsniveau starke Prädiktoren der Partizipation der Älteren im Bereich<br />

z.B. des ehrenamtlichen Engagements oder der Bildung s<strong>in</strong>d, kann mit e<strong>in</strong>er stärkeren Beteiligung<br />

<strong>in</strong> diesen Bereichen gerechnet werden. Zugleich dürfte sich der Anspruch auf s<strong>in</strong>nvolle Aktivität<br />

als Folge der gesellschaftlichen Individualisierungsprozesse erhöhen.<br />

Auf der anderen Seite werden die Voraussetzungen für die gesellschaftliche Partizipation <strong>und</strong> das<br />

Engagement der Älteren aber <strong>in</strong> mancher H<strong>in</strong>sicht auch schlechter. Vor allem die im Zusammenhang<br />

mit dem Altern der Bevölkerung anstehenden f<strong>in</strong>anziellen Belastungen des Sozialstaats führen<br />

zu Überlegungen, die primär auf die Kürzung von Sozialleistungen abzielen. Rentenkürzungen<br />

könnten sich hier negativ bemerkbar machen, <strong>und</strong> zwar <strong>in</strong>sbesondere bei den schlechter gestellten<br />

Älteren. Ohneh<strong>in</strong> schient e<strong>in</strong>e Zunahme der sozialen Ungleichheiten im Alter wahrsche<strong>in</strong>lich, <strong>in</strong>sbesondere<br />

bei den geburtenstarken 60er Jahrgängen. Wie sich bereits bei der ger<strong>in</strong>gen Inanspruchnahme<br />

der Riester-Rente abzeichnet, könnten die später ger<strong>in</strong>geren gesetzlichen Renten ohne zusätzlich<br />

private Absicherung zu e<strong>in</strong>er neuerlichen Altersarmut führen, <strong>und</strong> zwar bevorzugt <strong>in</strong> bestimmten<br />

sozialen Schichten mit heute eher ger<strong>in</strong>gen E<strong>in</strong>kommen (Bertelsmann-Stiftung 2003;<br />

Schwarze et al., 2004). Oder zum<strong>in</strong>dest zu e<strong>in</strong>er stärkeren Zunahme bei der bedarfsorientierten<br />

Gr<strong>und</strong>sicherung im Alter. Zugleich lässt die Verteilung von Vermögen (<strong>und</strong> Erbschaften) wie auch<br />

die gegenwärtige Inanspruchnahme privater Vorsorge <strong>und</strong> der Riester-Rente erwarten, dass die<br />

Erträge aus privater Altersvorsorge vor allem Haushalten mit höherem <strong>und</strong> hohem E<strong>in</strong>kommen<br />

zufließen (Schmähl & Fach<strong>in</strong>ger, 1999; Bäcker, 2002). Dass sich dies <strong>in</strong> der Summe positiv auf<br />

Partizipation <strong>und</strong> Engagement auswirkt, sche<strong>in</strong>t eher unwahrsche<strong>in</strong>lich.


Kapitel 6: Tätigkeiten <strong>und</strong> Engagement im Ruhestand<br />

6.10 Literatur<br />

Attias-Donfut, Claud<strong>in</strong>e (1988): Die neuen Freizeitgenerationen. In:Leopold Rosenmayr & Franz<br />

Kolland (Hrsg.): Arbeit - Freizeit -Lebenszeit. Gr<strong>und</strong>lagenforschungen zu Übergängen im<br />

Lebenszyklus. Opladen: Westdeutscher Verlag, 57-73.<br />

Bäcker, G. (2002). Alterssicherung <strong>und</strong> Generationengerechtigkeit nach der Rentenreform. In:<br />

Zeitschrift für Gerontologie <strong>und</strong> Geriatrie, 35, 282-291.<br />

Baltes, M. M. (1987). Erfolgreiches Altern als Ausdruck von Verhaltenskompetenz <strong>und</strong> Umweltqualität.<br />

In: Niemitz, C. (Ed.): Erbe <strong>und</strong> Umwelt. Zur Natur von Anlage <strong>und</strong> Selbstbestimmung<br />

des Menschen. Frankfurt: Suhrkamp, 353-376.<br />

Baltes, M. M. (1996). Produktives Leben im Alter: Die vielen Gesichter des Alterns – Resumee<br />

<strong>und</strong> Perspektiven für die Zukunft. In: Baltes, M. M. & L. Montada (Ed.): Produktives Leben<br />

im Alter. Frankfurt: Campus, 393-408.<br />

Bertelsmann Stiftung (2003). Die Riester-Rente: Wer hat sie, wer will sie? Vorabauswertung e<strong>in</strong>er<br />

repräsentativen Umfrage zum Vorsorgeverhalten der 30- bis 50-Jährigen, erstellt von Johannes<br />

Le<strong>in</strong>ert, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh (Bertelsmann Stiftung Vorsorgestudien<br />

14). Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.<br />

Braun, J. & F. Claussen, unter Mitarbeit von S. Bischoff, L. Sommer & F. Thomas (1997). Freiwilliges<br />

Engagement im Alter. Nutzer <strong>und</strong> Leistungen von Seniorenbüros. Stuttgart: Kohlhammer.<br />

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285


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287


Tabelle A6.1: „Produktive“ Tätigkeiten<br />

288<br />

40-54 Jahre 55-69 Jahre 70-85 Jahre 40-85 Jahre<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Erwerbstätigkeiten parallel zu e<strong>in</strong>em Altersrentenbezug (mündl. Interview, Frage 102; Basis: Altersrente aus eigener Erwerbstätigkeit lt. Frage 100)<br />

Gesamt – – – 8,4 % 7,9 % 8,2 % 6,0 % 3,7 % 4,7 % 7,2 % 5,5 % 6,3 %<br />

Alte Länder – – – 8,7 % 8,4 % 8,6 % 6,5 % 4,0 % 5,1 % 7,6 % 5,9 % 6,7 %<br />

Neue Länder – – – 7,3 % 6,5 % 6,9 % 3,8 % 2,6 % 3,1 % 5,7 % 4,4 % 4,9 %<br />

Ehrenamtliche Tätigkeiten <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Verbänden (mündl. Interview, Fragen 408 <strong>und</strong> 414)<br />

Ja 18,4 % 12,8 % 15,6 % 19,1 % 13,3 % 16,1 % 12,2 % 3,2 % 6,6 % 17,5 % 10,5 % 13,8 %<br />

Alte Länder 20,1 % 14,5 % 17,3 % 20,1 % 14,5 % 17,3 % 12,8 % 3,5 % 7,1 % 18,7 % 11,6 % 15,0 %<br />

Neue Länder 12,1 % 6,0 % 9,1 % 15,1 % 8,8 % 11,8 % 9,5 % 1,9 % 4,5 % 12,8 % 6,0 % 9,2 %<br />

Ehrenämter <strong>in</strong>sgesamt (mündl. Interview; Fragen 408, 414 <strong>und</strong> 416)<br />

Ja 22,0 % 23,2 % 22,6 % 23,4 % 17,9 % 20,6 % 15,1 % 5,3 % 9,0 % 21,3 % 16,8 % 18,9 %<br />

Alte Länder 23,8 % 25,5 % 24,6 % 25,0 % 19,2 % 22,1 % 15,4 % 6,1 % 9,7 % 22,7 % 18,3 % 20,4 %<br />

Neue Länder 14,9 % 14,5 % 14,7 % 17,5 % 13,3 % 15,3 % 13,5 % 1,9 % 6,0 % 15,7 % 11,0 % 13,2 %<br />

„Gibt es Personen, die auf Gr<strong>und</strong> ihres schlechten Ges<strong>und</strong>heitszustandes von Ihnen privat oder ehrenamtlich betreut bzw. gepflegt werden oder denen Sie regelmäßig<br />

Hilfe leisten?“ (mündl. Interview, Frage 539)<br />

Ja 7,8 % 16,0 % 11,9 % 9,3 % 14,6 % 12,0 % 7,4 % 10,4 % 9,3 % 8,3 % 14,1 % 11,4 %<br />

Alte Länder 7,3 % 17,1 % 12,2 % 9,4 % 13,9 % 11,7 % 6,9 % 11,3 % 9,6 % 8,0 % 14,6 % 11,5 %<br />

Neue Länder 9,5 % 11,8 % 10,7 % 8,9 % 17,0 % 13,1 % 10,0 % 6,8 % 8,0 % 9,4 % 12,5 % 11,0 %<br />

„Betreuen oder beaufsichtigen Sie privat K<strong>in</strong>der, die nicht Ihre eigenen s<strong>in</strong>d, z.B. auch Ihre Enkel oder K<strong>in</strong>der von Nachbarn, Fre<strong>und</strong>en oder Bekannten?“ (mündl.<br />

Interview, Frage 423)<br />

Ja 9,2 % 16,8 % 13,0 % 20,6 % 27,3 % 24,1 % 15,0 % 16,9 % 16,1 % 14,5 % 20,5 % 17,6 %<br />

Alte Länder 10,3 % 16,0 % 13,1 % 22,2 % 27,6 % 24,9 % 16,3 % 19,0 % 17,9 % 15,7 % 20,8 % 18,4 %<br />

Neue Länder 5,3 % 20,1 % 12,6 % 14,7 % 26,2 % 20,7 % 8,8 % 8,0 % 8,3 % 9,4 % 19,3 % 14,7 %<br />

Alterssurvey 2002, gewichtet.


Tabelle A6.2: Unterstützungsleistungen<br />

40-54 Jahre 55-69 Jahre 70-85 Jahre 40-85 Jahre<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

„Haben Sie während der letzten 12 Monate jemandem, der nicht hier im Haushalt lebt, bei Arbeiten im Haushalt, z.B. beim Saubermachen, bei kle<strong>in</strong>eren Reparaturen oder beim E<strong>in</strong>kaufen<br />

geholfen?“ Falls ja: „Welche Person oder welche Personen s<strong>in</strong>d das?“ (mündl. Interview, Fragen 708 <strong>und</strong> 709)<br />

Ne<strong>in</strong> 61,9 % 64,4 % 63,1 % 66,0 % 75,8 % 71,1 % 83,1 % 85,3 % 84,5 % 67,2 % 73,7 % 70,7 %<br />

Alte Länder 62,3 % 63,3 % 62,8 % 64,4 % 75,1 % 69,9 % 83,0 % 84,0 % 83,6 % 66,9 % 72,8 % 70,0 %<br />

Neue Länder 60,3 % 68,6 % 64,5 % 72,4 % 78,5 % 75,5 % 83,6 % 90,7 % 88,2 % 68,6 % 77,5 % 73,4 %<br />

E<strong>in</strong>e Person genannt 19,6 % 24,3 % 21,9 % 21,8 % 18,4 % 20,0 % 11,8 % 11,1 % 11,4 % 19,0 % 18,9 % 18,9 %<br />

Alte Länder 19,1 % 25,7 % 22,4 % 22,4 % 19,1 % 20,7 % 11,6 % 12,0 % 11,8 % 18,9 % 19,8 % 19,4 %<br />

Neue Länder 21,2 % 18,9 % 20,1 % 19,4 % 15,8 % 17,6 % 12,6 % 7,4 % 9,3 % 19,1 % 15,0 % 16,9 %<br />

Zwei Personen genannt 11,5 % 7,6 % 9,5 % 8,7 % 5,2 % 6,9 % 3,5 % 2,5 % 2,8 % 9,0 % 5,5 % 7,1 %<br />

Alte Länder 12,2 % 7,0 % 9,6 % 9,7 % 5,3 % 7,4 % 3,4 % 2,8 % 3,0 % 9,6 % 5,3 % 7,3 %<br />

Neue Länder 8,7 % 10,1 % 9,4 % 4,7 % 5,1 % 4,9 % 3,8 % 1,2 % 2,2 % 6,4 % 6,1 % 6,3 %<br />

Drei oder mehr Personen genannt 7,1 % 3,7 % 5,4 % 3,5 % 0,6 % 2,0 % 1,6 % 1,1 % 1,3 % 4,8 % 1,9 % 3,3 %<br />

Alte Länder 6,4 % 4,0 % 5,2 % 3,5 % 0,6 % 2,0 % 2,0 % 1,2 % 1,5 % 4,5 % 2,1 % 3,2 %<br />

Neue Länder 9,8 % 2,4 % 6,1 % 3,5 % 0,6 % 2,0 % 0,0 % 0,6 % 0,4 % 5,8 % 1,3 % 3,4 %<br />

„Viele Menschen machen anderen Geld- oder Sachgeschenke oder unterstützen diese f<strong>in</strong>anziell. Dabei kann es sich z.B. um Eltern, K<strong>in</strong>der, Enkel oder andere Verwandte, aber auch um<br />

Fre<strong>und</strong>e oder Bekannte handeln. Wie ist das bei Ihnen? Haben Sie <strong>in</strong> den letzten 12 Monaten jemandem Geld geschenkt, größere Sachgeschenke gemacht oder jemanden regelmäßig<br />

f<strong>in</strong>anziell unterstützt?“ (mündl. Interview, Frage 800)<br />

Ja 27,5 % 26,7 % 27,1 % 38,1 % 35,1 % 36,6 % 34,8 % 28,6 % 31,0 % 32,7 % 30,1 % 31,3 %<br />

Alte Länder 27,6 % 26,7 % 27,1 % 40,1 % 36,5 % 38,3 % 35,0 % 30,5 % 32,2 % 33,5 % 31,0 % 32,2 %<br />

Neue Länder 27,3 % 26,6 % 27,0 % 30,6 % 29,8 % 30,2 % 33,5 % 20,6 % 25,3 % 29,5 % 26,3 % 27,8 %<br />

Von diesen nennen (Mehrfachantwortmöglichkeit):<br />

(Schwieger-)Eltern 11,3 % 7,3 % 9,3 % 3,1 % 0,7 % 1,9 % 0,0 % 0,9 % 0,5 % 5,6 % 3,1 % 4,3 %<br />

K<strong>in</strong>der 63,0 % 72,9 % 67,9 % 72,1 % 70,7 % 71,4 % 60,1 % 57,5 % 58,6 % 66,4 % 68,3 % 67,3 %<br />

Enkel 1,3 % 4,9 % 3,0 % 22,7 % 25,3 % 24,0 % 49,8 % 47,2 % 48,3 % 19,7 % 23,5 % 21,6 %<br />

Andere Verwandte 27,6 % 20,9 % 24,4 % 12,3 % 10,2 % 11,3 % 19,3 % 17,8 % 18,5 % 19,5 % 15,9 % 17,6 %<br />

Andere Personen 13,8 % 19,1 % 16,4 % 13,5 % 8,8 % 11,2 % 5,6 % 6,1 % 5,9 % 12,1 % 11,8 % 11,9 %<br />

Alterssurvey 2002, gewichtet.<br />

289


Tabelle A6.3: Besuch von Kursen oder Vorträgen<br />

290<br />

40-54 Jahre 55-69 Jahre 70-85 Jahre 40-85 Jahre<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

„Wie oft besuchen Sie Kurse oder Vorträge, z.B. zur Fort- oder Weiterbildung?“ (mündl. Interview, Frage 432)<br />

Täglich 0,3 % 0,3 % 0,3 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,2 % 0,1 % 0,1 %<br />

Alte Länder 0,3 % 0,3 % 0,3 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,1 % 0,1 % 0,1 %<br />

Neue Länder 0,5 % 0,6 % 0,6 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,2 % 0,2 % 0,2 %<br />

Mehrmals <strong>in</strong> der Woche 1,1 % 0,5 % 0,8 % 1,2 % 0,9 % 1,0 % 0,0 % 0,2 % 0,2 % 0,9 % 0,6 % 0,7 %<br />

Alte Länder 1,2 % 0,3 % 0,7 % 1,5 % 1,2 % 1,3 % 0,0 % 0,3 % 0,2 % 1,1 % 0,6 % 0,8 %<br />

Neue Länder 0,5 % 1,2 % 0,9 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 0,2 % 0,5 % 0,4 %<br />

E<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> der Woche 1,3 % 3,6 % 2,5 % 1,8 % 3,0 % 2,4 % 0,9 % 0,7 % 0,8 % 1,4 % 2,7 % 2,1 %<br />

Alte Länder 1,5 % 4,3 % 2,9 % 2,0 % 2,9 % 2,5 % 0,8 % 0,6 % 0,7 % 1,6 % 2,9 % 2,3 %<br />

Neue Länder 0,5 % 1,2 % 0,9 % 0,6 % 3,1 % 1,9 % 1,3 % 1,2 % 1,2 % 0,7 % 1,9 % 1,3 %<br />

E<strong>in</strong> bis dreimal im Monat 6,6 % 7,4 % 7,0 % 4,8 % 4,7 % 4,7 % 2,2 % 3,3 % 2,9 % 5,1 % 5,4 % 5,3 %<br />

Alte Länder 6,9 % 7,5 % 7,2 % 5,0 % 4,1 % 4,5 % 2,0 % 4,0 % 3,2 % 5,3 % 5,4 % 5,4 %<br />

Neue Länder 5,3 % 7,1 % 6,2 % 4,1 % 6,9 % 5,5 % 3,2 % 0,6 % 1,5 % 4,5 % 5,4 % 5,0 %<br />

Seltener 42,6 % 41,5 % 42,1 % 23,4 % 20,1 % 21,7 % 13,7 % 5,8 % 8,8 % 30,4 % 24,9 % 27,5 %<br />

Alte Länder 45,8 % 43,2 % 44,5 % 25,7 % 23,2 % 24,4 % 14,7 % 6,4 % 9,6 % 32,8 % 26,8 % 29,6 %<br />

Neue Länder 30,2 % 34,9 % 32,5 % 14,1 % 8,1 % 11,0 % 8,9 % 3,1 % 5,2 % 20,8 % 17,6 % 19,1 %<br />

Nie 48,1 % 46,7 % 47,4 % 68,9 % 71,3 % 70,1 % 83,2 % 89,9 % 87,3 % 62,0 % 66,3 % 64,3 %<br />

Alte Länder 44,3 % 44,5 % 44,4 % 65,8 % 68,5 % 67,2 % 82,5 % 88,7 % 86,3 % 59,1 % 64,3 % 61,9 %<br />

Neue Länder 63,0 % 55,0 % 59,1 % 81,2 % 81,9 % 81,5 % 86,7 % 95,1 % 92,1 % 73,5 % 74,4 % 74,0 %<br />

Alterssurvey 2002, gewichtet.


7. Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

Susanne Wurm <strong>und</strong> Clemens Tesch-Römer<br />

7.1 E<strong>in</strong>leitung<br />

Der sich derzeit vollziehende demografische <strong>Wandel</strong> führt auf <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Ebene zu e<strong>in</strong>er höheren<br />

Lebenserwartung <strong>und</strong> auf gesellschaftlicher Ebene zu e<strong>in</strong>em Zuwachs des Anteils alter<br />

<strong>und</strong> sehr alter Menschen. Aktuelle Modellrechnungen gehen von e<strong>in</strong>er <strong>Entwicklung</strong> der durchschnittlichen<br />

Lebenserwartung bis zum Jahr 2050 für Männer von 79 bis 83 Jahren aus, für<br />

Frauen von e<strong>in</strong>em Anstieg auf 86 bis 88 Jahre (Statistisches B<strong>und</strong>esamt, 2003). Derzeit liegt die<br />

Lebenserwartung bei Geburt für Männer bei 75,4, für Frauen bei 81,2 Jahren 1 . Zugleich wird der<br />

Anteil alter <strong>und</strong> sehr alter Menschen an der Gesamtbevölkerung <strong>in</strong> Zukunft deutlich zunehmen:<br />

Im Jahr 2002 waren 17,5 Prozent der Bevölkerung <strong>in</strong> Deutschland im Alter von 65 Jahren <strong>und</strong><br />

älter. Der Anteil dieser Altersgruppe wird sich, Bevölkerungsvorausberechnungen zufolge, <strong>in</strong>nerhalb<br />

der ersten Hälfte dieses Jahrh<strong>und</strong>erts fast verdoppelt haben – für das Jahr 2050 ist e<strong>in</strong><br />

Anteil von 29,6 Prozent prognostiziert. E<strong>in</strong> besonders hoher Anstieg wird für den Anteil der<br />

Hochbetagten, d.h. der 80-Jährigen <strong>und</strong> Älteren, an der Bevölkerung erwartet. Dieser betrug im<br />

Jahr 2002 4,0 Prozent <strong>und</strong> wird Vorausberechnungen zufolge bis zum Jahr 2050 mit 12,1 Prozent<br />

dreimal so hoch liegen 2 . Dieser prognostizierte demografische <strong>Wandel</strong> ist von hoher <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r<br />

Bedeutung, denn er impliziert für viele Menschen e<strong>in</strong>e lange Lebensphase des Alterns<br />

<strong>und</strong> Altse<strong>in</strong>s. Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Alltagskompetenz entscheiden dabei maßgeblich über die <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong><br />

Lebensqualität (vgl. auch Kapitel 9) sowie über die Möglichkeit, e<strong>in</strong>e selbstständige Lebensführung<br />

aufrechterhalten zu können.<br />

Zugleich hat der starke Anstieg des Anteils älterer <strong>und</strong> alter Menschen an der Bevölkerung hohe<br />

gesellschaftliche Bedeutung. In H<strong>in</strong>blick auf Ges<strong>und</strong>heit lässt sich diese beispielhaft anhand<br />

zweier Themenkomplexe skizzieren. Angesichts der Verr<strong>in</strong>gerung des Erwerbspersonenpotenzials<br />

kann es sich <strong>in</strong> Zukunft als notwendig erweisen, die Lebensarbeitszeit zu verlängern. E<strong>in</strong>e<br />

zentrale Voraussetzung für die Partizipation am Erwerbsleben ist jedoch e<strong>in</strong>e gute Ges<strong>und</strong>heit<br />

im mittleren Erwachsenenalter. Für alte <strong>und</strong> sehr alte Menschen entscheidet die Ges<strong>und</strong>heit<br />

h<strong>in</strong>gegen oftmals über e<strong>in</strong> selbstständiges <strong>und</strong> selbstverantwortliches Leben im eigenen Haushalt.<br />

Die Erhaltung guter Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Selbstständigkeit hat damit erhebliche Konsequenzen<br />

für die Kosten im Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Sozialwesen: Je besser die Ges<strong>und</strong>heit älter werdender<br />

Menschen, um so ger<strong>in</strong>ger wird die Inanspruchnahme von kostenträchtigen Krankenbehandlungen<br />

sowie die Notwendigkeit ambulanter wie stationärer pflegerischer Versorgung se<strong>in</strong>. Zur<br />

Def<strong>in</strong>ition dessen, was unter Ges<strong>und</strong>heit zu verstehen ist, wurden lange Zeit ausschließlich mediz<strong>in</strong>ische<br />

Ges<strong>und</strong>heitsmodelle herangezogen. Im Mittelpunkt dieser Modelle stehen Krankhei-<br />

1 Vgl. Sterbetafel 2000/2002. Statistisches B<strong>und</strong>esamt, www.destatis.de.<br />

2 Variante 5 der 10. Koord<strong>in</strong>ierten Bevölkerungsvorausberechnung; vgl. Hoffmann & Menn<strong>in</strong>g, 2004.<br />

291


292<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

ten. Entsprechend werden als Indikatoren Maße der Morbidität, funktioneller E<strong>in</strong>schränkungen<br />

<strong>und</strong> Beh<strong>in</strong>derungen herangezogen sowie Lebenserwartung <strong>und</strong> Mortalität berücksichtigt. Diese<br />

klassische, mediz<strong>in</strong>ische Sichtweise wurde von der Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation durch e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres,<br />

die Sozialwissenschaften <strong>in</strong>tegrierendes Ges<strong>und</strong>heitskonzept ergänzt (WHO,<br />

1986). Dieses enthält Indikatoren subjektiver Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Lebenszufriedenheit sowie Lebensstil<br />

<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsverhalten als weitere bedeutsame Kriterien für e<strong>in</strong>e gute Ges<strong>und</strong>heit.<br />

Die nachfolgenden Ausführungen zur Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte greifen Aspekte<br />

des klassischen <strong>und</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Ges<strong>und</strong>heitskonzeptes auf <strong>und</strong> ergänzen diese durch die<br />

Betrachtung e<strong>in</strong>er Inanspruchnahme von Leistungen der Ges<strong>und</strong>heitsversorgung.<br />

Über die Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsversorgung von Personen im höheren <strong>und</strong> hohen Alter<br />

liegen gegenwärtig nur wenige bevölkerungsrepräsentative Datensätze vor. Zu umfangreichen<br />

deutschen Ges<strong>und</strong>heitssurveys zählten <strong>in</strong> den 80er- <strong>und</strong> 90er-Jahren die MONICA-Studie der<br />

Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation (WHO, 1988) sowie die Nationalen Ges<strong>und</strong>heitssurveys der Deutschen<br />

Herz-Kreislauf-Präventionsstudie (DHP-Studie). Diese Studien konzentrierten sich allerd<strong>in</strong>gs<br />

nur auf die Bevölkerung im Alter zwischen 25 <strong>und</strong> 65 Jahren (MONICA) bzw. 25 <strong>und</strong> 69<br />

Jahren (Nationale Ges<strong>und</strong>heitssurveys), während ältere Personen von diesen Studien ausgeschlossen<br />

blieben. Im H<strong>in</strong>blick auf die Altersspanne komplementär hierzu ist die Berl<strong>in</strong>er Altersstudie<br />

(Mayer & Baltes, 1996). In ihrem Rahmen wurden alte <strong>und</strong> hochaltrige Personen im<br />

Alter zwischen 70 <strong>und</strong> über 100 Jahren untersucht. Die Haupterhebung der Berl<strong>in</strong>er Altersstudie<br />

fand (wie der dritte Nationale Ges<strong>und</strong>heitssurvey) zu Beg<strong>in</strong>n der 90er-Jahre statt <strong>und</strong> bezog sich<br />

auf alte <strong>und</strong> hochaltrige Personen aus West-Berl<strong>in</strong>. Bis heute kommt der Berl<strong>in</strong>er Altersstudie<br />

e<strong>in</strong>e zentrale Stellung <strong>in</strong> der gerontologischen Forschung zu. Trotz ihrer e<strong>in</strong>geschränkten Repräsentativität<br />

ist sie – unter anderem – e<strong>in</strong>e weiterh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zigartige Datenquelle bezüglich der Art<br />

<strong>und</strong> Verbreitung von chronischen Krankheiten im höheren <strong>und</strong> hohen Alter. Andere Daten hierzu<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Regel fallbezogen (z.B. Krankenhausdiagnosestatistik) <strong>und</strong> nicht bevölkerungsbezogen<br />

oder berücksichtigen ältere, <strong>in</strong>sbesondere hochbetagte Personen nicht. Aktuelle <strong>und</strong><br />

umfangreiche Daten zur Ges<strong>und</strong>heit liefert schließlich der B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitssurvey, dessen<br />

Haupterhebung zwischen 1997 <strong>und</strong> 1999 stattfand. Im Gegensatz zu den Nationalen Surveys<br />

wurde hierbei e<strong>in</strong>e breitere Altersspanne von Personen zwischen 18 <strong>und</strong> 79 Jahren aus Ost- wie<br />

Westdeutschland e<strong>in</strong>bezogen (Thefeld, Stolzenberg, & Bellach, 1999) 3 . Neben diesen Studien<br />

mit e<strong>in</strong>em ges<strong>und</strong>heitsbezogenen Schwerpunkt enthalten auch allgeme<strong>in</strong>e Bevölkerungsbefragungen<br />

wie der Mikrozensus, das Sozioökonomische Panel <strong>und</strong> der Wohlfahrtssurvey Fragen<br />

zur Ges<strong>und</strong>heit, jedoch <strong>in</strong> deutlich ger<strong>in</strong>gerem Umfang.<br />

Ziel des Alterssurveys ist e<strong>in</strong>e umfassende Beobachtung des Alterungsprozesses der deutschen<br />

Bevölkerung. Mit e<strong>in</strong>er breiten Altersspanne von mehr als 45 Jahren 4 werden langfristige Prozesse<br />

der Alterung untersucht – beg<strong>in</strong>nend vom mittleren Erwachsenenalter bis h<strong>in</strong> zur Anfangsphase<br />

der Hochaltrigkeit. Die allgeme<strong>in</strong>e, bevölkerungsbezogene Perspektive der Ges<strong>und</strong>-<br />

3 Im Gegensatz zum B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitssurvey umfassten die Nationalen Ges<strong>und</strong>heitssurveys nur westdeutsche<br />

Personen. Als Ergänzung der westdeutschen DHP-Studie wurde <strong>in</strong> den Jahren 1991/92 der ‚Ges<strong>und</strong>heitssurvey<br />

Ost’ durchgeführt.<br />

4 Je nach Stichprobe des Alterssurveys handelt es sich um Personen im Alter zwischen 40 <strong>und</strong> 85 bzw. 46 <strong>und</strong> 91<br />

Jahren, vgl. Kapitel 2.


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

heitssurveys sowie die besonders auf Fragen zum hohen Alter konzentrierte Berl<strong>in</strong>er Altersstudie<br />

können damit durch e<strong>in</strong>e bedeutsame Perspektive erweitert werden, da im Alterssurvey die<br />

Ges<strong>und</strong>heit von Personen des mittleren Erwachsenenalters <strong>und</strong> jungen Alters im Mittelpunkt<br />

steht. Fragen zu <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Alterungsprozessen <strong>und</strong> der Alterung e<strong>in</strong>er ganzen Gesellschaft<br />

s<strong>in</strong>d stets eng verknüpft mit Fragen zur Ges<strong>und</strong>heit. Die ges<strong>und</strong>heitlichen Folgen des Alterns<br />

werden oftmals schon <strong>in</strong> den Anfängen der zweiten Lebenshälfte deutlich spürbar. Zugleich<br />

bestehen besonders <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf das mittlere Erwachsenenalter noch immer erhebliche Forschungsdefizite<br />

(Staud<strong>in</strong>ger & Bluck, 2001). Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> des demografischen <strong>Wandel</strong>s<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Implikationen für die Arbeitswelt <strong>und</strong> die Ges<strong>und</strong>heitsversorgung Älterer von<br />

heute <strong>und</strong> vor allem auch <strong>in</strong> naher Zukunft ist es wichtig, bei Fragen zum Altern <strong>in</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

die gesamte zweite Lebenshälfte <strong>in</strong> den Blickpunkt zu rücken. Das Aufdecken von Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schränkungen<br />

<strong>und</strong> Versorgungsdefiziten kann dabei behilflich se<strong>in</strong>, auf gesellschaftspolitischer<br />

wie <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Ebene Maßnahmen zu ergreifen, die e<strong>in</strong> Altern <strong>in</strong> Ges<strong>und</strong>heit, Lebensqualität<br />

<strong>und</strong> Würde unterstützen. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e stellen die Daten des Alterssurveys<br />

e<strong>in</strong>e wichtige Ergänzung vorliegender Studien dar.<br />

Der Alterssurvey zeichnet sich hierbei durch besondere Stärken aus, ohne zugleich frei von<br />

E<strong>in</strong>schränkungen zu se<strong>in</strong>. In H<strong>in</strong>blick auf Ges<strong>und</strong>heit, aber auch bezüglich vielfältiger anderer<br />

Themenbereiche, liegt e<strong>in</strong>e besondere Stärke des Alterssurveys <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Komb<strong>in</strong>ation aus<br />

Längsschnitt- <strong>und</strong> Kohortendesign (vgl. Kapitel 2). Dadurch lassen sich <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Ges<strong>und</strong>heitsentwicklungen<br />

betrachten (vgl. Kapitel 8), während die wiederholt durchgeführten Querschnittuntersuchungen<br />

Kohortenvergleiche ermöglichen. Letztere s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e zentrale Gr<strong>und</strong>lage<br />

für die Frage, ob die nachfolgenden Kohorten Älterer <strong>in</strong> besserer Ges<strong>und</strong>heit alt werden als<br />

früher geborene Kohorten (D<strong>in</strong>kel, 1999; vgl. Abschnitt 7.6). Aus methodischer Sicht s<strong>in</strong>d im<br />

Alterssurvey damit die Stärken des Längsschnittes, wie sie <strong>in</strong> der Berl<strong>in</strong>er Altersstudie deutlich<br />

werden, sowie die Stärken des Kohortenvergleichs, wie sie durch die Nationalen Ges<strong>und</strong>heitssurveys<br />

bekannt s<strong>in</strong>d, komb<strong>in</strong>iert. Im Rahmen des Alterssurveys wurde zudem neben Fragen<br />

zur Ges<strong>und</strong>heit e<strong>in</strong>e Vielfalt anderer Lebensbereiche (z.B. Familie, E<strong>in</strong>kommen) sowie persönliche<br />

E<strong>in</strong>stellungen (z.B. E<strong>in</strong>stellungen gegenüber dem Älterwerden) <strong>und</strong> Bef<strong>in</strong>dlichkeiten (z.B.<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den, Lebenszufriedenheit) erfasst. E<strong>in</strong>e komb<strong>in</strong>ierte Erhebung umfangreicher sozialer<br />

wie psychischer Faktoren erfolgt <strong>in</strong> Bevölkerungsumfragen nur sehr selten. Diese Komb<strong>in</strong>ation<br />

ermöglicht, neben den äußeren Lebenszusammenhängen, auch die <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n psychischen<br />

Risiken <strong>und</strong> Ressourcen zu berücksichtigen <strong>und</strong> diese <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Ges<strong>und</strong>heitsvorhersage e<strong>in</strong>zubeziehen<br />

(vgl. Kapitel 8).<br />

E<strong>in</strong>schränkungen müssen jedoch <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf die Art der Ges<strong>und</strong>heitserhebung gemacht<br />

werden. Der Alterssurvey basiert, vergleichbar mit anderen Bevölkerungsumfragen wie dem<br />

Sozio-oekonomischen Panel (SOEP), Mikrozensus oder Wohlfahrtssurvey, ausschließlich auf<br />

Selbstaussagen der Befragungspersonen. Die nachfolgenden Darstellungen zum Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />

alternder <strong>und</strong> alter Personen s<strong>in</strong>d folglich nicht als Ergebnisse mediz<strong>in</strong>ischer Untersuchungen<br />

zu <strong>in</strong>terpretieren. Zudem besteht im Alterssurvey wie <strong>in</strong> anderen Bevölkerungsumfragen<br />

das Problem, dass die Befragten zugunsten Gesünderer selektiert s<strong>in</strong>d. Personen mit e<strong>in</strong>em<br />

schlechten Ges<strong>und</strong>heitszustand lehnen häufiger die Teilnahme an e<strong>in</strong>er Befragung ab als Personen<br />

mit e<strong>in</strong>er guten Ges<strong>und</strong>heit (vgl. Kapitel 2). Ebenfalls wie <strong>in</strong> den meisten anderen Surveys,<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den nachfolgenden Darstellungen ke<strong>in</strong>e Heimbewohner e<strong>in</strong>bezogen. Dies führt dazu,<br />

293


294<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

dass die Daten e<strong>in</strong> <strong>in</strong>sgesamt positiveres Bild vom Ges<strong>und</strong>heitszustand Älterer geben, als es für<br />

die Gesamtbevölkerung angenommen werden kann. Repräsentative Daten zu Hilfe- <strong>und</strong> Pflegebedürftigen<br />

<strong>in</strong> Heime<strong>in</strong>richtungen liefert jedoch e<strong>in</strong>e eigens hierauf ausgerichtete Studie<br />

(Schneekloth & Müller, 1997).<br />

7.2 Fragestellungen im Kapitelüberblick<br />

Im umfassendsten Teil des vorliegenden Kapitels wird zunächst die Frage verfolgt, wie sich der<br />

Ges<strong>und</strong>heitszustand aus Sicht der Personen darstellt, die sich <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte bef<strong>in</strong>den<br />

(Abschnitt 7.4). Berücksichtigt werden hierbei der altersabhängige Anstieg körperlicher<br />

Erkrankungen, die damit verb<strong>und</strong>enen Beschwerden sowie das berichtete Ausmaß an Multimorbidität<br />

(Abschnitt 7.4.1). E<strong>in</strong>e Folge von körperlichen Beschwerden s<strong>in</strong>d oftmals funktionelle<br />

E<strong>in</strong>schränkungen. Hierzu zählen <strong>in</strong>sbesondere E<strong>in</strong>schränkungen der Mobilität. Diese gefährden<br />

e<strong>in</strong>e selbstständige Lebensführung im Alter, können aber bereits <strong>in</strong> früheren Lebensphasen<br />

die Möglichkeiten e<strong>in</strong>er gesellschaftlichen Teilhabe e<strong>in</strong>schränken. Auf die Fragen, <strong>in</strong> welcher<br />

Weise Mobilitätsbee<strong>in</strong>trächtigungen mit dem Alter ansteigen <strong>und</strong> wie viele Personen schließlich<br />

auf Hilfeleistungen angewiesen s<strong>in</strong>d, geht der zweite Abschnitt (7.4.2) e<strong>in</strong>. Während die Aspekte<br />

von Morbidität, Funktionse<strong>in</strong>bußen <strong>und</strong> Hilfebedürftigkeit eher dem mediz<strong>in</strong>ischen Ges<strong>und</strong>heitskonzept<br />

zuzuordnen s<strong>in</strong>d, wird – dem <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Ges<strong>und</strong>heitskonzept folgend –<br />

auch die subjektive Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung berücksichtigt. Dabei wird aufgezeigt, ob <strong>und</strong> wie<br />

sich die subjektive Ges<strong>und</strong>heit im Verlaufe der zweiten Lebenshälfte verändert (Abschnitt<br />

7.4.3). Auf die ergänzende Darstellung der psychischen Bef<strong>in</strong>dlichkeit <strong>und</strong> Depressivitätsneigung<br />

Älterer wurde an dieser Stelle verzichtet. Ergebnisse zur subjektiven Bef<strong>in</strong>dlichkeit können<br />

jedoch Kapitel 9 entnommen werden.<br />

Der zweite Teil des vorliegenden Kapitels (Abschnitt 7.5) beschäftigt sich damit, <strong>in</strong> welchem<br />

Ausmaß mediz<strong>in</strong>ische <strong>und</strong> andere Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen <strong>in</strong> Anspruch genommen werden.<br />

Betrachtet werden hierbei Arztbesuche sowie Fragen danach, wie viele Personen (vor E<strong>in</strong>führung<br />

der Ges<strong>und</strong>heitsreform) e<strong>in</strong>e Hausärzt<strong>in</strong> oder e<strong>in</strong>en Hausarzt hatten <strong>und</strong> wie viele Personen<br />

Zahnarztbesuche vermeiden. Daran schließt sich e<strong>in</strong>e Darstellung über die Nutzung weiterer<br />

mediz<strong>in</strong>naher Dienstleistungen an, unter anderem die Nutzung von Heilhilfsbehandlungen.<br />

Im dritten <strong>und</strong> abschließenden Teil des Kapitels (Abschnitt 7.6) steht die Frage im Zentrum,<br />

<strong>in</strong>wieweit sich abzeichnet, dass nachfolgende Geburtskohorten gesünder s<strong>in</strong>d als früher geborene<br />

Kohorten gleichen Alters. Sollte dies der Fall se<strong>in</strong>, wäre es e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis darauf, dass die <strong>in</strong>folge<br />

steigender Lebenserwartung „gewonnenen“ Lebensjahre nicht e<strong>in</strong>e bloße Verlängerung<br />

von Lebensjahren <strong>in</strong> Krankheit <strong>und</strong> Pflegebedürftigkeit be<strong>in</strong>halten, sondern e<strong>in</strong>en Gew<strong>in</strong>n aktiver<br />

Lebensjahre bedeuten könnten.


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

7.3 Datengr<strong>und</strong>lage<br />

Gr<strong>und</strong>lage der nachfolgenden Ergebnisdarstellungen bildet vor allem die Replikationsstichprobe<br />

des Alterssurveys (vgl. Kapitel 2). Es handelt sich hierbei um mehr als 3000 Personen der deutschen<br />

Wohnbevölkerung <strong>in</strong> Privathaushalten. Im Befragungsjahr 2002 waren diese Personen im<br />

Alter zwischen 40 <strong>und</strong> 85 Jahren. Die Replikationsstichprobe wurde bei der Stichprobenziehung<br />

nach Altersgruppe, Geschlecht <strong>und</strong> regionaler Herkunft geschichtet. Dadurch ist auch für die<br />

höchste der drei Altersgruppen (70-85 Jahre) e<strong>in</strong>e ausreichend hohe Fallzahl (n=1.008) gewährleistet,<br />

um Ergebnisse nach Geschlecht <strong>und</strong> regionaler Herkunft (Ost-/ Westdeutschland) differenzieren<br />

<strong>und</strong> vergleichen zu können.<br />

In der Basisstichprobe des Alterssurveys von 1996 zählte der Themenbereich Ges<strong>und</strong>heit nicht<br />

zu den zentralen Befragungsschwerpunkten, weshalb nur e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>ere Zahl von Ges<strong>und</strong>heits<strong>in</strong>dikatoren<br />

erhoben wurde (Künem<strong>und</strong>, 2000). Für die zweite Welle des Alterssurveys wurde der<br />

Themenbereich modifiziert <strong>und</strong> deutlich erweitert. Aus diesem Gr<strong>und</strong> bezieht sich e<strong>in</strong> Großteil<br />

der nachfolgenden Darstellungen ausschließlich auf die Querschnittsdaten der Replikationsstichprobe.<br />

Zur Frage, ob nachfolgende Kohorten gesünder s<strong>in</strong>d, als früher Geborene gleichen<br />

Alters (Abschnitt 7.6), werden h<strong>in</strong>gegen Vergleiche zwischen den Angaben der Basisstichprobe<br />

<strong>und</strong> der Replikationsstichprobe vorgenommen.<br />

Die nachfolgenden Darstellungen konzentrieren sich auf e<strong>in</strong>e Deskription des Ges<strong>und</strong>heitszustandes<br />

<strong>und</strong> Inanspruchnahmeverhaltens. In Kapitel 8 wird ergänzend hierzu der Frage nachgegangen,<br />

welchen E<strong>in</strong>fluss verschiedene soziale <strong>und</strong> psychische Faktoren sowie das Ges<strong>und</strong>heitsverhalten<br />

auf die Ges<strong>und</strong>heit haben. Gr<strong>und</strong>lage für die Vorhersage von Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />

ges<strong>und</strong>heitlichen Veränderungen bildet hierbei – im Gegensatz zum vorliegenden Kapitel – die<br />

Panelstichprobe des Alterssurveys.<br />

7.4 Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />

Der nachfolgende Abschnitt geht auf den selbstberichteten Ges<strong>und</strong>heitszustand älter werdender<br />

<strong>und</strong> alter Personen e<strong>in</strong>. Im Blickpunkt steht dabei die Frage, h<strong>in</strong>sichtlich welcher Ges<strong>und</strong>heitsaspekte<br />

deutliche Altersgruppenunterschiede bestehen. Betrachtet wird auch, <strong>in</strong>wieweit Frauen<br />

sich aufgr<strong>und</strong> ihrer höheren Lebenserwartung <strong>in</strong> ihrer Ges<strong>und</strong>heit von Männern unterscheiden.<br />

Der Kontrast zwischen der erhöhten Mortalität von Männern <strong>und</strong> der erhöhten Morbidität von<br />

Frauen ist seit vielen Jahrzehnten bekannt <strong>und</strong> lässt sich verkürzt auf die Aussage „women get<br />

sick and men die“ (Sen, 1996, S.211) zuspitzen. Schließlich f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> den folgenden Darstellungen<br />

Berücksichtigung, <strong>in</strong>wieweit sich zwölf Jahre nach der Wiedervere<strong>in</strong>igung der beiden deutschen<br />

Staaten noch Ges<strong>und</strong>heitsdifferenzen zwischen Ost- <strong>und</strong> Westdeutschen zeigen. Ges<strong>und</strong>heitsprobleme,<br />

die sich <strong>in</strong> Abhängigkeit von der betrachteten Altersgruppe, Geschlechtszugehörigkeit<br />

oder regionaler Herkunft zeigen, können H<strong>in</strong>weise geben für spezifische Bedarfe an<br />

Präventions- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsförderungsprogrammen.<br />

295


7.4.1 Körperliche Erkrankungen <strong>und</strong> Multimorbidität<br />

296<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

Die körperliche Ges<strong>und</strong>heit unterliegt lebenslangen <strong>Entwicklung</strong>en <strong>und</strong> Veränderungen. Ab<br />

dem mittleren Erwachsenenalter nimmt jedoch die Anzahl von Personen deutlich zu, deren körperliche<br />

Ges<strong>und</strong>heit sich verschlechtert. Hierbei handelt es sich vor allem um chronische Erkrankungen,<br />

Funktionsverluste (z.B. E<strong>in</strong>bußen der Sehfähigkeit) <strong>und</strong> Veränderungen der kognitiven<br />

Leistungsfähigkeit (vor allem demenzielle Erkrankungen, vgl. Förstl, Lauter, & Bickel,<br />

2001). Dabei liegen die Gründe für e<strong>in</strong>en altersabhängigen Anstieg von Erkrankungen <strong>und</strong><br />

Funktionsverlusten nicht alle<strong>in</strong> an altersphysiologischen Veränderungen von Organen <strong>und</strong> Organsystemen<br />

(Walter & Schwartz, 2001). Auch die lange Latenzzeit mancher Krankheiten führt<br />

dazu, dass diese erst im mittleren <strong>und</strong> höheren Erwachsenenalter gehäuft auftreten. Hierzu zählen<br />

beispielsweise verschiedene Formen von Krebserkrankungen, bei denen zugleich die mit<br />

dem Alter abnehmende Immunresponsivität e<strong>in</strong>e Rolle spielt. E<strong>in</strong> weiterer Faktor für den altersabhängigen<br />

Anstieg von Erkrankungen ist oftmals auch die jahre- oder jahrzehntelange Exposition<br />

verschiedener Risikofaktoren (Umfeldfaktoren, z.B. Lärm, Gifte; Ges<strong>und</strong>heitsverhalten,<br />

z.B. Rauchen). Diese führt zur sukzessiven Schädigung von Organen bis h<strong>in</strong> zu chronischen<br />

Erkrankungen (z.B. chronische Bronchitis) oder dauerhaften Funktionsverlusten (z.B. Verluste<br />

der Hörfähigkeit). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass nicht alle Krankheiten erst im mittleren<br />

<strong>und</strong> höheren Erwachsenenalter auftreten, sondern lediglich „mitaltern“, d.h. seit dem Auftreten<br />

<strong>in</strong> jüngeren Lebensjahren fortbestehen (Schwartz & Walter, 1998). E<strong>in</strong>ige dieser Erkrankungen<br />

können durch die lange Dauer ihres Bestehens zu Folgekrankheiten führen. Dies ist<br />

beispielweise für Diabetes bekannt ist, die Arteriosklerose begünstigt <strong>und</strong> dadurch die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

(unter anderem) für Herz<strong>in</strong>farkt, Nierenversagen <strong>und</strong> Erbl<strong>in</strong>dung erhöht.<br />

Nach dem Vorhandense<strong>in</strong> körperlicher Erkrankungen wurde im Rahmen des Alterssurveys anhand<br />

e<strong>in</strong>er Liste von <strong>in</strong>sgesamt 11 Krankheiten <strong>und</strong> Krankheitsgruppen gefragt. Die Befragungspersonen<br />

konnten zunächst angeben, ob sie diese haben oder nicht. Sofern e<strong>in</strong>e Person<br />

angab, die entsprechende Krankheit zu haben, wurde sie zusätzlich danach gefragt, wie viele<br />

Beschwerden die Krankheit bereitet. Als Antwortmöglichkeiten standen die Angaben „ke<strong>in</strong>e“,<br />

„leichte“, „mittlere“ oder „große“ Beschwerden zur Auswahl. In der nachfolgenden Tabelle s<strong>in</strong>d<br />

die Angaben der Befragten zu entnehmen. Für jede der aufgeführten Krankheiten enthält die<br />

jeweils erste Zeile e<strong>in</strong>e Information über das Vorhandense<strong>in</strong> der Krankheit. Der jeweils zweiten<br />

Zeile kann entnommen werden, wie viele der Personen, die von der entsprechenden Krankheit<br />

betroffen s<strong>in</strong>d, über mittlere bis große Beschwerden berichten.<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>, dass die Angaben auf Selbstaussagen der Befragungspersonen beruhen<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>ige der erfragten Krankheitsgruppen unterschiedliche Krankheiten subsumieren, verfolgt<br />

der Alterssurvey nicht den Anspruch, genaue Prävalenzdaten zu liefern. Zudem ist zu erwarten<br />

– <strong>und</strong> dies gilt für alle bevölkerungsbezogenen Untersuchungen – dass die Häufigkeit des Vorkommens<br />

von Krankheiten alle<strong>in</strong> durch die ger<strong>in</strong>gere Teilnahmebereitschaft von Personen mit<br />

Ges<strong>und</strong>heitsbee<strong>in</strong>trächtigungen unterschätzt wird. E<strong>in</strong>e wichtige <strong>und</strong> die Angaben anderer Studien<br />

ergänzende Information liefern im Rahmen des Alterssurveys vor allem die Aussagen über<br />

das krankheitsabhängige Ausmaß an Beschwerden.


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

Tabelle 7.1:<br />

Selbstaussagen zu Krankheiten <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>enen Beschwerden, differenziert nach<br />

Altersgruppe <strong>und</strong> Geschlecht (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

Gelenk-, Knochen-, Krankh 1<br />

Bandscheiben- od.<br />

Beschw<br />

Rückenleiden<br />

2<br />

40-54 Jahre 55-69 Jahre 70-85 Jahre<br />

Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen<br />

49,1 48,6<br />

38,8 43,7<br />

61,9 64,3<br />

53,7 51,4<br />

60,7 75,0<br />

52,1 69,7<br />

Herz-/ Kreislauf- Krankh 16,2 17,0 38,7 33,9 52,5 50,5<br />

erkrankung Beschw 23,1 25,5 26,3 27,2 39,9 37,2<br />

Durchblutungs- Krankh 10,4 9,9 26,8 27,3 45,8 44,7<br />

störungen Beschw 20,5 32,9 33,0 26,4 36,5 39,3<br />

Augenleiden, Krankh 28,6 26,5 31,4 34,0 44,7 47,3<br />

Sehstörungen Beschw 24,5 29,8 25,1 27,2 37,8 43,9<br />

Ohrenleiden, Krankh 9,1 6,8 22,3 10,3 33,7 24,2<br />

Schwerhörigkeit Beschw 21,2 (16,4) 3 32,0 36,0 41,3 47,2<br />

Zucker / Diabetes Krankh 4,5 2,2 11,8 9,1 18,1 17,3<br />

Beschw (35,2) (27,8) 38,9 36,8 50,7 44,5<br />

Blasenleiden Krankh 3,3 6,5 9,8 12,4 16,6 17,4<br />

Beschw (28,0) (22,2) 28,0 16,3 46,8 32,8<br />

Atemwegserkrankg. Krankh 7,9 11,6 11,7 14,6 19,6 11,6<br />

Asthma, Atemnot Beschw (23,7) 31,3 41,1 37,6 44,2 39,0<br />

Magen- oder Krankh 10,3 10,1 11,6 12,1 12,3 13,9<br />

Darmerkrankung Beschw 16,0 36,1 41,5 35,5 34,4 37,5<br />

Gallen-, Leber- Krankh 4,3 5,1 6,9 10,6 8,0 12,5<br />

oder Nierenleiden Beschw (21,9) (14,3) (30,7) 24,0 25,9 25,3<br />

Krebserkrankung Krankh 2,3 1,8 3,8 5,2 8,3 4,9<br />

Beschw / 4<br />

/ (32,1) (28,2) (45,1) (37,5)<br />

1 Anzahl der Personen (<strong>in</strong> Prozent), welche angeben, die entsprechende Erkrankung zu haben<br />

2 Anteil der erkrankten Personen (<strong>in</strong> Prozent) mit mittleren oder hohen Beschwerden<br />

3 Angaben <strong>in</strong> Klammern: Angaben auf der Gr<strong>und</strong>lage von ungewichteten Fallzahlen 10 < n ≤ 35<br />

4<br />

Ohne Angaben (Schrägstrich): ungewichtete Fallzahl n ≤ 10<br />

Quelle: Replikationsstichprobe des Alterssurveys, 2002; n= 2.706-2.754, gewichtet<br />

297


298<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

E<strong>in</strong>e nähere Betrachtung der Krankheitsnennungen (jeweils erste Zeile <strong>in</strong> Tabelle 7.1) macht<br />

deutlich, dass e<strong>in</strong>ige Krankheiten mit steigendem Alter deutlich häufiger genannt werden als zu<br />

Beg<strong>in</strong>n der zweiten Lebenshälfte. Über die Altersgruppen h<strong>in</strong>weg kommt es zu e<strong>in</strong>em bedeutsamen<br />

Anstieg von Herz-Kreislauferkrankungen sowie von Durchblutungsstörungen, Ohrenleiden,<br />

Atemwegserkrankungen <strong>und</strong> Blasenleiden (p


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

oder hohes Beschwerdemaß bei Magen- oder Darmerkrankungen als Ostdeutsche (p


300<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

Für die höchste Altersgruppe ist der Abbildung schließlich zu entnehmen, dass r<strong>und</strong> jede vierte<br />

Person von e<strong>in</strong>er hohen Multimorbidität (5 <strong>und</strong> mehr Erkrankungen) betroffen ist, während e<strong>in</strong><br />

Großteil der Personen über m<strong>in</strong>destens zwei Erkrankungen berichtet. Allerd<strong>in</strong>gs gibt es auch <strong>in</strong><br />

dieser Altersgruppe, die bis <strong>in</strong> die Anfänge des hohen Alters 5 h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>reicht, noch immer e<strong>in</strong>e<br />

nennenswerte Anzahl von Personen, die über ke<strong>in</strong>e oder nur e<strong>in</strong>e Erkrankung berichten: hierbei<br />

handelt es sich um r<strong>und</strong> jede fünfte Person im Alter zwischen 70 <strong>und</strong> 85 Jahren. Vergleiche<br />

zwischen den Altersgruppen, Geschlechtern <strong>und</strong> Regionen machen deutlich, dass es von der<br />

jüngsten zur höchsten dargestellten Altersgruppe zwar zu e<strong>in</strong>em bedeutsamen Anstieg der Multimorbidität<br />

kommt, hiervon jedoch Frauen wie Männer <strong>und</strong> Ost- wie Westdeutsche etwa gleichermaßen<br />

betroffen s<strong>in</strong>d (Haupteffekt Altersgruppe; p


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

Selbst <strong>in</strong> der höchsten Altersgruppe der 70- bis 85-Jährigen haben noch über die Hälfte der Befragten<br />

h<strong>in</strong>sichtlich ke<strong>in</strong>er oder nur e<strong>in</strong>er Erkrankung größere Beschwerden. Der Anteil jener<br />

Personen mit multiplen Beschwerden steigt jedoch über die Altersgruppen h<strong>in</strong>weg an (p


302<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

Die Darstellung macht deutlich, dass es über die Altersgruppen h<strong>in</strong>weg zu e<strong>in</strong>em Anstieg von<br />

schweren Erkrankungen bzw. Unfällen kommt. Erneut erweisen sich die Altersgruppen-<br />

Unterschiede als statistisch bedeutsam (p


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

sche<strong>in</strong>t, dass der Anstieg der Multimorbidität nicht mit hohen Beschwerden gleichzusetzen ist.<br />

Zwar steigt neben der Multimorbidität auch die Häufigkeit multipler Beschwerden, dennoch<br />

berichtet bis <strong>in</strong> die Altersgruppe der 70- bis 85-Jährigen e<strong>in</strong> großer Teil der Befragten, höchstens<br />

h<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>er Erkrankung unter mittleren bis großen Beschwerden zu leiden. Dieser<br />

Bef<strong>und</strong> kann möglicherweise als Ausdruck <strong>und</strong> Bestandteil e<strong>in</strong>er, bis <strong>in</strong>s hohe Alter fortdauernden<br />

Lebensqualität gewertet werden. Zugleich sollte Aufgabe weiterführender Forschung se<strong>in</strong>,<br />

der Frage nachzugehen, <strong>in</strong>wieweit dieser Bef<strong>und</strong> auch als Ausdruck e<strong>in</strong>er Anpassung an vorhandene<br />

Beschwerden zu verstehen ist. In diesem Fall würde es sich vermutlich e<strong>in</strong>erseits um<br />

e<strong>in</strong>e wichtige Bewältigungsstrategie handeln. Andererseits birgt diese Form der Bewältigung<br />

von Beschwerden zugleich die Gefahr, dass dadurch entscheidende Rehabilitationspotenziale<br />

nicht ausreichend ausgeschöpft werden.<br />

Eng mit Fragen zur Multimorbidität <strong>und</strong> Beschwerden verknüpft ist die Frage, <strong>in</strong> welchem<br />

Ausmaß das Älterwerden mit Funktionse<strong>in</strong>bußen verb<strong>und</strong>en ist. Bereits im vorliegenden Abschnitt<br />

wurde gezeigt, dass das Altern <strong>in</strong>folge altersphysiologischer Prozesse sowie <strong>in</strong>folge von<br />

Krankheiten mit vermehrten E<strong>in</strong>bußen der Seh- <strong>und</strong> Hörfähigkeit e<strong>in</strong>hergeht. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

fiel jedoch besonders der hohe Anteil jener Personen auf, die über Gelenk- Knochen-, Bandscheiben-<br />

oder Rückenleiden berichteten (vgl. Tabelle 7.1). Bemerkenswert waren hierbei die<br />

deutlichen Geschlechtsunterschiede zu Ungunsten der Frauen. Der nachfolgende Abschnitt zu<br />

funktionellen E<strong>in</strong>schränkungen beschäftigt sich mit der Frage, <strong>in</strong> welchem Ausmaß Personen <strong>in</strong><br />

ihrer zweiten Lebenshälfte über E<strong>in</strong>schränkungen ihrer Mobilität berichten <strong>und</strong> wie viele Personen<br />

angeben, <strong>in</strong> ihrem Alltag auf fremde Hilfe oder Pflegeleistungen angewiesen zu se<strong>in</strong>. Dabei<br />

wird zu verfolgen se<strong>in</strong>, ob sich die größere Verbreitung von Gelenk- <strong>und</strong> Knochenerkrankungen<br />

bei Frauen gegenüber Männern entsprechend auch <strong>in</strong> stärkeren Mobilitätse<strong>in</strong>bußen wiederf<strong>in</strong>det.<br />

7.4.2 Funktionelle E<strong>in</strong>schränkungen<br />

Erkrankungen <strong>und</strong> Unfälle stellen mit steigendem Alter <strong>in</strong> zunehmendem Maße e<strong>in</strong>en Risikofaktor<br />

für die selbstständige Alltagsgestaltung dar. Art <strong>und</strong> Ausmaß körperlicher oder psychischer<br />

(<strong>in</strong>sbesondere demenzieller) Erkrankungen sowie e<strong>in</strong>e häufiger vorliegende Multimorbidität<br />

erschweren die Möglichkeit, ges<strong>und</strong>heitliche E<strong>in</strong>schränkungen zu kompensieren. Dies führt<br />

dazu, dass mit steigendem Alter Hilfs- <strong>und</strong> Pflegebedürftigkeit zunehmen.<br />

Neben Erkrankungen führen altersphysiologische (<strong>und</strong> alterskorrelierte) Veränderungen zusätzlich<br />

zu Funktionse<strong>in</strong>bußen, die direkt die Aufrechterhaltung von Selbstständigkeit im Alter gefährden.<br />

Hierzu zählen sensorische Verluste, <strong>in</strong>sbesondere visuelle E<strong>in</strong>schränkungen aufgr<strong>und</strong><br />

von Alterssichtigkeit <strong>und</strong> L<strong>in</strong>sentrübungen sowie auditive E<strong>in</strong>bußen durch Hochtonverluste <strong>und</strong><br />

Schwerhörigkeit. Ebenso können Veränderungen des Bewegungsapparates <strong>in</strong>folge e<strong>in</strong>er Abnahme<br />

der Muskulatur, der Dehnbarkeit der Sehnen <strong>und</strong> der Gelenkbeweglichkeit zu funktionellen<br />

E<strong>in</strong>schränkungen führen, <strong>in</strong>dem die Mobilität bee<strong>in</strong>trächtigt wird. Sensomotorische Funktionse<strong>in</strong>bußen<br />

können zugleich zu Krankheiten beitragen, <strong>in</strong>sbesondere zu Verletzungen aufgr<strong>und</strong><br />

von Stürzen. Vor allem aber bee<strong>in</strong>flussen sie, ebenso wie Krankheiten, die <strong>in</strong>strumentellen <strong>und</strong><br />

303


304<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

basalen Aktivitäten des täglichen Lebens <strong>und</strong> die Möglichkeiten e<strong>in</strong>er Teilhabe am sozialen<br />

Leben.<br />

Die nachfolgenden Darstellungen zeigen für die körperliche Mobilität auf, welche Funktionse<strong>in</strong>bußen<br />

bereits im mittleren Erwachsenenalter <strong>und</strong> der Phase des jungen Alters festzustellen<br />

s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> damit bereits hier zu <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n E<strong>in</strong>schränkungen führen. Zu Beg<strong>in</strong>n der zweiten<br />

Lebenshälfte s<strong>in</strong>d diese E<strong>in</strong>schränkungen zumeist jedoch noch nicht mit Hilfs- oder Pflegebedürftigkeit<br />

verb<strong>und</strong>en, wie im Folgenden deutlich wird.<br />

Abbildung 7.5 beruht auf Angaben, die mit Hilfe der Subskala „Körperliche Funktionsfähigkeit<br />

(Mobilität/Aktivitäten des täglichen Lebens; kurz: KÖFU)“ des SF-36-Fragebogens erhoben<br />

wurden. Es handelt sich beim SF-36-Fragebogen um e<strong>in</strong> <strong>in</strong>ternational anerkanntes Instrument<br />

zur Messung der ges<strong>und</strong>heitsbezogenen Lebensqualität (Kirchberger, 2000; Radoschewski &<br />

Bellach, 1999). Das Instrument enthält <strong>in</strong>sgesamt neun Subskalen (unter anderem auch zu psychischem<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den, zu Vitalität <strong>und</strong> sozialer Funktionsfähigkeit) von denen jedoch ausschließlich<br />

die Subskala „Körperliche Funktionsfähigkeit“ für den E<strong>in</strong>satz im Alterssurvey ausgewählt<br />

wurde. Die körperliche Funktionsfähigkeit wird hierbei anhand von 10 E<strong>in</strong>zelaspekten<br />

der Mobilität erhoben. Für jeden kann angegeben werden, ob diesbezüglich die Mobilität überhaupt<br />

nicht, etwas oder stark e<strong>in</strong>geschränkt ist. In der Abbildung ist e<strong>in</strong>e Auswahl dieser 10<br />

Mobilitätsaspekte enthalten. Diese s<strong>in</strong>d abgestuft von anstrengenden Tätigkeiten (schnell laufen,<br />

schwere Gegenstände heben, anstrengenden Sport treiben) bis h<strong>in</strong> zu basalen Aktivitäten des<br />

täglichen Lebens (sich baden oder anziehen).<br />

Abbildung 7.5:<br />

Körperliche Funktionsfähigkeit - Ausgewählte Items aus dem SF-36 Fragebogen, differenziert<br />

nach Altersgruppen (Angaben <strong>in</strong> Prozent) 1<br />

Anstrengende Tätigkeit<br />

Sich beugen, knien, bücken<br />

E<strong>in</strong>kaufstaschen heben/tragen<br />

Mehrere Straßenkreuzungen zu Fuß<br />

E<strong>in</strong>en Treppenabsatz steigen<br />

Sich baden oder anziehen<br />

27 9,8<br />

39 24,6<br />

38 50,0<br />

11 4,1 40-54J.<br />

23 10,2 55-69J.<br />

38 20,5<br />

7 2,6 40-54J.<br />

17 7,4 55-69J.<br />

32 18,2<br />

3 1,9 40-54J.<br />

7 5,1 55-69J.<br />

16 17,7<br />

3 1,2<br />

9 2,5<br />

19 10,7<br />

20,9<br />

4 1,8<br />

14 6,5<br />

70-85J.<br />

70-85J.<br />

70-85J.<br />

etwas e<strong>in</strong>geschränkt<br />

stark e<strong>in</strong>geschränkt<br />

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />

1<br />

Die ersten Balken beziehen sich jeweils auf die jüngste Altersgruppe der 40- bis 54-Jährigen, mittlere Balken auf die<br />

Gruppe der 55- bis 69-Jährigen, äußerste Balken auf 70- bis 85-Jährige, wie dies auch für drei Balkengruppen exemplarisch<br />

e<strong>in</strong>gezeichnet ist<br />

Quelle: Replikationsstichprobe des Alterssurveys, 2002; n= 3.065-3.072, gewichtet


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

Die Abbildung macht zunächst deutlich, dass es h<strong>in</strong>sichtlich aller dargestellten Mobilitätsaspekte<br />

über die drei Altersgruppen zu e<strong>in</strong>em bedeutsamen Anstieg von E<strong>in</strong>schränkungen kommt.<br />

Von E<strong>in</strong>schränkungen bezüglich anstrengender körperlicher Tätigkeiten ist bereits mehr als jede<br />

dritte Person zwischen 40 <strong>und</strong> 54 Jahren betroffen. Relativ früh im Lebensverlauf hat auch bereits<br />

r<strong>und</strong> jede siebte Person Probleme mit basalen Bewegungen wie dem sich Beugen, Knien<br />

oder Bücken. H<strong>in</strong>sichtlich dieser beiden Mobilitätsaspekte steigt der Anteil von Personen, der<br />

e<strong>in</strong>geschränkt ist, bereits zwischen der jüngsten <strong>und</strong> mittleren der drei Altersgruppen deutlich<br />

an. Die Zahl stark e<strong>in</strong>geschränkter Personen erhöht sich hierbei jeweils um den Faktor 2,5. Für<br />

alle anderen der dargestellten Aspekte körperlicher Mobilität kommt es h<strong>in</strong>gegen vor allem<br />

zwischen der mittleren <strong>und</strong> ältesten Altersgruppe zu e<strong>in</strong>em Anstieg starker E<strong>in</strong>schränkungen.<br />

Dabei verdreifacht sich jeweils etwa der Anteil von Personen mit starken Mobilitätsbee<strong>in</strong>trächtigungen.<br />

Über die drei Altersgruppen betrachtet veranschaulicht die Darstellung somit den Anstieg von<br />

Funktionse<strong>in</strong>bußen. Zugleich sollte nicht übersehen werden, dass auch <strong>in</strong> der Altersgruppe der<br />

70- bis 85-Jährigen e<strong>in</strong> hoher Anteil der Personen ohne jeweilige Mobilitätse<strong>in</strong>schränkung ist:<br />

Die Hälfte der Befragten dieser Altersgruppe gibt an, ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schränkungen beim Heben bzw.<br />

Tragen von E<strong>in</strong>kaufstaschen zu haben, r<strong>und</strong> zwei Drittel können ohne E<strong>in</strong>schränkungen mehrere<br />

Straßenkreuzungen zu Fuß gehen <strong>und</strong> über drei Viertel der Befragten nennt, beim Baden oder<br />

Anziehen ke<strong>in</strong>e Probleme zu haben. E<strong>in</strong>schränkend ist zu berücksichtigen, dass Bevölkerungsumfragen<br />

wie der Alterssurvey <strong>in</strong>folge der ger<strong>in</strong>geren Teilnahmebereitschaft von ges<strong>und</strong>heitlich<br />

bee<strong>in</strong>trächtigten Personen sowie aufgr<strong>und</strong> der auf Selbstaussagen basierenden Ergebnisse <strong>in</strong> der<br />

Regel zu optimistischeren Schlüssen kommen, als dies der tatsächlichen Situation Älterer entspricht.<br />

Doch auch unter Berücksichtigung dieser methodischen E<strong>in</strong>schränkung lassen die Ergebnisse<br />

<strong>in</strong>sgesamt auf eher gute Mobilitätsmöglichkeiten schließen. Auch im Rahmen der Berl<strong>in</strong>er<br />

Altersstudie konnte die hohe Mobilität <strong>und</strong> Selbstständigkeit 70- bis 84-Jähriger<br />

festgestellt werden. Durch letztere Studie ist allerd<strong>in</strong>gs bekannt, dass es ab dem 85. Lebensjahr<br />

zu e<strong>in</strong>em deutlichen Anstieg von Funktionse<strong>in</strong>bußen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er damit verb<strong>und</strong>enen Hilfebedürftigkeit<br />

kommt (Ste<strong>in</strong>hagen-Thiessen & Borchelt, 1996).<br />

Der Abbildung 7.5 waren Altersgruppenvergleiche, jedoch ke<strong>in</strong>e Vergleiche zwischen den Geschlechtern<br />

oder Regionen (Ost-/West) zu entnehmen. Hierzu erfolgten ergänzende statistische<br />

Überprüfungen, die aufzeigten, dass ke<strong>in</strong>e regionalspezifischen Mobilitätsunterschiede, h<strong>in</strong>gegen<br />

deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern bestehen. Geschlechtsunterschiede<br />

werden aus diesem Gr<strong>und</strong> nachfolgend näher betrachtet.<br />

Um e<strong>in</strong> zusammenfassendes Maß über die Mobilität zu erhalten, wurden, ergänzend zu den<br />

E<strong>in</strong>zelangaben, über alle 10 erhobenen Mobilitätsaspekte Summenwerte gebildet. Bei der<br />

Summenbildung wird der Wert 3 vergeben, wenn e<strong>in</strong> Mobilitätsaspekt ohne E<strong>in</strong>schränkungen<br />

ausgeführt werden kann, der Wert 2 für die Angabe, hierbei „etwas“ e<strong>in</strong>geschränkt zu se<strong>in</strong>, der<br />

Wert 1 für die Angabe, „sehr“ e<strong>in</strong>geschränkt zu se<strong>in</strong>. Pro Person werden rohe Punktsummen<br />

(Wertebereich 10-30) berechnet <strong>und</strong> anschließend <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Skalenspanne von 0 bis 100 transformiert.<br />

Dabei bedeutet der Wert 0, dass e<strong>in</strong>e Person h<strong>in</strong>sichtlich aller Aspekte erhobener Mobilität<br />

sehr e<strong>in</strong>geschränkt ist, der Wert 100 h<strong>in</strong>gegen gibt an, dass e<strong>in</strong>e Person über ke<strong>in</strong>erlei E<strong>in</strong>schränkungen<br />

berichtet. Die Transformation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Skalenspanne von 0 bis 100 entspricht dem<br />

Standardvorgehen für Skalen des SF-36. Die nachfolgende Abbildung 7.6 veranschaulicht an-<br />

305


306<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

hand dieses Summenmaßes körperlicher Funktionsfähigkeit, wie sich über die zweite Lebenshälfte<br />

h<strong>in</strong>weg die Mobilität von Frauen <strong>und</strong> Männern entwickelt.<br />

Wie der Abbildung zu entnehmen ist, zeigen sich zu Beg<strong>in</strong>n der zweiten Lebenshälfte noch<br />

ke<strong>in</strong>e bedeutsamen Geschlechtsunterschiede. Mit steigendem Alter jedoch wächst die Diskrepanz<br />

zwischen Frauen <strong>und</strong> Männern. Es ist ersichtlich, dass ältere Frauen von höheren Mobilitätse<strong>in</strong>schränkungen<br />

betroffen s<strong>in</strong>d als Männer. Dies wird besonders anhand des polynomialen<br />

Kurvenverlaufs deutlich, der die <strong>in</strong> der Abbildung 7.6 enthaltenen Mittelwertsangaben ergänzt 6 .<br />

Abbildung 7.6:<br />

Körperliche Funktionsfähigkeit – Summenscore der Subskala KÖFÜ des SF-36-Fragebogens,<br />

differenziert nach Alter <strong>und</strong> Geschlecht (Mittelwertsangaben)<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

Männer<br />

10<br />

0<br />

Frauen<br />

40 45 50 55 60 65<br />

Alter<br />

70 75 80 85<br />

Quelle: Replikationsstichprobe des Alterssurveys, 2002; n= 3.084, gewichtet<br />

An diesen geschlechtsdifferenzierten Verläufen bestätigt sich der, auch aus anderen Studien<br />

bekannte Bef<strong>und</strong>, dass Frauen im höheren Alter stärker von Beh<strong>in</strong>derungen betroffen s<strong>in</strong>d als<br />

Männer. Zugleich wird deutlich, dass der aufgezeigte Bef<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er unter Frauen größeren<br />

Verbreitung von Gelenk- <strong>und</strong> Knochenerkrankungen sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schlechteren Mobilität wiederf<strong>in</strong>den<br />

lässt. E<strong>in</strong> wesentlicher Gr<strong>und</strong> für den Geschlechtsunterschied liegt <strong>in</strong> der höheren<br />

Frühsterblichkeit von Männern. Während Männer mit schlechtem Ges<strong>und</strong>heitszustand früher<br />

sterben, überleben Frauen mit schlechter Ges<strong>und</strong>heit häufiger bis <strong>in</strong>s hohe Alter <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>folgedessen<br />

häufiger bee<strong>in</strong>trächtigt. Der Gr<strong>und</strong> für diese Geschlechtsunterschiede ist bis heute im<br />

Wesentlichen noch unbekannt (Baltes, 1997).<br />

Die mit dem Alter zunehmende Bee<strong>in</strong>trächtigung körperlicher Funktionsfähigkeit führt zwar zu<br />

Beh<strong>in</strong>derungen <strong>in</strong> der Alltagsgestaltung, doch nicht unbed<strong>in</strong>gt tritt e<strong>in</strong> regelmäßiger Hilfe- oder<br />

Pflegebedarf e<strong>in</strong>. Bis <strong>in</strong>s höhere Alter von 70- bis 85-Jahren gibt nur e<strong>in</strong> eher kle<strong>in</strong>er Teil von<br />

6 Zur Ergänzung: Der l<strong>in</strong>eare Zusammenhang zwischen körperlicher Funktionsfähigkeit <strong>und</strong> Alter liegt bei r=-.39 für<br />

Männer <strong>und</strong> r=-.52 bei Frauen.


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

Personen an, so stark ges<strong>und</strong>heitlich e<strong>in</strong>geschränkt zu se<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong>e regelmäßige Hilfe, Unterstützung<br />

oder Pflege benötigt wird. Dies veranschaulicht nachfolgende Abbildung 7.7. In der<br />

jüngsten Altersgruppe der 40- bis 54-Jährigen geben lediglich 17 Personen (1,6%) an, Hilfe<br />

oder Pflege zu benötigen. In der mittleren Altersgruppe der 55- bis 69-Jährigen s<strong>in</strong>d mit 4 Prozent<br />

mehr als doppelt so viele Personen von Hilfe- oder Pflegebedürftigkeit betroffen wie <strong>in</strong> der<br />

jüngsten Altersgruppe. Diese Zahl verdreifacht sich auf 13 Prozent <strong>in</strong> der Gruppe der 70- bis<br />

85-Jährigen 7 . In dieser Altersgruppe f<strong>in</strong>den sich leichte Geschlechtsunterschiede, d.h. Frauen<br />

geben e<strong>in</strong> höheres Maß an Hilfe- oder Pflegebedürftigkeit an als Männer. Ansonsten bestehen<br />

nur Unterschiede zwischen den Altersgruppen (p


308<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

Altersgruppe der 70- bis 85-Jährigen gibt nur etwa jede achte Person an, Hilfe, Pflege oder andere<br />

Unterstützung zu benötigen.<br />

7.4.3 Subjektive Ges<strong>und</strong>heit<br />

Im Gegensatz zu klassischen, mediz<strong>in</strong>ischen Ges<strong>und</strong>heitsmodellen ist <strong>in</strong> neueren Modellen die<br />

subjektive Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung e<strong>in</strong> zentrales Kriterium für Ges<strong>und</strong>heit. Warum subjektive<br />

Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> Abgrenzung zu körperlicher Ges<strong>und</strong>heit e<strong>in</strong>e spezifische, eigenständige Bedeutung<br />

hat, soll im Folgenden e<strong>in</strong>leitend näher erläutert werden.<br />

In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass zwischen dem mediz<strong>in</strong>isch messbaren<br />

Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er subjektiven Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung lediglich e<strong>in</strong> moderater<br />

Zusammenhang besteht. Dies verdeutlicht, dass die subjektive Wahrnehmung von Ges<strong>und</strong>heit<br />

nicht e<strong>in</strong>fach die mediz<strong>in</strong>isch messbare Ges<strong>und</strong>heit widerspiegelt, sondern Ausdruck verschiedener<br />

Personen- <strong>und</strong> Umweltmerkmale ist. Hierzu zählen Lebenszufriedenheit, <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong><br />

Kontrollüberzeugungen <strong>und</strong> Bewältigungskompetenzen sowie soziale Unterstützung <strong>und</strong> soziale<br />

Vergleichsprozesse.<br />

Die Bedeutung subjektiver Ges<strong>und</strong>heit ist trotz des verhältnismäßig ger<strong>in</strong>gen Zusammenhangs<br />

mit objektiver Ges<strong>und</strong>heit nicht zu unterschätzen. Subjektive Ges<strong>und</strong>heit ist nicht nur e<strong>in</strong> zentraler<br />

Indikator für subjektive Lebensqualität (Filipp, 2002), sondern wird besonders im höheren<br />

Lebensalter als besonders bedeutsame Ges<strong>und</strong>heits<strong>in</strong>formation angesehen (Ebrahim, 1996).<br />

Gr<strong>und</strong> hierfür ist, dass sich die globale subjektive Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung im Vergleich zu<br />

mediz<strong>in</strong>ischen Ges<strong>und</strong>heitsmaßen als sensitiverer Indikator für das Mortalitätsrisiko erwiesen<br />

hat. Dieser Bef<strong>und</strong> konnte <strong>in</strong> verschiedenen Längsschnittstudien gezeigt werden <strong>und</strong> zwar auch<br />

dann, wenn objektiver Ges<strong>und</strong>heitsstatus, Ges<strong>und</strong>heitsverhalten sowie Alter, Geschlecht <strong>und</strong><br />

andere soziodemografische Variablen kontrolliert wurden (Idler & Kasl, 1991; Menec, Chipperfield,<br />

& Raymond, 1999; Mossey & Shapiro, 1982).<br />

Hierfür gibt es mehrere mögliche Erklärungen: (1) Es ist denkbar, dass subtile biologische <strong>und</strong><br />

physiologische Veränderungen mittels objektiver, mediz<strong>in</strong>ischer Ges<strong>und</strong>heitsmessungen nicht<br />

ausreichend erfasst werden, während diese Veränderungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er subjektiven E<strong>in</strong>schätzung<br />

enthalten s<strong>in</strong>d. Zudem können bei Selbste<strong>in</strong>schätzungen auch <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Ges<strong>und</strong>heitsgewohnheiten<br />

<strong>und</strong> der Ges<strong>und</strong>heitsverlauf über die Lebensspanne e<strong>in</strong>bezogen werden, das heißt, Personen<br />

berücksichtigen möglicherweise ihr biografisches Wissen bezüglich zurückliegender Erkrankungen<br />

sowie verschiedener Aspekte ihres Ges<strong>und</strong>heitsverhaltens (Mossey & Shapiro,<br />

1982). Diese These, die auf die Grenzen mediz<strong>in</strong>ischer Messungen h<strong>in</strong>weist, wird bestärkt<br />

durch die Feststellung, dass gerade im höheren Alter Erkrankungen <strong>und</strong> Risikofaktoren wie<br />

Diabetes <strong>und</strong> Bluthochdruck häufig mediz<strong>in</strong>isch <strong>und</strong>iagnostiziert bleiben (Ebrahim, 1996).<br />

(2) E<strong>in</strong>e weitere Erklärung ist, dass die subjektive Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung den zeitlich nachfolgenden<br />

Ges<strong>und</strong>heitszustand bee<strong>in</strong>flusst <strong>und</strong> auf diese <strong>in</strong>direkte Weise e<strong>in</strong>e Mortalitätsvorhersage<br />

leisten kann. Diese Annahme wurde empirisch untersucht, ergab bisher jedoch heterogene<br />

Bef<strong>und</strong>e: Es konnte gezeigt werden, dass subjektive Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zeitraum von e<strong>in</strong> bis<br />

sechs Jahren die Veränderung von funktionellen Fähigkeiten vorhersagen kann (Idler & Kasl,<br />

1995), Zusammenhänge zu Morbidität wurden bisher jedoch nicht festgestellt (Menec et al.,


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

1999). (3) Schließlich ist es auch möglich, dass die subjektive Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung e<strong>in</strong>en<br />

direkten Vorhersagewert für die Mortalität hat. Im Falle positiver E<strong>in</strong>schätzungen könnten die<br />

optimistischen Gefühle als solche bereits e<strong>in</strong>e protektive Wirkung haben, während im Fall von<br />

negativen E<strong>in</strong>schätzungen möglicherweise Depressionen oder anderen emotionalen Problemen<br />

e<strong>in</strong>e Bedeutung für Mortalität zukommt.<br />

Wenngleich die verschiedenen Wirkmechanismen subjektiver Ges<strong>und</strong>heit derzeit noch diskutiert<br />

werden, weisen die verschiedenen Bef<strong>und</strong>e konsistent auf die Bedeutung h<strong>in</strong>, gerade bei<br />

älteren Personen die subjektive Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung mit zu berücksichtigen, da sie e<strong>in</strong>e<br />

wichtige ergänzende Ges<strong>und</strong>heits<strong>in</strong>formation darstellt.<br />

Der nachfolgenden Abbildung 7.8 kann für die Daten des Alterssurveys entnommen werden,<br />

wie viele Personen subjektiv ihre Ges<strong>und</strong>heit als gut bis sehr gut e<strong>in</strong>schätzen.<br />

Abbildung 7.8:<br />

Anzahl von Personen mit subjektiv guter bis sehr guter Ges<strong>und</strong>heit, differenziert nach Altersgruppe,<br />

Geschlecht <strong>und</strong> Region (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

Frauen<br />

Ost<br />

72,5<br />

West<br />

68,6<br />

57,2<br />

50,3<br />

38,5<br />

30,1<br />

80 70 60 50 40 30 20 10 0<br />

70-85 J.<br />

55-69 J.<br />

40-54 J.<br />

32,7<br />

38,6<br />

Quelle: Replikationsstichprobe des Alterssurveys, 2002; n= 3.080<br />

54,7<br />

55,4<br />

Männer<br />

65,6<br />

Ost<br />

West<br />

72,6<br />

0 10 20 30 40 50 60 70 80<br />

An dieser nach Altersgruppen, Geschlecht <strong>und</strong> Region differenzierten Darstellung wird deutlich,<br />

dass die Zahl jener, die ihre subjektive Ges<strong>und</strong>heit als (sehr) gut e<strong>in</strong>schätzen, von der jüngsten<br />

zur ältesten Altersgruppe deutlich abnimmt (p


310<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

Abbildung 7.9:<br />

Subjektive Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung differenziert nach Alter (Mittelwertsangaben <strong>und</strong> Variationskoeffizienten,<br />

Skala: 1=sehr schlecht bis 5=sehr gut)<br />

4,5<br />

4,0<br />

3,5<br />

3,0<br />

2,5<br />

2,0<br />

•<br />

• • • • •<br />

• •<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

• • •<br />

•<br />

• •<br />

• •<br />

• •<br />

• •<br />

• •<br />

•<br />

•<br />

• • • • •<br />

•<br />

• • •<br />

• • • •<br />

• •<br />

•<br />

•<br />

1,0<br />

40 45 50 55 60 65<br />

Alter<br />

70 75 80 85<br />

Quelle: Replikationsstichprobe des Alterssurveys, 2002; n= 3.080, gewichtet<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der hohen Bedeutung subjektiver Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung für die Lebensqualität,<br />

aber auch für die Mortalitätsprognose, weisen die vorliegenden Daten besonders <strong>in</strong><br />

der höchsten der untersuchten Alterungsgruppen auf Risiken h<strong>in</strong>. In deutlicherem Maße, als sich<br />

dies anhand der Betrachtung von Beschwerden zeigte, ist zu erkennen, dass sich e<strong>in</strong>e verschlechternde<br />

körperliche Ges<strong>und</strong>heit zugleich auf e<strong>in</strong>e schlechtere subjektive Ges<strong>und</strong>heit auswirkt.<br />

In welchem Maß dies mit e<strong>in</strong>er Abnahme des Wohlbef<strong>in</strong>dens e<strong>in</strong>hergeht, lässt sich anhand<br />

der Darstellungen des Kapitels 8 nachvollziehen. Vertiefende Untersuchungen geben nähere<br />

Aufschlüsse darüber, <strong>in</strong> welchem Ausmaß soziale <strong>und</strong> psychische Faktoren sowie das Ges<strong>und</strong>heitsverhalten<br />

zur subjektiven Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung beitragen (Kapitel 8).<br />

7.5 Ges<strong>und</strong>heitsversorgung<br />

Anhand der vorangegangenen Darstellungen zum Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

wurde deutlich, dass über diese Lebensphase h<strong>in</strong>weg körperliche Erkrankungen <strong>und</strong> funktionelle<br />

E<strong>in</strong>schränkungen zunehmen. Dabei zeichnen sich Erkrankungen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

gegenüber solchen der ersten Lebenshälfte durch die Besonderheit aus, dass sie oftmals<br />

chronisch <strong>und</strong> irreversibel s<strong>in</strong>d, mit steigendem Alter <strong>in</strong> zunehmendem Maße mit Multimorbidität<br />

verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> zu dauerhaften Funktionse<strong>in</strong>schränkungen führen. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><br />

ist e<strong>in</strong>e angemessene Ges<strong>und</strong>heitsversorgung e<strong>in</strong>e komplexe Aufgabe von hoher Wichtigkeit.<br />

Zur Ges<strong>und</strong>heitsversorgung zählt dabei sowohl die mediz<strong>in</strong>ische Behandlung, wie sie<br />

über ambulante Arztpraxen <strong>und</strong> stationäre E<strong>in</strong>richtungen erfolgt, als auch die Behandlung durch<br />

weitere Formen von Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen. Ziel dieser Versorgung kann gerade bei chronischen<br />

Erkrankungen nicht immer e<strong>in</strong>e Heilung „ad <strong>in</strong>tegrum“ se<strong>in</strong> (Sachverständigenrat,<br />

2001a). Anzustreben ist jedoch, e<strong>in</strong>en unter Berücksichtigung der Erkrankungen möglichst op-


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

timalen Ges<strong>und</strong>heitszustand herzustellen (B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium für Familie, Senioren, Frauen <strong>und</strong><br />

Jugend, 2002). Um dieses Ziel zu erreichen, s<strong>in</strong>d neben mediz<strong>in</strong>isch-kurativen Behandlungen<br />

auch ges<strong>und</strong>heitsfördernde, präventive <strong>und</strong> rehabilitative Maßnahmen notwendig. In welchem<br />

Maß diese verschiedenen Formen von Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen tatsächlich genutzt werden,<br />

wird anhand nachfolgender Ergebnisse deutlich. Gr<strong>und</strong>lage bilden erneut Selbstaussagen 40- bis<br />

85-jähriger Personen aus der Replikationsstichprobe des Alterssurveys.<br />

7.5.1 Inanspruchnahme mediz<strong>in</strong>ischer Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen<br />

In der zweiten Lebenshälfte nehmen die Ges<strong>und</strong>heitsbee<strong>in</strong>trächtigungen zu. Zugleich wird aus<br />

den Angaben zur Inanspruchnahme mediz<strong>in</strong>ischer Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen deutlich, dass<br />

der überwiegende Teil der Älteren m<strong>in</strong>destens jährlich mediz<strong>in</strong>ische Versorgung erhält. Mit<br />

97,6 Prozent gibt der größte Teil der Befragten an, <strong>in</strong>nerhalb der vergangenen 12 Monate vor<br />

Befragung (m<strong>in</strong>destens) e<strong>in</strong>e Arztpraxis aufgesucht zu haben. Ohne E<strong>in</strong>berechnung der Zahnarztbesuche<br />

verbleiben 95,4 Prozent der Befragten, die e<strong>in</strong>en Arztbesuch angeben. Für die Altersspanne<br />

der 18- bis 79-Jährigen liegt hierzu e<strong>in</strong>e vergleichbare Zahl aus dem B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitssurvey<br />

vor. Demnach waren r<strong>und</strong> 90 Prozent der 18- bis 79-Jährigen Selbstaussagen zufolge<br />

<strong>in</strong> den letzten 12 Monaten vor der Befragung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Arztpraxis (Bergmann & Kamtsiuris,<br />

1999). Aus e<strong>in</strong>em Vergleich dieser Angaben lässt sich ableiten, dass der Anteil der Personen<br />

mit Arztbesuchen bei älterwerdenden <strong>und</strong> alten Personen deutlich höher liegt als bei jüngeren<br />

Personen. Innerhalb der zweiten Lebenshälfte steigt der Anteil von 93,3 Prozent (40- bis 54-<br />

Jährige) auf 95,8 (55- bis 69-Jährige) <strong>und</strong> schließlich <strong>in</strong> der höchsten Altersgruppe (70- bis 85-<br />

Jährige) auf 97,1 Prozent an.<br />

Neben dem Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es m<strong>in</strong>destens jährlichen Arztkontaktes liefert auch die Häufigkeit<br />

von Arztbesuchen wesentliche Informationen über die Inanspruchnahme mediz<strong>in</strong>ischer<br />

Hilfe. E<strong>in</strong>e Betrachtung ausgewählter Allgeme<strong>in</strong>- <strong>und</strong> Fachärzte macht nachfolgend deutlich,<br />

dass es mit zunehmendem Alter nicht gr<strong>und</strong>sätzlich zu e<strong>in</strong>er häufigeren Inanspruchnahme mediz<strong>in</strong>ischer<br />

Leistungen kommt. Über die Altersgruppen h<strong>in</strong>weg bleiben die Nutzungshäufigkeiten<br />

für e<strong>in</strong>zelne Facharztgruppen teilweise auch konstant oder nehmen sogar ab. Dabei verlaufen<br />

die <strong>Entwicklung</strong>en für Männer <strong>und</strong> Frauen zum Teil unterschiedlich. Dies ist nachfolgender<br />

Tabelle 7.2 zu entnehmen.<br />

Anhand der Angaben der nachfolgenden Tabelle 7.2 wird deutlich, dass es für Männer wie<br />

Frauen zu e<strong>in</strong>er über die Altersgruppen ansteigenden Nutzungshäufigkeit von<br />

allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong>ischen, augenärztlichen <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternistischen Arztpraxen kommt (p


312<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

Tabelle 7.2:<br />

Häufigkeit der Arztbesuche <strong>in</strong> den letzten 12 Monaten vor Befragung, differenziert<br />

nach Altersgruppe <strong>und</strong> Geschlecht (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

Frauen Fachbereich Männer<br />

nie 1mal 2-6mal öfter nie 1mal 2-6mal öfter<br />

Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong><br />

15,7 24,8 48,4 11,1 40-54 Jahre 19,5 23,1 49,8 7,7<br />

12,7 15,7 52,3 19,3 55-69 Jahre 14,2 16,5 45,3 23,9<br />

6,6 7,3 49,9 36,1 70-85 Jahre 10,0 7,8 48,0 34,2<br />

Zahnmediz<strong>in</strong><br />

10,7 35,2 50,4 3,7 40-54 Jahre 17,6 40,2 40,9 1,3<br />

12,5 38,5 45,2 3,8 55-69 Jahre 20,3 35,4 41,3 3,0<br />

33,5 41,4 24,5 0,6 70-85 Jahre 28,0 40,8 30,3 0,9<br />

Augenheilk<strong>und</strong>e<br />

57,5 35,0 6,3 1,2 40-54 Jahre 64,8 26,9 7,9 0,4<br />

44,1 42,3 12,1 1,4 55-69 Jahre 49,6 37,5 12,0 0,9<br />

34,0 33,1 31,6 1,2 70-85 Jahre 37,6 34,6 25,6 2,2<br />

Hals-Nasen-Ohren<br />

80,4 12,3 6,9 0,4 40-54 Jahre 83,7 11,6 4,3 0,5<br />

79,4 13,5 6,5 0,6 55-69 Jahre 76,4 15,4 6,9 1,3<br />

76,5 13,7 8,9 0,9 70-85 Jahre 72,9 19,5 7,3 0,3<br />

Orthopädie<br />

73,8 10,4 11,2 4,6 40-54 Jahre 75,1 12,6 10,1 2,1<br />

62,7 14,0 18,9 4,4 55-69 Jahre 70,0 14,5 12,2 3,3<br />

65,5 11,9 18,3 4,3 70-85 Jahre 71,8 12,1 13,2 2,9<br />

Innere Mediz<strong>in</strong><br />

71,0 18,4 8,0 2,6 40-54 Jahre 75,4 13,9 9,1 1,6<br />

61,8 16,3 18,0 3,9 55-69 Jahre 65,4 15,6 14,2 4,8<br />

60,9 13,8 18,0 7,3 70-85 Jahre 53,8 16,2 19,7 10,3<br />

Gynäkologie – Urologie<br />

13,8 50,4 34,2 1,7 40-54 Jahre 89,3 7,8 2,5 0,5<br />

25,7 48,7 25,0 0,6 55-69 Jahre 71,6 16,0 11,4 1,1<br />

57,5 30,7 11,2 0,6 70-85 Jahre 62,5 18,3 18,1 1,0<br />

Quelle: Replikationsstichprobe des Alterssurveys, 2002; n= 2.706-2.754, gewichtet<br />

Schließlich ist für Männer auch e<strong>in</strong>e mit steigendem Alter erhöhte Inanspruchnahme von<br />

urologischen Arztpraxen festzustellen, während bei Frauen der Besuch von gynäkologischen<br />

Arztpraxen deutlich abnimmt. H<strong>in</strong>gegen kommt es für beide Geschlechter zu e<strong>in</strong>er altersabhängigen<br />

Abnahme bezüglich der zahnärztlichen Versorgung. Insbesondere Personen der höchsten<br />

Altersgruppe geben deutlich seltener an, während der letzten 12 Monate e<strong>in</strong>e zahnmediz<strong>in</strong>ische<br />

Arztpraxis aufgesucht zu haben, als Jüngere. Dieser Bef<strong>und</strong> weist auf deutliche Defizite <strong>in</strong> der<br />

zahnärztlichen Versorgung alter Menschen h<strong>in</strong> <strong>und</strong> bestätigt damit Erkenntnisse, die hierzu im<br />

Rahmen der Berl<strong>in</strong>er Altersstudie gewonnen werden konnten (Nitschke & Hopfenmüller, 1996).<br />

E<strong>in</strong>e Erklärung für die ger<strong>in</strong>gere Inanspruchnahme von Zahnärzten liegt <strong>in</strong> der mit höherem<br />

Alter häufiger bestehenden Zahnlosigkeit. Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d regelmäßige Untersuchungen auch


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

bei Personen mit Zahnprothesen erforderlich. Zudem weisen Nitschke <strong>und</strong> Hopfenmüller darauf<br />

h<strong>in</strong>, dass unbezahnte Personen halbjährliche Kontrolluntersuchungen aufsuchen sollten, um<br />

eventuelle M<strong>und</strong>erkrankungen wie Pilzerkrankungen oder Tumore frühzeitig zu erkennen<br />

(Nitschke & Hopfenmüller, 1996).<br />

Abbildung 7.10:<br />

Anzahl der Personen, die m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> den letzten 12 Monaten e<strong>in</strong>e entsprechende<br />

Arztpraxis aufgesucht haben. Darstellung differenziert nach Altersgruppe <strong>und</strong> Geschlecht<br />

(Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Frauen<br />

40-54 Jahre 55-69 Jahre 70-85 Jahre<br />

P<br />

Z<br />

G<br />

I<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Männer<br />

40-54 Jahre 55-69 Jahre 70-85 Jahre<br />

Praktischer Arzt (P) Zahnarzt (Z) Internist (I) Gynäkologe (G) / Urologe (U)<br />

Quelle: Replikationsstichprobe des Alterssurveys, 2002; n= 3.005-3.076, gewichtet<br />

Die Unterschiede zwischen den Altersgruppen <strong>und</strong> Geschlechtern s<strong>in</strong>d für vier der <strong>in</strong>sgesamt<br />

acht <strong>in</strong> der Tabelle enthaltenen Fachärzte anhand von Abbildung 7.10 veranschaulicht. Die Abbildung<br />

enthält e<strong>in</strong>e gegenüber der Tabelle zusammengefasste Information. In diesem Fall ist<br />

die Anzahl aller Personen dargestellt, welche m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal pro Jahr die entsprechenden<br />

Arztpraxen aufgesucht haben. Die Auswahl dieser vier Facharztbereiche sowie die Darstellungsform<br />

erfolgte hierbei analog zum B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitssurvey (Bergmann & Kamtsiuris,<br />

1999), um Vergleiche zu ermöglichen. Dabei zeigen sich <strong>in</strong> beiden Surveys sehr ähnliche, altersgruppenabhängige<br />

Verläufe <strong>in</strong> der Nutzung der Ärzte, vergleicht man <strong>in</strong> beiden Fällen nur<br />

die Angaben der über 40-Jährigen. Allerd<strong>in</strong>gs liegt der prozentuale Anteil der Personen, die<br />

angeben, die entsprechende Arztpraxis aufgesucht zu haben, im Alterssurvey <strong>in</strong>sgesamt etwas<br />

höher als im B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitssurvey.<br />

Die vier ausgewählten Facharztgruppen <strong>in</strong> Abbildung 7.10 machen deutlich, was auch h<strong>in</strong>sichtlich<br />

der anderen Fachärzte (Tabelle 7.2) gef<strong>und</strong>en wurde: Bis auf deutliche Unterschiede <strong>in</strong> der<br />

Nutzungshäufigkeit von gynäkologischen <strong>und</strong> urologischen Arztpraxen gibt es nur ger<strong>in</strong>ge Geschlechtsunterschiede.<br />

Diese zeigen sich für Zahnärzte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er etwas ger<strong>in</strong>geren Nutzung durch<br />

Frauen besonders der höchsten Altersgruppe, für Augenärzte mit e<strong>in</strong>er etwas ger<strong>in</strong>geren Nutzung<br />

durch Männer (p


314<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

Ärzte zeigen. Entsprechende Analysen ergaben, dass Ostdeutsche häufiger als Westdeutsche<br />

angeben, <strong>in</strong> den vergangenen 12 Monaten praktische Ärzte, Zahnärzte sowie Urologen aufgesucht<br />

zu haben (p


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

In der ältesten Altersgruppe der 70- bis 85-Jährigen h<strong>in</strong>gegen sche<strong>in</strong>en – stellt man die häufige<br />

Nicht-Inanspruchnahme von 30,5 Prozent <strong>und</strong> die vergleichsweise seltene Angabe e<strong>in</strong>er Behandlungsvermeidung<br />

von durchschnittlich 5,4 Prozent gegenüber – Ängste <strong>und</strong> Befürchtungen<br />

möglicherweise weniger e<strong>in</strong>e Ursache für die ger<strong>in</strong>gen Zahnarztbesuche zu se<strong>in</strong>. Vielmehr entsteht<br />

der E<strong>in</strong>druck, dass bei e<strong>in</strong>er beträchtlichen Zahl Älterer die E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die Notwendigkeit<br />

fehlt, regelmäßig e<strong>in</strong>en Zahnarzt aufzusuchen. Zu e<strong>in</strong>em entsprechenden Bef<strong>und</strong> kommt auch<br />

die Berl<strong>in</strong>er Altersstudie. In dieser wurde von e<strong>in</strong>em großen Teil der 70-Jährigen <strong>und</strong> älteren<br />

Befragten als e<strong>in</strong>e wesentliche Erklärung für e<strong>in</strong>en längeren Zeitabstand seit dem letzten Zahnarztbesuch<br />

angegeben, dass es ke<strong>in</strong>en Gr<strong>und</strong> gegeben hätte, e<strong>in</strong>en Zahnarzt aufzusuchen<br />

(Nitschke & Hopfenmüller, 1996). Die Daten des Alterssurveys machen deutlich, dass r<strong>und</strong> 10<br />

Jahre nach den Erhebungen der Berl<strong>in</strong>er Altersstudie erneut zu f<strong>in</strong>den ist, dass Ältere offensichtlich<br />

h<strong>in</strong>sichtlich zahnmediz<strong>in</strong>ischer Behandlungen unterversorgt s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> potentielle Präventionspotenziale<br />

ungenutzt bleiben. Gründe hierfür s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>stellungen der Älteren, möglicherweise<br />

aber zudem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zu ger<strong>in</strong>gen Informationsvermittlung durch die Zahnmediz<strong>in</strong>er<br />

selbst zu suchen. Deren Aufgabe <strong>und</strong> auch die Aufgabe von Hausarztpraxen könnte dar<strong>in</strong> liegen,<br />

die Patienten selbst <strong>und</strong> gegebenenfalls auch die Angehörigen (<strong>in</strong>sbesondere bei kognitiv<br />

bee<strong>in</strong>trächtigten Älteren) stärker auf die Notwendigkeit regelmäßiger Zahnarztbesuche, auch bei<br />

unbezahnten Menschen, h<strong>in</strong>zuweisen.<br />

Im Vergleich zu Fachärzten kommt Hausärzt<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Hausärzten e<strong>in</strong>e wichtige Zusatzaufgabe<br />

<strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er „Lotsenfunktion“ zu. Seit der E<strong>in</strong>führung der aktuellen Ges<strong>und</strong>heitsreform zu<br />

Beg<strong>in</strong>n des Jahres 2004 erfolgt deshalb e<strong>in</strong>e gezielte Stärkung von Hausarztmodellen. Die Lotsenfunktion<br />

von Hausarztpraxen be<strong>in</strong>haltet, Patienten über die Angebote des Ges<strong>und</strong>heitswesens<br />

zu beraten, sie zu behandeln <strong>und</strong> Leistungen von Fachärzten zu koord<strong>in</strong>ieren. Diese Aufgaben<br />

s<strong>in</strong>d besonders <strong>in</strong> der Versorgung älterer <strong>und</strong> alter Menschen von hoher Bedeutung.<br />

Gr<strong>und</strong> hierfür ist die mit höherem Alter zunehmende Zahl von Personen, die von multiplen,<br />

chronischen <strong>und</strong> oftmals über Jahre bis Jahrzehnte bestehenden Erkrankungen betroffen s<strong>in</strong>d.<br />

Hausärztliche Versorgung ist im Gegensatz zu fachärztlicher Versorgung zumeist durch e<strong>in</strong>e<br />

vergleichsweise hohe Behandlungskont<strong>in</strong>uität gekennzeichnet. Diese ist wichtig, um die vielfach<br />

komplexen <strong>und</strong> langjährigen Krankengeschichten Älterer erfassen <strong>und</strong> begleiten zu können.<br />

E<strong>in</strong>e hohe Behandlungskont<strong>in</strong>uität unterstützt zugleich den Aufbau e<strong>in</strong>es Vertrauensverhältnisses<br />

<strong>in</strong> der Arzt-Patienten-Beziehung <strong>und</strong> eröffnet oftmals E<strong>in</strong>sichten <strong>in</strong> die sozialen<br />

Strukturen sowie psychischen Ressourcen <strong>und</strong> Risiken von Patienten. Durch dieses umfangreiche<br />

Wissen haben Hausärzte die Möglichkeit, die ges<strong>und</strong>heitliche Gesamtsituation zu überblicken<br />

<strong>und</strong> diese bei der Beratung <strong>und</strong> Behandlung ihrer Patienten angemessen zu berücksichtigen.<br />

Dies ist gerade bei Älteren von besonderer Bedeutung, da es <strong>in</strong> zunehmendem Maße nicht<br />

nur um die Kuration von Akuterkrankungen geht, sondern um die kont<strong>in</strong>uierliche Behandlung<br />

<strong>und</strong> Begleitung nicht-heilbarer körperlicher wie kognitiver Erkrankungen sowie gegebenenfalls<br />

auch um die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit pflegerischer Versorgung, Sterben <strong>und</strong> Tod. Vor diesem<br />

H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> ist e<strong>in</strong> wichtiger Bef<strong>und</strong>, dass bereits im Jahr 2002, also noch vor E<strong>in</strong>führung der<br />

aktuellen Ges<strong>und</strong>heitsreform, mit 93,6 Prozent e<strong>in</strong> Großteil der älterwerdenden <strong>und</strong> alten Menschen<br />

angeben e<strong>in</strong>en Hausarzt zu haben, den sie im Regelfall bei ges<strong>und</strong>heitlichen Problemen<br />

zuerst aufsuchen. Dabei steigt der Anteil von 90,6 Prozent <strong>in</strong> der Altersgruppe der 40- bis 54-<br />

Jährigen auf 95,7 Prozent <strong>in</strong> der ältesten Altersgruppe der 70- bis 85-Jährigen an. Im Vergleich<br />

315


316<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

zu Ergebnissen der Berl<strong>in</strong>er Altersstudie, <strong>in</strong> der 93 Prozent aller 70-Jährigen <strong>und</strong> Älteren über<br />

e<strong>in</strong>e regelmäßige hausärztliche Betreuung berichteten (L<strong>in</strong>den, Gilberg, Horgas, & Ste<strong>in</strong>hagen-<br />

Thiessen, 1996), liegt demnach den Daten des Alterssurveys zufolge die hausärztliche Versorgung<br />

im b<strong>und</strong>esweiten Durchschnitt sogar eher etwas höher oder ist möglicherweise seit Anfang<br />

der 90er Jahre leicht angestiegen. Nähere Angaben zur hausärztlichen Versorgung können nachfolgender<br />

Abbildung 7.12 entnommen werden. Diese zeigt e<strong>in</strong>e nach Altersgruppen, Geschlechtern<br />

<strong>und</strong> Regionen (Ost/West) differenzierte Darstellung.<br />

Abbildung 7.12:<br />

Anzahl der Personen <strong>in</strong> Prozent, die angeben, dass sie e<strong>in</strong>e Hausärzt<strong>in</strong> oder e<strong>in</strong>en Hausarzt<br />

haben, welche/n sie im Regelfall zuerst bei ges<strong>und</strong>heitlichen Problemen aufsuchen. Darstellung<br />

differenziert nach Altersgruppe, Geschlecht <strong>und</strong> Region<br />

Frauen<br />

93,9<br />

96,9<br />

96,9<br />

94,1<br />

91,3<br />

90,4<br />

100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0<br />

Ost<br />

West<br />

70-85 J.<br />

55-69 J.<br />

40-54 J.<br />

Quelle: Replikationsstichprobe des Alterssurveys, 2002; n= 3.080<br />

93,6<br />

91,4<br />

89,9<br />

93,8<br />

96,4<br />

98,1<br />

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />

Ost<br />

West<br />

Männer<br />

Anhand von Gruppenvergleichen wird deutlich, dass Männer wie Frauen gleichermaßen häufig<br />

angeben, e<strong>in</strong>e Hausärzt<strong>in</strong> oder e<strong>in</strong>en Hausarzt zu haben. Leichte regionale Unterschiede s<strong>in</strong>d an<br />

e<strong>in</strong>er im Vergleich zu Westdeutschen etwas höheren Hausarztrate ostdeutscher 55- bis 69-<br />

Jähriger <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>geren Hausarztrate ostdeutscher 70- bis 85-Jähriger zu erkennen<br />

(p


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

7.5.2 Inanspruchnahme weiterer Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen<br />

Zu e<strong>in</strong>er ganzheitlichen Versorgung von Älteren, <strong>in</strong>sbesondere von jenen mit dauerhaften Erkrankungen<br />

<strong>und</strong> Funktionse<strong>in</strong>bußen, zählen neben ärztlichen Behandlungen weitere Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen.<br />

Diese umfassen neben dem Ziel e<strong>in</strong>er möglichst weitgehenden Wiederherstellung<br />

von Ges<strong>und</strong>heit unter anderem auch präventive Maßnahmen, die L<strong>in</strong>derung von<br />

Beschwerden <strong>und</strong> die mediz<strong>in</strong>isch-pflegerische Versorgung. E<strong>in</strong> Teil dieser Dienstleistungen<br />

fällt unter die Heilmittelverordnung der Krankenkassen, e<strong>in</strong> anderer Teil jedoch wird von den<br />

Betroffenen selbst f<strong>in</strong>anziert. Die nachfolgenden Darstellungen machen für <strong>in</strong>sgesamt 15 solcher<br />

Dienstleistungen deutlich, <strong>in</strong> welchem Maß diese von Personen im Alter zwischen 40- <strong>und</strong><br />

85-Jahren genutzt werden.<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der 15 ausgewählten Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen handelt es sich bei sechs Dienstleistungen<br />

um Heilbehandlungen im weiteren S<strong>in</strong>ne: hierzu zählen passive Formen der Physiotherapie,<br />

wie Massagen, Fango, Bäder sowie aktivierende Formen der Physiotherapie im S<strong>in</strong>ne<br />

von Krankengymnastik. Als weitere physische Heilbehandlungen wurde die Rehabilitation,<br />

heilpraktische Behandlung <strong>und</strong> Fußpflege berücksichtigt (wobei letztere auch aus re<strong>in</strong> kosmetischen<br />

Gründen genutzt werden kann). E<strong>in</strong>e zweite Gruppe von Heilbehandlungen bezieht sich<br />

stärker auf psychische oder hirnorganische Erkrankungen. In diesem Zusammenhang wurde die<br />

Inanspruchnahme von psychotherapeutischen <strong>und</strong> ergotherapeutischen Behandlungen, (Sozial-)<br />

Beratungsstellen, logopädischen Behandlungen <strong>und</strong> Gedächtnissprechst<strong>und</strong>en erhoben. E<strong>in</strong>e<br />

dritte Gruppe von Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen erfasst schließlich die über Heilbehandlungen<br />

h<strong>in</strong>ausgehende Versorgung. Hierzu zählt die Nutzung von Haushaltshilfe, mobilem Mittagstisch,<br />

häuslicher Krankenpflege, aber auch die Inanspruchnahme von Transportdiensten, Notrufmeldungen<br />

<strong>und</strong> schließlich Apotheken. Für die genannten Dienstleistungen wurden die Personen<br />

gefragt, wie häufig sie diese <strong>in</strong> den letzten 12 Monaten für sich selbst <strong>in</strong> Anspruch genommen<br />

haben. Der nachfolgenden Tabelle 7.3 kann entnommen werden, wie viele Personen<br />

diese Dienstleistungen zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>mal im Laufe der 12 Monate vor der Befragung (im Jahr<br />

2002) <strong>in</strong> Anspruch genommen haben. Die Reihenfolge der Dienstleistungen entspricht der Häufigkeit<br />

der genannten Inanspruchnahme.<br />

317


318<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

Tabelle 7.3:<br />

M<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>malige Inanspruchnahme ausgewählter Dienstleistungen während der 12 Monate<br />

vor dem Befragungszeitpunkt, 40- bis 85-Jährige; Gesamt <strong>und</strong> Ost-West-differenziert<br />

(Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

Inanspruchnahme m<strong>in</strong>d. e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong><br />

12 Monaten vor Befragung<br />

Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistung Gesamt West Ost<br />

Apotheke 88,5 89,1 86,4<br />

Massagen, Fango, Bäder 20,9 20,0 24,5<br />

Fußpflege 18,8 18,5 20,2<br />

Krankengymnastik 14,4 15,3 11,0<br />

Haushaltshilfe 9,3 10,6 4,0<br />

Heilpraktikerbehandlung 5,8 6,3 3,7<br />

Rehabilitation 5,5 5,5 5,3<br />

Psychotherapeut 4,6 3,9 7,5<br />

Notrufdienst, Rettungsdienst 2,7 2,4 4,2<br />

Transportdienste 2,5 2,5 2,7<br />

Beratungsstelle, Sozialberatung 2,3 2,3 2,3<br />

Häusliche Krankenpflege 1,5 1,6 1,1<br />

Essen auf Rädern 1,1 0,9 1,6<br />

Arbeits-, Beschäftigungstherapie 0,6 0,5 0,7<br />

Logopädie, Sprachschulung 0,3 0,2 0,6<br />

Gedächtnissprechst<strong>und</strong>e 0,2 0,2 0,4<br />

Quelle: Replikationsstichprobe des Alterssurveys, 2002; n= 2.731-3.070, gewichtet<br />

Anhand von Tabelle 7.3 wird deutlich, dass e<strong>in</strong> Großteil der Befragten m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal im<br />

Jahr wegen e<strong>in</strong>es eigenen Medikamentenbedarfs e<strong>in</strong>e Apotheke aufsucht. Jede fünfte Person<br />

gibt an, physiotherapeutische Behandlungen <strong>in</strong> Form von Massagen, Fango oder Bäder erhalten<br />

zu haben. E<strong>in</strong>e häufigere Nutzung bezieht sich außerdem auf Fußpflege <strong>und</strong> Krankengymnastik.<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der Nutzung von physiotherapeutischen Behandlungen zeigen sich Ost-West-<br />

Unterschiede: während Ostdeutsche häufiger über passive Heilbehandlungen (Massagen, Fango,<br />

Bäder) berichten, geben Westdeutsche häufiger an, aktivierende Heilbehandlungen (Krankengymnastik)<br />

erhalten zu haben (p


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

Tabelle 7.4:<br />

Häufigkeit der Inanspruchnahme von Dienstleistungen <strong>in</strong> den letzten 12 Monaten<br />

vor Befragung, differenziert nach Altersgruppe <strong>und</strong> Geschlecht (gewichtet: Ost/West),<br />

Angaben <strong>in</strong> Prozent<br />

Frauen Männer<br />

nie 1mal 2-6mal öfter nie 1mal 2-6mal öfter<br />

Apotheke<br />

7,8 6,9 61,5 23,8 40-54 Jahre 21,8 11,4 53,5 13,3<br />

8,0 4,8 55,3 32,0 55-69 Jahre 10,9 7,7 52,3 29,1<br />

7,5 2,9 49,2 40,5 70-85 Jahre 9,5 4,0 46,6 39,9<br />

Massagen, Fango, Bäder<br />

74,9 5,4 11,5 8,2 40-54 Jahre 85,9 2,5 6,2 5,3<br />

73,4 5,2 11,9 9,5 55-69 Jahre 82,3 2,2 8,1 7,4<br />

77,3 4,7 10,5 7,5 70-85 Jahre 81,2 3,2 7,9 7,7<br />

79,9 4,8 11,6 3,7<br />

Fußpflege<br />

40-54 Jahre 94,4 1,6 2,3 1,7<br />

69,9 5,4 15,1 9,6 55-69 Jahre 90,7 2,2 4,2 2,9<br />

63,6 4,5 20,9 10,9 70-85 Jahre 84,3 2,7 9,2 3,9<br />

Krankengymnastik<br />

85,7 2,8 4,7 6,9 40-54 Jahre 88,9 2,8 4,0 4,3<br />

81,6 2,3 6,2 9,9 55-69 Jahre 86,0 1,8 5,0 7,2<br />

82,3 2,7 7,1 7,9 70-85 Jahre 89,9 2,1 3,9 4,1<br />

Haushaltshilfe<br />

93,2 0,8 0,6 5,4 40-54 Jahre 95,6 0,8 3,6<br />

90,7 0,4 2,1 6,8 55-69 Jahre 92,8 0,3 1,8 5,2<br />

78,0 1,6 3,7 16,7 70-85 Jahre 88,7 0,7 1,2 9,5<br />

Heilpraktikerbehandlung<br />

93,4 1,1 4,0 1,6 40-54 Jahre 94,6 1,3 2,9 1,2<br />

93,1 1,7 3,0 2,1 55-69 Jahre 95,3 2,2 2,4 0,1<br />

93,0 1,3 3,9 1,9 70-85 Jahre 97,6 0,5 1,3 0,5<br />

Rehabilitation, Kur<br />

96,9 2,5 0,6 40-54 Jahre 95,9 3,2 0,9<br />

93,1 6,7 0,1 55-69 Jahre 93,7 5,8 0,4 0,1<br />

93,3 6,1 0,6 70-85 Jahre 92,1 6,0 1,3 0,5<br />

Quelle: Replikationsstichprobe des Alterssurveys, 2002; n= 2.738-2.750, gewichtet<br />

Deutliche Ost-West-Unterschiede zeigen sich hierbei <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf Haushaltshilfen, die von<br />

deutlich mehr West- als Ostdeutschen genutzt werden sowie h<strong>in</strong>sichtlich psychotherapeutischer<br />

Behandlungen (p


320<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

erkennen, dass Frauen wie Männer mit steigendem Alter häufiger zur Apotheke gehen, was sich<br />

vor allem mit der altersabhängig zunehmenden Medikation begründen lässt. Ebenso steigt über<br />

die Altersgruppen die Nutzung von Fußpflege <strong>und</strong> Haushaltshilfe (p


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

Inanspruchnahmeverhaltens zeigen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Demnach muss angenommen<br />

werden, dass <strong>in</strong>sbesondere im höheren Alter entscheidende Präventionspotenziale unausgeschöpft<br />

bleiben. Auf dieses Präventionsdefizit hat auch der Sachverständigenrat der Konzertierten<br />

Aktion im Ges<strong>und</strong>heitswesen h<strong>in</strong>gewiesen (Sachverständigenrat, 2001b).<br />

E<strong>in</strong>e wesentliche Erklärung für diese ungenutzten Präventionspotenziale liegt vermutlich <strong>in</strong> den<br />

gesellschaftlichen wie <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n, negativen Vorstellungen über das Altern (Walter &<br />

Schwartz, 2001). Ältere Personen selbst, ihre behandelnden Ärzte sowie das darüber h<strong>in</strong>ausgehende<br />

soziale Umfeld haben die schwierige Aufgabe, zwischen Altern <strong>und</strong> Krankheit sowie<br />

zwischen zu akzeptierenden, irreversiblen Alterungsprozessen <strong>und</strong> verbesserungsfähigen Ges<strong>und</strong>heitszuständen<br />

zu differenzieren. Diese Differenzierung bereitet den Beteiligten oftmals<br />

Probleme. Infolge negativer Vorstellungen über das Alter werden dadurch Präventionspotenziale<br />

wiederholt übersehen. Um dem Wunsch näher zu kommen, viele beh<strong>in</strong>derungsfreie Jahre <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>e Kompression der Morbidität zu erreichen, ist es entscheidend, die bestehenden Präventionspotenziale<br />

Älterer stärker zu nutzen. Dabei gilt es, die vorhandenen Barrieren zu berücksichtigen<br />

<strong>und</strong> sukzessive abzubauen, welche vermutlich besonders aufgr<strong>und</strong> der vorherrschenden,<br />

negativen Altersstereotype bestehen.<br />

7.6 Kohortenvergleiche<br />

Die im vorliegenden Kapitel e<strong>in</strong>gangs beschriebene steigende Lebenserwartung wirft die Frage<br />

auf, was dieses „mehr“ an Lebensjahren <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er ges<strong>und</strong>heitlichen Ausgestaltung bedeutet.<br />

Impliziert das längere Leben zugleich e<strong>in</strong>e längere Phase des Leidens an chronischen Erkrankungen<br />

<strong>und</strong> Funktionse<strong>in</strong>bußen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e zeitliche Ausweitung von Hilfe- <strong>und</strong> Pflegebedürftigkeit?<br />

Oder haben die zukünftigen Alten e<strong>in</strong>e bessere Ges<strong>und</strong>heit als Generationen von Älteren<br />

vor ihnen, so dass sie erst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em späteren Lebensalter von ges<strong>und</strong>heitlichen E<strong>in</strong>schränkungen<br />

betroffen s<strong>in</strong>d? Dies könnte bedeuten, dass sich trotz längerer Lebenszeit e<strong>in</strong>e von Krankheiten<br />

<strong>und</strong> Bee<strong>in</strong>trächtigungen begleitete Lebensphase nicht verlängert, sondern gleich bleibt oder<br />

womöglich sogar verkürzt. Diese Frage nach der Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung im Alter ist dabei<br />

nicht nur von hohem <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Interesse. Vor dem demografischen H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er starken<br />

Zunahme des Anteils Älterer an der Gesamtbevölkerung ist sie auch von hoher ges<strong>und</strong>heitsökonomischer<br />

Bedeutung.<br />

Mit der Frage, wie die beh<strong>in</strong>derungsfreie Lebenserwartung („Disability Free Life Expectancy“,<br />

auch als „Active Life Expectancy“ bekannt) derzeit ist, wie diese sich seit der Vergangenheit<br />

entwickelt hat <strong>und</strong> wie sie prognostisch betrachtet <strong>in</strong> Zukunft se<strong>in</strong> wird, beschäftigen sich verschiedene<br />

Theorien. Dabei lassen sich im wesentlichen drei Annahmen unterscheiden: Die pessimistische<br />

Theorie geht von e<strong>in</strong>er Morbiditätsexpansion im Alter aus (mit zunehmender durchschnittlicher<br />

Lebensdauer wächst die Zahl der Jahre <strong>in</strong> Krankheit). Diese Expansion wird damit<br />

begründet, dass es durch mediz<strong>in</strong>ische Erfolge immer besser gel<strong>in</strong>gt, das frühzeitige Sterben<br />

<strong>in</strong>folge lebensbedrohlicher Erkrankungen <strong>und</strong> Unfälle zu verh<strong>in</strong>dern. Haben früher zumeist nur<br />

die besonders Ges<strong>und</strong>en e<strong>in</strong> höheres oder gar hohes Alter erreicht, ermöglichen die mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Erfolge heute, dass viele Personen trotz schlechter Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> e<strong>in</strong> hohes Alter kommen.<br />

Infolgedessen sei zu erwarten, dass zunehmend mehr Menschen e<strong>in</strong>e längere Phase ihres<br />

321


322<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

Lebens <strong>in</strong> Krankheit <strong>und</strong> Pflegebedürftigkeit verbr<strong>in</strong>gen werden. Der Theorie zufolge ist jedes<br />

Jahr gewonnener Lebenserwartung nur e<strong>in</strong> zusätzliches Jahr <strong>in</strong> Beh<strong>in</strong>derung (Kramer, 1980).<br />

E<strong>in</strong>e zweite Theorie geht h<strong>in</strong>gegen davon aus, dass die beh<strong>in</strong>derungsfreie Lebenserwartung<br />

gleich bleibe, da sich zwar die allgeme<strong>in</strong>e Lebenserwartung erhöhe, aber Personen erst <strong>in</strong> entsprechend<br />

späterem Lebensalter mit steigenden Beh<strong>in</strong>derungen zu rechnen hätten. E<strong>in</strong>e dritte,<br />

optimistische These geht schließlich von e<strong>in</strong>er „Kompression der Morbidität“ im Alter aus (mit<br />

zunehmender durchschnittlicher Lebensdauer wächst die Zahl der Jahre <strong>in</strong> Ges<strong>und</strong>heit). Diese<br />

Kompression sei dadurch bed<strong>in</strong>gt, dass e<strong>in</strong> weiterer Anstieg der Lebenserwartung an se<strong>in</strong>e biologischen<br />

Grenzen stoße, während Erkrankungen <strong>und</strong> Beh<strong>in</strong>derungen weiter abnehmen würden.<br />

Durch Maßnahmen zur Ges<strong>und</strong>heitserhaltung <strong>und</strong> Krankheitsprävention würde das Auftreten<br />

von Krankheiten <strong>und</strong> Beh<strong>in</strong>derungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e sehr kurze Zeit vor dem biologisch notwendigen<br />

Tod „komprimiert“ (Fries, 1980).<br />

Zur Beantwortung der Frage nach der <strong>Entwicklung</strong> der beh<strong>in</strong>derungsfreien Lebenserwartung<br />

bzw. der Lebenserwartung <strong>in</strong> guter Ges<strong>und</strong>heit („Healthy Life Expectancy“) werden zumeist<br />

Morbiditäts- <strong>und</strong> Mortalitäts<strong>in</strong>formationen aus der Bevölkerung mite<strong>in</strong>ander komb<strong>in</strong>iert. Anhand<br />

dieser komb<strong>in</strong>ierten Betrachtung können Dauer <strong>und</strong> Ausmaß der Morbidität vor dem Lebensende<br />

ermittelt werden. E<strong>in</strong> anderes Vorgehen ist, anhand von wiederholt durchgeführten<br />

Bevölkerungsumfragen Geburtskohorten mite<strong>in</strong>ander zu vergleichen. Auf diese Weise kann<br />

untersucht werden, <strong>in</strong>wieweit sich später geborene Kohorten von vor ihnen geborenen <strong>in</strong> ihrer<br />

Ges<strong>und</strong>heit unterscheiden, wenn sie <strong>in</strong>s gleiche Alter kommen. Auch dieses Vorgehen liefert<br />

wichtige H<strong>in</strong>weise im H<strong>in</strong>blick auf die drei formulierten Theorien, die sich verkürzt als pessimistische<br />

(Morbiditätsexpansion), optimistische (Morbiditätskompression) oder „neutrale“ Theorie<br />

(Morbiditätskonstanz) charakterisieren lassen. Solchermaßen kohortenvergleichende Auswertungen<br />

wurden <strong>in</strong> Deutschland unter anderem anhand der Daten des Mikrozensus vorgenommen<br />

(D<strong>in</strong>kel, 1999). Hier, wie auch <strong>in</strong> den meisten anderen kohortenvergleichenden Untersuchungen,<br />

wird dabei auf Selbstaussagen zu Krankheit <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit zurückgegriffen. Gr<strong>und</strong><br />

hierfür ist, dass es kaum bevölkerungsrepräsentative Studien gibt, die auf mediz<strong>in</strong>ische Daten<br />

zurückgreifen können, ohne zugleich erhebliche E<strong>in</strong>schränkungen <strong>in</strong> der Bevölkerungsrepräsentativität<br />

der Stichprobe bzw. den Möglichkeiten von Kohortenvergleichen aufzuweisen. Die<br />

Auswertungen der hochrepräsentativen Daten des Mikrozensus (1%-Stichprobe der deutschen<br />

Bevölkerung) ergaben, dass sich für nachfolgende Geburtskohorten e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere, selbste<strong>in</strong>geschätzte<br />

Krankheitsprävalenz <strong>und</strong> somit e<strong>in</strong>e bessere Ges<strong>und</strong>heit zeigte, als für früher geborene<br />

Kohorten. Zu entsprechenden Ergebnissen kommen auch neuere Studien anderer Länder (z.B.<br />

Manton, Stallard, & Corder, 1997). Die Bef<strong>und</strong>e weisen darauf h<strong>in</strong>, dass sich eher die „neutrale“<br />

Theorie e<strong>in</strong>er Morbiditätskonstanz, möglicherweise sogar die „optimistische“ e<strong>in</strong>er Morbiditätskompression<br />

<strong>in</strong> Zukunft bestätigen könnte.<br />

Dieser Frage zur Morbiditätsentwicklung, soll im Folgenden anhand der Daten des Alterssurveys<br />

nachgegangen werden. Gr<strong>und</strong>lage der kohortenvergleichenden Untersuchung s<strong>in</strong>d hierbei<br />

die Daten der Basisstichprobe des Alterssurveys aus dem Jahr 1996 mit den Geburtsjahrgängen<br />

von 1911 bis 1956 sowie die Daten der Replikationsstichprobe des Jahres 2002, <strong>in</strong> welche die<br />

Jahrgänge 1917 bis 1962 e<strong>in</strong>bezogen wurden. Es handelt sich demzufolge hierbei um e<strong>in</strong>e Kohortendifferenz<br />

von sechs Jahren (vgl. Kapitel 2). Dies entspricht der Kohortendifferenz, wie sie<br />

auch im Rahmen der Auswertungen des Mikrozensus gebildet wurde (D<strong>in</strong>kel, 1999). Im Gegen-


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

satz zum Mikrozensus können im Rahmen des Alterssurveys nur die Angaben von zwei Befragungszeitpunkten<br />

(1996, 2002) mite<strong>in</strong>ander verglichen werden, allerd<strong>in</strong>gs für <strong>in</strong>sgesamt sieben<br />

Geburtsjahrgangsgruppen. Es kann beispielsweise betrachtet werden, <strong>in</strong>wieweit sich Personen,<br />

die im Jahr 2002 im Alter zwischen 76 <strong>und</strong> 81 Jahren waren (Geburtskohorten 1921-1926) h<strong>in</strong>sichtlich<br />

ihrer selbstberichteten Ges<strong>und</strong>heit von Personen unterscheiden, die im Jahr 1996 zwischen<br />

76 <strong>und</strong> 81 Jahren alt waren (Geburtskohorten 1915-1920).<br />

E<strong>in</strong>e Betrachtung verschiedener Geburtskohorten gleichen Alters wird nachfolgend für drei<br />

Ges<strong>und</strong>heits<strong>in</strong>dikatoren des Alterssurveys vorgenommen. Es handelt sich hierbei um Selbstaussagen<br />

zur Anzahl körperlicher Erkrankungen („Multimorbidität“), zur Anzahl größerer Beschwerden<br />

(„Multiple Beschwerden“) sowie um e<strong>in</strong>e subjektive Bewertung des eigenen Ges<strong>und</strong>heitszustandes<br />

(„subjektive Ges<strong>und</strong>heit“). Alle drei Ges<strong>und</strong>heitsmaße wurden bereits <strong>in</strong><br />

vorangegangenen Abschnitten e<strong>in</strong>geführt (vgl. Abschnitt 7.4.1 bzw. 0).<br />

Anhand von Abbildung 7.14 werden zunächst die Ergebnisse e<strong>in</strong>er kohortenvergleichenden<br />

Betrachtung von Multimorbidität deutlich. In der Darstellung ist jeweils die durchschnittliche<br />

Anzahl körperlicher Erkrankungen pro Altersgruppe angeben. Verglichen werden hierbei Personen<br />

der Basisstichprobe, die 1996 <strong>in</strong> der jeweils angegebenen Altersgruppe waren mit jenen<br />

der Replikationsstichprobe, die sich 2002 im gleichen Alter befanden.<br />

Die kohortenvergleichende Betrachtung von Multimorbidität macht deutlich, dass nachfolgende<br />

Geburtskohorten von e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>sgesamt ger<strong>in</strong>geren Multimorbidität betroffen s<strong>in</strong>d als früher geborene<br />

Kohorten. Dies ist für die jüngeren Altersgruppen, die eher am Anfang der zweiten Lebenshälfte<br />

stehen, noch nicht konsistent festzustellen. Hier zeigen sich vor allem für die Gruppen<br />

der 40- bis 45-Jährigen <strong>und</strong> 52- bis 57-Jährigen ke<strong>in</strong>e bzw. nur marg<strong>in</strong>ale Unterschiede.<br />

H<strong>in</strong>gegen wird deutlich, dass nachfolgende Kohorten, besonders <strong>in</strong> der Lebensphase des „dritten<br />

Alters“, <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gerem Maße von Multimorbidität betroffen s<strong>in</strong>d als noch Personen, die<br />

sechs Jahre vor ihnen geboren s<strong>in</strong>d. Ab der Altersgruppe der 58- bis 63-Jährigen zeigt sich dieser<br />

bedeutsame Kohortenunterschied bis <strong>in</strong> die höchste Altersgruppe der 76- bis 81-Jährigen.<br />

Unterschiede zwischen Männern <strong>und</strong> Frauen sowie Ost- <strong>und</strong> Westdeutschen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sgesamt<br />

nicht festzustellen.<br />

Neben der Anzahl der Erkrankungen kann auch hier ergänzend die Anzahl der genannten Beschwerden<br />

betrachtet werden (vgl. Abschnitt 7.4.1). Es ist gr<strong>und</strong>sätzlich möglich, dass sich zwischen<br />

den Kohorten zwar die Anzahl der Erkrankungen im Durchschnitt verr<strong>in</strong>gert hat, nicht<br />

aber die Anzahl von Beschwerden mittleren oder größeren Ausmaßes. Sollte dies der Fall se<strong>in</strong>,<br />

wäre es e<strong>in</strong> wichtiger H<strong>in</strong>weis darauf, den vorliegenden Bef<strong>und</strong> ger<strong>in</strong>gerer Multimorbidität von<br />

später geborenen Kohorten, nur e<strong>in</strong>geschränkt als tatsächlichen Gew<strong>in</strong>n beh<strong>in</strong>derungsfreier<br />

Lebensjahre <strong>in</strong>terpretieren zu können.<br />

323


324<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

Abbildung 7.14:<br />

Multimorbidität im Kohortenvergleich, differenziert nach Altersgruppe (Mittelwerte <strong>und</strong> Variationskoeffizienten)<br />

5<br />

4,5<br />

4<br />

3,5<br />

3<br />

2,5<br />

2<br />

1,5<br />

1<br />

0,5<br />

0<br />

*<br />

1996, Basisstichprobe 2002, Replikationsstichprobe<br />

**<br />

***<br />

40-45 46-51 52-57 58-63 64-69 70-75 76-81<br />

Alter <strong>in</strong> Jahren<br />

Quelle: Basisstichprobe 1996 (n= 4.003) <strong>und</strong> Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.775) des Alterssurveys, gewichtet.<br />

*p


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

Abbildung 7.15:<br />

Multiple Beschwerden (Anzahl mittlerer bis großer Beschwerden) im Kohortenvergleich, differenziert<br />

nach Altersgruppe (Mittelwerte <strong>und</strong> Variationskoeffizienten)<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

-1<br />

1996, Basisstichprobe 2002, Replikationsstichprobe<br />

*<br />

*** **<br />

40-45 46-51 52-57 58-63 64-69 70-75 76-81<br />

Alter <strong>in</strong> Jahren<br />

Quelle: Basisstichprobe 1996 (n= 3.447) <strong>und</strong> Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.267) des Alterssurveys, gewichtet;<br />

*p


326<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

weils zugunsten der später Geborenen. H<strong>in</strong>sichtlich der im Alterssurvey zusätzlich betrachteten<br />

Gruppen 40- bis 57-Jähriger s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Vergleiche möglich, da diese Altersgruppen <strong>in</strong> die Analysen<br />

des Mikrozensus nicht e<strong>in</strong>bezogen wurden.<br />

Ergänzend zur Betrachtung des selbstberichteten Ges<strong>und</strong>heitszustandes erfolgt abschließend<br />

e<strong>in</strong>e Darstellung von Kohortenvergleichen zur subjektiven Ges<strong>und</strong>heit. Dabei ist die allgeme<strong>in</strong>e<br />

subjektive Ges<strong>und</strong>heitsbewertung nicht gleichzusetzen mit Selbstberichten über Krankheiten<br />

<strong>und</strong> Beschwerden. Die Bewertung der Ges<strong>und</strong>heit aus subjektiver Sicht ist nicht nur Ausdruck<br />

von körperlicher Ges<strong>und</strong>heit, sondern auch Ausdruck von Personenmerkmalen (z.B. Kontrollüberzeugungen),<br />

Umweltmerkmalen (z.B. soziale Unterstützung) <strong>und</strong> Lebenszufriedenheit (vgl.<br />

Abschnitt 7.4.3). Es ist deshalb zu vermuten, dass sich der oben gezeigte, bessere Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />

nachfolgender Kohorten nicht <strong>in</strong> gleichem Maße <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er besseren subjektiven Ges<strong>und</strong>heit<br />

widerspiegelt. Dies wäre vermutlich vor allem dann der Fall, wenn nachfolgende Kohorten<br />

sich nicht nur durch bessere Ges<strong>und</strong>heit, sondern auch durch erhöhte personale <strong>und</strong> soziale Ressourcen<br />

auszeichnen würden. Abbildung 7.16 s<strong>in</strong>d die Ergebnisse zu Kohortenvergleichen subjektiver<br />

Ges<strong>und</strong>heit zu entnehmen.<br />

Abbildung 7.16:<br />

Bewertung subjektiver Ges<strong>und</strong>heit im Kohortenvergleich, differenziert nach Altersgruppe<br />

(Mittelwerte <strong>und</strong> Variationskoeffizienten; Skala von 1=sehr schlecht bis 5=sehr gut)<br />

5<br />

4,5<br />

4<br />

3,5<br />

3<br />

2,5<br />

2<br />

1,5<br />

1<br />

1996, Basisstichprobe 2002, Replikationsstichprobe<br />

*<br />

**<br />

40-45 46-51 52-57 58-63 64-69 70-75 76-81<br />

Alter <strong>in</strong> Jahren<br />

Quelle: Basisstichprobe 1996 (n= 4.833) <strong>und</strong> Replikationsstichprobe 2002 (n= 3.081) des Alterssurveys, gewichtet;<br />

*p


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

gruppe der 58- bis 63-Jährigen. Für diese zeigt sich nicht nur e<strong>in</strong>e Verbesserung körperlicher<br />

Ges<strong>und</strong>heit, sondern auch der subjektiven Ges<strong>und</strong>heitsbewertung. Dieses Ergebnis, dass sich<br />

<strong>in</strong>sgesamt durch die Verbesserung körperlicher Ges<strong>und</strong>heit aber nicht zugleich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er besseren<br />

subjektiven Ges<strong>und</strong>heit äußert, entspricht hierbei den Erwartungen. Demnach hat sich zwischen<br />

den Kohorten zwar die körperliche Ges<strong>und</strong>heit verbessert, nicht jedoch <strong>in</strong> gleichem Maße jene<br />

psychischen <strong>und</strong> sozialen Ressourcen, die darüber h<strong>in</strong>aus für e<strong>in</strong>e gute subjektive Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung<br />

relevant s<strong>in</strong>d. Dabei ist nicht auszuschließen, dass e<strong>in</strong> solcher Effekt bei größeren<br />

Kohortendifferenzen (als sechs Jahren), zu f<strong>in</strong>den se<strong>in</strong> könnte.<br />

Im vorliegenden Kapitel bilden die kohortenvergleichenden Analysen den letzten Teil deskriptiver<br />

Betrachtungen zur Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte. Dabei verweisen die Ergebnisse<br />

darauf, dass nachfolgende Geburtskohorten e<strong>in</strong>e bessere Ges<strong>und</strong>heit, d.h. e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Multimorbidität<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Zahl von nennenswerten Beschwerden haben als früher Geborene.<br />

Dieser Kohorteneffekt ist deutlich festzustellen, obwohl die jeweiligen Geburtskohorten nur<br />

sechs Jahre ause<strong>in</strong>anderliegen, e<strong>in</strong> Bef<strong>und</strong>, der sich auch <strong>in</strong> den Analysen von D<strong>in</strong>kel zeigte<br />

(D<strong>in</strong>kel, 1999). Die durch e<strong>in</strong>e höhere Lebenserwartung „gewonnenen“ Lebensjahre zeichnen<br />

sich dadurch – bereits bei der Betrachtung e<strong>in</strong>er eher kurzen Kohortendifferenz von sechs Jahren<br />

– als Lebenszeit ab, die nicht e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong> Mehr an Jahren <strong>in</strong> schlechter, sondern auch e<strong>in</strong><br />

Mehr an Jahren <strong>in</strong> guter Ges<strong>und</strong>heit bedeuten. Ob sich darüber h<strong>in</strong>ausgehend zudem die Morbidität<br />

komprimiert, lässt sich anhand vorliegender Analysen allerd<strong>in</strong>gs nicht e<strong>in</strong>deutig beantworten.<br />

Die abschließende Betrachtung der subjektiven Ges<strong>und</strong>heit weist darauf h<strong>in</strong>, dass sich e<strong>in</strong>e<br />

Verbesserung der körperlichen Ges<strong>und</strong>heit wie erwartet nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zugleich besseren subjektiven<br />

Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung wiederf<strong>in</strong>den lässt. Dies verdeutlicht zum e<strong>in</strong>en erneut, dass<br />

subjektive Ges<strong>und</strong>heit nicht mit selbstberichteter Ges<strong>und</strong>heit gleichgesetzt werden kann. Damit<br />

stellen Angaben zur subjektiven Ges<strong>und</strong>heit auch ke<strong>in</strong>e guten Informationen dar, um der Frage<br />

nachzugehen, wie sich die Morbidität nachfolgender Kohorten im Vergleich zu früher Geborenen<br />

entwickelt hat. Zum anderen weisen die Ergebnisse darauf h<strong>in</strong>, dass sich im Gegensatz zu<br />

e<strong>in</strong>er über die Kohorten verbesserten körperlichen Ges<strong>und</strong>heit nicht <strong>in</strong> gleichem Ausmaß auch<br />

die persönlichen Ressourcen verbessert haben, die zur Bewertung der subjektiven Ges<strong>und</strong>heit<br />

e<strong>in</strong>en wesentlichen Beitrag leisten.<br />

7.7 Zusammenfassung<br />

Im Zentrum des vorliegenden Kapitels stand die Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsversorgung von<br />

Personen im Alter zwischen 40 <strong>und</strong> 85 Jahren. Gr<strong>und</strong>lage der Darstellungen bildeten die Daten<br />

der Replikationsstichprobe des Alterssurveys von 2002, für Kohortenvergleiche (Abschnitt 7.6)<br />

wurden zusätzlich die Daten der Basisstichprobe des Alterssurveys von 1996 herangezogen. Mit<br />

se<strong>in</strong>em Fokus auf die zweite Lebenshälfte <strong>und</strong> dem Vergleich verschiedener Altersgruppen<br />

<strong>in</strong>nerhalb dieser Lebensphase bilden die Ges<strong>und</strong>heitsdaten des Alterssurveys e<strong>in</strong>e wichtige Ergänzung<br />

anderer Surveybefragungen <strong>und</strong> Studien. Hierzu zählen <strong>in</strong>sbesondere die Ges<strong>und</strong>heitssurveys,<br />

welche die gesamte Bevölkerung im Erwachsenenalter umfassen 8 <strong>und</strong> entsprechend <strong>in</strong><br />

8 E<strong>in</strong> ergänzender K<strong>in</strong>der- <strong>und</strong> Jugendsurvey („KIGGS“) erfolgt seit 2003.<br />

327


328<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

der Studienkonzeption <strong>und</strong> Auswertung ke<strong>in</strong>en Schwerpunkt zu Fragen des Alterns <strong>und</strong> Alters<br />

haben sowie die Berl<strong>in</strong>er Altersstudie, deren Forschungsschwerpunkt sich besonders auf die<br />

Lebensphase der Hochaltrigkeit richtete. In methodischer H<strong>in</strong>sicht s<strong>in</strong>d im Alterssurvey Kohortendesign<br />

<strong>und</strong> Längsschnittdesign komb<strong>in</strong>iert, so dass Ges<strong>und</strong>heitsveränderungen von Gruppen<br />

(Geburtskohorten) sowie <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Veränderungen gleichermaßen untersucht werden können.<br />

Anhand des vorliegenden Kapitels wurden drei Fragen verfolgt: (1) Im ersten Abschnitt (Kapitel<br />

7.4) wurde der Frage nachgegangen, wie der selbstberichtete Ges<strong>und</strong>heitszustand älter werdender<br />

<strong>und</strong> alter Personen ist <strong>und</strong> welche spezifischen Ges<strong>und</strong>heitsprobleme <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Altersgruppen anzutreffen s<strong>in</strong>d. Dabei wurden die Altersgruppen 40- bis 54-Jähriger, 55- bis<br />

69-Jähriger sowie 70- bis 85-Jähriger unterschieden. Neben Vergleichen dieser Altersgruppen<br />

wurden bestehende Differenzen zwischen Frauen <strong>und</strong> Männern aufgezeigt <strong>und</strong> zudem untersucht,<br />

<strong>in</strong> welchem Ausmaß noch Ges<strong>und</strong>heitsunterschiede zwischen Ost- <strong>und</strong> Westdeutschen zu<br />

f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d. (2) Der zweite Abschnitt (Kapitel 7.5) beschäftigte sich mit der Frage, <strong>in</strong> welchem<br />

Ausmaß ältere Personen mediz<strong>in</strong>ische <strong>und</strong> sonstige Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen <strong>in</strong> Anspruch<br />

nehmen <strong>und</strong> <strong>in</strong>wieweit sich hierbei Defizite h<strong>in</strong>sichtlich des Inanspruchnahmeverhaltens feststellen<br />

lassen. (3) Abschließend wurde im dritten Abschnitt (Kapitel 7.6) die Frage verfolgt, ob<br />

kohortenvergleichende Untersuchungen H<strong>in</strong>weise darauf geben, dass nachfolgende Geburtskohorten<br />

<strong>in</strong> besserer Ges<strong>und</strong>heit alt werden als früher Geborene. Ausgangspunkt dieser Betrachtung<br />

ist der Anstieg der Lebenserwartung, der die Frage aufwirft, <strong>in</strong> welcher Ges<strong>und</strong>heit die so<br />

„gewonnenen“ Lebensjahre verbracht werden.<br />

7.7.1 Ergebnisse zum Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

Körperliche Erkrankungen <strong>und</strong> Beschwerden<br />

Die dargestellten Ergebnisse zum selbstberichteten Ges<strong>und</strong>heitszustand 40- bis 85-Jähriger machen<br />

deutlich, dass es über die untersuchten Altersgruppen h<strong>in</strong>weg zu e<strong>in</strong>em Anstieg der Erkrankungen<br />

<strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>ener (mittlerer oder großer) Beschwerden kommt. E<strong>in</strong> altersabhängiger<br />

Anstieg sowohl der Erkrankungsrate als auch gleichzeitig der Beschwerderate betrifft<br />

besonders die Gelenk-, Bandscheiben-, Knochen- oder Rückenleiden, Herz-<br />

Kreislauferkrankungen, Durchblutungsstörungen <strong>und</strong> Atemwegserkrankungen. Dabei s<strong>in</strong>d<br />

Frauen häufiger von Erkrankungen des Bewegungsapparates (Gelenk-, Bandscheiben-, Knochen-<br />

oder Rückenleiden) betroffen als Männer <strong>und</strong> berichten diesbezüglich auch über e<strong>in</strong> höheres<br />

Beschwerdemaß. Männer h<strong>in</strong>gegen berichten häufiger von Ohrenerkrankungen; <strong>in</strong> der<br />

Gruppe der von Ohrenleiden betroffenen Personen f<strong>in</strong>den sich jedoch ke<strong>in</strong>e Unterschiede im<br />

Beschwerdemaß zwischen den Geschlechtern. H<strong>in</strong>gegen bereiten Männern Blasenleiden größere<br />

Beschwerden als Frauen. Im Gegensatz zu Geschlechtsunterschieden s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e wesentlichen<br />

Unterschiede zwischen Ost- <strong>und</strong> Westdeutschen festzustellen.<br />

E<strong>in</strong>e Betrachtung der Verbreitung von Mehrfacherkrankungen („Multimorbidität“) macht deutlich,<br />

dass bereits 40 Prozent der Befragten 40- bis 54-Jährigen über e<strong>in</strong> gleichzeitiges Vorhandense<strong>in</strong><br />

von m<strong>in</strong>destens zwei Erkrankungen oder Funktionse<strong>in</strong>bußen berichtet. Bei den 70- bis<br />

85-Jährigen liegt dieser Anteil etwa doppelt so hoch (79 Prozent), wobei alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Viertel der


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

70- bis 85-Jährigen über fünf <strong>und</strong> mehr Erkrankungen berichtet. Während e<strong>in</strong> deutlicher Anstieg<br />

e<strong>in</strong>zelner Beschwerden über die Altersgruppen festzustellen ist, zeigt sich ke<strong>in</strong> ähnlicher Anstieg<br />

multipler (mittlerer bis großer) Beschwerden. Der altersabhängige Anstieg multipler Beschwerden<br />

fällt im Vergleich zur Multimorbidität deutlich ger<strong>in</strong>ger aus. Hierfür gibt es mehrere<br />

Gründe: Zum e<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>d nicht alle Erkrankungen gleichermaßen mit hohen Beschwerden verb<strong>und</strong>en,<br />

selbst manche schweren Erkrankungen (z.B. e<strong>in</strong>ige Herz-Kreislauferkrankungen) gehen<br />

mit eher milden Beschwerden e<strong>in</strong>her. Zum anderen spielen vermutlich verschiedene Anpassungsprozesse<br />

e<strong>in</strong>e Rolle: hierzu zählt das Vermeiden von Beschwerden verursachenden Aktivitäten,<br />

e<strong>in</strong> Vergleich zwischen verschiedenen eigenen Beschwerden sowie schließlich der Vergleich<br />

eigener Beschwerden mit den (stärkeren) Beschwerden von Personen im sozialen Umfeld.<br />

Im Gegensatz zur Betrachtung der E<strong>in</strong>zelerkrankungen <strong>und</strong> Beschwerden f<strong>in</strong>den sich h<strong>in</strong>sichtlich<br />

Multimorbidität <strong>und</strong> multiplen Beschwerden ke<strong>in</strong>e Geschlechtsunterschiede <strong>und</strong> erneut<br />

auch ke<strong>in</strong>e regionalen Unterschiede (Ost-/Westdeutsche).<br />

Ergänzend wurde untersucht, wie viele Personen <strong>in</strong> den vergangenen 10 Jahren vor dem Befragungszeitpunkt<br />

(m<strong>in</strong>destens) e<strong>in</strong>en schweren Unfall oder e<strong>in</strong>e schwere Krankheit hatten. Dabei<br />

zeigte e<strong>in</strong> Vergleich der Altersgruppen, dass es von der jüngsten (40-54 Jahre) zur ältesten Altersgruppe<br />

(70- bis 85 Jahre) nahezu zu e<strong>in</strong>er Verdoppelung des Auftretens von schweren<br />

Krankheiten oder Unfällen kommt. Es wurde angenommen, dass Ältere möglicherweise weniger<br />

von solchen Ereignissen belastet s<strong>in</strong>d, da sie sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Alter bef<strong>in</strong>den, <strong>in</strong>dem Krankheiten<br />

stärker verbreitet s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> zudem Folgen von Unfällen oder Krankheiten nur noch e<strong>in</strong>e (im<br />

Vergleich zum zurückliegenden Leben) vergleichsweise kurze Zeit ertragen werden müssen.<br />

Diese Annahme musste anhand der Ergebnisse jedoch verworfen werden: Ältere wie Jüngere<br />

fühlen sich durch solche Lebensereignisse gleichermaßen belastet. Dabei zeigen sich sowohl <strong>in</strong><br />

der Häufigkeit des Auftretens schwerer Krankheiten oder Unfälle, als auch im Belastungsgrad<br />

weder Geschlechts- noch Ost-West-Unterschiede.<br />

Funktionelle E<strong>in</strong>schränkungen<br />

E<strong>in</strong>e Betrachtung von Mobilität <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte machte deutlich, dass bereits <strong>in</strong> der<br />

jüngsten Altersgruppe (40-54 Jahre) über e<strong>in</strong> Drittel der Befragten angibt, bezüglich anstrengender<br />

Tätigkeiten (schnell laufen, schwere Gegenstände heben, anstrengenden Sport treiben)<br />

e<strong>in</strong>geschränkt zu se<strong>in</strong>. In dieser Altersgruppe berichtet zudem etwa jede siebte Person über Mobilitätse<strong>in</strong>schränkungen<br />

h<strong>in</strong>sichtlich des sich Beugens, Kniens, Bückens. E<strong>in</strong>schränkungen h<strong>in</strong>sichtlich<br />

anderer Aspekte der Mobilität (u.a. mehrere Straßenkreuzungen zu Fuß gehen, e<strong>in</strong>en<br />

Treppenabsatz steigen, sich baden oder anziehen) steigen erst zwischen der mittleren (55-69<br />

Jahre) <strong>und</strong> höchsten Altersgruppe (70-85 Jahre) an. Während sich erneut ke<strong>in</strong>e regionalen Unterschiede<br />

zeigen, machen die Ergebnisse deutlich, dass besonders Frauen im höheren Alter von<br />

e<strong>in</strong>er schlechteren Mobilität betroffen s<strong>in</strong>d als Männer. E<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong> hierfür liegt vermutlich <strong>in</strong> der<br />

höheren Frühsterblichkeit von Männern, während Frauen trotz schlechten Ges<strong>und</strong>heitszustandes<br />

oftmals e<strong>in</strong> hohes Alter erreichen. Dementsprechend s<strong>in</strong>d Frauen im Alter auch etwas häufiger<br />

auf Hilfe, Pflege oder andere Unterstützung angewiesen, während sich diesbezüglich erneut<br />

ke<strong>in</strong>e Ost-West-Unterschiede zeigten.<br />

329


Subjektive Ges<strong>und</strong>heit<br />

330<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

Neben der körperlichen <strong>und</strong> funktionellen Ges<strong>und</strong>heit wurde auch die subjektive Ges<strong>und</strong>heit<br />

betrachtet. Diese ist bedeutsam, da sie als e<strong>in</strong> wesentlicher Ausdruck von Lebensqualität angesehen<br />

werden kann <strong>und</strong> sich zudem im Vergleich zur objektiven, körperlichen Ges<strong>und</strong>heit als<br />

sensiblerer Mortalitäts<strong>in</strong>dikator erwiesen hat. Die Ergebnisse machen deutlich, dass es über die<br />

Altersgruppen h<strong>in</strong>weg zu e<strong>in</strong>er Abnahme der subjektiven Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung kommt, sich<br />

hierbei jedoch ke<strong>in</strong>e geschlechts- oder regionalspezifischen (Ost/West) Unterschiede zeigen.<br />

7.7.2 Ges<strong>und</strong>heitsversorgung<br />

Inanspruchnahme mediz<strong>in</strong>ischer Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich ist die Inanspruchnahme mediz<strong>in</strong>ischer Dienstleistungen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

hoch. Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Reihe von differenzierenden Aussagen zu machen. Über 90<br />

Prozent aller über 40-Jährigen haben m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> den vorangegangenen zwölf Monaten<br />

e<strong>in</strong>e Arztpraxis aufgesucht. Mit dem Alter steigt dieser Prozentsatz leicht an. Betrachtet man<br />

die Fachdiszipl<strong>in</strong> der kontaktierten Arztpraxen, so steigt mit dem Alter <strong>in</strong>sbesondere die Inanspruchnahme<br />

von Arztpraxen der Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong>, Augenheilk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> <strong>in</strong>neren Mediz<strong>in</strong>, im<br />

H<strong>in</strong>blick auf Zahnarztpraxen ist h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong>e abnehmende Nutzungshäufigkeit zu beobachten.<br />

Bei der ältesten Altersgruppe sche<strong>in</strong>en Ängste <strong>und</strong> Befürchtungen h<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>er Zahnarztbehandlung<br />

ke<strong>in</strong>e bedeutsamen Gründe für die Nicht-Inanspruchnahme zahnärztlicher Behandlung<br />

zu se<strong>in</strong>. Vielmehr ist anzunehmen, dass vor allem die E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die Notwendigkeit zahnärztlicher<br />

Kontrolle fehlt, die auch bei zahnlosen Menschen bzw. Personen mit Zahnprothesen<br />

notwendig ist. Zahnmediz<strong>in</strong>ische Präventionspotenziale werden somit gerade von alten Menschen<br />

nicht ausreichend wahrgenommen.<br />

Geschlechtsunterschiede <strong>in</strong> der Inanspruchnahme f<strong>in</strong>den sich h<strong>in</strong>sichtlich der häufigeren Inanspruchnahme<br />

von orthopädischen Arztpraxen durch Frauen, während Männer häufiger als Frauen<br />

Kontakt zu HNO-Arztpraxen haben. Diese Geschlechtsunterschiede entsprechen den von<br />

Frauen häufiger berichteten Erkrankungen des Bewegungsapparates <strong>und</strong> den von Männern häufiger<br />

genannten Ohrenerkrankungen. Während bei Frauen die Inanspruchnahme von<br />

gynäkologischen Arztpraxen mit dem Alter s<strong>in</strong>kt, steigt die Nutzungshäufigkeit von<br />

urologischen Arztpraxen bei Männern mit dem Alter. Regionale Unterschiede <strong>in</strong> der Nutzung<br />

fachärztlicher Expertise entspricht den regional unterschiedlichen Prävalenzraten: In Ostdeutschland<br />

geben Befragte im Vergleich mit Westdeutschland häufiger an, allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong>ische<br />

Praxen <strong>und</strong> Zahnarztpraxen aufgesucht zu haben, <strong>und</strong> (für Männer) häufiger urologische<br />

Praxen besucht zu haben.<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der gegenwärtig diskutierten Hausarztmodelle ist es von Interesse, dass die überwiegende<br />

Mehrzahl der Personen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte über e<strong>in</strong>e Hausärzt<strong>in</strong> oder e<strong>in</strong>en<br />

Hausarzt verfügt. Insgesamt geben im Jahr 2002 94 Prozent aller Personen im Alter zwischen<br />

40 <strong>und</strong> 85 Jahren an, e<strong>in</strong>e Hausärzt<strong>in</strong> oder e<strong>in</strong>en Hausarzt zu haben, den sie bei mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Fragen im Regelfall zuerst aufsuchen. Dabei steigt der Anteil von Personen mit Hausärzt<strong>in</strong> oder


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

Hausarzt von 91 Prozent <strong>in</strong> der jüngsten Altersgruppe auf 96 Prozent <strong>in</strong> der ältesten Altersgruppe.<br />

Große Unterschiede zwischen den Geschlechtern <strong>und</strong> Regionen f<strong>in</strong>den sich h<strong>in</strong>gegen nicht.<br />

Inanspruchnahme weiterer Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen<br />

Unter den nicht-mediz<strong>in</strong>ischen Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen werden mit Abstand am häufigsten<br />

Apotheken aufgesucht. Daneben nimmt e<strong>in</strong> erheblicher Teil der Bevölkerung <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte (mehr als 10 Prozent) m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal im Jahr Massagen/Fango/Bäder, Fußpflege<br />

oder Krankengymnastik <strong>in</strong> Anspruch. Dabei werden <strong>in</strong> Ostdeutschland häufiger passive<br />

Heilhilfsbehandlungen (wie etwa Massagen), <strong>in</strong> Westdeutschland häufiger aktivierende Heilhilfsbehandlungen<br />

(wie etwa Krankengymnastik oder Physiotherapie) genutzt. Frauen nehmen<br />

nicht-mediz<strong>in</strong>ische Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen deutlich häufiger <strong>in</strong> Anspruch als Männer. Die<br />

Rate der Personen, die logopädische Behandlungen, Gedächtnissprechst<strong>und</strong>en, Arbeits- oder<br />

Beschäftigungstherapie <strong>in</strong> Anspruch nehmen, ist sehr ger<strong>in</strong>g. Allerd<strong>in</strong>gs ist hierbei zu berücksichtigen,<br />

dass <strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>en Bevölkerungsumfragen gerade jene Personengruppen, die derartiger<br />

Interventionen bedürfen, e<strong>in</strong>er Befragung oftmals nicht zur Verfügung stehen.<br />

Obwohl mit dem Alter die Zahl der Personen zunimmt, die unter chronischen Krankheiten <strong>und</strong><br />

Multimorbidität leiden, gibt es ke<strong>in</strong>en Anstieg <strong>in</strong> der Inanspruchnahme nicht-mediz<strong>in</strong>ischer<br />

Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen. Angesichts des besonderen Bedarfs älterer Menschen, bei denen<br />

Heilhilfsbehandlungen für den Umgang mit chronischen Leiden (Disease Management) s<strong>in</strong>nvoll<br />

wäre, bedeutet dies, dass Präventions- <strong>und</strong> Rehabilitationspotenziale im Alter nicht ausreichend<br />

genutzt werden.<br />

7.7.3 Kohortenvergleiche<br />

Die Ergebnisse der Kohortenvergleiche zwischen den 40- bis 85-Jährigen der Jahre 1996 <strong>und</strong><br />

2002 verweisen darauf, dass nachfolgende Geburtskohorten e<strong>in</strong>e bessere Ges<strong>und</strong>heit, d.h. e<strong>in</strong>e<br />

ger<strong>in</strong>gere Multimorbidität <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Zahl von bedeutsamen Beschwerden haben als<br />

früher Geborene. Dies zeigte sich vor allem für Personen ab e<strong>in</strong>em Alter von 58 Jahren, e<strong>in</strong><br />

Großteil dieser Personen (im Alter zwischen 58 <strong>und</strong> 85 Jahren) bef<strong>in</strong>det sich dabei <strong>in</strong> der Phase<br />

des dritten Lebensalters. Im Gegensatz zur körperlichen Ges<strong>und</strong>heit lässt sich ke<strong>in</strong>e bessere<br />

subjektive Ges<strong>und</strong>heit nachfolgender Geburtskohorten feststellen. Dies entspricht den e<strong>in</strong>gangs<br />

formulierten Erwartungen, da subjektive Ges<strong>und</strong>heit ke<strong>in</strong> bloßes Abbild körperlicher Ges<strong>und</strong>heit<br />

darstellt, sondern zugleich als Ausdruck verschiedener personaler Ressourcen sowie Lebensqualität<br />

angesehen wird.<br />

Den Ergebnissen zur körperlichen Ges<strong>und</strong>heit zufolge s<strong>in</strong>d die durch e<strong>in</strong>e höhere Lebenserwartung<br />

„gewonnenen“ Lebensjahre also nicht e<strong>in</strong>fach im S<strong>in</strong>ne der Theorie e<strong>in</strong>er Morbiditätsexpansion<br />

zusätzliche Jahre <strong>in</strong> schlechter Ges<strong>und</strong>heit, sondern es handelt sich dabei auch um gewonnene<br />

Lebenszeit <strong>in</strong> guter Ges<strong>und</strong>heit.<br />

Die Ergebnisse stützen somit (zum<strong>in</strong>dest) die Theorie e<strong>in</strong>er Morbiditätskonstanz, s<strong>in</strong>d aber auch<br />

mit der Theorie der Morbiditätskompression vere<strong>in</strong>bar. Denkbar ist allerd<strong>in</strong>gs, dass die gef<strong>und</strong>enen<br />

Kohortenunterschiede nicht mehr für die Phase der Hochaltrigkeit bestehen. Denn es ist<br />

331


332<br />

Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer<br />

möglich, dass zwar die nachfolgenden Kohorten mit e<strong>in</strong>em besseren ges<strong>und</strong>heitlichen Ausgangsniveau<br />

die Phase der Hochaltrigkeit beg<strong>in</strong>nen, dieser Vorteil jedoch nicht vor großen Verlusten<br />

schützt (Baltes, 1997). Aus heutiger Sicht ist bekannt, dass <strong>in</strong> der Lebensphase der Hochaltrigkeit<br />

unter anderem die Prävalenz von Demenzen stark zunimmt. Etwa jede vierte Person<br />

zwischen 85 <strong>und</strong> 89 Jahren <strong>und</strong> jede dritte ab 90 Jahren ist gegenwärtig hiervon betroffen<br />

(B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium für Familie, Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend, 2002).<br />

7.7.4 Empfehlungen<br />

Die Ergebnisse zum Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte geben H<strong>in</strong>weise auf verschiedene<br />

Präventionspotenziale: Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>, dass chronische Erkrankungen „mitaltern“,<br />

d.h. bis <strong>in</strong>s hohe Alter fortbestehen <strong>und</strong> Folgeerkrankungen sowie Funktionse<strong>in</strong>bußen<br />

verursachen können, ersche<strong>in</strong>t es wichtig, möglichst früh im Lebensverlauf die Chronifizierung<br />

von Erkrankungen <strong>und</strong> Funktionse<strong>in</strong>bußen zu vermeiden. Die hohe Zahl von r<strong>und</strong> 40 Prozent<br />

der 40- bis 54-Jährigen, die angeben, zwei oder mehr Erkrankungen bzw. Funktionse<strong>in</strong>bußen<br />

zu haben <strong>und</strong> der Bef<strong>und</strong>, dass über e<strong>in</strong> Drittel der Personen dieser Altersgruppe E<strong>in</strong>schränkungen<br />

h<strong>in</strong>sichtlich anstrengender Tätigkeiten nennen, weisen auf entsprechenden Präventions- <strong>und</strong><br />

Rehabilitationsbedarf h<strong>in</strong>. Die Möglichkeiten, dauerhafte Multimorbidität <strong>und</strong> Funktionse<strong>in</strong>bußen<br />

zu vermeiden, s<strong>in</strong>d im mittleren Erwachsenenalter zumeist am größten. Aber auch h<strong>in</strong>sichtlich<br />

der älteren Altersgruppen (55-69 Jahre; 70-85 Jahre) sollten die hohen präventiven Potenziale<br />

nicht unterschätzt werden. Für e<strong>in</strong>e Vielzahl von Erkrankungen, unter anderem Herz-<br />

Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegserkrankungen <strong>und</strong> Diabetes mellitus (Typ II), gibt es deutliche<br />

Präventionspotenziale, die noch nicht ausreichend genutzt werden. Dabei nimmt mit steigendem<br />

Alter besonders die Bedeutung von Tertiärprävention zu, d.h. die Vermeidung oder<br />

Verzögerung der Verschlimmerung e<strong>in</strong>er Erkrankung sowie die Verh<strong>in</strong>derung oder Milderung<br />

bleibender Funktionse<strong>in</strong>bußen.<br />

Im Altersgruppenvergleich wurde deutlich, dass mehrere der dargestellten Ergebnisse auf mit<br />

dem Alter steigenden Versorgungsbedarf sowie Versorgungsdefizite h<strong>in</strong>weisen:<br />

Die Feststellung, dass im höheren Alter das verbreitete Vorkommen von Multimorbidität nicht<br />

im entsprechenden Maße mit hohen Beschwerden korrespondiert, stellt <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf die Lebensqualität<br />

Älterer e<strong>in</strong>en eher beruhigenden Bef<strong>und</strong> dar. Dabei sollte allerd<strong>in</strong>gs neben den<br />

Vorteilen von Anpassungs- <strong>und</strong> Bewältigungsprozessen nicht übersehen werden, dass Ältere<br />

möglicherweise auch solche Erkrankungen <strong>und</strong> Beschwerden als „altersgemäße Abbauprozesse“<br />

akzeptieren, die gut mediz<strong>in</strong>isch behandelbar s<strong>in</strong>d. Es ersche<strong>in</strong>t deshalb von hoher Wichtigkeit,<br />

dass ältere Menschen selbst wie auch ihr soziales Umfeld <strong>und</strong> professionelle Ges<strong>und</strong>heitsdienstleister<br />

lernen, besser zwischen Altern <strong>und</strong> Krankheit zu unterscheiden.<br />

Geschlechtsdifferenzierte Ergebnisse zu Erkrankungen <strong>und</strong> Funktionse<strong>in</strong>bußen machten deutlich,<br />

dass mit steigendem Alter Frauen <strong>in</strong> höherem Maße von Erkrankungen <strong>und</strong> Beschwerden<br />

des Bewegungsapparates (Gelenk-, Bandscheiben-, Knochen- oder Rückenleiden) betroffen s<strong>in</strong>d<br />

als Männer. Zugleich f<strong>in</strong>den sich bei Frauen im Alter zwischen 70 <strong>und</strong> 85 Jahren stärkere Mobilitätse<strong>in</strong>bußen<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e höhere Hilfs- bzw. Pflegebedürftigkeit als bei gleichaltrigen Männern.<br />

Maßnahmen der Ges<strong>und</strong>heitsförderung <strong>und</strong> Prävention sollten frühzeitig im Lebenslauf anset-


Kapitel 7: Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung<br />

zen, um Risiken von Knochenerkrankungen wie beispielsweise Osteoporose zu reduzieren, von<br />

der Frauen etwa dreimal so häufig betroffen s<strong>in</strong>d wie Männer. Mit steigendem Alter steigt jedoch<br />

die Bedeutung tertiärpräventiver Maßnahmen (u.a. Verh<strong>in</strong>derung von Funktionse<strong>in</strong>bußen,<br />

Sturzprävention), damit ältere Frauen <strong>und</strong> Männer trotz Mobilitätse<strong>in</strong>bußen e<strong>in</strong>e selbstständige<br />

Lebensführung aufrechterhalten oder wiedererlangen können.<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>, dass nicht alle Formen der Krankheitsbewältigung gleichermaßen adaptiv<br />

s<strong>in</strong>d, ist es wichtig, Ältere <strong>in</strong> ihrer psychischen Bewältigung von Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>bußen zu unterstützen.<br />

Ältere s<strong>in</strong>d deutlich häufiger von Erkrankungen <strong>und</strong> Unfällen betroffen als Jüngere. Sie<br />

s<strong>in</strong>d dadurch gleichermaßen stark belastet wie Jüngere <strong>und</strong> haben oftmals ger<strong>in</strong>gere soziale<br />

Ressourcen zur potentiellen Unterstützung, da nicht selten enge Angehörige bereits verstorben<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der Inanspruchnahme mediz<strong>in</strong>ischer Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen war festzustellen,<br />

dass Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>in</strong> der Regel über e<strong>in</strong>e Hausärzt<strong>in</strong> oder e<strong>in</strong>en Hausarzt<br />

verfügen. Es ist jedoch auch zu erkennen, dass die mediz<strong>in</strong>ische Versorgung alter<br />

Menschen nicht <strong>in</strong> allen Bereichen ideal ist. Hier ist <strong>in</strong>sbesondere auf die zahnmediz<strong>in</strong>ische<br />

Versorgung h<strong>in</strong>zuweisen. Es ist für die Vorsorge <strong>und</strong> Versorgung notwendig, dass auch alte<br />

Menschen regelmäßig e<strong>in</strong>e zahnärztliche Untersuchung erhalten <strong>und</strong> zwar auch dann, wenn sie<br />

nicht mehr über (alle) Zähne verfügen.<br />

Schließlich zeigt sich, dass besonders im Bereich nicht-mediz<strong>in</strong>ischer Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen<br />

Möglichkeiten für Präventionsmaßnahmen bestehen, die zur Zeit nicht vollständig genutzt<br />

werden. Obwohl Erkrankungen <strong>und</strong> Beschwerden sowie Funktionse<strong>in</strong>bußen mit dem Alter zunehmen,<br />

kommt es zu ke<strong>in</strong>em altersabhängigen Anstieg der Nutzung von Heilhilfsbehandlungen.<br />

Dies macht deutlich, dass wesentliche Präventionspotenziale im Alter ungenutzt bleiben.<br />

Ärzte <strong>und</strong> Pflegekräfte sollten dar<strong>in</strong> unterstützt <strong>und</strong> geschult werden, bestehende Rehabilitationspotenziale<br />

Älterer zu erkennen. Aber auch ältere Personen selbst sollten über ihre Präventionspotenziale<br />

besser <strong>in</strong>formiert werden, damit sie die Möglichkeit haben, e<strong>in</strong>e stärkere Selbst-<br />

<strong>und</strong> Mitverantwortung für ihre Ges<strong>und</strong>heit zu übernehmen.<br />

333


7.8 Literatur<br />

334<br />

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Tabelle A7.1: Körperliche Funktionsfähigkeit: Anstrengende Tätigkeit, z.B. schnell laufen, schwere Gegenstände heben, anstrengenden Sport treiben<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Stark Alte Länder 8,8% 10,8% 9,8% 23,6% 24,7% 24,2% 43,8% 57,1% 51,9% 20,6% 27,6% 24,3%<br />

e<strong>in</strong>geschränkt Neue Länder 9,0% 9,6% 9,3% 25,4% 26,9% 26,2% 41,1% 53,7% 49,2% 20,2% 26,6% 23,6%<br />

Gesamt 8,8% 10,5% 9,7% 24,0% 25,2% 24,6% 43,3% 56,4% 51,4% 20,5% 27,4% 24,2%<br />

Etwas Alte Länder 23,0% 29,3% 26,1% 35,6% 44,7% 40,3% 39,5% 37,0% 38,0% 30,6% 36,6% 33,8%<br />

e<strong>in</strong>geschränkt Neue Länder 25,4% 31,7% 28,5% 33,7% 36,9% 35,4% 39,9% 36,4% 37,7% 30,8% 34,7% 32,9%<br />

Gesamt 23,5% 29,8% 26,6% 35,2% 43,1% 39,3% 39,6% 36,9% 37,9% 30,7% 36,3% 33,6%<br />

Überhaupt nicht Alte Länder 68,2% 59,9% 64,1% 40,8% 30,6% 35,6% 16,8% 5,9% 10,1% 48,7% 35,7% 41,9%<br />

e<strong>in</strong>geschränkt Neue Länder 65,6% 58,7% 62,2% 40,8% 36,2% 38,4% 19,0% 9,9% 13,2% 49,0% 38,7% 43,5%<br />

Gesamt 67,7% 59,7% 63,7% 40,8% 31,8% 36,2% 17,2% 6,6% 10,7% 48,8% 36,3% 42,2%<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 3.066, gewichtet)<br />

337


Tabelle A7.2: Körperliche Funktionsfähigkeit: Sich beugen, knien oder bücken<br />

338<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Stark e<strong>in</strong>geschränkt Alte Länder 4,5% 4,0% 4,3% 10,2% 9,1% 9,6% 13,4% 24,5% 20,2% 8,2% 11,1% 9,7%<br />

Neue Länder 2,1% 4,8% 3,4% 10,7% 14,3% 12,5% 18,4% 34,0% 28,3% 7,9% 15,3% 11,8%<br />

Gesamt 4,0% 4,2% 4,1% 10,3% 10,2% 10,2% 14,2% 26,4% 21,7% 8,2% 11,9% 10,2%<br />

Etwas e<strong>in</strong>geschränkt Alte Länder 7,9% 11,8% 9,8% 20,8% 24,3% 22,6% 36,6% 39,8% 38,5% 17,9% 23,3% 20,8%<br />

Neue Länder 13,2% 14,3% 13,7% 22,5% 27,3% 25,0% 34,8% 36,4% 35,8% 20,1% 24,4% 22,4%<br />

Gesamt 9,0% 12,3% 10,6% 21,1% 25,0% 23,1% 36,3% 39,1% 38,0% 18,3% 23,5% 21,1%<br />

Überhaupt nicht Alte Länder 87,6% 84,2% 85,9% 69,0% 66,6% 67,8% 50,0% 35,7% 41,3% 73,9% 65,6% 69,5%<br />

e<strong>in</strong>geschränkt Neue Länder 84,7% 81,0% 82,8% 66,9% 58,4% 62,4% 46,8% 29,6% 35,9% 72,0% 60,3% 65,8%<br />

Gesamt 87,0% 83,6% 85,3% 68,6% 64,9% 66,7% 49,4% 34,5% 40,2% 73,5% 64,5% 68,8%<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 3.068, gewichtet)


Tabelle A7.3: Körperliche Funktionsfähigkeit: E<strong>in</strong>kaufstaschen heben, tragen<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Stark e<strong>in</strong>geschränkt Alte Länder 3,3% 2,7% 3,0% 4,4% 9,7% 7,1% 11,0% 23,8% 18,9% 5,1% 10,6% 8,0%<br />

Neue Länder 0,5% 1,8% 1,1% 5,3% 10,6% 8,1% 11,3% 29,0% 22,6% 4,0% 11,6% 8,1%<br />

Gesamt 2,8% 2,5% 2,6% 4,6% 9,9% 7,3% 11,1% 24,8% 19,6% 4,9% 10,8% 8,0%<br />

Etwas e<strong>in</strong>geschränkt Alte Länder 3,6% 8,3% 6,0% 12,3% 20,5% 16,5% 21,2% 40,6% 33,1% 10,0% 20,9% 15,8%<br />

Neue Länder 4,8% 10,7% 7,7% 10,1% 28,0% 19,4% 25,8% 42,6% 36,5% 10,1% 24,7% 17,9%<br />

Gesamt 3,9% 8,8% 6,3% 11,8% 22,1% 17,1% 22,1% 40,9% 33,7% 10,0% 21,7% 16,2%<br />

Überhaupt nicht Alte Länder 93,0% 89,0% 91,0% 83,3% 69,8% 76,4% 67,7% 35,6% 48,1% 84,8% 68,5% 76,2%<br />

e<strong>in</strong>geschränkt Neue Länder 94,7% 87,5% 91,1% 84,6% 61,5% 72,6% 62,9% 28,4% 40,9% 85,9% 63,8% 74,1%<br />

Gesamt 93,4% 88,7% 91,1% 83,6% 68,1% 75,6% 66,9% 34,2% 46,7% 85,0% 67,6% 75,8%<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 3.069, gewichtet)<br />

339


Tabelle A7.4: Körperliche Funktionsfähigkeit: Mehrere Straßenkreuzungen weit zu Fuß gehen<br />

340<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Stark e<strong>in</strong>geschränkt Alte Länder 3,3% 1,1% 2,2% 4,7% 4,7% 4,7% 13,4% 19,8% 17,3% 5,7% 7,2% 6,5%<br />

Neue Länder 1,1% 1,8% 1,4% 7,7% 5,6% 6,6% 12,1% 30,2% 23,7% 5,3% 10,1% 7,9%<br />

Gesamt 2,9% 1,2% 2,0% 5,3% 4,9% 5,1% 13,1% 21,8% 18,5% 5,6% 7,8% 6,7%<br />

Etwas e<strong>in</strong>geschränkt Alte Länder 2,4% 3,2% 2,8% 6,5% 6,7% 6,6% 12,8% 18,9% 16,5% 5,8% 8,5% 7,2%<br />

Neue Länder 1,1% 4,8% 2,9% 8,9% 12,4% 10,7% 17,2% 19,1% 18,4% 6,5% 11,0% 8,9%<br />

Gesamt 2,1% 3,5% 2,8% 6,9% 7,9% 7,4% 13,6% 18,9% 16,9% 5,9% 9,0% 7,6%<br />

Überhaupt nicht Alte Länder 94,2% 95,7% 95,0% 88,9% 88,6% 88,7% 73,9% 61,3% 66,2% 88,5% 84,3% 86,3%<br />

e<strong>in</strong>geschränkt Neue Länder 97,9% 93,5% 95,7% 83,4% 82,0% 82,7% 70,7% 50,6% 57,9% 88,2% 78,9% 83,2%<br />

Gesamt 95,0% 95,3% 95,1% 87,8% 87,2% 87,5% 73,3% 59,2% 64,6% 88,5% 83,2% 85,7%<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 3.066, gewichtet)


Tabelle A7.5: Körperliche Funktionsfähigkeit: E<strong>in</strong>en Treppenabsatz steigen<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Stark e<strong>in</strong>geschränkt Alte Länder 2,4% 0,3% 1,4% 2,6% 2,3% 2,5% 7,1% 13,4% 10,9% 3,4% 4,4% 3,9%<br />

Neue Länder 0,0% 1,8% 0,9% 3,0% 2,5% 2,7% 8,2% 16,0% 13,2% 2,4% 5,5% 4,1%<br />

Gesamt 1,9% ,6% 1,3% 2,7% 2,4% 2,5% 7,3% 13,9% 11,4% 3,2% 4,6% 3,9%<br />

Etwas e<strong>in</strong>geschränkt Alte Länder 2,1% 4,5% 3,3% 6,1% 9,4% 7,8% 12,8% 23,0% 19,0% 5,5% 11,0% 8,4%<br />

Neue Länder 2,7% 1,2% 1,9% 10,7% 12,4% 11,6% 18,4% 26,5% 23,6% 8,1% 11,4% 9,9%<br />

Gesamt 2,2% 3,9% 3,0% 7,1% 10,0% 8,6% 13,8% 23,7% 19,9% 6,1% 11,1% 8,7%<br />

Überhaupt nicht Alte Länder 95,5% 95,2% 95,3% 91,2% 88,3% 89,7% 80,1% 63,7% 70,0% 91,1% 84,7% 87,7%<br />

e<strong>in</strong>geschränkt Neue Länder 97,3% 97,0% 97,2% 86,4% 85,1% 85,7% 73,4% 57,4% 63,2% 89,5% 83,1% 86,1%<br />

Gesamt 95,8% 95,6% 95,7% 90,3% 87,6% 88,9% 78,9% 62,5% 68,8% 90,8% 84,3% 87,4%<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 3.067, gewichtet)<br />

341


Tabelle A7.6: Körperliche Funktionsfähigkeit: Sich baden oder anziehen<br />

342<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Stark e<strong>in</strong>geschränkt Alte Länder 1,5% 0,5% 1,0% 1,8% 2,1% 1,9% 4,2% 7,1% 6,0% 2,1% 2,8% 2,5%<br />

Neue Länder 0,0% 1,2% 0,6% 1,8% 1,2% 1,5% 5,0% 13,6% 10,5% 1,5% 4,2% 2,9%<br />

Gesamt 1,2% 0,7% 0,9% 1,8% 1,9% 1,8% 4,4% 8,3% 6,8% 2,0% 3,1% 2,5%<br />

Etwas e<strong>in</strong>geschränkt Alte Länder 1,5% 1,9% 1,7% 4,7% 2,6% 3,6% 11,3% 15,1% 13,6% 4,5% 5,6% 5,1%<br />

Neue Länder 0,5% 3,0% 1,7% 5,3% 4,4% 4,8% 14,5% 19,8% 17,8% 4,5% 7,6% 6,2%<br />

Gesamt 1,3% 2,1% 1,7% 4,8% 3,0% 3,9% 11,9% 16,0% 14,4% 4,5% 6,0% 5,3%<br />

Überhaupt nicht Alte Länder 97,0% 97,6% 97,3% 93,6% 95,3% 94,5% 84,5% 77,8% 80,4% 93,4% 91,7% 92,5%<br />

e<strong>in</strong>geschränkt Neue Länder 99,5% 95,8% 97,7% 92,9% 94,4% 93,7% 80,5% 66,7% 71,7% 94,0% 88,2% 90,9%<br />

Gesamt 97,5% 97,2% 97,4% 93,4% 95,1% 94,3% 83,8% 75,6% 78,8% 93,5% 91,0% 92,2%<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 3.072, gewichtet)


Tabelle A7.7: Häufigkeit der Inanspruchnahme e<strong>in</strong>er Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong>er<strong>in</strong>/e<strong>in</strong>es Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong>ers <strong>in</strong> den letzten zwölf Monaten<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

nie Alte Länder 20,9% 15,7% 18,3% 14,4% 13,8% 14,1% 10,2% 7,4% 8,5% 16,5% 12,9% 14,6%<br />

Neue Länder 14,4% 15,4% 14,9% 13,5% 8,1% 10,7% 8,9% 3,7% 5,5% 13,2% 9,9% 11,4%<br />

Gesamt 19,6% 15,7% 17,6% 14,2% 12,6% 13,4% 10,0% 6,7% 7,9% 15,9% 12,3% 14,0%<br />

1 mal Alte Länder 23,3% 26,1% 24,7% 15,5% 15,6% 15,6% 8,2% 8,0% 8,1% 17,7% 17,8% 17,7%<br />

Neue Länder 22,3% 18,9% 20,7% 20,6% 16,1% 18,3% 5,7% 4,9% 5,2% 19,1% 14,5% 16,6%<br />

Gesamt 23,1% 24,7% 23,9% 16,6% 15,7% 16,1% 7,8% 7,4% 7,5% 18,0% 17,1% 17,5%<br />

2-6 mal Alte Länder 48,5% 47,5% 48,0% 46,9% 52,6% 49,9% 48,4% 51,2% 50,2% 47,9% 50,2% 49,1%<br />

Neue Länder 54,3% 52,7% 53,5% 38,8% 50,9% 45,1% 46,2% 44,8% 45,3% 47,2% 50,1% 48,8%<br />

Gesamt 49,7% 48,5% 49,1% 45,3% 52,3% 48,9% 48,0% 50,0% 49,2% 47,8% 50,2% 49,1%<br />

öfter Alte Länder 7,3% 10,7% 9,0% 23,2% 17,9% 20,5% 33,1% 33,4% 33,3% 17,8% 19,1% 18,5%<br />

Neue Länder 9,0% 13,0% 11,0% 27,1% 24,8% 25,9% 39,2% 46,6% 44,0% 20,6% 25,5% 23,2%<br />

Gesamt 7,6% 11,1% 9,4% 24,0% 19,4% 21,6% 34,2% 36,0% 35,3% 18,4% 20,4% 19,4%<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 3.074, gewichtet)<br />

343


Tabelle A7.8: Häufigkeit der Inanspruchnahme e<strong>in</strong>er Zahnärzt<strong>in</strong>/e<strong>in</strong>es Zahnarztes <strong>in</strong> den letzten zwölf Monaten<br />

344<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

nie Alte Länder 19,9% 11,7% 15,8% 21,9% 13,8% 17,8% 29,0% 34,0% 32,1% 22,3% 18,3% 20,2%<br />

Neue Länder 9,5% 6,0% 7,8% 13,5% 6,8% 10,0% 23,4% 31,3% 28,4% 13,2% 12,5% 12,8%<br />

Gesamt 17,8% 10,6% 14,2% 20,2% 12,4% 16,2% 28,0% 33,5% 31,4% 20,5% 17,1% 18,7%<br />

1 mal Alte Länder 40,4% 34,4% 37,4% 36,0% 38,8% 37,4% 41,5% 40,8% 41,1% 39,0% 37,6% 38,2%<br />

Neue Länder 39,7% 38,7% 39,2% 32,9% 37,3% 35,2% 38,0% 43,6% 41,5% 36,9% 39,4% 38,2%<br />

Gesamt 40,2% 35,3% 37,8% 35,4% 38,5% 37,0% 40,9% 41,3% 41,1% 38,5% 37,9% 38,2%<br />

2-6 mal Alte Länder 38,6% 50,1% 44,3% 38,9% 43,8% 41,4% 28,4% 24,5% 26,0% 36,8% 41,3% 39,2%<br />

Neue Länder 49,2% 51,8% 50,5% 51,2% 50,9% 51,0% 38,6% 24,5% 29,6% 48,3% 44,8% 46,4%<br />

Gesamt 40,7% 50,5% 45,5% 41,4% 45,3% 43,4% 30,2% 24,5% 26,7% 39,1% 42,0% 40,6%<br />

öfter Alte Länder 1,2% 3,7% 2,5% 3,2% 3,5% 3,4% 1,1% 0,6% 0,8% 1,9% 2,9% 2,4%<br />

Neue Länder 1,6% 3,6% 2,6% 2,4% 5,0% 3,7% 0,0% 0,6% 0,4% 1,6% 3,3% 2,5%<br />

Gesamt 1,3% 3,7% 2,5% 3,0% 3,8% 3,4% 0,9% 0,6% 0,7% 1,9% 3,0% 2,4%<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 3.076, gewichtet)


Tabelle A7.9: Häufigkeit der Inanspruchnahme e<strong>in</strong>er Augenärzt<strong>in</strong>/e<strong>in</strong>es Augenarztes <strong>in</strong> den letzten zwölf Monaten<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

nie Alte Länder 66,2% 58,4% 62,3% 49,6% 44,7% 47,1% 38,7% 35,8% 36,9% 55,1% 47,8% 51,2%<br />

Neue Länder 60,1% 53,8% 57,0% 49,7% 41,6% 45,5% 32,5% 27,2% 29,1% 51,9% 43,0% 47,1%<br />

Gesamt 64,9% 57,5% 61,2% 49,6% 44,1% 46,7% 37,6% 34,1% 35,5% 54,4% 46,8% 50,4%<br />

1 mal Alte Länder 26,0% 33,9% 29,9% 39,0% 41,8% 40,4% 34,8% 32,7% 33,5% 32,3% 36,3% 34,4%<br />

Neue Länder 30,3% 39,6% 34,9% 31,4% 44,7% 38,3% 33,8% 34,6% 34,3% 31,3% 40,2% 36,0%<br />

Gesamt 26,9% 35,0% 30,9% 37,5% 42,4% 40,0% 34,6% 33,1% 33,6% 32,1% 37,1% 34,8%<br />

2-6 mal Alte Länder 7,6% 6,4% 7,0% 10,6% 12,1% 11,3% 24,2% 30,6% 28,1% 11,7% 14,7% 13,3%<br />

Neue Länder 9,0% 5,9% 7,5% 17,8% 12,4% 15,0% 31,8% 35,8% 34,4% 15,9% 15,5% 15,7%<br />

Gesamt 7,9% 6,3% 7,1% 12,0% 12,1% 12,1% 25,6% 31,6% 29,3% 12,5% 14,8% 13,7%<br />

öfter Alte Länder 0,3% 1,3% 0,8% 0,9% 1,5% 1,2% 2,3% 0,9% 1,4% 0,9% 1,3% 1,1%<br />

Neue Länder 0,5% 0,6% 0,6% 1,2% 1,2% 1,2% 1,9% 2,5% 2,3% 1,0% 1,3% 1,1%<br />

Gesamt 0,3% 1,2% 0,8% 0,9% 1,4% 1,2% 2,2% 1,2% 1,6% 0,9% 1,3% 1,1%<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 3.071, gewichtet)<br />

345


Tabelle A7.10: Häufigkeit der Inanspruchnahme e<strong>in</strong>er Hals-Nasen-Ohrenärzt<strong>in</strong>/e<strong>in</strong>es Hals-Nasen-Ohrenarztes <strong>in</strong> den letzten zwölf Monaten<br />

346<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

nie Alte Länder 84,2% 80,3% 82,3% 75,4% 80,3% 77,9% 73,3% 78,0% 76,2% 79,0% 79,7% 79,4%<br />

Neue Länder 81,8% 81,1% 81,4% 80,5% 75,8% 78,0% 70,9% 70,6% 70,7% 79,6% 76,6% 78,0%<br />

Gesamt 83,7% 80,4% 82,1% 76,5% 79,4% 78,0% 72,9% 76,6% 75,2% 79,1% 79,1% 79,1%<br />

1 mal Alte Länder 11,2% 12,8% 12,0% 16,4% 12,6% 14,5% 19,6% 12,5% 15,3% 14,6% 12,7% 13,6%<br />

Neue Länder 12,8% 10,1% 11,5% 11,2% 16,8% 14,1% 19,0% 18,4% 18,6% 13,2% 14,5% 13,9%<br />

Gesamt 11,5% 12,2% 11,9% 15,3% 13,5% 14,4% 19,5% 13,7% 15,9% 14,4% 13,0% 13,7%<br />

2-6 mal Alte Länder 4,2% 6,4% 5,3% 6,7% 6,5% 6,6% 6,8% 8,6% 7,9% 5,6% 7,0% 6,3%<br />

Neue Länder 4,3% 8,9% 6,6% 7,7% 6,8% 7,2% 9,5% 10,4% 10,1% 6,4% 8,5% 7,5%<br />

Gesamt 4,2% 6,9% 5,6% 6,9% 6,5% 6,7% 7,3% 8,9% 8,3% 5,8% 7,3% 6,6%<br />

öfter Alte Länder 0,3% 0,5% 0,4% 1,5% 0,6% 1,0% 0,3% 0,9% 0,7% 0,7% 0,7% 0,7%<br />

Neue Länder 1,1% 0,0% 0,5% 0,6% 0,6% 0,6% 0,6% 0,6% 0,6% 0,8% 0,4% 0,6%<br />

Gesamt 0,5% 0,4% 0,4% 1,3% 0,6% 0,9% 0,3% 0,9% 0,7% 0,7% 0,6% 0,7%<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 3.073, gewichtet)


Tabelle A7.11: Häufigkeit der Inanspruchnahme e<strong>in</strong>er Orthopäd<strong>in</strong>/e<strong>in</strong>es Orthopäden <strong>in</strong> den letzten zwölf Monaten<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

nie Alte Länder 75,2% 73,0% 74,1% 68,2% 61,8% 64,9% 71,9% 65,3% 67,9% 72,0% 67,1% 69,4%<br />

Neue Länder 75,0% 77,2% 76,1% 77,1% 66,5% 71,5% 71,3% 66,0% 68,0% 75,2% 70,6% 72,8%<br />

Gesamt 75,1% 73,9% 74,5% 70,1% 62,7% 66,3% 71,8% 65,5% 67,9% 72,7% 67,8% 70,1%<br />

1 mal Alte Länder 12,4% 9,9% 11,2% 15,4% 14,7% 15,1% 11,4% 11,0% 11,2% 13,3% 11,9% 12,5%<br />

Neue Länder 13,3% 12,6% 12,9% 10,6% 11,2% 10,9% 15,3% 15,4% 15,4% 12,6% 12,8% 12,7%<br />

Gesamt 12,6% 10,4% 11,5% 14,4% 14,0% 14,2% 12,1% 11,9% 11,9% 13,2% 12,0% 12,6%<br />

2-6 mal Alte Länder 10,3% 12,3% 11,3% 13,1% 19,4% 16,3% 13,9% 19,3% 17,2% 12,0% 16,6% 14,4%<br />

Neue Länder 9,6% 6,6% 8,1% 8,8% 16,8% 13,0% 10,2% 14,2% 12,8% 9,4% 12,1% 10,8%<br />

Gesamt 10,2% 11,1% 10,6% 12,2% 18,9% 15,6% 13,3% 18,3% 16,4% 11,5% 15,7% 13,7%<br />

öfter Alte Länder 2,1% 4,8% 3,5% 3,3% 4,1% 3,7% 2,8% 4,3% 3,7% 2,7% 4,4% 3,6%<br />

Neue Länder 2,1% 3,6% 2,8% 3,5% 5,6% 4,6% 3,2% 4,3% 3,9% 2,8% 4,5% 3,7%<br />

Gesamt 2,1% 4,6% 3,3% 3,3% 4,4% 3,9% 2,9% 4,3% 3,8% 2,7% 4,4% 3,6%<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 3.056, gewichtet)<br />

347


Tabelle A7.12: Häufigkeit der Inanspruchnahme e<strong>in</strong>er Internist<strong>in</strong>/e<strong>in</strong>es Internisten <strong>in</strong> den letzten zwölf Monaten<br />

348<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

nie Alte Länder 73,4% 69,4% 71,4% 64,3% 60,9% 62,6% 52,3% 57,6% 55,6% 66,3% 63,4% 64,8%<br />

Neue Länder 82,4% 77,7% 80,1% 69,8% 65,6% 67,6% 60,6% 73,6% 69,0% 74,3% 72,4% 73,3%<br />

Gesamt 75,3% 71,1% 73,2% 65,4% 61,9% 63,6% 53,8% 60,7% 58,1% 67,9% 65,2% 66,5%<br />

1 mal Alte Länder 15,7% 19,3% 17,5% 16,1% 16,2% 16,1% 17,1% 15,2% 15,9% 16,1% 17,1% 16,6%<br />

Neue Länder 7,4% 14,5% 10,9% 13,6% 16,9% 15,3% 12,3% 8,6% 9,9% 10,5% 13,9% 12,3%<br />

Gesamt 14,0% 18,3% 16,1% 15,6% 16,3% 16,0% 16,2% 13,9% 14,8% 15,0% 16,5% 15,8%<br />

2-6 mal Alte Länder 9,1% 8,6% 8,8% 14,6% 18,5% 16,6% 19,1% 19,2% 19,1% 12,9% 14,8% 13,9%<br />

Neue Länder 9,0% 5,4% 7,3% 12,4% 15,6% 14,1% 22,6% 13,5% 16,7% 12,4% 11,1% 11,7%<br />

Gesamt 9,1% 7,9% 8,5% 14,2% 17,9% 16,1% 19,7% 18,1% 18,7% 12,8% 14,0% 13,5%<br />

öfter Alte Länder 1,8% 2,7% 2,2% 5,0% 4,4% 4,7% 11,6% 8,0% 9,4% 4,7% 4,7% 4,7%<br />

Neue Länder 1,1% 2,4% 1,7% 4,1% 1,9% 3,0% 4,5% 4,3% 4,4% 2,8% 2,7% 2,7%<br />

Gesamt 1,7% 2,6% 2,1% 4,8% 3,9% 4,3% 10,3% 7,3% 8,5% 4,3% 4,3% 4,3%<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 3.056, gewichtet)


Tabelle A7.13: Häufigkeit der Inanspruchnahme e<strong>in</strong>er Gynäkolog<strong>in</strong>/e<strong>in</strong>es Gynäkologen (Frauen) bzw. e<strong>in</strong>er Urolog<strong>in</strong>/e<strong>in</strong>es Urologen (Männer) <strong>in</strong> den<br />

letzten zwölf Monaten<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

nie Alte Länder 89,4% 15,7% – 72,5% 27,1% – 65,2% 56,6% – 78,8% 30,3% –<br />

Neue Länder 88,8% 9,5% – 67,6% 23,0% – 50,3% 59,3% – 74,8% 26,4% –<br />

Gesamt 89,3% 14,5% – 71,5% 26,2% – 62,6% 57,1% – 78,0% 29,5% –<br />

1 mal Alte Länder 7,9% 52,0% – 15,8% 51,2% – 18,2% 32,1% – 12,7% 46,5% –<br />

Neue Länder 7,5% 46,7% – 17,1% 43,5% – 18,5% 27,8% – 12,8% 41,0% –<br />

Gesamt 7,8% 50,9% – 16,0% 49,6% – 18,3% 31,3% – 12,7% 45,4% –<br />

2-6 mal Alte Länder 2,1% 30,9% – 10,8% 21,5% – 15,7% 10,7% – 7,8% 22,4% –<br />

Neue Länder 3,7% 41,4% – 13,5% 32,3% – 29,3% 12,3% – 11,5% 31,1% –<br />

Gesamt 2,5% 33,1% – 11,4% 23,7% – 18,1% 11,0% – 8,5% 24,1% –<br />

öfter Alte Länder 0,6% 1,3% – 0,9% 0,3% – 0,9% 0,6% – 0,8% 0,8% –<br />

Neue Länder 0,0% 2,4% – 1,8% 1,2% – 1,9% 0,6% – 1,0% 1,5% –<br />

Gesamt 0,5% 1,5% – 1,1% 0,5% – 1,0% 0,6% – 0,8% 0,9% –<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 3.005/3.064, gewichtet)<br />

* Es erfolgte e<strong>in</strong>e getrennte Erhebung der Inanspruchnahme von Gynäkolog<strong>in</strong>nen bzw. Gynäkologen <strong>und</strong> Urolog<strong>in</strong>nen bzw. Urologen. Infolgedessen kann ke<strong>in</strong> für Männer <strong>und</strong> Frauen zusammengefasster<br />

Gesamtwert ermittelt werden.<br />

349


Tabelle A7.14: Häufigkeit der Inanspruchnahme von Apotheken <strong>in</strong> den letzten zwölf Monaten<br />

350<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

nie Alte Länder 22,1% 7,7% 14,9% 9,9% 7,3% 8,6% 8,4% 6,9% 7,5% 15,1% 7,3% 11,0%<br />

Neue Länder 20,9% 8,4% 14,8% 14,7% 10,9% 12,7% 14,6% 9,7% 11,4% 17,7% 9,6% 13,4%<br />

Gesamt 21,8% 7,8% 14,9% 10,9% 8,0% 9,4% 9,5% 7,4% 8,2% 15,6% 7,8% 11,5%<br />

1 mal Alte Länder 12,1% 6,8% 9,4% 7,7% 5,6% 6,6% 4,5% 2,9% 3,5% 9,1% 5,4% 7,1%<br />

Neue Länder 9,3% 7,1% 8,2% 7,7% 1,4% 4,4% 1,5% 2,8% 2,3% 7,5% 4,0% 5,6%<br />

Gesamt 11,5% 6,9% 9,2% 7,7% 4,7% 6,2% 4,0% 2,9% 3,3% 8,8% 5,1% 6,8%<br />

2-6 mal Alte Länder 51,7% 59,6% 55,6% 53,5% 54,6% 54,1% 46,1% 49,6% 48,3% 51,4% 55,3% 53,4%<br />

Neue Länder 59,3% 70,1% 64,6% 47,4% 57,8% 52,9% 48,9% 47,6% 48,1% 53,3% 60,3% 57,0%<br />

Gesamt 53,3% 61,7% 57,5% 52,3% 55,3% 53,8% 46,6% 49,2% 48,2% 51,7% 56,3% 54,2%<br />

öfter Alte Länder 14,1% 26,0% 20,0% 28,8% 32,5% 30,7% 41,0% 40,6% 40,7% 24,4% 32,0% 28,4%<br />

Neue Länder 10,5% 14,3% 12,3% 30,1% 29,9% 30,0% 35,0% 40,0% 38,2% 21,6% 26,1% 24,0%<br />

Gesamt 13,4% 23,6% 18,5% 29,1% 31,9% 30,5% 39,9% 40,5% 40,3% 23,8% 30,8% 27,5%<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.740, gewichtet)


Tabelle A.7.15: Häufigkeit der Inanspruchnahme von Massagen, Fango, Bäder <strong>in</strong> den letzten zwölf Monaten<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

nie Alte Länder 86,9% 76,4% 81,7% 83,1% 74,4% 78,7% 82,3% 77,5% 79,4% 84,7% 76,0% 80,1%<br />

Neue Länder 82,5% 68,4% 75,5% 79,2% 69,4% 74,1% 76,6% 76,4% 76,5% 80,4% 70,7% 75,2%<br />

Gesamt 86,0% 74,8% 80,4% 82,3% 73,4% 77,8% 81,3% 77,3% 78,8% 83,8% 74,9% 79,1%<br />

1 mal Alte Länder 3,1% 5,6% 4,3% 1,6% 5,2% 3,5% 2,6% 4,7% 3,9% 2,5% 5,3% 3,9%<br />

Neue Länder 0,6% 4,5% 2,5% 4,4% 4,8% 4,6% 5,8% 4,9% 5,2% 2,8% 4,7% 3,8%<br />

Gesamt 2,6% 5,4% 4,0% 2,2% 5,1% 3,7% 3,1% 4,7% 4,1% 2,5% 5,1% 3,9%<br />

2-6 mal Alte Länder 4,5% 10,6% 7,5% 7,3% 10,5% 8,9% 7,7% 10,5% 9,4% 6,1% 10,5% 8,4%<br />

Neue Länder 12,3% 15,5% 13,9% 11,3% 17,7% 14,6% 8,8% 10,4% 9,8% 11,4% 15,0% 13,3%<br />

Gesamt 6,1% 11,6% 8,8% 8,1% 12,0% 10,1% 7,9% 10,5% 9,5% 7,2% 11,5% 9,4%<br />

öfter Alte Länder 5,5% 7,4% 6,4% 8,0% 9,8% 8,9% 7,4% 7,2% 7,3% 6,7% 8,2% 7,5%<br />

Neue Länder 4,7% 11,6% 8,1% 5,0% 8,2% 6,7% 8,8% 8,3% 8,5% 5,4% 9,6% 7,7%<br />

Gesamt 5,3% 8,2% 6,8% 7,4% 9,5% 8,5% 7,7% 7,5% 7,5% 6,5% 8,5% 7,5%<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.748, gewichtet)<br />

351


Tabelle A7.16: Häufigkeit der Inanspruchnahme von Fußpflege <strong>in</strong> den letzten zwölf Monaten<br />

352<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

nie Alte Länder 94,1% 79,3% 86,7% 91,0% 70,6% 80,6% 86,4% 65,5% 73,5% 91,6% 72,7% 81,6%<br />

Neue Länder 95,3% 82,6% 89,1% 89,3% 66,9% 77,7% 75,2% 56,8% 63,3% 90,0% 70,7% 79,7%<br />

Gesamt 94,4% 80,0% 87,2% 90,7% 69,8% 80,0% 84,4% 63,8% 71,6% 91,3% 72,3% 81,2%<br />

1 mal Alte Länder 1,4% 5,0% 3,2% 1,6% 5,2% 3,5% 2,3% 5,0% 4,0% 1,6% 5,1% 3,5%<br />

Neue Länder 2,3% 3,9% 3,1% 4,4% 6,1% 5,3% 4,4% 2,7% 3,3% 3,4% 4,4% 3,9%<br />

Gesamt 1,6% 4,8% 3,2% 2,2% 5,4% 3,8% 2,6% 4,6% 3,8% 2,0% 5,0% 3,6%<br />

2-6 mal Alte Länder 2,4% 11,2% 6,8% 4,2% 14,7% 9,6% 8,1% 19,4% 15,1% 4,1% 14,6% 9,6%<br />

Neue Länder 1,7% 12,9% 7,2% 4,4% 16,9% 10,9% 13,9% 26,4% 21,9% 4,6% 17,6% 11,6%<br />

Gesamt 2,3% 11,6% 6,9% 4,2% 15,2% 9,8% 9,1% 20,8% 16,4% 4,2% 15,2% 10,0%<br />

öfter Alte Länder 2,1% 4,4% 3,3% 3,2% 9,5% 6,4% 3,2% 10,1% 7,4% 2,7% 7,6% 5,3%<br />

Neue Länder 0,6% 0,6% 0,6% 1,9% 10,1% 6,2% 6,6% 14,2% 11,5% 2,0% 7,3% 4,8%<br />

Gesamt 1,8% 3,7% 2,7% 2,9% 9,6% 6,4% 3,8% 10,9% 8,2% 2,6% 7,6% 5,2%<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.750, gewichtet)


Tabelle A7.17: Häufigkeit der Inanspruchnahme von Krankengymnastik <strong>in</strong> den letzten zwölf Monaten<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

nie Alte Länder 87,9% 85,8% 86,8% 84,4% 79,9% 82,2% 89,6% 81,8% 84,8% 86,9% 82,8% 84,7%<br />

Neue Länder 92,4% 85,2% 88,9% 92,4% 88,4% 90,3% 91,2% 83,9% 86,6% 92,2% 86,0% 88,9%<br />

Gesamt 88,8% 85,7% 87,3% 86,0% 81,7% 83,8% 89,9% 82,2% 85,1% 88,0% 83,4% 85,6%<br />

1 mal Alte Länder 3,1% 2,4% 2,7% 1,9% 2,0% 1,9% 2,3% 2,5% 2,4% 2,5% 2,3% 2,4%<br />

Neue Länder 1,7% 4,5% 3,1% 1,3% 3,4% 2,4% 1,5% 3,5% 2,8% 1,5% 3,9% 2,8%<br />

Gesamt 2,8% 2,8% 2,8% 1,8% 2,3% 2,0% 2,1% 2,7% 2,5% 2,3% 2,6% 2,5%<br />

2-6 mal Alte Länder 4,2% 4,7% 4,4% 5,4% 6,6% 6,0% 3,9% 7,3% 6,0% 4,6% 6,0% 5,3%<br />

Neue Länder 3,5% 4,5% 4,0% 3,2% 4,8% 4,0% 3,6% 6,3% 5,3% 3,4% 5,0% 4,3%<br />

Gesamt 4,0% 4,7% 4,3% 5,0% 6,2% 5,6% 3,9% 7,1% 5,9% 4,3% 5,8% 5,1%<br />

öfter Alte Länder 4,8% 7,1% 6,0% 8,3% 11,5% 9,9% 4,2% 8,4% 6,8% 6,0% 8,9% 7,5%<br />

Neue Länder 2,3% 5,8% 4,0% 3,2% 3,4% 3,3% 3,6% 6,3% 5,3% 2,8% 5,1% 4,0%<br />

Gesamt 4,3% 6,8% 5,6% 7,2% 9,8% 8,6% 4,1% 8,0% 6,5% 5,4% 8,1% 6,8%<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.739, gewichtet)<br />

353


Tabelle A7.18: Häufigkeit der Inanspruchnahme Haushaltshilfen <strong>in</strong> den letzten zwölf Monaten<br />

354<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

nie Alte Länder 94,5% 92,3% 93,4% 91,4% 88,7% 90,0% 87,1% 76,9% 80,9% 92,0% 87,1% 89,4%<br />

Neue Länder 99,4% 96,8% 98,1% 98,1% 99,3% 98,7% 95,7% 82,2% 87,0% 98,3% 94,1% 96,1%<br />

Gesamt 95,5% 93,2% 94,4% 92,8% 90,9% 91,8% 88,6% 77,9% 82,0% 93,3% 88,5% 90,7%<br />

1 mal Alte Länder 0,0% 0,9% 0,4% 0,3% 0,3% 0,3% 0,6% 1,1% 0,9% 0,2% 0,7% 0,5%<br />

Neue Länder 0,0% 0,6% 0,3% 0,0% 0,7% 0,4% 0,7% 3,4% 2,5% 0,1% 1,3% 0,8%<br />

Gesamt 0,0% 0,8% 0,4% 0,3% 0,4% 0,3% 0,7% 1,5% 1,2% 0,2% 0,9% 0,6%<br />

2-6 mal Alte Länder 1,0% 0,6% 0,8% 1,9% 2,6% 2,3% 1,3% 3,6% 2,7% 1,4% 2,1% 1,7%<br />

Neue Länder 0,0% 0,6% 0,3% 1,3% 0,0% 0,6% 0,7% 4,1% 2,9% 0,6% 1,3% 0,9%<br />

Gesamt 0,8% 0,6% 0,7% 1,8% 2,1% 1,9% 1,2% 3,7% 2,7% 1,2% 1,9% 1,6%<br />

öfter Alte Länder 4,5% 6,2% 5,3% 6,4% 8,4% 7,4% 10,9% 18,4% 15,5% 6,4% 10,1% 8,3%<br />

Neue Länder 0,6% 1,9% 1,2% 0,6% 0,0% 0,3% 2,9% 10,3% 7,6% 1,0% 3,3% 2,2%<br />

Gesamt 3,7% 5,3% 4,5% 5,2% 6,7% 6,0% 9,5% 16,8% 14,1% 5,3% 8,7% 7,1%<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.756, gewichtet)


Tabelle A7.19: Häufigkeit der Inanspruchnahme von Heilpraktikerbehandlungen <strong>in</strong> den letzten zwölf Monaten<br />

Geburtsjahrgang (Alter) 1948-62 (40-54Jahre) 1933-47 (55-69 Jahre) 1917-32 (70-85 Jahre) Gesamt (40-85 Jahre)<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

nie Alte Länder 93,4% 92,3% 92,9% 95,2% 93,1% 94,2% 97,7% 92,4% 94,5% 94,9% 92,6% 93,7%<br />

Neue Länder 98,3% 98,1% 98,2% 95,6% 93,2% 94,3% 97,0% 95,1% 95,8% 97,1% 95,6% 96,3%<br />

Gesamt 94,4% 93,5% 94,0% 95,3% 93,1% 94,2% 97,6% 92,9% 94,7% 95,3% 93,2% 94,2%<br />

1 mal Alte Länder 1,7% 1,2% 1,5% 2,2% 1,3% 1,8% 0,7% 1,1% 0,9% 1,7% 1,2% 1,4%<br />

Neue Länder 0,0% 0,6% 0,3% 1,9% 3,4% 2,7% 0,0% 2,1% 1,3% 0,7% 2,0% 1,4%<br />

Gesamt 1,4% 1,1% 1,2% 2,2% 1,7% 1,9% 0,5% 1,3% 1,0% 1,5% 1,4% 1,4%<br />

2-6 mal Alte Länder 3,4% 4,7% 4,1% 2,5% 3,3% 2,9% 1,0% 4,3% 3,0% 2,7% 4,1% 3,4%<br />

Neue Länder 1,2% 0,6% 0,9% 1,9% 2,1% 2,0% 3,0% 2,1% 2,4% 1,7% 1,5% 1,6%<br />

Gesamt 3,0% 3,9% 3,4% 2,4% 3,0% 2,7% 1,3% 3,9% 2,9% 2,5% 3,6% 3,1%<br />

öfter Alte Länder 1,4% 1,8% 1,6% 0,0% 2,3% 1,2% 0,7% 2,2% 1,6% 0,7% 2,0% 1,4%<br />

Neue Länder 0,6% 0,6% 0,6% 0,6% 1,4% 1,0% 0,0% 0,7% 0,4% 0,5% 0,9% 0,7%<br />

Gesamt 1,2% 1,5% 1,4% ,1% 2,1% 1,1% 0,5% 1,9% 1,4% ,7% 1,8% 1,3%<br />

Quelle: Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.739, gewichtet)<br />

355


356


8. Prädiktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte<br />

Susanne Wurm<br />

8.1 E<strong>in</strong>leitung<br />

Vermutlich <strong>in</strong> allen Phasen des Lebens, von der K<strong>in</strong>dheit bis zum hohen Alter, ist die Ges<strong>und</strong>heit<br />

e<strong>in</strong> zentrales Kriterium für das persönliche Ausmaß an Lebensqualität (Whitbourne, 2002).<br />

Mit steigendem Alter ist e<strong>in</strong>e gute Ges<strong>und</strong>heit jedoch zunehmend weniger selbstverständlich. In<br />

Kapitel 7 wurde aufgezeigt, wie sich die Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte entwickelt.<br />

Deutlich wurde hierbei, dass sich das Alter nicht e<strong>in</strong>fach mit Krankheit gleichsetzen lässt, sondern<br />

sich im höheren, ebenso wie im mittleren Erwachsenenalter, e<strong>in</strong>e hohe Variabilität zeigt<br />

<strong>und</strong> somit manche Menschen <strong>in</strong> guter, andere <strong>in</strong> schlechter Ges<strong>und</strong>heit altern.<br />

Diese auch <strong>in</strong> anderen Studien gewonnene Erkenntnis spiegelt sich <strong>in</strong> der von Gerok <strong>und</strong><br />

Brandtstädter (1994) getroffenen Unterscheidung von „normalem“, „krankhaften“ <strong>und</strong> „optimalen“<br />

Altern wider. Während „normales Altern“ den Autoren zufolge nur durch „alterstypische“<br />

E<strong>in</strong>bußen gekennzeichnet ist, umfasst „krankhaftes“ Altern das Vorhandense<strong>in</strong> von spezifischen<br />

Krankheiten, Leistungs- <strong>und</strong> Funktionse<strong>in</strong>bußen. Das „optimale“ Altern lässt sich schließlich<br />

durch e<strong>in</strong>e (gegenüber der Vergleichspopulation) überdurchschnittliche Lebenszeit, organische<br />

Funktionstüchtigkeit <strong>und</strong> subjektive Lebensqualität charakterisieren (Gerok & Brandtstädter,<br />

1994).<br />

E<strong>in</strong>e solche Unterscheidung setzt nicht nur e<strong>in</strong>er simplifizierenden Gleichsetzung von Alter <strong>und</strong><br />

Krankheit e<strong>in</strong>e differentielle Sicht auf den Alterungsprozess entgegen, sie bildet vor allem<br />

zugleich die Gr<strong>und</strong>lage für die Frage: Von welchen E<strong>in</strong>flussfaktoren hängt optimales Altern<br />

beziehungsweise e<strong>in</strong> Altern <strong>in</strong> guter Ges<strong>und</strong>heit ab?<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der demografischen Veränderungen mehren sich seit e<strong>in</strong>igen Jahren zu<br />

dieser Frage Studien unterschiedlicher diszipl<strong>in</strong>ärer Ausrichtung, unter anderem der Soziologie,<br />

Sportwissenschaft <strong>und</strong> Psychologie. In soziologischen Untersuchungen wird besonders der Frage<br />

nachgegangen, welche Aspekte sozialer Ungleichheit die Ges<strong>und</strong>heit im Alter bee<strong>in</strong>flussen.<br />

Diese Betrachtung vollzieht sich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf die gesellschaftlichen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

(Makrosystem, Bronfenbrenner, 1979). Sportwissenschaft <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitspsychologie<br />

beschäftigen sich h<strong>in</strong>gegen mit der Bedeutung des Ges<strong>und</strong>heitsverhaltens. Schließlich befasst<br />

sich die Psychologie darüber h<strong>in</strong>aus auch mit der Frage, welchen E<strong>in</strong>fluss Emotionen <strong>und</strong> Kognitionen<br />

auf die Ges<strong>und</strong>heit im Alter haben. Im Gegensatz zur soziologischen Betrachtung, <strong>in</strong><br />

der stärker das Makrosystem im Vordergr<strong>und</strong> steht, konzentrieren sich Sportwissenschaften <strong>und</strong><br />

Psychologie stärker auf das e<strong>in</strong>zelne Individuum (Mikrosystem, Bronfenbrenner, 1979). Diese<br />

diszipl<strong>in</strong>spezifischen H<strong>in</strong>tergründe implizieren, dass oftmals entweder nur die Bedeutung sozialer<br />

Ungleichheit oder des Ges<strong>und</strong>heitsverhaltens oder der psychischen Ressourcen <strong>und</strong> Risiken<br />

357


358<br />

Susanne Wurm<br />

berücksichtigt wird, während nur selten die verschiedenen E<strong>in</strong>flussfaktoren vergleichend untersucht<br />

werden (Mielck, 2000).<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> verfolgt das vorliegende Kapitel das Ziel, soziale, (ges<strong>und</strong>heits-) verhaltensbezogene<br />

<strong>und</strong> psychische E<strong>in</strong>flussfaktoren für Ges<strong>und</strong>heit gleichermaßen zu berücksichtigen.<br />

Dabei geht das vorliegende Kapitel der Frage nach, <strong>in</strong>wieweit diese Faktoren bis <strong>in</strong>s hohe Alter<br />

relevant bleiben oder ob sich ihre jeweilige Bedeutung für die Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong>nerhalb der zweiten<br />

Lebenshälfte verändert.<br />

Physiologische Alterungsprozesse <strong>und</strong> chronische Erkrankungen haben e<strong>in</strong>e hohe Bedeutung<br />

für die Ges<strong>und</strong>heit im Alter. Zugleich sollte die Bedeutung der subjektiv wahrgenommenen<br />

Ges<strong>und</strong>heit nicht unterschätzt werden, da sie e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong>e bessere Mortalitätsprognose als<br />

körperliche Erkrankungen ermöglicht (Idler & Benyam<strong>in</strong>i, 1997; Idler & Kasl, 1991; Menec,<br />

Chipperfield, & Raymond, 1999; Mossey & Shapiro, 1982; vgl. Kap. 7 <strong>in</strong> diesem Band) <strong>und</strong><br />

zugleich als e<strong>in</strong> Kriterium „optimalen“ Alterns anzusehen ist. Deshalb werden <strong>in</strong> den nachfolgenden<br />

Betrachtungen beide Ges<strong>und</strong>heitsaspekte berücksichtigt.<br />

E<strong>in</strong>er Vielzahl von Studien, die sich mit E<strong>in</strong>flussfaktoren für Ges<strong>und</strong>heit beschäftigen, liegen<br />

Querschnittsdaten zugr<strong>und</strong>e, die den Nachteil haben, dass Alters- <strong>und</strong> Kohorteneffekte nicht<br />

differenziert werden können <strong>und</strong> ke<strong>in</strong>e Aussagen über die Richtung der gef<strong>und</strong>enen Zusammenhänge<br />

zulassen. Im Gegensatz dazu ermöglichen Längsschnittdaten wie die des Alterssurveys,<br />

mit Hilfe von Indikatoren, die zu e<strong>in</strong>em Messzeitpunkt erhoben wurden, zu betrachten,<br />

wie gut diese die Ges<strong>und</strong>heit zu e<strong>in</strong>em späteren Zeitpunkt vorhersagen können <strong>und</strong> welche Bedeutung<br />

diesen Indikatoren für die <strong>Entwicklung</strong> der Ges<strong>und</strong>heit zukommt.<br />

Erkenntnisse darüber, welche Faktoren zu e<strong>in</strong>em Altern <strong>in</strong> guter körperlicher wie subjektiver<br />

Ges<strong>und</strong>heit beitragen, geben wichtige Anhaltspunkte für Maßnahmen der Prävention <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsförderung.<br />

Jahrzehntelang waren die höheren Altersgruppen, <strong>in</strong>sbesondere die Hochbetagten<br />

ke<strong>in</strong>e Zielgruppe präventiver Maßnahmen, da von dem „Dogma der morphologischen<br />

<strong>und</strong> physiologischen Unveränderlichkeit von E<strong>in</strong>bußen im Alter“ (Walter & Schwartz, 2001,<br />

S.192) ausgegangen wurde. Mittlerweile liegen jedoch zahlreiche Studien vor, die auf die großen<br />

Präventions- <strong>und</strong> Rehabilitationspotenziale Älterer h<strong>in</strong>weisen <strong>und</strong> deutlich machen, dass<br />

unausgeschöpfte Präventionspotenziale besonders h<strong>in</strong>sichtlich chronischer Erkrankungen <strong>und</strong><br />

physiologischer Alterungsprozesse bestehen (Kruse, 2002).<br />

Der nachfolgende Abschnitt 8.2 geht zunächst auf verschiedene Wirkfaktoren für Ges<strong>und</strong>heit<br />

e<strong>in</strong>. Im Zentrum steht dabei die nähere Beschreibung sozialer, verhaltensbezogener <strong>und</strong> psychischer<br />

Faktoren <strong>und</strong> ihrer Bedeutung für Ges<strong>und</strong>heit. Der Abschnitt schließt mit e<strong>in</strong>er Formulierung<br />

der Fragestellung ab. In Abschnitt 8.3 werden die Methoden beschrieben, d.h. Indikatoren<br />

<strong>und</strong> Auswertungsverfahren vorgestellt, die <strong>in</strong> der vorliegenden Untersuchung zum E<strong>in</strong>satz kamen.<br />

Der vierte Abschnitt des Kapitels (Abschnitt 8.4) enthält die Ergebnisse zur Vorhersage<br />

von Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsveränderungen. Abschließend erfolgt e<strong>in</strong>e Zusammenfassung<br />

sowie e<strong>in</strong>e Ableitung von Implikationen der vorliegenden Bef<strong>und</strong>e (vgl. Abschnitt 8.5, 8.6).


Kapitel 8: : Prädiktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

8.2 Wirkfaktoren für Ges<strong>und</strong>heit<br />

Nach zentralen E<strong>in</strong>flussfaktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Krankheit im Alter wird ausgehend von<br />

mehreren Modellansätzen gesucht: E<strong>in</strong>leitend werden auf der Gr<strong>und</strong>lage biomediz<strong>in</strong>ischer Ansätze<br />

(1) universelle physiologische Faktoren beschrieben, die hier aufgr<strong>und</strong> ihrer Bedeutung<br />

erwähnt werden, jedoch <strong>in</strong> nachfolgenden Auswertungen unberücksichtigt bleiben. Daran<br />

schließen sich Modelle an, die versuchen, die <strong>in</strong>dividuell unterschiedlich verlaufende Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung<br />

zu erklären:<br />

Umweltmodelle heben besonders den Stellenwert (2) sozialer Ungleichheit für die Ges<strong>und</strong>heit<br />

hervor, während Modelle der Verhaltensmediz<strong>in</strong> <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitspsychologie (3) das <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitsverhalten als wichtigen E<strong>in</strong>flussfaktor für die Ges<strong>und</strong>heit erachten. Weitere<br />

(ges<strong>und</strong>heits-) psychologische Ansätze beschäftigen sich mit (4) der Bedeutung von Emotionen<br />

<strong>und</strong> Kognitionen für die Ges<strong>und</strong>heit. Neuere Forschungsansätze betrachten h<strong>in</strong>sichtlich der<br />

Bedeutung von Kognitionen besonders, <strong>in</strong>wieweit auch (5) Vorstellungen über das Altern e<strong>in</strong>en<br />

E<strong>in</strong>fluss auf die Ges<strong>und</strong>heit im Alter haben.<br />

8.2.1 Physiologische Faktoren<br />

Der Alterungsprozess ist bereits alle<strong>in</strong> aufgr<strong>und</strong> altersphysiologischer Veränderungen mit nachlassender<br />

Ges<strong>und</strong>heit verb<strong>und</strong>en. Biomediz<strong>in</strong>ische Ansätze zur Erklärung von Ges<strong>und</strong>heit berücksichtigen<br />

vor allem Krankheiten, biochemische Prozesse <strong>und</strong> seit jüngerer Zeit auch verstärkt<br />

genetische Ursachen.<br />

Diskutiert wird <strong>in</strong> diesem Zusammenhang, ob physiologische Abbauprozesse biologisch determ<strong>in</strong>iert<br />

s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> damit e<strong>in</strong>er Art „programmierter Alterung“ folgen oder ob sie eher Folge von<br />

zufälligen Fehlern s<strong>in</strong>d (Kirkwood, 1996; Whitbourne, 2001). In diesem Kontext wird beispielsweise<br />

die Bedeutung metabolischer Prozesse diskutiert (etwa die Annahme alterskorrelierter<br />

Schädigungen durch die beim Stoffwechsel notwendigerweise auftretenden freien Radikale)<br />

sowie die mit dem Alter nachlassenden Reparaturmechanismen auf der Zellebene (etwa die<br />

sogenannte „Fehler-Katastrophen-Theorie“, die akkumulierte Fehler bei der DNA-Replikation<br />

annimmt).<br />

Klassische ontogenetische Modelle gehen davon aus, dass das Altern universell ist (also alle<br />

Menschen gleichermaßen betrifft), sequentiell (<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er festgelegten Abfolge) verläuft <strong>und</strong> irreversibel<br />

ist (Aldw<strong>in</strong> & Gilmer, 2004). Aus diesem Gr<strong>und</strong> stellt sich <strong>in</strong>nerhalb des Rahmens<br />

genetischer Modelle sowie anderer biomediz<strong>in</strong>ischer Ansätze höchstens die Frage von Kuration<br />

(im Falle von Krankheiten), nicht jedoch die Frage nach Möglichkeiten von Prävention <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitsförderung (Seger, 1999).<br />

So wichtig genetische Faktoren s<strong>in</strong>d, die besten Schätzungen gehen dah<strong>in</strong>, dass sie immer noch<br />

weniger als die Hälfte der Varianz von Krankheit <strong>und</strong> Mortalität im Alter erklären können<br />

(McClearn & Heller, 2000). Dies macht deutlich, dass weitere Faktoren daran beteiligt se<strong>in</strong><br />

müssen, <strong>in</strong> welcher Ges<strong>und</strong>heit Personen altern. Es wurden hierzu umwelt- <strong>und</strong> personenbezo-<br />

359


360<br />

Susanne Wurm<br />

gene Modelle entwickelt <strong>und</strong> <strong>in</strong> zahlreichen Studien der E<strong>in</strong>fluss entsprechender Modell<strong>in</strong>dikatoren<br />

auf die Ges<strong>und</strong>heit im Alter nachgewiesen, die nachfolgend dargestellt werden.<br />

8.2.2 Soziale Faktoren<br />

Zu zentralen Wirkfaktoren zählen im S<strong>in</strong>ne von „Umweltmodellen“ (z.B. Whitman, 1999) zunächst<br />

soziokulturelle, ökonomische <strong>und</strong> ökologische Faktoren, unter anderem Bildungsstand,<br />

Berufsstatus, E<strong>in</strong>kommen, Geschlecht, Familienstand <strong>und</strong> regionale Faktoren.<br />

In Rahmen von „Umweltmodellen“ wird besonders der Frage nachgegangen, welcher Zusammenhang<br />

zwischen sozialer Ungleichheit <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit besteht. Dabei wird im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er<br />

vertikalen Struktur sozialer Ungleichheit die gesellschaftlich hervorgebrachte Struktur ungleicher<br />

Verteilung knapper materieller <strong>und</strong> immaterieller Ressourcen verstanden (Knesebeck,<br />

1998). Der Begriff vertikal soll dabei ausdrücken, dass diese Merkmale e<strong>in</strong>e Unterteilung der<br />

Bevölkerung <strong>in</strong> oben <strong>und</strong> unten ermöglichen. Als zentrale vertikale Merkmale gelten zumeist<br />

vor allem Unterschiede <strong>in</strong> Bildung, E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> Sozialstatus.<br />

In empirischen Studien wurde wiederholt gezeigt, dass die Sterblichkeit von Personen mit ger<strong>in</strong>ger<br />

Bildung höher ist, als von jenen mit hoher Bildung; ebenso gehen e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ger beruflicher<br />

Status <strong>und</strong> e<strong>in</strong> niedriges E<strong>in</strong>kommen mit kürzerer Lebenserwartung e<strong>in</strong>her (Helmert, 2003;<br />

Helmert & Voges, 2002; Mielck, 2000; Mielck & Helmert, 1993). E<strong>in</strong>e Auswertung der Daten<br />

von über 112.000 AOK-Mitgliedern ergab, dass das Sterblichkeitsrisiko <strong>in</strong> Berufen mit ger<strong>in</strong>gem<br />

Berufsstatus viermal so hoch ist gegenüber dem Sterblichkeitsrisiko von Personen, die<br />

e<strong>in</strong>en Beruf mit hohem beruflichen Status ausüben (Mielck, 2000). H<strong>in</strong>sichtlich der Morbidität<br />

konnte unter anderem gezeigt werden, dass Erwachsene aus niedrigen sozialen Schichten häufiger<br />

e<strong>in</strong>en Herz<strong>in</strong>farkt erleiden, häufiger unter psychischen Störungen leiden <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere<br />

subjektive E<strong>in</strong>schätzung der eigenen Ges<strong>und</strong>heit angeben als Erwachsene aus höheren sozialen<br />

Schichten (Helmert, 2003; Marmot et al., 1991; Mielck, 2000).<br />

Entscheidend für soziale Ungleichheit ist, dass e<strong>in</strong> „sozialer Unterschied“ mit Vor- <strong>und</strong> Nachteilen<br />

verb<strong>und</strong>en ist. Soziale Unterschiede f<strong>in</strong>den sich deshalb nicht nur auf e<strong>in</strong>er vertikalen, sondern<br />

auch h<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>er horizontalen Gesellschaftsbetrachtung. Als zentrale Aspekte horizontaler<br />

Unterschiede gelten unter anderem Alter, Geschlecht, Familienstand <strong>und</strong> Zahl der K<strong>in</strong>der.<br />

Geschlechtsspezifische Ges<strong>und</strong>heitsdifferenzen zeigen sich <strong>in</strong> der höheren Mortalitätsrate<br />

von Männern <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er höheren Morbiditätsrate von Frauen (Sen, 1996; zu Geschlechtsunterschieden<br />

im Alter siehe auch Kruse & Schmitt, 2002). Für den Familienstand konnte wiederholt<br />

gezeigt werden, dass Personen, die mit e<strong>in</strong>em Partner zusammenleben, e<strong>in</strong>e bessere Ges<strong>und</strong>heit<br />

(Borchelt, Gilberg, Horgas, & Geiselmann, 1996) <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Frühsterblichkeit<br />

(Baumann, Filipiak, Stieber, & Loewel, 1998) haben, als Alle<strong>in</strong>lebende. Auch auf die teilweise<br />

noch bestehenden, wenngleich <strong>in</strong> den letzten Jahren abnehmenden Ges<strong>und</strong>heitsdifferenzen <strong>in</strong><br />

Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland wird weiterh<strong>in</strong> h<strong>in</strong>gewiesen (Sachverständigenrat, 2001).<br />

Was den Vermittlungsmechanismus zwischen sozialen Faktoren <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit betrifft, wird<br />

angenommen, dass sozial benachteiligte Personen über ger<strong>in</strong>gere Ressourcen verfügen (z.B.<br />

Wissen, Macht, Geld, Prestige), höheren Belastungen (v.a. am Arbeitsplatz <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Familie)


Kapitel 8: : Prädiktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

ausgesetzt s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> zugleich e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Verfügbarkeit von Erholungs- <strong>und</strong> Bewältigungsressourcen<br />

haben. Neben diesen Differenzen <strong>in</strong> den Lebensverhältnissen s<strong>in</strong>d aber zugleich<br />

bedeutsame Unterschiede im Ges<strong>und</strong>heitsverhalten zu beachten: so konnte h<strong>in</strong>sichtlich der vertikalen<br />

Ungleichheit vielfach gezeigt werden, dass Personen niedrigerer Sozialschichten, ger<strong>in</strong>gerer<br />

Bildung <strong>und</strong> ger<strong>in</strong>gerem E<strong>in</strong>kommen vergleichsweise mehr Rauchen, höheren Alkoholkonsum<br />

haben, häufiger Übergewicht haben <strong>und</strong> weniger Sport treiben (Helmert, 2003).<br />

E<strong>in</strong>e <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf die vorliegende Untersuchung bedeutsame Frage ist, ob sich die Bedeutung<br />

sozialer Faktoren für die Ges<strong>und</strong>heit mit zunehmendem Alter verändert. Dabei existieren, vor<br />

allem bezüglich der <strong>Entwicklung</strong> des Zusammenhangs zwischen sozialer Ungleichheit <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

über das Erwachsenenalter <strong>und</strong> Alter h<strong>in</strong>weg, verschiedene Hypothesen:<br />

(1) E<strong>in</strong>e Möglichkeit ist, dass sich die Bedeutung sozialer Ungleichheit für die Ges<strong>und</strong>heit im<br />

Alter vergrößert. Begründet wird dies damit, dass der Prozess des Alterns mit vielen Belastungen<br />

e<strong>in</strong>hergeht <strong>und</strong> dabei Personen mit ger<strong>in</strong>ger Ressourcenausstattung <strong>in</strong> besonderem Maß<br />

bee<strong>in</strong>trächtigt seien („age as double jeopardy“, Dowd & Bengston, 1978; Kumulationshypothese,<br />

Mayer & Wagner, 1996).<br />

(2) E<strong>in</strong>e andere Hypothese geht davon aus, dass sich soziale Ungleichheit <strong>in</strong> ihrer Bedeutung für<br />

die Ges<strong>und</strong>heit mit dem Alter abschwächt. Diese beruht auf dem Argument, dass Ges<strong>und</strong>heit im<br />

Alter vor allem e<strong>in</strong> Resultat biologischer Prozesse ist, von dem Angehörige aller sozialer<br />

Schichten gleichermaßen betroffen s<strong>in</strong>d („age as leveler“; Hypothese der Altersbed<strong>in</strong>gtheit).<br />

(3) Schließlich ist es auch möglich, dass die Bedeutung sozialer Ungleichheit für die Ges<strong>und</strong>heit<br />

bis <strong>in</strong>s hohe Alter gleich bleibt, da die sozialen Ungleichheiten die gleichen bleiben, wie vor der<br />

Phase des Alters (Kont<strong>in</strong>uitätshypothese, Kohli, Künem<strong>und</strong>, Motel, & Szydlik, 2000; Hypothese<br />

sozioökonomischer Differenzierung, Mayer & Wagner, 1996).<br />

Wird diesen Hypothesen mit empirischen Studien nachgegangen, s<strong>in</strong>d zweierlei Formen von<br />

Selektivität zu berücksichtigen, welche die Interpretation der Ergebnisse erschweren: Erstens ist<br />

zu bedenken, dass die Frühsterblichkeit <strong>in</strong> bestimmten Bevölkerungsgruppen (s.o.) höher ist,<br />

d.h. <strong>in</strong> diesen Bevölkerungsgruppen überleben <strong>in</strong> stärkerem Ausmaß vor allem die Ges<strong>und</strong>en.<br />

Diese Selektionseffekte können dazu führen, dass sich die Bedeutung sozialer Ungleichheit für<br />

die Ges<strong>und</strong>heit im Alter abschwächt. Zweitens ist zu berücksichtigen, dass jede Stichprobe zur<br />

Untersuchung obengenannter Hypothesen zusätzlich zugunsten der Gesünderen selektiert ist.<br />

Gr<strong>und</strong> hierfür ist, dass diese Personen mit größerer Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit an Studien teilnehmen<br />

als Personen, die durch hohe Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>bußen belastet s<strong>in</strong>d. Es ist deshalb kaum verw<strong>und</strong>erlich,<br />

dass die wenigen empirischen Studien, die diesen Hypothesen bisher nachgegangen<br />

s<strong>in</strong>d, zu ke<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>heitlichen Ergebnissen gekommen s<strong>in</strong>d (George, 1996).<br />

8.2.3 Lebensstil <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsverhalten<br />

Neben gesellschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Faktoren trägt auch das Ges<strong>und</strong>heitsverhalten dazu bei,<br />

<strong>in</strong> welcher Ges<strong>und</strong>heit Menschen altern. Im Gegensatz zum biomediz<strong>in</strong>ischen Modell, <strong>in</strong> dem<br />

Krankheiten im Vordergr<strong>und</strong> stehen, betrachten verhaltensmediz<strong>in</strong>ische <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitspsychologische<br />

Ansätze das pathogene <strong>und</strong> salutogene Verhalten von Personen. Selbstschädigende<br />

361


362<br />

Susanne Wurm<br />

Verhaltensweisen wie Rauchen, Fehlernährung <strong>und</strong> Bewegungsarmut sowie ges<strong>und</strong>heitsbegünstigende<br />

Verhaltensweisen wie ges<strong>und</strong>e Ernährung, ausreichende Bewegung, gemäßigter Alkoholkonsum<br />

<strong>und</strong> möglichst ke<strong>in</strong> Tabakkonsum, bee<strong>in</strong>flussen die Beschleunigung oder Verlangsamung<br />

von Alterungsprozessen sowie die Entstehung von Krankheiten (Aldw<strong>in</strong> & Gilmer,<br />

2004; Badura, 1999; Kruse, 2002; Schwarzer, 1992). Lebensstil <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsverhalten tragen<br />

damit entscheidend zur Länge <strong>und</strong> Qualität des Lebens bei.<br />

Zwei Verhaltensweisen, die dafür bekannt s<strong>in</strong>d, dass sie e<strong>in</strong>e Vielzahl von Organfunktionen <strong>und</strong><br />

-systemen bee<strong>in</strong>flussen, s<strong>in</strong>d Rauchen <strong>und</strong> körperliche Aktivität. Der lebenslange, ges<strong>und</strong>heitsschädigende<br />

E<strong>in</strong>fluss des Rauchens ist gut belegt. Im H<strong>in</strong>blick auf chronische Erkrankungen ist<br />

Rauchen der wichtigste, modifizierbare Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen <strong>und</strong><br />

Krebserkrankungen, <strong>in</strong>sbesondere Lungenkrebs. Rauchen beschleunigt zugleich e<strong>in</strong>e Vielzahl<br />

von biologischen Alterungsprozessen, unter anderem die Abnahme der Lungenkapazität sowie<br />

Knochenverlust. Der Risikofaktor „Rauchen“ spielt dabei im höheren Alter e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Rolle<br />

als im jungen <strong>und</strong> mittleren Erwachsenenalter, da Ältere seltener rauchen (Bonita, 1996). Dies<br />

ist vermutlich teilweise auf mortalitätsbed<strong>in</strong>gte Selektivitätseffekte zurückzuführen.<br />

E<strong>in</strong> großes Präventions- <strong>und</strong> Rehabilitationspotenzial kommt der körperlichen Aktivität zu.<br />

Evans <strong>und</strong> Campbell gehen davon aus, dass körperliche Aktivitäten größere ges<strong>und</strong>heitsfördernde<br />

Wirkung haben, als alle Formen pharmakologischer Behandlungen: “There is no pharmacological<br />

<strong>in</strong>tervention that holds a greater promise of improv<strong>in</strong>g health and promot<strong>in</strong>g <strong>in</strong>dependence<br />

<strong>in</strong> the elderly than does exercise.” (Evans & Campbell, 1993, S. 468). Körperliche<br />

Aktivität ist im gesamten Lebensverlauf wichtig, gew<strong>in</strong>nt im Alter jedoch weiter an Bedeutung<br />

(Yasunaga & Tokunaga, 2001). Ausreichende Bewegung schützt vor chronischen Krankheiten<br />

wie Osteoporose, Diabetes, Bluthochdruck <strong>und</strong> kardiovaskulären Erkrankungen <strong>und</strong> trägt – u.a.<br />

durch ihre sturzpräventive Wirkung – zur Vermeidung von funktionellen E<strong>in</strong>schränkungen bei.<br />

Zudem senken sportliche Betätigungen die Mortalität. Alle<strong>in</strong> die kardiovaskuläre Mortalität<br />

kann dadurch um die Hälfte verr<strong>in</strong>gert werden (Sachverständigenrat, 1996). Körperliche Aktivität<br />

wirkt außerdem biologischen Alterungsprozessen entgegen, <strong>in</strong>dem altersabhängige Verluste<br />

an Muskelkraft, Knochenmasse <strong>und</strong> Lungenkapazität ausgeglichen werden. Positive Effekte<br />

zeigen sich schließlich auch für das Immunsystem <strong>und</strong> die seelische Ges<strong>und</strong>heit, <strong>in</strong>sbesondere<br />

bei Depressivität. Zur Vorbeugung von Erkrankungen (<strong>in</strong>sbesondere kardiovaskulären) reicht<br />

bereits e<strong>in</strong>e 30-m<strong>in</strong>ütige körperliche Bewegung mäßiger Intensität mehrmals pro Woche aus<br />

(Walter & Schwartz, 2001). Doch dieses Präventionspotenzial wird von älteren Personen deutlich<br />

weniger genutzt als von jüngeren (Whitbourne, 2001), während Ältere bezüglich ihrer Ernährungs-<br />

<strong>und</strong> Rauchgewohnheiten durchaus ges<strong>und</strong>heitsbewusster leben als jüngere (Prohaska,<br />

Leventhal, Leventhal, & Keller, 1985).<br />

8.2.4 Emotionale <strong>und</strong> kognitive Faktoren<br />

Weitere Modelle, die besonders von der Ges<strong>und</strong>heitspsychologie, aber auch von anderen psychologischen<br />

Diszipl<strong>in</strong>en (u.a. Gerontopsychologie, Persönlichkeitspsychologie, Kl<strong>in</strong>ische Psychologie)<br />

bearbeitet werden, befassen sich mit der Frage, welchen E<strong>in</strong>fluss kognitive <strong>und</strong> emotionale<br />

Aspekte auf die Ges<strong>und</strong>heit haben. Diese Faktoren können H<strong>in</strong>weise darauf geben, wa-


Kapitel 8: : Prädiktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

rum Menschen entweder aktiv Veränderungen des Körpersystems verlangsamen oder unabsichtlich<br />

beschleunigen (Whitbourne, 2001).<br />

Zu psychischen Risikofaktoren für die Ges<strong>und</strong>heit zählen negative Emotionen <strong>und</strong> Kognitionen<br />

wie Angstgefühle, E<strong>in</strong>samkeit, Fe<strong>in</strong>dseligkeit <strong>und</strong> besonders Depressionen. Negative Affekte<br />

verursachen emotionalem Distress, der sich sowohl über selbstschädigende Verhaltensweisen,<br />

als auch über physiologische Prozesse (wie z.B. der Freisetzung von Katecholam<strong>in</strong>en <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er<br />

dadurch erhöhten Herzrate) negativ auf die Ges<strong>und</strong>heit auswirken kann. Der ges<strong>und</strong>heitsschädigende<br />

E<strong>in</strong>fluss von negativen Affekten wurde besonders für die Entstehung koronarer Herzkrankheiten<br />

wiederholt gezeigt. So haben Personen mit erhöhter Fe<strong>in</strong>dseligkeit, Angstgefühlen<br />

oder Depression e<strong>in</strong>e höhere Rate an Herzerkrankungen, Herzanfällen, ebenso wie e<strong>in</strong>e erhöhte<br />

Mortalität (Aldw<strong>in</strong> & Gilmer, 2004). In H<strong>in</strong>blick auf E<strong>in</strong>samkeit konnte unter anderem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Längsschnittstudie an älteren Personen festgestellt werden, dass e<strong>in</strong>same Personen zwei Jahre<br />

später e<strong>in</strong>e deutlich schlechtere Ges<strong>und</strong>heit hatten, häufiger <strong>in</strong> Heime<strong>in</strong>richtungen gewechselt<br />

waren <strong>und</strong> früher starben (Perlman, 1988).<br />

Im Gegensatz dazu können positive Emotionen <strong>und</strong> Kognitionen als ges<strong>und</strong>heitsprotektiv angesehen<br />

werden, da sie stressm<strong>in</strong>dernd wirken <strong>und</strong> mit positivem Ges<strong>und</strong>heitsverhalten verb<strong>und</strong>en<br />

s<strong>in</strong>d. Besonders gut erforscht ist hierbei die Bedeutung von Optimismus <strong>und</strong> Selbstwirksamkeitserwartungen<br />

für Ges<strong>und</strong>heit:<br />

Im Falle von Optimismus kann es sich sowohl um die positive Erklärung zurückliegender Ereignisse<br />

handeln, als auch um positive (Ergebnis-)Erwartungen an die Zukunft. Für beide Formen<br />

des Optimismus konnte wiederholt gezeigt werden, dass sie e<strong>in</strong>en günstigen E<strong>in</strong>fluss auf<br />

die Ges<strong>und</strong>heit haben, z.B. auf körperliche Symptome, das Immunsystem <strong>und</strong> den Genesungsverlauf<br />

nach Operationen (z.B. Kamen-Siegel, Rod<strong>in</strong>, Seligman, & Dwyer, 1991; Peterson,<br />

Seligman, & Valliant, 1988; Schaier & Carver, 1987; Scheier et al., 1989). Andere Arbeiten<br />

weisen allerd<strong>in</strong>gs auch auf die Grenzen e<strong>in</strong>er positiven Wirkung von Optimismus für Ges<strong>und</strong>heit<br />

h<strong>in</strong>, da e<strong>in</strong> defensiver Optimismus dazu führen kann, dass vorhandene Ges<strong>und</strong>heitsrisiken<br />

unterschätzt werden (Schwarzer, 1993).<br />

Zugleich haben auch Kontrollüberzeugungen, <strong>in</strong>sbesondere Selbstwirksamkeitserwartungen,<br />

e<strong>in</strong>e hohe Bedeutung für die Ges<strong>und</strong>heit. Dabei bezieht sich Selbstwirksamkeit auf die Erwartung,<br />

mit Hilfe eigener Fähigkeiten das Leben bee<strong>in</strong>flussen zu können. In e<strong>in</strong>er Vielzahl von<br />

Studien an jüngeren wie hochaltrigen Personen konnte gezeigt werden, dass Kontrollüberzeugungen<br />

e<strong>in</strong>en günstigen E<strong>in</strong>fluss auf körperliche, subjektive <strong>und</strong> funktionelle Ges<strong>und</strong>heit sowie<br />

das Ges<strong>und</strong>heitsverhalten haben (z.B. Bandura, 1992; Duffy & MacDonald, 1990; Grembowski,<br />

Donald, & Diehr, 1993; Leventhal, Leventhal, & Contrada, 1998; Rod<strong>in</strong>, 1986).<br />

8.2.5 Vorstellungen über das Altern: Alternsbezogene Kognitionen<br />

Seit r<strong>und</strong> dreißig Jahren gibt es Forschung zu „Ageism“, d.h. zu negativen E<strong>in</strong>stellungen <strong>und</strong><br />

Altersstereotypen gegenüber Älteren, zu diskrim<strong>in</strong>ierendem Verhalten <strong>und</strong> entsprechenden <strong>in</strong>stitutionalisierten<br />

Praktiken, die diese Altersstereotypen aufrecht erhalten lassen <strong>und</strong> die zur<br />

E<strong>in</strong>schränkung von Lebensqualität <strong>und</strong> Würde Älterer führen (z.B. Brewer, Dull, & Lui, 1981;<br />

363


364<br />

Susanne Wurm<br />

Hummert, 1990; Hummert, Garstka, Shaner, & Strahm, 1994; Steele, 1997; für e<strong>in</strong>e Übersicht:<br />

Nelson, 2002). E<strong>in</strong>e solche Forschung ersche<strong>in</strong>t vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der demografischen <strong>Entwicklung</strong><br />

bei gleichzeitiger Orientierung – <strong>in</strong>sbesondere der westlichen Gesellschaften – an<br />

Jugendlichkeit von zunehmender Wichtigkeit. Dieses Forschungsfeld zu „Ageism“ wird <strong>in</strong>haltlich<br />

ergänzt durch Forschungen zu <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Erwartungen an das Älterwerden sowie zum<br />

subjektiven Alterserleben (z.B. Connidis, 1989; Crockett & Hummert, 1987; Filipp, Ferr<strong>in</strong>g, &<br />

Klauer, 1989; Heckhausen & Krüger, 1993; Keller, Leventhal, & Larson, 1989).<br />

Allerd<strong>in</strong>gs wird erst seit wenigen Jahren empirisch der Frage nachgegangen, welchen E<strong>in</strong>fluss<br />

Altersstereotype <strong>und</strong> Selbstwahrnehmungen des Älterwerdens auf die Ges<strong>und</strong>heit haben. Hierzu<br />

existieren verschiedene Studien, die von der Forschergruppe um Becca R. Levy erstellt wurden.<br />

Mit Hilfe von kulturvergleichenden Studien <strong>und</strong> Experimenten konnte sie zeigen, dass Altersstereotype<br />

e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf physische Funktionen <strong>und</strong> Gedächtnisleistungen, funktionelle<br />

Ges<strong>und</strong>heitsaspekte wie das Gehen <strong>und</strong> die Handschrift sowie schließlich auch auf den Lebenswillen<br />

haben (Levy, 1998; Levy & Langer, 1994; Levy, Ashman, & Dror, 2000; Levy,<br />

Hausdorff, Hencke, & Wei, 2000; Hausdorff, Levy, & Wei, 1999). Zwei Längsschnittstudien<br />

von Levy <strong>und</strong> Kollegen konnten zudem zeigen, dass auch Selbstwahrnehmungen des Älterwerdens<br />

bedeutsam zur Vorhersage von Ges<strong>und</strong>heit beitragen können. Im Fokus dieser Untersuchungen<br />

stand die Vorhersage von funktioneller Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Langlebigkeit (Levy, Slade, &<br />

Kasl, 2002; Levy, Slade, Kasl, & Kunkel, 2002). Die Ergebnisse dieser beiden Längsschnittstudien<br />

weisen auf die hohe, langfristig wirksame Bedeutung von Selbstwahrnehmungen des Älterwerdens<br />

für die Ges<strong>und</strong>heit h<strong>in</strong> <strong>und</strong> machen deutlich, dass es s<strong>in</strong>nvoll <strong>und</strong> notwendig ersche<strong>in</strong>t,<br />

alternsbezogene Kognitionen (Selbstwahrnehmungen des Älterwerdens, Altersstereotype)<br />

auch <strong>in</strong> anderen Studien zu berücksichtigen.<br />

8.3 Fragestellung <strong>und</strong> Methoden<br />

8.3.1 Fragestellung<br />

Der vorausgehende Abschnitt beschäftigte sich damit, welche Faktoren die Ges<strong>und</strong>heit im Alter<br />

bee<strong>in</strong>flussen können. Hierbei handelt es sich zum e<strong>in</strong>en um genetische <strong>und</strong> biologische Faktoren.<br />

Doch diese können nur zu e<strong>in</strong>em Teil erklären, <strong>in</strong> welcher Weise Alterungsprozesse mit<br />

nachlassender Ges<strong>und</strong>heit zusammenhängen <strong>und</strong> warum Menschen <strong>in</strong> unterschiedlicher Ges<strong>und</strong>heit<br />

altern. Wichtige Erklärungen hierzu liefern zudem gesellschaftliche <strong>und</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong><br />

E<strong>in</strong>flussfaktoren. An diesen können präventive Maßnahmen ansetzen, die zu e<strong>in</strong>em Altern <strong>in</strong><br />

guter Ges<strong>und</strong>heit beitragen. H<strong>in</strong>sichtlich gesellschaftlicher <strong>und</strong> soziale Faktoren steht die Frage<br />

im Vordergr<strong>und</strong>, welche Bedeutung der sozialen Ungleichheit für die Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung<br />

im Alter zukommt. Auf der Ebene <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Verhaltensweisen verweisen bisherige Studien<br />

darauf, dass im Alter besonders die präventive Wirkung körperlicher Aktivitäten unzureichend<br />

genutzt wird. Die Betrachtung psychischer Risiken <strong>und</strong> Ressourcen machte deutlich, dass negativen<br />

Emotionen sowie vor allem Optimismus <strong>und</strong> Selbstwirksamkeit e<strong>in</strong>e hohe Bedeutung für<br />

die Ges<strong>und</strong>heit beigemessen wird. Abschließend wurde betrachtet, <strong>in</strong>wieweit zudem gesellschaftliche<br />

<strong>und</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Vorstellungen vom Älterwerden <strong>und</strong> Alter die Ges<strong>und</strong>heit bee<strong>in</strong>-


Kapitel 8: : Prädiktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

flussen. Neuere Studien von Levy <strong>und</strong> Kollegen machten deutlich, dass die Folgen dieser alternsbezogenen<br />

Kognitionen für die Ges<strong>und</strong>heit nicht unterschätzt werden sollten.<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der dargestellten Modelle <strong>und</strong> empirischen Bef<strong>und</strong>e lassen sich mehrere<br />

Fragen ableiten, die nachfolgend untersucht werden sollen. Dabei beziehen sich die Fragen zunächst<br />

auf die gesamte zweite Lebenshälfte <strong>und</strong> werden deshalb anhand der Gesamtstichprobe<br />

analysiert. Vertiefend erfolgt e<strong>in</strong>e altersgruppenvergleichende Betrachtung, um mögliche Unterschiede<br />

<strong>in</strong>nerhalb der zweiten Lebenshälfte aufdecken zu können.<br />

Betrachtung der Gesamtstichprobe<br />

(1) Wie gut kann soziale Ungleichheit die Ges<strong>und</strong>heit vorhersagen?<br />

(2) Haben verhaltensbezogene <strong>und</strong> psychische Faktoren darüber h<strong>in</strong>ausgehenden Vorhersagewert<br />

für die Ges<strong>und</strong>heit?<br />

(3) Welche Bedeutung kommt alternsbezogenen Kognitionen, d.h. Vorstellungen über das<br />

Älterwerden, für die Ges<strong>und</strong>heit zu? – Können diese auch dann noch die Ges<strong>und</strong>heit vorhersagen,<br />

wenn alle anderen sozialen, verhaltensbezogenen <strong>und</strong> psychologischen Modell<strong>in</strong>dikatoren<br />

bereits berücksichtigt wurden?<br />

Vergleich der Altersgruppen<br />

(1) Weisen die Ergebnisse darauf h<strong>in</strong>, dass die Bedeutung sozialer Faktoren bis zum hohen Alter<br />

gleich bleibt, zunimmt oder abnimmt?<br />

(2) Lässt sich – nach Berücksichtigung aller anderen Modell<strong>in</strong>dikatoren – feststellen, dass den<br />

alternsbezogenen Kognitionen e<strong>in</strong>e mit dem Alter gleichbleibende, zunehmende oder abnehmende<br />

Bedeutung für die Ges<strong>und</strong>heit zukommt?<br />

Von diesen Fragestellungen ausgehend veranschaulicht die folgende schematische Abbildung<br />

8.1 zusammenfassend, welche Indikatorengruppen zur Vorhersage von Ges<strong>und</strong>heit berücksichtigt<br />

werden. Es handelt sich hierbei um vier Gruppen von Wirkfaktoren: soziale Faktoren, Ges<strong>und</strong>heitsverhalten,<br />

psychische Faktoren sowie schließlich alternsbezogene Kognitionen, d.h.<br />

Vorstellungen über das Älterwerden.<br />

Abbildung 8.1:<br />

E<strong>in</strong>gesetzte Indikatorengruppen zur Vorhersage des Ges<strong>und</strong>heitszustandes<br />

Erhebungszeitpunkt t1, 1996 Erhebungszeitpunkt t2, 2002<br />

Soziale Faktoren<br />

Ges<strong>und</strong>heitsverhalten<br />

Psychische Faktoren<br />

Alternsbezogene Kognitionen<br />

GESUNDHEIT<br />

365


366<br />

Susanne Wurm<br />

Die Abbildung enthält e<strong>in</strong>e Form der Darstellung, die der Analyse von Querschnittsdaten ähnelt.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs liegt im Fall von Querschnittsuntersuchungen e<strong>in</strong>e Ges<strong>und</strong>heitsmessung<br />

zugr<strong>und</strong>e, die zum selben Zeitpunkt erfolgte, wie die Erfassung der Faktoren (Prädiktoren),<br />

welche den Ges<strong>und</strong>heitszustand erklären sollen. Anhand dieser Daten lassen sich deshalb ausschließlich<br />

korrelative Aussagen treffen.<br />

Im Längsschnitt h<strong>in</strong>gegen werden die Prädiktoren zeitlich früher erhoben, als der Ges<strong>und</strong>heitszustand,<br />

so dass e<strong>in</strong>e zeitversetzte Vorhersage erfolgen kann. Dabei geht <strong>in</strong> die Vorhersage der<br />

(zeitlich nachfolgenden) Ges<strong>und</strong>heit implizit neben den Prädiktoren auch das Niveau des zeitlich<br />

vorausgehenden Ges<strong>und</strong>heitszustands e<strong>in</strong>. Dies bedeutet, dass beispielsweise der positive<br />

E<strong>in</strong>fluss ges<strong>und</strong>heitsförderlichen Verhaltens auf die nachfolgende Ges<strong>und</strong>heit auch dadurch<br />

mitbed<strong>in</strong>gt ist, dass die betreffende Person bereits zum ersten Befragungszeitpunkt aufgr<strong>und</strong><br />

dieses Verhaltens e<strong>in</strong>e gute Ges<strong>und</strong>heit hatte. Diese Konf<strong>und</strong>ierung von Prädiktoren <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />

erschwert die Interpretation dessen, welche Faktoren tatsächlich für Ges<strong>und</strong>heitsveränderungen<br />

verantwortlich s<strong>in</strong>d.<br />

Um e<strong>in</strong>e vom ges<strong>und</strong>heitlichen Ausgangsniveau unabhängige Information über die Bedeutung<br />

der Prädiktoren zu erhalten, ist es s<strong>in</strong>nvoll, statt e<strong>in</strong>er bloßen Vorhersage des Ges<strong>und</strong>heitszustandes<br />

zum Zeitpunkt der Wiederholungsbefragung, e<strong>in</strong>e Vorhersage der Ges<strong>und</strong>heitsveränderungen<br />

zu machen. Die nachfolgende Abbildung 8.2 veranschaulicht die Betrachtung der Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung.<br />

Abbildung 8.2:<br />

E<strong>in</strong>gesetzte Indikatorengruppen zur Vorhersage von Ges<strong>und</strong>heitsveränderungen<br />

Erhebungszeitpunkt t1, 1996 Erhebungszeitpunkt t2, 2002<br />

GESUNDHEIT<br />

Soziale Faktoren<br />

Ges<strong>und</strong>heitsverhalten<br />

Psychische Faktoren<br />

Alternsbezogene Kognitionen<br />

GESUNDHEIT<br />

In diesem Fall erfolgt e<strong>in</strong> Vergleich zwischen der Ges<strong>und</strong>heit zur Erstbefragung <strong>und</strong> jener zum<br />

Zeitpunkt der Wiederholungsbefragung. E<strong>in</strong>e Veränderung zwischen diesen beiden Ges<strong>und</strong>heitsmessungen<br />

<strong>und</strong> damit die Erfassung der Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung wird ermittelt, <strong>in</strong>dem der<br />

Ges<strong>und</strong>heitszustand zum ersten Messzeitpunkt kontrolliert wird. Diese Technik e<strong>in</strong>er „residualisierten<br />

Regression“ ist dem Verfahren vorzuziehen, Veränderungswerte (y2-y1) zu berechnen<br />

(Aldw<strong>in</strong> & Gilmer, 2004), unter anderem, da es bei diesem Vorgehen zu ke<strong>in</strong>er Verdopplung<br />

der Messfehler kommt.<br />

Wie der Abbildung zu entnehmen ist, wird, neben den e<strong>in</strong>geführten Prädiktoren, zusätzlich der<br />

Ges<strong>und</strong>heitszustand zum Zeitpunkt der Ersterhebung berücksichtigt. Dieses Vorgehen zur Be-


Kapitel 8: : Prädiktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

trachtung von Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung wird <strong>in</strong> nachfolgenden Analysen präferiert, aus Vergleichsgründen<br />

werden jedoch auch Ergebnisse mit dargestellt, die auf der zeitversetzten Vorhersage<br />

des Ges<strong>und</strong>heitszustandes beruhen (Abbildung 8.1).<br />

8.3.2 Datengr<strong>und</strong>lage<br />

Den folgenden empirischen Analysen liegen die Daten der Panelstichprobe des Alterssurveys<br />

zugr<strong>und</strong>e. Es handelt sich hierbei somit um jene Personen, die zur Erstbefragung 1996 zwischen<br />

40 <strong>und</strong> 85 Jahren alt waren <strong>und</strong> entsprechend bei der Wiederholungsbefragung im Jahr 2002 im<br />

Alter von 46 <strong>und</strong> 91 Jahren waren (nähere Angaben zur Stichprobe: vgl. Kapitel 2). Für die<br />

Analysen wurden Indikatoren verwendet, die teilweise über das mündliche Interview, teilweise<br />

über den schriftlichen Fragebogen gewonnen wurden. Die Stichprobengröße beträgt dadurch<br />

n=1.286, da nur jene Personen e<strong>in</strong>bezogen wurden, die beide Befragungsteile beantworteten<br />

(vgl. Kapitel 2) 1 .<br />

Die Stichprobe wurde, wie bereits <strong>in</strong> Kapitel 2 beschrieben, nach Altersgruppe, Geschlecht <strong>und</strong><br />

Region (Ost/West) geschichtet gezogen. Diese Stichprobenschichtung wird bei nachfolgenden<br />

Regressionsanalysen berücksichtigt (vgl. Abschnitt 8.3.4). Analog zur Stichprobenschichtung<br />

werden <strong>in</strong> den Auswertungen deshalb folgende drei Altersgruppen unterschieden:<br />

(1) Die jüngste Altersgruppe ist zum zweiten Befragungszeitpunkt zwischen 46 <strong>und</strong> 60 Jahre<br />

alt (n1=564),<br />

(2) die mittlere Altersgruppe ist im Alter von 61 <strong>und</strong> 75 Jahren (n2=507),<br />

(3) die älteste Altersgruppe ist im Alter von 76 <strong>und</strong> 91 Jahren (n3=215).<br />

Die Altersangaben erfolgen an dieser Stelle für das Jahr der Wiederholungsbefragung, da sich<br />

die Ges<strong>und</strong>heitsvorhersage auf diesen Befragungszeitpunkt bezieht (vgl. Abbildung 8.2).<br />

8.3.3 Erhebungs<strong>in</strong>strumente<br />

Für die nachfolgenden Analysen werden zwei Ges<strong>und</strong>heits<strong>in</strong>dikatoren verwendet, deren Informationen<br />

zu beiden Befragungswellen des Alterssurveys erhoben wurden. Es handelt sich hierbei<br />

um e<strong>in</strong> Maß für die Anzahl körperlicher Erkrankungen (Multimorbidität) <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Maß für<br />

die subjektive Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung:<br />

Indikator „Anzahl körperlicher Erkrankungen, Multimorbidität“: Für <strong>in</strong>sgesamt 11 chronische<br />

Erkrankungen <strong>und</strong> Funktionse<strong>in</strong>bußen, die per Selbstaussagen erhoben wurden, konnten die<br />

1 Fehlende E<strong>in</strong>zelwerte wurden durch Datenimputation mittels EM-Schätzverfahren ergänzt (Dempster, Laird, &<br />

Rub<strong>in</strong>, 1977). Dies hat den Vorteil, dass es bei nachfolgenden Regressionsanalysen zu ke<strong>in</strong>en systematischen Ausfallprozessen<br />

jener Personen kommt, die E<strong>in</strong>zelfragen nicht ausgefüllt haben bzw. bei denen vere<strong>in</strong>zelte Daten<strong>in</strong>formationen<br />

aufgr<strong>und</strong> von fehlerhaften Angaben (z.B. Doppelnennungen) nicht berücksichtigt werden konnten.<br />

367


368<br />

Susanne Wurm<br />

Zielpersonen angeben, ob sie von diesen betroffen s<strong>in</strong>d oder nicht. Es handelte sich hierbei unter<br />

anderem um die Frage nach dem Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Herz- oder Kreislauferkrankung, Durchblutungsstörungen,<br />

Gelenk-, Knochen-, Bandscheiben- oder Rückenleiden, Augenleiden oder<br />

Sehstörungen, Ohrenleiden oder Schwerhörigkeit. Für den Indikator „körperliche Erkrankungen“<br />

(Multimorbidität) wurde pro Person die Zahl der genannten Erkrankungen aufsummiert, so<br />

dass e<strong>in</strong> hoher Summenwert für e<strong>in</strong>e hohe Multimorbidität steht.<br />

Indikator „subjektive Ges<strong>und</strong>heit“: Die Erhebung der subjektiven Ges<strong>und</strong>heit erfolgte durch die<br />

E<strong>in</strong>zelfrage „Wie bewerten Sie Ihren derzeitigen Ges<strong>und</strong>heitszustand?“. Die Codierung dieses<br />

Indikators erfolgte so, dass e<strong>in</strong> hoher Wert für e<strong>in</strong>e gute Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung steht.<br />

Der nachfolgenden Tabelle 8.1 kann die deskriptive Beschreibung beider Ges<strong>und</strong>heits<strong>in</strong>dikatoren<br />

entnommen werden.<br />

Tabelle 8.1:<br />

Statistische Kennwerte der Ges<strong>und</strong>heits<strong>in</strong>dikatoren<br />

Indikator Mean SD M<strong>in</strong>imum Maximum<br />

Körperl. Erkrankg. (1996) 2,32 1,78 0 10<br />

Körperl. Erkrankg. (2002) 2,46 1,82 0 10<br />

Subjekt. Ges<strong>und</strong>heit (1996) 3,63 0,78 1 5<br />

Subjekt. Ges<strong>und</strong>heit (2002) 3,49 0,78 1 5<br />

Quelle: Panelstichprobe des Alterssurveys, ungewichtet (n= 1.286)<br />

Zur Vorhersage von Ges<strong>und</strong>heit werden Indikatoren e<strong>in</strong>gesetzt, die sich an den <strong>in</strong> Abschnitt 8.2<br />

vorgestellten Wirkfaktoren für Ges<strong>und</strong>heit orientieren. Es werden dementsprechend soziale<br />

Faktoren (Messung vertikaler <strong>und</strong> horizontaler Ungleichheiten), Faktoren des Ges<strong>und</strong>heitsverhaltens<br />

sowie psychische Faktoren unterschieden. Im folgenden werden die e<strong>in</strong>gesetzten Indikatoren<br />

kurz erläutert.<br />

Soziale Indikatoren<br />

Zentrale Dimensionen zur Messung sozioökonomischer bzw. vertikaler Ungleichheit s<strong>in</strong>d Bildungsstatus,<br />

Berufsstatus <strong>und</strong> E<strong>in</strong>kommen (vgl. Abschnitt 9.2.2). Hierfür wurden folgende Indikatoren<br />

gebildet: Der Indikator ‚Bildungsstatus’ ist e<strong>in</strong> zusammengesetztes Maß aus dem genannten<br />

höchsten Schulabschluss sowie dem höchsten Ausbildungsabschluss. Unterschieden<br />

wird hierbei zwischen Personen ger<strong>in</strong>ger, mittlerer <strong>und</strong> vergleichsweise hoher Bildung. Personen<br />

‚ger<strong>in</strong>ger Bildung’ haben zumeist ke<strong>in</strong>en Schulabschluss oder e<strong>in</strong>en Hauptschulabschluss<br />

jedoch ke<strong>in</strong>e Berufsausbildung; Personen mittlerer Bildung haben zumeist e<strong>in</strong>en Hauptschulabschluss<br />

mit Berufsausbildung oder e<strong>in</strong>en Realschulabschluss ohne Berufsausbildung; Personen<br />

vergleichsweise hoher Bildung haben e<strong>in</strong>en Realschul- <strong>und</strong> Ausbildungsabschluss bzw. Abitur<br />

(nähere Angaben zur Zusammensetzung schulischer <strong>und</strong> beruflicher Bildung: Motel, 2000). Der<br />

Indikator ‚Berufsstatus’ (Prestige) misst den relativen sozialen Status e<strong>in</strong>er Person. Auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage e<strong>in</strong>er ISCO-Codierung offener Angaben zu beruflichen Tätigkeiten wurde das Berufsprestige<br />

nach Treiman gebildet (zum Vergleich verschiedener Prestigeskalen im Alterssur-


Kapitel 8: : Prädiktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

vey: Kohli et al., 2000). Um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass das Sozialprestige von<br />

Frauen oftmals wesentlich durch die Tätigkeit des Mannes mitdef<strong>in</strong>iert ist, – vor allem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Stichprobe von überwiegend älteren <strong>und</strong> alten Befragten – wird für zusammenlebende Paare das<br />

jeweils höchste Berufsprestige verwendet (haushaltsbezogenes Berufsprestige). Ebenso geht das<br />

E<strong>in</strong>kommen nicht als personen-, sondern als haushaltsbezogenes E<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong> die Analysen<br />

e<strong>in</strong>. Beim Äquivalenze<strong>in</strong>kommen handelt es sich um das Haushaltsnettoe<strong>in</strong>kommen, das anhand<br />

der Anzahl der Haushaltsmitglieder gewichtet wird (Motel & Wagner, 1993). Es ist damit e<strong>in</strong><br />

Maß, dass ausdrückt, wie viel Geld pro Haushaltsmitglied zur Verfügung steht.<br />

Neben vertikaler Ungleichheit gehen zusätzlich zwei Maße horizontaler Ungleichheit <strong>in</strong> die<br />

Analysen e<strong>in</strong>: Ausgehend vom Familienstand der Befragten wurde e<strong>in</strong> dichotomer Indikator zur<br />

Lebensform gebildet, der zwischen Personen unterscheidet, die mit e<strong>in</strong>em Partner zusammenleben<br />

<strong>und</strong> solchen, die alle<strong>in</strong>e leben. Ebenso wird die Anzahl der K<strong>in</strong>der berücksichtigt. Für Personen,<br />

die vier oder mehr K<strong>in</strong>der haben wurde e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Kategorie (m<strong>in</strong>destens vier<br />

K<strong>in</strong>der) gebildet.<br />

Indikatoren des Ges<strong>und</strong>heitsverhaltens<br />

Der hohen Bedeutung folgend, die körperliche Aktivität für die Ges<strong>und</strong>heit im Alter hat (vgl.<br />

Abschnitt 8.2.3) wurden zwei Maße zur Erfassung körperlicher Aktivität ausgewählt. Sportliche<br />

Aktivitäten wurden über e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelfrage erfasst, mit der die Häufigkeit sportlicher Aktivitäten<br />

wie z.B. Wandern, Fußball, Gymnastik oder Schwimmen, erhoben wurde. Auf e<strong>in</strong>er sechsstufigen<br />

Skala konnten angegeben werden, sportliche Aktivitäten „nie“ bis „täglich“ auszuüben.<br />

Neben dem Sport als <strong>in</strong>tensivere körperliche Aktivität wurde auch die gemäßigtere Bewegungsform<br />

‚Spazierengehen’ erhoben. Analog zur sportlichen Aktivität wurde erfragt, wie häufig e<strong>in</strong>e<br />

Person spazieren geht.<br />

Psychische Indikatoren<br />

Zur Erfassung der Bedeutung positiver <strong>und</strong> negativer Emotionen <strong>und</strong> Kognitionen für die Ges<strong>und</strong>heit<br />

(vgl. Abschnitt 8.2.4) werden <strong>in</strong> den nachfolgenden Analysen folgende psychologische<br />

Skalen berücksichtigt, die sich über wiederholten E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> zahlreichen Studien etabliert haben:<br />

Mit Hilfe der PANAS-Skala (Positive and Negative Affect Scale; Watson, Clark, & Tellegen,<br />

1988) werden positive <strong>und</strong> negative Emotionen erfasst, mit der Lebenszufriedenheitsskala<br />

(Pavot & Diener, 1993) geht zudem die kognitive Komponente des Wohlbef<strong>in</strong>dens <strong>in</strong> die Analysen<br />

e<strong>in</strong>. Berücksichtigt wird zudem die HOPE-Skala (Snyder et al., 1991). Diese misst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

geme<strong>in</strong>samen Dimension Optimismus <strong>und</strong> Selbstwirksamkeitserwartungen. Ebenfalls e<strong>in</strong>gesetzt<br />

wurde die E<strong>in</strong>samkeitsskala nach De Jong-Gierveld & Kamphuis (Jong-Gierveld &<br />

Kamphuis, 1985).<br />

Zusätzlich erfolgte e<strong>in</strong>e Skalenneuentwicklung auf der Gr<strong>und</strong>lage von Fragen, mit denen die<br />

durch gesellschaftliche Stereotype wie <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Erfahrungen geprägte Sicht auf das Älterwerden<br />

erhoben wurde (vgl. Abschnitt 8.2.5). Bei den „AgeCog“-Skalen (Age-related Cognitions;<br />

Wurm, 2004) handelt es sich um vier Skalen zur Erfassung alternsbezogener Kognitionen.<br />

Diese be<strong>in</strong>halten, <strong>in</strong> welchem Maß e<strong>in</strong>e Person das Altern mit Gew<strong>in</strong>nen bzw. Verlusten ver-<br />

369


370<br />

Susanne Wurm<br />

b<strong>und</strong>en empf<strong>in</strong>det. H<strong>in</strong>sichtlich der positiven Aspekte („Gew<strong>in</strong>ne“) des Älterwerdens wird betrachtet,<br />

ob das Älterwerden als Lebensphase persönlicher Weiterentwicklung sowie e<strong>in</strong>e Lebensphase<br />

zunehmender Selbst<strong>in</strong>tegration, d.h. Zufriedenheit mit sich selbst, betrachtet wird. In<br />

H<strong>in</strong>blick auf negative Aspekte des Älterwerdens („Verluste“) werden physische Verluste <strong>und</strong><br />

soziale Verluste unterschieden. E<strong>in</strong>e deskriptive Übersicht über die e<strong>in</strong>gesetzten Indikatoren<br />

kann Tabelle 8.2 entnommen werden.<br />

Zwei Indikatoren werden <strong>in</strong> die Regressionsberechnungen als kategoriale Variablen aufgenommen.<br />

Dies betrifft zum e<strong>in</strong>en die Bildung, da bei dieser e<strong>in</strong>erseits ke<strong>in</strong> Intervallskalen-Niveau<br />

vorliegt, andererseits auch gruppenspezifische, nicht-l<strong>in</strong>eare Effekte für Ges<strong>und</strong>heit denkbar<br />

s<strong>in</strong>d (es kann beispielsweise der Fall se<strong>in</strong>, dass Personen mit mittlerem Bildungsniveau e<strong>in</strong>e<br />

schlechtere subjektive Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung haben als Personen mit ger<strong>in</strong>ger <strong>und</strong> hoher<br />

Bildung). Zum anderen betrifft dies die Schichtungsvariable „Altersgruppe“. Da es sich hierbei<br />

implizit zugleich um verschiedene Geburtskohorten handelt, s<strong>in</strong>d gr<strong>und</strong>sätzlich nicht-l<strong>in</strong>eare<br />

Kohortenunterschiede möglich. Im Fall von Ges<strong>und</strong>heit ist zwar von e<strong>in</strong>er Dom<strong>in</strong>anz der Bedeutung<br />

des Alters gegenüber der Kohorte auszugehen, dennoch wird die Variable kategorial <strong>in</strong><br />

die Analysen aufgenommen.<br />

Tabelle 8.2:<br />

Übersicht über e<strong>in</strong>gesetzte Indikatoren zur Vorhersage von Ges<strong>und</strong>heit<br />

Indikatorgruppe Indikator % Mean SD M<strong>in</strong>. Max. Cronb.α<br />

Stichproben-<br />

Schichtungsfakt.<br />

Altersgruppe<br />

– – – –<br />

jüngste (46-60J.) 43,9<br />

mittlere (61-75J.) 39,4 – – – –<br />

älteste (76-91J.) 16,7 – – – –<br />

Geschlecht männlich 52,5 – – – –<br />

weiblich 47,5 – – – –<br />

Region Ost 36,5 – – – –<br />

West 63,5 – – – –<br />

Soziale Faktoren Prestige 48,4 11,97 18 78 –<br />

E<strong>in</strong>kommen 2617,4 1414,96 450 20000 –<br />

Bildung ger<strong>in</strong>ge 8,2 – – – –<br />

mittlere 46,4 – – – –<br />

hohe 45,3 – – – –<br />

Lebensform alle<strong>in</strong>leb. 19,7 – – – –<br />

zus.lebend 80,3 – – – –<br />

K<strong>in</strong>der 1,9 1,10 0 4 –<br />

Körperliche Sport 1,9 1,72 0 5 –<br />

Aktivität Spazieren gehen 3,2 1,57 0 5 –


Kapitel 8: : Prädiktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

Tabelle 8.2 (fortgesetzt):<br />

Indikatorgruppe Indikator Mean SD M<strong>in</strong>. Max. Cronb.α<br />

Körperl. Aktivität Sport 1,86 1,72 0 5 –<br />

Spazieren gehen 3,15 1,57 0 5 –<br />

Psych. Faktoren Hope (‚Hoffnung’) 3,13 0,49 1 4 .86<br />

E<strong>in</strong>samkeit 1,72 0,56 1 4 .89<br />

Positive Emotionen 3,39 0,58 1 5 .86<br />

Negative Emotionen 2,08 0,49 1 3,7 .81<br />

Lebenszufriedenheit 3,78 0,79 1 5 .85<br />

Alternsbezogene AC-Weiterentwicklung 2,96 0,58 1 4 .72<br />

Kognition (AC) AC-Selbst<strong>in</strong>tegration 3,07 0,52 1 4 .66<br />

AC-Physische Verluste 2,81 0,62 1 4 .77<br />

AC-Soziale Verluste 1,70 0,59 1 4 .73<br />

Quelle: Panelstichprobe des Alterssurveys, ungewichtet (n= 1.286). Alle dargestellten Indikatoren beziehen sich auf<br />

den ersten Befragungszeitpunkt (1996)<br />

In welcher Weise die zahlreichen Indikatoren auf bivariater Ebene mite<strong>in</strong>ander zusammenhängen,<br />

kann nachfolgender Tabelle 8.3 entnommen werden. Dargestellt s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> dieser Tabelle<br />

sowohl die Ges<strong>und</strong>heits<strong>in</strong>dikatoren, die vorhergesagt werden sollen, als auch die hierfür e<strong>in</strong>gesetzten<br />

Prädiktoren. Diese beziehen sich e<strong>in</strong>heitlich auf Informationen, die <strong>in</strong> der Erstbefragung<br />

(1996) erhoben wurden. Zusätzlich aufgenommen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Tabelle auch die Variablen Altersgruppe,<br />

Region (Ost-/Westdeutschland) sowie Geschlecht, nach denen die Stichprobe geschichtet<br />

wurde. E<strong>in</strong>e Betrachtung der bivariaten Korrelationen macht deutlich, dass alle Korrelationen<br />

zwischen den e<strong>in</strong>gesetzten Prädiktoren kle<strong>in</strong>er als r


Tabelle 8.3:<br />

Bivariate Korrelationen aller Indikatoren<br />

372<br />

Indikator 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22<br />

1 Körp. Erkrankg. 1996 1.00<br />

2 Körp. Erkrankg. 2002 .51 1.00<br />

3 Subj. Ges.heit 1996 -.48 -.40 1.00<br />

4 Subj. Ges.heit 2002 -.33 -.40 .48 1.00<br />

5 Altersgruppe .35 .34 -.20 -.20 1.00<br />

6 Region (Ost/West) -.02 -.03 .08 .09 -.05 1.00<br />

7 Geschlecht .00 .04 -.01 -.01 -.04 -.03 1.00<br />

-.14 -.11 .16 .12 -.07 .04 .00 1.00<br />

8 Prestige 1<br />

9 E<strong>in</strong>kommen -.11 -.13 .20 .14 -.08 .28 -.05 .34 1.00<br />

10 Bildung -.20 -.17 .20 .15 -.25 -.02 -.08 .49 .31 1.00<br />

11 Lebensform -.07 -.11 .09 .14 -.17 .03 -.18 .05 .05 .09 1.00<br />

12 K<strong>in</strong>der .03 .03 .01 .02 .00 -.04 .04 -.06 -.14 -.08 .18 1.00<br />

13 Sport -.10 -.13 .18 .16 -.14 .22 .06 .16 .16 .13 .05 -.05 1.00<br />

14 Spazieren gehen .05 .07 .01 -.01 .21 .08 .08 .03 -.04 -.06 -.09 .00 .12 1.00<br />

15 Hope (‚Hoffnung’) -.15 -.10 .15 .12 .01 .01 -.06 .02 .09 .04 .08 .02 .00 .03 1.00<br />

16 E<strong>in</strong>samkeit .11 .09 -.17 -.11 -.01 .07 -.06 -.03 -.06 -.02 -.17 -.05 .01 -.05 -.32 1.00<br />

17 Posit. Emotionen -.19 -.13 .24 .18 -.14 .07 .05 .17 .19 .16 .07 -.04 .16 .06 .43 -.32 1.00<br />

18 Negat. Emotionen .14 .10 -.14 -.05 -.19 .02 .12 .02 -.03 .05 .02 .06 .08 -.04 -.31 .31 -.16 1.00<br />

19 Lebengszufriedenh. -.12 -.10 .26 .18 .11 .16 .03 .08 .22 .01 .16 .04 .05 .12 .47 -.41 .31 -.29 1.00<br />

20 AC-Weiterentwicklg 2 -.17 -.23 .24 .22 -.26 .07 .05 .10 .17 .22 .10 .02 .12 .02 .46 -.23 .48 -.11 .28 1.00<br />

Susanne Wurm<br />

21 AC-Selbst<strong>in</strong>tegration .07 .04 -.01 .01 .10 -.04 .05 -.07 .00 -.04 -.03 .06 -.01 .14 .30 -.16 .23 -.11 .16 .32 1.00<br />

22 AC-phys.Verluste .35 .32 -.43 -.25 .23 -.06 .01 -.11 -.10 -.16 -.06 .01 -.15 .00 -.14 .08 -.28 .17 -.12 -.33 .13 1.00<br />

23 AC-soziale Verluste .15 .13 -.20 -.16 .06 -.07 .03 -.15 -.14 -.15 -.19 -.02 -.08 .00 -.32 .39 -.38 .24 -.27 -.39 -.09 .30<br />

1 2<br />

Dieser Prädiktor beruht wie alle nachfolgenden auf dem ersten Erhebungszeitpunkt (1996); AC = Alternsbezogene Kognitionen (age-related cognitions)<br />

Quelle: Panelstichprobe des Alterssurveys, ungewichtet (n=1.286)


Kapitel 8: Prädiktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

8.3.4 Auswertungsverfahren<br />

Zur Untersuchung der genannten Fragestellungen wurden l<strong>in</strong>eare Regressionen gerechnet. Um<br />

verschiedene Gruppen von E<strong>in</strong>flussfaktoren (u.a. soziale <strong>und</strong> psychische Faktoren) betrachten<br />

zu können, wurden hierbei sequentielle Regressionen gewählt. E<strong>in</strong> solches Verfahren empfiehlt<br />

sich, wenn aufgr<strong>und</strong> theoretischer Vorüberlegungen verschiedene Variablengruppen nache<strong>in</strong>ander<br />

(hierarchisch) <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Regressionsmodell aufgenommen werden sollen (Tabachnik & Fidell,<br />

2001). Nach Kontrolle jener Variablen, welche die Stichprobenschichtung ausgleichen, kann<br />

dadurch zunächst betrachtet werden, <strong>in</strong>wieweit die Gruppe der Sozial<strong>in</strong>dikatoren Ges<strong>und</strong>heit<br />

vorhersagen kann (Modell 2, s.u.). Anschließend wird das Ges<strong>und</strong>heitsverhalten (hier: körperliche<br />

Aktivität) <strong>in</strong> das Modell e<strong>in</strong>bezogen <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiteren Schritt auch psychologische<br />

Indikatoren <strong>in</strong> das Regressionsmodell aufgenommen. Hierbei handelt sich es zunächst um die<br />

beschriebenen etablierten psychologischen Skalen. Diese Form von Hierarchisierung wurde<br />

gewählt, um zunächst die Bedeutung äußerer, sozialer Faktoren für die Ges<strong>und</strong>heit untersuchen<br />

zu können, bevor betrachtet wird, ob darüber h<strong>in</strong>ausgehend auch Verhaltensweisen <strong>und</strong> schließlich<br />

<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Emotionen <strong>und</strong> Kognitionen e<strong>in</strong>e Rolle für die Ges<strong>und</strong>heit spielen. In e<strong>in</strong>em<br />

letzten Schritt (Modell 5, s.u.) wird schließlich betrachtet, ob nach Berücksichtigung aller anderen<br />

Faktoren auch alternsbezogene Kognitionen noch e<strong>in</strong>e Ges<strong>und</strong>heitsvorhersage leisten können.<br />

Dieses methodische Vorgehen ist h<strong>in</strong>sichtlich der Bedeutung psychischer Faktoren für die<br />

Ges<strong>und</strong>heit e<strong>in</strong> konservatives Modell, da es zuvor andere E<strong>in</strong>flüsse berücksichtigt.<br />

Sofern nicht der Ges<strong>und</strong>heitszustand zum zweiten Erhebungszeitpunkt vorhergesagt werden soll<br />

(zeitversetzte Prädiktion), sondern Ges<strong>und</strong>heitsveränderungen, wird zunächst der Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />

zum ersten Erhebungszeitpunkt kontrolliert (Modell 0). Dieses sequentielle Vorgehen<br />

zur Vorhersage von Ges<strong>und</strong>heit lässt sich wie folgt zusammenfassen:<br />

Sequentielles Regressionsmodell:<br />

Modell 0: Kontrolle des Ges<strong>und</strong>heitszustandes zum ersten Messzeitpunkt<br />

Modell 1: Kontrolle der Stichproben-Schichtungskriterien<br />

Modell 2: (zusätzliche) Aufnahme der sozialen Indikatoren<br />

Modell 3: (zusätzliche) Aufnahme der körperlichen Aktivität<br />

Modell 4: (zusätzliche) Aufnahme etablierter psychologischer Indikatoren<br />

Modell 5: (zusätzliche) Aufnahme ‚alternsbezogener Kognitionen’<br />

8.4 Ergebnisse<br />

Die folgenden Ergebnisdarstellungen untergliedern sich, den Fragestellungen folgend, <strong>in</strong> mehrere<br />

Schritte: Beg<strong>in</strong>nend mit e<strong>in</strong>er Betrachtung von Multimorbidität wird zunächst <strong>in</strong> Abschnitt<br />

8.4.1 für die Gesamtstichprobe der Frage nachgegangen, welchen Beitrag soziale Faktoren zur<br />

Vorhersage von Multimorbidität leisten können. Neben der Gruppe der Sozial<strong>in</strong>dikatoren f<strong>in</strong>den<br />

auch verhaltensbezogene <strong>und</strong> psychische Faktoren sowie die alternsbezogene Kognitionen besondere<br />

Beachtung (vgl. Frage a1 bis a3). In e<strong>in</strong>er ergänzenden Darstellung wird zusätzlich<br />

betrachtet, welche der berücksichtigten E<strong>in</strong>zel<strong>in</strong>dikatoren e<strong>in</strong>en besonderen Vorhersagewert für<br />

373


374<br />

Susanne Wurm<br />

Ges<strong>und</strong>heit haben (Frage a4). Daran schließen sich altersgruppendifferenzierte Betrachtungen<br />

an. Hierbei wird <strong>in</strong> Abschnitt 8.4.2 die Frage verfolgt, ob die Bedeutung von sozialen Faktoren<br />

zur Vorhersage von Multimorbidität <strong>in</strong>nerhalb der zweiten Lebenshälfte gleich bleibt bzw. <strong>in</strong><br />

welcher Weise sich diese verändert (vgl. Frage b1). Ebenso wird betrachtet, ob die Bedeutung<br />

alternsbezogener Kognitionen zur Vorhersage körperlicher Erkrankungen altersabhängig zunimmt,<br />

ob diese gleich bleibt oder sogar abnimmt (vgl. Frage b2).<br />

Das gleiche Vorgehen wird ergänzend zur Vorhersage der Multimorbidität auch zur Vorhersage<br />

subjektiver Ges<strong>und</strong>heit gewählt. Ergebnisse, die sich auf die Gesamtstichprobe beziehen, können<br />

Abschnitt 8.4.3 entnommen werden. Wie bereits für die Multimorbidität, erfolgt neben e<strong>in</strong>er<br />

Betrachtung der Gesamtstichprobe auch e<strong>in</strong>e altersgruppendifferenzierte Vorhersage subjektiver<br />

Ges<strong>und</strong>heit, die Abschnitt 8.4.4 zu entnehmen ist.<br />

8.4.1 Vorhersage von körperlichen Erkrankungen<br />

Zur Vorhersage der Anzahl von körperlichen Erkrankungen wurden sequentielle Regressionsmodelle<br />

berechnet. Anhand von Tabelle 8.4 ist zu entnehmen, wie gut die e<strong>in</strong>gesetzten Modelle<br />

die Anzahl körperlicher Erkrankungen (Multimorbidität) vorhersagen können.<br />

Tabelle 8.4:<br />

Vorhersage von Multimorbiditätszustand <strong>und</strong> Multimorbiditätsentwicklung<br />

Körperliche Erkrankungen (t2)<br />

zeitversetzte Prädiktion:<br />

Krankheitszustand t2<br />

Krankheitsentwicklung<br />

t1t2<br />

Modell ∆R 2 ∆R 2<br />

0 Kontrolle Erkrankungen (t1) – .262***<br />

1 Kontrolle Stichproben-Schichtung .123*** .033***<br />

2 Soziale Indikatoren .027*** .007<br />

3 Körperliche Aktivität .015* .003<br />

4 Psychische Indikatoren .033*** .007*<br />

5 Alternsbezogene Kognitionen .039*** .018***<br />

R 2 = .216 .330<br />

***p


Kapitel 8: Prädiktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

Betrachtet man zunächst die zeitversetzte Prädiktion körperlicher Erkrankungen (1. Ergebnisspalte,<br />

„Krankheitszustand t2“), wird deutlich, dass alle Prädiktorgruppen e<strong>in</strong>e statistisch bedeutsame<br />

Vorhersage leisten können. Die höchste Varianzaufklärung (12,3%) erfolgt hierbei<br />

über die Stichprobenschichtungs-Kriterien (Altersgruppe, Region, Geschlecht). Wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

weiteren Schritt der Ergebnisdarstellung noch deutlich wird, ist diese hohe Bedeutsamkeit alle<strong>in</strong><br />

auf die Indikatoren zur „Altersgruppe“ zurückzuführen. Dieses Ergebnis verweist auf die Altersabhängigkeit<br />

körperlicher Erkrankungen. E<strong>in</strong>e, über die Stichprobenkriterien h<strong>in</strong>ausgehende,<br />

zusätzliche Varianzaufklärung durch die Sozial<strong>in</strong>dikatoren beträgt 1,7 Prozent. Die Gruppe<br />

körperlicher Aktivität kann darüber h<strong>in</strong>ausgehend nur e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Vorhersagebeitrag leisten<br />

(0,5%), während psychische Indikatoren r<strong>und</strong> doppelt so viel Varianz (3,3%) aufklären, im Vergleich<br />

zu den Sozial<strong>in</strong>dikatoren. Nach Berücksichtigung all dieser Indikatorgruppen bleiben<br />

auch die alternsbezogenen Kognitionen zur zeitversetzten Vorhersage des Ges<strong>und</strong>heitszustandes<br />

bedeutsam. Abgesehen von den Stichprobenschichtungs-Kriterien (Altersgruppe) können sie<br />

Multimorbidität am besten vorhersagen (3,9% Varianzaufklärung).<br />

Während die zeitversetzte Prädiktion vom Ausgangsniveau des Krankheitszustandes zur Erstbefragung<br />

abhängig ist, enthält die zweite Ergebnisspalte die niveaubere<strong>in</strong>igte Betrachtung der<br />

Krankheitsentwicklung. Wie erwartet zeigt sich hier der vorausgehende Krankheitszustand als<br />

bestes Kriterium zur Vorhersage der nachfolgenden Multimorbidität; die nur mittlere Stabilität<br />

der Ges<strong>und</strong>heit (r=.51) macht zugleich deutlich, dass viele Personen während des Sechsjahreszeitraumes<br />

zwischen den beiden Befragungen e<strong>in</strong>e Veränderung ihres Ges<strong>und</strong>heitszustandes<br />

erfahren haben.<br />

E<strong>in</strong>e Vorhersage der Krankheitsentwicklung mit Hilfe der sozialen Indikatoren ist h<strong>in</strong>gegen<br />

nicht möglich. Dies könnte darauf zurückzuführen se<strong>in</strong>, dass sich die Bedeutung sozialer Faktoren<br />

bereits zum Zeitpunkt der Ersterhebung auf den Ges<strong>und</strong>heitszustand ausgewirkt hatte. Es ist<br />

zu vermuten, dass sich die Wirkung sozialer Faktoren (z.B. ger<strong>in</strong>gen E<strong>in</strong>kommens) eher über<br />

e<strong>in</strong>en Zeitraum von Jahrzehnten kumulativ auf die Ges<strong>und</strong>heit auswirkt. E<strong>in</strong> Zeitraum von sechs<br />

Jahren könnte h<strong>in</strong>gegen zu kurz se<strong>in</strong>, als dass sich bereits bestehende soziale Benachteiligungen<br />

<strong>in</strong> Krankheitsentwicklungen manifestieren konnten 3 .<br />

Ebenso wenig kann das Ausmaß körperlicher Aktivität zur Erklärung der Krankheitsentwicklung<br />

beitragen. Anders h<strong>in</strong>gegen sieht es für die Gruppe der psychischen Indikatoren aus: sie<br />

leisten e<strong>in</strong>en, wenngleich ger<strong>in</strong>gen, Vorhersagebeitrag für die <strong>Entwicklung</strong> von Multimorbidität.<br />

Alternsbezogene Kognitionen erweisen sich h<strong>in</strong>gegen als beste Prädiktoren für die Krankheitsentwicklung.<br />

Das ist besonders bemerkenswert, da vor dieser Indikatorengruppe bereits alle<br />

anderen sozialen, verhaltensbezogenen <strong>und</strong> psychischen Faktoren im Regressionsmodell berücksichtigt<br />

wurden. Dies weist auf die hohe Bedeutung h<strong>in</strong>, welche alternsbezogenen Kognitionen<br />

zur Vorhersage von Multimorbidität zukommt.<br />

3 Ergänzend könnte betrachtet werden, <strong>in</strong>wieweit Veränderungen sozialer Faktoren (z.B. zwischen den Befragungszeitpunkten<br />

erfolgte E<strong>in</strong>kommensverluste) mit e<strong>in</strong>er Erhöhung der Multimorbidität verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d. In diesem Fall<br />

wird die Veränderung sozialer Faktoren mit der Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung re<strong>in</strong> korrelativ <strong>in</strong> Zusammenhang gesetzt.<br />

E<strong>in</strong>e zeitbezogene Vorhersage, welchen E<strong>in</strong>fluss soziale Veränderungen auf die Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung haben,<br />

würde h<strong>in</strong>gegen m<strong>in</strong>destens drei Befragungszeitpunkte erfordern.<br />

375


376<br />

Susanne Wurm<br />

Auch wenn bestimmte Prädiktorgruppen, wie diejenigen der sozialen Faktoren <strong>und</strong> des Ges<strong>und</strong>heitsverhaltens,<br />

ke<strong>in</strong>e bedeutsame Vorhersage der Krankheitsentwicklung leisten können, bedeutet<br />

dies nicht, dass zugleich alle <strong>in</strong> diesen Modellen enthaltenen E<strong>in</strong>zel<strong>in</strong>dikatoren ohne<br />

Vorhersagewert s<strong>in</strong>d. Zugleich stellt sich bei jenen Modellen, die e<strong>in</strong>e bedeutsame Vorhersage<br />

der Krankheitsentwicklung leisten konnten (d.h. psychische Faktoren, alternsbezogene Kognitionen),<br />

die Frage, welche E<strong>in</strong>zel<strong>in</strong>dikatoren hierfür besonders verantwortlich s<strong>in</strong>d.<br />

Tabelle 8.5:<br />

Indikatoren zur Vorhersage der <strong>Entwicklung</strong> von Multimorbidität<br />

Modell 0<br />

β<br />

Modell 1<br />

β<br />

Modell 2<br />

β<br />

Modell 3<br />

β<br />

Modell 4<br />

β<br />

Modell 5<br />

β<br />

körperl. Erkrankg. .51*** .44*** .44*** .43*** .41*** .39***<br />

Altersgruppe A–J 1<br />

-.24*** -.23*** -.22*** -.25*** -.20***<br />

Altersgruppe A–M -.09** -.08* -.08* -.10** -.07*<br />

Region (Ost/West) .00 .01 .03 .03 .03<br />

Geschlecht (m/w) .05 .03 .04 .03 .04<br />

Prestige -.01 .00 .00 -.01<br />

E<strong>in</strong>kommen -.06* -.06* -.05 -.05<br />

Bildung H – G 2<br />

.01 .00 .01 -.01<br />

Bildung H – M .00 .00 .01 .00<br />

Lebensform -.05 -.04 -.04 -.04<br />

K<strong>in</strong>der .01 .01 .00 .01<br />

Sport -.06* -.07** -.06*<br />

Spazieren gehen .01 .01 .02<br />

Hope/Hoffnung .00 .03<br />

E<strong>in</strong>samkeit .00 .01<br />

positive Emotionen .02 .06*<br />

negative Emotionen .07** .06*<br />

Lebenszufriedenheit -.04 -.03<br />

AC 3 -Weiterentwick. -.11**<br />

AC-Selbst<strong>in</strong>tegration .01<br />

AC-phys. Verluste .11***<br />

AC-soz. Verluste -.02<br />

R 2 = .262 .295 .302 .305 .312 .330<br />

1 Altersgruppe A-J: Vergleich der ältesten Altersgruppe (Wert 0) mit der jüngsten Altersgruppe (Wert 1)<br />

Altersgruppe A-M: Vergleich der ältesten Altersgruppe ( Wert 0) mit der mittleren Altersgruppe (Wert 1)<br />

2 Bildung H-G: Vergleich von Personen mit höherer Bildung (Wert 0) <strong>und</strong> Personen mit ger<strong>in</strong>ger Bildung (Wert 1)<br />

Bildung H-M: Vergleich von Personen mit höherer Bildung (Wert 0) <strong>und</strong> Personen mit mittlerer Bildung (Wert 1)<br />

3 AC = Alternsbezogene Kognitionen<br />

***p


Kapitel 8: Prädiktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

Betrachtet man die Endergebnisse dieser Regressionsberechnung, die der letzten Spalte (Modell<br />

5) von Tabelle 8.5 zu entnehmen s<strong>in</strong>d, bestätigt sich das bereits vorweg genommene Ergebnis,<br />

dass h<strong>in</strong>sichtlich der Stichprobenschichtungsfaktoren lediglich der Indikator „Altersgruppe“<br />

e<strong>in</strong>e bedeutsame Vorhersage der Krankheitsentwicklung leisten kann. Hierbei zeigen sich deutliche<br />

Unterschiede zwischen der jüngsten <strong>und</strong> der ältesten Altersgruppe, während sich die mittlere<br />

<strong>und</strong> älteste Altersgruppe weniger ausgeprägt vone<strong>in</strong>ander unterscheiden. Dies deutet daraufh<strong>in</strong>,<br />

dass sich e<strong>in</strong> deutlicher Anstieg der Multimorbidität besonders im Übergang von der<br />

jüngsten zur mittleren Altersgruppe vollzieht.<br />

Während sich ke<strong>in</strong>er der sozialen Indikatoren als bedeutsam für Krankheitsentwicklung erweist,<br />

zeigt sich, dass sportliche Aktivitäten die Krankheitsentwicklung vorhersagen können. Dies<br />

bedeutet, dass unabhängig von ihrem Ges<strong>und</strong>heitszustand zur Erstbefragung Personen langfristig<br />

von höherer körperlicher Aktivität profitieren. Bei ihnen zeigt sich über den Zeitraum von<br />

sechs Jahren e<strong>in</strong>e günstigere Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung (kle<strong>in</strong>erer Anstieg von Multimorbidität),<br />

als bei Personen, die wenig körperlich aktiv waren.<br />

Für die psychischen Indikatoren zeigt sich, dass sowohl positive als auch negative Emotionen<br />

die <strong>Entwicklung</strong> der Multimorbidität vorhersagen können. Dabei tragen nicht nur hohe negative<br />

Emotionen zu e<strong>in</strong>er ungünstigen <strong>Entwicklung</strong> bei, sondern ebenso auch positive Emotionen.<br />

Möglicherweise ist dieser Bef<strong>und</strong> dah<strong>in</strong>gehend zu deuten, dass e<strong>in</strong>e hohe Emotions<strong>in</strong>tensität<br />

(bzw. e<strong>in</strong>e damit zusammenhängende emotionale Labilität) ges<strong>und</strong>heitsschädigende Folgen<br />

haben kann, sei es direkt, z.B. über erhöhtes Stresserleben oder <strong>in</strong>direkt, beispielsweise durch<br />

risikoreichere Verhaltensweisen.<br />

Die Betrachtung der alternsbezogenen Kognitionen macht deutlich, dass sich (nach Berücksichtigung<br />

aller anderen Prädiktorgruppen) zwei der vier Indikatoren als relevant erweisen. Verb<strong>in</strong>den<br />

Personen das Älterwerden mit e<strong>in</strong>er persönlichen Weiterentwicklung, so kommt es bei ihnen<br />

zu e<strong>in</strong>em ger<strong>in</strong>geren Anstieg der Multimorbidität als bei Personen, die e<strong>in</strong> weniger positives<br />

Bild vom Älterwerden haben. Umgekehrt kommt es zu e<strong>in</strong>em stärkeren Anstieg körperlicher<br />

Erkrankungen, wenn das Älterwerden mit e<strong>in</strong>er Zunahme physischer Verluste verb<strong>und</strong>en wird.<br />

Dabei ist auch hier zu betonen, dass es sich um Ergebnisse handelt, die unabhängig s<strong>in</strong>d vom<br />

Ges<strong>und</strong>heitszustand zum Zeitpunkt der Erstbefragung. Dadurch lässt sich das Antizipieren physischer<br />

Verluste sowie der e<strong>in</strong>getretene Anstieg der Multimorbidität nicht damit erklären, es<br />

handele sich hierbei primär um Personen, denen es bereits zum Zeitpunkt der Erstbefragung<br />

ges<strong>und</strong>heitlich schlechter g<strong>in</strong>g.<br />

8.4.2 Altersgruppendifferenzierte Vorhersage körperlicher Erkrankungen<br />

Ergänzend zu den Ergebnisdarstellungen für die Gesamtstichprobe sollen im Folgenden altersgruppenvergleichende<br />

Betrachtungen vorgenommen werden. Diese dienen primär zur Verfolgung<br />

von zwei Fragen (vgl. Untersuchungsfrage b1 <strong>und</strong> b2): Zum e<strong>in</strong>en der Frage, ob die Bedeutung<br />

sozialer Faktoren für die Ges<strong>und</strong>heit mit dem Alter zu- oder abnimmt bzw. gleich<br />

bleibt. Zum anderen der Frage, ob h<strong>in</strong>sichtlich alternsbezogener Kognitionen Unterschiede zwischen<br />

den Altersgruppen zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d. Letztere Betrachtung unterliegt erneut der (konservati-<br />

377


378<br />

Susanne Wurm<br />

ven) Restriktion, dass zunächst alle anderen Prädiktorengruppen <strong>in</strong> die Regressionsberechnung<br />

e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>gen, bevor alternsbezogene Kognitionen berücksichtigt werden.<br />

Erneut erfolgte die Berechnung sequentieller Regressionsanalysen, <strong>in</strong> diesem Fall jedoch getrennt<br />

nach Altersgruppe. Der nachfolgenden Tabelle 8.6 können die Ergebniszusammenfassungen<br />

zur (zeitversetzten) Vorhersage körperlicher Erkrankungen sowie der <strong>Entwicklung</strong> körperlicher<br />

Erkrankungen entnommen werden.<br />

Betrachtet man anhand von Tabelle 8.6 zunächst die Ergebnisse zur zeitversetzten Vorhersage<br />

von körperlichen Erkrankungen mittels sozialer Indikatoren, so wird deutlich, dass diese <strong>in</strong> der<br />

jüngsten (46-60 Jahre) <strong>und</strong> mittleren Altersgruppe (61-75 Jahre) die Multimorbidität vorhersagen<br />

können, nicht jedoch <strong>in</strong> der ältesten Altersgruppe (76-91 Jahre). Die fehlende Signifikanz <strong>in</strong><br />

der ältesten Altersgruppe ist jedoch auf die deutlich ger<strong>in</strong>gere Stichprobengröße zurückzuführen,<br />

während die Höhe der Varianzaufklärung zwischen jener der jüngsten <strong>und</strong> mittleren Altersgruppe<br />

liegt. Im Gegensatz zur Vorhersage des „Krankheitszustandes“ kann die Gruppe sozialer<br />

Indikatoren <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er der Altersgruppen e<strong>in</strong>e Vorhersage für die „Krankheitsentwicklung“ leisten.<br />

Dies entspricht den Bef<strong>und</strong>en für die Gesamtstichprobe. Das Ges<strong>und</strong>heitsverhalten ist für<br />

ke<strong>in</strong>e der Altersgruppen statistisch bedeutsam. Für die Gruppe der psychologischen Indikatoren<br />

(Modell 4) sowie die alternsbezogenen Kognitionen (Modell 5) zeigt sich, dass ihre Bedeutung<br />

für körperliche Erkrankungen mit dem Alter steigt.<br />

Tabelle 8.6:<br />

Vorhersage von Multimorbidität im Altersgruppenvergleich – Zeitversetzte Prädiktion<br />

des Ges<strong>und</strong>heitszustandes <strong>und</strong> Prädiktion der Ges<strong>und</strong>heitsveränderung<br />

Jüngste Altersgruppe Mittlere Altersgr. Älteste Altersgruppe<br />

zeitversetzter<br />

Krankheits-<br />

zustand t2<br />

Krankheitsentwicklung<br />

t1t2<br />

zeitversetzter<br />

Krankheits-<br />

zustand t2<br />

Krankheitsentwicklung<br />

t1t2<br />

zeitversetzter<br />

Krankheits-<br />

zustand t2<br />

Krankheitsentwicklung<br />

t1t2<br />

Modell ∆R 2 ∆R 2 ∆R 2 ∆R 2 ∆R 2 ∆R 2<br />

0 Kontr.Erkrankg. (t1) – .210*** – .184*** – .201***<br />

1 Kontr. SP-Schichtg. .009 .011* .001 .002 .029* .011<br />

2 Soziale Indikatoren .024* .010 .039** .019 .028 .012<br />

3 Körperl. Aktivität .007 .005 .005 .006 .021 .010<br />

4 Psych. Indikatoren .032** .007 .045*** .016 .068** .023<br />

5 Alterns-Kognitionen .037*** .018* .044*** .015 .052* .039*<br />

R 2 = .108 .261 .135 .242 .198 .296<br />

***p


Kapitel 8: Prädiktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

durch alternsbezogene Kognitionen noch als bedeutsam (∆R 2 =.052), obwohl hier zuvor herkömmliche<br />

psychische Prädiktoren e<strong>in</strong>e hohe Varianzaufklärung (∆R 2 =.068) leisten konnten.<br />

Erneut werfen die dargestellten Modellergebnisse die Frage auf, welche E<strong>in</strong>zel<strong>in</strong>dikatoren für<br />

die beschriebenen Modellbef<strong>und</strong>e besonders verantwortlich s<strong>in</strong>d. Die Ergebnisse hierzu s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

der nachfolgenden Tabelle dargestellt.<br />

Bereits anhand von Tabelle 8.6 war zu entnehmen, dass sich <strong>in</strong> der jüngsten Altersgruppe die<br />

Stichprobenschichtung (Modell 1) als bedeutsam zur Vorhersage der Krankheitsentwicklung<br />

erweist. Anhand der nachfolgenden Tabelle 8.7 kann nachvollzogen werden, welcher E<strong>in</strong>zel<strong>in</strong>dikator<br />

hierfür verantwortlich ist.<br />

Tabelle 8.7:<br />

Altersgruppenvergleich: Indikatoren zur Vorhersage der <strong>Entwicklung</strong><br />

körperlicher Erkrankungen<br />

Jüngste Altersgr. Mittlere Altersgr. Höchste Altersgr.<br />

β β β<br />

körperliche Erkrankungen .43*** .36*** .36***<br />

Region (Ost/West) .10* .03 -.08<br />

Geschlecht .06 .04 .03<br />

Prestige -.05 -.02 .05<br />

E<strong>in</strong>kommen -.02 -.08 -.04<br />

Bildung H – G 1<br />

-.03 .01 -.06<br />

Bildung H – M -.05 -.02 -.01<br />

Lebensform -.09* -.01 -.06<br />

K<strong>in</strong>der .01 .05 -.07<br />

Sport -.05 -.08 -.09<br />

Spazieren gehen .06 .03 -.05<br />

Hope (Hoffnung) .06 .03 -.02<br />

E<strong>in</strong>samkeit .03 .01 .01<br />

positive Emotionen .05 .05 .07<br />

negative Emotionen .06 .05 .09<br />

Lebenszufriedenheit .03 -.11* -.02<br />

AC 2 -Weiterentwicklung -.06 -.10 -.18*<br />

AC-Selbst<strong>in</strong>tegration -.03 .04 .00<br />

AC-physische Verluste .12** .09 .12<br />

AC-soziale Verluste .02 -.02 -.12<br />

R 2 = .261 .242 .296<br />

***p


380<br />

Susanne Wurm<br />

westdeutsche Personen e<strong>in</strong> höherer Anstieg der Multimorbidität festzustellen als für Ostdeutsche.<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der sozialen Indikatoren (Modell 2) erweist sich ebenfalls nur für die jüngste Altersgruppe<br />

e<strong>in</strong> Prädiktor als bedeutsam. Es handelt sich hierbei um die Lebensform – Personen,<br />

die mit e<strong>in</strong>em Partner zusammenleben, haben e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>geren Anstieg der Multimorbidität zu<br />

verzeichnen als Personen, die ohne Partner leben. In den anderen beiden Altersgruppen erweist<br />

sich ke<strong>in</strong> sozialer Prädiktor als statistisch bedeutsam, was zu e<strong>in</strong>em gewissen Anteil auf die<br />

Korrelation der sozialen Indikatoren untere<strong>in</strong>ander zurückzuführen ist 4 , vor allem aber auch<br />

dadurch bed<strong>in</strong>gt ist, dass <strong>in</strong> der Tabelle nicht der nachfolgende Ges<strong>und</strong>heitszustand, sondern die<br />

Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung betrachtet wurde (vgl. Ergebnisdarstellungen <strong>in</strong> Tabelle 8.6).<br />

In der mittleren Altersgruppe (61-75 Jahre) ersche<strong>in</strong>t die Lebenszufriedenheit als bester Prädiktor<br />

zur Vorhersage körperlicher Erkrankungen. Demnach berichten Personen mit hoher Lebenszufriedenheit<br />

über e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>geren Anstieg der Multimorbidität als jene mit ger<strong>in</strong>ger Lebenszufriedenheit.<br />

Schließlich kann wieder betrachtet werden, wie gut alternsbezogene Kognitionen (nach Berücksichtigung<br />

der sozialen <strong>und</strong> psychischen Indikatoren sowie des Ges<strong>und</strong>heitsverhaltens) noch die<br />

Krankheitsentwicklung vorhersagen können. Auch hier zeigen sich altersgruppenabhängige<br />

Effekte: Wird das Älterwerden mit hohen physischen Verlusten verb<strong>und</strong>en, so kann dies <strong>in</strong> der<br />

jüngsten Altersgruppe e<strong>in</strong>en Anstieg der Multimorbidität vorhersagen. Im Gegensatz dazu ist<br />

für die älteste Altersgruppe die positive Sicht auf das Älterwerden von hoher Bedeutung für den<br />

Anstieg der Multimorbidität. Personen, die das Älterwerden auch als persönliche Weiterentwicklung<br />

empf<strong>in</strong>den, haben e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>geren Anstieg körperlicher Erkrankungen als jene mit<br />

e<strong>in</strong>er negativeren Sicht auf das Älterwerden. Die positive Vorstellung vom Älterwerden als<br />

Weiterentwicklung erweist sich für die älteste Altersgruppe zugleich als e<strong>in</strong>ziger Prädiktor <strong>in</strong><br />

der Vorhersage der Multimorbiditätsentwicklung.<br />

Nachdem nun zunächst die <strong>Entwicklung</strong> der Multimorbidität betrachtet wurde, soll im Folgenden<br />

untersucht werden, welche Bedeutung die verschiedenen Prädiktoren zur Vorhersage subjektiver<br />

Ges<strong>und</strong>heit haben.<br />

8.4.3 Vorhersage von subjektiver Ges<strong>und</strong>heit<br />

Zur Vorhersage subjektiver Ges<strong>und</strong>heit wurden die gleichen, bereits e<strong>in</strong>geführten Prädiktorgruppen<br />

verwendet <strong>und</strong> erneut sequentielle multiple Regressionen gerechnet. Das gewählte<br />

Vorgehen <strong>und</strong> die Form der Darstellung ist vergleichbar mit jener zur Vorhersage körperlicher<br />

Erkrankungen. Auch hier werden zunächst die Ergebnisse der zeitversetzten Prädiktion von<br />

subjektiver Ges<strong>und</strong>heit sowie der Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung e<strong>in</strong>ander gegenübergestellt. Anschließend<br />

wird betrachtet, welche E<strong>in</strong>zel<strong>in</strong>dikatoren sich als statistisch bedeutsam erweisen.<br />

4 In vergleichend gerechneten Regressionsmodellen mit schrittweiser Regression erwies sich für die mittlere Altersgruppe<br />

das E<strong>in</strong>kommen als bedeutsamer Indikator zur Vorhersage körperlicher Erkrankungen.


Kapitel 8: Prädiktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

Wie anhand der ersten Ergebnisspalte von Tabelle 8.8 deutlich wird, tragen alle Prädiktorgruppen<br />

<strong>in</strong> bedeutsamer Weise zur Vorhersage des (zeitversetzten) subjektiven Ges<strong>und</strong>heitszustandes<br />

bei. Im Vergleich zur Vorhersage der Multimorbidität erweist sich hierbei die Stichprobenschichtung<br />

(Modell 1) als deutlich weniger bedeutsam, während soziale Indikatoren <strong>und</strong> körperliche<br />

Aktivität e<strong>in</strong>en höheren E<strong>in</strong>fluss auf die subjektive Ges<strong>und</strong>heit haben, als auf körperliche<br />

Erkrankungen – <strong>in</strong> beiden Fällen kommt es <strong>in</strong> etwa zu e<strong>in</strong>er Verdoppelung der Varianzaufklärung<br />

(∆R 2 ), wenn man diese vergleicht mit der Vorhersage körperlicher Erkrankungen. Nach<br />

Berücksichtigung der anderen Indikatorengruppen (Modelle 1 bis 3) bleiben psychische Indikatoren<br />

<strong>und</strong> alternsbezogene Kognitionen bedeutsam für die Vorhersage des subjektiven Ges<strong>und</strong>heitszustandes.<br />

Tabelle 8.8:<br />

Vorhersage von subjektivem Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsveränderung<br />

Subjektive Ges<strong>und</strong>heit (t2)<br />

zeitversetzte Prädiktion:<br />

Ges<strong>und</strong>heitszustand t2<br />

Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung<br />

t1t2<br />

Modell ∆R 2 ∆R 2<br />

0 Kontrolle Ges<strong>und</strong>heit (t1) – .229***<br />

1 Kontr. Stichproben-Schichtung .045*** .016***<br />

2 Soziale Indikatoren .030*** .009*<br />

3 Körperliche Aktivität .011*** .003<br />

4 Psychische Indikatoren .031*** .004<br />

5 Alternsbezogene Kognitionen .025*** .003<br />

***p


Tabelle 8.9:<br />

Indikatoren zur Vorhersage der <strong>Entwicklung</strong> von subjektiver Ges<strong>und</strong>heit<br />

382<br />

Modell 0<br />

β<br />

Modell 1<br />

β<br />

Modell 2<br />

β<br />

Modell 3<br />

β<br />

Modell 4<br />

β<br />

Susanne Wurm<br />

Modell 5<br />

β<br />

subjekt. Ges<strong>und</strong>h. .48*** .46*** .44*** .44*** .42*** .41***<br />

Altersgruppe A–J 1<br />

.17*** .14*** .13*** .14*** .13**<br />

Altersgruppe A–M .14*** .12** .12** .12** .11**<br />

Region (Ost/West) .04 .04 .03 .02 .02<br />

Geschlecht (m/w) -.01 .01 .00 .00 .00<br />

Prestige .02 .02 .02 .02<br />

E<strong>in</strong>kommen .01 .01 .00 -.01<br />

Bildung H – G 2<br />

-.01 -.01 -.01 .00<br />

Bildung H – M -.03 -.03 -.04 -.03<br />

Lebensform .08** .08** .07** .07*<br />

K<strong>in</strong>der .01 .01 .01 .01<br />

Sport .06* .06* .06*<br />

Spazieren gehen .00 .00 -.01<br />

Hope/Hoffnung .02 .00<br />

E<strong>in</strong>samkeit .01 .01<br />

positive Emotionen .02 -.01<br />

negative Emotionen .00 .01<br />

Lebenszufriedenheit .05 .05<br />

AC 3 -Weiterentwick .05<br />

AC-Selbst<strong>in</strong>tegration .02<br />

AC-phys. Verluste -.02<br />

AC-soz. Verluste -.02<br />

***p


Kapitel 8: Prädiktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

können alternsbezogene Kognitionen ke<strong>in</strong>e bedeutsame Vorhersage der <strong>Entwicklung</strong> subjektiver<br />

Ges<strong>und</strong>heit leisten.<br />

8.4.4 Altersgruppendifferenzierte Vorhersage subjektiver Ges<strong>und</strong>heit<br />

In e<strong>in</strong>er abschließenden Darstellung wird auch für die subjektive Ges<strong>und</strong>heit untersucht, welche<br />

Unterschiede sich zwischen den Altersgruppen zeigen. Hierfür erfolgt zunächst (analog zu den<br />

bisherigen Ergebnisdarstellungen) e<strong>in</strong>e Betrachtung der Indikatorengruppen (Modelle), im Anschluss<br />

daran werden bedeutsame E<strong>in</strong>zel<strong>in</strong>dikatoren aufgezeigt. Nachfolgender Tabelle 8.10<br />

können zunächst die Ergebnisse für die Indikatorengruppen entnommen werden.<br />

Tabelle 8.10:<br />

Vorhersage von subjektivem Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung<br />

im Altersgruppenvergleich<br />

Jüngste Altersgr. Mittlere Altersgr. Älteste Altersgruppe<br />

zeitversetzter<br />

Ges<strong>und</strong>heits-<br />

zustand t2<br />

Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung<br />

t1t2<br />

zeitversetzter<br />

Ges<strong>und</strong>heits-<br />

zustand t2<br />

Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung<br />

t1t2<br />

zeitversetzter<br />

Ges<strong>und</strong>heits-<br />

zustand t2<br />

Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung<br />

t1t2<br />

Modell ∆R 2 ∆R 2 ∆R 2 ∆R 2 ∆R 2 ∆R 2<br />

0 Kontr.Ges<strong>und</strong>h. (t1) – .170*** – .253*** – .235***<br />

1 Kontr.SP-Schichtg. .013* .005 .002** .002 .025 .003<br />

2 Soziale Indikatoren .051*** .020* .035** .013 .067* .039<br />

3 Körperl. Aktivität .017** .008 .020** .006 .003 .003<br />

4 Psych. Indikatoren .034** .008 .033** .002 .051* .012<br />

5 Alterns-Kognitionen .024** .005 .030** .004 .045* .017<br />

R 2 = .139 .216 .120 .280 .191 .309<br />

***p


384<br />

Susanne Wurm<br />

Tabelle 8.11:<br />

Altersgruppenvergleich: Indikatoren zur Vorhersage der <strong>Entwicklung</strong> subjektiver Ges<strong>und</strong>heit<br />

Jüngste Altersgr. Mittlere Altersgr. Höchste Altersgr.<br />

β β β<br />

subjektive Ges<strong>und</strong>heit .32*** .49*** .41***<br />

Region (Ost/West) .05 .00 .05<br />

Geschlecht .02 -.03 .03<br />

Prestige .06 .04 -.12<br />

E<strong>in</strong>kommen -.03 .00 .05<br />

Bildung H – G 1<br />

-.04 .01 .12<br />

Bildung H – M -.10* .01 .07<br />

Lebensform .03 .11* .11<br />

K<strong>in</strong>der .00 .00 .03<br />

Sport .09* .07 -.05<br />

Spazieren gehen -.02 .03 -.03<br />

Hope (Hoffnung) .00 -.02 .01<br />

E<strong>in</strong>samkeit .01 .02 .04<br />

positive Emotionen -.01 .00 .04<br />

negative Emotionen .00 -.04 .09<br />

Lebenszufriedenh. .09 -.01 .06<br />

AC-Weiterentwicklung .00 .08 .11<br />

AC-Selbst<strong>in</strong>tegration .05 .00 -.03<br />

AC-physische Verluste -.07 .05 -.07<br />

AC-soziale Verluste -.01 -.01 -.05<br />

R 2 = .216 .280 .309<br />

1<br />

Bildung H-G: Vergleich von Personen mit höherer Bildung (Wert 0) <strong>und</strong> Personen mit ger<strong>in</strong>ger Bildung (Wert 1)<br />

Bildung H-M: Vergleich von Personen mit höherer Bildung (Wert 0) <strong>und</strong> Personen mit mittlerer Bildung (Wert 1)<br />

***p


Kapitel 8: Prädiktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

leben. In der ältesten Altersgruppe erweist sich ke<strong>in</strong> Indikator als bedeutsam. Hier, wie <strong>in</strong> den<br />

anderen Altersgruppen, kann auch ke<strong>in</strong> Indikator der Gruppe alternsbezogener Kognitionen<br />

subjektive Ges<strong>und</strong>heitsveränderungen vorhersagen. Dies entspricht dem Ergebnis, das sich bereits<br />

bei Betrachtung der Gesamtstichprobe zeigte.<br />

8.5 Zusammenfassung<br />

Um Ges<strong>und</strong>heitsveränderungen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte erklären zu können, werden <strong>in</strong> Abhängigkeit<br />

von der jeweiligen fachlichen Diszipl<strong>in</strong> verschiedene Erklärungsmodelle herangezogen.<br />

Biomediz<strong>in</strong>ische <strong>und</strong> genetische Modelle beschäftigen sich mit den physiologischen Ursachen<br />

des Alterns <strong>und</strong> mit Krankheitsentwicklungen im Alter. Neben körpereigenen Ursachen<br />

spielen für die Ges<strong>und</strong>heit jedoch auch Umwelte<strong>in</strong>flüsse, <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>s Verhalten sowie Gefühle<br />

<strong>und</strong> Gedanken e<strong>in</strong>e Rolle. Diese Faktoren s<strong>in</strong>d auf gesellschaftlicher <strong>und</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Ebene<br />

veränderbar. Die Erforschung ihrer Bedeutung für die Ges<strong>und</strong>heit kann deshalb mögliche Präventionspotenziale<br />

aufdecken.<br />

Die vorliegende Untersuchung verfolgte zwei zentrale Ziele: Zum e<strong>in</strong>en g<strong>in</strong>g es darum, e<strong>in</strong>en<br />

Beitrag dazu zu leisten, e<strong>in</strong>e wiederholt beklagte Forschungslücke (z.B. Badura, 1999; Knesebeck,<br />

1998) zu schließen: Durch die diszipl<strong>in</strong>äre Verankerung der verschiedenen Erklärungsmodelle<br />

konzentrieren sich die meisten Studien darauf, die Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung im Alter<br />

mit Hilfe soziologischer, psychologischer oder verhaltensmediz<strong>in</strong>ischer Modelle zu erklären.<br />

Nur selten werden h<strong>in</strong>gegen verschiedene Erklärungsansätze geme<strong>in</strong>sam berücksichtigt, weswegen<br />

<strong>in</strong> den vorliegenden Analysen diese Modelle <strong>in</strong>tegriert wurden.<br />

E<strong>in</strong> zweites Ziel war, im Rahmen dieser modell<strong>in</strong>tegrierenden Betrachtung zwei Fragen besonders<br />

hervorzuheben. Die erste Frage bezog sich auf die Bedeutung sozialer Faktoren für die<br />

Ges<strong>und</strong>heit. Diese ersche<strong>in</strong>t vor allem vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> divergierender Bef<strong>und</strong>e bedeutsam,<br />

ob sich die Relevanz sozialer Faktoren (<strong>in</strong>sbesondere solcher, die auf soziale Ungleichheit h<strong>in</strong>weisen)<br />

mit dem Alter verändert oder nicht. Über die sozialen Faktoren h<strong>in</strong>aus wurde zusätzlich<br />

das Ges<strong>und</strong>heitsverhalten sowie psychische Ressourcen zur Vorhersage von Ges<strong>und</strong>heit berücksichtigt.<br />

Mit der zweiten Frage wurde e<strong>in</strong> Thema aufgegriffen, zu dem sich erst seit neuerer Zeit<br />

Studien f<strong>in</strong>den lassen. Hierbei handelt es sich um die Frage, <strong>in</strong>wieweit Vorstellungen vom Älterwerden<br />

die Ges<strong>und</strong>heit bee<strong>in</strong>flussen können. Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der <strong>in</strong> westlichen Gesellschaften<br />

noch immer vorherrschenden Altersdiskrim<strong>in</strong>ierung bei gleichzeitig starker Zunahme<br />

der Gruppe der Älteren, ist diese Frage nicht nur von <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r, sondern auch von hoher<br />

gesellschaftlicher Bedeutung.<br />

1. Soziale Faktoren: Zur Frage danach, welche Bedeutung sozialen Faktoren für die Ges<strong>und</strong>heit<br />

zukommt <strong>und</strong> ob sich ihr E<strong>in</strong>fluss auf die Ges<strong>und</strong>heit mit steigendem Alter verändert, legen die<br />

vorliegenden Ergebnisse des Alterssurveys folgende Schlussfolgerungen nahe: Soziale Faktoren<br />

bee<strong>in</strong>flussen den Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>in</strong> bedeutsamer Weise. Dabei erweist sich weniger e<strong>in</strong><br />

spezifischer sozialer Faktor als herausragend, vielmehr sche<strong>in</strong>en verschiedene soziale Faktoren<br />

geme<strong>in</strong>sam zur Ges<strong>und</strong>heit beizutragen. Dies gilt sowohl für Personen, die am Beg<strong>in</strong>n ihrer<br />

zweiten Lebenshälfte stehen als auch für Personen im hohen Alter. Damit sprechen die Bef<strong>und</strong>e<br />

385


386<br />

Susanne Wurm<br />

am ehesten für e<strong>in</strong>e Kont<strong>in</strong>uität der Bedeutung sozialer Faktoren für die Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte.<br />

Die Ergebnisse der getrennt betrachteten Vorhersagen für den Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>und</strong> die Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung<br />

legen die Annahme nahe, dass sich soziale Faktoren eher kumulativ über<br />

Jahrzehnte, das heißt über langjährige Unterschiede <strong>in</strong> der Lebensführung <strong>und</strong> nicht primär <strong>in</strong>nerhalb<br />

von e<strong>in</strong>igen wenigen Jahren auf die körperliche Ges<strong>und</strong>heit auswirken. Es wird teilweise<br />

sogar angenommen, dass sich die Auswirkungen sozialer Ungleichheit auf die Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong><br />

erster L<strong>in</strong>ie vor dem 50. Lebensjahr vollziehen (Atchley, 1999).<br />

Schließlich verdeutlichen die Ergebnisse, dass soziale Faktoren besonders gut die subjektive<br />

Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung vorhersagen können. Dabei ist e<strong>in</strong>e subjektive Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung<br />

nicht alle<strong>in</strong> Ausdruck der persönlichen Wahrnehmung körperlicher Erkrankungen, sondern<br />

sie umfasst zugleich weitergehende Aspekte der Lebensqualität (vgl. Kapitel 7). Als Ges<strong>und</strong>heitsmaß<br />

ist subjektive Ges<strong>und</strong>heit von hoher Bedeutung, da sie sich als sensiblerer Indikator<br />

für das Mortalitätsrisiko erwiesen hat als der mediz<strong>in</strong>isch messbare Ges<strong>und</strong>heitszustand.<br />

2. Ges<strong>und</strong>heitsverhalten <strong>und</strong> psychische Ressourcen: Neben sozialen Faktoren wurde körperliche<br />

Aktivität als e<strong>in</strong> wichtiger Aspekt <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Ges<strong>und</strong>heitsverhaltens berücksichtigt. H<strong>in</strong>sichtlich<br />

körperlicher Aktivität wurde deutlich, dass zwar sportliche Aktivitäten, nicht jedoch<br />

Spaziergänge e<strong>in</strong>en positiven E<strong>in</strong>fluss auf die Ges<strong>und</strong>heit haben. Dies bedeutet, dass körperliche<br />

Aktivität nicht allzu moderat se<strong>in</strong> sollte: Etwas Anstrengung bei körperlicher Tätigkeit, die<br />

auf die <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> körperliche Kondition abgestimmt se<strong>in</strong> sollte, ist notwendig, um positive<br />

Folgen zu erzielen. Zudem wurden verschiedene psychische Ressourcen <strong>in</strong> der Ges<strong>und</strong>heitsvorhersage<br />

e<strong>in</strong>bezogen. Diese erwiesen sich ebenfalls als bedeutsam für die Ges<strong>und</strong>heit. Sie bee<strong>in</strong>flussen<br />

bereits <strong>in</strong>nerhalb der untersuchten sechs Jahre die <strong>Entwicklung</strong> körperlicher Erkrankungen<br />

(im S<strong>in</strong>ne von Multimorbidität). Zugleich nehmen psychische Ressourcen, vergleichbar mit<br />

sozialen Faktoren, <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er langfristigen Wirkung E<strong>in</strong>fluss auf die körperliche <strong>und</strong> subjektive<br />

Ges<strong>und</strong>heit.<br />

3. Vorstellungen über das Älterwerden: Neben der Betrachtung sozialer Faktoren stand im Zentrum<br />

der vorliegenden Untersuchung auch die Frage, welchen Stellenwert Vorstellungen über<br />

das Älterwerden für die Ges<strong>und</strong>heit haben. Dabei wurde e<strong>in</strong> sehr konservatives Untersuchungsverfahren<br />

gewählt, <strong>in</strong>dem die Ges<strong>und</strong>heit zunächst durch e<strong>in</strong>e Reihe bekannter Faktoren (sozialer<br />

<strong>und</strong> psychischer Faktoren, Ges<strong>und</strong>heitsverhalten) vorhergesagt <strong>und</strong> dann betrachtet wurde,<br />

ob Vorstellungen über das Älterwerden (alternsbezogene Kognitionen) darüber h<strong>in</strong>ausgehend<br />

die Ges<strong>und</strong>heit vorhersagen können. Trotz dieses konservativen Vorgehens erwiesen sich Vorstellungen<br />

über das Älterwerden für die Ges<strong>und</strong>heitsvorhersage als sehr bedeutsam. Vorstellungen<br />

über das Älterwerden können dabei bereits zu Beg<strong>in</strong>n der zweiten Lebenshälfte die Ges<strong>und</strong>heit<br />

bee<strong>in</strong>flussen, mit steigendem Alter nimmt ihre Bedeutung jedoch noch zu.<br />

Die Ergebnisse zu Vorstellungen über das Älterwerden legen im Gegensatz zu den sozialen<br />

Faktoren nahe, dass sie nicht nur über viele Jahre kumulativ e<strong>in</strong>e Wirkung auf die Ges<strong>und</strong>heit<br />

entfalten, sondern bereits im Zeitraum der betrachteten sechs Jahre e<strong>in</strong>en deutlichen E<strong>in</strong>fluss auf<br />

die Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung haben.


Kapitel 8: Prädiktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

Dies zeigte sich vor allem im H<strong>in</strong>blick auf die <strong>Entwicklung</strong> körperlicher Erkrankungen. Vorstellungen<br />

über das Älterwerden bee<strong>in</strong>flussen <strong>in</strong> bedeutsamer Weise, ob es zu e<strong>in</strong>er Zu- bzw.<br />

Abnahme oder Konstanz der Anzahl körperlicher Erkrankungen <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Zeitraumes von<br />

sechs Jahren kommt – dies gilt für alle drei betrachteten Altersgruppen. Dabei haben vor allem<br />

zwei Sichtweisen auf das Älterwerden starken E<strong>in</strong>fluss auf die Ges<strong>und</strong>heit: Zum e<strong>in</strong>en die pessimistische<br />

Vorstellung, dass das Älterwerden mit physischen Verlusten verb<strong>und</strong>en ist. Dabei<br />

wurde deutlich, dass die Erwartung von physischen Verlusten (<strong>und</strong> zwar unabhängig davon, <strong>in</strong><br />

welchem Umfang e<strong>in</strong>e Person bei der Erstbefragung krank bzw. ges<strong>und</strong> war) zu e<strong>in</strong>em Anstieg<br />

der Multimorbidität über den Zeitraum von sechs Jahren führte. Zum anderen erwies sich auch<br />

die optimistische Vorstellung, Älterwerden als e<strong>in</strong>e Möglichkeit für persönliche Weiterentwicklung<br />

zu sehen, als ges<strong>und</strong>heitsrelevant. E<strong>in</strong>e <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne positive Sicht auf das Älterwerden<br />

erwies sich als ges<strong>und</strong>heitsprotektiv. Personen, die das Älterwerden (auch) als Phase der Weiterentwicklung<br />

sahen, hatten e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>geren Anstieg von Krankheiten als Personen mit negativerer<br />

Sicht auf das Älterwerden – <strong>und</strong> zwar wiederum unabhängig davon, über wie viele<br />

Krankheiten die Personen zum ersten Befragungszeitpunkt berichteten.<br />

E<strong>in</strong>e nach Altersgruppen differenzierte Analyse konnte zeigen, dass <strong>in</strong> der ältesten Altersgruppe<br />

(76-91 Jahre) Erwartungen an das Älterwerden den größten E<strong>in</strong>fluss auf die Ges<strong>und</strong>heit haben.<br />

Bemerkenswert ist, dass aber auch bereits zu Beg<strong>in</strong>n der zweiten Lebenshälfte diesen alternsbezogenen<br />

Kognitionen e<strong>in</strong>e bedeutsame Rolle für die Ges<strong>und</strong>heit zukommt. Während sich bei<br />

Personen der ältesten Altersgruppe vor allem das Erleben persönlicher Weiterentwicklung wichtig<br />

für die Ges<strong>und</strong>heit herausstellte, ist für Jüngere (46-60-Jahre) vor allem ges<strong>und</strong>heitsrelevant,<br />

ob sie das Älterwerden mit physischen Verlusten verb<strong>in</strong>den oder nicht. Dieser Bef<strong>und</strong> lässt sich<br />

möglicherweise damit erklären, dass <strong>in</strong> jüngeren Jahren die „Gew<strong>in</strong>n-Verlust-Bilanz“ (Baltes,<br />

1997) <strong>in</strong>sgesamt noch positiv ausfällt. Dadurch s<strong>in</strong>d nicht primär positive Erwartungen an das<br />

Älterwerden, sondern vor allem pessimistische Erwartungen, wie die Erwartung physischer<br />

Verluste, ges<strong>und</strong>heitsrelevant. In höherem Alter h<strong>in</strong>gegen fällt die „Gew<strong>in</strong>n-Verlust-Bilanz“<br />

zunehmend negativ aus. Verb<strong>in</strong>den <strong>in</strong> diesem Alter Personen das Älterwerden mit physischen<br />

Verlusten, so handelt es sich oftmals um realistische E<strong>in</strong>schätzungen aufgr<strong>und</strong> eigener Erfahrungen.<br />

Entscheidend ist vermutlich <strong>in</strong> dieser Altersgruppe deshalb weniger, ob das Älterwerden<br />

mit Verlusten verb<strong>und</strong>en wird, sondern, ob trotz erlebter Verluste auch noch Gew<strong>in</strong>ne mit<br />

dem Älterwerden verb<strong>und</strong>en werden.<br />

Es ist wünschenswert, <strong>in</strong> vertiefenden Analysen mehr über die Wirkungswege zu erfahren, über<br />

die sich der E<strong>in</strong>fluss der verschiedenen, untersuchten Faktoren auf die Ges<strong>und</strong>heit vollzieht.<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der Wirkungsweise sozialer Faktoren auf die Ges<strong>und</strong>heit ist allerd<strong>in</strong>gs bereits aus<br />

verschiedenen Studien bekannt, dass Personen aus niedrigen sozialen Schichten häufiger ges<strong>und</strong>heitsabträgliche<br />

Lebensgewohnheiten (bezüglich Ernährungs- <strong>und</strong> Bewegungsverhalten,<br />

Konsum von Genussmitteln) aufweisen <strong>und</strong> ger<strong>in</strong>gere psychische Bewältigungsressourcen haben<br />

als Personen höherer sozialer Schichten (Mielck, 2000; Wurm & Tesch-Römer, im Druck).<br />

In weitergehenden Analysen sollte die Betrachtung deshalb dah<strong>in</strong>gehend ausgeweitet werden,<br />

ob sich unterschiedliche soziale Gruppen auch <strong>in</strong> ihrer Sicht auf das Älterwerden unterscheiden.<br />

Schließlich ist zu fragen, <strong>in</strong> welcher Weise sich Vorstellungen über das Älterwerden auf die<br />

Ges<strong>und</strong>heit auswirken – möglicherweise spielt hierbei das unterschiedliche Ges<strong>und</strong>heitsverhalten<br />

von Personen mit e<strong>in</strong>er eher positiven oder negativen Sicht auf das Älterwerden e<strong>in</strong>e Rolle.<br />

387


8.6 Implikationen<br />

388<br />

Susanne Wurm<br />

1. Soziale Faktoren: Die Ergebnisse zur Bedeutung sozialer Faktoren für die Ges<strong>und</strong>heit machen<br />

deutlich, dass soziale Faktoren (<strong>und</strong> damit auch Aspekte sozialer Ungleichheit) bis <strong>in</strong>s<br />

hohe Alter wichtig für die Ges<strong>und</strong>heit bleiben. Allerd<strong>in</strong>gs gehen mit dem Altern oftmals soziale<br />

Verluste (z.B. Verlust der Partner<strong>in</strong>/des Partners) sowie im Zusammenhang mit dem Übergang<br />

<strong>in</strong> den Ruhestand Statusverluste <strong>und</strong> materielle Verluste e<strong>in</strong>her. Es ersche<strong>in</strong>t deshalb wichtig,<br />

gesellschaftlich e<strong>in</strong>en Ausgleich zu diesen sozialen Verlusten zu schaffen. Zu solchen Formen<br />

e<strong>in</strong>es Ausgleiches zählt die Stärkung der sozialen Teilhabe Älterer, d.h. die Stärkung sozialer<br />

Integration <strong>und</strong> Partizipation. Wichtig ist hierbei auch die gesellschaftliche Akzeptanz <strong>und</strong> Anerkennung<br />

Älterer, was vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der vorherrschenden, überwiegend negativen Altersstereotypen<br />

nicht als selbstverständlich angesehen werden kann. Schließlich ist es, besonders<br />

zur Aufrechterhaltung e<strong>in</strong>er guten subjektiven Ges<strong>und</strong>heit bedeutsam, ältere Personen im<br />

Fall von sozialen Verlusterlebnissen zu unterstützen <strong>und</strong> zu begleiten. Die Aufrechterhaltung<br />

e<strong>in</strong>er guten subjektiven Ges<strong>und</strong>heit ist, neben dem Wert e<strong>in</strong>er hohen Lebensqualität, auch wichtig<br />

<strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf die Mortalitätsentwicklung. Die ungünstige Prognose bezüglich der Mortalitätsentwicklung<br />

von Personen mit schlechter subjektiver Ges<strong>und</strong>heit ist aus zahlreichen Studien<br />

bekannt.<br />

2. Ges<strong>und</strong>heitsverhalten <strong>und</strong> psychische Ressourcen: Die Ergebnisse zur Bedeutung sportlicher<br />

Aktivität für die Ges<strong>und</strong>heit machen deutlich, dass Sport auch <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte e<strong>in</strong>e<br />

wichtige präventive Funktion zukommt. Allerd<strong>in</strong>gs treibt e<strong>in</strong> großer <strong>und</strong> mit dem Altern wachsender<br />

Anteil von Personen ke<strong>in</strong>erlei Sport 5 . Es ist deshalb anzustreben, auch Ältere zu Bewegungs-<br />

bzw. sportlichen Aktivitäten zu motivieren, sie (teilweise erstmals) an sportliche Aktivitäten<br />

heranzuführen <strong>und</strong> dabei <strong>in</strong> adäquater Weise die <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Konstitution zu berücksichtigen.<br />

– In H<strong>in</strong>blick auf das Ges<strong>und</strong>heitsverhalten <strong>und</strong> die Ges<strong>und</strong>heit erweisen sich auch die<br />

psychischen Ressourcen als relevant. Die Erhöhung der psychischen Ressourcen, zu der unter<br />

anderem die Verbesserung <strong>und</strong> Stabilisierung der emotionalen Bef<strong>in</strong>dlichkeit <strong>und</strong> die Stärkung<br />

persönlicher Kontrollüberzeugungen zählt, ist e<strong>in</strong>erseits wichtig, um krankheitsbed<strong>in</strong>gte Belastungen<br />

besser bewältigen zu können. Im S<strong>in</strong>ne der (primären) Prävention fördern diese Ressourcen<br />

zudem die persönlichen Möglichkeiten, um ges<strong>und</strong>heitlich belastendes Verhalten (z.B.<br />

Rauchverhalten) reduzieren zu können.<br />

3. Vorstellungen über das Älterwerden: Im vorliegenden Kapitel wurde aufgezeigt, dass Vorstellungen<br />

über das Älterwerden e<strong>in</strong>e große Bedeutung für die Ges<strong>und</strong>heit zukommt. Die Tatsache,<br />

dass persönliche Erwartungen <strong>und</strong> Erlebensweisen die Ges<strong>und</strong>heit bee<strong>in</strong>flussen können <strong>und</strong><br />

somit „das Denken“ auch Konsequenzen auf körperlicher Ebene haben kann, ist weith<strong>in</strong> bekannt<br />

– besonders durch Forschungsarbeiten zum E<strong>in</strong>fluss von Optimismus auf die Ges<strong>und</strong>heit<br />

(z.B. Peterson, Seligman & Valliant, 1988; Schaier & Carver, 1987; Scheier et al., 1989;<br />

Schwarzer, 1994). Der Bef<strong>und</strong>, dass jedoch auch Vorstellungen über das Älterwerden die Ges<strong>und</strong>heit<br />

bee<strong>in</strong>flussen, ist neu <strong>und</strong> konnte bisher nur anhand e<strong>in</strong>er amerikanischen Studie gezeigt<br />

werden (Levy et al., 2002). Vorstellungen über das Älterwerden haben alle Personen, K<strong>in</strong>der<br />

5 Gemäß der Daten des Alterssurveys treiben 28 Prozent der 40- bis 54-Jährigen, 37 Prozent der 55- bis 69-Jährigen<br />

sowie 59 Prozent der 70- bis 85-Jährigen ke<strong>in</strong>erlei Sport.


Kapitel 8: Prädiktoren für Ges<strong>und</strong>heit <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

wie Hochbetagte. Gerade bei Jüngeren s<strong>in</strong>d diese Vorstellungen vor allem durch gesellschaftliche<br />

Altersstereotype geprägt. Diese Stereotype haben <strong>in</strong> westlichen Gesellschaften e<strong>in</strong>e primär<br />

negative Ausrichtung. Mit zunehmendem Alter werden stereotypisierte Vorstellungen über das<br />

Älterwerden durch eigene Erfahrungen ergänzt <strong>und</strong> modifiziert, umgekehrt werden jedoch auch<br />

persönliche Erfahrungen des Älterwerdens vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> ver<strong>in</strong>nerlichter Altersstereotype<br />

<strong>in</strong>terpretiert. Dies macht deutlich, dass die Bedeutung negativer Altersstereotypen – <strong>und</strong> ihrer<br />

Konsequenzen – nicht unterschätzt werden sollte. Es ersche<strong>in</strong>t deshalb wichtig, negative Altersstereotype<br />

abzubauen <strong>und</strong> positive Seiten des Alterns stärker gesellschaftlich sichtbar zu machen.<br />

Dabei geht es nicht darum, negative Seiten des Alterns zu negieren <strong>und</strong> das Älterwerden<br />

zu idealisieren. Viel eher geht es darum, die breite Öffentlichkeit stärker über jene Forschungserkenntnisse<br />

zu <strong>in</strong>formieren, die zeigen, dass der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand nicht mit Altse<strong>in</strong><br />

oder der Vorbereitung auf das Lebensende gleichzusetzen ist. Die Lebensphase des Alters, <strong>in</strong>sbesondere<br />

des sogenannten „dritten Alters“, das derzeit bis etwa 80 Jahre angesetzt wird, hat<br />

sich <strong>in</strong> den letzten Jahren <strong>und</strong> Jahrzehnten stetig verändert <strong>und</strong> die Möglichkeiten e<strong>in</strong>er positiven<br />

Sicht auf das Älterwerden deutlich erweitert.<br />

Der Bef<strong>und</strong>, dass soziale Faktoren, Ges<strong>und</strong>heitsverhalten, psychische Ressourcen <strong>und</strong> schließlich<br />

auch Vorstellungen über das Älterwerden sowohl zu Beg<strong>in</strong>n der zweiten Lebenshälfte, als<br />

auch im höheren Alter e<strong>in</strong>e hohe Bedeutung für die Ges<strong>und</strong>heit haben, weist darauf h<strong>in</strong>, dass <strong>in</strong><br />

Maßnahmen zur Ges<strong>und</strong>heitsförderung stets gesellschaftliche, soziale <strong>und</strong> psychische Faktoren<br />

gleichermaßen berücksichtigt werden sollten. E<strong>in</strong>e solche multidiszipl<strong>in</strong>äre Herangehensweise<br />

sollte dabei Aspekte wie die eigene Sicht auf das Älterwerden e<strong>in</strong>beziehen <strong>und</strong> zwar nicht erst<br />

bei jenen, die bereits e<strong>in</strong> hohes Alter erreicht haben, sondern gerade auch bei Personen, die am<br />

Beg<strong>in</strong>n ihrer zweiten Lebenshälfte stehen.<br />

389


8.7 Literatur<br />

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9. Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

<strong>und</strong> Lebensqualität <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

Clemens Tesch-Römer <strong>und</strong> Susanne Wurm<br />

9.1 E<strong>in</strong>leitung<br />

Subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität s<strong>in</strong>d zentrale Konzepte der Alterssozialberichterstattung<br />

<strong>und</strong> der sozial- <strong>und</strong> verhaltenswissenschaftlichen Alternsforschung. Auch im täg-<br />

lichen Leben s<strong>in</strong>d die Bed<strong>in</strong>gungen von „Zufriedenheit“, „Freude“ oder „Glück“ von hohem<br />

Interesse. Für die Sozialberichterstattung s<strong>in</strong>d subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

bedeutsame Indikatoren für die Bewertung gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s, die neben objektive<br />

Indikatoren wie materielle Lebenslage, Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>und</strong> soziale Integration treten.<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität können als Kriterien für die Effizienz gesellschaftlicher<br />

Wohlfahrtsproduktion verstanden werden. Damit ist die kont<strong>in</strong>uierliche Beobachtung dieser<br />

subjektiven Indikatoren im zeitlichen Verlauf e<strong>in</strong>e der wichtigen Aufgaben der Sozialberichterstattung.<br />

In Ergänzung zu diesem Erkenntnis<strong>in</strong>teresse wird <strong>in</strong> der sozial- <strong>und</strong> verhaltenswissenschaftlichen<br />

Alternsforschung den <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n <strong>und</strong> sozialen Bed<strong>in</strong>gungen des subjektiven<br />

Wohlbef<strong>in</strong>dens Aufmerksamkeit gewidmet. E<strong>in</strong> Ausgangspunkt dieses Forschungsstranges ist<br />

die Beobachtung, dass die Lebensbed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>er Person <strong>und</strong> deren Bewertung nicht immer<br />

übere<strong>in</strong>stimmen. Neben den Merkmalen der Lebenssituation werden hierbei auch <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong><br />

Standards <strong>und</strong> Erwartungen sowie personale Bewältigungskompetenzen bei der Verarbeitung<br />

von kritischen Lebensereignissen <strong>in</strong> den Blick genommen.<br />

Die Frage nach Lebensqualität gew<strong>in</strong>nt besondere Bedeutung mit Blick auf Altwerden <strong>und</strong><br />

Altse<strong>in</strong>. Ob die zweite Lebenshälfte als erfüllte Phase des Lebenslaufs zu charakterisieren ist,<br />

bestimmt sich auch durch das <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Wohlbef<strong>in</strong>den älter werdender Menschen. Angesichts<br />

des demografischen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er hohen (<strong>und</strong> <strong>in</strong> Zukunft weiter steigenden) Lebenserwartung<br />

ist zu fragen, wie e<strong>in</strong>e hohe Lebensqualität von Menschen <strong>in</strong> der zweiten Hälfte des Lebens<br />

sicher gestellt werden kann.<br />

Im vorliegenden Kapitel stehen <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong>sprozesse <strong>und</strong> gesellschaftliche Veränderungen<br />

h<strong>in</strong>sichtlich subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens <strong>und</strong> Lebensqualität im Mittelpunkt des<br />

Interesses. Gibt es e<strong>in</strong>e Veränderung der Lebensqualität im Verlauf der historischen Zeit? Verändert<br />

sich die Lebensqualität mit dem Alter e<strong>in</strong>er Person? Welche Bed<strong>in</strong>gungen bee<strong>in</strong>flussen<br />

die sich wandelnde Lebensqualität von älter werdenden Menschen? Um diese Fragen zu beantworten,<br />

werden zunächst theoretische Überlegungen <strong>und</strong> daraus resultierende Untersuchungsfragen<br />

formuliert. Daran schließen sich methodische Informationen zur Datenbasis <strong>und</strong> den<br />

verwendeten Indikatoren an. Den Hauptteil des Kapitels bilden jene Bef<strong>und</strong>e aus dem Alterssurvey,<br />

die sich auf den <strong>Wandel</strong> von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität <strong>in</strong> der historischen<br />

Zeit (Kohortenvergleich) sowie im biografischen Verlauf (Panelanalyse) beziehen.<br />

395


396<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

Abschließend werden die Bef<strong>und</strong>e mit Blick auf Bewältigungskompetenz <strong>und</strong> Resilienz älter<br />

werdender Menschen <strong>in</strong>terpretiert.<br />

9.2 Theoretische Überlegungen<br />

Konzeptuelle Überlegungen zu den Konstrukten subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

werden mit Blick auf die Forschungstraditionen der Sozialberichterstattung sowie der sozial-<br />

<strong>und</strong> verhaltenswissenschaftlichen Alternsforschung erörtert (andere Perspektiven, wie etwa die<br />

mediz<strong>in</strong>ische oder psychiatrische Sicht des Wohlbef<strong>in</strong>dens bleiben unberücksichtigt (vgl. Bull<strong>in</strong>ger,<br />

1997; Smith, Fleeson, Geiselmann, Settersten & Kunzmann, 1996). Zudem werden Modelle<br />

des Zusammenhangs zwischen Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> Lebensbewertung vorgestellt.<br />

Abschließend werden Forschungsfragen formuliert.<br />

9.2.1 Die Konstrukte „Lebensqualität“ <strong>und</strong> „subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den“<br />

Innerhalb der sozial- <strong>und</strong> verhaltenswissenschaftlichen Alternsforschung wird das Konstrukt<br />

„subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den“ def<strong>in</strong>iert als emotionale <strong>und</strong> kognitive Reaktion auf Zustände, Ereignisse<br />

<strong>und</strong> Erfahrungen, mit denen e<strong>in</strong>e Person im Verlauf ihres Lebens konfrontiert wird<br />

(Diener, Suh, Lucas & Smith, 1999; Okun, 2001). Im Bereich der Sozialberichterstattung wird<br />

<strong>in</strong> diesem Zusammenhang häufig auch der Begriff „Lebensqualität“ verwendet (Campbell,<br />

Converse & Rogers, 1976; Noll & Schöb, 2002; Zapf, 1984). Beide Begriffe weisen e<strong>in</strong>e so<br />

hohe konzeptuelle Ähnlichkeit auf, dass sie im folgenden synonym verwendet werden. Trotz<br />

dieser Ähnlichkeit zeigen sich auch Unterschiede zwischen den beiden Traditionen.<br />

In der Sozialberichterstattung steht die Wohlfahrtsproduktion von Gesellschaften im Mittelpunkt<br />

des Interesses. Zentrale Aufgabe der Sozialberichterstattung ist die Bereitstellung von Informationen<br />

über Niveau, Verteilung <strong>und</strong> Verlauf <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Wohlfahrt für Sozial- <strong>und</strong> Gesellschaftspolitik<br />

sowie für den allgeme<strong>in</strong>en gesellschaftlichen Diskurs (Noll, 1997; Zapf, 1977).<br />

Subjektive Reaktionen von Menschen auf ihre Lebenssituation werden als e<strong>in</strong> Bestandteil von<br />

Wohlfahrt angesehen, <strong>und</strong> zwar entweder als Komplement zu den objektiven Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

(Schupp, Habich & Zapf 1996; Zapf, 1984; Zapf & Habich 1996) oder als Indikator für die<br />

<strong>in</strong> der Biografie realisierten Lebensergebnisse (Campbell, Converse & Rodgers, 1976). Bef<strong>und</strong>e<br />

zum subjektiven Wohlergehen von Gesellschaftsmitgliedern liefern damit e<strong>in</strong>en bedeutsamen<br />

Beitrag zur Bewertung des Zustandes <strong>und</strong> der <strong>Entwicklung</strong> der betreffenden Gesellschaft. E<strong>in</strong><br />

Beispiel hierfür ist die Verwendung des globalen Indikators „allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit“<br />

für die Bewertung der „Lebbarkeit“ von Gesellschaften (Veenhoven, 2002). Neben globalen<br />

Maßen des allgeme<strong>in</strong>en subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens werden aber auch spezifische subjektive<br />

Indikatoren zu zentralen Lebensbereichen verwendet, etwa Zufriedenheit mit Ges<strong>und</strong>heit, E<strong>in</strong>kommen<br />

oder sozialen Netzwerken (Noll & Schöb, 2002).<br />

Innerhalb der sozial- <strong>und</strong> verhaltenswissenschaftlichen Alternsforschung ist die Analyse subjektiven<br />

Wohlbef<strong>in</strong>dens häufig e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> übergreifende theoretische Konzeptionen <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n<br />

Verhaltens <strong>und</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r <strong>Entwicklung</strong>, etwa mit Blick auf Motive menschlichen Verhal-


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

tens oder auf die <strong>Entwicklung</strong> des Selbst im Lebenslauf (Keyes & Ryff, 1999). Ziel dieser Forschung<br />

ist e<strong>in</strong>e umfassende Beschreibung <strong>und</strong> Erklärung <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Wohlbef<strong>in</strong>dens, die e<strong>in</strong>e<br />

multidimensionale Erfassung des Konstrukts „subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den“ notwendig macht.<br />

Dabei werden nicht alle<strong>in</strong> Beurteilungen der eigenen Lebenssituation, sondern auch Stimmungen<br />

<strong>und</strong> Gefühle erfasst. Ähnlich wie <strong>in</strong> der alltäglichen Unterscheidung zwischen „Zufriedenheit“<br />

<strong>und</strong> „Glück“ lassen sich kognitive <strong>und</strong> emotionale Komponenten des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

unterscheiden (Filipp, 2002). Kognitive Bestandteile des Wohlbef<strong>in</strong>dens s<strong>in</strong>d Bewertungen<br />

der eigenen Lebenssituation, die mit Blick auf bestimmte Maßstäbe oder Zielvorstellungen<br />

vorgenommen werden. Emotionale Bestandteile des Wohlbef<strong>in</strong>dens s<strong>in</strong>d Gefühlszustände <strong>und</strong><br />

Affekte, die e<strong>in</strong>erseits als direkte Reaktionen auf Erfahrungen <strong>und</strong> Erlebnisse vorübergehende<br />

Stimmungen der Person widerspiegeln, aber auch als stabile Gr<strong>und</strong>gestimmtheiten Nähe zu<br />

Persönlichkeitseigenschaften aufweisen können. In der Forschung werden beide Dimensionen<br />

als Facetten desselben Konstrukts „subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den“ behandelt (Diener, 2000). Allerd<strong>in</strong>gs<br />

wird angenommen, dass kognitive <strong>und</strong> emotionale Komponenten des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

auf unterschiedlichen <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Verarbeitungsmechanismen basieren. Zufriedenheitsurteile<br />

spiegeln den Vergleich der wahrgenommenen Lebenssituation mit Lebenszielen<br />

oder anderen Maßstäben wider. Affektive Reaktionen s<strong>in</strong>d dagegen transiente Reaktionen auf<br />

wechselnde Lebensereignisse, die – möglicherweise um e<strong>in</strong>e <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Basel<strong>in</strong>e emotionaler<br />

Gr<strong>und</strong>bef<strong>in</strong>dlichkeit – über die Zeit h<strong>in</strong>weg fluktuieren. Obwohl die zugr<strong>und</strong>eliegenden Mechanismen<br />

unterschiedlich s<strong>in</strong>d, bee<strong>in</strong>flussen sich Zufriedenheitsurteile <strong>und</strong> Gefühlszustände gegenseitig.<br />

So zeigt sich <strong>in</strong> empirischen Untersuchungen, dass kognitive <strong>und</strong> emotionale Bestandteile<br />

des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>den mite<strong>in</strong>ander korrelieren. Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d die Korrelationen<br />

<strong>in</strong> der Regel nur von mittlerer Größe (Westerhof, 2001), so dass es auch aus empirischer<br />

Sicht s<strong>in</strong>nvoll ist, diese Aspekte bei der Beschreibung der Lebensqualität zu trennen.<br />

Zusätzlich zu der Unterscheidung zwischen kognitiven <strong>und</strong> affektiven Komponenten subjektiven<br />

Wohlbef<strong>in</strong>dens haben sich weitere Differenzierungen als nützlich <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nvoll erwiesen.<br />

Kognitive Zufriedenheitsurteile können sich – wie oben bereits erwähnt – entweder als allgeme<strong>in</strong>e<br />

Lebenszufriedenheit auf die gesamte Lebenssituation oder als bereichsspezifische Bewertungen<br />

auf e<strong>in</strong>zelne Lebensbereiche wie Arbeit, Familie oder Ges<strong>und</strong>heit beziehen (Campbell et<br />

al., 1976; Smith et al., 1996). H<strong>in</strong>sichtlich emotionaler Bef<strong>in</strong>dlichkeit wird zwischen positiven<br />

<strong>und</strong> negativen Affekten unterschieden (Bradburn, 1969). Während <strong>in</strong> unmittelbarer Anschauung<br />

das gleichzeitige Erleben positiver <strong>und</strong> negativer Emotionen nur schwer oder zum<strong>in</strong>dest nur <strong>in</strong><br />

besonderen Situationen vorstellbar ist, zeigt sich doch e<strong>in</strong>e Unabhängigkeit beider Konstrukte,<br />

wenn man die Auftretenswahrsche<strong>in</strong>lichkeit positiver <strong>und</strong> negativer Emotionen über e<strong>in</strong>en bestimmten<br />

Zeitraum <strong>in</strong> den Blick nimmt. Fragt man nach der Affekthäufigkeit <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es<br />

Zeitraums (z.B. <strong>in</strong> der letzten Woche, im letzten Monat, im letzten Jahr), so f<strong>in</strong>den sich empirisch<br />

nur ger<strong>in</strong>ge Korrelationen zwischen positivem <strong>und</strong> negativem Affekt (Watson, Clark &<br />

Tellegen, 1988). Daher werden <strong>in</strong> der sozial- <strong>und</strong> verhaltenswissenschaftlichen Alternsforschung<br />

positive <strong>und</strong> negative Affekte als unabhängige Dimensionen des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

berücksichtigt.<br />

Im vorliegenden Kontext wird das übergeordnete Konstrukt des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

bzw. der Lebensqualität anhand kognitiver <strong>und</strong> emotionaler Dimensionen def<strong>in</strong>iert. Dabei werden<br />

im Bereich der kognitiven Lebensbewertung der übergeordnete Aspekt der „allgeme<strong>in</strong>en<br />

397


398<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

Lebenszufriedenheit“ <strong>und</strong> – hierarchisch untergeordnete – bereichsspezifische Zufriedenheitsurteile<br />

unterschieden. Innerhalb emotionalen Wohlbef<strong>in</strong>dens werden die vone<strong>in</strong>ander unabhängigen<br />

Komponenten des positiven <strong>und</strong> des negativen Affekts berücksichtigt.<br />

9.2.2 Objektive Lebenssituation <strong>und</strong> subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

E<strong>in</strong>e zentrale Frage der Forschung zu Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität betrifft den Zusammenhang<br />

zwischen objektiver Lebenssituation <strong>und</strong> subjektiver Lebensbewertung. Dabei lassen<br />

sich drei prototypische Ansätze unterscheiden. (a) „Bottom-up“-Ansätze basieren zunächst auf<br />

der Annahme, dass subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den aus der Summe angenehmer <strong>und</strong> unangenehmer<br />

Ereignisse <strong>und</strong> Erlebnisse resultiert, die e<strong>in</strong>e Person erfährt. Für den vorliegenden Kontext ist<br />

besonders die Annahme zentral, dass die objektive Lebenssituation e<strong>in</strong>er Person, etwa h<strong>in</strong>sichtlich<br />

der <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Verfügbarkeit von Ressourcen, die Qualität von Ereignissen <strong>und</strong> Erlebnissen<br />

bestimmt. Da günstige Lebenslagen die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit für angenehme Ereignisse erhöhen,<br />

sollte auch das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den von Personen <strong>in</strong> günstigen Lebenslagen positiver<br />

se<strong>in</strong> als von Personen <strong>in</strong> ungünstigen Lebenslagen. (b) „Top-down“-Ansätze gehen davon aus,<br />

dass Personen <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Prädispositionen für das Erleben von Glück oder Zufriedenheit aufweisen.<br />

Unabhängig von den Erlebnissen <strong>und</strong> Ereignissen s<strong>in</strong>d Personen mit e<strong>in</strong>er positiven<br />

Gr<strong>und</strong>stimmung glücklicher oder zufriedener als Personen mit e<strong>in</strong>er negativen Gr<strong>und</strong>stimmung.<br />

(c) Der dritte Ansatz versucht, vermittelnde Bed<strong>in</strong>gungen, wie etwa kognitive Wahrnehmungs-<br />

<strong>und</strong> Beurteilungsprozesse bei der <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Bewertung der objektiven Lebenssituation zu<br />

berücksichtigen.<br />

„Bottom-up“-Ansätze des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

E<strong>in</strong> re<strong>in</strong>er „Bottom-up“-Ansatz des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens wird <strong>in</strong> der Forschung kaum<br />

vertreten. Anspruch der Sozialberichterstattung ist jedoch zum<strong>in</strong>dest, das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

von Menschen auf ihre objektiven Lebensbed<strong>in</strong>gungen zu beziehen (Habich & Noll, 2002).<br />

Ansätze der Sozialberichterstattung gehen davon aus, dass subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den wesentlich<br />

von der Qualität des ökologischen, sozialen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Kontextes abhängt. Dabei<br />

zeigen sich <strong>in</strong> entsprechenden Untersuchungen Zusammenhänge von materieller Lage, Erwerbsstatus<br />

<strong>und</strong> Haushaltsgröße mit Lebenszufriedenheit, Glücksempf<strong>in</strong>den, geäußerten Besorgnissen<br />

<strong>und</strong> Anomie-Symptomen (Bulmahn, 2002). Auch auf gesellschaftlicher Ebene lässt sich e<strong>in</strong><br />

Zusammenhang zwischen objektiver Lebenslage <strong>und</strong> subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den nachweisen. In<br />

gesellschaftsvergleichenden Studien wird regelmäßig berichtet, dass die Wohlfahrt e<strong>in</strong>es Landes<br />

<strong>und</strong> das (mittlere) subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den se<strong>in</strong>er Bewohner mite<strong>in</strong>ander korreliert s<strong>in</strong>d (Diener,<br />

1996; Fahey & Smyth, 2004; Veenhooven, 2002).<br />

Folgt man dem „Bottom-up“-Ansatz des Wohlbef<strong>in</strong>dens, so sollten jene Aspekte der objektiven<br />

Lebenssituation, die zu e<strong>in</strong>er erhöhten Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit positiver (oder negativer) Erlebnisse<br />

oder Erfahrungen führen, mit Zufriedenheit <strong>und</strong> Affekt korreliert se<strong>in</strong>. Hierzu gehören beispielsweise<br />

die Bereiche Ges<strong>und</strong>heit (E<strong>in</strong>schränkungen s<strong>in</strong>d mit negativen Erlebnissen verb<strong>und</strong>en)<br />

sowie materielle Lage (Verfügen über f<strong>in</strong>anzielle Ressourcen ist eher mit positiven Erlebnissen<br />

verb<strong>und</strong>en). In der Tat korrelieren e<strong>in</strong>ige Merkmale der objektiven Lebenssituation mit


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

dem subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>den (Mannell & Dupuis, 1996; Okun, 2001). Hierzu zählen Ges<strong>und</strong>heitsstatus<br />

(<strong>und</strong> zwar <strong>in</strong>sbesondere funktionelle Ges<strong>und</strong>heit), materielle Lage, Erwerbsstatus<br />

<strong>und</strong> soziale Integration. Soziodemografische Merkmale wie Alter, Bildungsstand <strong>und</strong> ethnische<br />

Zugehörigkeit korrelieren nur ger<strong>in</strong>g mit Lebenszufriedenheit. Während die Lebenszufriedenheit<br />

mit dem Alter nicht s<strong>in</strong>kt, sche<strong>in</strong>t positiver Affekt jedoch mit dem Alter im Durchschnitt<br />

abzunehmen (Diener & Suh, 1998; Noll & Schöb, 2002). Frauen <strong>und</strong> Männer unterscheiden<br />

sich <strong>in</strong> der Regel zuungunsten der Frauen (ger<strong>in</strong>gerer positiver Affekt, höherer negativer Affekt).<br />

E<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong> für diese Geschlechtsunterschiede könnte <strong>in</strong> ungleich verteilten Ressourcen<br />

<strong>und</strong> Opportunitätsstrukturen bestehen (Tesch-Römer, Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, Kondratowitz & Tomasik,<br />

2003).<br />

Trotz der Vielfalt von Zusammenhängen zwischen objektiver Lebenssituation <strong>und</strong> subjektivem<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den muss man jedoch feststellen, dass Korrelationen zwischen objektiven Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>und</strong> subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>in</strong> der Regel nur mäßig s<strong>in</strong>d 1 . Beispielsweise korrelieren<br />

materielle Lage <strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit nicht sehr stark, <strong>und</strong> auch der Zusammenhang<br />

zwischen E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> der bereichsspezifischen Bewertung des Lebensstandards<br />

ist nur von mittleren Höhe (Westerhof, 2001). Entsprechend s<strong>in</strong>d die mittleren Unterschiede<br />

<strong>in</strong> der Lebenszufriedenheit zwischen Personen am oberen <strong>und</strong> unteren Ende der E<strong>in</strong>kommensverteilung<br />

häufig nur ger<strong>in</strong>g (Bulmahn, 2002). Zudem kontrastiert der im Lebenslauf<br />

häufig beobachtete Anstieg des E<strong>in</strong>kommens mit e<strong>in</strong>em gleichbleibenden Niveau subjektiven<br />

Wohlbef<strong>in</strong>dens im Lebenslauf: Die Zunahme des <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n E<strong>in</strong>kommens führt nicht unbed<strong>in</strong>gt<br />

zu e<strong>in</strong>er Erhöhung von Lebenszufriedenheit <strong>und</strong> Glück (Easterl<strong>in</strong> & Schaeffer, 1999).<br />

E<strong>in</strong>e Lösung der Divergenz zwischen objektiven Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

besteht dar<strong>in</strong>, subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den als Epiphänomen zu behandeln <strong>und</strong> weitgehend<br />

zu ignorieren. Diese Lösung bildet die Basis des schwedischen „levels-of-liv<strong>in</strong>g“-Ansatzes der<br />

Sozialberichterstattung (Erikson, 1974; Noll, 2000; Vogel, 1999, 2002), <strong>in</strong> der die Wohlfahrt<br />

e<strong>in</strong>er Gesellschaft ausschließlich anhand objektiver Indikatoren beschrieben wird. E<strong>in</strong>e zweite<br />

Lösungsmöglichkeit besteht dar<strong>in</strong>, vermittelnde kognitive Prozesse der Wahrnehmung <strong>und</strong> Urteilsbildung<br />

zu analysieren. Die Berücksichtigung kognitiver Prozesse f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> empirischen<br />

Analysen nur selten E<strong>in</strong>gang, ihre Bedeutung wird jedoch oftmals bei der Interpretation von<br />

entsprechenden (divergierenden) Bef<strong>und</strong>en betont.<br />

„Top-down“-Ansätze des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

Die Bedeutung von <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Merkmalen als Bed<strong>in</strong>gung des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

wird <strong>in</strong> der Persönlichkeitspsychologie betont. Diese spricht <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Eigenschaften<br />

(„Traits“) e<strong>in</strong>e zentrale Bedeutung für subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den zu (Diener, 2000). Dieser<br />

„Top-down“-Ansatz geht davon aus, dass Individuen prädisponiert s<strong>in</strong>d, auf Ereignisse oder<br />

Situationen <strong>in</strong> positiver oder negativer Weise zu reagieren – <strong>und</strong> zwar unabhängig von den<br />

Merkmalen der jeweiligen Situation. In den Worten von Proponenten dieses Ansatzes: „Despite<br />

1 Hier deutet sich schon an, dass subjektiv positive Erlebnisse nicht alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Funktion der Situation s<strong>in</strong>d, sondern<br />

auch von <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Merkmalen der Person abhängen, also etwa von <strong>in</strong>dividuell unterschiedlichen Zielen, Werten,<br />

Erwartungen oder Vergleichsstandards. Diese Überlegungen werden weiter unten, im Abschnitt „Subjektives<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den als Integration von Situation <strong>und</strong> Person“ ausgeführt.<br />

399


400<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

circumstances, some <strong>in</strong>dividuals seem to be happy people, some unhappy people“ (Costa,<br />

McCrae & Norris, 1981, p. 79). Die jeweiligen Merkmale e<strong>in</strong>er Situation s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>nerhalb dieser<br />

Position für das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den unbedeutend. Vielmehr werden Persönlichkeitseigenschaften<br />

wie beispielsweise Neurotizismus (Erregbarkeit/Ängstlichkeit) oder Extraversion<br />

(Aufgeschlossenheit) für das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den von Personen verantwortlich gemacht.<br />

Diese Eigenschaften werden als stabile Merkmale der Person konzeptualisiert, die – zum<strong>in</strong>dest<br />

im Erwachsenenalter – kaum durch äußere Ereignisse bee<strong>in</strong>flusst oder verändert werden. E<strong>in</strong>e<br />

Reihe von Bef<strong>und</strong>en spricht für die Bedeutung von Persönlichkeitseigenschaften als Bed<strong>in</strong>gungsfaktoren<br />

subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens: Die Bewertung verschiedener Lebensbereiche durch<br />

dieselbe Person ist <strong>in</strong> der Regel sehr ähnlich (bereichsübergreifend hoch oder niedrig), die zeitliche<br />

Stabilität subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens über die Zeit hoch <strong>und</strong> die Korrelationen von subjektivem<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den mit Persönlichkeitseigenschaften oft größer als mit Merkmalen der Situation<br />

(Diener, 1996).<br />

Allerd<strong>in</strong>gs gibt es auch e<strong>in</strong>e Reihe von Phänomenen <strong>und</strong> Fragen, die im Rahmen e<strong>in</strong>es re<strong>in</strong>en<br />

„Top-down“-Ansatzes kaum zu erklären s<strong>in</strong>d. So steht die empirisch beobachtbare <strong>in</strong>tra<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong><br />

Variation des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens über die Zeit im Widerspruch zur angenommenen<br />

Stabilität von Eigenschaften (Tesch-Römer, 1998). Insbesondere die Tatsache, dass kritische<br />

Lebensereignisse das Wohlbef<strong>in</strong>den von betroffenen Personen erheblich <strong>und</strong> langfristig<br />

verändern können, ist mit „Top-down“-Ansätzen <strong>in</strong>kompatibel. Schließlich ersetzt die Identifikation<br />

von Korrelationen zwischen Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Persönlichkeitseigenschaften nicht die<br />

Erklärung von Prozessen, die für Veränderung <strong>und</strong> Stabilität subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens verantwortlich<br />

s<strong>in</strong>d. Möglicherweise s<strong>in</strong>d affektive Reaktionen <strong>in</strong> stärkerem Maß von Persönlichkeitseigenschaften<br />

bee<strong>in</strong>flusst als kognitive Zufriedenheitsurteile. Emotionen s<strong>in</strong>d direkte Reaktionen<br />

auf Umweltreize. Insbesondere die Intensität emotionaler Reaktionen sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e starke<br />

biologische F<strong>und</strong>ierung (<strong>und</strong> damit e<strong>in</strong>e Nähe zu Persönlichkeitseigenschaften) zu haben. Dies<br />

trifft für kognitive Wahrnehmungs-, Bewertungs- <strong>und</strong> Urteilsprozesse im Zuge von Zufriedenheitsaussagen<br />

<strong>in</strong> weniger starkem Maße zu. Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d auch hier personale Faktoren zu<br />

beachten, wie etwa Ziele <strong>und</strong> Bewertungsstandards, die diese kognitiven Prozesse bee<strong>in</strong>flussen.<br />

Subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den als Integration von Situation <strong>und</strong> Person<br />

Die „Top-down“-Position des Wohlbef<strong>in</strong>dens stellt e<strong>in</strong>e bedeutsame Herausforderung für jene<br />

Bereiche der Sozialberichterstattung dar, die subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den ohne weitere Umstände<br />

als Indikator für die gesellschaftliche Wohlfahrtsproduktion <strong>in</strong>terpretieren. Im folgenden werden<br />

zwei Integrationsansätze vorgestellt, <strong>in</strong> denen die Bed<strong>in</strong>gungen subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens <strong>in</strong><br />

Merkmalen der Situation <strong>und</strong> <strong>in</strong> Merkmalen der Person gesehen werden (Brief, Butcher, George<br />

& L<strong>in</strong>k, 1993). Hierbei handelt es sich um die Berücksichtigung von Bewertungs- bzw. von<br />

Bewältigungsprozessen.<br />

Bewertungsprozesse: In der klassischen Studie zur „Quality of American Life“ (Campbell et al.,<br />

1976) wurde davon ausgegangen, dass Zufriedenheitsurteile vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> von Wahrnehmungs-<br />

<strong>und</strong> Beurteilungsprozessen entstehen. Zentral hierbei ist die Annahme, dass wahrgenommene<br />

Situationsmerkmale anhand persönlicher Vergleichsstandards bewertet werden. Die<br />

Bewertung von Situationsmerkmalen fließt <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Zufriedenheitsurteil zu e<strong>in</strong>em bestimmten


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

Lebensbereich e<strong>in</strong>. Allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit speist sich aus den jeweiligen bereichsspezifischen<br />

Zufriedenheitsurteilen. Das <strong>in</strong> der Berl<strong>in</strong>er Altersstudie verwendete Kaskaden-Modell<br />

zur Vorhersage des allgeme<strong>in</strong>en subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens basiert auf diesem Modell (Smith<br />

et al., 1996, 1999): Soziodemografische Merkmale bee<strong>in</strong>flussen die objektiven Lebensbed<strong>in</strong>gungen,<br />

diese bee<strong>in</strong>flussen subjektive Bereichsbewertungen <strong>und</strong> erst diese bereichsspezifischen<br />

Bewertungen bed<strong>in</strong>gen das Niveau des allgeme<strong>in</strong>en subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens. Beide Modelle<br />

lassen sich als Mediator-Modelle des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens charakterisieren: Zwischen<br />

dem <strong>in</strong>teressierenden Konstrukt (allgeme<strong>in</strong>es Wohlbef<strong>in</strong>den oder Lebenszufriedenheit) vermitteln<br />

e<strong>in</strong>e Reihe von <strong>in</strong>tervenierenden <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Wahrnehmungs- <strong>und</strong> Vergleichsprozessen<br />

(Mediatoren). Hierbei wird angenommen, dass Bewertungen vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> von – <strong>in</strong>dividuell<br />

unterschiedlichen – Werten, Normen <strong>und</strong> Zielen verglichen werden. Subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

entsteht also nicht aufgr<strong>und</strong> von „guten“ Bed<strong>in</strong>gungen der Lebenslage, sondern aufgr<strong>und</strong><br />

von Urteilen, die e<strong>in</strong>e konkrete Lebenslage als „gut“ <strong>in</strong> Bezug auf e<strong>in</strong>en bestimmten Vergleichsmaßstab<br />

charakterisiert. E<strong>in</strong>e ähnliche Konzeption f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> der f<strong>in</strong>nischen Sozialberichterstattung<br />

(Allardt, 1993). H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> dieses Ansatzes ist die Überzeugung, dass Menschen<br />

bestimmte universelle Gr<strong>und</strong>bedürfnisse haben (die Charakterisierung dieser Motivsysteme<br />

durch die Begriffe „hav<strong>in</strong>g-lov<strong>in</strong>g-be<strong>in</strong>g“ er<strong>in</strong>nert etwa an die Motivpyramide Maslows<br />

(1954). Die mehr oder weniger vollständige Befriedigung dieser Gr<strong>und</strong>bedürfnisse ist der H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><br />

für subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den (<strong>und</strong> für die Bewertung gesellschaftlicher Wohlfahrt).<br />

Bewältigungsprozesse: Ausgangspunkt der gerontologischen Bewältigungsforschung ist die<br />

Beobachtung, dass Menschen im Verlauf des Älterwerdens e<strong>in</strong>e Reihe von irreversiblen Verlusten<br />

erleiden. Nimmt man an, dass Verlustereignisse das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den bee<strong>in</strong>trächtigen,<br />

müsste man dementsprechend folgern, dass das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den mit zunehmendem<br />

Alter abnimmt. Die empirische Literatur hat aber wiederholt gezeigt, dass dies nicht der<br />

Fall ist. Die Korrelationen zwischen Alter <strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong>er Lebenszufriedenheit s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Regel<br />

so ger<strong>in</strong>g (Mannell & Dupuis, 1996; Smith & Baltes, 1996, p. 234), dass – gerade mit Blick<br />

auf alte <strong>und</strong> sehr alte Menschen – vom „Zufriedenheitsparadox“ gesprochen wird (Staud<strong>in</strong>ger,<br />

2000). Die hohe Adaptationsfähigkeit oder Resilienz älter werdender Menschen ist wiederholt<br />

e<strong>in</strong>drücklich beschrieben worden (Staud<strong>in</strong>ger, Fre<strong>und</strong>, L<strong>in</strong>den & Maas, 1996). Auf Diskrepanzen<br />

zwischen Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> Lebensbewertung wurde auch im Rahmen der Sozialberichterstattung<br />

mit den Stichworten „Adaptation“ (Anpassung an ungünstige Lebensbed<strong>in</strong>gungen)<br />

<strong>und</strong> „Dissonanz“ (Unzufriedenheit mit günstigen Lebensbed<strong>in</strong>gungen) h<strong>in</strong>gewiesen (Zapf,<br />

1984).<br />

Mit der Erklärung der Konstanz von Lebenszufriedenheit bis <strong>in</strong> das hohe Alter haben sich e<strong>in</strong>e<br />

Reihe von entwicklungs- <strong>und</strong> bewältigungspsychologischen Ansätzen befasst. Beispielsweise<br />

s<strong>in</strong>d jene Bewältigungsprozesse beschrieben worden, die auf Zielstrukturen <strong>und</strong> Vergleichsstandards<br />

<strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit kritischen Lebensereignissen E<strong>in</strong>fluss nehmen<br />

(Brandtstädter & Rotherm<strong>und</strong>, 2002; Schulz, Wrosch & Heckhausen, 2003). Die Gr<strong>und</strong>idee<br />

dieser Ansätze besteht dar<strong>in</strong>, dass Personen im Verlauf ihres Lebens Diskrepanzen zwischen<br />

angestrebten <strong>Entwicklung</strong>szielen <strong>und</strong> aktuellem <strong>Entwicklung</strong>sstand erleben. Im hohen Alter ist<br />

es nicht selten der Fall, dass auf Gr<strong>und</strong> von <strong>Entwicklung</strong>sverlusten e<strong>in</strong> wertgeschätzter <strong>Entwicklung</strong>szustand<br />

bedroht ist. Die Höhe von Soll-Ist-Diskrepanzen bee<strong>in</strong>flusst das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

e<strong>in</strong>er Person: Je höher der Unterschied zwischen tatsächlichem <strong>und</strong> angestrebten Ent-<br />

401


402<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

wicklungsstand, desto ger<strong>in</strong>ger das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den. Im Fall e<strong>in</strong>es Unterschieds zwischen<br />

angestrebtem „Soll“ <strong>und</strong> erlebtem „Ist“-Zustand s<strong>in</strong>d zwei gr<strong>und</strong>sätzliche Lösungen für<br />

e<strong>in</strong>e Reduktion dieser Diskrepanz möglich: Zum e<strong>in</strong>en kann die Person versuchen, ihre Lebenssituation<br />

<strong>in</strong> Richtung des angestrebten Ziels zu verändern, zum andern können Zielstrukturen<br />

<strong>und</strong> Bewertungsmaßstäbe verändert werden. In beiden Fällen würde es aufgr<strong>und</strong> der Diskrepanzreduktion<br />

zwischen „Soll“- <strong>und</strong> „Ist“-Zustand zu e<strong>in</strong>er Erhöhung (bzw. e<strong>in</strong>er Wiederherstellung)<br />

von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den kommen (<strong>und</strong> natürlich ist es auch denkbar, dass beide<br />

Bewältigungsprozesse komb<strong>in</strong>iert werden). In empirischen Untersuchungen konnte gezeigt<br />

werden, dass im Alter jene Prozesse an Bedeutung gew<strong>in</strong>nen, die auf Veränderung <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r<br />

Zielstrukturen <strong>und</strong> Bewertungsmaßstäbe gerichtet s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> den Zusammenhang zwischen Belastung<br />

<strong>und</strong> Zufriedenheit moderieren. Hierfür f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> der Literatur Begriffe wie „sek<strong>und</strong>äre<br />

Kontrolle“, „akkommodative Prozesse“ oder „flexible Zielanpassung“ (Brandtstädter, Rotherm<strong>und</strong><br />

& Schmitz, 1998; Schulz, Wrosch, & Heckhausen, 2003).<br />

Zwischenresümee<br />

Die Überlegungen zu „Bottom-up“-, „Top-Down“ - <strong>und</strong> <strong>in</strong>tegrierenden Ansätzen haben deutlich<br />

gemacht, dass die Analyse der Bed<strong>in</strong>gungen subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens e<strong>in</strong>e Reihe von Bed<strong>in</strong>gungsfaktoren<br />

zu berücksichtigen hat. Offensichtlich gibt es ke<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fachen Zusammenhang<br />

zwischen Merkmalen der objektiven Lebenslage <strong>und</strong> dem subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>den von Menschen.<br />

Es ist deshalb notwendig, bei der Analyse subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens Prozesse der Bewertung<br />

<strong>und</strong> Bewältigung zu berücksichtigen. Im folgenden sollen nun bislang nur implizit<br />

berücksichtigte dynamische Prozesse von <strong>Wandel</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong> des Wohlbef<strong>in</strong>dens expliziert<br />

werden.<br />

9.2.3 <strong>Wandel</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong> des Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

In der Sozialberichterstattung <strong>und</strong> der sozial- <strong>und</strong> verhaltenswissenschaftlichen Alternsforschung<br />

geht es um unterschiedliche Prozesse des <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> der <strong>Entwicklung</strong> (s. dazu auch<br />

Kapitel 1). In der Sozialberichterstattung geht es <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie um die Veränderungen auf gesellschaftlicher<br />

Ebene („gesellschaftlicher <strong>Wandel</strong>“). In der sozial- <strong>und</strong> verhaltenswissenschaftlichen<br />

Alternsforschung geht es dagegen auch um Veränderungsprozesse von Personen („<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong>sdynamik“). Im folgenden sollen Prozesse des gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s<br />

sowie <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong>sdynamiken erörtert <strong>und</strong> mit Fragen des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

verknüpft werden.<br />

Gesellschaftlicher <strong>Wandel</strong><br />

Steht die Bewertung der gesellschaftlichen <strong>Entwicklung</strong> im Mittelpunkt des Interesses (wie dies<br />

bei der Sozialberichterstattung oder Sozialstaatsbeobachtung der Fall ist; Flora & Noll, 1999),<br />

so kommt es darauf an, das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den der Bevölkerung oder von Bevölkerungsgruppen<br />

im Verlauf der historischen Zeit zu beschreiben. Methodisch können Fragen dieser Art<br />

durch wiederholte Querschnittsuntersuchungen bearbeitet werden. Im Prozess der deutschen


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

E<strong>in</strong>igung hat sich beispielweise gezeigt, dass noch im Jahr 2000 erkennbare Unterschiede <strong>in</strong> der<br />

Lebenszufriedenheit zwischen West- <strong>und</strong> Ostdeutschen bestanden (Delhey, 2002). In e<strong>in</strong>em<br />

analytisch komplexeren Ansatz kann man danach fragen, ob die durchschnittliche E<strong>in</strong>kommensentwicklung<br />

mit der Veränderung des Wohlbef<strong>in</strong>dens korrespondiert. E<strong>in</strong> Beispiel hierfür<br />

ist der Bef<strong>und</strong>, dass <strong>in</strong> den vergangenen Jahrzehnten die durchschnittliche subjektive Zufriedenheit<br />

sukzessiv nachwachsender Kohorten (<strong>in</strong> den USA) gleich geblieben ist oder sogar abgenommen<br />

hat, obwohl das <strong>in</strong>dividuell verfügbare E<strong>in</strong>kommen, auch unter Berücksichtigung der<br />

Kaufkraft, zugenommen hat (Easterl<strong>in</strong> & Schaeffer, 1999). Dieser Bef<strong>und</strong> kann nur mit e<strong>in</strong>em<br />

(gesellschaftlichen) <strong>Wandel</strong> von Bewertungsmaßstäben <strong>in</strong>terpretiert werden. Individuelle Maßstäbe<br />

als Basis von Zufriedenheitsurteilen s<strong>in</strong>d offensichtlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong> soziales Wertesystem e<strong>in</strong>gebettet,<br />

das sich im Verlauf der historischen Zeit verändert. Hier zeigt sich auch, dass gesellschaftlicher<br />

<strong>Wandel</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Veränderungsprozesse mite<strong>in</strong>ander verknüpft s<strong>in</strong>d.<br />

Individuelle <strong>Entwicklung</strong>sdynamik<br />

E<strong>in</strong> deutlich davon zu unterscheidendes Erkenntnis<strong>in</strong>teresse betrifft die <strong>Entwicklung</strong> von Personen<br />

im Lebenslauf. Gr<strong>und</strong>sätzlich stehen dabei die <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Prozesse des Älterwerdens <strong>und</strong><br />

ihre Konsequenzen für differentielles Altern im Mittelpunkt. Um Fragen <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r <strong>Entwicklung</strong><br />

angemessen untersuchen zu können, ist es notwendig, dieselben Personen im Verlauf der<br />

Zeit mehrfach zu befragen („Panel“ oder „Längsschnitt“). Längsschnittdaten erlauben „die Identifizierung<br />

<strong>in</strong>ter<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Unterschiede <strong>in</strong> <strong>in</strong>tra<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Veränderungen, bieten E<strong>in</strong>blicke<br />

<strong>in</strong> Determ<strong>in</strong>anten von Veränderungen <strong>und</strong> ermöglichen Analysen systemischer Zusammenhänge<br />

von Verhaltensänderungen“ (Smith & Delius, 2003, p. 229). H<strong>in</strong>sichtlich des hier zentralen<br />

Themas geht es um die Fragen, wie sich <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>s Wohlbef<strong>in</strong>den mit fortschreitendem<br />

Alter verändert <strong>und</strong> welche Aspekte der Lebenssituation für Veränderung <strong>und</strong> Stabilität des<br />

Wohlbef<strong>in</strong>dens verantwortlich s<strong>in</strong>d.<br />

Untersuchungsfragen<br />

Im folgenden werden drei Untersuchungsfragen spezifiziert, <strong>in</strong> denen die Überlegungen zum<br />

Zusammenhang zwischen objektiver Lebenssituation <strong>und</strong> subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den mit den<br />

Ebenen des gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r <strong>Entwicklung</strong>sdynamik verknüpft werden.<br />

Trends des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens: In e<strong>in</strong>em ersten Schritt sollen – im S<strong>in</strong>ne der Sozialberichterstattung<br />

– die Verläufe des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens zwischen den beiden Messzeitpunkten<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 beschrieben werden. Diese deskriptiven Analysen sollen aufzeigen, ob<br />

sich das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den der Bevölkerung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>in</strong>nerhalb der<br />

sechs Jahre, die zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 verstrichen s<strong>in</strong>d, im Mittel verändert hat. Dabei werden<br />

die Ergebnisse differenziert nach Altersgruppen, Geschlecht, Region <strong>und</strong> Schicht ausgewertet.<br />

Von besonderem Interesse hierbei ist die Frage, ob sich im Zuge der deutschen E<strong>in</strong>heit die<br />

regionalen Unterschiede zwischen Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland verr<strong>in</strong>gert haben. Datenbasis dieser<br />

Auswertungen s<strong>in</strong>d Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe (s.u. <strong>und</strong> Kapitel 2).<br />

403


404<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

Objektive Lebenslage <strong>und</strong> subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den im Querschnitt: In e<strong>in</strong>em zweiten Schritt<br />

soll systematischer untersucht werden, <strong>in</strong> welcher Weise Merkmale der objektiven Lebenslage<br />

mit subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den korrelieren. Dabei wird dem oben diskutierten Mediator-Modell<br />

des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens gefolgt. Somit werden nicht alle<strong>in</strong> Merkmale der objektiven<br />

Lebenssituation, sondern auch bereichsspezifische Bewertungen berücksichtigt. In den Analysen<br />

der ersten Welle hatte sich gezeigt, dass weniger die Merkmale der objektiven Lebenssituation<br />

als vielmehr bereichsspezifische Bewertungen e<strong>in</strong>e Vorhersage der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit<br />

erlauben (Westerhof, 2001). Mit den Daten der zweiten Welle des Alterssurveys<br />

kann nun überprüft werden, ob die Zusammenhänge zwischen objektiver Lebenssituation, bereichspezifischen<br />

Bewertungen <strong>und</strong> subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den über die Zeit h<strong>in</strong>weg (1996 <strong>und</strong><br />

2002) stabil s<strong>in</strong>d. Dazu werden entsprechende Analysen für Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe<br />

durchgeführt.<br />

Veränderung der Lebenssituation <strong>und</strong> subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den: In e<strong>in</strong>em dritten Schritt stehen<br />

<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong>sprozesse im Mittelpunkt der Analysen. Hier ergibt sich die Möglichkeit,<br />

Veränderungen <strong>in</strong> der objektiven Lebenssituation mit Veränderungen <strong>in</strong> bereichsspezifischen<br />

Bewertungen sowie Veränderungen <strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>er Lebenszufriedenheit <strong>in</strong> Beziehung zu<br />

setzen. Entsprechend dem Mediator-Modell des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens sollten Veränderungen<br />

<strong>in</strong> der objektiven Lebenssituation stärker mit Veränderungen <strong>in</strong> bereichsspezifischen<br />

Bewertungen als mit Veränderungen <strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>er Lebenszufriedenheit korrelieren. Berücksichtigt<br />

werden hierbei Veränderungen im Erwerbsstatus, <strong>in</strong> der f<strong>in</strong>anziellen Situation, im sozialen<br />

Netzwerk sowie im Ges<strong>und</strong>heitszustand. Dementsprechend stützen sich die Analysen auf<br />

die Panelstichprobe des Alterssurveys.<br />

9.3 Datenbasis<br />

Für die Analyse des <strong>Wandel</strong>s im subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>den werden Basisstichprobe (1996, n=<br />

4.838) <strong>und</strong> Replikationsstichprobe (2002, n= 3.084) mite<strong>in</strong>ander verglichen. Da nicht alle Personen,<br />

mit denen e<strong>in</strong> Interview geführt wurde, auch e<strong>in</strong>en „Drop-off“-Fragebogen ausgefüllt<br />

haben, umfassen die Datensätze für jene Variablen, die ausschließlich im Fragebogen erhoben<br />

wurden, nur 4.034 Fälle (Basisstichprobe) bzw. 2.778 Fälle (Replikationsstichprobe). Beide<br />

Stichproben weisen zur Erhebung e<strong>in</strong>en Altersrange von 40 bis 85 Jahren auf; allerd<strong>in</strong>gs beruht<br />

die Basisstichprobe auf den Geburtskohorten 1911-1956, die Replikationsstichprobe auf den<br />

Geburtskohorten 1917 bis 1962.<br />

Für alle längsschnittlichen Analysen wird der Paneldatensatz verwendet. Dieser Datensatz umfasst<br />

n= 1.524 Fälle, die zu beiden Messzeitpunkten <strong>in</strong> den Jahren 1996 <strong>und</strong> 2002 an der Erhebung<br />

teilgenommen haben. Für jene Variablen, die ausschließlich im Fragebogen erhoben wurden,<br />

umfasst dieser Datensatz 1.438 Fälle. Der Altersrange der Panelstichprobe umfasst im Jahr<br />

1996 die Altersgruppen 40 bis 85 Jahre <strong>und</strong> im Jahr 2002 die Altersgruppen 46 bis 91 Jahre<br />

(Geburtskohorten 1911-1956). Zu beachten ist, dass die Panelstichprobe zum ersten Messzeitpunkt<br />

e<strong>in</strong>e Untermenge der Basisstichprobe ist.<br />

Für deskriptive Analysen wurden gewichtete Daten verwendet, die im Fall von Basis- <strong>und</strong><br />

Replikationsstichprobe die Schichtungsvariablen berücksichtigen. Für multivariate Analysen


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

wurden ungewichtete Daten verwendet. Weitere Informationen zur Datenbasis <strong>und</strong> Gewichtung<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Kapitel 2 zu f<strong>in</strong>den.<br />

Als abhängige Variablen wurden kognitive <strong>und</strong> affektive Komponenten des Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

erhoben. Die allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit wird mit e<strong>in</strong>er fünf Items umfassenden-Skala<br />

erhoben (Pavot & Diener, 1993). Zusätzlich werden bereichsspezifische E<strong>in</strong>schätzungen der<br />

Lebenszufriedenheit herangezogen (für die Lebensbereiche Beruf bzw. Ruhestand, Lebensstandard,<br />

Partnerschaft, Verhältnis zu Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Bekannten <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit). Die Häufigkeit<br />

des positiven <strong>und</strong> negativen Affekts wird mit der PANAS-Skala erhoben (Watson, Clark &<br />

Tellegen, 1988). Tabelle 9.1 gibt e<strong>in</strong>en Überblick (Range, arithmetischer Mittelwert, Standardabweichung<br />

<strong>und</strong> Stichprobengröße) über die den Analysen zugr<strong>und</strong>e liegenden abhängigen Variablen.<br />

Die Skalen „Lebenszufriedenheit“ (LZ), „Positiver Affekt“ (PA) <strong>und</strong> „Negativer Affekt“<br />

(NA) korrelieren <strong>in</strong> mittlerer Höhe mite<strong>in</strong>ander (im Jahr 1996: rLZ-PA=33., rLZ-NA=–.29, rPA-<br />

NA=–.14; im Jahr 2002: rLZ-PA=.49, rLZ-NA= –.38, rPA-NA=–.23). Diese Korrelationen zeigen, dass<br />

es s<strong>in</strong>nvoll <strong>und</strong> notwendig ist, drei Facetten des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens vone<strong>in</strong>ander zu<br />

unterscheiden: Lebenszufriedenheit, positiver Affekt <strong>und</strong> negativer Affekt. Allerd<strong>in</strong>gs erkennt<br />

man auch, dass diese Facetten mite<strong>in</strong>ander zusammenhängen (<strong>und</strong> sich möglicherweise gegenseitig<br />

bee<strong>in</strong>flussen).<br />

Als soziodemografische Basis<strong>in</strong>formationen werden Angaben zu Alter, Geschlecht <strong>und</strong> Region<br />

herangezogen. Als Lebenslage<strong>in</strong>dikator wird die Schichtzugehörigkeit (5-stufig) berücksichtigt.<br />

Als weitere Aspekte der Lebenssituation werden die Bereiche Erwerbsstatus, E<strong>in</strong>kommen, Partnerschaft,<br />

Netzwerkgröße <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit berücksichtigt. Für Analysen der <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n <strong>Entwicklung</strong>sdynamik<br />

wurden Veränderungen <strong>in</strong> diesen Lebensbereichen zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

berücksichtigt (vgl. Abschnitt 9.5).<br />

Tabelle 9.1:<br />

Übersicht über Indikatoren des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens2 Lebenszufriedenheit<br />

1996<br />

2002<br />

Positiver Affekt<br />

1996<br />

2002<br />

Negativer Affekt<br />

1996<br />

2002<br />

Range x SD N<br />

1-5<br />

1-5<br />

1-5<br />

1-5<br />

1-5<br />

1-5<br />

3,72<br />

3,82<br />

3,33<br />

3,48<br />

2,12<br />

2,01<br />

0,83<br />

0,80<br />

0,63<br />

0,59<br />

0,53<br />

0,57<br />

Datengr<strong>und</strong>lage: Basisstichprobe (1996) <strong>und</strong> Replikationsstichprobe (2002) des Alterssurveys<br />

4.004<br />

2.775<br />

3.867<br />

2.777<br />

3.865<br />

2.778<br />

2 Das Instrument ist unter www.dza.de/download/Alterssurvey_Instrumente.pdf erhältlich.<br />

405


406<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

9.4 Gesellschaftlicher <strong>Wandel</strong> des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

Vor der Darstellung von Trends im subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>den soll zunächst die Situation im<br />

Jahr 2002, <strong>und</strong> zwar differenziert nach Altersgruppen, Geschlecht, Region <strong>und</strong> Schicht, beschrieben<br />

werden. Im Anschluss daran werden die Verläufe des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

zwischen den beiden Messzeitpunkten 1996 <strong>und</strong> 2002 analysiert. Berücksichtigung f<strong>in</strong>den dabei<br />

Ergebnisse, die sich auf die Aussage „Ich b<strong>in</strong> mit me<strong>in</strong>em Leben zufrieden“ sowie auf die Skalen<br />

Allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit, positiver Affekt <strong>und</strong> negativer Affekt beziehen. Mit den<br />

Bef<strong>und</strong>en dieser deskriptiven Analysen lässt sich überprüfen, ob, wie stark <strong>und</strong> <strong>in</strong> welche Richtung<br />

sich das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den von 40-85-Jährigen Menschen zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

verändert hat. In diesen Analysen wird danach gefragt, ob sich allgeme<strong>in</strong>e Trends bei Angehörigen<br />

verschiedener Altersgruppen, für Frauen <strong>und</strong> Männer, Ost- <strong>und</strong> Westdeutsche sowie Angehörigen<br />

verschiedener sozialer Schichten <strong>in</strong> ähnlicher Weise vollzogen haben. Besondere<br />

Aufmerksamkeit wird dabei regionalen Unterschieden gewidmet: Zu fragen ist, ob sich die Unterschiede<br />

zwischen Ost- <strong>und</strong> Westdeutschen im subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>den, die noch im Jahr<br />

1996 deutlich zu erkennen waren (Westerhof, 2001), im zeitlichen Verlauf verm<strong>in</strong>dert haben.<br />

Datenbasis dieser Auswertungen s<strong>in</strong>d die Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe des Altersurveys.<br />

9.4.1 Aussage „Ich b<strong>in</strong> zufrieden mit me<strong>in</strong>em Leben“<br />

Die Befragungsteilnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> -teilnehmer des Alterssurveys wurden gebeten, anzugeben,<br />

ob die Aussage „Ich b<strong>in</strong> zufrieden mit me<strong>in</strong>em Leben“ genau, eher, weder/noch, eher nicht oder<br />

gar nicht auf sie zutreffe. Diese Aussage bildete mit vier weiteren Items die Skala „Allgeme<strong>in</strong>e<br />

Lebenszufriedenheit“.<br />

Tabelle 9.2:<br />

Prozentsatz von Personen, die angeben, dass die Aussage „Ich b<strong>in</strong> zufrieden mit me<strong>in</strong>em<br />

Leben“ eher oder genau auf sie zutrifft. Vergleich von Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe<br />

1996 2002 p<br />

Insgesamt 83,0 84,8 *<br />

Alter Jüngste Gruppe (40-54 Jahre) 81,7 83,5 n.s.<br />

Mittlere Gruppe (55-69 Jahre) 82,5 87,5 *<br />

Älteste Gruppe (70-85 Jahre) 87,4 83,1 *<br />

Geschlecht Männer 81,8 83,8 n.s.<br />

Frauen 84,2 85,7 n.s.<br />

Region Alte Länder 85,2 86,1 n.s.<br />

Neue Länder 73,9 79,9 *<br />

Schicht Unterschicht 75,7 78,9 n.s.<br />

Untere Mittelschicht 81,6 78,6 n.s.<br />

Mittlere Mittelschicht 84,0 89,1 *<br />

Gehobene Mittelschicht 84,5 88,4 *<br />

Obere Mittelschicht 91,5 90,1 n.s.<br />

Quelle: Alterssurvey Basisstichprobe 1996 (n= 3.998, gewichtet), Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.767, gewichtet),<br />

*p


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

Tabelle 9.2 zeigt die Anteile der Personen, auf die diese Aussage eher oder genau zutrifft (für<br />

diese Tabelle s<strong>in</strong>d die beiden Antwortkategorien zusammengefasst). In Abbildung 9.1 s<strong>in</strong>d die<br />

Bef<strong>und</strong>e graphisch dargestellt, getrennt für die Antwortkategorien „trifft eher zu“ <strong>und</strong> „trifft<br />

genau zu“ (vgl. auch Tabelle A9.1 im Anhang). Insgesamt ist die Zustimmung zu der Aussage,<br />

mit dem eigenen Leben zufrieden zu se<strong>in</strong>, sehr hoch.<br />

Abbildung 9.1:<br />

Prozentsatz von Personen, die angeben, dass die Aussage „Ich b<strong>in</strong> zufrieden mit me<strong>in</strong>em<br />

Leben“ eher bzw. genau auf sie zutrifft. Vergleich von Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe<br />

1996 "Ich b<strong>in</strong> zufrieden mit me<strong>in</strong>em Leben." 2002<br />

100<br />

75<br />

48,8<br />

34,2 48,2 36,6<br />

Insgesamt<br />

30,1<br />

38,2<br />

34,7<br />

43,8<br />

32,0<br />

36,3<br />

36,8<br />

23,4<br />

30,0<br />

30,6<br />

34,7<br />

36,8<br />

50<br />

51,6<br />

47,8<br />

43,6<br />

49,8<br />

47,9<br />

48,4<br />

50,5<br />

45,7<br />

51,0<br />

49,3<br />

47,7<br />

53,3<br />

25<br />

0<br />

Alter<br />

jüngste<br />

Altersgruppe<br />

mittlere<br />

Altersgruppe<br />

älteste<br />

Altersgruppe<br />

Geschlecht<br />

Männer<br />

Frauen<br />

Region<br />

Alte<br />

B<strong>und</strong>esländer<br />

Neue<br />

B<strong>und</strong>esländer<br />

Schicht<br />

Unterschicht<br />

untere<br />

Mittelschicht<br />

mittlere<br />

Mittelschicht<br />

gehobene<br />

Mittelschicht<br />

obere<br />

Mittelschicht<br />

52,0 31,5<br />

45,7 41,8<br />

45,1 38,0<br />

49,8 34,0<br />

46,8 38,9<br />

47,5 38,6<br />

51,3 28,6<br />

48,1 30,8<br />

47,9 30,7<br />

50,3 38,8<br />

46,3 42,1<br />

49,9 40,2<br />

0 25 50 75 100<br />

trifft genau zu trifft eher zu<br />

trifft eher zu trifft genau zu<br />

Quelle: Alterssurvey Basisstichprobe 1996 (N=3.998, gewichtet), Replikationsstichprobe 2002 (N=2.767, gewichtet)<br />

407


408<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

Lebenszufriedenheit im Jahr 2002: Im Jahr 2002 äußern etwa 84,8 Prozent aller befragten Personen<br />

<strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte, mit ihrem Leben eher oder sehr zufrieden zu se<strong>in</strong>. Mehr als<br />

e<strong>in</strong> Drittel stimmte der betreffenden Aussage sogar sehr zu (s. Abbildung 9.1). Anhand der Abbildung<br />

wird zudem deutlich, dass Menschen im Alter zwischen 55 <strong>und</strong> 69 Jahren im Jahr 2002<br />

mit 87,5 Prozent häufiger als Angehörige der jüngsten <strong>und</strong> Angehörige der ältesten Gruppe<br />

äußern, mit dem Leben zufrieden zu se<strong>in</strong> (p


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

Ebenfalls sehr deutliche Effekte bei der Verteilung der Zufriedenheitsurteile s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>sichtlich<br />

der Schichtzugehörigkeit zu erkennen: Dort betragen die Unterschiede zwischen Unterschicht<br />

<strong>und</strong> oberer Mittelschicht h<strong>in</strong>sichtlich der Zufriedenheitsurteile bis zu 15 Prozent. Während im<br />

Jahr 1996 75,7 Prozent der Unterschichtangehörigen zufrieden mit ihrem Leben s<strong>in</strong>d, gilt dies<br />

für 91,5 Prozent aller Personen der oberen Mittelschicht. E<strong>in</strong> Vergleich der Jahre 1996 <strong>und</strong><br />

2002 macht deutlich, dass <strong>in</strong> der mittleren <strong>und</strong> gehobenen Mittelschicht statistische bedeutsame<br />

Zuwachsraten zu erkennen s<strong>in</strong>d (mittlere Mittelschicht um 5,1 Prozent von 84,0 auf 89,1 Prozent;<br />

gehobene Mittelschicht um 3,9 Prozent von 84,5 auf 88,4 Prozent), jedoch die Veränderungen<br />

<strong>in</strong> der Unterschicht <strong>und</strong> unteren Mittelschicht e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> der oberen Mittelschicht<br />

andererseits statistisch nicht bedeutsam s<strong>in</strong>d.<br />

9.4.2 Allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit<br />

Die Skala „Allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit“ besteht aus fünf Items, von denen e<strong>in</strong>es die eben<br />

diskutierte Zufriedenheitsaussage ist. In Tabelle 9.3 s<strong>in</strong>d die durchschnittlichen Werte dieser<br />

Skala für die Jahre 1996 <strong>und</strong> 2002 getrennt nach Altersgruppen, Geschlecht, Region sowie<br />

Schichtzugehörigkeit aufgeführt (<strong>in</strong> Tabelle A9.2 s<strong>in</strong>d detaillierte Angaben zu Mittelwerten <strong>und</strong><br />

Verteilungen der Skala zu f<strong>in</strong>den). In Bezug auf die allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit zeigt sich<br />

e<strong>in</strong>e leichte, aber statistisch bedeutsame Zunahme zwischen den Jahren 1996 <strong>und</strong> 2002: Während<br />

die allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit der 40-85-Jährigen Menschen im Jahr 1996 bei 3,72<br />

Punkten liegt, beträgt dieser Wert im Jahr 2002 3,82 Punkte (s. Tabelle 9.3). Damit liegt die<br />

allgeme<strong>in</strong>e Zufriedenheit auf e<strong>in</strong>em recht hohen Niveau (die betreffende Skala reicht von 1 bis<br />

5). Allerd<strong>in</strong>gs zeigt sich nicht für alle Untergruppen von Personen e<strong>in</strong>e Zunahme der allgeme<strong>in</strong>en<br />

Lebenszufriedenheit. Im Jahr 1996 äußern die ältesten Befragten (70-85 Jahre) die höchste<br />

Zufriedenheit, im Jahr 2002 ist dies die mittlere Altersgruppe (55-69 Jahre). Während die älteste<br />

<strong>und</strong> die jüngste Gruppe stabile Werte aufweisen, zeigt sich <strong>in</strong> der mittleren Altersgruppe e<strong>in</strong>e<br />

statistisch bedeutsame Zunahme an Zufriedenheit.<br />

Frauen äußern zu beiden Zeitpunkten <strong>in</strong> stärkerem Maß Zufriedenheit als Männer. Für beide<br />

Geschlechter zeigen sich ähnliche positive Zuwächse <strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>er Lebenszufriedenheit. Während<br />

Menschen <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>esländern im Jahr 1996 e<strong>in</strong>e deutlich ger<strong>in</strong>gere Zufriedenheit<br />

äußern als Menschen <strong>in</strong> den alten B<strong>und</strong>esländern, hat sich dieser Unterschied im Jahr 2002 verr<strong>in</strong>gert.<br />

Sehr deutliche Unterschiede <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit f<strong>in</strong>den sich h<strong>in</strong>sichtlich<br />

der Schichtzugehörigkeit. E<strong>in</strong>en Zuwachs an geäußerter Lebenszufriedenheit zwischen<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 lässt sich zudem nur für die mittlere bis gehobene Mittelschicht f<strong>in</strong>den. Die Lebenszufriedenheit<br />

von Menschen, die der Unterschicht, der unteren Mittelschicht <strong>und</strong> der oberen<br />

Mittelschicht angehören, erhöht sich dagegen zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 nicht wesentlich.<br />

409


410<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

Tabelle 9.3:<br />

Mittlere Werte der Skala „Lebenszufriedenheit“ für die Jahre 1996 <strong>und</strong> 2002.<br />

Vergleich von Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe<br />

1996 2002<br />

x SD x SD p<br />

Insgesamt 3,72 0,83 3,82 0,80 **<br />

Altersgruppen<br />

Jüngste Gruppe (40-54 Jahre) 3,70 0,80 3,74 0,81 n.s.<br />

Mittlere Gruppe (55-69 Jahre) 3,72 0,85 3,93 0,75 **<br />

Älteste Gruppe (70-85 Jahre) 3,79 0,83 3,79 0,85 n.s.<br />

Geschlecht<br />

Männer 3,69 0,82 3,78 0,81 **<br />

Frauen 3,76 0,83 3,85 0,80 **<br />

Region<br />

Alte B<strong>und</strong>esländer 3,78 0,81 3,85 0,81 **<br />

Neue B<strong>und</strong>esländer 3,49 0,84 3,69 0,78 **<br />

Schicht<br />

Unterschicht 3,53 0,90 3,56 0,89 n.s.<br />

Untere Mittelschicht 3,68 0,84 3,67 0,86 n.s.<br />

Mittlere Mittelschicht 3,74 0,81 3,93 0,73 **<br />

Gehobene Mittelschicht 3,80 0,79 3,93 0,73 **<br />

Obere Mittelschicht 3,92 0,68 3,99 0,72 n.s.<br />

Quelle: Alterssurvey Basisstichprobe 1996 (n= 4.004, gewichtet), Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.775, gewichtet),<br />

*p


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

onen zu erleben. Dieser Unterschied war im Jahr 2002 allerd<strong>in</strong>gs nahezu verschw<strong>und</strong>en: Der<br />

Zuwachs der Häufigkeit angenehmer Emotionen war <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>esländern höher als <strong>in</strong><br />

den alten B<strong>und</strong>esländern (statistisch bedeutsame Interaktion). Deutliche Unterschiede im Erleben<br />

angenehmer Emotionen f<strong>in</strong>den sich h<strong>in</strong>sichtlich der sozialen Schicht: Hier s<strong>in</strong>d große Unterschiede<br />

zwischen Angehörigen der Unterschicht <strong>und</strong> der unteren Mittelschicht sowie Angehörigen<br />

der gehobenen <strong>und</strong> oberen Mittelschicht festzustellen. Die Unterschiede zwischen den<br />

Jahren 1996 <strong>und</strong> 2002 s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Abhängigkeit von der Schichtzugehörigkeit unterschiedlich: Die<br />

Zunahme der Häufigkeit positiver Emotionen zwischen beiden Jahren ist für Angehörige der<br />

obersten Schichten am größten.<br />

Tabelle 9.4:<br />

Mittlere Werte der Skala „Positiver Affekt“ für die Jahre 1996 <strong>und</strong> 2002.<br />

Vergleich von Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe<br />

1996 2002<br />

x SD x SD p<br />

Insgesamt 3,33 0,63 3,48 0,59 **<br />

Altersgruppen<br />

Jüngste Gruppe (40-54 Jahre) 3,43 0,58 3,56 0,57 **<br />

Mittlere Gruppe (55-69 Jahre) 3,32 0,61 3,51 0,55 **<br />

Älteste Gruppe (70-85 Jahre) 3,06 0,70 3,26 0,66 **<br />

Geschlecht<br />

Männer 3,33 0,61 3,49 0,58 **<br />

Frauen 3,32 0,65 3,46 0,60 **<br />

Region<br />

Alte B<strong>und</strong>esländer 3,34 0,63 3,48 0,59 **<br />

Neue B<strong>und</strong>esländer 3,24 0,61 3,44 0,61 **<br />

Schicht<br />

Unterschicht 3,06 0,65 3,22 0,63 **<br />

Untere Mittelschicht 3,29 0,65 3,31 0,60 n.s.<br />

Mittlere Mittelschicht 3,39 0,57 3,56 0,54 **<br />

Gehobene Mittelschicht 3,46 0,57 3,64 0,52 **<br />

Obere Mittelschicht 3,50 0,58 3,80 0,50 **<br />

Quelle: Alterssurvey Basisstichprobe 1996 (n= 4.004, gewichtet), Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.775, gewichtet),<br />

*p


Tabelle 9.5:<br />

Mittlere Werte der Skala „Negativer Affekt“ für die Jahre 1996 <strong>und</strong> 2002.<br />

Vergleich von Basis- <strong>und</strong> Replikationsstichprobe<br />

412<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

1996 2002<br />

x SD x SD p<br />

Insgesamt 2,12 0,53 2,01 0,57 **<br />

Altersgruppen<br />

Jüngste Gruppe (40-54 Jahre) 2,18 0,53 2,11 0,59 **<br />

Mittlere Gruppe (55-69 Jahre) 2,10 0,52 1,95 0,54 **<br />

Älteste Gruppe (70-85 Jahre) 2,01 0,54 1,91 0,54 **<br />

Geschlecht<br />

Männer 2,06 0,53 1,97 0,57 **<br />

Frauen 2,18 0,53 2,04 0,57 **<br />

Region<br />

Alte B<strong>und</strong>esländer 2,12 0,53 2,01 0,57 **<br />

Neue B<strong>und</strong>esländer 2,12 0,52 1,99 0,58 **<br />

Schicht<br />

Unterschicht 2,17 0,60 2,07 0,63 *<br />

Untere Mittelschicht 2,12 0,54 1,99 0,59 **<br />

Mittlere Mittelschicht 2,13 0,50 2,04 0,56 **<br />

Gehobene Mittelschicht 2,10 0,50 1,97 0,56 **<br />

Obere Mittelschicht 2,09 0,53 1,98 0,50 *<br />

Quelle: Alterssurvey Basisstichprobe 1996 (n= 4.004, gewichtet), Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.775, gewichtet),<br />

*p


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

können anhand der hier vorgelegten deskriptiven Bef<strong>und</strong>e nicht identifiziert werden. Diesen Werten<br />

kann durchaus e<strong>in</strong> langfristiger Trend zugr<strong>und</strong>e liegen. Es kann aber nicht ausgeschlossen<br />

werden, dass es sich hierbei um kurzfristige Testzeiteffekte (Periodeneffekte) oder Methodenartefakte<br />

(etwa aufgr<strong>und</strong> von Veränderungen des Erhebungs<strong>in</strong>struments) handelt.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs ist es bedeutsam, dass sich nicht für alle Subgruppen ähnliche Effekte zeigten. Hierbei<br />

s<strong>in</strong>d zwei Bef<strong>und</strong>e von besonderer Bedeutung. (a) Die Zufriedenheit von Menschen, die <strong>in</strong> den<br />

neuen B<strong>und</strong>esländern leben, nahm zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 besonders deutlich zu. Es bestehen<br />

zwar auch im Jahr 2002 Unterschiede <strong>in</strong> der Lebenszufriedenheit, aber diese s<strong>in</strong>d im Vergleich<br />

zum Jahr 1996 erheblich kle<strong>in</strong>er geworden. (b) Angehörige der unteren sozialen Schichten zeigen<br />

zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 nur ger<strong>in</strong>ge Zugew<strong>in</strong>ne <strong>in</strong> der Lebenszufriedenheit. Diese Zugew<strong>in</strong>ne<br />

waren für Angehörige der mittleren <strong>und</strong> gehobenen sozialen Schicht deutlich größer. Die erheblichen<br />

Unterschiede <strong>in</strong> der Lebenszufriedenheit zwischen sozialen Schichten blieben über den Zeitraum<br />

von sechs Jahren stabil.<br />

In den Analysen zeigt sich auch, dass die berücksichtigten Komponenten des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

(Zufriedenheit <strong>und</strong> Affekt) unterschiedliche Ergebnismuster aufweisen. Frauen geben<br />

zwar höhere Zufriedenheit an als Männer, äußern aber zugleich <strong>in</strong> höherem Maß das Erleben negativer<br />

Gefühle. Diese geschlechtsspezifischen Bef<strong>und</strong>muster s<strong>in</strong>d möglicherweise auf unterschiedliche<br />

Verarbeitungsprozesse oder auf unterschiedliches Antwortverhalten von Männern <strong>und</strong><br />

Frauen zurückzuführen: Frauen <strong>und</strong> Männer könnten sich mit Blick auf das Erleben negativer<br />

Emotionen unterscheiden; es könnte aber auch se<strong>in</strong>, dass Frauen eher bereit s<strong>in</strong>d als Männer, über<br />

das Erleben negativer Emotionen zu sprechen.<br />

Schließlich ist darauf h<strong>in</strong>zuweisen, dass die Unterschiede zwischen verschiedenen Vergleichsgruppen<br />

<strong>in</strong> den meisten Fällen ger<strong>in</strong>g ausfallen (maximal e<strong>in</strong> halber Punkt auf e<strong>in</strong>er fünf-stufigen<br />

Skala). Beispielsweise geben Angehörige der oberen Mittelschicht im Jahr 2002 im Mittel e<strong>in</strong>en<br />

Wert von 4 auf der Skala „Lebenszufriedenheit“ an (dies entspricht etwa dem Urteil „trifft eher<br />

zu“), während Angehörige der Unterschicht e<strong>in</strong>en Wert von 3,5 angeben (dieser Skalenpunkt liegt<br />

zwischen den Urteilen „weder/noch“ <strong>und</strong> „trifft eher zu“). Hieran ist zu erkennen, dass neben den<br />

Merkmalen der objektiven Lebenslage wahrsche<strong>in</strong>lich weitere Faktoren das <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Zufriedenheitsurteil<br />

bee<strong>in</strong>flussen. Entsprechende Analysen werden im nächsten Abschnitt vorgenommen.<br />

9.5 Objektive Lebenslage <strong>und</strong> subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

In den bislang vorgelegten Analysen wurde der E<strong>in</strong>fluss der objektiven Lebenssituation auf das<br />

subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den eher allgeme<strong>in</strong> analysiert (durch den Vergleich verschiedener Bevölkerungsgruppen).<br />

Im folgenden werden nun Analysen vorgelegt, <strong>in</strong> denen es um den E<strong>in</strong>fluss<br />

bestimmter Merkmale der Lebenslage auf das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den geht. Dabei wird der<br />

Zusammenhang zwischen Lebenslagemerkmalen, bereichsspezifischen Bewertungen <strong>und</strong> globalen<br />

Indikatoren subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens zunächst im Querschnitt analysiert. Im dann folgenden<br />

Abschnitt (9.6) werden Veränderungen der Lebenssituation mit Veränderungen des Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

<strong>in</strong> Beziehung gesetzt.<br />

413


9.5.1 Mediator-Modell des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

414<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

In der Literatur zum subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>den wird davon ausgegangen, dass Zufriedenheitsurteilen<br />

Wahrnehmungs- <strong>und</strong> Beurteilungsprozesse zugr<strong>und</strong>e liegen (Campbell et al., 1976; Smith<br />

et al., 1996; 1999; s. auch Abschnitt 9.2.2). In Abbildung 9.2 ist e<strong>in</strong> entsprechendes Modell<br />

graphisch dargestellt. Lebenslagen s<strong>in</strong>d durch e<strong>in</strong>e Reihe spezifischer Dimensionen oder Merkmale<br />

gekennzeichnet. Diese Dimensionen umfassen beispielsweise die materielle Lage (etwa<br />

Schicht <strong>und</strong> E<strong>in</strong>kommen), die soziale Integration (etwa Partnerschaft, Elternschaft, E<strong>in</strong>bettung<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong> soziales Netz), die gesellschaftliche Partizipation (etwa durch Teilnahme am Erwerbsleben<br />

oder im bürgerschaftlichen Engagement) sowie Ges<strong>und</strong>heit.<br />

Abbildung 9.2:<br />

Subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den als Resultat kognitiver Bewertungsprozesse<br />

(Mediator-Modell des SWB = Subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den)<br />

Merkmal der<br />

Lebenssituation<br />

M 1<br />

M 2<br />

M 3<br />

M 4<br />

M 5<br />

Bereichsspezifische<br />

Bewertung<br />

B 1<br />

B 2<br />

B 3<br />

B 4<br />

B 5<br />

Subjektives<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

SWB<br />

Subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den wird im Rahmen dieses Modells jedoch nicht direkt von den objektiven<br />

Bed<strong>in</strong>gungen der Lebenslage bee<strong>in</strong>flusst, sondern aufgr<strong>und</strong> von lebensbereichsspezifischen<br />

Bewertungen. Personen beurteilen dabei unterschiedliche Aspekte ihrer Lebenslage mit Blick<br />

auf <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Vergleichsmaßstäbe. Erst diese bereichsspezifischen Bewertungen bee<strong>in</strong>flussen<br />

das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den. Dieses Modell lässt sich auch als Mediator-Modell des subjektiven<br />

Wohlbef<strong>in</strong>dens bezeichnen.<br />

In den Analysen der ersten Welle hatten sich Belege für das <strong>in</strong> Abbildung 9.2 dargestellte Modell<br />

gezeigt (Westerhof, 2001). Weniger die Merkmale der objektiven Lebenssituation als vielmehr<br />

die bereichsspezifischen Bewertungen erlaubten e<strong>in</strong>e Vorhersage der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit<br />

(Westerhof, 2001). Mit den Daten der zweiten Welle des Alterssurveys kann nun<br />

überprüft werden, ob die Zusammenhänge zwischen objektiver Lebenssituation, bereichspezifischen<br />

Bewertungen <strong>und</strong> subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den über die Zeit h<strong>in</strong>weg (1996 <strong>und</strong> 2002) stabil<br />

s<strong>in</strong>d.


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

Mit Blick auf die Komponenten des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens (Lebenszufriedenheit sowie<br />

positiver <strong>und</strong> negativer Affekt) kann man annehmen, dass dieses Modell vor allem für die kognitive<br />

Komponente des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens, die allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit zutrifft.<br />

Gerade hier geht es um die Bündelung bereichsspezifischer Zufriedenheitsurteile zu e<strong>in</strong>em Gesamturteil<br />

über die eigene Lebenssituation. Das affektive System von (positiven <strong>und</strong> negativen)<br />

Emotionen sche<strong>in</strong>t dem kognitiven System der Beurteilung von Situation dagegen vorgeordnet<br />

zu se<strong>in</strong>. Positive <strong>und</strong> Negative Affekte entstehen <strong>in</strong> direkter Reaktion auf Ereignisse <strong>und</strong> Erfahrungen<br />

<strong>und</strong> bee<strong>in</strong>flussen ihrerseits Bewertungs- <strong>und</strong> Beurteilungsprozesse (Schwarz & Strack,<br />

1991). Emotionale Zustände wie „Glück“ oder „Niedergeschlagenheit“ werden daher weniger<br />

von kognitiven Bewertungsprozessen als vielmehr von täglichen Ereignissen („daily hassles“<br />

<strong>und</strong> „uplifts“) bee<strong>in</strong>flusst. Dies bedeutet für statistische Analysen, dass die Varianz der allgeme<strong>in</strong>en<br />

Lebenszufriedenheit durch e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation von Indikatoren der Lebenslage <strong>und</strong> bereichsspezifischer<br />

Bewertungen besser erklärt werden kann als dies für die affektiven Indikatoren<br />

(positiver <strong>und</strong> negativer Affekt) zutrifft.<br />

Im Folgenden werden die drei Aspekte des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens (Lebenszufriedenheit,<br />

positiver Affekt, negativer Affekt) durch Merkmale der Lebenslage sowie durch bereichsspezifische<br />

Bewertungen vorhergesagt. Dabei wird neben den soziodemografischen Schichtungsmerkmalen<br />

(Alter, Geschlecht, Region) zusätzlich das Qualifikationsniveau mit vier Stufen<br />

berücksichtigt (ohne Berufsausbildung; niedriger Schulabschluss <strong>und</strong> nicht-akademische Berufsausbildung;<br />

mittlerer oder höherer Schulabschluss <strong>und</strong> nicht akademische Berufsausbildung;<br />

abgeschlossenes Studium). Als Merkmale der Lebenssituation werden drei Bereiche herangezogen:<br />

Materielle Lage, soziale Integration <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit. Indikatoren der materiellen Lage s<strong>in</strong>d<br />

nachfolgend Schicht (fünfstufig: Unterschicht, untere Mittelschicht, mittlere Mittelschicht, gehobene<br />

Mittelschicht, obere Mittelschicht) <strong>und</strong> E<strong>in</strong>kommen (personenbezogenes Äquivalenze<strong>in</strong>kommen,<br />

berechnet nach den Vorgaben der OECD). Merkmale der sozialen Integration werden<br />

über das Vorhandense<strong>in</strong> von Partnerschaft, Elternschaft sowie Zahl der Netzwerkpartner<br />

berücksichtigt. Als Indikator für die körperlichen Ges<strong>und</strong>heit wird die Zahl genannter Krankheiten<br />

herangezogen. Schließlich werden als bereichsspezifische Zufriedenheitsurteile die Bewertungen<br />

des Lebensstandards, der Familienbeziehungen, der Beziehung zum Partner (bzw. der<br />

Situation ohne Partner), der Beziehungen zu Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Bekannten sowie der Ges<strong>und</strong>heit<br />

berücksichtigt.<br />

9.5.2 Bef<strong>und</strong>e<br />

In Tabelle 9.6 s<strong>in</strong>d die Ergebnisse von multiplen Regressionsanalysen für den Indikator „allgeme<strong>in</strong>e<br />

Lebenszufriedenheit“ zusammengestellt (jeweils für die Jahre 1996 <strong>und</strong> 2002). Im Modell<br />

1 werden zunächst soziodemografischen Charakteristika sowie Indikatoren der Lebenslage<br />

als Prädiktoren für allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit verwendet. Im Modell 2 werden zusätzlich<br />

bereichsspezifische Bewertungen <strong>in</strong> die Regressionsgleichung e<strong>in</strong>geführt.<br />

Im Jahr 2002 werden durch soziodemografische Charakteristika <strong>und</strong> Merkmale der Lebenssituation<br />

etwa 17 Prozent der Varianz <strong>in</strong> der abhängigen Variable „allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit“<br />

aufgeklärt (Modell 1). Die stärksten Prädiktoren s<strong>in</strong>d dabei Ges<strong>und</strong>heitszustand (β=-.24, je mehr<br />

415


416<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

Krankheiten e<strong>in</strong>e Person nennt, desto ger<strong>in</strong>ger ist ihre Lebenszufriedenheit), Alter (β=.23, mit<br />

dem Alter nimmt die Lebenszufriedenheit zu), Partnerschaft (β=.21, Personen mit Partner äußern<br />

e<strong>in</strong>e höhere Lebenszufriedenheit als Personen ohne Partner) <strong>und</strong> Äquivalenze<strong>in</strong>kommen<br />

(β=.15, je höher das E<strong>in</strong>kommen, desto höher die Lebenszufriedenheit). Fügt man <strong>in</strong> das Regressionsmodell<br />

bereichsspezifische Bewertungen e<strong>in</strong> (Modell 2), so werden im Jahr 2002 zusätzlich<br />

18 Prozent an Varianz <strong>in</strong> der abhängigen Variable aufgeklärt (die gesamte Varianzaufklärung<br />

beträgt R 2 =.35). Die stärksten Prädiktoren s<strong>in</strong>d nun vor allem bereichsspezifische Bewertungen,<br />

<strong>und</strong> zwar die Bewertung des Lebensstandards (β=.27), die Bewertung des Ges<strong>und</strong>heitszustandes<br />

(β=.19) sowie die Bewertung der Partnerschaft (β=.15). Hierbei gilt für alle bereichsspezifischen<br />

Bewertungen: Je besser die Bewertung des jeweiligen Lebensbereichs, desto<br />

höher ist die allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit.<br />

Tabelle 9.6:<br />

Ergebnisse der Regression der Skala „Lebenszufriedenheit“ auf objektive Merkmale der<br />

Lebenssituation sowie subjektive bereichsspezifische Bewertungen<br />

1996 2002<br />

Modell 1 Modell 2 Modell 1 Modell 2<br />

Beta p Beta p Beta p Beta p<br />

Alter .22 ** .16 ** .23 ** .18 **<br />

Geschlecht (0=Männer, 1= Frauen) .08 ** .04 ** .09 ** .05 **<br />

Landesteil (0=Ost, 1=West) .11 ** .08 ** .04 ** .02 n.s.<br />

Qualifikationsniveau (4 Stufen) -.04 n.s. -.07 ** -.05 * -.06 *<br />

Schicht (5 Stufen) .09 ** .03 n.s. .09 ** .04 n.s.<br />

Äquivalenze<strong>in</strong>kommen .13 ** .03 ** .15 ** .04 n.s.<br />

K<strong>in</strong>der (0=ke<strong>in</strong>e, 1= m<strong>in</strong>d. e<strong>in</strong>s) .04 * .04 ** .03 * .04 *<br />

Partner (0=ke<strong>in</strong> Partner,1=Partner) .17 ** .04 ** .21 ** .10 **<br />

Netzwerkgröße .03 n.s. .00 n.s. .08 n.s. .02 n.s.<br />

Zahl Krankheiten -.19 ** -.06 ** -.24 ** -.12 **<br />

Bewertung Lebensstandard .31 ** .27 **<br />

Bewertung Familie .09 ** .07 **<br />

Bewertung Partnerschaft .16 ** .15 **<br />

Bewertung Fre<strong>und</strong>e/Bekannte .05 ** .08 **<br />

Bewertung Ges<strong>und</strong>heitszustand .19 ** .19 **<br />

R 2 (korrigiert) .12 ** .30 ** .17 ** .35 **<br />

Zuwachs an R 2 (korrigiert) .12 ** .18 ** .17 ** .18 **<br />

Quelle: Alterssurvey Basisstichprobe 1996 (n= 2.972), Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.094). * p


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

Die Bef<strong>und</strong>e für die Jahre 1996 <strong>und</strong> 2002 weisen hohe Ähnlichkeit auf. Zu beiden Messzeitpunkten<br />

wird e<strong>in</strong> erheblicher Anteil der Varianz h<strong>in</strong>sichtlich der Lebenszufriedenheit durch<br />

soziodemografische Charakteristika <strong>und</strong> Merkmale der objektiven Lebenssituation aufgeklärt<br />

(Modell 1 1996: 12 Prozent, 2002: 17 Prozent). Die bereichsspezifischen Bewertungen, die <strong>in</strong><br />

Modell 2 Verwendung f<strong>in</strong>den, klären zu beiden Messzeitpunkten zusätzliche große Anteile an<br />

Varianz auf (1996 <strong>und</strong> 2002 jeweils 18 Prozent zusätzliche Varianzaufklärung). Auch das Muster<br />

der e<strong>in</strong>zelnen Koeffizienten s<strong>in</strong>d für 1996 <strong>und</strong> 2002 ähnlich. Relevante objektive Prädiktoren<br />

s<strong>in</strong>d Alter, Ges<strong>und</strong>heitszustand, Partnerschaft sowie E<strong>in</strong>kommen. Relevante subjektive Prädiktoren<br />

s<strong>in</strong>d die entsprechenden bereichsspezifischen Bewertungen zu Ges<strong>und</strong>heit, Partnerschaft<br />

<strong>und</strong> Lebensstandard. Auf e<strong>in</strong>e Veränderung zwischen den Jahren 1996 <strong>und</strong> 2002 soll dennoch<br />

aufmerksam gemacht werden: Der Unterschied <strong>in</strong> der Lebenszufriedenheit zwischen Ost- <strong>und</strong><br />

Westdeutschland ist zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 kle<strong>in</strong>er geworden. Während der entsprechende<br />

Koeffizient im Jahr 1996 noch signifikant war, selbst wenn alle anderen relevanten Prädiktoren<br />

berücksichtigt wurden (Modell 2, β=.08, p


418<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

Tabelle 9.7:<br />

Ergebnisse der Regression der Skala „Positiver Affekt“ auf objektive Merkmale der<br />

Lebenssituation sowie subjektive bereichsspezifische Bewertungen<br />

1996 2002<br />

Modell 1 Modell 2 Modell 1 Modell 2<br />

Beta p Beta p Beta p Beta p<br />

Alter -.13 ** -.14 ** -.08 ** -.09 **<br />

Geschlecht (0=Männer, 1= Frauen) .05 ** .03 n.s. .04 * .02 n.s.<br />

Landesteil (0=Ost, 1=West) .05 ** .04 * .00 n.s. -.02 n.s.<br />

Qualifikationsniveau (4 Stufen) .03 n.s. .01 n.s. .03 n.s. .03 n.s.<br />

Schicht (5 Stufen) .12 ** .09 ** .21 ** .17 **<br />

Äquivalenze<strong>in</strong>kommen .05 ** .02 n.s. .07 ** .01 n.s.<br />

K<strong>in</strong>der (0=ke<strong>in</strong>e, 1= m<strong>in</strong>d. e<strong>in</strong>s) .01 n.s. .01 n.s. .05 * .05 **<br />

Partner (0=ke<strong>in</strong> Partner, 1=Partner) .04 n.s. -.01 n.s. .08 ** .01 n.s.<br />

Netzwerkgröße .08 ** .05 ** .08 ** .03 n.s.<br />

Zahl Krankheiten -.14 ** -.06 ** -.13 ** -.03 n.s.<br />

Bewertung Lebensstandard .10 ** .11 **<br />

Bewertung Familie .01 n.s. .03 n.s.<br />

Bewertung Partnerschaft .06 ** .13 **<br />

Bewertung Fre<strong>und</strong>e/Bekannte .12 ** .10 **<br />

Bewertung Ges<strong>und</strong>heitszustand .14 ** .21 **<br />

R 2 (korrigiert) .12 ** .17 ** .15 ** .25 **<br />

Zuwachs an R 2 (korrigiert) .12 ** .05 ** .15 ** .10 **<br />

Quelle: Alterssurvey Basisstichprobe 1996 (n= 2.900), Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.096), *p


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

Tabelle 9.8:<br />

Ergebnisse der Regression der Skala „Negativer Affekt“ auf objektive Merkmale<br />

der Lebenssituation sowie subjektive bereichsspezifische Bewertungen<br />

1996 2002<br />

Modell 1 Modell 2 Modell 1 Modell 2<br />

Beta p Beta p Beta p Beta p<br />

Alter -.27 ** -.25 ** -.29 ** -.28 **<br />

Geschlecht (0=Männer, 1= Frauen) .12 ** .13 ** .09 ** .10 **<br />

Landesteil (0=Ost, 1=West) .02 n.s. .02 n.s. .04 n.s. .05 *<br />

Qualifikationsniveau (4 Stufen) .04 n.s. .06 * -.01 n.s. -.01 n.s.<br />

Schicht (5 Stufen) -.03 n.s. .00 n.s. .00 n.s. .03 n.s.<br />

Äquivalenze<strong>in</strong>kommen -.03 n.s. .00 n.s. -.03 n.s. .02 n.s.<br />

K<strong>in</strong>der (0=ke<strong>in</strong>e, 1= m<strong>in</strong>d. e<strong>in</strong>s) .00 n.s. .00 n.s. .01 n.s. .00 n.s.<br />

Partner (0=ke<strong>in</strong> Partner, 1=Partner) -.02 n.s. .04 n.s. -.01 n.s. .05 *<br />

Netzwerkgröße .01 n.s. .03 n.s. .02 n.s. .05 *<br />

Zahl Krankheiten .25 ** .19 ** .34 ** .29 **<br />

Bewertung Lebensstandard -.07 ** -.09 **<br />

Bewertung Familie -.02 n.s. .01 n.s.<br />

Bewertung Partnerschaft -.09 ** -.10 **<br />

Bewertung Fre<strong>und</strong>e/Bekannte -.05 * -.06 *<br />

Bewertung Ges<strong>und</strong>heitszustand -.11 * -.08 **<br />

R 2 (korrigiert) .10 ** .13 * .13 * .16 *<br />

Zuwachs an R 2 (korrigiert) .10 ** .03 * .13 * .03 *<br />

Quelle: Alterssurvey Basisstichprobe 1996 (n= 2.900), Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.097), * p


420<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

zeigt sich deutlich, dass die Komponenten Lebenszufriedenheit (kognitive Beurteilung der eigenen<br />

Lebenssituation) <strong>und</strong> Affekt (Erleben von Gefühlen) unterschiedliche Facetten des subjektiven<br />

Wohlbef<strong>in</strong>dens s<strong>in</strong>d. Lebenszufriedenheit betrifft die Beurteilung der eigenen Lebenssituation<br />

anhand von Bewertungsmaßstäben. Gefühlszustände spiegeln dagegen die Reaktion auf die<br />

Widerfahrnisse täglicher Ereignisse <strong>und</strong> Schwierigkeiten wider.<br />

Welche Merkmale der Lebenssituation haben nun besondere Bedeutung für das subjektive<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den von Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte? Die Antwort lautet: Ges<strong>und</strong>heit,<br />

Lebensstandard <strong>und</strong> Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Partners s<strong>in</strong>d – <strong>in</strong>nerhalb der objektiven Merkmale<br />

der Lebenssituation – die bedeutsamsten Prädiktoren subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens. Je gesünder<br />

Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte s<strong>in</strong>d, desto zufriedener s<strong>in</strong>d sie, desto häufiger äußern sie<br />

positive Gefühle <strong>und</strong> desto seltener negative Gefühle. Höheres E<strong>in</strong>kommen korreliert mit höherer<br />

Lebenszufriedenheit, <strong>und</strong> Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>er höheren Schicht hängt mit positiven Gefühlszuständen<br />

zusammen. Das Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Partners ist mit höherer Lebenszufriedenheit<br />

verknüpft. Dies gilt auch dann, wenn andere Prädiktoren kontrolliert werden.<br />

Die Ergebnisse machen zugleich deutlich, dass <strong>in</strong>sbesondere die allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit<br />

nicht alle<strong>in</strong> durch objektive Lebenslagemerkmale, sondern vor allem durch bereichsspezifische<br />

subjektive Bewertungen vorhergesagt wird. Weniger die objektive Ges<strong>und</strong>heit, die tatsächliche<br />

Höhe des E<strong>in</strong>kommens oder das Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Partners erklären die allgeme<strong>in</strong>e<br />

Lebenszufriedenheit, sondern die E<strong>in</strong>schätzung der eigenen Ges<strong>und</strong>heit, die Bewertung des<br />

eigenen Lebensstandards <strong>und</strong> die Zufriedenheit mit der Partnerschaftssituation. Für die Vorhersage<br />

affektiver Komponenten des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens haben bereichsspezifische Bewertungen<br />

dagegen wie erwartet weniger große Bedeutung.<br />

Insgesamt stehen die hier vorgelegten Bef<strong>und</strong>e mit dem oben diskutierten Modell des subjektiven<br />

Wohlbef<strong>in</strong>dens <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang. Merkmale der objektiven Lebenssituation bee<strong>in</strong>flussen bereichsspezifische<br />

Bewertungen, diese wiederum sagen das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den, <strong>und</strong> zwar<br />

<strong>in</strong>sbesondere die allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit, vorher. In dem nun folgenden Abschnitt zur<br />

<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n <strong>Entwicklung</strong>sdynamik werden sich die empirischen Analysen auf die Beziehung<br />

zwischen Veränderungen der Lebenssituation, Veränderungen <strong>in</strong> bereichsspezifischen Bewertungen<br />

<strong>und</strong> Veränderungen der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit konzentrieren.<br />

9.6 Veränderungen von Lebenssituation <strong>und</strong> subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

Die Querschnittsanalyse des Zusammenhang zwischen Lebenslage <strong>und</strong> subjektiver Bef<strong>in</strong>dlichkeit<br />

muss ergänzt werden um e<strong>in</strong>e dynamische Perspektive, <strong>in</strong> der Veränderungen der Lebenssituation<br />

mit Veränderungen im subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>in</strong> Beziehung gesetzt werden. Hier<br />

soll vor allem die Dynamik der Lebenssituation mit entsprechenden <strong>Entwicklung</strong>en <strong>in</strong> bereichsspezifischen<br />

Bewertungen <strong>und</strong> der Lebenszufriedenheit analysiert werden. In diesem Abschnitt<br />

stehen demnach <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong>sprozesse im Mittelpunkt.


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

9.6.1 Mediator-Modell der Veränderung subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

Die Psychologie der Lebensspanne (Lehr, 2003; Lachman, 2001; Staud<strong>in</strong>ger & L<strong>in</strong>denberger,<br />

2003) <strong>und</strong> die Soziologie des Lebenslaufs (Mortimer & Shanahan, 2003; Settersten, 1999; Settersten,<br />

2002) haben <strong>in</strong> den vergangenen 30 Jahren deutlich gemacht, dass sich <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong><br />

Prozesse der Veränderung <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong> nicht alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>und</strong> Jugend, sondern auch<br />

im frühen, mittleren <strong>und</strong> hohen Erwachsenenalter vollziehen. Gerade im Erwachsenenalter <strong>und</strong><br />

Alter können <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> <strong>Entwicklung</strong>sprozesse durch Veränderungen <strong>in</strong> der Lebenssituation<br />

angestoßen werden. Zudem s<strong>in</strong>d neben graduellen, allmählichen Veränderungen der Lebenssituation<br />

auch Ereignisse zu berücksichtigen, die die gesamte Lebenssituation e<strong>in</strong>er Person verändern<br />

können (Schroots, 2003; Staud<strong>in</strong>ger & Bluck, 2001). Statuspassagen oder kritische Lebensereignisse<br />

berühren unterschiedliche Bereiche der Lebenslage teilweise tiefgreifend. Beispiele<br />

für gravierende Veränderungen der Lebenssituation f<strong>in</strong>den sich unter anderem <strong>in</strong> den<br />

Bereichen Erwerbsleben (mittleres Erwachsenenalter: Verlust des Arbeitsplatzes, höheres Erwachsenenalter:<br />

Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand), soziale Integration (Verlust des Partners durch<br />

Verwitwung, Zugew<strong>in</strong>n <strong>und</strong> Verlust von Fre<strong>und</strong>en <strong>in</strong>nerhalb des sozialen Netzes), materielle<br />

Lage (Veränderung der E<strong>in</strong>kommenssituation) sowie Ges<strong>und</strong>heit (Verbesserung oder Verschlechterung<br />

des Ges<strong>und</strong>heitszustandes, Erleben e<strong>in</strong>es Unfalls).<br />

Abbildung 9.3:<br />

Subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>in</strong> Abhängigkeit von Veränderungen der Lebenssituation<br />

(Mediator-Modell der Veränderung subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens)<br />

Veränderungen, Statuspassagen,<br />

Kritische Lebensereignisse<br />

V 1<br />

V 2<br />

V 3<br />

V 4<br />

V 5<br />

Veränderung der<br />

Lebenssituation<br />

B 1<br />

B 2<br />

B 3<br />

B 4<br />

B 5<br />

Bereichsspezifische<br />

Bewertung<br />

SWB<br />

Subjektives<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

Mit Blick auf das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den ist nun zu fragen, wie sich Veränderungen der Lebenssituation<br />

<strong>in</strong>sbesondere auf die allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit auswirken. Hierbei ist –<br />

entsprechend den Analysen im vorangegangenen Abschnitt – zu prüfen, welche Rolle bereichsspezifische<br />

Bewertungen bei Veränderungen des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens spielen. In Abbildung<br />

9.3 ist e<strong>in</strong> Analysemodell zum Zusammenhang zwischen Veränderungen der objektiven<br />

Lebenssituation <strong>und</strong> Veränderungen im subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>den graphisch dargestellt. Die-<br />

421


422<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

sem Modell folgend ist empirisch zu prüfen, ob Veränderungen der Lebenssituation das subjektive<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>er Person <strong>in</strong> direkter Weise bee<strong>in</strong>flussen oder ob bereichsspezifische Bewertungen<br />

als Mediatoren wirksam s<strong>in</strong>d. Geht man davon aus, dass die Veränderungen der Lebenssituation<br />

das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den nur <strong>in</strong>direkt bee<strong>in</strong>flussen, so sollten Veränderungen<br />

der Lebenssituation bereichsspezifische Bewertungen sehr viel stärker bee<strong>in</strong>flussen als globale<br />

Indikatoren des Wohlbef<strong>in</strong>dens (<strong>in</strong>sbesondere allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit). Beispielsweise<br />

sollten Veränderungen <strong>in</strong> der materiellen Situation zu e<strong>in</strong>er Zu- oder Abnahme der Zufriedenheit<br />

mit dem Lebensstandard führen <strong>und</strong> Veränderungen im Fre<strong>und</strong>eskreis zu Veränderungen <strong>in</strong><br />

der Bewertung der sozialen Netzwerke. Die allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit sollte weniger<br />

durch Veränderung der Lebenssituation als durch Veränderungen bereichsspezifischer Bewertungen<br />

bee<strong>in</strong>flusst werden.<br />

Berücksichtigt werden hierbei Veränderungen im Erwerbsstatus, <strong>in</strong> der f<strong>in</strong>anziellen Situation,<br />

im sozialen Netzwerk sowie im Ges<strong>und</strong>heitszustand. Die folgenden Analysen beschränken sich<br />

dabei auf die „allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit“ sowie bereichsspezifische Bewertungen der<br />

Bereiche Lebensstandard, soziale Beziehungen <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit. Veränderungen der Lebenssituation<br />

werden für die Bereiche Erwerbsbeteiligung (Übergang <strong>in</strong> die Arbeitslosigkeit, Übergang<br />

aus der Arbeitslosigkeit, Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand), materielle Lage (Veränderung im Äquivalenze<strong>in</strong>kommen),<br />

soziales Netz (Verlust des Partners, neue Partnerschaft, Veränderung im<br />

sozialen Netzwerk) sowie Ges<strong>und</strong>heit (Zahl der Krankheiten, Erleben e<strong>in</strong>er schweren Krankheit<br />

oder e<strong>in</strong>es Unfalls) berücksichtigt. Da es sich hierbei um Veränderungen <strong>in</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Lebenslagen<br />

handelt, stützen sich die Analysen auf die Panelstichprobe des Alterssurveys. Zuvor<br />

sollen jedoch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Exkurs die Stabilitäten des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens über die Zeit<br />

(1996 <strong>und</strong> 2002) analysiert werden, um zu verdeutlichen, dass auch die allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit<br />

<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Veränderungen unterliegt (d.h. ke<strong>in</strong> zeitstabiles Merkmal darstellt).<br />

Das Vorhandense<strong>in</strong> von Veränderungen ist zentraler Ausgangspunkt für die Frage, welche Faktoren<br />

zu Veränderungen der Lebenszufriedenheit beitragen.<br />

9.6.2 Exkurs: Stabilität subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

In diesem Abschnitt wird danach gefragt, wie hoch die Stabilität des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

ist. Graphisch kann die Stabilität des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens als Streudiagramm dargestellt<br />

werden. Abbildung 9.4 zeigt Streudiagramme für die Skalen „Lebenszufriedenheit“, „Positiver<br />

Affekt“ <strong>und</strong> „Negativer Affekt“. Jedem Punkt entspricht e<strong>in</strong>e Person, die <strong>in</strong> den Jahren 1996<br />

<strong>und</strong> 2002 an der Panelbefragung des Alterssurveys teilgenommen hat. Die Werte auf der horizontalen<br />

Achse entstammen dem Jahr 1996, die Werte auf der vertikalen Achse dem Jahr 2002.<br />

Wäre das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den über den Zeitraum von sechs Jahren vollkommen stabil, so<br />

würden die Punkte auf e<strong>in</strong>er L<strong>in</strong>ie liegen (Personen, die im Jahr 1996 hohe Werte hatten, hätten<br />

auch im Jahr 2002 hohe Werte; Personen mit niedrigen Werten im Jahr 2002 hätten auch im<br />

Jahr 2002 niedrige Werte). Wie zu erkennen, ist dies für ke<strong>in</strong>e der drei Skalen der Fall: Die<br />

Werte der Jahre 1996 <strong>und</strong> 2002 unterscheiden sich für viele Personen so sehr, dass e<strong>in</strong>e „Punktewolke“<br />

entsteht. Dies bedeutet, dass sich das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den von Personen <strong>in</strong>dividuell<br />

erheblich verändern kann: Ke<strong>in</strong>eswegs alle Personen, die im Jahr 1996 hohe Zufriedenheit


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

angaben, tun dies auch im Jahr 2002 – <strong>und</strong> umgekehrt s<strong>in</strong>d nicht alle im Jahr 1996 unzufriedenen<br />

Personen auch im Jahr 2002 unzufrieden.<br />

Abbildung 9.4:<br />

Streudiagramm für die Skala „Lebenszufriedenheit“ für die beiden Messzeitpunkte<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 (Panelstichprobe).<br />

2002<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

Lebenszufriedenheit Positiver Affekt Negativer Affekt<br />

r=.40<br />

1<br />

1 2 3<br />

1996<br />

4 5<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

r=.40<br />

1<br />

1<br />

1 2 3<br />

1996<br />

4 5<br />

Quelle: Alterssurvey Panelstichprobe (N=1.243-1.273), gewichtet<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

r=.37<br />

1 2 3 4 5<br />

1996<br />

Über die Stabilität des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens geben Stabilitätskoeffizienten Aufschluss<br />

(Stabilitätskoeffizienten können Werte zwischen 0 <strong>und</strong> 1 annehmen, wobei Werte nahe 0 für<br />

e<strong>in</strong>e sehr ger<strong>in</strong>ge Stabilität <strong>und</strong> Werte nahe 1 für e<strong>in</strong>e hohe Stabilität stehen). Die Stabilitätskoeffizienten<br />

für die drei Skalen des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens s<strong>in</strong>d von nur mittlerer Höhe (Lebenszufriedenheit:<br />

r=.40, Positiver Affekt: r=.40, Negativer Affekt: r=.37). Da die Lebenssituation<br />

von Personen im mittleren <strong>und</strong> höheren Erwachsenenalter relativ stabil ist, könnte man<br />

annehmen, dass die Stabilitätskoeffizienten der Zufriedenheitsurteile (die sich auf die Gesamtheit<br />

der Lebenssituation beziehen) höher s<strong>in</strong>d als die Stabilitätskoeffizienten der affektiven<br />

Wohlbef<strong>in</strong>densmaße, die – unter der Annahme von „Bottom-up“-E<strong>in</strong>flüssen – <strong>in</strong> stärkerem<br />

Ausmaß von wechselnden Ereignissen des täglichen Lebens bee<strong>in</strong>flusst werden. Dies ist für die<br />

Gesamtstichprobe offensichtlich nicht der Fall: Alle Stabilitätskoeffizienten s<strong>in</strong>d von ähnlicher<br />

Größe.<br />

Tabelle 9.9:<br />

Stabilitäten der Skalen „Lebenszufriedenheit“, „Positiver Affekt“ <strong>und</strong> „Negativer Affekt“<br />

für die gesamte Panelstichprobe sowie für die drei Altersgruppen<br />

40-54 Jahre 55-69 Jahre 70-85 Jahre Gesamt<br />

Lebenszufriedenheit .37 .43 .42 .40<br />

Positiver Affekt .39 .40 .31 .40<br />

Negativer Affekt .42 .32 .26 .37<br />

N 555-559 496-503 192-211 1.243-1.273<br />

Quelle: Alterssurvey Panelstichprobe 1996-2002 (n= 1.243-1.273, gewichtet)<br />

423


424<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

H<strong>in</strong>sichtlich des Lebensalters könnte man erwarten, dass die Stabilitäten mit zunehmendem<br />

Alter ger<strong>in</strong>ger werden, da die Zahl unvorhergesehener kritischer Lebensereignisse mit dem Lebensalter<br />

zunimmt. In Tabelle 9.9 s<strong>in</strong>d die Stabilitäten der Skalen „Lebenszufriedenheit“, „Positiver<br />

Affekt“ <strong>und</strong> „Negativer Affekt“ für die gesamte Stichprobe sowie für drei Altersgruppen<br />

(40-54 Jahre, 55-69 Jahre, 70-85 Jahre) dargestellt. Während für die Skala „Lebenszufriedenheit“<br />

die Stabilitäten über die Altersgruppen <strong>in</strong> etwa gleich s<strong>in</strong>d, nimmt die Stabilität der Skala<br />

„positiver Affekt“ über die Altersgruppen leicht <strong>und</strong> die Stabilität der Skala „negativer Affekt“<br />

deutlich ab (die Stabilität der Skala „negativer Affekt“ ist <strong>in</strong> den beiden älteren Gruppen signifikant<br />

ger<strong>in</strong>ger als <strong>in</strong> der jüngsten Altersgruppe).<br />

Diese Bef<strong>und</strong>e haben Bedeutung für theoretische Konzeptionen, aber auch für nachfolgende<br />

statistische Analysen. Die Stabilität subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens kann entweder auf stabile Personeigenschaften<br />

zurückgeführt werden (im S<strong>in</strong>ne der <strong>in</strong> Abschnitt 9.1 diskutierten „Top-<br />

Down“-Modelle), kann aber auch auf e<strong>in</strong>e gewisse Stabilität der Lebenssituation verweisen.<br />

Offensichtlich ist Lebenszufriedenheit über die Lebensspanne stabiler als affektive Komponenten<br />

des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens (<strong>in</strong>sbesondere die Stabilität negativer Gefühle s<strong>in</strong>kt mit dem<br />

Alter).<br />

Diese Bef<strong>und</strong>e haben aber auch Konsequenzen für die nachfolgenden statistischen Analysen. In<br />

den folgenden Analysen wird der Frage nachgegangen, welche Faktoren das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

über die Zeit h<strong>in</strong>weg bee<strong>in</strong>flussen (Zeitraum von sechs Jahren zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002).<br />

Dabei s<strong>in</strong>d nicht alle<strong>in</strong> die Veränderungen der Lebenssituation, sondern auch die (relative) Konstanz<br />

des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens zu berücksichtigen. Für die statistischen Analysen bedeutet<br />

dies, den jeweiligen Ausgangszustand e<strong>in</strong>er abhängigen Variable zu kontrollieren. Technisch<br />

werden dabei nicht die Differenzwerte der jeweiligen Skalen herangezogen (die durch Subtraktion<br />

des Endwertes vom Ausgangswert entstehen), sondern Residuen, die bei der Regression der<br />

jeweiligen Variable aus dem Jahr 2002 auf die Variable aus dem Jahr 1996 entstehen 3 . In ähnlicher<br />

Weise werden als Veränderungswerte der objektiven Lebenssituation Residuen entsprechender<br />

Regressionsanalysen verwendet.<br />

9.6.3 Bef<strong>und</strong>e<br />

Im folgenden werden Veränderungen <strong>in</strong> der objektiven Lebenssituation mit Veränderungen <strong>in</strong><br />

bereichsspezifischen Bewertungen <strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong>er Lebenszufriedenheit <strong>in</strong> Beziehung gesetzt.<br />

Berücksichtigt werden hierbei Veränderungen im Erwerbsstatus, <strong>in</strong> der f<strong>in</strong>anziellen Situation,<br />

im sozialen Netzwerk sowie im Ges<strong>und</strong>heitszustand.<br />

Veränderung im Erwerbsstatus<br />

Der Erwerbsstatus ist für viele Aspekte der Lebenslage von Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

bedeutsam: Die f<strong>in</strong>anzielle Situation, die soziale Integration, aber auch die Strukturierung<br />

3 Der Zusammenhang zwischen e<strong>in</strong>fachen Veränderungswerten <strong>und</strong> Residualwerten ist recht hoch, variiert aber<br />

zwischen .60 <strong>und</strong> .95 für unterschiedliche Bereiche.


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

des Tages werden von der Teilnahme am Berufsleben bee<strong>in</strong>flusst (Herfurth, Kohli, & Zimmermann,<br />

2003). Der Wechsel zwischen unterschiedlichen Positionen im Erwerbsleben kann demnach<br />

nicht alle<strong>in</strong> für die materielle Lage, sondern auch für andere Lebensbereiche bedeutsame<br />

Folgen haben. Im folgenden wird der Frage nachgegangen, wie sich die Veränderung des Erwerbsstatus<br />

zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 auf die Zufriedenheit von Personen auswirkt. Dabei werden<br />

bereichsspezifische Bewertungen <strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit e<strong>in</strong>ander gegenübergestellt.<br />

Gemäß vorausgehend formulierter Überlegungen wird erwartet, dass die allgeme<strong>in</strong>e<br />

Lebenszufriedenheit weniger durch Veränderungen der Lebenssituation bee<strong>in</strong>flusst wird als<br />

bereichsspezifische Bewertungen.<br />

Zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 konnten Befragungsteilnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> -teilnehmer des Alterssurveys<br />

durchgängig zur Erwerbsbevölkerung gehören. Hierbei handelt es sich vor allem um Personen<br />

der jüngsten <strong>und</strong> mittleren Altersgruppe (vor dem Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand), die erwerbstätig<br />

waren oder e<strong>in</strong>e Erwerbstätigkeit suchten. Innerhalb dieser Gruppe von Erwerbspersonen<br />

s<strong>in</strong>d vier Veränderungskonstellationen möglich: „Kont<strong>in</strong>uierliche“ Erwerbstätigkeit (die<br />

Person hat zu beiden Zeitpunkten 1996 <strong>und</strong> 2002 angegeben, erwerbstätig zu se<strong>in</strong>), Wechsel<br />

von der Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> die Nicht-Erwerbstätigkeit (vor allem <strong>in</strong> die Arbeitslosigkeit),<br />

Wechsel von der Nicht-Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> die Erwerbstätigkeit sowie durchgängige Nicht-<br />

Erwerbstätigkeit (etwa Langzeitarbeitslosigkeit). Diese Gruppen s<strong>in</strong>d – entsprechend den Verhältnissen<br />

am Arbeitsmarkt – sehr unterschiedlich besetzt. (Mehr Informationen zur Erwerbstätigkeit<br />

älterer Arbeitnehmer/<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> den Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> dem Kapitel<br />

von Engstler <strong>in</strong> diesem Berichtsband).<br />

Folgt man dem Modell der Veränderung des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens (Abbildung 9.3), so<br />

kann man annehmen, dass Kont<strong>in</strong>uität <strong>und</strong> Veränderung <strong>in</strong> der Erwerbsposition stärker mit Veränderungen<br />

<strong>in</strong> der Bewertung der beruflichen Situation (bzw. der Situation im Ruhestand) zusammenhängen<br />

als mit Veränderungen der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit. In Abbildung 9.5<br />

(oberer Teil der Abbildung) s<strong>in</strong>d die Verläufe der Skala „Lebenszufriedenheit“ <strong>und</strong> des Items<br />

„Bewertung von Beruf/Ruhestand“ für die vier beschriebenen Veränderungskonstellationen<br />

dargestellt. Wie deutlich zu erkennen ist, unterscheiden sich die Verläufe der bereichsspezifischen<br />

Bewertung (oben l<strong>in</strong>ks) von den Verläufen der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit (oben<br />

rechts).<br />

Kont<strong>in</strong>uierlich erwerbstätige Personen gaben zu beiden Messzeitpunkten positive Bewertungen<br />

der beruflichen Situation an; Personen, die zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben<br />

haben (oder aufgeben mussten), erlebten e<strong>in</strong>en Abfall der bereichsspezifischen Bewertung<br />

(p


426<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

Ähnlich differenzierte Veränderungen <strong>in</strong> bereichsspezifischer <strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong>er Zufriedenheit<br />

zeigen sich für Personen, die zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 den Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand vollzogen<br />

haben (Abbildung 9.5, unterer Teil). Personen, die den Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand vollzogen,<br />

zeigten im Jahr 2002 e<strong>in</strong>e deutlich positivere bereichsspezifische Bewertung als im Jahr<br />

1996 (l<strong>in</strong>ker Teil der Abbildung 9.5 unten). Die Verbesserung der bereichsspezifischen Bewertung<br />

war stärker für Personen, die aus der Nicht-Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> den Ruhestand wechseln,<br />

als für Personen, die aus der Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> den Ruhestand wechseln. Die bereichsspezifische<br />

Bewertung der Situation im Ruhestand blieb für Personen, die bereits 1996 im Ruhestand<br />

waren, über die sechs Jahre stabil. Der Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand sche<strong>in</strong>t allerd<strong>in</strong>gs auch mit<br />

der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit zu korrelieren (rechter Teil der Abbildung 9.5 unten): Für<br />

beide Gruppen, die den Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand vollzogen, war die allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit<br />

im Jahr 2002 etwas höher als im Jahr 1996 (p nicht erwerbstätig (n=80)<br />

Lebenszufriedenheit<br />

1996 2002<br />

Stabil erwerbstätig (n=431)<br />

Wechsel nicht-erwerbst -> erwerbstätig (n=43) Stabil nicht-erwerbstätig (n=103)<br />

(b) Ruhestand <strong>und</strong> Übergänge <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

Bewertung Beruf/Ruhestand<br />

1996 2002<br />

Wechsel erwerbstätig -> Ruhestand (n=156)<br />

Wechsel nicht-erwerbstätig -> Ruhestand (n=101)<br />

Quelle: Alterssurvey Panelstichprobe 1996-2002 (gewichtet)<br />

Lebenszufriedenheit<br />

1996 2002<br />

Stabil im Ruhestand (n=442)


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

Der <strong>in</strong> Abbildung 9.5 illustrierte Bef<strong>und</strong> wird auch durch e<strong>in</strong>e Analyse bestätigt, <strong>in</strong> der die statistische<br />

Interaktion zwischen Messzeitpunkt <strong>und</strong> Erwerbsstatus unter Kontrolle der Kovariaten<br />

Alter, Geschlecht <strong>und</strong> Region überprüft wird. In e<strong>in</strong>em Gesamtmodell s<strong>in</strong>d Unterschiede im<br />

Verlauf zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 zwischen den (sieben) Erwerbsstatus-Gruppen nur für die<br />

Variable „Bewertung von Beruf/Ruhestand“, nicht aber für „Lebenszufriedenheit“ statistisch<br />

bedeutsam (<strong>und</strong> zwar auch dann, wenn die Variablen Alter, Geschlecht <strong>und</strong> Region als Kovariaten<br />

berücksichtigt werden).<br />

Veränderungen im E<strong>in</strong>kommen<br />

In der zweiten Lebenshälfte kann es aufgr<strong>und</strong> unterschiedlicher Ereignisse zu Veränderungen <strong>in</strong><br />

der materiellen Lage kommen. Während der Erwerbsphase können berufliche Veränderungen<br />

wie der Übergang von der Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> die Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> der Übergang von der<br />

Arbeitslosigkeit <strong>in</strong> die Erwerbstätigkeit, der Übergang von der Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

sowie <strong>in</strong> der Phase des Ruhestands vor allem Verwitwung zu Veränderungen der materiellen<br />

Lage führen. Die Stabilität der materiellen Lage zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 (hier def<strong>in</strong>iert als<br />

Äquivalenze<strong>in</strong>kommen nach OECD-Def<strong>in</strong>ition) ist eher hoch. Der entsprechende Stabilitätskoeffizient<br />

beträgt r=.63 für die gesamte Stichprobe (für die jüngste Altersgruppe r=.61, für die<br />

mittlere Altersgruppe r=.70 <strong>und</strong> für die älteste Altersgruppe r=.53). Trotz dieser hohen Stabilität<br />

gibt es e<strong>in</strong>e – zum Teil erhebliche – <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> E<strong>in</strong>kommensdynamik (s. das Kapitel von Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

<strong>in</strong> diesem Berichtsband).<br />

Im Folgenden soll überprüft werden, ob Veränderungen im E<strong>in</strong>kommen Veränderungen <strong>in</strong> der<br />

subjektiven Bef<strong>in</strong>dlichkeit nach sich ziehen. In Abbildung 9.6 s<strong>in</strong>d Stabilitätskoeffizienten für<br />

die beiden Zufriedenheitsvariablen, das Äquivalenze<strong>in</strong>kommen sowie die Korrelationen zwischen<br />

den Veränderungswerten im E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Zufriedenheit dargestellt (bei den<br />

Veränderungswerten handelt es sich um Residualwerte aus Regressionsanalysen, s.o.). Auf der<br />

l<strong>in</strong>ken Seite der Abbildung 9.6 s<strong>in</strong>d die Koeffizienten der abhängigen Variable „Bewertung des<br />

Lebensstandards“, auf der rechten Seite die Koeffizienten für die Skala „Allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit“<br />

dargestellt. Lebenszufriedenheit <strong>und</strong> Bewertung des Lebensstandards weisen mittlere<br />

Stabilitätskoeffizienten auf (r=.40 bzw. r=.42). Von Interesse s<strong>in</strong>d hier vor allem die Korrelationen<br />

zwischen den Veränderungswerten, die den Zusammenhang zwischen Veränderungen<br />

im E<strong>in</strong>kommen sowie Veränderungen <strong>in</strong> der subjektiven Bef<strong>in</strong>dlichkeit angeben (senkrechte<br />

Pfeile).<br />

427


428<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

Abbildung 9.6:<br />

Zusammenhänge zwischen Veränderung des E<strong>in</strong>kommens mit Veränderungen <strong>in</strong> der Bewertung<br />

des Lebensstandards sowie der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit<br />

Bewertung des Lebensstandards<br />

Bew.<br />

Lebensstandard<br />

1996<br />

E<strong>in</strong>kommen<br />

1996<br />

.40<br />

.66<br />

Bew.<br />

Lebensstandard<br />

2002<br />

.21**<br />

E<strong>in</strong>kommen<br />

2002<br />

LZ<br />

1996<br />

E<strong>in</strong>kommen<br />

1996<br />

Quelle: Alterssurvey Panelstichprobe 1996-2002 (n= 1.081, gewichtet)<br />

Allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit<br />

.40<br />

.66<br />

.07*<br />

LZ<br />

2002<br />

E<strong>in</strong>kommen<br />

2002<br />

Während dieser Zusammenhang für das Item „Bewertung des Lebensstandards mit r=.21<br />

(p


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

Veränderungen <strong>in</strong> der Netzwerkgröße mit Veränderungen <strong>in</strong> Zufriedenheitsurteilen <strong>in</strong> Beziehung<br />

gesetzt.<br />

H<strong>in</strong>sichtlich des Partnerschaftsstatus wird im folgenden nur unterschieden, ob e<strong>in</strong>e Person angibt<br />

e<strong>in</strong>e Partnerschaft zu haben oder nicht (es wird also nicht nach ledigen, verwitweten, geschiedenen<br />

oder getrennt lebenden Personen unterschieden). Bei der Veränderung der Partnerschaft<br />

entstehen auf diese Weise vier Veränderungskonstellationen: (1) Personen, die zu beiden<br />

Messzeitpunkten angaben, e<strong>in</strong>en Partner zu haben („<strong>in</strong> Partnerschaft“). (2) Personen, die zwischen<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 den Verlust oder die Trennung von e<strong>in</strong>em Partner erlebt haben („Partnerverlust“).<br />

(3) Personen, die im Jahr 1996 ohne Partner lebten <strong>und</strong> im Jahr 2002 angaben, e<strong>in</strong>en<br />

Partner zu haben („Partnergew<strong>in</strong>n“). (4) Personen, die während des gesamten Zeitraums ke<strong>in</strong>en<br />

Partner hatten („ohne Partner“). Ähnlich wie im Fall des Erwerbsstatus zeigen sich Unterschiede<br />

<strong>in</strong> der Gruppengröße bei den verschiedenen Konstellationen <strong>in</strong> der Veränderung des Partnerschaftsstatus.<br />

Das durchschnittliche Alter dieser vier Gruppen unterscheidet sich deutlich (im Jahr 2002 betrug<br />

der Mittelwert für die Gruppen „<strong>in</strong> Partnerschaft“ 61 Jahre, „Partnergew<strong>in</strong>n“ 59 Jahre,<br />

„Partnerverlust“ 69 Jahre <strong>und</strong> „ohne Partner“ 70 Jahre). Allerd<strong>in</strong>gs war der Altersrange <strong>in</strong> allen<br />

Gruppen recht hoch (<strong>und</strong> betrug für die vier Gruppen im Jahr 2002 46-90, 46-81, 46-89 <strong>und</strong> 47-<br />

91 Jahre). Dies bedeutet, dass das Alter <strong>in</strong> entsprechenden Analysen statistisch kontrolliert werden<br />

muss.<br />

In Abbildung 9.7 s<strong>in</strong>d die durchschnittlichen Werte der bereichsspezifischen Bewertung der<br />

Situation mit (bzw. ohne Partner, l<strong>in</strong>ke Seite) sowie der Lebenszufriedenheit (rechte Seite) für<br />

die vier Gruppen des Partnerschaftsstatus dargestellt.<br />

Abbildung 9.7:<br />

Bewertung der Partnerschaft bzw. der Situation ohne Partner sowie allgeme<strong>in</strong>e<br />

Lebenszufriedenheit für Gruppen mit unterschiedlichen Veränderungen im<br />

Partnerschaftsstatus 1996 <strong>und</strong> 2002.<br />

5,0<br />

4,5<br />

4,0<br />

3,5<br />

3,0<br />

2,5<br />

2,0<br />

1,5<br />

1,0<br />

Bewertung Partnerschaft<br />

1996 2002<br />

Ohne Partner 1996, mit Partner 2002 (n=59)<br />

Mit Partner 1996, ohne Partner 2002 (n=93)<br />

Quelle: Alterssurvey Panelstichprobe 1996-2002 (gewichtet)<br />

Lebenszufriedenheit<br />

1996 2002<br />

Mit Partner 1996 <strong>und</strong> 2002 (n=1.188)<br />

Ohne Partner 1996 <strong>und</strong> 2002 (n=209)<br />

429


430<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

Es ist anhand von Abbildung 9.7 deutlich zu sehen, dass es vor allem <strong>in</strong> der bereichsspezifischen<br />

Bewertung der Partnerschaftssituation deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen im<br />

Verlauf zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 gibt. Personen, die zu beiden Messzeitpunkten <strong>in</strong> Partnerschaft<br />

lebten, gaben ke<strong>in</strong>e bedeutsame Veränderung <strong>in</strong> der Bewertung der Situation <strong>in</strong> der Partnerschaft<br />

an. Personen, die e<strong>in</strong>en Partnerverlust erlitten hatten, zeigten im Jahr 2002 e<strong>in</strong>e deutlich<br />

negativere bereichsspezifische Bewertung als im Jahr 1996 (p


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

Abbildung 9.8:<br />

Zusammenhänge zwischen Veränderung der Netzwerkgröße mit Veränderungen <strong>in</strong> der Bewertung<br />

des Verhältnisses zu Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Bekannten sowie der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit<br />

Bewertung der Beziehungen<br />

zu Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Bekannten<br />

Bew.<br />

Fre<strong>und</strong>e<br />

Bekannte<br />

1996<br />

Netzwerk<br />

1996<br />

.20<br />

.19<br />

Bew.<br />

Fre<strong>und</strong>e<br />

Bekannte<br />

2002<br />

.23**<br />

Netzwerk<br />

2002<br />

LZ<br />

1996<br />

Netzwerk<br />

1996<br />

Quelle: Alterssurvey Panelstichprobe 1996-2002 (n= 1.143; gewichtet)<br />

Allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit<br />

.41<br />

.19<br />

.03 n.s.<br />

LZ<br />

2002<br />

Netzwerk<br />

2002<br />

Entsprechende Bef<strong>und</strong>e zeigen Regressionsanalysen, <strong>in</strong> denen die Zufriedenheitsvariablen des<br />

Jahres 2002 zunächst durch die Zufriedenheitsvariablen aus dem Jahr 1996 sowie durch Alter,<br />

Geschlecht <strong>und</strong> Region als Kontrollvariablen vorhergesagt wurden. In e<strong>in</strong>em gesonderten Analyseschritt<br />

wurden die Veränderungswerte der sozialen Netzwerkgröße <strong>in</strong> das Regressionsmodell<br />

e<strong>in</strong>geführt. Die zusätzliche Varianzaufklärung (R 2 change) durch die Veränderung <strong>in</strong> der<br />

Netzwerkgröße beträgt für die Bewertung des Verhältnisses zu Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Bekannten 4,5<br />

Prozent, für die allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit dagegen lediglich 0,5 Prozent.<br />

Veränderungen <strong>in</strong> der körperlichen Ges<strong>und</strong>heit<br />

Veränderungen im Ges<strong>und</strong>heitsstatus s<strong>in</strong>d nach wie vor bedeutsamer Bestandteil des Alternsprozesses.<br />

Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, an verschiedenen, vor allem<br />

chronischen Erkrankungen zu leiden (Multimorbidität) <strong>und</strong> Funktionse<strong>in</strong>bußen, <strong>in</strong>sbesondere im<br />

Bereich der Mobilität zu erleben (Wurm & Tesch-Römer, im Druck). Zudem steigt die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit,<br />

e<strong>in</strong>en schweren Unfall oder e<strong>in</strong>e gravierende Erkrankung zu erleiden (s. zum<br />

Thema „Ges<strong>und</strong>heit“ die Kapitel von Wurm & Tesch-Römer <strong>und</strong> Wurm <strong>in</strong> diesem Berichtsband).<br />

Im folgenden werden Veränderungen im Bereich Ges<strong>und</strong>heit mit Veränderungen <strong>in</strong> bereichsspezifischen<br />

<strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong>en Zufriedenheitsmaßen <strong>in</strong> Beziehung gesetzt. Dabei geht es<br />

um Veränderungen h<strong>in</strong>sichtlich der Zahl von selbstberichteten Krankheiten bzw. Multimorbidität<br />

(Abbildung 9.9) sowie dem Erleben e<strong>in</strong>es Unfalls oder e<strong>in</strong>er schweren Krankheit (Abbildung<br />

9.10).<br />

In Abbildung 9.9 s<strong>in</strong>d Stabilitätskoeffizienten für die beiden Zufriedenheitsvariablen, die Zahl<br />

der selbstberichteten Krankheiten (Multimorbidität) sowie die Korrelationen zwischen den Veränderungswerten<br />

der Multimorbidität <strong>und</strong> den beiden Zufriedenheitsmaßen dargestellt (als Veränderungswerte<br />

wurden wiederum Residualwerte verwendet). Die (selbstberichtete) Multimorbidität<br />

weist e<strong>in</strong>e mittlere Stabilität auf (r=.49), ebenso wie die subjektive Ges<strong>und</strong>heit (r=.49).<br />

431


432<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

Abbildung 9.9:<br />

Zusammenhänge zwischen Veränderung der Veränderung der körperlichen Ges<strong>und</strong>heit<br />

(Multimorbidität) mit Veränderungen <strong>in</strong> der subjektiven Ges<strong>und</strong>heit sowie der<br />

allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit<br />

Subj.<br />

Ges<strong>und</strong>heit<br />

1996<br />

Multimorbid.<br />

1996<br />

Subjektive Ges<strong>und</strong>heit<br />

.48<br />

.49<br />

Subj.<br />

Ges<strong>und</strong>heit<br />

2002<br />

-.20**<br />

Multimorbid.<br />

2002<br />

Quelle: Alterssurvey Panelstichprobe 1996-2002 (n= 1.261; gewichtet)<br />

Allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit<br />

LZ<br />

1996<br />

Multimorbid.<br />

1996<br />

.40<br />

.49<br />

-.12**<br />

LZ<br />

2002<br />

Multimorbid.<br />

2002<br />

Auf der l<strong>in</strong>ken Seite der Abbildung 9.9 s<strong>in</strong>d die Koeffizienten für die abhängige Variable „subjektive<br />

Ges<strong>und</strong>heit“ dargestellt. Der Zusammenhang zwischen der Veränderung <strong>in</strong> der Multimorbidität<br />

<strong>und</strong> der Veränderung <strong>in</strong> der subjektiven Ges<strong>und</strong>heit beträgt r=-.20 (p


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

Abbildung 9.10:<br />

Allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit <strong>und</strong> subjektive Ges<strong>und</strong>heit für Personen, die e<strong>in</strong>en Unfall<br />

oder e<strong>in</strong>e schwere Krankheit erlebt haben, bzw. für Personen ohne Unfall oder Krankheit<br />

5,0<br />

4,5<br />

4,0<br />

3,5<br />

3,0<br />

2,5<br />

2,0<br />

1,5<br />

1,0<br />

Subjektive Ges<strong>und</strong>heit<br />

1996 2002<br />

Unfall oder Krankheit zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 (n=391)<br />

Quelle: Alterssurvey Panelstichprobe 1996-2002 (gewichtet)<br />

Lebenszufriedenheit<br />

1996 2002<br />

ke<strong>in</strong>/e Unfall/Krankheit (n=1.132)<br />

Personen, die e<strong>in</strong>en Unfall oder e<strong>in</strong>e schwere Krankheit erlitten haben, weisen bei der Wiederholungsbefragung<br />

im Jahr 2002 e<strong>in</strong>e schlechtere subjektive Ges<strong>und</strong>heit auf als im Jahr 1996<br />

(p


434<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

Teil erheblichen – Veränderungen der Lebenssituation nur ger<strong>in</strong>g mit Veränderungen <strong>in</strong> der<br />

allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit korrelierten. Sehr viel stärkere Korrelationen konnten mit<br />

bereichsspezifischen Zufriedenheitsurteilen nachgewiesen werden. In den bisherigen Analysen<br />

ist noch nicht überprüft worden, ob es tatsächlich Veränderungen <strong>in</strong> bereichsspezifischen Bewertungen<br />

s<strong>in</strong>d, die Veränderungen <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit (statistisch) erklären<br />

können. Entsprechende Analysen sollen nun abschließend vorgenommen werden.<br />

Veränderungen <strong>in</strong> bereichsspezifischen Bewertungen <strong>und</strong> Lebenszufriedenheit<br />

Dabei werden Veränderungen <strong>in</strong> der objektiven Lebenssituation (hier beschränkt auf E<strong>in</strong>kommen,<br />

Partnerschaft, soziales Netz <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit) sowie Veränderungen <strong>in</strong> bereichsspezifischen<br />

Bewertungen verwendet, um Veränderungen <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit<br />

zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 vorherzusagen.<br />

In Tabelle 9.10 s<strong>in</strong>d die Ergebnisse e<strong>in</strong>er schrittweisen multiplen Regressionsanalyse für den<br />

Indikator „allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit im Jahr 2002“ zusammengestellt. Im Modell 1 wird<br />

zunächst die Variable „allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit im Jahr 1996“ e<strong>in</strong>geführt. In diesem<br />

ersten Schritt werden 15 Prozent an Varianz aufgeklärt (dies entspricht der oben mehrfach erwähnten<br />

Stabilität zwischen den beiden Messzeitpunkten). Im Modell 2 werden die Designvariablen<br />

Alter, Geschlecht <strong>und</strong> Region e<strong>in</strong>geführt. Durch diesen Schritt wird ke<strong>in</strong>e weitere Varianzaufklärung<br />

erreicht; ke<strong>in</strong>er der Koeffizienten erreicht statistische Bedeutsamkeit. Im dritten<br />

Modell werden Veränderungs<strong>in</strong>formationen zu den Bereichen E<strong>in</strong>kommen, soziales Netzwerk<br />

sowie Ges<strong>und</strong>heit e<strong>in</strong>geführt. Dabei werden drei Prozent zusätzliche Varianz aufgeklärt. In diesem<br />

Modell s<strong>in</strong>d (neben „Lebenszufriedenheit 1996“) nur die beiden Ges<strong>und</strong>heits<strong>in</strong>dikatoren –<br />

selbstberichtete Multimorbidität <strong>und</strong> Erleben e<strong>in</strong>es Unfalls oder e<strong>in</strong>er Krankheit – sowie das<br />

Alter statistisch von Bedeutung. In Modell 4 werden schließlich die Veränderungswerte der<br />

bereichsspezifischen Bewertungen zu den Bereichen Lebensstandard, Partnerschaft, Verhältnis<br />

zu Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Bekannten sowie subjektive Ges<strong>und</strong>heit e<strong>in</strong>gegeben.<br />

Durch die E<strong>in</strong>führung dieser vier Prädiktoren wird die Erklärungskraft des Gesamtmodells deutlich<br />

verbessert (10 Prozent zusätzliche Varianzaufklärung). Innerhalb dieses Modells erweisen<br />

sich die vier Indikatoren zu Veränderungen <strong>in</strong> bereichsspezifischen Bewertungen als hoch signifikant<br />

(daneben weisen nur noch „Lebenszufriedenheit 1996“ sowie Alter signifikante Koeffizienten<br />

auf). Insgesamt klärt dieses Modell 30 Prozent an Varianz <strong>in</strong>nerhalb der allgeme<strong>in</strong>en<br />

Lebenszufriedenheit (erhoben im Jahr 2002) auf.


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

Tabelle 9.10:<br />

Ergebnisse der Regression der Skala „Lebenszufriedenheit 2002“ auf „Lebenszufriedenheit<br />

1996“, Veränderungen der objektiven Lebenssituation sowie Veränderungen bereichsspezifischer<br />

Bewertungen<br />

Modell 1 Modell 2 Modell 3 Modell 4<br />

Beta p Beta p Beta p Beta p<br />

Lebenszufriedenheit 1996 .32 ** .42 ** .39 ** .36 **<br />

Alter -.02 n.s. .10 * .07 *<br />

Geschlecht -.01 n.s. .02 n.s. -.01 n.s.<br />

Region (0=Ost, 1=West) .00 n.s. .00 n.s. -.02 n.s.<br />

Veränderung im E<strong>in</strong>kommen .05 n.s. .00 n.s.<br />

Veränderung im Netzwerk .05 n.s. .01 n.s.<br />

Partner 1996 <strong>und</strong> 2002 .09 n.s. .03 n.s.<br />

Ke<strong>in</strong> Partner 1996, Partner 2002 .05 n.s. .01 n.s.<br />

Partner 1996, ke<strong>in</strong> Partner 2002 -.03 n.s. .00 n.s.<br />

Veränderung Ges<strong>und</strong>heit -.09 * -.05 n.s.<br />

Unfall/Krankheit -.08 * -.04 n.s.<br />

Veränderung Bewertung Lebensstandard .21 **<br />

Veränderung Bewertung Partnerschaft .12 **<br />

Veränderung Bewertung Fre<strong>und</strong>e/Bekannte .10 **<br />

Veränderung subjektive Ges<strong>und</strong>heit .12 **<br />

R 2 (korrigiert) .18 * .18 * .20 * .30 *<br />

Zuwachs an R 2 (korrigiert) .18 * .00 .02 * .10 *<br />

Quelle: Alterssurvey Panelstichprobe 1996-2002 (n= 968), * p


436<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

Tabelle 9.11:<br />

Altersgruppendifferenzierte Analyse: Ergebnisse der Regression der Skala „Lebenszufriedenheit<br />

2002“ auf „Lebenszufriedenheit 1996“, Veränderungen der objektiven Lebenssituation<br />

sowie Veränderung bereichsspezifischer Bewertungen<br />

Jüngste<br />

Altersgruppe<br />

Mittlere<br />

Altersgruppe<br />

Älteste<br />

Altersgruppe<br />

Beta p Beta p Beta p<br />

Lebenszufriedenheit 1996 .32 ** .43 ** .35 **<br />

Alter .07 * -.04 n.s .01 n.s.<br />

Geschlecht .04 n.s. -.04 n.s. -.06 n.s.<br />

Region (0=Ost, 1=West) .06 n.s. -.11 ** .03 n.s.<br />

Veränderung im E<strong>in</strong>kommen -.04 n.s. .05 n.s. .12 n.s.<br />

Veränderung im Netzwerk .02 n.s. .01 n.s. -.04 n.s.<br />

Partner 1996 <strong>und</strong> 2002 -.11 n.s. .06 n.s. .09 n.s.<br />

Ke<strong>in</strong> Partner 1996, Partner 2002 1 -.06 n.s. .02 n.s. -- --<br />

Partner 1996, ke<strong>in</strong> Partner 2002 -.06 n.s. -.03 n.s. .13 n.s.<br />

Veränderung Ges<strong>und</strong>heit -.08 * -.01 n.s. -.08 n.s.<br />

Unfall/Krankheit -.06 n.s. -.03 n.s. -.04 n.s.<br />

Veränderung Bewertung Lebensstandard .25 ** .17 ** .13 n.s.<br />

Veränderung Bewertung Partnerschaft .16 ** .09 n.s. .13 n.s.<br />

Veränderung Bewertung Fre<strong>und</strong>e/Bekannte .10 * .10 * .13 n.s.<br />

Veränderung subjektive Ges<strong>und</strong>heit .07 n.s. .11 ** .30 **<br />

R 2 (korrigiert) .28 * .32 * .36 *<br />

N 442 392 157<br />

1 In der ältesten Altersgruppe gab es ke<strong>in</strong>e Personen, die über e<strong>in</strong>en „Partnergew<strong>in</strong>n“ berichteten.<br />

Quelle: Alterssurvey Panelstichprobe 1996-2002, * p


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

Bewertungen sehr viel stärker als der globale Indikator „Allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit“<br />

durch Veränderungen der Lebenssituation bee<strong>in</strong>flusst werden. Die Bef<strong>und</strong>e zeigen, dass Veränderungen<br />

<strong>in</strong> der persönlichen Lebenssituation vor allem mit Veränderungen <strong>in</strong> bereichsspezifischen<br />

Bewertungen zusammenhängen. Entsprechende Analysen wurden für Veränderungen im<br />

Erwerbsstatus, <strong>in</strong> der materiellen Lage, im Partnerschaftsstatus, <strong>in</strong> der Größe des Netzwerks<br />

sowie für den Ges<strong>und</strong>heitszustand vorgelegt. Zum anderen konnten Bef<strong>und</strong>e dafür vorgelegt<br />

werden, dass Veränderungen der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit vor allem mit Veränderungen<br />

<strong>in</strong> bereichsspezifische Bewertungen (<strong>und</strong> weniger mit Veränderungen der Lebenssituation)<br />

zusammenhängen. Dabei zeigten sich altersspezifische Verschiebungen <strong>in</strong> der Gewichtung von<br />

bereichsspezifischen Bewertungen. Während <strong>in</strong> den jüngeren Altersgruppen vor allem Veränderungen<br />

<strong>in</strong> der Bewertung des Lebensstandards <strong>und</strong> der sozialen Integration Veränderungen <strong>in</strong><br />

der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit vorhergesagt werden, s<strong>in</strong>d dies <strong>in</strong> der ältesten Altersgruppe<br />

vor allem Veränderungen <strong>in</strong> der subjektiven Ges<strong>und</strong>heit.<br />

9.7 Ausblick<br />

Gegenstand dieses Kapitels war die Analyse subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens im zeitlichen Verlauf.<br />

Gesellschaftlicher <strong>Wandel</strong> <strong>und</strong> Bed<strong>in</strong>gungen <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r Veränderungen von Lebenszufriedenheit,<br />

positivem Affekt <strong>und</strong> negativem Affekt standen hierbei im Mittelpunkt. In diesem abschließenden<br />

Abschnitt werden zunächst die wesentlichen Bef<strong>und</strong>e aus der zweiten Welle des<br />

Alterssurveys – getrennt nach Ergebnissen des Kohorten- <strong>und</strong> des Panelvergleichs – zu subjektivem<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität zusammengefasst. Danach werden theoretische Implikationen<br />

dieser Ergebnisse diskutiert. Abschließend werden Handlungsempfehlungen erörtert,<br />

die sich auf die hier vorgelegten Bef<strong>und</strong>e beziehen.<br />

9.7.1 Ergebnisse<br />

Ergebnisse I: Dimensionen des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

Lebenszufriedenheit <strong>und</strong> Emotionen stellen unterschiedliche Komponenten subjektiver Lebensqualität<br />

dar. Lebenszufriedenheit betrifft die Beurteilung der eigenen Lebenssituation anhand<br />

von Bewertungsmaßstäben. Gefühlszustände spiegeln dagegen die Reaktion auf tägliche Ereignisse<br />

<strong>und</strong> Schwierigkeiten wider. Die Notwendigkeit, diese Komponenten des subjektiven<br />

Wohlbef<strong>in</strong>dens gesondert zu betrachten, wird durch unterschiedliche empirische Bef<strong>und</strong>muster<br />

deutlich (etwa h<strong>in</strong>sichtlich Alters- <strong>und</strong> Geschlechtsunterschieden).<br />

Ergebnisse II: Trends im subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

Allgeme<strong>in</strong>e Trends: Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte äußern im Durchschnitt hohe Zufriedenheit,<br />

erleben häufig positive Emotionen <strong>und</strong> erfahren eher selten negative Gefühle. Zwischen<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 nahmen Zufriedenheit <strong>und</strong> positiver Affekt im Durchschnitt leicht zu <strong>und</strong> nega-<br />

437


438<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

tiver Affekt leicht ab. Bedeutsam ist hierbei, dass nicht für alle Gruppen der Bevölkerung die<br />

subjektive Lebensqualität <strong>in</strong> diesem Zeitraum angestiegen ist.<br />

Altersunterschiede: Die drei Komponenten subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens – Lebenszufriedenheit,<br />

positive Gefühle <strong>und</strong> negative Gefühle – verändern sich mit dem Alter <strong>in</strong> unterschiedlicher<br />

Weise. Die Lebenszufriedenheit bleibt bis <strong>in</strong>s hohe Alter stabil. Berücksichtigt man <strong>in</strong> statistischen<br />

Analysen relevante Lebenslagemerkmale <strong>und</strong> bereichsspezifische Bewertungen, so steigt<br />

die Lebenszufriedenheit mit dem Alter sogar: Je älter Menschen s<strong>in</strong>d, desto zufriedener s<strong>in</strong>d sie<br />

mit ihrem Leben. Gleichzeitig nimmt mit dem Alter die Häufigkeit erlebter Gefühle <strong>in</strong>sgesamt<br />

ab. Je älter Menschen werden, desto seltener erleben sie sowohl positive Gefühle (wie „Glück“)<br />

als auch negative Gefühle (wie „Trauer“).<br />

Geschlechtsunterschiede: Frauen äußern höhere Zufriedenheit mit ihrem Leben als Männer.<br />

Dieser Unterschied zwischen den Geschlechtern verändert sich zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 nicht.<br />

Gleichwohl äußern Frauen <strong>in</strong> höherem Maß als Männer das Erleben negativer Gefühle. Die<br />

geschlechtsspezifischen Bef<strong>und</strong>muster h<strong>in</strong>sichtlich negativen Affekts könnten auf unterschiedliches<br />

Antwortverhalten von Männern <strong>und</strong> Frauen zurückzuführen se<strong>in</strong>: Es ist möglich, dass<br />

Frauen eher bereit s<strong>in</strong>d als Männer, das Erleben negativer Emotionen zu berichten.<br />

Regionale Unterschiede: Zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 hat sich e<strong>in</strong>e Annäherung zwischen Ost-<br />

<strong>und</strong> Westdeutschland h<strong>in</strong>sichtlich der geäußerten Lebenszufriedenheit vollzogen. Die Zufriedenheit<br />

von Menschen, die <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>esländern leben, erhöhte sich zwischen 1996 <strong>und</strong><br />

2002 stärker als bei Menschen, die <strong>in</strong> den alten B<strong>und</strong>esländern leben. Es bestehen zwar auch im<br />

Jahr 2002 noch regionale Unterschiede <strong>in</strong> der Lebenszufriedenheit. Gleichwohl ist e<strong>in</strong>e deutliche<br />

Annäherung <strong>in</strong> der Zufriedenheit von Menschen <strong>in</strong> Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland zu verzeichnen.<br />

Soziale Ungleichheit: Die Bef<strong>und</strong>e zeigen deutlich die negativen Auswirkungen sozialer Ungleichheit<br />

für subjektive Lebensqualität. Unterschiede <strong>in</strong> der Zugehörigkeit der sozialen Schicht<br />

s<strong>in</strong>d nicht alle<strong>in</strong> mit der Verfügbarkeit von Ressourcen verb<strong>und</strong>en, sondern spiegeln sich auch<br />

<strong>in</strong> der subjektiven Bef<strong>in</strong>dlichkeit. Angehörige der unteren sozialen Schichten zeigen zwischen<br />

1996 <strong>und</strong> 2002 nur ger<strong>in</strong>ge Zugew<strong>in</strong>ne <strong>in</strong> der Lebenszufriedenheit. Für Angehörige der mittleren<br />

<strong>und</strong> gehobenen sozialen Schicht waren die entsprechenden Zuwächse <strong>in</strong> der subjektiven<br />

Lebensqualität deutlich größer. Die erheblichen Unterschiede zwischen sozialen Schichten im<br />

subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>den blieben über den Zeitraum von sechs Jahren stabil.<br />

Ergebnisse III: Objektive Lebenssituation, bereichsspezifische Bewertungen <strong>und</strong> subjektive<br />

Lebensqualität<br />

Es wurde empirisch auch geprüft, ob Merkmale der objektiven Lebenssituation das subjektive<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>er Person <strong>in</strong> direkter Weise bee<strong>in</strong>flussen oder ob bereichsspezifische Bewertungen<br />

vermittelnd wirksam s<strong>in</strong>d. Bereichsspezifische Bewertungen beziehen sich auf die E<strong>in</strong>schätzung<br />

unterschiedlicher Lebensbereiche. Menschen bewerten die verschiedenen Bereiche<br />

ihrer Lebenssituation – Arbeit, E<strong>in</strong>kommen, Familie, Fre<strong>und</strong>e, Ges<strong>und</strong>heit – anhand von Vergleichsmaßstäben<br />

<strong>und</strong> Zielvorstellungen. Erst diese bereichsspezifischen Bewertungen fließen<br />

e<strong>in</strong> <strong>in</strong> das Gesamturteil „Ich b<strong>in</strong> mit me<strong>in</strong>em Leben zufrieden“. Das Modell der <strong>in</strong>direkten Beziehung<br />

zwischen objektiver Lebenssituation <strong>und</strong> subjektiver Lebensqualität nimmt an, dass


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

Merkmale der objektive Lebenssituation zunächst bereichsspezifische Bewertungen bee<strong>in</strong>flussen<br />

<strong>und</strong> dass es vor allem diese bereichsspezifischen Bewertungen s<strong>in</strong>d, die die allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit<br />

e<strong>in</strong>er Person bestimmen (Veränderung der objektiven Lebensbed<strong>in</strong>gungen <br />

Veränderung <strong>in</strong> der bereichsspezifischen Bewertung Veränderung der Lebenszufriedenheit).<br />

Objektive Lebenssituation: Ges<strong>und</strong>heit, Lebensstandard <strong>und</strong> Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Partners s<strong>in</strong>d<br />

– als Bestandteile der objektiven Lebenssituation – mit subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den verknüpft. Je<br />

gesünder Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte s<strong>in</strong>d, desto zufriedener s<strong>in</strong>d sie, desto häufiger<br />

äußern sie positive Gefühle <strong>und</strong> desto seltener negative Gefühle. Höheres E<strong>in</strong>kommen korreliert<br />

mit höherer Lebenszufriedenheit, <strong>und</strong> Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>er höheren Schicht hängt mit positiven<br />

Gefühlszuständen zusammen. Das Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Partners ist mit höherer Lebenszufriedenheit<br />

verknüpft. Dies gilt auch dann, wenn andere Merkmale der Lebenssituation kontrolliert<br />

werden.<br />

Bereichsspezifische Bewertungen: In den Analysen hat sich jedoch deutlich gezeigt, dass allgeme<strong>in</strong>e<br />

Lebenszufriedenheit nicht alle<strong>in</strong> durch objektive Lebenslagemerkmale, sondern – <strong>und</strong><br />

zwar <strong>in</strong> höherem Maße – durch bereichsspezifische subjektive Bewertungen vorhergesagt wird.<br />

Weniger die objektive Ges<strong>und</strong>heit, die tatsächliche Höhe des E<strong>in</strong>kommens oder das tatsächliche<br />

Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Partners als vielmehr die E<strong>in</strong>schätzung der eigenen Ges<strong>und</strong>heit, die Bewertung<br />

des eigenen Lebensstandards oder die Beurteilung der Partnerschaftssituation s<strong>in</strong>d für<br />

die Lebenszufriedenheit e<strong>in</strong>er Person von Bedeutung. Für die Vorhersage affektiver Komponenten<br />

des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens (positive <strong>und</strong> negative Gefühle) haben bereichsspezifische<br />

Bewertungen dagegen weniger große Bedeutung.<br />

Veränderungen der Lebenssituation: Auch die Analysen zur <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n <strong>Entwicklung</strong>sdynamik<br />

haben das Modell der <strong>in</strong>direkten Beziehung zwischen objektiver Lebenssituation <strong>und</strong> subjektiver<br />

Lebensqualität bestätigt. Veränderungen <strong>in</strong> der persönlichen Lebenssituation hängen<br />

vor allem mit Veränderungen <strong>in</strong> bereichsspezifischen Bewertungen zusammen – <strong>und</strong> erst diese<br />

Veränderungen <strong>in</strong> bereichsspezifischen Bewertungen korrelieren mit Veränderungen der allgeme<strong>in</strong>en<br />

Lebenszufriedenheit. Mit dem Alter verändern sich die Gewichtungen e<strong>in</strong>zelner Lebensbereiche<br />

(bzw. deren Bewertungen) für die allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit. Während <strong>in</strong><br />

den jüngeren Altersgruppen Veränderungen <strong>in</strong> der Bewertung des Lebensstandards <strong>und</strong> der<br />

sozialen Beziehungen Bedeutung für Veränderungen <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit<br />

haben, s<strong>in</strong>d dies <strong>in</strong> der ältesten Altersgruppe vor allem Veränderungen <strong>in</strong> der subjektiven Ges<strong>und</strong>heit.<br />

9.7.2 Theoretische <strong>und</strong> sozialpolitische Implikationen<br />

Die hier vorgelegten Analysen stehen im E<strong>in</strong>klang mit Bef<strong>und</strong>en der sozial- <strong>und</strong> verhaltenswissenschaftlichen<br />

Alternsforschung. Die kognitive Komponente des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

– Lebenszufriedenheit – bleibt über den Lebenslauf stabil (Okun, 2001). Der Begriff des<br />

„Paradoxes der Lebenszufriedenheit im hohen Alter“ wird bereits seit geraumer Zeit <strong>in</strong> der Gerontologie<br />

diskutiert (Staud<strong>in</strong>ger, 2000). Hiermit ist geme<strong>in</strong>t, dass die generelle Lebenszufriedenheit<br />

im Alter recht stabil ist, obwohl man annehmen könnte, dass aufgr<strong>und</strong> zunehmender<br />

Verlusterfahrungen auch das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>geschränkt se<strong>in</strong> müsste. Diese hohe<br />

439


440<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

Widerstandsfähigkeit (Resilienz) alter <strong>und</strong> sehr alter Menschen kann als bedeutsames Potenzial<br />

des Alters bezeichnet werden: Auch angesichts widriger Lebensumstände können Zufriedenheit<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e positive Lebense<strong>in</strong>stellung bewahrt werden. Dies wird im vorliegenden Zusammenhang<br />

<strong>in</strong>sbesondere daran deutlich, dass die allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit weniger stark von<br />

objektiven Lebenslagemerkmalen oder kritischen Lebensereignissen wie Arbeitslosigkeit,<br />

Krankheit oder Unfällen betroffen ist als bereichsspezifische Zufriedenheitsurteile.<br />

Die Bed<strong>in</strong>gungsfaktoren der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit s<strong>in</strong>d demnach nicht <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />

die objektiven Lebenslagen. Vielmehr spielen hier offensichtlich bereichsspezifische Bewertungen<br />

e<strong>in</strong>e zentrale Rolle. Anhand der Daten des Alterssurveys konnte das Modell der <strong>in</strong>direkten<br />

Beziehung zwischen objektiver Lebenssituation <strong>und</strong> subjektiver Lebensqualität nicht alle<strong>in</strong><br />

anhand querschnittsbezogenen Informationen, sondern auch im Längsschnitt geprüft werden.<br />

Hier zeigt sich auch, dass die Bedeutung von Lebensbereichen e<strong>in</strong>em <strong>Wandel</strong> über die Lebensspanne<br />

unterliegt: Während e<strong>in</strong>ige Bereiche mit zunehmendem Alter bedeutsamer werden (Bewertung<br />

der eigenen Ges<strong>und</strong>heit), werden andere Bereiche weniger wichtig (Bewertung des<br />

eigenen Lebensstandards).<br />

Das Modell kann auch verwendet werden, um die Stabilität der Lebenszufriedenheit angesichts<br />

widriger Lebensumstände zu erklären (vgl. auch Smith et al., 1996). Veränderungen der Lebenssituation<br />

bee<strong>in</strong>flussen die Lebenszufriedenheit e<strong>in</strong>er Person nicht auf direktem Weg. Vielmehr<br />

werden die Auswirkungen von Veränderungen der Lebenslage zweifach „abgepuffert“.<br />

Zum e<strong>in</strong>en verändert sich je nach betroffenem Bereich der Lebenssituation zunächst nur die<br />

bereichsspezifische Bewertung: E<strong>in</strong> Zugew<strong>in</strong>n <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Lebensbereich macht die entsprechende<br />

bereichsspezifische Bewertung besser, e<strong>in</strong> Verlust schlechter. Erst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiteren Schritt<br />

wirkt sich die Veränderung der bereichsspezifischen Bewertung auf die Lebenszufriedenheit<br />

e<strong>in</strong>er Person auf. Zum anderen wird Lebenszufriedenheit nicht nur durch e<strong>in</strong>e, sondern durch<br />

viele bereichsspezifische Bewertungen bee<strong>in</strong>flusst. Dies bedeutet, dass Veränderungen <strong>in</strong> nur<br />

e<strong>in</strong>em Lebensbereich (<strong>und</strong> der entsprechenden bereichsspezifischen Bewertung) durch Stabilität<br />

<strong>in</strong> anderen Lebensbereichen aufgefangen werden kann.<br />

Überlegungen <strong>in</strong> diese Richtung würden es auch ermöglichen, die – aus der Tradition der Sozialberichterstattung<br />

– (sche<strong>in</strong>bar) <strong>in</strong>konsistenten Wohlfahrtspositionen von „dissonant“ <strong>und</strong> „adaptiert“<br />

urteilenden Personen verständlich zu machen (Zapf, 1984). In dieser Tradition werden<br />

objektive Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> subjektive Lebensbewertungen aufe<strong>in</strong>ander bezogen. Als<br />

konsistent werden dabei die Konstellationen des „Well-Be<strong>in</strong>g“ (Zusammentreffen von guten<br />

Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> positivem Wohlbef<strong>in</strong>den) <strong>und</strong> der "Deprivation" bezeichnet (schlechte<br />

Lebensbed<strong>in</strong>gungen gehen mit negativem Wohlbef<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>her). Als <strong>in</strong>konsistent werden die<br />

Konstellationen "Dissonanz" (Komb<strong>in</strong>ation von guten Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> Unzufriedenheit)<br />

sowie "Adaptation" (Verb<strong>in</strong>dung von schlechten Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> Zufriedenheit)<br />

bezeichnet. Allerd<strong>in</strong>gs zeigen sich hier auch die Grenzen der vorliegenden Analysen. Da es<br />

offensichtlich nicht die Lebensbed<strong>in</strong>gungen selbst s<strong>in</strong>d, die sich direkt auf die Lebenszufriedenheit<br />

auswirken, kann es durchaus möglich se<strong>in</strong>, dass besonders saliente bereichsspezifische Bewertungen<br />

für die auf den ersten Blick <strong>in</strong>konsistenten Konstellationen von Dissonanz <strong>und</strong> Adaption<br />

verantwortlich s<strong>in</strong>d. An dieser Stelle wird aber auch deutlich, dass es sich lohnen kann,<br />

die hier vorgelegten Bef<strong>und</strong>e um die Analyse der Entstehung bereichsspezifischer Bewertungen


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

zu ergänzen. Hierzu wäre es notwendig, <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Vergleichsmaßstäbe oder Wertüberzeugungen<br />

zu berücksichtigen (Campbell et al., 1976).<br />

Allerd<strong>in</strong>gs deutet sich im Zusammenhang mit dem Problem der „Adaptation“ bzw. des „Zufriedenheitsparadoxes“<br />

(Staud<strong>in</strong>ger, 2000; Zapf, 1984) e<strong>in</strong> Problem an, das sozialpolitisch relevant<br />

ist. Gerade adaptierte Menschen – also die trotz Benachteiligung zufriedenen Personen – stellen<br />

aus sozial- <strong>und</strong> gesellschaftspolitischer Sicht e<strong>in</strong>e besondere Problemgruppe dar: "Die Adaptierten<br />

repräsentieren häufig die Realität von Ohnmacht <strong>und</strong> gesellschaftlichem Rückzug. Gerade<br />

sie, die sich subjektiv <strong>in</strong> greifbare Mangellagen fügen, werden häufig von den etablierten sozialpolitischen<br />

Maßnahmen nicht erreicht" (Zapf, 1984, S. 26). Unter älteren Menschen f<strong>in</strong>den<br />

sich häufiger als <strong>in</strong> anderen Altersgruppen Menschen, die <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne als „adaptiert“ zu<br />

bezeichnen s<strong>in</strong>d. So wurde <strong>in</strong> der gerontologischen Forschung wiederholt aufgezeigt, dass sich<br />

Bef<strong>und</strong>e zum objektiven Ges<strong>und</strong>heitszustand von den subjektiven E<strong>in</strong>schätzungen der eigenen<br />

Ges<strong>und</strong>heit deutlich unterscheiden (Lehr, 1997). Hohe Zufriedenheitsurteile dürfen also nicht<br />

den Blick für mögliche Situationen des Hilfe- <strong>und</strong> Unterstützungsbedarfs verstellen.<br />

Gleichwohl ist festzuhalten, dass sehr starke Belastungen oder die Kumulation verschiedener<br />

Belastungen sowie gravierende Unterschiede <strong>in</strong> der Lebenslage nicht alle<strong>in</strong> bereichsspezifische<br />

Bewertungen, sondern durchaus auch die Lebenszufriedenheit bee<strong>in</strong>flussen können. In den<br />

vorliegenden Analysen hat sich gezeigt, dass <strong>in</strong>sbesondere Schichtunterschiede sowie ges<strong>und</strong>heitliche<br />

E<strong>in</strong>bußen offensichtlich nicht vollständig durch <strong>in</strong>trapsychische Verarbeitungsmechanismen<br />

abgefedert werden. Unterschiede <strong>in</strong> der materiellen Situation <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Schichtzugehörigkeit<br />

s<strong>in</strong>d offenbar vor allem im mittleren Erwachsenenalter bedeutsam, ges<strong>und</strong>heitliche E<strong>in</strong>bußen<br />

gew<strong>in</strong>nen im höheren Erwachsenenalter an Bedeutung. Wie gezeigt wurde, können bereits<br />

h<strong>in</strong>ter kle<strong>in</strong>en Veränderungen der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit große Veränderungen<br />

<strong>in</strong> den bereichsspezifischen Bewertungen liegen. Letztere s<strong>in</strong>d oftmals verursacht durch Veränderungen<br />

<strong>in</strong> der objektiven Lebenssituation. Für die Beobachtung gesellschaftlicher Trends<br />

ersche<strong>in</strong>t es daher notwendig, dass auch kle<strong>in</strong>e Unterschiede <strong>und</strong> ger<strong>in</strong>gere Veränderungen im<br />

(allgeme<strong>in</strong>en) subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>den registriert <strong>und</strong> Ernst genommen werden.<br />

Es ist das Ziel der Senioren- <strong>und</strong> Sozialpolitik, die Lebensqualität älter werdender <strong>und</strong> alter<br />

Menschen zu wahren. Dazu gehört auch die Beobachtung des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens älter<br />

werdender Menschen. Angesichts des demografischen <strong>Wandel</strong>s <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er hohen (<strong>und</strong> <strong>in</strong> Zukunft<br />

weiter steigenden) Lebenserwartung sollte angestrebt werden, die Lebensqualität von<br />

Menschen <strong>in</strong> der zweiten Hälfte des Lebens sicherzustellen. Dabei s<strong>in</strong>d anhand des vorliegenden<br />

Kapitels folgende Empfehlungen von besonderer Bedeutung:<br />

Positiven Alternsdiskurs prägen: Die hier vorgelegten Bef<strong>und</strong>e zeigen, dass das subjektive<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den, <strong>in</strong>sbesondere die Zufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation, bis <strong>in</strong>s fortgeschrittene<br />

Alter hoch bleibt. Dies ist, gerade angesichts e<strong>in</strong>es nicht selten negativen „Belastungsdiskurses“<br />

<strong>in</strong> den Medien, e<strong>in</strong>e positive <strong>und</strong> optimistische Botschaft. Dieser Bef<strong>und</strong> sollte<br />

zum Anlass genommen werden, den medialen Diskurs über das Alter optimistischer zu gestalten.<br />

Das negative Altersstereotyp trifft offensichtlich nicht das Selbstbild älter werdender <strong>und</strong><br />

alter Menschen. Zugleich sollte dabei jedoch nicht übersehen werden, dass gerade alte <strong>und</strong> sehr<br />

alte Menschen nur selten Unzufriedenheit mit der objektiven Lebenssituation äußern. Der an<br />

sich positiv zu bewertende Bef<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er hohen Lebenszufriedenheit auch im höheren Erwach-<br />

441


442<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm<br />

senenalter sollte nicht dazu führen, dass ältere Menschen generell aus dem Blickfeld sozialpolitischer<br />

Wachsamkeit geraten.<br />

Kle<strong>in</strong>e Unterschiede beachten: Offensichtlich müssen Ergebnisse zum subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

mit Bedacht <strong>in</strong>terpretiert werden. Der Indikator „Allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit“ ist im<br />

Durchschnitt auch unter verschiedensten Formen von Lebenslagen häufig recht hoch: Die meisten<br />

Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte s<strong>in</strong>d mit sich <strong>und</strong> ihrem Leben zufrieden. Als „Frühwarnsysteme“<br />

der Sozial- <strong>und</strong> Gesellschaftspolitik s<strong>in</strong>d daher – auf konkrete Lebensbereiche<br />

bezogene – Bewertungs<strong>in</strong>dikatoren sehr viel geeigneter als Informationen über die „allgeme<strong>in</strong>e<br />

Lebenszufriedenheit“. Neben globalen Maßen des subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens sollten daher vor<br />

allem bereichsspezifische Bewertungen Beachtung f<strong>in</strong>den, da diese für Unterschiede oder Veränderungen<br />

der Lebenssituation sehr viel sensibler s<strong>in</strong>d als Maße der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit.<br />

Betrachtet man ausschließlich Daten zur Lebenszufriedenheit, so sollten selbst kle<strong>in</strong>e<br />

Unterschiede oder Veränderungen der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit Beachtung f<strong>in</strong>den,<br />

da sie auf erhebliche Unterschiede oder Veränderungen der Lebenssituation h<strong>in</strong>weisen können.<br />

Annäherungen im E<strong>in</strong>igungsprozess würdigen: E<strong>in</strong> hervorzuhebendes, positives Ergebnis ist die<br />

Annäherung zwischen Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland im Ausmaß der Zufriedenheit. Dieser Bef<strong>und</strong><br />

ist e<strong>in</strong>e gute Botschaft: Offensichtlich haben sich nicht alle<strong>in</strong> die objektiven Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

von älter werdenden <strong>und</strong> alten Menschen <strong>in</strong> den sechs Jahren zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 angeglichen,<br />

sondern auch die Bewertung der eigenen Lebenssituation. Allerd<strong>in</strong>gs ist dieser Prozess<br />

noch nicht abgeschlossen: Auch im Jahr 2002 f<strong>in</strong>den sich ger<strong>in</strong>ge, aber bedeutsame Unterschiede<br />

<strong>in</strong> der subjektiven Lebensqualität zwischen Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte: Noch<br />

immer ist die Rate zufriedener <strong>und</strong> sehr zufriedener Menschen <strong>in</strong> Ostdeutschland nicht so hoch<br />

wie <strong>in</strong> Westdeutschland. Wenngleich es Erfolge bei der Annäherung „<strong>in</strong> den Köpfen der Menschen“<br />

zu verzeichnen gilt, so ist der Vere<strong>in</strong>igungsprozess auch <strong>in</strong> diesem Bereich der subjektiven<br />

Lebensqualität offensichtlich noch nicht abgeschlossen.<br />

Folgen sozialer Ungleichheit registrieren: Die größten Unterschiede zwischen verschiedenen<br />

Bevölkerungsgruppen zeigten sich h<strong>in</strong>sichtlich der Zugehörigkeit zur sozialen Schicht. Menschen<br />

<strong>in</strong> der Unterschicht <strong>und</strong> der unteren Mittelschicht äußern seltener als Menschen <strong>in</strong> den<br />

gehobenen <strong>und</strong> oberen sozialen Schichten e<strong>in</strong>e hohe Lebenszufriedenheit. Zudem zeigte sich,<br />

dass die Angehörigen der unteren Schichten kaum von dem ansonsten positiven Trend zu höherer<br />

Zufriedenheit <strong>und</strong> positivem Wohlbef<strong>in</strong>den zwischen den Jahren 1996 <strong>und</strong> 2002 profitierten.<br />

Soziale Ungleichheit wirkt sich demnach nicht alle<strong>in</strong> auf die Verteilung von Ressourcen, sondern<br />

auch auf die Verteilung subjektiver Lebensqualität aus. Dies ist umso bedeutsamer als die<br />

hier betrachteten Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte nur noch wenige Chancen haben, ihre<br />

objektive Lebenssituation durch eigene berufliche Aktivitäten nachhaltig zu verändern. Politische<br />

Maßnahmen zur Vermeidung oder Entschärfung sozialer Ungleichheit zielen zwar häufig<br />

<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auf Verursachungskonstellationen (wie etwa die Erhöhung von Bildungschancen<br />

<strong>in</strong> früheren Lebensabschnitten). Die Begründung solcher Maßnahmen kann aber möglicherweise<br />

auch mit dem Verweis auf die biografischen Folgen sozialer Ungleichheit für die subjektive<br />

Lebensqualität erfolgen.


Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

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Perspektive. In P. Flora & H. H. Noll (Eds.), Sozialberichterstattung <strong>und</strong><br />

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& K. U. Mayer (Eds.), <strong>Sozialer</strong> <strong>Wandel</strong> <strong>und</strong> gesellschaftliche Dauerbeobachtung (pp.<br />

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Kapitel 9: Veränderung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

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Objektive Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den. (pp. 13-26). Frankfurt/Ma<strong>in</strong>:<br />

Campus.<br />

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im vere<strong>in</strong>ten Deutschland. Sozialstruktur, sozialer <strong>Wandel</strong> <strong>und</strong> Lebensqualität (pp.<br />

11-21). Berl<strong>in</strong>: Sigma.<br />

447


Tabelle A9.1: Kohortenvergleich 1996-2002. „Ich b<strong>in</strong> zufrieden mit me<strong>in</strong>em Leben“ (Item 3 der Skala ‚Lebenszufriedenheit’ Pavot & Diener, 1993)<br />

448<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

% % % % % % % % % % % %<br />

1996 1942-1956 1927-1941 1911-1926 Gesamt<br />

trifft gar nicht zu Alte Länder 1,0 1,0 1,0 2,0 1,0 1,5 1,9 1,4 1,6 1,5 1,1 1,3<br />

Neue Länder 3,2 4,0 3,6 4,2 2,7 3,4 1,1 0,5 0,8 3,3 2,9 3,1<br />

Gesamt 1,4 1,6 1,5 2,4 1,3 1,9 1,7 1,2 1,4 1,9 1,4 1,6<br />

trifft eher nicht zu Alte Länder 5,3 6,6 5,9 6,4 6,7 6,5 4,0 4,5 4,3 5,5 6,1 5,9<br />

Neue Länder 13,1 10,7 11,9 10,9 10,8 10,8 6,2 7,0 6,7 11,4 10,0 10,7<br />

Gesamt 6,8 7,4 7,1 7,2 7,5 7,4 4,3 4,9 4,7 6,6 6,9 6,8<br />

weder/noch Alte Länder 9,6 7,0 8,3 8,2 7,4 7,8 7,2 5,3 6,0 8,7 6,8 7,7<br />

Neue Länder 17,1 13,8 15,5 11,6 8,1 9,8 10,7 8,6 9,4 14,2 10,7 12,4<br />

Gesamt 11,1 8,3 9,7 8,8 7,6 8,2 7,8 5,9 6,6 9,8 7,5 8,6<br />

trifft eher zu Alte Länder 53,1 50,2 51,7 47,6 46,3 47,0 45,1 41,8 43,0 49,9 47,0 48,4<br />

Neue Länder 49,1 53,3 51,2 50,9 52,1 51,5 44,6 47,0 46,2 49,2 51,7 50,5<br />

Gesamt 52,3 50,8 51,6 48,2 47,4 47,8 45,0 42,7 43,6 49,8 47,9 48,8<br />

trifft genau zu Alte Länder 30,9 35,3 33,1 35,9 38,6 37,2 41,9 47,1 45,2 34,4 39,1 36,8<br />

Neue Länder 17,6 18,2 17,9 22,5 26,3 24,4 37,3 36,8 36,9 21,8 24,8 23,4<br />

Gesamt 28,3 31,9 30,1 33,3 36,1 34,7 41,1 45,3 43,8 32,0 36,3 34,2<br />

2002 1948-1962 1933-1947 1917-1932 Gesamt<br />

trifft gar nicht zu Alte Länder 2,7 0,6 1,7 0,6 0,6 0,6 2,6 2,2 2,3 1,9 1,0 1,5<br />

Neue Länder 4,7 2,6 3,6 0,6 0,7 0,7 2,8 2,7 2,7 2,9 1,9 2,4<br />

Gesamt 3,1 1,0 2,1 0,6 0,7 0,6 2,6 2,3 2,4 2,1 1,2 1,6<br />

trifft eher nicht zu Alte Länder 7,5 3,9 5,7 3,8 2,9 3,3 4,2 7,5 6,2 5,6 4,5 5,0<br />

Neue Länder 9,9 7,8 8,9 7,5 4,8 6,1 5,6 7,4 6,8 8,3 6,6 7,4<br />

Gesamt 8,0 4,7 6,4 4,6 3,3 3,9 4,4 7,5 6,3 6,1 4,9 5,5<br />

weder/noch Alte Länder 8,6 6,5 7,6 7,0 7,7 7,3 7,1 8,2 7,8 7,7 7,4 7,5<br />

Neue Länder 10,5 9,7 10,1 9,4 11,6 10,6 3,5 13,5 9,9 9,0 11,3 10,2<br />

Gesamt 9,0 7,2 8,1 7,5 8,5 8,0 6,4 9,3 8,2 8,0 8,2 8,1<br />

trifft eher zu Alte Länder 51,7 50,4 51,1 45,6 43,7 44,6 51,8 40,9 45,1 49,5 45,6 47,5<br />

Neue Länder 52,3 59,1 55,6 50,9 48,6 49,7 49,3 42,6 45,0 51,3 51,3 51,3<br />

Gesamt 51,8 52,2 52,0 46,7 44,7 45,7 51,3 41,2 45,1 49,8 46,8 48,2<br />

trifft genau zu Alte Länder 29,5 38,6 34,0 43,0 45,0 44,1 34,4 41,2 38,6 35,3 41,5 38,6<br />

Neue Länder 22,7 20,8 21,7 31,4 34,2 32,9 38,7 33,8 35,6 28,5 28,7 28,6<br />

Gesamt 28,1 35,0 31,5 40,7 42,8 41,8 35,2 39,8 38,0 34,0 38,9 36,6<br />

Quelle: Alterssurvey Basisstichprobe 1996 (n= 3.998, gewichtet), Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.767, gewichtet)


Tabelle A9.2: Kohortenvergleich 1996-2002 für die Skala „Lebenszufriedenheit“ (Pavot & Diener, 1993)<br />

1996 1942-1956 1927-1941 1911-1926 Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Mittelwert Alte Länder 3,72 3,83 3,77 3,75 3,79 3,77 3,82 3,82 3,82 3,74 3,81 3,78<br />

Neue Länder 3,36 3,46 3,41 3,49 3,52 3,50 3,69 3,66 3,67 3,45 3,52 3,49<br />

Gesamt 3,65 3,76 3,70 3,70 3,74 3,72 3,80 3,79 3,79 3,69 3,76 3,72<br />

Standardabweichung Alte Länder 0,77 0,79 0,78 0,85 0,83 0,84 0,82 0,85 0,84 0,81 0,82 0,81<br />

Neue Länder 0,78 0,84 0,81 0,88 0,88 0,88 0,80 0,77 0,78 0,83 0,85 0,84<br />

Gesamt 0,78 0,81 0,80 0,86 0,85 0,85 0,82 0,84 0,83 0,82 0,83 0,83<br />

2002 1948-1962 1933-1947 1917-1932 Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Mittelwert Alte Länder 3,66 3,89 3,78 3,97 3,97 3,97 3,87 3,76 3,80 3,81 3,88 3,85<br />

Neue Länder 3,51 3,65 3,58 3,80 3,80 3,80 3,83 3,70 3,75 3,67 3,72 3,69<br />

Gesamt 3,63 3,84 3,74 3,93 3,93 3,93 3,86 3,75 3,79 3,78 3,85 3,82<br />

Standardabweichung Alte Länder 0,85 0,74 0,81 0,74 0,77 0,76 0,77 0,91 0,86 0,81 0,80 0,81<br />

Neue Länder 0,83 0,80 0,82 0,75 0,66 0,70 0,76 0,82 0,80 0,80 0,76 0,78<br />

Gesamt 0,85 0,76 0,81 0,75 0,75 0,75 0,77 0,90 0,85 0,81 0,80 0,80<br />

Quelle: Alterssurvey Basisstichprobe 1996 (n= 4.004, gewichtet), Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.775, gewichtet)<br />

449


Tabelle A9.3: Kohortenvergleich 1996-2002 für die Skala „Positiver Affekt“ (Watson, Clark & Tellegen, 1988)<br />

450<br />

1996 1942-1956 1927-1941 1911-1926 Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Mittelwert Alte Länder 3,45 3,47 3,46 3,31 3,36 3,33 3,06 3,08 3,07 3,34 3,35 3,34<br />

Neue Länder 3,30 3,36 3,33 3,27 3,21 3,24 3,06 2,95 2,99 3,26 3,23 3,24<br />

Gesamt 3,42 3,45 3,43 3,30 3,33 3,32 3,06 3,06 3,06 3,33 3,32 3,33<br />

Standardabweichung Alte Länder 0,59 0,57 0,58 0,59 0,63 0,61 0,64 0,74 0,70 0,61 0,65 0,63<br />

Neue Länder 0,57 0,58 0,58 0,58 0,60 0,59 0,62 0,71 0,68 0,58 0,63 0,61<br />

Gesamt 0,59 0,58 0,58 0,59 0,62 0,61 0,64 0,73 0,70 0,61 0,65 0,63<br />

2002 1948-1962 1933-1947 1917-1932 Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Mittelwert Alte Länder 3,53 3,62 3,57 3,54 3,49 3,51 3,29 3,25 3,27 3,49 3,48 3,48<br />

Neue Länder 3,51 3,51 3,51 3,51 3,46 3,49 3,32 3,16 3,22 3,48 3,41 3,44<br />

Gesamt 3,53 3,60 3,56 3,53 3,49 3,51 3,29 3,23 3,26 3,49 3,46 3,48<br />

Standardabweichung Alte Länder 0,58 0,54 0,56 0,53 0,55 0,54 0,63 0,68 0,66 0,58 0,60 0,59<br />

Neue Länder 0,60 0,58 0,59 0,57 0,56 0,56 0,67 0,69 0,68 0,60 0,62 0,61<br />

Gesamt 0,59 0,55 0,57 0,54 0,56 0,55 0,63 0,68 0,66 0,58 0,60 0,59<br />

Quelle: Alterssurvey Basisstichprobe 1996 (n= 3.867, gewichtet), Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.777, gewichtet)


Tabelle A9.4: Kohortenvergleich 1996-2002 für die Skala „Negativer Affekt“ (Watson, Clark & Tellegen, 1988)<br />

1996 1942-1956 1927-1941 1911-1926 Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Mittelwert Alte Länder 2,10 2,27 2,18 2,05 2,15 2,10 1,92 2,06 2,01 2,06 2,18 2,12<br />

Neue Länder 2,10 2,27 2,18 2,07 2,10 2,08 1,91 2,06 2,01 2,06 2,17 2,12<br />

Gesamt 2,10 2,27 2,18 2,06 2,14 2,10 1,92 2,06 2,01 2,06 2,18 2,12<br />

Standardabweichung Alte Länder 0,51 0,53 0,53 0,52 0,53 0,53 0,56 0,53 0,54 0,53 0,54 0,53<br />

Neue Länder 0,50 0,52 0,52 0,55 0,48 0,51 0,50 0,52 0,52 0,52 0,51 0,52<br />

Gesamt 0,51 0,53 0,53 0,53 0,52 0,52 0,55 0,53 0,54 0,53 0,53 0,53<br />

2002 1948-1962 1933-1947 1917-1932 Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Mittelwert Alte Länder 2,09 2,16 2,12 1,89 2,01 1,95 1,87 1,93 1,91 1,97 2,05 2,01<br />

Neue Länder 2,00 2,12 2,06 1,91 1,97 1,94 1,83 1,97 1,92 1,94 2,03 1,99<br />

Gesamt 2,07 2,15 2,11 1,89 2,00 1,95 1,87 1,93 1,91 1,97 2,04 2,01<br />

Standardabweichung Alte Länder 0,60 0,58 0,59 0,52 0,56 0,54 0,53 0,53 0,53 0,57 0,57 0,57<br />

Neue Länder 0,58 0,59 0,59 0,55 0,55 0,55 0,54 0,62 0,59 0,57 0,59 0,58<br />

Gesamt 0,60 0,58 0,59 0,52 0,56 0,54 0,53 0,55 0,54 0,57 0,57 0,57<br />

Quelle: Alterssurvey Basisstichprobe 1996 (n= 3.865, gewichtet), Alterssurvey Replikationsstichprobe 2002 (n= 2.778, gewichtet)<br />

451


Tabelle A9.5: Panelvergleich 1996-2002 für die Skala „Lebenszufriedenheit“ (Pavot & Diener, 1993)<br />

452<br />

1996 1942-1956 1927-1941 1911-1926 Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Mittelwert Alte Länder 3,74 3,80 3,77 3,75 3,84 3,79 3,91 3,97 3,95 3,76 3,85 3,81<br />

Neue Länder 3,38 3,40 3,39 3,51 3,51 3,51 3,82 3,85 3,84 3,48 3,52 3,50<br />

Gesamt 3,67 3,72 3,69 3,70 3,77 3,74 3,90 3,95 3,93 3,71 3,78 3,75<br />

Standardabweichung Alte Länder 0,76 0,83 0,79 0,84 0,85 0,84 0,70 0,66 0,67 0,78 0,80 0,79<br />

Neue Länder 0,76 0,83 0,79 0,89 0,92 0,90 0,75 0,64 0,67 0,82 0,85 0,83<br />

Gesamt 0,77 0,84 0,81 0,85 0,87 0,86 0,70 0,65 0,67 0,80 0,82 0,81<br />

2002 1942-1956 1927-1941 1911-1926 Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Mittelwert Alte Länder 3,79 3,92 3,85 3,90 3,85 3,88 4,07 3,98 4,01 3,86 3,91 3,89<br />

Neue Länder 3,63 3,57 3,60 3,93 3,79 3,86 3,85 3,62 3,71 3,77 3,66 3,71<br />

Gesamt 3,76 3,85 3,80 3,90 3,84 3,87 4,03 3,92 3,96 3,85 3,86 3,85<br />

Standardabweichung Alte Länder 0,71 0,69 0,70 0,74 0,77 0,75 0,69 0,70 0,69 0,72 0,72 0,72<br />

Neue Länder 0,77 0,74 0,75 0,82 0,74 0,78 0,63 0,72 0,69 0,78 0,74 0,76<br />

Gesamt 0,72 0,71 0,72 0,76 0,76 0,76 0,68 0,71 0,70 0,74 0,73 0,73<br />

Quelle: Alterssurvey Panel 1996-2002 (n= 1.233, gewichtet)


Tabelle A9.6: Panelvergleich 1996-2002 für die Skala „Positiver Affekt“ (Watson, Clark & Tellegen, 1988)<br />

1996 1942-1956 1927-1941 1911-1926 Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Mittelwert Alte Länder 3,42 3,51 3,47 3,33 3,41 3,37 3,19 3,13 3,15 3,36 3,40 3,38<br />

Neue Länder 3,34 3,30 3,32 3,29 3,28 3,28 3,16 3,13 3,14 3,30 3,27 3,28<br />

Gesamt 3,41 3,47 3,44 3,32 3,38 3,35 3,18 3,13 3,15 3,35 3,37 3,36<br />

Standardabweichung Alte Länder 0,61 0,56 0,59 0,53 0,67 0,60 0,57 0,66 0,63 0,58 0,64 0,61<br />

Neue Länder 0,52 0,57 0,54 0,61 0,57 0,59 0,63 0,69 0,65 0,57 0,59 0,58<br />

Gesamt 0,59 0,57 0,58 0,54 0,65 0,60 0,57 0,66 0,63 0,58 0,63 0,60<br />

2002 1942-1956 1927-1941 1911-1926 Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Mittelwert Alte Länder 3,59 3,65 3,62 3,43 3,46 3,44 3,32 3,42 3,39 3,49 3,54 3,52<br />

Neue Länder 3,48 3,41 3,45 3,44 3,42 3,43 3,21 3,08 3,13 3,43 3,36 3,40<br />

Gesamt 3,57 3,60 3,58 3,43 3,45 3,44 3,30 3,36 3,34 3,48 3,50 3,49<br />

Standardabweichung Alte Länder 0,50 0,52 0,51 0,58 0,57 0,57 0,52 0,61 0,58 0,54 0,56 0,55<br />

Neue Länder 0,53 0,72 0,63 0,59 0,54 0,56 0,85 0,82 0,82 0,59 0,68 0,64<br />

Gesamt 0,50 0,57 0,54 0,58 0,56 0,57 0,58 0,66 0,63 0,55 0,59 0,57<br />

Quelle: Alterssurvey Panel 1996-2002 (n= 1.252, gewichtet)<br />

453


Tabelle A9.7: Panelvergleich 1996-2002 für die Skala „Negativer Affekt“ (Watson, Clark & Tellegen, 1988)<br />

454<br />

1996 1942-1956 1927-1941 1911-1926 Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Mittelwert Alte Länder 2,12 2,25 2,19 2,05 2,10 2,08 1,87 2,01 1,96 2,07 2,15 2,11<br />

Neue Länder 2,07 2,31 2,19 2,01 2,08 2,05 1,90 2,00 1,97 2,03 2,18 2,11<br />

Gesamt 2,11 2,26 2,19 2,05 2,10 2,07 1,88 2,01 1,96 2,06 2,16 2,11<br />

Standardabweichung Alte Länder 0,48 0,55 0,52 0,47 0,49 0,48 0,49 0,48 0,49 0,48 0,53 0,51<br />

Neue Länder 0,48 0,56 0,53 0,50 0,45 0,47 0,48 0,45 0,46 0,49 0,52 0,51<br />

Gesamt 0,48 0,55 0,53 0,47 0,48 0,48 0,49 0,47 0,48 0,48 0,52 0,51<br />

2002 1942-1956 1927-1941 1911-1926 Gesamt<br />

Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt<br />

Mittelwert Alte Länder 2,02 2,17 2,09 1,89 2,08 1,98 1,83 1,92 1,88 1,95 2,09 2,02<br />

Neue Länder 2,00 2,24 2,13 1,76 2,06 1,91 1,83 2,07 1,99 1,89 2,15 2,03<br />

Gesamt 2,02 2,18 2,10 1,87 2,08 1,97 1,83 1,95 1,90 1,94 2,10 2,02<br />

Standardabweichung Alte Länder 0,49 0,45 0,48 0,49 0,51 0,51 0,52 0,57 0,55 0,50 0,50 0,50<br />

Neue Länder 0,49 0,61 0,56 0,46 0,59 0,55 0,53 0,57 0,56 0,49 0,60 0,56<br />

Gesamt 0,49 0,49 0,49 0,49 0,52 0,51 0,52 0,57 0,55 0,50 0,52 0,52<br />

Quelle: Alterssurvey Panel 1996-2002 (n= 1.243, gewichtet)


10. Die Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Ausländer <strong>in</strong> Deutschland<br />

Helen Krumme & Andreas Hoff<br />

10.1 E<strong>in</strong>leitung<br />

Die mit dem Begriff „Altern der Gesellschaft“ bezeichnete demografische <strong>Entwicklung</strong> beschränkt<br />

sich nicht alle<strong>in</strong> auf deutsche Staatsangehörige – auch unter der <strong>in</strong> Deutschland lebenden<br />

nicht-deutschen Bevölkerung ist der Anteil Älterer <strong>in</strong> den letzten Jahren gestiegen, wobei<br />

die Zuwachsraten <strong>in</strong> dieser Bevölkerungsgruppe sogar höher lagen als <strong>in</strong> der deutschen Bevölkerungsmehrheit<br />

(z.B. Enquete-Kommission, 1998). Nach Daten der Bevölkerungsfortschreibung<br />

des Statistischen B<strong>und</strong>esamtes nahm die Zahl der älteren Ausländer (60 Jahre <strong>und</strong> älter)<br />

von 1995 bis 2001 um 55,9 Prozent auf 666.850 Personen zu, während gleichzeitig die Gesamtzahl<br />

der ausländischen Bevölkerung leicht zurückg<strong>in</strong>g. Die Zunahme bei den älteren Deutschen<br />

betrug im gleichen Zeitraum lediglich 14,4 Prozent. Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung<br />

zeigen, dass sich diese <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> den nächsten Jahren verstärkt fortsetzen wird. So wird<br />

sich nach der mittleren Variante der Modellrechnungen die Zahl der 60-jährigen <strong>und</strong> älteren<br />

Ausländer von 1999 bis 2010 mehr als verdoppeln <strong>und</strong> bis 2030 auf 2,5 Millionen fast verfünffachen<br />

(Adolph, 2001). Bei dieser Prognose sollte allerd<strong>in</strong>gs berücksichtigt werden, dass Vorhersagen<br />

über die <strong>Entwicklung</strong> der ausländischen Bevölkerungsgruppe aufgr<strong>und</strong> von Fluktuation<br />

durch Zu- <strong>und</strong> Abwanderung sowie E<strong>in</strong>bürgerung weniger treffsicher s<strong>in</strong>d als jene, die die<br />

deutsche Bevölkerung betreffen.<br />

H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> dieses Alterungsprozesses der ausländischen Bevölkerung, der außer <strong>in</strong> Deutschland<br />

auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen anderen westeuropäischen Ländern zu beobachten ist (vgl. zum Beispiel<br />

Bolzman, Poncioni-Derigo, Vial, & Fibbi, 2004), ist neben den über die Jahre <strong>in</strong>sgesamt gesunkenen<br />

Fertilitätsraten das Immigrationsgeschehen nach dem Zweiten Weltkrieg. So zeigen Daten<br />

zu Nationalität <strong>und</strong> Aufenthaltsdauer, dass es sich bei e<strong>in</strong>em großen Teil der Älteren um<br />

Arbeitsmigranten <strong>und</strong> -migrant<strong>in</strong>nen handelt, die auf der Gr<strong>und</strong>lage von bilateralen Anwerbeabkommen<br />

zwischen 1955 <strong>und</strong> 1973 aus verschiedenen Mittelmeerstaaten <strong>in</strong> die B<strong>und</strong>esrepublik<br />

kamen <strong>und</strong> entgegen ursprünglich an Rückkehr orientierten Lebensentwürfen <strong>in</strong> Deutschland<br />

blieben (vgl. DZA, 2003) 1 . Die Anwerbepraxis, nach der mehr männliche als weibliche <strong>und</strong><br />

eher jüngere als ältere Arbeitskräfte e<strong>in</strong>gestellt wurden, erklärt auch die sich von der deutschen<br />

Bevölkerungsmehrheit unterscheidende Geschlechts- <strong>und</strong> Altersstruktur der älteren Ausländer.<br />

So f<strong>in</strong>det sich bei den bis 75-jährigen Ausländern e<strong>in</strong> Männerüberschuss. Außerdem s<strong>in</strong>d ältere<br />

Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer noch überwiegend "junge Alte": Im Jahr 2001 waren 11,1<br />

1 Die amtliche Statistik (Bevölkerungsfortschreibung, Ausländerzentralregister, Mikrozensus, Zu- <strong>und</strong> Fortzugsstatistik)<br />

erfasst nicht den Migrationsanlass, sondern lediglich – <strong>in</strong> den Datenquellen unterschiedlich differenziert - die<br />

Staatsangehörigkeit bzw. das Herkunftsland sowie die Aufenthaltsdauer.<br />

455


456<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

Prozent der <strong>in</strong>sgesamt 7,3 Mio. Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen zwischen 50 <strong>und</strong> 59 Jahre alt,<br />

was <strong>in</strong> etwa dem Anteil dieser Altersgruppe an der deutschen Bevölkerung entspricht (11,9 Prozent).<br />

Im Gegensatz dazu waren nur 9,1 Prozent der ausländischen Bevölkerung 60 Jahre <strong>und</strong><br />

älter während der Anteil dieser Altersgruppe an der deutschen Bevölkerung mit 25,6 Prozent<br />

fast dreimal so hoch lag (Deutsches Zentrum für Altersfragen – Gerostat, 2003).<br />

Die Gruppe der älteren Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen (60 Jahre alt <strong>und</strong> älter) ist h<strong>in</strong>sichtlich<br />

ihrer Nationalität, des Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>s sowie des sozialen <strong>und</strong> rechtlichen Status sehr<br />

heterogen (vgl. auch Dietzel-Papakyriakou & Olbermann, 1998). Insgesamt stellen gegenwärtig<br />

die Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer aus den Anwerbestaaten 2 den zahlenmäßig größten Teil der<br />

heute älteren ausländischen Bevölkerung (vgl. Tabelle 10.1 unten). Ihr Anteil ist <strong>in</strong> den vergangenen<br />

Jahren gestiegen <strong>und</strong> er wird weiter zunehmen (vgl. BMFSFJ, 2000). Neben den Arbeitsmigranten<br />

<strong>und</strong> -migrant<strong>in</strong>nen aus den Anwerbeländern gehören dieser Bevölkerungsgruppe<br />

aber auch Ältere aus Anra<strong>in</strong>erstaaten wie Österreich, Niederlande <strong>und</strong> Polen an, die zum Teil<br />

schon lange <strong>in</strong> Deutschland leben: 2,6 Prozent der 50 bis 64-Jährigen <strong>und</strong> 7,6 Prozent der 65-<br />

Jährigen <strong>und</strong> Älteren wurden <strong>in</strong> Deutschland geboren <strong>und</strong> behielten ihre ausländische Staatsangehörigkeit.<br />

Zehn Prozent der 50 bis 64-Jährigen <strong>und</strong> 14,4 Prozent der 65-Jährigen <strong>und</strong> Älteren<br />

reisten <strong>in</strong> den vergangenen 10 Jahren e<strong>in</strong> (DZA, 2003). Darunter s<strong>in</strong>d auch Flüchtl<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Asylbewerber<br />

aus Nicht-EU-Staaten. Unter den heute Asylsuchenden s<strong>in</strong>d Ältere allerd<strong>in</strong>gs unterrepräsentiert<br />

(vgl. Dietzel-Papakyriakou & Olbermann, 1998).<br />

Tabelle 10.1:<br />

Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung (60 Jahre <strong>und</strong> älter) <strong>in</strong> Deutschland<br />

nach Staatsangehörigkeit (Stand: 31.12.2002)<br />

Staatsangehörigkeit Anteil (<strong>in</strong> Prozent) Anzahl<br />

Gesamt 100,0 711.000<br />

Türkei 24,8 176.100<br />

Ehem. Jugoslawien 15,5 110.000<br />

Italien 9,8 69.900<br />

Griechenland 7,5 53.100<br />

Ehem. Sowjetunion 7,1 50.700<br />

Andere 35,3 251.000<br />

Quelle: Statistisches B<strong>und</strong>esamt, 2002, Tab. 6, S. 22ff.<br />

Der Anteil der Älteren an den Kriegsflüchtl<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Kont<strong>in</strong>gentflüchtl<strong>in</strong>gen der letzten Jahre<br />

ist dagegen größer. Das liegt daran, dass die Migration <strong>in</strong> den letzten Jahren häufig im Familienverband<br />

stattfand. Unter den Älteren, die erst <strong>in</strong> den vergangenen Jahren immigriert s<strong>in</strong>d,<br />

f<strong>in</strong>den sich außerdem hilfe- oder pflegebedürftige Eltern, die von ihren K<strong>in</strong>dern für die Versorgung<br />

nach Deutschland geholt wurden (vgl. BMFSFJ, 2000). Des weiteren gehören zur Gruppe<br />

2 Darunter bef<strong>in</strong>den sich neben den Arbeitsmigranten <strong>und</strong> -migrant<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> ihren Ehepartnern bzw. -partner<strong>in</strong>nen<br />

auch Flüchtl<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> anerkannte Asylbewerber.


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

der älteren Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen ehemalige Kriegsgefangene, ehemalige Mitglieder<br />

von <strong>in</strong> Deutschland stationierten ausländischen Streitkräften sowie Spätaussiedler, die nicht<br />

anerkannt wurden <strong>und</strong> daher nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, aber e<strong>in</strong>e Aufenthaltserlaubnis<br />

bekamen (vgl. Hamburg, 1998). E<strong>in</strong>gebürgerte <strong>und</strong> als Aussiedler bzw. Spätaussiedler<br />

anerkannte Personen gehören rechtlich nicht zu den Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländern (vgl. H<strong>in</strong>richs,<br />

2003), auch wenn sie als Migrant<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Migranten mit all jenen, die nicht <strong>in</strong> Deutschland<br />

geboren wurden, e<strong>in</strong>e Migrationsbiografie teilen.<br />

Die soziale Bedeutung der oben beschriebenen demografischen <strong>Entwicklung</strong> des Alterns der<br />

ausländischen Bevölkerung wurde <strong>in</strong> den vergangenen Jahren zunehmend erkannt (z.B. Dietzel-<br />

Papakyriakou, 1993; Olbermann, 1993; Schulte, 1995; Eggen, 1997; Naegele & Olbermann,<br />

1997; Mart<strong>in</strong>ez & Avgoustis, 1998; Dietzel-Papakyriakou & Olbermann, 1998; Schneiderhe<strong>in</strong>z,<br />

1998; Kulbach, 1999; Tufan, 1999; BMFSFJ, 1999; 2000; 2001; DZA, 2003). Seit Ende der<br />

1980er Jahre wurden zunächst die Wohlfahrtsverbände <strong>und</strong> Sozial- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsdienste<br />

verstärkt auf die Probleme der älter werdenden Arbeitsmigranten aufmerksam. Ab Anfang der<br />

1990er Jahre beschäftigten sich auch die Sozialwissenschaften mit dem Thema, vorrangig mit<br />

praxisbezogenen Fragestellungen beispielsweise zur Lebenssituation oder der Versorgung im<br />

Pflegefall. So gibt es <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>e Reihe von Studien, die verschiedene Lebensbereiche der<br />

älteren Migranten <strong>und</strong> Migrant<strong>in</strong>nen bzw. Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen untersuchen (vgl. die<br />

Überblicke bei Zoll, 1997 <strong>und</strong> Söhn, 2000). Sie s<strong>in</strong>d meist <strong>in</strong> enger Zusammenarbeit mit Wohlfahrtsverbänden<br />

<strong>und</strong> zum Teil als Auftragsforschung der (b<strong>und</strong>es-)politischen Institutionen entstanden.<br />

Die Studien setzen zum Teil unterschiedliche Schwerpunkte, be<strong>in</strong>halten <strong>in</strong>sgesamt aber<br />

alle ähnliche Fragen zu den zentralen Lebensbereichen älterer Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen.<br />

Diese beschränken sich fast ausschließlich auf die Nationalität der angeworbenen Arbeitsmigranten<br />

<strong>und</strong> -migrant<strong>in</strong>nen. Aufgr<strong>und</strong> des Erkenntnis<strong>in</strong>teresses, das sich überwiegend an den<br />

neuen Anforderungen an die Sozialpolitik <strong>und</strong> Sozialen Dienste orientiert, ist das Analyseziel<br />

lediglich e<strong>in</strong>e Deskription der Ergebnisse.<br />

Vier größere Studien s<strong>in</strong>d hervorzuheben, auf deren Ergebnisse sich die verschiedenen Veröffentlichungen<br />

zu dem Thema der älteren Migranten <strong>und</strong> Migrant<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> der Regel stützen: E<strong>in</strong>e<br />

erste Studie mit <strong>in</strong> Deutschland lebenden älteren Türken <strong>und</strong> Italienern wurde 1991 vom Zentrum<br />

für Türkeistudien im Auftrag des B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isteriums für Arbeit <strong>und</strong> Sozialforschung<br />

durchgeführt (Zentrum für Türkeistudien, 1992). Befragt wurden etwa 200 Personen <strong>in</strong> Duisburg,<br />

Köln <strong>und</strong> München zu ihrer Migrationsbiografie, der aktuellen Lebenssituation <strong>und</strong> ihren<br />

Zukunftsplänen. E<strong>in</strong>e andere Studie, die von 1993 bis 1995 <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen als Panelbefragung<br />

durchgeführt wurde, hatte neben der Erhebung von Daten zur Lebenssituation, die<br />

Evaluierung bestehender Angebote der Altenhilfe, sowie die <strong>Entwicklung</strong>, Erprobung <strong>und</strong> Evaluierung<br />

neuer gruppenspezifischer Konzepte für die Sozialen Altendienste zur Aufgabe. Etwa<br />

100 Personen (Herkunftsländer: Spanien, Griechenland, ehemaliges Jugoslawien, Türkei) wurden<br />

im Auftrag des B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isteriums für Arbeit <strong>und</strong> Sozialordnung unter Zusammenarbeit<br />

mit drei großen Wohlfahrtsverbänden untersucht (Olbermann & Dietzel-Papakyriakou, 1995).<br />

E<strong>in</strong>e weitere größere Untersuchung zur sozialen Lage ältere Migranten, an der 320 Ältere italienischer,<br />

jugoslawischer, portugiesischer <strong>und</strong> spanischer Nationalität teilnahmen, war Inhalt e<strong>in</strong>es<br />

studentischen Studienprojektes <strong>in</strong> Essen <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit dem dortigen Caritasverband<br />

(Zoll, 1997). Die bisher größte Studie zum Thema wurde 1998 <strong>in</strong> Hamburg vom Senat <strong>in</strong><br />

457


458<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

Auftrag gegeben <strong>und</strong> mit etwa 1000 Älteren der <strong>in</strong> Hamburg am häufigsten vertretenen ausländischen<br />

Nationalitäten durchgeführt (Hamburg, 1998). Anfang der 1990er Jahre erhobene Daten<br />

zur Lebens- <strong>und</strong> Wohnsituation deutscher Älterer wurden hier zum Teil zu Vergleichszwecken<br />

herangezogen. Dies ist zugleich die bisher e<strong>in</strong>zige Untersuchung, die e<strong>in</strong>en Vergleich mit der<br />

gleichaltrigen e<strong>in</strong>heimischen Bevölkerung ermöglicht. Diese Daten waren e<strong>in</strong>ige Jahre früher<br />

erhoben worden.<br />

Die Ergebnisse der oben genannten Untersuchungen stimmen weitgehend übere<strong>in</strong>. So wird bei<br />

den Migranten aus den Anwerbeländern auf den auf Rückkehr ausgerichteten Lebensentwurf<br />

h<strong>in</strong>gewiesen (Rückkehrorientierung). Als Gründe für die faktische Niederlassung <strong>in</strong> Deutschland<br />

werden u.a. die familiären B<strong>in</strong>dungen an Deutschland, das bessere Ges<strong>und</strong>heitssystem <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>e Entfremdung vom Herkunftskontext genannt. Dennoch besteht bei vielen Älteren weiterh<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong> Wunsch nach Rückkehr. Über die Zahl der tatsächlichen Rückkehrer liegen jedoch wenig<br />

Informationen vor. Rückkehrwillige s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den <strong>in</strong> Deutschland durchgeführten Untersuchungen<br />

unterrepräsentiert. Als Alternative zu Verbleib bzw. Heimkehr f<strong>in</strong>det sich bei e<strong>in</strong>er großen Zahl<br />

von älteren Migranten die Vorstellung oder bereits dessen Ausführung, zwischen Herkunftsland<br />

<strong>und</strong> Deutschland zu pendeln (vgl. auch Dietzel-Papakyriakou, 1999; Krumme, 2004).<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der materiellen Lage wurde <strong>in</strong> diesen Studien auf überwiegend unterdurchschnittliche<br />

Rentene<strong>in</strong>kommen der ausländischen Älteren h<strong>in</strong>gewiesen. Sie s<strong>in</strong>d Resultat der ger<strong>in</strong>geren<br />

Beitragszeiten, der niedrigen Rentenbeiträge aus un- <strong>und</strong> niedrigqualifizierten Beschäftigungen<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>em häufig früheren krankheitsbed<strong>in</strong>gten Austritt aus dem Erwerbsleben. Die besonders<br />

schweren Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen der „Gastarbeiter“, sowie psychische Belastungen durch die<br />

Migrationssituation werden auch als Erklärungsfaktoren für den von e<strong>in</strong>em Großteil der Älteren<br />

genannten schlechten persönlichen Ges<strong>und</strong>heitszustand angeführt. E<strong>in</strong> unterdurchschnittlicher<br />

Wohnstandard <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Integration, u.a. aufgr<strong>und</strong> mangelhafter Deutschkenntnisse, s<strong>in</strong>d<br />

weitere Charakteristika der älteren ausländischen Bevölkerung. Die Familienbeziehungen zeigen<br />

sich <strong>in</strong> den meisten Fällen als eng, Mehrgenerationenhaushalte s<strong>in</strong>d jedoch nicht die dom<strong>in</strong>ante<br />

Haushaltskonstellation.<br />

Kennzeichnend für die bisherige Datenlage ist, dass die wenigen Studien zu älteren Migranten<br />

bzw. Ausländern mit relativ ger<strong>in</strong>gen Fallzahlen nur regional begrenzt durchgeführt wurden <strong>und</strong><br />

Repräsentativität nicht oder nur für sehr spezifische Gr<strong>und</strong>gesamtheiten beansprucht werden<br />

kann. Vorliegende b<strong>und</strong>esweite Surveys der Sozialberichterstattung dagegen umfassen häufig<br />

nur Deutsche. Ausnahmen bilden der Mikrozensus, der allerd<strong>in</strong>gs nur sehr spezifische amtliche<br />

Daten zu ausländischen Haushalten zur Verfügung stellt, <strong>und</strong> das Sozioökonomische Panel<br />

(SOEP), das mit e<strong>in</strong>er eigenen Ausländerstichprobe repräsentative Aussagen über bestimmte<br />

Nationalitätengruppen für das gesamte B<strong>und</strong>esgebiet zulässt. Daneben gibt es bisher ke<strong>in</strong>e für<br />

ganz Deutschland repräsentativen Daten zu älteren Ausländern. Die Datenlage für die Beschreibung<br />

ihrer Lebensumstände im Rahmen der nationalen Sozialberichterstattung gilt daher als<br />

äußerst schlecht (vgl. Adolph, 2001). Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> wurde im Jahr 2002 zeitgleich<br />

mit der Panel- <strong>und</strong> der Replikationsstichprobe der zweiten Welle des Alterssurveys e<strong>in</strong>e sogenannte<br />

Ausländerstichprobe gezogen, welche die 40- bis 85-jährigen Nicht-Deutschen <strong>in</strong><br />

Deutschland berücksichtigt. Erstmals liegen damit deutschlandweite Daten vor, die e<strong>in</strong>e umfassende<br />

Untersuchung der "zweiten Lebenshälfte", also des mittleren <strong>und</strong> höheren Erwachsenenalters<br />

der Menschen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit ermöglichen.


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

Dieses Kapitel verfolgt das Ziel, die Lebenssituation der heute <strong>und</strong> <strong>in</strong> absehbarer Zukunft älteren<br />

Menschen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit zu untersuchen <strong>und</strong> mit den Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

der gleichaltrigen deutschen Wohnbevölkerung zu vergleichen. Die Datenbasis für diesen<br />

Vergleich bilden die Ausländerstichprobe <strong>und</strong> die Replikationsstichprobe des Alterssurveys<br />

2002. Die Analyse leistet e<strong>in</strong>en Beitrag sowohl zur Alterssozialberichterstattung als auch zur<br />

sozial- <strong>und</strong> verhaltenswissenschaftlichen Alternsforschung. Sie ist dabei primär deskriptiv <strong>und</strong><br />

thematisch breit angelegt (mehr dazu im E<strong>in</strong>leitungskapitel 1 des vorliegenden Berichts).<br />

Drei Konzepte bilden den theoretischen Rahmen. Das Konzept der Lebensqualität ist e<strong>in</strong> zentraler<br />

Aspekt der theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen des Alterssurvey (vgl. Kapitel 1 des vorliegenden Bandes<br />

sowie Kohli, Künem<strong>und</strong>, Motel, & Szydlik, 2000; Tesch-Römer, Wurm, Hoff, & Engstler,<br />

2002; Hoff, Tesch-Römer, Wurm, & Engstler, 2003). Individuelle Wohlfahrt wird hier als<br />

Konstellation von objektiven Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> subjektivem Wohlbef<strong>in</strong>den def<strong>in</strong>iert <strong>und</strong><br />

operationalisiert. Ziel ist dementsprechend die Untersuchung des Niveaus <strong>und</strong> der Verteilung<br />

der <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Wohlfahrt bzw. Lebensqualität <strong>und</strong> gruppenspezifischer Wohlfahrtslagen.<br />

Neben der Wohlfahrtsmessung verfolgt der Alterssurvey die Frage nach Formen von Vergesellschaftung<br />

der Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte (vgl. Kohli et al., 2000; Hoff et al., 2003).<br />

Soziale Beziehungen, konsumtive oder produktive Tätigkeiten <strong>und</strong> Partizipation des Individuums<br />

<strong>in</strong> verschiedenen Bereichen der Gesellschaft (Staat, Markt, Zivilgesellschaft, Familie)<br />

s<strong>in</strong>d demnach nicht nur h<strong>in</strong>sichtlich ihres Beitrages zur Wohlfahrt des Individuums von Relevanz,<br />

sondern auch <strong>in</strong> Bezug auf den Grad se<strong>in</strong>er sozialen E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung (Integration). Dieser<br />

Aspekt ist von besonderem Interesse für Menschen, die mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben<br />

e<strong>in</strong>en wichtigen Bereich der Vergesellschaftung verlassen oder auch für Migranten, die<br />

nach erfolgter Migration auf e<strong>in</strong>e ihnen fremde Gesellschaft treffen.<br />

Das dritte Rahmenkonzept des Alterssurveys bezieht sich auf den Aspekt der Integration der<br />

Zugewanderten <strong>in</strong> die verschiedenen Bereiche der Ankunftsgesellschaft. Soziale Integration<br />

stellt neben Wanderungstheorien e<strong>in</strong>en zentralen Bereich der Migrationsforschung dar (vgl.<br />

Han, 2000; Treibel, 2003). Wichtige Beiträge stammen beispielsweise von Hoffmann-Nowotny<br />

(1973), der „Integration“ als die Partizipation der Zuwanderer an der Statusstruktur (berufliche<br />

Stellung, E<strong>in</strong>kommen, Bildung, rechtliche Stellung, Wohnen) def<strong>in</strong>iert (Hoffmann-Nowotny,<br />

1973: 171). Esser (1980) spricht von „kultureller, struktureller, sozialer <strong>und</strong> identifikativer Assimilation“<br />

<strong>und</strong> me<strong>in</strong>t „e<strong>in</strong>en Zustand der Ähnlichkeit des Wanderers <strong>in</strong> Handlungsweisen, Orientierungen<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong>teraktiver Verflechtung zum Aufnahmesystem“ (Esser, 1980: 22). Gegen-<br />

stand dieser Ansätze s<strong>in</strong>d Deskription <strong>und</strong> Erklärung von strukturellen Unterschieden zwischen<br />

Migranten <strong>und</strong> Migrant<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>heimischen.<br />

Die zentrale Frage der vorliegenden Analyse ist, ob es Unterschiede h<strong>in</strong>sichtlich der Wohlfahrtslage<br />

<strong>und</strong> den Vergesellschaftungsformen zwischen älteren Menschen nichtdeutscher <strong>und</strong><br />

deutscher Staatsangehörigkeit gibt. E<strong>in</strong>e Hypothese lautet, dass Menschen ausländischer Herkunft<br />

aufgr<strong>und</strong> ihrer Migrationsbiografie <strong>und</strong> der diskrim<strong>in</strong>ierenden Lebensumstände <strong>in</strong> der<br />

Ankunftsgesellschaft e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>geren Vergesellschaftungsgrad aufweisen <strong>und</strong> ihre Lebensumstände<br />

von ger<strong>in</strong>gerer Lebensqualität gekennzeichnet s<strong>in</strong>d. Dies postuliert beispielsweise die <strong>in</strong><br />

den Vere<strong>in</strong>igten Staaten entwickelte <strong>und</strong> <strong>in</strong>zwischen kritisch diskutierte These der „double jeopardy“<br />

(vgl. Prahl & Schroeter, 1996), nach der ältere Migranten <strong>und</strong> Migrant<strong>in</strong>nen bzw. Ange-<br />

459


460<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

hörige ethnischer M<strong>in</strong>derheiten als Mitglieder der Altenpopulation e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> der ethnischen<br />

M<strong>in</strong>derheit andererseits doppelt belastet <strong>und</strong> benachteiligt s<strong>in</strong>d. Als Gegenhypothese zu dieser<br />

Defizitperspektive ließe sich erstens formulieren, dass die Ausländer- <strong>und</strong> Migrantenpopulation<br />

sehr heterogen ist. Der Vergleich mit der e<strong>in</strong>heimischen Bevölkerung erfordert dementsprechend<br />

e<strong>in</strong>e differenziertere Herangehensweise. Zweitens könnte aus e<strong>in</strong>er Ressourcenperspektive<br />

angenommen werden, dass die Lebensqualität <strong>und</strong> der Vergesellschaftungsgrad bei älteren<br />

Nichtdeutschen bzw. Migranten <strong>und</strong> Migrant<strong>in</strong>nen größer ist, da sie über bestimmte migrations-<br />

oder kulturbed<strong>in</strong>gte Ressourcen verfügen, auf die E<strong>in</strong>heimische nicht zurückgreifen können<br />

(vgl. BMFSFJ, 2001)<br />

Abschließend soll <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>leitung kurz auf die verwendete Term<strong>in</strong>ologie e<strong>in</strong>gegangen werden.<br />

Der Begriff „Ausländer<strong>in</strong>“ bzw. „Ausländer“ wird heutzutage außerhalb von rechtlichen <strong>und</strong><br />

statistischen Kontexten aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er stereotypisierenden <strong>und</strong> diskrim<strong>in</strong>ierenden Konnotation<br />

weitgehend vermieden. So wird beispielsweise <strong>in</strong> der Literatur zu älteren Menschen ausländischer<br />

Herkunft fast ausschließlich <strong>und</strong> zum Teil synonym von „Migranten“ bzw. „Migrant<strong>in</strong>nen“<br />

gesprochen (siehe dazu auch Dietzel-Papakyriakou & Olbermann, 1998; BMFSFJ, 1999).<br />

Im vorliegenden Kapitel werden beide Begriffe <strong>in</strong> ihrer ursprünglichen Bedeutung gebraucht.<br />

Die Begriffe „Ausländer“ bzw. „Nichtdeutsche“ verweisen auf e<strong>in</strong>e Unterscheidung auf Gr<strong>und</strong>lage<br />

der formalen Staatsangehörigkeit. Sie bezeichnen die Menschen mit ausschließlich ausländischer<br />

Staatsangehörigkeit (vgl. H<strong>in</strong>richs, 2003: 5), welche die Gr<strong>und</strong>gesamtheit der Ausländerstichprobe<br />

des Altersurveys bildet. Als „Migranten“ oder „Zuwanderer“ werden h<strong>in</strong>gegen<br />

die Menschen bezeichnet, die bisher m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal ihren Lebensmittelpunkt für e<strong>in</strong>e nicht<br />

unerhebliche Zeitdauer von e<strong>in</strong>em Land <strong>in</strong> e<strong>in</strong> anderes (<strong>in</strong> diesem Fall Deutschland) verlegt<br />

haben (vgl. Treibel, 2003: 21).<br />

Das Kapitel ist folgendermaßen gegliedert: Im folgenden Abschnitt wird zunächst e<strong>in</strong>e umfassende<br />

Beschreibung der Ausländerstichprobe vorgenommen. Im Anschluss daran folgen die<br />

Ergebnisse themenspezifischer deskriptiver Analysen. Zur Beschreibung der Lebenssituation<br />

wurden folgende Themenbereiche ausgewählt: die materielle Lage, e<strong>in</strong>schließlich E<strong>in</strong>kommen<br />

<strong>und</strong> Wohnsituation (Unterkapitel 3), Ges<strong>und</strong>heit (Unterkapitel 4), gesellschaftliche Partizipation<br />

(Unterkapitel 5), <strong>in</strong>tergenerationale Familienbeziehungen (Unterkapitel 6) <strong>und</strong> soziale Unterstützung<br />

(Unterkapitel 7). Abschließend werden die zentralen Ergebnisse dieser Analysen <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em achten Abschnitt zusammengefasst.<br />

10.2 Stichprobenbeschreibung<br />

10.2.1 Datenbasis<br />

Die Ausländerstichprobe wurde mit dem Ziel erhoben, e<strong>in</strong>e Datenbasis für die Analyse der Lebensumstände<br />

der nicht-deutschen Bevölkerung im Alter von 40 bis 85 Jahren bereitzustellen.<br />

Zielgruppe s<strong>in</strong>d die Personen, die nur e<strong>in</strong>e ausländische Staatsangehörigkeit haben. Personen,<br />

die über die deutsche oder e<strong>in</strong>e deutsche <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e weitere Staatsangehörigkeit verfügen („Doppelstaatler“)<br />

wurden der Replikationsstichprobe zugeordnet. Maßgebend war dabei die Informa-


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

tion der E<strong>in</strong>wohnermeldeämter über das Vorhandense<strong>in</strong> oder Fehlen e<strong>in</strong>er deutschen Staatsangehörigkeit.<br />

Für die ausländische Bevölkerungsgruppe wurden die gleichen Fragebögen <strong>in</strong> deutscher<br />

Sprache e<strong>in</strong>gesetzt wie <strong>in</strong> der Replikationsstichprobe, so dass die Gr<strong>und</strong>gesamtheit der<br />

Ausländerstichprobe als „Nichtdeutsche Personen <strong>in</strong> Privathaushalten im Alter von 40 bis 85<br />

Jahren, die der deutschen Sprache mächtig s<strong>in</strong>d“ zu def<strong>in</strong>ieren ist.<br />

Aufgr<strong>und</strong> des zum Teil sehr ger<strong>in</strong>gen Anteils von Nichtdeutschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Stichprobenzellen<br />

des für die Replikationsstichprobe verwendeten Stichprobenplans (vor allem <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

<strong>und</strong> bei den Hochaltrigen) wurde die Ausländerstichprobe proportional, d.h. ohne Schichtung<br />

erhoben. Die Auswahl der Bruttostichprobe erfolgte durch Zufallsziehung aus den Registern der<br />

E<strong>in</strong>wohnermeldeämter. Aus zunächst 60.000 gezogenen Adressen ergaben sich 3.255 Adressen<br />

von Personen mit ausschließlich ausländischer Staatsangehörigkeit. Nach Abzug der neutralen<br />

<strong>und</strong> systematischen Ausfälle konnten 628 Interviews geführt werden, von denen 588 auswertbar<br />

waren. Mit der Nacherhebung des Jahrgangs 1962 konnten diese um fünf weitere auswertbare<br />

Interviews ergänzt werden, so dass <strong>in</strong>sgesamt 593 Interviews zur Auswertung vorlagen. Bei der<br />

Realisierung der Interviews gab es drei zentrale Problemfelder, die maßgeblich zu der ger<strong>in</strong>gen<br />

Ausschöpfungsquote der realisierten (26,8 Prozent) <strong>und</strong> der auswertbaren (25,1 Prozent) Interviews<br />

beitrugen. Erstens war die Qualität der Adressen deutlich schlechter als bei der Replikationsstichprobe.<br />

Zweitens verfügten 10 Prozent der Zielpersonen aus der Bruttostichprobe nicht<br />

über ausreichende Deutschkenntnisse, um an dem Interview teilzunehmen 3 . Drittens war die<br />

Erreichbarkeit der nichtdeutschen Zielpersonen deutlich schwieriger als bei den deutschen Zielpersonen.<br />

Die Teilnahmebereitschaft der erreichten Zielpersonen war jedoch besser als <strong>in</strong> der<br />

Replikationsstichprobe (<strong>in</strong>fas, 2003; vgl. auch die Ausführungen zur Stichprobenziehung <strong>in</strong><br />

Kapitel 2 des vorliegenden Berichts).<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf die Staatsangehörigkeit zeigten sich bei der Datenbere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er nicht<br />

unerheblichen Zahl von Fällen Inkonsistenzen zwischen den von <strong>in</strong>fas verwendeten Informationen<br />

der E<strong>in</strong>wohnermeldeämter, auf denen die Stichprobenzuordnung beruht 4 , <strong>und</strong> der Eigenangabe<br />

der befragten Personen. Auf die Frage „Welche Staatsangehörigkeit haben Sie?“ (Frage<br />

329), antworteten 90 Personen (15,2 Prozent) der Ausländerstichprobe, ausschließlich über e<strong>in</strong>e<br />

deutsche Staatsangehörigkeit zu verfügen. Aus der Ausländerstichprobe gaben 31 Personen (5,2<br />

Prozent) mehr als e<strong>in</strong>e Staatsangehörigkeit an, s<strong>in</strong>d demnach also Doppelstaatler. Die Ursache<br />

für diese Inkonsistenz konnte nicht geklärt werden. Verschiedene Fehlerquellen s<strong>in</strong>d denkbar.<br />

So könnte es sich um subjektive Divergenzen des befragten Individuums zu se<strong>in</strong>er offiziellen<br />

Staatsangehörigkeit handeln, um Fehler bei der Stichprobenzuordnung auf Gr<strong>und</strong>lage der, von<br />

3 Es gibt ke<strong>in</strong>e amtlichen Daten oder Informationen zu den Deutschkenntnissen der nichtdeutschen Bevölkerung, die<br />

H<strong>in</strong>weise darauf geben könnten, <strong>in</strong> welchem Ausmaß dieser Ausfall <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>ene Selektivität die Repräsentativität<br />

der Stichprobe tatsächlich schmälert. Nach Daten des Sozioökonomischen Panels schätzen 7 Prozent<br />

der Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer im Alter zwischen 40 <strong>und</strong> 85 Jahren ihre mündlichen Deutschkenntnisse als eher<br />

schlecht e<strong>in</strong> <strong>und</strong> 9 Prozent geben an, gar ke<strong>in</strong> Deutsch sprechen zu können. Als „es geht“ beurteilen 36 Prozent<br />

ihre mündlichen deutschen Sprachkenntnisse – 23 Prozent bezeichnen sie als „sehr gut“, 25 Prozent als „gut“ (Eigene<br />

Berechnung, SOEP 2001, gewichtet).<br />

4 Sofern dem E<strong>in</strong>wohnermeldeamt ke<strong>in</strong>e Angabe zur Staatsangehörigkeit vorlag, erfolgte die Zuordnung anhand der<br />

Angabe des Interviewers im Fragebogen.<br />

461


462<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

den Meldeämtern gelieferten, Adressen oder um e<strong>in</strong>e nicht korrekte, möglicherweise nicht aktuelle<br />

Registration der Staatsangehörigkeit bei der zuständigen Meldebehörde. Auch der zeitliche<br />

Abstand zwischen Stichprobenziehung <strong>und</strong> Interviewdurchführung <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> diesem Zeitraum<br />

erfolgte E<strong>in</strong>bürgerung könnte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Fällen dazu geführt haben, dass die Stichprobenzuordnung<br />

<strong>und</strong> die Selbstangabe der befragten Person nicht übere<strong>in</strong>stimmen. Zur Überprüfung der<br />

Plausibilität der Eigenangabe wurden Indikatoren aus dem Interview herangezogen, die Aufschluss<br />

über das Vorliegen e<strong>in</strong>er deutschen Staatsangehörigkeit geben können (e<strong>in</strong>e nähere Beschreibung<br />

des Auswahlprozesses f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> Kapitel 2 des vorliegenden Berichts). Im Ergebnis<br />

dieser sorgfältigen Prüfung wurden sieben Personen aus der Ausländerstichprobe ausgeschlossen,<br />

bei denen mit e<strong>in</strong>iger Sicherheit davon ausgegangen werden konnte, dass es sich um<br />

Deutsche handelt. Nach Ausschluss dieser Personen liegt die Gesamtzahl der auswertbaren Interviews<br />

somit bei 586. Die vorliegende Ausländerstichprobe weist daher erstens aufgr<strong>und</strong> der<br />

relativ hohen Zahl unplausibler Fälle <strong>in</strong> der Staatsangehörigkeit <strong>und</strong> zweitens mit der Selektivität<br />

aufgr<strong>und</strong> der für das Interview erforderlichen deutschen Sprachkenntnisse Besonderheiten<br />

auf, die bei der Datenauswertung <strong>und</strong> -<strong>in</strong>terpretation berücksichtigt werden müssen. E<strong>in</strong> Vergleich<br />

der Verteilungen zentraler Merkmale <strong>in</strong> der Ausländerstichprobe mit dem Mikrozensus<br />

2002 zeigt dennoch große Übere<strong>in</strong>stimmungen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass<br />

die Ausländerstichprobe die Bevölkerungsgruppe der nichtdeutschen Menschen <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte dennoch relativ gut repräsentiert (vgl. Tabelle 10.2).<br />

Tabelle 10.2:<br />

Verteilung ausgewählter Merkmale <strong>in</strong> der Ausländerstichprobe <strong>und</strong><br />

im Mikrozensus 2002 (Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

Ausländerstichprobe Mikrozensus 2002 1<br />

Alter:<br />

40 – 54 59,2 59,2<br />

55 – 69 32,1 34,7<br />

70 – 85 (70+) 8,7 6,1 2<br />

Geschlecht:<br />

Männlich 52,0 54,0<br />

Weiblich 48,0 46,0<br />

Landesteil:<br />

West 93,7 97,4<br />

Ost 6,3 2,6<br />

Familienstand:<br />

Ledig 5,8 6,3<br />

Verheiratet 78,0 80,4<br />

geschieden, verwitwet 16,2 13,4<br />

Erwerbsstatus:<br />

Erwerbstätig 51,4 50,1<br />

nicht erwerbstätig 48,6 49,9<br />

Haushaltsgröße:<br />

1 Person 14,7 15,5 3<br />

2 <strong>und</strong> mehr 85,3 84,5 3<br />

1 Bevölkerung am Ort der Hauptwohnung; 2 70 <strong>und</strong> mehr Jahre alt; 3 Haushalte mit deutscher Bezugsperson.<br />

Quellen: Alterssurvey - Ausländerstichprobe 2002 (n= 586); Deutsches Zentrum für Altersfragen – Gerostat;<br />

Statistisches B<strong>und</strong>esamt (2003a: 47, 2003b; S. 109)


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

Abschließend wird <strong>in</strong> der nachfolgenden Tabelle 10.3 der Stichprobenplan der Ausländerstichprobe<br />

vorgestellt. Nur 37 der befragten 586 Personen kamen aus den neuen B<strong>und</strong>esländern – 94<br />

Prozent der Befragten leben auf dem Gebiet der alten B<strong>und</strong>esrepublik. Angesichts der Tatsache,<br />

dass der Anteil von Personen mit nichtdeutscher Staatsbürgerschaft an der ostdeutschen Wohnbevölkerung<br />

(alle Altersgruppen, nicht auf die zweite Lebenshälfte beschränkt) gerade e<strong>in</strong>mal<br />

0,8 Prozent beträgt (BMFSJF, 2000, S. 65), ist dieses Ergebnis nicht überraschend. Jedoch auch<br />

<strong>in</strong> den Gebieten Deutschlands mit dem höchsten Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung gibt<br />

es e<strong>in</strong>e besonders hohe Konzentration <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen wenigen urbanen Ballungszentren (Nordrhe<strong>in</strong>-<br />

Westfalen, Baden-Württemberg, Hessen). Dieses Ergebnis hat jedoch zur Konsequenz, dass mit<br />

den Daten der Ausländerstichprobe des Alterssurveys 2002 praktisch nur Aussagen über die <strong>in</strong><br />

den alten B<strong>und</strong>esländern lebenden Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer gemacht werden können.<br />

Tabelle 10.3:<br />

Stichprobenplan der Ausländerstichprobe 2002 (nach Geschlecht, Alter, Landesteil);<br />

Anzahl der Personen (n) <strong>und</strong> Prozentangaben (%)<br />

Landesteil Geschlecht Altersgruppen Gesamt<br />

40-54 55-69 70-85<br />

n % n % n % n %<br />

Ost<br />

West<br />

männlich 11 2 7 1 2 0,3 20 3<br />

weiblich 8 1 5 1 4 1 17 3<br />

zusammen 19 3 12 2 6 1 37 6<br />

männlich 156 27 105 18 24 4 285 49<br />

weiblich 172 29 71 12 21 4 264 45<br />

zusammen 328 56 176 30 45 8 549 94<br />

Gesamt 347 59 188 32 51 9 586 100<br />

Quelle: Ausländerstichprobe 2002 (n= 586), ungewichtet; Abweichungen zu 100 Prozent bei Summenbildungen s<strong>in</strong>d<br />

r<strong>und</strong>ungsbed<strong>in</strong>gt.<br />

Abgesehen von dieser großen Diskrepanz h<strong>in</strong>sichtlich des Wohnorts der Befragten ist die älteste<br />

Altersgruppe der 70- bis 85-jährigen Personen deutlich unterbesetzt. Nur 9 Prozent der Befragten<br />

gehören der ältesten Altersgruppe des Alterssurveys an. Den größten Anteil machen die 40-<br />

bis 54-Jährigen mit fast 60 Prozent aller Befragten aus. In Bezug auf Geschlecht ergibt sich nur<br />

e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gfügiges Übergewicht männlicher Befragter: 52 Prozent s<strong>in</strong>d Männer.<br />

Nachdem <strong>in</strong> diesem Abschnitt die Besonderheiten der Stichprobe des Alterssurveys beschrieben<br />

wurden, erfolgt im nächsten Abschnitt e<strong>in</strong>e differenzierte Betrachtung soziodemografischer <strong>und</strong><br />

sozialstruktureller Merkmale.<br />

463


10.2.2 Soziodemografische <strong>und</strong> sozialstrukturelle Merkmale<br />

464<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

Der Großteil der Befragten <strong>in</strong> der Ausländerstichprobe ist aus e<strong>in</strong>em anderen Land nach<br />

Deutschland immigriert <strong>und</strong> <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne <strong>in</strong>ternationale Migranten <strong>und</strong> Migrant<strong>in</strong>nen. Die<br />

hier verwendete Def<strong>in</strong>ition von „Migrant“ bzw. „Migrant<strong>in</strong>“ bezieht sich auf den Geburtsort<br />

bzw. den Ort des Aufwachsens: E<strong>in</strong>e Person gilt als Migrant oder Migrant<strong>in</strong>, wenn sich ihr Geburtsort<br />

nicht auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands bef<strong>in</strong>det oder aber sie <strong>in</strong> den früheren<br />

deutschen Ostgebieten geboren wurde, aber nach der doppelten Staatsgründung 1949 <strong>in</strong> die<br />

Grenzen des heutigen Deutschlands immigrierte 5 . Außerdem gelten die Personen als Migranten<br />

<strong>und</strong> Migrant<strong>in</strong>nen, die zwar <strong>in</strong> Deutschland geboren wurden, ihre überwiegende K<strong>in</strong>dheit jedoch<br />

im Ausland verbrachten (Remigranten). Demnach s<strong>in</strong>d 95 Prozent der Befragten Migranten<br />

<strong>und</strong> Migrant<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> 5 Prozent Nichtmigranten <strong>und</strong> Nichtmigrant<strong>in</strong>nen. Die meisten nichtdeutschen<br />

Migranten verbrachten ihre überwiegende K<strong>in</strong>dheit <strong>und</strong> Jugendzeit bis zum 16. Lebensjahr<br />

<strong>in</strong> dem Land, dessen Staatsangehörigkeit sie heute noch haben. Von den Migranten<br />

<strong>und</strong> Migrant<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> der Ausländerstichprobe, die ausschließlich die deutsche Staatsangehörigkeit<br />

angeben, wuchsen 41 Prozent (n= 34) <strong>in</strong> den Staaten der ehemaligen Sowjetunion auf, 8<br />

Prozent (n= 7) <strong>in</strong> den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens <strong>und</strong> 7 Prozent (n= 6) <strong>in</strong> den ehemaligen<br />

deutschen Ostgebieten. E<strong>in</strong> gutes Drittel der Migranten <strong>und</strong> Migrant<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> der Ausländerstichprobe<br />

(37 Prozent) reiste zwischen 1955 <strong>und</strong> 1973, d.h. <strong>in</strong> der Anwerbephase der Arbeitsmigration,<br />

e<strong>in</strong>. Weitere 29 Prozent der Migrant<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Migranten immigrierten im Anschluss<br />

an den Anwerbestopp bis 1989, zum Teil als Familienangehörige, die von den Arbeitsmigranten<br />

der ersten Generation nachgeholt wurden. E<strong>in</strong> Drittel reiste erst seit dem Fall des<br />

„Eisernen Vorhangs“ 1990 e<strong>in</strong>, lebt also erst seit vergleichsweise wenigen Jahren <strong>in</strong> Deutschland.<br />

Die Ausländerstichprobe des Alterssurveys 2002 umfasst viele verschiedene Nationalitätengruppen.<br />

E<strong>in</strong>e detaillierte Übersicht über die Verteilung nach Staatsangehörigkeit <strong>in</strong> der bere<strong>in</strong>igten<br />

Ausländerstichprobe des Alterssurveys gibt Tabelle 10.A1 im Anhang.<br />

In der Stichprobenbevölkerung zeigt sich die im Vergleich zur deutschen Bevölkerung jüngere<br />

Alterstruktur der ausländischen Bevölkerung (vgl. auch Tabelle 10.3). So gehören 59 Prozent<br />

der befragten Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen der jüngsten Altersgruppe (40-54 Jahre) an, 32<br />

Prozent s<strong>in</strong>d zwischen 55 <strong>und</strong> 69 Jahre alt <strong>und</strong> lediglich 9 Prozent 70 bis 85 Jahre alt. Im Vergleich<br />

dazu gehören <strong>in</strong> der Replikationsstichprobe 22 Prozent der ältesten Altersgruppe an. Jedoch<br />

ist auch hier der Anteil derjenigen <strong>in</strong> der jüngsten Altersgruppe mit 42 Prozent am höchsten,<br />

36 Prozent der Deutschen s<strong>in</strong>d 55 bis 69 Jahre alt. Der Altersdurchschnitt der Deutschen ist<br />

dementsprechend mit 58,7 Jahren signifikant höher als bei den Nichtdeutschen (53,7 Jahre).<br />

Wie <strong>in</strong> Tabelle 10.3 gezeigt, bef<strong>in</strong>den sich unter den Personen mit ausschließlich ausländischer<br />

Staatsangehörigkeit etwas mehr Männer als Frauen. Bei den <strong>in</strong> der Replikationsstichprobe befragten<br />

Deutschen ist das Verhältnis h<strong>in</strong>gegen umgekehrt, wobei es jedoch altersgruppenspezifische<br />

Unterschiede gibt (vgl. Tabelle 10.4 auf der folgenden Seite). Auch zwischen den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Nationalitäten gibt es deutliche Unterschiede. So s<strong>in</strong>d unter den Befragten aus Griechenland,<br />

Italien, Ex-Jugoslawien <strong>und</strong> der früheren Sowjetunion deutlich mehr Männer als Frauen.<br />

5 Die Hauptphase der Flucht <strong>und</strong> Vertreibung aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten endete 1948.


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

Im Gegensatz dazu s<strong>in</strong>d unter den polnischen <strong>und</strong> unter den türkischen Befragten Frauen <strong>in</strong> der<br />

Mehrheit. Die deutsche Bevölkerung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte weist e<strong>in</strong> durchschnittlich<br />

höheres Schul- <strong>und</strong> Ausbildungsniveau auf als die gleichaltrige ausländische Wohnbevölkerung.<br />

Maximal e<strong>in</strong>en Hauptschulabschluss (<strong>in</strong> Tabelle 10.4 Schulausbildung auf niedrigem Niveau 6 )<br />

haben demnach etwas mehr als die Hälfte der Deutschen, aber nahezu zwei Drittel der ausländischen<br />

Staatsangehörigen.<br />

Tabelle 10.4:<br />

Soziodemografische <strong>und</strong> sozialstrukturelle Merkmale der Populationen der Ausländer<strong>und</strong><br />

Replikationsstichprobe<br />

Ausländerstichprobe Replikationsstichprobe<br />

Gesamt Prozent n Prozent n<br />

Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> Migrant/<strong>in</strong><br />

Nichtmigrant/<strong>in</strong><br />

Immigrations-<br />

zeitraum<br />

(bei Migration)<br />

1940-1954<br />

1955-1973<br />

1974-1989<br />

nach 1990<br />

Geschlecht Weiblich<br />

Männlich<br />

Alter 40-54 Jahre<br />

55-69 Jahre<br />

70-85 Jahre<br />

Schulausbildung Niedrig<br />

Mittel<br />

Hoch<br />

Berufsausbildung Ke<strong>in</strong>e bzw. ke<strong>in</strong>e Angabe<br />

Nicht-akadem. Ausbildg.<br />

Studium<br />

Erwerbsstatus Aktiv erwerbstätig<br />

Im Ruhestand<br />

Sonst. Nicht-Erwerbstätige<br />

Schichtzugehörigkeit Unterschicht<br />

Untere Mittelschicht<br />

mittlere Mittelschicht<br />

gehobene Mittelschicht<br />

obere Mittelschicht<br />

94,8<br />

5,2<br />

1,3<br />

37,3<br />

29,3<br />

32,1<br />

48,0<br />

52,0<br />

59,2<br />

32,1<br />

8,7<br />

65,0<br />

32,8<br />

2,2<br />

37,4<br />

57,5<br />

5,1<br />

50,7<br />

17,6<br />

31,7<br />

25,2<br />

25,2<br />

16,7<br />

23,7<br />

9,3<br />

552<br />

30<br />

7<br />

201<br />

158<br />

173<br />

281<br />

305<br />

347<br />

188<br />

51<br />

381<br />

192<br />

13<br />

219<br />

337<br />

30<br />

297<br />

103<br />

186<br />

136<br />

136<br />

90<br />

128<br />

50<br />

6,6<br />

93,4<br />

27,4<br />

20,1<br />

23,5<br />

29,0<br />

52,9<br />

47,1<br />

42,3<br />

35,7<br />

22,0<br />

54,7<br />

30,3<br />

15,1<br />

14,7<br />

68,0<br />

17,3<br />

43,6<br />

40,6<br />

15,8<br />

5,6<br />

22,1<br />

28,5<br />

30,1<br />

13,7<br />

205<br />

2877<br />

51<br />

37<br />

44<br />

54<br />

1632<br />

1452<br />

1304<br />

1099<br />

679<br />

1686<br />

933<br />

465<br />

454<br />

2097<br />

533<br />

1346<br />

1253<br />

486<br />

Gesamt 100,0 586 100,0 384<br />

Quelle: Alterssurvey, Ausländerstichprobe 2002, Replikationsstichprobe 2002, gewichtet.<br />

6 Wegen der nicht mit dem deutschen Bildungssystem vergleichbaren Abschlüsse wurde diese e<strong>in</strong>fache Term<strong>in</strong>olo-<br />

gie gewählt.<br />

155<br />

614<br />

789<br />

834<br />

380<br />

465


466<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

E<strong>in</strong> nahezu ausgewogenes Verhältnis gibt es im H<strong>in</strong>blick auf mittlere Reife oder Fachhochschulreife:<br />

jeweils e<strong>in</strong> knappes Drittel der Deutschen <strong>und</strong> der Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen<br />

haben e<strong>in</strong>en mittleren Schulabschluss. Abitur oder Hochschulreife hatte nur e<strong>in</strong>e verschw<strong>in</strong>dend<br />

kle<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheit der ausländischen Befragten (2 Prozent), aber immerh<strong>in</strong> 15 Prozent der Deutschen.<br />

Insgesamt schlossen 99 Prozent der Deutschen im Alter zwischen 40 <strong>und</strong> 85 Jahren die<br />

Pflichtschule oder e<strong>in</strong>e weiterführende Schule mit e<strong>in</strong>em Abschluss ab. In der ausländischen<br />

Bevölkerung s<strong>in</strong>d dies lediglich 80 Prozent. Knapp 6 Prozent der Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

besuchten gar ke<strong>in</strong>e Schule, weitere 15 Prozent verließen sie ohne e<strong>in</strong>en Abschluss. Besonders<br />

unter den türkischen Staatsangehörigen s<strong>in</strong>d die Werte <strong>in</strong> den letzteren Kategorien hoch.<br />

Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion haben dagegen<br />

besonders häufig e<strong>in</strong>en höheren Schulabschluss. Knapp 15 Prozent der Deutschen, aber deutlich<br />

mehr als e<strong>in</strong> Drittel der ausländischen Befragten hat zudem ke<strong>in</strong>e Berufsausbildung abgeschlossen.<br />

Dies trifft nicht nur für die meisten türkischen Staatsangehörigen zu, sondern auch für den<br />

Großteil der griechischen <strong>und</strong> italienischen Staatsbürger. E<strong>in</strong>en Hochschulabschluss haben 17<br />

Prozent der Deutschen, aber nur 5 Prozent der Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen.<br />

Gut die Hälfte der befragten Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen ist noch erwerbstätig, e<strong>in</strong> weiteres<br />

Drittel aus verschiedenen anderen Gründen (Vorruhestand/Frührente, Arbeitslosigkeit, Umschulung,<br />

Hausfrau/Hausmann) nicht erwerbstätig, 18 Prozent bef<strong>in</strong>den sich im Ruhestand. Der vergleichsweise<br />

hohe Anteil Erwerbstätiger im Vergleich zur deutschen Wohnbevölkerung ergibt<br />

sich aus der jüngeren Altersstruktur (siehe oben). Dementsprechend ist umgekehrt der Anteil<br />

der Deutschen im Ruhestand deutlich höher als jener der Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer. Ausländer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Ausländer s<strong>in</strong>d fast doppelt so häufig von Arbeitslosigkeit betroffen wie Deutsche:<br />

Bezogen auf die sich noch nicht im Ruhestand bef<strong>in</strong>dlichen befragten Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />

Ausländer s<strong>in</strong>d 15 Prozent arbeitslos verglichen mit nur 8 Prozent der noch erwerbsfähigen<br />

Deutschen.<br />

Die Zahlen zur sozialen Schichtzugehörigkeit zeigen <strong>in</strong> der beruflichen Stellung deutliche Unterschiede<br />

zwischen deutschen <strong>und</strong> nichtdeutschen Staatsangehörigen. Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

s<strong>in</strong>d im Vergleich zur deutschen Wohnbevölkerung <strong>in</strong> den unteren sozialen Schichten<br />

deutlich überrepräsentiert. E<strong>in</strong> Viertel der befragten Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen gehört der<br />

Unterschicht an – das ist fast fünf mal soviel wie unter den Deutschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte.<br />

In diesem Abschnitt erfolgte zunächst e<strong>in</strong>e umfassende Beschreibung von Merkmalen der Ausländerstichprobe.<br />

Im Anschluss daran wurden wesentliche soziodemografische <strong>und</strong> sozialstrukturelle<br />

Charakteristika von Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländern e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> Deutschen andererseits<br />

verglichen. Besonders auffallend ist dabei die <strong>in</strong>sgesamt jüngere Altersstruktur, das durchschnittlich<br />

ger<strong>in</strong>gere Schulbildungs- <strong>und</strong> Berufsausbildungsniveau <strong>und</strong> die stärkere Betroffenheit<br />

von Arbeitslosigkeit der ausländischen Befragten, was sich auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Überrepräsentation<br />

<strong>in</strong> den unteren sozialen Schichten widerspiegelt. Nach diesem allgeme<strong>in</strong>en Überblick über<br />

wichtige soziodemografische Indikatoren werden nun e<strong>in</strong>ige Lebensbereiche vertiefend betrachtet.<br />

Wir beg<strong>in</strong>nen mit dem Vergleich der materiellen Lage der ausländischen <strong>und</strong> deutschen 40-<br />

bis 85-Jährigen.


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

10.3 Materielle Lage<br />

Die materielle Lage besteht nicht nur aus den E<strong>in</strong>kommensverhältnissen, sondern schließt auch<br />

die Betrachtung nicht-monetärer Aspekte wie der Wohnbed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>. In diesem Unterkapitel<br />

werden zunächst E<strong>in</strong>kommensverteilungen von ausländischen <strong>und</strong> deutschen Befragten detailliert<br />

betrachtet. Das schließt auch e<strong>in</strong>e nach Armuts- <strong>und</strong> Wohlstandslagen differenzierte<br />

Betrachtung e<strong>in</strong>. Im Anschluss daran werden die Wohnverhältnisse von Ausländern <strong>und</strong> Deutschen<br />

verglichen.<br />

10.3.1 E<strong>in</strong>kommen<br />

Die verfügbaren wirtschaftlichen Mittel <strong>in</strong> Form von E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> Vermögen bestimmen als<br />

<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong> Ressourcen den Spielraum für die aktuelle Lebensgestaltung <strong>und</strong> haben bedeutenden<br />

E<strong>in</strong>fluss auf die Lebenssituation im Alter. E<strong>in</strong>e gesicherte materielle Existenzgr<strong>und</strong>lage ist<br />

wesentliche Voraussetzung für e<strong>in</strong>e aktive <strong>und</strong> selbstständige Lebensführung. Ger<strong>in</strong>ge f<strong>in</strong>anzielle<br />

Ressourcen dagegen weisen auf Problemlagen (vgl. Motel, 2000). Das E<strong>in</strong>kommen ist<br />

zugleich Ausdruck aktueller <strong>und</strong> vergangener Formen von E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> verschiedene gesellschaftliche<br />

Institutionen. Während der direkte Arbeitsmarktbezug über das Erwerbse<strong>in</strong>kommen<br />

mit höherem Alter aufgr<strong>und</strong> des Übergangs <strong>in</strong> den Ruhestand an Bedeutung verliert, spielt die<br />

Erwerbsbiografie beim Rentenbezug weiterh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e zentrale Rolle, da sich die Rentenhöhe bekanntlich<br />

nach Beitragsdauer <strong>und</strong> Beitragshöhe im Verlauf der Erwerbsbiografie richtet. Wie<br />

bisherige Daten zeigen, führt <strong>in</strong>sbesondere diese Regelung zu ger<strong>in</strong>geren Rentene<strong>in</strong>kommen bei<br />

älteren Ausländern als bei der deutschen älteren Bevölkerung (z.B. Eggen, 1997; Hamburg,<br />

1998).<br />

Die oben beschriebene, auf der beruflichen Stellung basierende Schichtungsstruktur der beiden<br />

Bevölkerungsgruppen f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>kommensverteilung wieder. Die E<strong>in</strong>kommenssituation<br />

der Nichtdeutschen ist deutlich schlechter als die der Deutschen (p


468<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

Abbildung 10.1:<br />

E<strong>in</strong>kommensverteilung (Nettoäquivalenze<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong> Euro nach neuer OECD-Skala)<br />

Ausländ.<br />

Deutsch<br />

A 40-54<br />

D 40-54<br />

A 55-69<br />

D 55-69<br />

A 70-85<br />

D 70-85<br />

0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />

bis € 510<br />

€ 511-919<br />

€ 920-1.277<br />

€ 1.278-2.299<br />

€ 2.300 u. mehr<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe (n= 2726), gewichtet; Ausländerstichprobe (n= 511).<br />

In der folgenden Tabelle 10.5 wird e<strong>in</strong> Überblick über die E<strong>in</strong>kommens- <strong>und</strong> Vermögenssituation<br />

von Ausländern <strong>und</strong> Deutschen gegeben. Das mittlere Nettoäquivalenze<strong>in</strong>kommen der ausländischen<br />

Befragten liegt mit 1.113 € um durchschnittlich 366 € unter dem der Deutschen <strong>in</strong><br />

der zweiten Lebenshälfte. Der E<strong>in</strong>kommensunterschied zwischen ausländischen <strong>und</strong> deutschen<br />

Befragten ist <strong>in</strong> der jüngsten Altersgruppe noch stärker ausgeprägt, während nach dem Übergang<br />

<strong>in</strong> den Ruhestand e<strong>in</strong>e leichte Annäherung der Nettoäquivalenze<strong>in</strong>kommen stattf<strong>in</strong>det. Die<br />

durchschnittliche E<strong>in</strong>kommensdifferenz ist bei den 40- bis 54-Jährigen mit 439 € am größten<br />

<strong>und</strong> bei den 70- bis 85-Jährigen mit 225 € am ger<strong>in</strong>gsten (vgl. erste Zeile von Tabelle 10.5).<br />

Tabelle 10.5:<br />

E<strong>in</strong>kommens- <strong>und</strong> Vermögensverteilung (Angaben <strong>in</strong> Euro bzw. Prozent)<br />

mittleres NÄE 1<br />

<strong>in</strong> Euro<br />

E<strong>in</strong>kommensarmut<br />

Gesamt 40-54 Jahre 55-69 Jahre 70-85 Jahre<br />

ND 2 D 3<br />

sig. 4<br />

ND D sig. ND D sig. ND D sig.<br />

1113 1479 ** 1131 1570 ** 1089 1479 ** 1075 1300 *<br />

25,6 9,9 ** 25,7 9,4 ** 26,9 10,5 ** 20,0 9,9 *<br />

Sozialhilfebezug 7,8 1,4 ** 6,6 2,2 ** 11,2 0,7 ** / 1,0 n.s.<br />

Schulden 16,8 16,2 n.s. 22,8 26,6 n.s. 8,6 11,8 n.s. 5,4 3,4 n.s.<br />

E<strong>in</strong>kommensreichtum<br />

2,3 7,1 ** 1,7 9,0 ** 4,1 7,1 n.s. - 3,4 n.s.<br />

Vermögen 57,9 78,4 ** 59,9 79,5 ** 57,3 79,9 ** 45,9 73,5 **<br />

1 NÄE = Nettoäquivalenze<strong>in</strong>kommen; 2 ND=Nicht-Deutsche; 3 D=Deutsche; 4 sig.=Signifikanzniveau, ** p


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

Armut wird hier relativ auf der Basis des durchschnittlichen Nettoäquivalenze<strong>in</strong>kommens def<strong>in</strong>iert.<br />

Dabei wird das Konzept des ersten Armuts- <strong>und</strong> Reichtumsberichts der B<strong>und</strong>esregierung<br />

aufgegriffen <strong>und</strong> die Betrachtung nicht ausschließlich auf Armut beschränkt (vgl. BMAS,<br />

2001). Dementsprechend erlaubt die Betrachtung beider Seiten e<strong>in</strong>e differenziertere Betrachtung<br />

der Lebenslagen <strong>in</strong> Deutschland. E<strong>in</strong>e Person gilt demnach als arm, wenn ihr monatliches Nettoäquivalenze<strong>in</strong>kommen<br />

weniger als 50 Prozent des Durchschnittse<strong>in</strong>kommens aller Deutschen<br />

<strong>und</strong> Ausländer bzw. Ausländer<strong>in</strong>nen beträgt. Im Jahr 2002 lag die relative Armutsgrenze demnach<br />

bei 680 €. Wie angesichts der E<strong>in</strong>kommensverteilung zu erwarten, s<strong>in</strong>d Ausländer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Ausländer mit 25,6 Prozent deutlich häufiger von E<strong>in</strong>kommensarmut betroffen als Deutsche<br />

(vgl. Tabelle 10.5 oben). Der Unterschied bleibt <strong>in</strong> allen Altersgruppen bedeutsam. Während<br />

deutsche Frauen <strong>in</strong> der höchsten Altersgruppe häufiger von Armut betroffen s<strong>in</strong>d als Männer<br />

(p


Abbildung 10.2:<br />

Subjektive Bewertung des Lebensstandards<br />

Ausländ.<br />

470<br />

Deutsch<br />

A 40-54<br />

D 40-54<br />

A 55-69<br />

D 55-69<br />

A 70-85<br />

D 70-85<br />

0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />

sehr schlecht<br />

schlecht<br />

mittel<br />

gut<br />

sehr gut<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe (n= 3074), gewichtet; Ausländerstichprobe (n= 577), nicht<br />

gewichtet.<br />

10.3.2 Wohnen<br />

Mit dem Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand <strong>und</strong> dem Verlust arbeitsweltlicher Bezüge sowie ges<strong>und</strong>heitlich<br />

bed<strong>in</strong>gten Mobilitätse<strong>in</strong>schränkungen gew<strong>in</strong>nt der Wohnbereich im Alter zunehmend an<br />

Bedeutung. Die Wohnsituation stellt e<strong>in</strong>e Ressource dar: Wohnqualität <strong>und</strong> Wohnausstattung<br />

bestimmen die Möglichkeiten der Aufrechterhaltung e<strong>in</strong>er selbstständigen Lebensführung im<br />

Alter. Bisherige Studienergebnisse belegen e<strong>in</strong>e schlechtere Wohnversorgung für ältere Migranten<br />

<strong>und</strong> Migrant<strong>in</strong>nen als für ältere Nichtmigranten <strong>und</strong> -migrant<strong>in</strong>nen, was zum Teil auf deren<br />

Überrepräsentanz <strong>in</strong> urbanen Zentren zurückgeführt werden kann (Dietzel-Papakyriakou &<br />

Olbermann, 1998).<br />

Die Daten des Alterssurveys weisen <strong>in</strong> die gleiche Richtung. Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen<br />

s<strong>in</strong>d auch <strong>in</strong> diesem Aspekt der materiellen Lage gegenüber Deutschen benachteiligt. Zum e<strong>in</strong>en<br />

verfügen Deutsche gr<strong>und</strong>sätzlich häufiger über Wohnungseigentum. Etwas mehr als e<strong>in</strong> Drittel<br />

der Deutschen wohnt zur Miete – aber fast drei Viertel der ausländischen Staatsangehörigen.<br />

Außerdem leben Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>eren Wohnungen bzw. Häusern. Da <strong>in</strong><br />

den Haushalten von Nichtdeutschen zudem durchschnittlich mehr Personen leben als <strong>in</strong> deutschen<br />

(vgl. Kapitel 10.6) ergibt sich für ausländische Haushalte e<strong>in</strong>e deutlich größere Wohndichte.<br />

Während <strong>in</strong> deutschen Haushalten jedem Haushaltsmitglied durchschnittlich zwei Zimmer<br />

zur Verfügung stehen, s<strong>in</strong>d dies bei nichtdeutschen Staatsangehörigen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

im Mittel nur 1,4 Zimmer pro Person (ohne Küche, Bad, WC). E<strong>in</strong>e Betrachtung<br />

nach Wohnfläche kommt zu dem gleichen Ergebnis: Stehen jedem Ausländer bzw. jeder Ausländer<strong>in</strong><br />

im Mittel 36,9 m² Wohnfläche zur Verfügung, hat jeder Deutsche bzw. jede Deutsche<br />

durchschnittlich 51,8 m² zur Verfügung.


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

Als möglicher Gr<strong>und</strong> für diese Differenzen wird <strong>in</strong> der Literatur der höhere Anteil von Großstädtern<br />

unter Ausländern angeführt. Da der Wohnraum <strong>in</strong> Städten durchschnittlich kle<strong>in</strong>er <strong>und</strong><br />

die Wohndichte größer ist, könnte die räumliche Verteilung das Ergebnis verzerren. Die Daten<br />

des Alterssurveys bestätigen die ungleiche räumliche Verteilung: Während fast die Hälfte der<br />

Deutschen <strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>städten mit bis zu 20.000 E<strong>in</strong>wohnern lebt, s<strong>in</strong>d dies bei Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />

Ausländern lediglich e<strong>in</strong> Drittel. In Mittelstädten (Städte mit 20.000 bis unter 100.000 E<strong>in</strong>wohnern)<br />

s<strong>in</strong>d die Anteile beider Bevölkerungsgruppen mit ca. 23 Prozent ungefähr gleich groß. In<br />

Großstädten mit 100.000 <strong>und</strong> mehr E<strong>in</strong>wohnern leben dagegen mehr als 44 Prozent der befragten<br />

Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen verglichen mit nur 30 Prozent der Deutschen. Auch bei Kontrolle<br />

für die Geme<strong>in</strong>degröße bleiben die Differenzen für beide Messarten der Wohndichte hoch<br />

signifikant: In jeder Geme<strong>in</strong>degrößenklasse bestehen die Unterschiede weiterh<strong>in</strong>. So beträgt die<br />

Wohndichte (Wohngröße <strong>in</strong> qm² pro Person) für Deutsche <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en Orten 53,8 qm², <strong>in</strong> mittelgroßen<br />

Städten 51,3qm² <strong>und</strong> <strong>in</strong> Großstädten 49,1qm². Für Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen ist sie<br />

jeweils deutlich niedriger: <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en Orten 38,7 qm², <strong>in</strong> mittelgroßen Städten 35,4qm² <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />

Großstädten 36 qm². Der Unterschied <strong>in</strong> der Wohnungsgröße bzw. Wohndichte kann also nicht<br />

alle<strong>in</strong> mit dem größeren Anteil von (Groß-)Städtern unter den Menschen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit<br />

erklärt werden kann.<br />

Auch <strong>in</strong> der Ausstattung der Wohnungen unterscheiden sich die Wohnverhältnisse von Deutschen<br />

<strong>und</strong> Ausländern bzw. Ausländer<strong>in</strong>nen. Ke<strong>in</strong>e signifikanten Unterschiede gibt es bei der<br />

Ausstattung mit Zentral- oder Etagenheizung. Nichtdeutsche Befragte haben jedoch signifikant<br />

seltener e<strong>in</strong>en Balkon, e<strong>in</strong>e Terrasse oder e<strong>in</strong>en Garten. Außerdem fehlt ihnen im Vergleich zu<br />

deutschen Haushalten signifikant häufiger e<strong>in</strong>e Wasch- <strong>und</strong> Spülmasch<strong>in</strong>e, e<strong>in</strong> Tiefkühlschrank,<br />

e<strong>in</strong> Computer sowie e<strong>in</strong> Auto.<br />

Abbildung 10.3:<br />

Wohnzufriedenheit<br />

Prozent<br />

100%<br />

80%<br />

60%<br />

40%<br />

20%<br />

0%<br />

Nichtdeutsche Deutsche<br />

Staatsangehörigkeit<br />

gut/sehr gut mittel schlecht/sehr schlecht<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe (n= 3080), gewichtet; Ausländerstichprobe (n= 580),<br />

nicht gewichtet.<br />

471


472<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

Wie schon bei den E<strong>in</strong>kommensverhältnissen spiegeln sich die objektiven Wohnverhältnisse im<br />

subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>den der ausländischen Befragten wider. Insgesamt bewerten Ausländer<br />

<strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen ihre Wohnsituation deutlich schlechter als die Deutschen (p


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

Abbildung 10.4:<br />

Subjektive Bewertung des Ges<strong>und</strong>heitszustandes<br />

Ausländ.<br />

Deutsch<br />

A 40-54<br />

D 40-54<br />

A 55-69<br />

D 55-69<br />

A 70-85<br />

D 70-85<br />

0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />

sehr schlecht<br />

schlecht<br />

mittel<br />

gut<br />

sehr gut<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe (n= 3081), gewichtet; Ausländerstichprobe (n= 585), nicht<br />

gewichtet.<br />

In e<strong>in</strong>em weiteren Schritt werden die Auswirkungen der ges<strong>und</strong>heitlichen Situation auf die Verrichtung<br />

alltäglicher Arbeiten zwischen Deutschen <strong>und</strong> Nichtdeutschen verglichen (vgl. Tabelle<br />

10.6 unten). Datengr<strong>und</strong>lage bildet die Subskala „Körperliche Funktionsfähigkeit (Mobilität /<br />

Aktivitäten des täglichen Lebens; kurz: KÖFU)“ des SF-36-Fragebogens. Der SF-36-<br />

Fragebogen ist e<strong>in</strong> <strong>in</strong>ternational anerkanntes Instrument zur Messung der ges<strong>und</strong>heitsbezogenen<br />

Lebensqualität (Radoschewski & Bellach, 1999; Kirchberger, 2000) für detailliertere Ausführungen<br />

zu diesem Instrument vgl. Kapitel 7 „Ges<strong>und</strong>heit, Hilfebedarf <strong>und</strong> Versorgung“ im vorliegenden<br />

Band).<br />

Tabelle 10.6:<br />

Ges<strong>und</strong>heitliche E<strong>in</strong>schränkungen bei alltäglichen Tätigkeiten nach Staatsangehörigkeit <strong>und</strong><br />

Alter (nur starke E<strong>in</strong>schränkungen, Angaben <strong>in</strong> Prozent)<br />

Anstrengende Tätigkeit<br />

Taschen tragen<br />

Mehrere Treppen steigen<br />

Sich bücken, knien<br />

Mehrere Kreuzg. zu Fuß<br />

Baden/anziehen<br />

Gesamt 40 bis 54 Jahre 55 bis 69 Jahre 70 bis 85 Jahre<br />

ND D ND D ND D ND D<br />

18,8<br />

6,5<br />

8,5<br />

8,0<br />

5,1<br />

2,9<br />

24,2<br />

8,0<br />

8,9<br />

10,2<br />

6,7<br />

2,5<br />

10,4<br />

2,3<br />

3,5<br />

4,6<br />

1,7<br />

1,2<br />

9,7<br />

2,6<br />

3,3<br />

4,1<br />

2,1<br />

0,9<br />

22,3<br />

7,4<br />

9,1<br />

10,1<br />

5,9<br />

2,1<br />

24,6<br />

7,3<br />

7,6<br />

10,3<br />

5,1<br />

1,8<br />

64,0<br />

31,4<br />

41,2<br />

23,5<br />

25,5<br />

17,6<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe (n= 3073), gewichtet; Ausländerstichprobe (n= 586), nicht<br />

gewichtet.<br />

51,4<br />

19,6<br />

21,7<br />

21,8<br />

18,5<br />

6,8<br />

473


474<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

Zum Vergleich herangezogen wurden nur schwere E<strong>in</strong>schränkungen der jeweiligen Dimensionen<br />

mit dem Ziel, e<strong>in</strong>e signifikante M<strong>in</strong>derung der Lebensqualität zu erfassen. Betrachtet man<br />

alle Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte, so ergeben sich kaum Unterschiede zwischen<br />

Nichtdeutschen <strong>und</strong> Deutschen. Die e<strong>in</strong>zige Ausnahme bilden anstrengende Tätigkeiten, bei<br />

denen sich e<strong>in</strong> deutlich größerer Teil der Deutschen stark e<strong>in</strong>geschränkt fühlt. Beim altersgruppenspezifischen<br />

Vergleich beider Bevölkerungsgruppen fällt auf, dass die ausländischen 70- bis<br />

85-Jährigen <strong>in</strong> allen Kategorien deutlich häufiger über starke E<strong>in</strong>schränkungen berichten als die<br />

gleichaltrigen Deutschen. In den beiden jüngeren Altersgruppen gibt es h<strong>in</strong>gegen kaum Unterschiede<br />

zwischen Deutschen <strong>und</strong> Nichtdeutschen.<br />

Insgesamt kann daher konstatiert werden, dass sich die Lebensqualität von Deutschen <strong>und</strong> Menschen<br />

nichtdeutscher Staatsangehörigkeit im H<strong>in</strong>blick auf die selbst wahrgenommenen ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

E<strong>in</strong>schränkungen <strong>und</strong> den Hilfebedarf kaum unterscheiden. Dies gilt jedoch nicht für<br />

die älteste Altersgruppe, <strong>in</strong> der Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer deutlich öfter mit E<strong>in</strong>schränkungen<br />

leben müssen. Dieses Ergebnis überrascht angesichts der Ergebnisse, die aus anderen Studien<br />

bisher bekannt s<strong>in</strong>d. Im Rahmen weiterer Analysen ist außerdem die Frage zu beantworten,<br />

ob <strong>und</strong> <strong>in</strong>wiefern die Heterogenität der Gruppe der Nichtdeutschen nivellierend wirkt, <strong>und</strong> ob es<br />

unter den Menschen deutscher <strong>und</strong> nichtdeutscher Staatsangehörigkeit jeweils bestimmte Personengruppen<br />

gibt, deren Hilfebedarf besonders groß ist.<br />

10.5 Gesellschaftliche Partizipation<br />

Der Ges<strong>und</strong>heitszustand bee<strong>in</strong>flusst nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Möglichkeiten<br />

gesellschaftlicher Partizipation <strong>und</strong> aktiven sozialen Engagements. Im Folgenden soll e<strong>in</strong><br />

kurzer Überblick über die gesellschaftliche Partizipation im Rahmen von Vere<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Organisationen<br />

gegeben werden. Sie stellt e<strong>in</strong>en weiteren wichtigen Aspekt im Kontext der sozialen<br />

Lage <strong>und</strong> der Lebensqualität dar. So bieten Mitgliedschaft <strong>und</strong> Engagement <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>en <strong>und</strong><br />

Organisationen nicht nur e<strong>in</strong>e Möglichkeit der Zeitgestaltung, sondern auch der Teilhabe am<br />

sozialen <strong>und</strong> politischen Leben. Gesellschaftliches Engagement kann durch die Erfahrung von<br />

Kompetenz <strong>und</strong> Wertschätzung durch andere zu e<strong>in</strong>er erhöhten Lebenszufriedenheit <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

beitragen. Nach dem Ausscheiden aus dem gesellschaftlichen Bereich der Arbeit<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er nach der Migration möglicherweise noch fremden Umgebung kommt dieser Art der<br />

Beschäftigung, Partizipation <strong>und</strong> Integration besondere Bedeutung zu (vgl. Kohli & Künem<strong>und</strong>,<br />

1996; Künem<strong>und</strong>, 2000a).<br />

Die Bedeutung von Partizipation <strong>in</strong> eigenethnischen Vere<strong>in</strong>en für den Integrationsverlauf ist<br />

umstritten. Als positive <strong>in</strong>tegrationsfördernde Funktion für Migranten bzw. Menschen ausländischer<br />

Herkunft wird die praktische <strong>und</strong> soziale Unterstützung genannt (vgl.Elwert, 1982). So<br />

bieten diese Vere<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>en Rückzug <strong>in</strong>s ethnische Milieu, e<strong>in</strong>e kulturelle Selbstvergewisserung<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>en Ort, an dem Hilfe zum Umgang mit der Ankunftsgesellschaft ausgetauscht werden.<br />

Andererseits wird argumentiert, dass durch diese E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung der für die Integration eigentlich<br />

notwendige Bezug <strong>und</strong> Kontakt zur Aufnahmegesellschaft vernachlässigt wird (z.B. Esser,<br />

1986). Wenngleich <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>e Reihe von Arbeiten die Funktion von Migrantenorganisationen<br />

thematisieren (z.B. Diehl, Urbahn, & Esser, 1998; Diehl, 2000), gibt es kaum Forschungs-


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

erkenntnisse zur sozialen Partizipation älterer Menschen ausländischer Herkunft. Der Alterssurvey<br />

stellt Daten für e<strong>in</strong>e erste Exploration des Partizipations- <strong>und</strong> Organisationsgrades älterer<br />

Menschen ausländischer Herkunft zur Verfügung. Das verwendete Instrument hat jedoch den<br />

Nachteil, dass es primär zur Erfassung des Partizipationsgrades der deutschen Bevölkerung<br />

entwickelt wurde – e<strong>in</strong>e gesonderte Abfrage ausländer- <strong>und</strong> migrantenspezifischer Informationen<br />

zu Vere<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Organisationen, wie beispielsweise ihre ethnische Zusammensetzung <strong>und</strong><br />

<strong>in</strong>haltlichen Ziele, fehlen. Die folgende Abbildung 10.5 gibt e<strong>in</strong>en Überblick über die Häufigkeit<br />

der Mitgliedschaft <strong>in</strong> ausgewählten Gruppen. Dabei wurde differenziert zwischen Gruppen,<br />

die sich ausschließlich an Menschen im Ruhestand richten <strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong>en Gruppen.<br />

Abbildung 10.5:<br />

Häufigkeit der Mitgliedschaft <strong>in</strong> Gruppen für Rentner, allgeme<strong>in</strong>en Gruppen <strong>und</strong> <strong>in</strong>sgesamt<br />

Prozent<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Nichtdeutsche Deutsche<br />

Staatsangehörigkeit<br />

Gruppen für Rentner<br />

allgeme<strong>in</strong>e Gruppen<br />

<strong>in</strong>sgesamt<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe (n= 3084), gewichtet; Ausländerstichprobe (n= 586), ungewichtet.<br />

Abbildung 10.5 zeigt, dass Gruppenmitgliedschaften unter Deutschen viel weiter verbreitet s<strong>in</strong>d<br />

als unter Ausländern <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen. Während mehr als die Hälfte der Deutschen Mitglied<br />

<strong>in</strong> m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>em Vere<strong>in</strong> oder e<strong>in</strong>er Gruppe ist, trifft dies nur auf e<strong>in</strong> gutes Viertel der befragten<br />

Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer zu. Gruppen für Renter<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Rentner spielen für<br />

Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer nur e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Rolle. Mit zunehmendem Alter verr<strong>in</strong>gert sich<br />

sowohl für Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer als auch für Deutsche der Organisationsgrad. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

nimmt der Anteil von Gruppenmitgliedschaften bei den Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländern<br />

weniger stark ab: Während 29 Prozent der 40- bis 54-Jährigen Mitglied e<strong>in</strong>er Gruppe s<strong>in</strong>d, verr<strong>in</strong>gert<br />

sich dieser Anteil bei den 55- bis 69-Jährigen kaum (28 Prozent). Auch 22 Prozent der<br />

70- bis 85-jährigen Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer ist noch Mitglied <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vere<strong>in</strong> oder e<strong>in</strong>er<br />

Gruppe. Bei den Deutschen ist zwar der Anteil der Aktiven <strong>in</strong> allen Altersgruppen deutlich höher<br />

– er nimmt aber unter den Ältesten auch stärker ab (43 Prozent gegenüber von 55 Prozent <strong>in</strong><br />

den jüngeren Altersgruppen).<br />

Nichtdeutsche <strong>und</strong> Deutsche unterscheiden sich auch <strong>in</strong> der Häufigkeit ihres Engagements, allerd<strong>in</strong>gs<br />

<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gerem Maße als erwartet. Die Hälfte der Deutschen nimmt m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal<br />

475


476<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

wöchentlich an Gruppenaktivitäten teil, bei den Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländern s<strong>in</strong>d das immerh<strong>in</strong><br />

auch 42 Prozent. Das <strong>in</strong>sgesamt zeitlich umfangreichere Engagement der Deutschen<br />

hängt vermutlich damit zusammen, dass diese Bevölkerungsgruppe auch häufiger e<strong>in</strong> Ehrenamt<br />

<strong>in</strong>ne hat (p


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

10.6 Intergenerationale Familienbeziehungen<br />

Mit zunehmendem Bedarf im höheren Lebensalter gew<strong>in</strong>nt schließlich die Frage nach familiären<br />

<strong>und</strong> außerfamiliären Unterstützungspotenzialen <strong>und</strong> Hilfeleistungen an Bedeutung. Diesem<br />

Aspekt der sozialen Lage älterer Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen soll <strong>in</strong> diesem Unterkapitel<br />

ausführlicher nachgegangen werden. Die E<strong>in</strong>bettung <strong>in</strong> soziale Beziehungen ist e<strong>in</strong>e wichtige<br />

Form gesellschaftlicher Integration. Für Menschen nichtdeutscher Herkunft stellt sich <strong>in</strong> besonderer<br />

Weise die Frage nach dem E<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>ense<strong>in</strong> <strong>in</strong> Netzwerkbeziehungen. Im Zuge e<strong>in</strong>er<br />

grenzüberschreitenden, länger andauernden oder endgültigen Emigration werden soziale Netzwerke<br />

im Herkunftsland verlassen. Wenngleich sie bis zu e<strong>in</strong>em gewissen Grad transnational<br />

weitergeführt werden können, müssen im Zielland neue soziale Beziehungen aufgebaut werden.<br />

Ausgrenzungs- <strong>und</strong> Diskrim<strong>in</strong>ierungserfahrungen sowie nicht ausreichende Sprachkenntnisse<br />

erschweren den Kontaktaufbau zu E<strong>in</strong>heimischen.<br />

Fand e<strong>in</strong>e Migration im Familienverband statt, so stellen familiäre Beziehungen e<strong>in</strong>e wichtige<br />

Ressource dar. In der Forschung wird auf die große soziale Bedeutung von eigenethnischen<br />

Netzwerken h<strong>in</strong>gewiesen (für Ältere z.B. Dietzel-Papakyriakou, 1993). Ihr Beitrag zur Lebensqualität<br />

<strong>und</strong> Integration ist jedoch durchaus ambivalent. Während beispielsweise e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung<br />

<strong>in</strong> die Familie oder andere ethnisch-sozial weitgehend homogene Gruppen vor allem emotionale<br />

Sicherheit bieten kann, ist das <strong>in</strong>strumentelle <strong>und</strong> kognitive Hilfepotenzial <strong>in</strong> ethnisch<br />

<strong>und</strong> sozial heterogenen Netzwerken größer.<br />

Im Folgenden stehen Haushalt <strong>und</strong> Familie im Mittelpunkt der Betrachtung. Generationenbeziehungen<br />

werden <strong>in</strong> Deutschland nicht mehr primär <strong>in</strong>nerhalb des Familienhaushalts gelebt,<br />

sondern <strong>in</strong> aus mehreren Haushalten bestehenden ‚multilokalen Mehrgenerationenfamilien’<br />

(Bertram, 2000). Deshalb werden die Beziehungen zu Familienmitgliedern <strong>in</strong>nerhalb der erweiterten<br />

Familie getrennt von den Beziehungen zu Haushaltsmitgliedern betrachtet. Im Mittelpunkt<br />

stehen <strong>in</strong>sbesondere die <strong>in</strong>tergenerationalen Beziehungen zwischen erwachsenen K<strong>in</strong>dern<br />

<strong>und</strong> ihren Eltern. Generationenbeziehungen s<strong>in</strong>d im Zuge des demografischen <strong>Wandel</strong>s <strong>in</strong> den<br />

letzten Jahrzehnten verstärkt <strong>in</strong> den Fokus wissenschaftlichen Interesses gerückt. Für die Deutschen<br />

<strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte konnte auf Basis der Alterssurvey-Daten aus der Ersterhebung<br />

gezeigt werden, dass Generationenbeziehungen nach wie vor gelebt werden <strong>und</strong> überwiegend<br />

eng <strong>und</strong> solidarisch s<strong>in</strong>d (z.B.Kohli et al., 2000; Szydlik, 2000).<br />

Für Menschen nichtdeutscher Herkunft könnte man vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Migrations- <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>er unter Umständen problematischen Integrationserfahrung im Ankunftsland annehmen, dass<br />

die Familie Kompensationsfunktionen übernimmt <strong>und</strong> ganz besonders wichtig wird. Andererseits<br />

könnten die Migration bzw. das Aufwachsen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen kulturellen <strong>und</strong> sozialen<br />

Kontext, sowie die aktuelle, durch den Migranten- <strong>und</strong> Ausländerstatus bestimmte rechtliche,<br />

ökonomische <strong>und</strong> familiäre Situation im Aufnahmeland auch zu Generationenkonflikten führen.<br />

Ohne hier auf mögliche Ursachen e<strong>in</strong>gehen zu können, werden drei zentrale Dimensionen von<br />

Generationenbeziehungen deskriptiv untersucht: Wohnentfernung, Kontakthäufigkeit <strong>und</strong> Beziehungsenge.<br />

Dem Austausch von sozialer Unterstützung wird aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er herausragenden<br />

Bedeutung e<strong>in</strong> separates Unterkapitel (Unterkapitel 10.7) gewidmet. In e<strong>in</strong>em ersten Schritt<br />

wird jedoch zunächst beschrieben, <strong>in</strong>wiefern sich das erweiterte Familienetzwerk von Nicht-<br />

477


478<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

deutschen von jenen deutscher 40- bis 85-Jähriger unterscheidet. Im Anschluss daran erfolgt e<strong>in</strong><br />

Vergleich der jeweiligen Haushaltsstruktur.<br />

10.6.1 Strukturell verfügbare Familienmitglieder<br />

In e<strong>in</strong>em ersten Schritt wird untersucht, welche Personen zum Familiennetzwerk ausländischer<br />

Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte gehören. Die nachfolgende Abbildung 10.6 beschränkt<br />

sich dabei <strong>in</strong> der Darstellung auf den Kern <strong>in</strong>tergenerationaler Beziehungen, nämlich die Eltern-<br />

K<strong>in</strong>d-Beziehung sowie zwei weitere, für Familienbeziehungen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte besonders<br />

wichtige Personengruppen – Geschwister <strong>und</strong> Enkel (zur zunehmenden Bedeutung von<br />

Geschwistern im Alter vgl. Connidis, 2001).<br />

Abbildung 10.6:<br />

Familienangehörige verschiedener Generationen nach Vorhandense<strong>in</strong><br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

Gesamt 40 bis 54-Jährige<br />

Elt ern Geschwist er K<strong>in</strong>der Enkel<br />

Familienangehörige<br />

Nichtdeutsche Deut sche<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

Elt ern Geschwist er K<strong>in</strong>der Enkel<br />

Familienangehörige<br />

55 bis 69-Jährige 70 bis 85-Jährige<br />

Elt ern Geschwist er K<strong>in</strong>der Enkel<br />

Familienangehörige<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

Elt ern Geschwist er K<strong>in</strong>der Enkel<br />

Familienangehörige<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe (n= 3084), gewichtet; Ausländerstichprobe (n= 586), ungewichtet.<br />

Die große Mehrheit von 85 Prozent der Befragten hat K<strong>in</strong>der (vgl. Abbildung 10.6, oben l<strong>in</strong>ks).<br />

Etwas überraschend ist die Tatsache, dass der Anteil der K<strong>in</strong>derlosen bei den ausländischen<br />

Befragten genauso groß war wie bei den Deutschen. Außerdem haben die deutschen 40- bis 85-<br />

Jährigen deutlich öfter Enkel. Im Gegensatz dazu geben jedoch die ausländischen Befragten<br />

häufiger Geschwister <strong>und</strong> auch ihre Eltern als Mitglieder der erweiterten Familie an. Das liegt


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

zum Teil am durchschnittlich niedrigeren Alter der nichtdeutschen Befragten. Wenn man das<br />

Alter kontrolliert, ergibt sich folgendes Bild: Bei knapp 80 Prozent der 40- bis 54-jährigen<br />

Deutschen lebt m<strong>in</strong>destens noch e<strong>in</strong> Elternteil, was signifikant häufiger ist als bei den Nichtdeutschen<br />

(Abbildung 10.6, oben rechts). In der mittleren Altersgruppe gibt es diesbezüglich<br />

ke<strong>in</strong>e Differenzen.<br />

10.6.2 Haushaltsstruktur<br />

Haushaltsgröße <strong>und</strong> Haushaltszusammensetzung bestimmen nicht nur die Wohnsituation entscheidend<br />

mit. So können beispielsweise größere Haushalte <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>eren Wohnungen als belastend<br />

empf<strong>und</strong>en werden (hohe Wohndichte) (vgl. Abschnitt 10.3). Betrachtet man die Haushaltsgröße<br />

jedoch aus e<strong>in</strong>er Unterstützungsperspektive stehen <strong>in</strong> größeren Haushalten mehr<br />

potentielle Helfer zur Verfügung. Menschen, die alle<strong>in</strong> leben, haben ke<strong>in</strong> vergleichbares unmittelbares<br />

Unterstützungspotenzial. In der deutschen Bevölkerung betrifft das vor allem hochaltrige<br />

Frauen, deren Lebenspartner bereits verstorben s<strong>in</strong>d. Für ältere Migranten <strong>und</strong> Migrant<strong>in</strong>nen<br />

zeigen bisherige Daten e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>geren S<strong>in</strong>gularisierungsgrad, im Vergleich zur e<strong>in</strong>heimischen<br />

Bevölkerung größere Haushalte, <strong>in</strong> denen mehr Generationen unmittelbar zusammenleben. Daraus<br />

ergibt sich e<strong>in</strong>e relativ große Heterogenität der Wohnsituation (vgl. Dietzel-Papakyriakou &<br />

Olbermann, 1998).<br />

Die Daten des Alterssurveys bestätigen diese Ergebnisse (vgl. Tabelle 10.8 unten). Der Anteil<br />

der Alle<strong>in</strong>lebenden ist unter den nichtdeutschen Staatsangehörigen signifikant ger<strong>in</strong>ger als unter<br />

den Deutschen (vgl. letzte Zeile <strong>in</strong> Tabelle 10.8). E<strong>in</strong>personenhaushalte s<strong>in</strong>d erwartungsgemäß<br />

unter den 70- bis 85-Jährigen beider Bevölkerungsgruppen am weitesten verbreitet. Das durchschnittlich<br />

niedrigere Alter der Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte ist<br />

der entscheidende Faktor für den ger<strong>in</strong>geren S<strong>in</strong>gularisierungsgrad. Da die befragten Ausländer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Ausländer im Durchschnitt jünger s<strong>in</strong>d als die Deutschen, leben sie häufiger als diese<br />

<strong>in</strong> Paarhaushalten. Kontrolliert man das Alter, so verschw<strong>in</strong>det der signifikante Unterschied.<br />

Tabelle 10.8:<br />

Anteil von Alle<strong>in</strong>lebenden <strong>und</strong> durchschnittliche Haushaltsgröße<br />

Anteil Alle<strong>in</strong>lebender<br />

(<strong>in</strong> Prozent)<br />

ND 1<br />

D 2<br />

sig. 3<br />

Durchschnittliche<br />

Haushaltsgröße (Personen)<br />

ND D sig.<br />

40 – 54 Jahre 10,4 12,7 n.s. 3,3 2,9 **<br />

55 – 69 Jahre 16,5 17,2 n.s. 2,4 2,1 **<br />

70 – 85 Jahre 37,3 41,6 n.s. 1,8 1,7 n.s.<br />

Weiblich 14,9 25,4 ** 2,8 2,2 **<br />

Männlich 14,4 14,9 n.s. 2,9 2,5 **<br />

Gesamt 14,7 20,5 ** 2,9 2,4 **<br />

1 ND=Nicht-Deutsch, 2 D=Deutsch, 3 sig.=Signifikanzniveau; ** p < 0.01, * p < 0.05.<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe (n= 3084), gewichtet; Ausländerstichprobe (n= 586), ungewichtet.<br />

479


480<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

Die jeweiligen Anteile der Alle<strong>in</strong>lebenden s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> allen drei Altersgruppen annähernd gleich<br />

groß. Daneben tritt bei den Deutschen der erwartete Geschlechtsunterschied auf: Frauen leben<br />

aufgr<strong>und</strong> ihrer durchschnittlich höheren Lebenserwartung viel häufiger alle<strong>in</strong> als Männer. In<br />

scharfem Kontrast dazu gibt es ke<strong>in</strong>en bedeutsamen Unterschied <strong>in</strong> der Verbreitung Alle<strong>in</strong>lebender<br />

zwischen ausländischen Männern <strong>und</strong> Frauen (vgl. Tabelle 10.8).<br />

In Bezug auf die Haushaltsgröße zeigen sich ebenfalls die erwarteten Muster. Mit durchschnittlich<br />

2,9 Personen s<strong>in</strong>d Haushalte von Ausländern <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

signifikant größer als die Haushalte von Deutschen, <strong>in</strong> denen durchschnittlich 2,3 Personen<br />

leben (vgl. Tabelle 10.8 oben). Bei e<strong>in</strong>er altersgruppenspezifischen Betrachtung bleibt dieser<br />

Effekt <strong>in</strong> der jüngeren <strong>und</strong> mittleren Altersgruppe bestehen. Bei den 70- bis 85-Jährigen gibt<br />

es jedoch ke<strong>in</strong>e signifikanten Unterschiede zwischen Deutschen <strong>und</strong> Nichtdeutschen. Die geschlechtsspezifische<br />

Betrachtung br<strong>in</strong>gt den aus deutscher Sicht unerwarteten Bef<strong>und</strong>, dass sich<br />

die durchschnittlichen Haushaltsgrößen von ausländischen Frauen <strong>und</strong> Männern kaum unterscheiden.<br />

Dieses Ergebnis überrascht <strong>in</strong>sofern, als dass deutsche Männer aufgr<strong>und</strong> ihrer ger<strong>in</strong>geren<br />

Lebenserwartung <strong>in</strong> durchschnittlich größeren Haushalten leben als Frauen.<br />

Im folgenden wird der Blickw<strong>in</strong>kel auf haushaltsspezifische Generationenkonstellationen erweitert.<br />

Außerdem erfolgt neben der bisher auf den Vergleich von Deutschen <strong>und</strong> Nichtdeutschen<br />

beschränkte Perspektive erstmals auch e<strong>in</strong>e nach ethnischen Gruppen differenziertere Betrachtungsweise.<br />

Abbildung 10.7 offenbart deutliche Unterschiede <strong>in</strong> der Generationenstruktur von<br />

deutschen Haushalten e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> nichtdeutschen andererseits. Während <strong>in</strong> deutschen Hauhalten<br />

E<strong>in</strong>generationenkonstellationen dom<strong>in</strong>ieren, gibt es <strong>in</strong> den meisten ausländischen Haushalten<br />

zwei Generationen. Dabei handelt es sich <strong>in</strong> der Regel um Eltern mit ihren K<strong>in</strong>dern.<br />

Abbildung 10.7:<br />

Haushaltsspezifische Generationenkonstellationen<br />

Deutsche<br />

Ausländ.<br />

Türkisch<br />

Ex-Jugoslaw.<br />

Italienisch<br />

0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />

1Gen.-alle<strong>in</strong><br />

1Gen.-m.Part.<br />

2Generationen<br />

3Generationen<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe (n= 3050), gewichtet, Ausländerstichprobe (n= 584), ungewichtet.


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

Zwei Drittel der Deutschen leben <strong>in</strong> E<strong>in</strong>generationenhaushalten, wovon 45 Prozent auf Paarhaushalte<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Fünftel auf Alle<strong>in</strong>lebende entfällt (vgl. auch Kapitel 5 <strong>in</strong> diesem Band). Dreigenerationenhaushalte<br />

h<strong>in</strong>gegen spielen nur e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle <strong>und</strong> treten auch <strong>in</strong> ausländischen<br />

Haushalten nur unwesentlich öfter auf als <strong>in</strong> deutschen. Bei der nach ausgewählten<br />

Staatsangehörigkeitsgruppen differenzierten Betrachtung fallen die Menschen türkischer Herkunft<br />

auf: sie leben besonders häufig <strong>in</strong> Zweigenerationenhaushalten mit m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>em<br />

K<strong>in</strong>d. Dafür ist der Anteil der Alle<strong>in</strong>lebenden hier besonders ger<strong>in</strong>g.<br />

10.6.3 Wohnentfernung<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n dieses Kapitels wurde die Frage aufgeworfen, <strong>in</strong>wieweit sich die Familiennetzwerke<br />

ausländischer Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte von den gleichaltrigen Deutschen unterscheiden.<br />

Die geographische Entfernung ist Teil der Opportunitätsstruktur von Generationenbeziehungen.<br />

Sie bestimmt <strong>in</strong> zentraler Weise die Möglichkeiten der Interaktion <strong>und</strong> damit die<br />

anderen Dimensionen <strong>in</strong>tergenerationaler Beziehungen. Obwohl dank moderner Kommunikationsmedien<br />

die Aufrechterhaltung der Familienbeziehungen nicht mehr ausschließlich an den<br />

persönlichen Kontakt geknüpft ist, korreliert doch e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Wohnentfernung mit <strong>in</strong>tensiveren<br />

Beziehungen <strong>und</strong> erhöht die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit sozialer Unterstützung (Lauterbach, 2001;<br />

Marbach, 1994). Auf der Basis des Alterssurveys kann die Wohnentfernung zwischen Eltern<br />

<strong>und</strong> K<strong>in</strong>dern analysiert werden. Die Befragten können sich dabei <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Doppelrolle bef<strong>in</strong>den<br />

– e<strong>in</strong>mal als Eltern erwachsener K<strong>in</strong>der, zum anderen im Verhältnis zu ihren eigenen Eltern. Die<br />

zentrale Frage lautet hier, ob ausländische Staatsangehörige durch e<strong>in</strong>e vergleichbare oder ger<strong>in</strong>gere<br />

Wohnentfernung zu dem am nächsten wohnenden K<strong>in</strong>d bzw. Elternteil über ähnliche<br />

oder größere Möglichkeiten der direkten Kommunikation verfügen wie Deutsche. Von besonderem<br />

Interesse ist dabei, welchen Anteil transnationale Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktionen haben. Tabelle<br />

10.9 enthält die Wohnentfernungen von erwachsenen K<strong>in</strong>dern zu ihren Eltern e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> die<br />

der befragten Eltern zu ihren K<strong>in</strong>dern andererseits.<br />

Transnationale soziale Beziehungen zeigen sich <strong>in</strong> besonders großem Ausmaß bei den Eltern<br />

der hier untersuchten nichtdeutschen Staatsangehörigen. Sowohl Deutsche als auch Ausländer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Ausländer leben eher selten mit ihren Eltern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haushalt. Während aber 85<br />

Prozent der deutschen Eltern maximal <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Ort leben, der <strong>in</strong>nerhalb von 2 St<strong>und</strong>en<br />

zu erreichen ist, leben drei Viertel der ausländischen Eltern im Ausland. Dieser Anteil ist bei<br />

den Staatsangehörigen aus dem ehemaligen Jugoslawien mit 96 Prozent am höchsten, gefolgt<br />

von italienischen (81 Prozent) <strong>und</strong> türkischen Staatsangehörigen (73 Prozent). Dies kann mit<br />

dem Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> erklärt werden. Bei den hier <strong>in</strong>teressierenden 40-85-Jährigen nichtdeutschen<br />

Staatsangehörigen handelt es sich vorwiegend um Migranten <strong>und</strong> Migrant<strong>in</strong>nen der<br />

ersten Generation, die ihre Eltern im Herkunftsland zurückließen. Im Fall von Angehörigen der<br />

zweiten Generation kann es sich um Eltern handeln, die zurückgekehrt s<strong>in</strong>d. Inwiefern transnationale<br />

Pendler berücksichtigt werden – e<strong>in</strong> Phänomen, das unter Arbeitsmigranten im Ruhestand<br />

zunehmend zu beobachten ist – kann anhand der Alterssurvey-Daten nicht festgestellt<br />

werden. Es ist zu vermuten, dass die transnationale Familienorganisation weitere Aspekte von<br />

Generationenbeziehungen <strong>und</strong> die Struktur des sozialen Netzwerks <strong>in</strong>sgesamt bee<strong>in</strong>flusst. Bei<br />

den Deutschen beträgt der Anteil der im Ausland lebenden Eltern lediglich knapp 2 Prozent.<br />

481


Tabelle 10.9:<br />

Wohnentfernung zum nächstwohnenden Elternteil bzw. K<strong>in</strong>d (<strong>in</strong> Prozent)<br />

Wohnentf. zu Eltern:<br />

Gleiches Haus/Haushalt<br />

Nachbarschaft<br />

Gleicher Ort<br />

And. Ort, max. 2 Std.<br />

Weiter entfernt, <strong>in</strong> D<br />

Ausland<br />

Wohnentf. zu K<strong>in</strong>dern:<br />

Gleiches Haus/Haushalt<br />

Nachbarschaft<br />

Gleicher Ort<br />

And. Ort, max. 2 Std.<br />

Weiter entfernt, <strong>in</strong> D.<br />

Ausland<br />

482<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

Gesamt 40-54 Jahre 55-69 Jahre 70-85 Jahre<br />

ND D ND D ND D ND D<br />

3,9<br />

3,1<br />

8,9<br />

8,1<br />

3,5<br />

72,6<br />

54,7<br />

9,7<br />

13,8<br />

10,2<br />

4,1<br />

7,5<br />

10,8<br />

13,0<br />

26,1<br />

35,0<br />

13,1<br />

1,9<br />

39,7<br />

12,2<br />

20,1<br />

20,8<br />

6,2<br />

1,0<br />

3,3<br />

3,3<br />

9,8<br />

8,9<br />

3,7<br />

71,0<br />

69,5<br />

3,1<br />

12,8<br />

7,1<br />

2,2<br />

5,3<br />

10,4<br />

12,7<br />

25,7<br />

35,8<br />

13,1<br />

2,3<br />

67,5<br />

4,9<br />

9,4<br />

13,2<br />

4,4<br />

0,7<br />

6,8<br />

2,3<br />

4,5<br />

4,5<br />

2,3<br />

79,5<br />

40,4<br />

15,9<br />

14,6<br />

15,2<br />

4,6<br />

9,3<br />

12,9<br />

14,8<br />

27,6<br />

31,0<br />

13,8<br />

-<br />

27,3<br />

14,3<br />

23,8<br />

26,1<br />

7,7<br />

0,8<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe, (n= 2464), gewichtet; Ausländerstichprobe (n= 413),<br />

nicht gewichtet.<br />

/<br />

/<br />

/<br />

/<br />

/<br />

/<br />

22,2<br />

25,0<br />

16,7<br />

8,3<br />

13,9<br />

13,9<br />

/<br />

/<br />

/<br />

/<br />

/<br />

/<br />

22,2<br />

18,9<br />

28,7<br />

22,4<br />

6,2<br />

1,5<br />

Die Daten zur Wohnentfernung zu K<strong>in</strong>dern zeigen zunächst den oben bereits erwähnten Bef<strong>und</strong>,<br />

dass Ausländer häufiger mit m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d zusammen im gleichen Haushalt leben als<br />

Deutsche (54,7 gegenüber 39,7 Prozent). Wenn auch die Anteile der Deutschen mit m<strong>in</strong>destens<br />

e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Nachbarschaft bzw. im gleichen Ort größer s<strong>in</strong>d als bei den Nichtdeutschen,<br />

verfügen mit 78 Prozent immer noch mehr nichtdeutsche Staatsangehörige als deutsche (72<br />

Prozent) über K<strong>in</strong>der vor Ort. In den Altersgruppen unterscheiden sich die Anteile <strong>in</strong> der Koresidenz<br />

mit K<strong>in</strong>dern kaum. Offensichtlich handelt es sich hier um e<strong>in</strong>en Alterseffekt vor dem<br />

H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der jüngeren Altersstruktur der Ausländer. Unterschiede zwischen Deutschen <strong>und</strong><br />

Ausländern bleiben jedoch im H<strong>in</strong>blick auf die weitere Wohnentfernung bedeutsam. Als problematisch<br />

h<strong>in</strong>sichtlich der Voraussetzungen für häufige direkte Kontakte <strong>und</strong> Hilfeleistungen ist<br />

die Lage der Personen e<strong>in</strong>zuschätzen, deren K<strong>in</strong>der weiter weg, d.h. mehr als zwei St<strong>und</strong>en<br />

entfernt, leben. Dies s<strong>in</strong>d bei den Deutschen 7 Prozent <strong>und</strong> bei den Ausländern knapp 12 Prozent.<br />

Bei den 55 bis 85-jährigen Ausländern beträgt der Anteil sogar 28 Prozent. Im Fall der im<br />

Ausland lebenden K<strong>in</strong>der handelt es sich entweder um Personen, die ohne ihre K<strong>in</strong>der nach<br />

Deutschland immigriert s<strong>in</strong>d, oder um Eltern remigrierter K<strong>in</strong>der. Da nicht spezifiziert wurde,<br />

ob mit „Ausland“ das Herkunftsland der befragten Person geme<strong>in</strong>t ist, kann es sich auch um<br />

andere Arten von Auslandsaufenthalten handeln. S<strong>in</strong>d diese dauerhaft, so fehlt den Eltern e<strong>in</strong><br />

zentrales Unterstützungspotenzial, das zur Vermeidung von Notlagen durch andere verwandtschaftliche<br />

oder professionelle Hilfe kompensiert werden muss.


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

10.6.4 Kontakthäufigkeit<br />

Die Kontakthäufigkeit stellt e<strong>in</strong>e weitere wichtige Dimension von Generationenbeziehungen<br />

dar, die verschiedene Formen von geme<strong>in</strong>samen Aktivitäten umfasst. Hier wurde erfragt, wie<br />

häufig man mite<strong>in</strong>ander Kontakt hat, beispielsweise durch Besuche, Briefe oder Telefonate.<br />

Neben der <strong>in</strong>sgesamt ger<strong>in</strong>gen Wohnentfernung zu den K<strong>in</strong>dern unterstreichen die Daten zur<br />

Kontakthäufigkeit das Bild der regen Generationenbeziehungen. In Tabelle 10.10 wurde jeweils<br />

die Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung mit dem häufigsten Kontakt dargestellt. Von den 70- bis 85-Jährigen<br />

hatten nur noch sieben Deutsche <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e nichtdeutsche Person noch lebende Eltern, so dass<br />

aufgr<strong>und</strong> der ger<strong>in</strong>gen Fallzahl auf e<strong>in</strong>e Darstellung verzichtet wurde.<br />

Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen unterscheiden sich <strong>in</strong> ihrer Kontakthäufigkeit zu ihren Eltern<br />

erheblich von Deutschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte. Während die Mehrheit der Deutschen<br />

zum<strong>in</strong>dest wöchentlich mit den Eltern <strong>in</strong> Kontakt steht, ist dies bei Nichtdeutschen deutlich<br />

weniger häufig der Fall. Das liegt <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie daran, dass e<strong>in</strong> großer Teil der ausländischen<br />

Eltern im Herkunftsland lebt. E<strong>in</strong>e regelmäßige Kommunikation ist also nur e<strong>in</strong>geschränkt möglich.<br />

Dies gilt für alle Altersgruppen. Auch die Kontakthäufigkeit zu den K<strong>in</strong>dern unterscheidet<br />

sich zwischen Nichtdeutschen <strong>und</strong> Deutschen. Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer stehen durchschnittlich<br />

häufiger mit ihren K<strong>in</strong>dern im Kontakt. Dabei tritt dieser Unterschied vor allem <strong>in</strong><br />

der mittleren <strong>und</strong> der ältesten Altersgruppe auf, <strong>in</strong> der jüngsten ist die Kontakthäufigkeit für<br />

beide Bevölkerungsgruppen ähnlich.<br />

Tabelle 10.10:<br />

Kontakthäufigkeit zwischen Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dern (<strong>in</strong> Prozent)<br />

Kontakt zu Eltern:<br />

Täglich<br />

Mehrmals pro Woche<br />

E<strong>in</strong>mal pro Woche<br />

1 bis 3mal im Monat<br />

Mehrmals im Jahr<br />

Seltener<br />

Nie<br />

Kontakt zu K<strong>in</strong>dern:<br />

Täglich<br />

Mehrmals pro Woche<br />

E<strong>in</strong>mal pro Woche<br />

1 bis 3mal im Monat<br />

Mehrmals im Jahr<br />

Seltener<br />

Nie<br />

Gesamt 40-54 Jahre 55-69 Jahre 70-85 Jahre<br />

ND D ND D ND D ND D<br />

8,3<br />

15,8<br />

28,9<br />

24,8<br />

10,5<br />

10,2<br />

1,5<br />

65,6<br />

16,9<br />

7,5<br />

5,3<br />

3,4<br />

1,2<br />

0,2<br />

24,4<br />

31,4<br />

23,6<br />

13,0<br />

5,0<br />

0,7<br />

-<br />

52,4<br />

26,9<br />

11,3<br />

5,3<br />

2,2<br />

0,8<br />

1,1<br />

7,7<br />

16,4<br />

29,1<br />

24,1<br />

10,0<br />

10,9<br />

1,8<br />

75,4<br />

11,4<br />

5,3<br />

3,1<br />

2,6<br />

1,8<br />

0,4<br />

21,8<br />

32,6<br />

24,2<br />

13,9<br />

4,6<br />

0,9<br />

1,9<br />

72,8<br />

14,3<br />

6,0<br />

3,5<br />

1,4<br />

0,6<br />

1,5<br />

11,1<br />

13,3<br />

26,7<br />

28,9<br />

13,3<br />

6,7<br />

-<br />

53,6<br />

23,8<br />

9,3<br />

8,6<br />

4,0<br />

0,7<br />

-<br />

34,5<br />

26,8<br />

21,4<br />

9,1<br />

6,8<br />

-<br />

1,4<br />

41,8<br />

33,9<br />

14,3<br />

5,2<br />

2,4<br />

1,1<br />

1,2<br />

/<br />

/<br />

/<br />

/<br />

/<br />

/<br />

/<br />

52,8<br />

22,2<br />

13,9<br />

5,6<br />

5,6<br />

-<br />

-<br />

/<br />

/<br />

/<br />

/<br />

/<br />

/<br />

/<br />

42,3<br />

32,5<br />

13,6<br />

7,9<br />

2,9<br />

0,5<br />

0,3<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe, (n= 2480), gewichtet; Ausländerstichprobe (n= 305), nicht gewichtet.<br />

483


10.6.5 Enge der Beziehung<br />

484<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

Im Folgenden wird die subjektive E<strong>in</strong>schätzung der emotionalen Enge der Beziehung untersucht.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich ist dabei zu berücksichtigen, dass es nicht um e<strong>in</strong>e Beziehungsbewertung<br />

nach den Kriterien gut/schlecht geht. Häufig s<strong>in</strong>d nämlich gerade enge Beziehungen nicht ausschließlich<br />

positiv, sondern auch konfliktbeladen, <strong>und</strong> werden <strong>in</strong>sgesamt beispielsweise ambivalent<br />

erlebt (vgl. Lüscher & Pillemer, 1996; 1998; Lüscher, 2000). Außerdem ist bei dieser subjektiven<br />

Variable e<strong>in</strong> möglicherweise kulturspezifisches Antwortverhalten zu berücksichtigen.<br />

Insgesamt zeigt sich zwischen Deutschen <strong>und</strong> Ausländern bzw. Ausländer<strong>in</strong>nen erneut e<strong>in</strong> erstaunlich<br />

e<strong>in</strong>heitliches Bild (vgl. Tabelle 10.11 unten).<br />

Tabelle 10.11:<br />

Verb<strong>und</strong>enheit zwischen K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Eltern (<strong>in</strong> Prozent)<br />

Verb<strong>und</strong>enh. mit Eltern<br />

Sehr eng<br />

Eng<br />

Mittel<br />

Weniger eng<br />

Überhaupt nicht eng<br />

Verb<strong>und</strong>enh. zu K<strong>in</strong>dern:<br />

Sehr eng<br />

Eng<br />

Mittel<br />

Weniger eng<br />

Überhaupt nicht eng<br />

Gesamt 40-54 Jahre 55-69 Jahre 70-85 Jahre<br />

ND D ND D ND D ND D<br />

43,9<br />

38,4<br />

12,9<br />

2,7<br />

2,0<br />

71,7<br />

22,3<br />

4,1<br />

1,5<br />

0,5<br />

38,6<br />

40,8<br />

14,9<br />

3,8<br />

1,9<br />

66,5<br />

27,8<br />

4,0<br />

0,8<br />

0,8<br />

41,2<br />

39,3<br />

14,2<br />

2,8<br />

2,4<br />

75,7<br />

18,6<br />

3,5<br />

1,3<br />

0,9<br />

37,8<br />

42,1<br />

14,6<br />

3,6<br />

1,9<br />

75,2<br />

19,4<br />

3,5<br />

1,1<br />

0,7<br />

55,8<br />

34,9<br />

7,0<br />

2,3<br />

-<br />

66,9<br />

26,5<br />

4,6<br />

2,0<br />

-<br />

41,7<br />

36,0<br />

16,6<br />

3,8<br />

1,9<br />

61,5<br />

32,3<br />

4,2<br />

0,8<br />

1,1<br />

/<br />

/<br />

/<br />

/<br />

/<br />

66,7<br />

27,8<br />

5,6<br />

-<br />

-<br />

/<br />

/<br />

/<br />

/<br />

/<br />

62,8<br />

31,8<br />

4,3<br />

0,5<br />

0,5<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe (n= 2363), gewichtet; Ausländerstichprobe (n= 413), ungewichtet.<br />

Der Anteil der sehr engen Beziehungen zu den K<strong>in</strong>dern ist unter den ausländischen Staatsangehörigen<br />

etwas höher. Zu den K<strong>in</strong>dern bestehen also <strong>in</strong> beiden Gruppen ganz überwiegend nicht<br />

nur regelmäßig häufige Kontakte, sondern auch enge emotionale Beziehungen. Auffällig ist der<br />

Unterschied zur Beurteilung der Elternbeziehungen, der sowohl bei den Deutschen als auch bei<br />

den Ausländern <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen der „Intergenerational Stake“ -Hypothese entspricht (vgl.<br />

Giarusso, Stall<strong>in</strong>gs, & Bengtson, 1995), nach der Eltern <strong>in</strong> der Regel von engeren Beziehungen<br />

zu ihren K<strong>in</strong>dern berichten als diese umgekehrt zu ihnen. Dabei s<strong>in</strong>d die Beziehungen der Ausländer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Ausländer zu ihren Eltern – entgegen den Erwartungen angesichts der ger<strong>in</strong>geren<br />

Kontakthäufigkeit – noch enger als bei den Deutschen. Es gibt offensichtlich e<strong>in</strong>ige Fälle,<br />

die trotz relativ seltenen Kontakts zu den Eltern die Beziehung als eng bewerten. Die Transnationalität<br />

der Familie hat also E<strong>in</strong>fluss auf die Kontakthäufigkeit, nicht aber auf das Gefühl der<br />

Verb<strong>und</strong>enheit.


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

10.7 Soziale Unterstützung<br />

In der öffentlichen Diskussion der Folgen des demografischen <strong>Wandel</strong>s wird immer wieder die<br />

Sorge geäußert, dass die abnehmende K<strong>in</strong>derzahl <strong>in</strong> deutschen Familien bei gleichzeitiger Zunahme<br />

der Anzahl hochaltriger Personen <strong>in</strong> Zukunft zu e<strong>in</strong>er Überlastung familialer Unterstützungsnetzwerke<br />

führen wird. Noch leben <strong>in</strong> ausländischen Familien mehr K<strong>in</strong>der als <strong>in</strong> deutschen.<br />

Wie jedoch e<strong>in</strong>gangs festgestellt wurde, bef<strong>in</strong>det sich die ausländische Bevölkerungsgruppe<br />

<strong>in</strong> Deutschland auf dem besten Wege, den Altersstrukturwandel <strong>in</strong> verschärftem Tempo<br />

nachzuholen. Es stellt sich die Frage, ob sich daraus für nichtdeutsche Familien die gleichen<br />

Probleme ergeben wie für die deutschen.<br />

Daneben ist zu fragen, ob sich die Rollenverteilung <strong>in</strong>nerhalb des sozialen Unterstützungsnetzwerks<br />

bei Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländern von jener der Deutschen unterscheidet. Ausgangspunkt<br />

ist das nach wie vor gängige Altersbild der hilfebedürftigen Alten, die auf Unterstützung<br />

ihrer K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> anderer Familienangehöriger angewiesen s<strong>in</strong>d. Für die deutsche Bevölkerung<br />

haben gerade die Autoren der ersten Welle des Alterssurveys den Nachweis erbracht, dass gerade<br />

die Älteren ganz entscheidende Hilfen für die Jüngeren bereitstellen, sei es durch Betreuung<br />

ihrer Enkel oder sei es durch die Gewährung f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung (z. B.Kohli et al., 2000;<br />

Künem<strong>und</strong> & Hollste<strong>in</strong>, 2000; Motel & Szydlik, 1999; Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel, 2000). Die Ausweitung<br />

der Datenbasis um e<strong>in</strong>e separate Stichprobe für die ausländische Bevölkerung <strong>in</strong> Deutschland<br />

bietet erweiterte Möglichkeiten zur Beschreibung des Austauschs von sozialer Unterstützung.<br />

10.7.1 Unterstützungspotenziale <strong>und</strong> Unterstützungspersonen<br />

Nach der Untersuchung zentraler Beziehungsparameter <strong>in</strong>tergenerationaler familialer Beziehungen<br />

im vorangegangenen Unterkapitel, stehen nun die sozialen Unterstützungsbeziehungen im<br />

Zentrum der Aufmerksamkeit. Das Geben von Hilfe verb<strong>in</strong>det sich mit dem Gefühl, gebraucht<br />

zu werden, <strong>und</strong> erhöht das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den. Die Existenz von Unterstützungsnetzwerken<br />

stellt e<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag zur Lebensqualität dar (Künem<strong>und</strong> & Hollste<strong>in</strong>, 2000). So<br />

kann beispielsweise familiäre Unterstützung <strong>und</strong> Zuwendung die Aufrechterhaltung e<strong>in</strong>er<br />

selbstständigen Lebensführung <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Leben im vertrauten Umfeld ermöglichen. Dabei s<strong>in</strong>d<br />

Ältere gr<strong>und</strong>sätzlich nicht nur Empfänger von Unterstützungsleistungen, sondern leisten selbst<br />

auch Unterstützung. Auf Gr<strong>und</strong>lage der Daten des Alterssurveys konnte der Nachweis erbracht<br />

werden, dass Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte tatsächlich mehr Unterstützung leisten als<br />

sie im Gegenzug erhalten (Kohli et al., 2000; vgl. auch Kapitel 5 im vorliegenden Bericht). Natürlich<br />

beziehen sich diese Ergebnisse nur auf die deutsche Wohnbevölkerung. Es stellt sich nun<br />

also die Frage, ob für die ausländische Bevölkerung <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong> ähnliches Muster festgestellt<br />

werden kann.<br />

Im Alterssurvey werden vier Formen der Unterstützung unterschieden: kognitive, emotionale,<br />

<strong>in</strong>strumentelle <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzielle. Kognitive Unterstützung wird operationalisiert als Rat bei wichtigen<br />

persönlichen Entscheidungen, emotionale Unterstützung als Trost <strong>und</strong> Aufmunterung, z.B.<br />

bei Traurigkeit, <strong>in</strong>strumentelle Unterstützung als Hilfe im Haushalt, z.B. beim Saubermachen,<br />

485


486<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

bei kle<strong>in</strong>eren Reparaturen oder beim E<strong>in</strong>kaufen sowie f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung als Geld- <strong>und</strong><br />

größere Sachgeschenke oder regelmäßige f<strong>in</strong>anzielle Zuwendungen. Im folgenden wird die<br />

Darstellung zunächst auf die ersten drei Unterstützungstypen beschränkt. Abbildung 10.8 vergleicht<br />

das Nichtdeutschen <strong>und</strong> Deutschen zur Verfügung stehende Unterstützungspotenzial.<br />

Die l<strong>in</strong>ke Grafik benennt den Anteil der Befragten, die angaben, sich im Bedarfsfall an m<strong>in</strong>destens<br />

e<strong>in</strong>e konkrete Unterstützungsperson wenden zu können. Die rechte Grafik benennt die<br />

durchschnittliche Anzahl von potentiellen Helfern <strong>und</strong> Helfer<strong>in</strong>nen pro Unterstützungstyp.<br />

Abbildung 10.8:<br />

Anteil der Personen, die über potentielle Unterstützung verfügen <strong>und</strong> durchschnittliche Zahl<br />

der genannten potentiellen Unterstützungspersonen<br />

Mittelwert<br />

2,5<br />

2<br />

1,5<br />

1<br />

0,5<br />

0<br />

kognitiv emotional<br />

Staatsangehörigkeit<br />

<strong>in</strong>strumentell<br />

Nichtdeutsche Deutsche<br />

Prozent<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

kognitiv emotional<br />

Staatsangehörigkeit<br />

<strong>in</strong>strumentell<br />

Nichtdeutsche Deutsche<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe (n= 3084), gewichtet, Ausländerstichprobe (n= 586), ungewichtet.<br />

Beim Blick auf den Anteil der verfügbaren Helfer je Unterstützungstyp fällt auf, dass sich die<br />

Unterstützungspotenziale von Deutschen <strong>und</strong> Nichtdeutschen kaum unterscheiden. Lediglich<br />

bei <strong>in</strong>strumenteller Unterstützung ist der Anteil der Deutschen größer, welcher das Vorhandense<strong>in</strong><br />

potentieller Haushaltshelfer, die nicht selbst im Haushalt leben, benennt. Angesichts der<br />

Tatsache, dass die ausländische Bevölkerungsgruppe noch deutlich häufiger mit K<strong>in</strong>dern zusammenlebt<br />

als die gleichaltrigen Deutschen, ergibt sich daraus e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Notwendigkeit,<br />

<strong>in</strong>strumentelle Hilfen von außerhalb des Haushalts e<strong>in</strong>zuholen.<br />

Unterschiede zwischen Nichtdeutschen <strong>und</strong> Deutschen f<strong>in</strong>den sich im H<strong>in</strong>blick auf die mittlere<br />

Zahl der genannten Unterstützungspersonen 8 . Wenn Deutsche Rat gebende Personen nennen,<br />

dann s<strong>in</strong>d dies durchschnittlich mehr als bei Ausländern <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen. Deutsche Frauen<br />

nennen durchschnittlich mehr Personen als deutsche Männer, bei den Nichtdeutschen gibt es<br />

ke<strong>in</strong>en Geschlechterunterschied. Auch das Alter spielt wiederum nur bei den Deutschen e<strong>in</strong>e<br />

Rolle: Jüngere nennen durchschnittlich mehr Personen.<br />

Im Gegensatz zum kognitiven Unterstützungspotenzial ist der Unterschied <strong>in</strong> der mittleren Personenzahl<br />

beim emotionalen Unterstützungspotenzial zwischen Deutschen <strong>und</strong> Ausländern<br />

8 Es konnten fünf Personen aufgeführt werden, sowie die Angabe ob mehr als fünf Personen genannt wurden. Dies<br />

wurde mit sechs codiert. Insofern handelt es sich um e<strong>in</strong>e eher konservative Schätzung. Die Mittelwerte beziehen<br />

sich hier auf die Personen, die m<strong>in</strong>d. e<strong>in</strong>e Unterstützungsperson angeben.


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

nicht statistisch signifikant. Jedoch f<strong>in</strong>det sich auch hier der oben beschriebene Alterseffekt für<br />

die Deutschen. Die Geschlechtsunterschiede s<strong>in</strong>d hier sowohl bei Deutschen als auch bei Nichtdeutschen<br />

bedeutsam.<br />

Bei dem <strong>in</strong>sgesamt ger<strong>in</strong>gen Unterstützungspotenzial <strong>und</strong> dem signifikanten Unterschied zwischen<br />

der deutschen <strong>und</strong> der nichtdeutschen Bevölkerungsgruppe im Erhalt <strong>in</strong>strumenteller Hilfe<br />

ist zu berücksichtigen, dass nur nach Unterstützungspersonen außerhalb des Haushalts gefragt<br />

wurde. Demnach können mehr Deutsche auf <strong>in</strong>strumentelle Unterstützung von Personen<br />

außerhalb des Haushalts zurückgreifen. Angesichts des höheren Anteils an Zweigenerationenhaushalten<br />

mit K<strong>in</strong>dern unter den Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländern ersche<strong>in</strong>t es aber nicht unwahrsche<strong>in</strong>lich,<br />

dass Nichtdeutsche <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gerem Maße auf <strong>in</strong>strumentelle Unterstützung von<br />

außerhalb des Haushalts angewiesen s<strong>in</strong>d. Wie die Analysen <strong>in</strong> Kapitel 5 des vorliegenden Berichtsbandes<br />

gezeigt haben, werden zudem Haushaltshilfen vor allem von 70- bis 85-Jährigen<br />

benötigt. Diese Altersgruppe ist jedoch bei den Nichtdeutschen klar unterrepräsentiert, so dass<br />

die Notwendigkeit dieser Form von Unterstützung nicht <strong>in</strong> demselben Umfang gegeben ist wie<br />

unter Deutschen.<br />

Während bisher nur die Personen betrachtet wurden, die überhaupt potentielle Helfer <strong>und</strong> Helfer<strong>in</strong>nen<br />

genannt hatten, wenden wir uns nun denjenigen zu, die über ke<strong>in</strong> Unterstützungspotenzial<br />

verfügen. In beiden Bevölkerungsgruppen hatte etwa e<strong>in</strong> Zehntel ke<strong>in</strong>en Zugang zu potentiellen<br />

Helfer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Helfern. Dabei war das Fehlen von kognitiven <strong>und</strong> emotionalen Hilfspersonen<br />

bei älteren Deutschen stärker ausgeprägt als bei jüngeren. Bei den Ausländern <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen<br />

gibt es h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong>en klaren Geschlechtseffekt bei kognitiver <strong>und</strong> <strong>in</strong>strumenteller<br />

Unterstützung, aber ke<strong>in</strong>en Alterseffekt.<br />

Im folgenden wird exemplarisch am Beispiel kognitiver Unterstützung e<strong>in</strong> differenzierterer<br />

Blick auf das Unterstützungspotenzial e<strong>in</strong>zelner Nationalitätengruppen geworfen. Gibt es Unterschiede<br />

<strong>in</strong> der Häufigkeit der Nennung von potentiellen Helfer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Helfern nach Nationalität?<br />

E<strong>in</strong> guter Rat <strong>in</strong> schwierigen persönlichen Entscheidungssituationen setzt Wissen <strong>und</strong><br />

Erfahrung der Rat gebenden Person ebenso voraus wie e<strong>in</strong>e gewisse Vertrauensbasis zwischen<br />

Hilfesuchenden <strong>und</strong> Hilfeleistenden. In Tabelle 10.12 werden die kognitiven Unterstützungspotenziale<br />

von Menschen türkischer, ex-jugoslawischer <strong>und</strong> italienischer Staatsbürgerschaft verglichen.<br />

Die zentrale Unterstützungsperson im Fall von wichtigen persönlichen Entscheidungen ist sowohl<br />

für Deutsche als auch für Nichtdeutsche der Lebenspartner oder die Lebenspartner<strong>in</strong>.<br />

Demgegenüber spielen K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e deutliche ger<strong>in</strong>gere Rolle, werden aber auch <strong>in</strong> dieser spezifischen<br />

Dimension sozialer Unterstützung noch vor Fre<strong>und</strong>en am zweithäufigsten genannt.<br />

Eltern haben wiederum e<strong>in</strong>e größere Bedeutung für Deutsche als für Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen,<br />

während weitere Verwandte <strong>in</strong> beiden Bevölkerungsgruppen nur selten genannt werden.<br />

Bei den türkischen Staatsangehörigen zeigt sich jedoch e<strong>in</strong> davon abweichendes Muster. Der<br />

Partner bzw. die Partner<strong>in</strong> wird zwar am häufigsten als Unterstützungsperson angeführt, aber<br />

deutlich seltener als von den Deutschen <strong>und</strong> den Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländern <strong>in</strong>sgesamt.<br />

Dafür spielen K<strong>in</strong>der tendenziell e<strong>in</strong>e größere Rolle. Eltern, Geschwister <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e werden<br />

h<strong>in</strong>gegen seltener genannt. Die kognitiven Unterstützungspotenziale von Menschen aus dem<br />

487


488<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

früheren Jugoslawien <strong>und</strong> aus Italien ähneln <strong>in</strong> starkem Maße den <strong>in</strong> der deutschen Bevölkerung<br />

verbreiteten Mustern. So messen jugoslawische Staatsangehörige Fre<strong>und</strong>en im Fall von kognitiver<br />

Hilfe e<strong>in</strong>e ähnlich zentrale Rolle wie K<strong>in</strong>dern bei, während für Italiener <strong>und</strong> Italiener<strong>in</strong>nen<br />

neben der eigenen Kernfamilie <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en auch die Herkunftsfamilie vergleichsweise bedeutsam<br />

ist.<br />

Tabelle 10.12:<br />

Häufigkeit der Nennung von potentiellen Ratgebern (<strong>in</strong> Prozent)<br />

Deutsche Nichtdeutsche Türken Jugoslawen Italiener<br />

Partner 65,2 65,4 58,9 64,2 57,4<br />

K<strong>in</strong>der 29,2 27,1 43,2** 26,9 27,7<br />

Eltern 9,1 5,1** 3,2* 6,0 8,5<br />

Geschwister<br />

14,0 13,5<br />

6,3* 9,0 12,8<br />

And. Verw. 8,5 7,0 3,2 7,5 6,4<br />

Fre<strong>und</strong>e 23,5 20,3 9,5** 28,4 19,1<br />

Nachbarn/Kolleg. 3,2 3,4 1,1 1,5 4,3<br />

And. Pers. 3,7 2,4 2,1 3,0 4,3<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe, (n= 3084), gewichtet, Ausländerstichprobe (n= 586), ungewichtet.<br />

Signifikanztests beziehen sich auf Vergleiche zwischen Deutschen <strong>und</strong> Nichtdeutschen bzw. Deutschen <strong>und</strong> Personen<br />

mit der jeweiligen Staatsangehörigkeit: ** p


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

Tabelle 10.13:<br />

Transfers <strong>und</strong> Hilfen von <strong>und</strong> an 40 bis 54-Jährige (<strong>in</strong> Prozent)<br />

F<strong>in</strong>anzielle Transfers Instrumentelle Hilfen<br />

ND D sig. ND D sig.<br />

von Eltern 4,4 9,2 ** 2,2 6,3 *<br />

an Eltern 15,7 2,9 ** 6,2 24,1 **<br />

von K<strong>in</strong>dern 1,4 0,9 n.s. 3,7 4,4 n.s.<br />

an K<strong>in</strong>der 18,0 22,9 n.s. 3,7 2,9 n.s.<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe (n= 1043), gewichtet, Ausländerstichprobe (n= 295), ungewichtet.<br />

Personen mit (Schwieger-)Eltern bzw. erwachsenen K<strong>in</strong>dern außerhalb des Haushalts.<br />

Die Daten für die mittlere Generation bestätigen das für die Deutschen aus der ersten Welle des<br />

Alterssurveys bekannte Muster, wonach f<strong>in</strong>anzielle Transfers vorrangig von der älteren an die<br />

jüngere Generation geleistet werden, während umgekehrt häufiger Mitglieder der jüngeren Generation<br />

<strong>in</strong>strumentelle Hilfe an Mitglieder der älteren Generationen leisten (Kohli et al., 2000).<br />

Interessant ist, dass dieses Muster für Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen nicht gilt. Zwar geben mit<br />

18 Prozent auch Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer weitaus häufiger f<strong>in</strong>anzielle Transfers an ihre<br />

K<strong>in</strong>der als sie von ihnen erhalten (1,4 Prozent). Deutlich mehr Menschen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit<br />

unterstützen jedoch auch ihre Eltern f<strong>in</strong>anziell (16 Prozent). Das liegt daran, dass<br />

die große Mehrheit der Eltern ausländischer Befragter im Ausland lebt (vgl. Abschnitt 10.6.3<br />

zur Wohnentfernung). Dieses Ergebnis ist e<strong>in</strong> Beleg dafür, dass Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

ihre Angehörigen im Herkunftsland noch lange f<strong>in</strong>anziell unterstützen.<br />

Damit bef<strong>in</strong>den sich Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen der mittleren Generation also im Vergleich<br />

zu gleichaltrigen Deutschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er besonders belastenden Gebersituation, ohne selbst nennenswert<br />

(<strong>in</strong>strumentelle) Unterstützung zu erhalten. Instrumentelle Unterstützung setzt relative<br />

räumliche Nähe voraus, die <strong>in</strong> transnationalen Familienzusammenhängen nicht gegeben ist.<br />

Eltern, die im ökonomisch schlechter gestellten Herkunftsland leben oder dorth<strong>in</strong> zurückgekehrt<br />

s<strong>in</strong>d, werden von ihren K<strong>in</strong>dern f<strong>in</strong>anziell unterstützt. Diese transnationalen Rücküberweisungen<br />

s<strong>in</strong>d vor allem im Zusammenhang von Arbeitsmigration nicht nur Teil des oftmals familiären<br />

Migrationsprojekts, sie kompensieren teilweise auch die <strong>in</strong>strumentelle Hilfe, die aufgr<strong>und</strong><br />

der räumlichen Trennung nicht oder nur selten möglich ist.<br />

Im Folgenden werden die mittlere <strong>und</strong> die ältere Altersgruppe des Alterssurveys zusammengefasst,<br />

um nicht nur die Austauschbeziehungen zwischen Eltern <strong>und</strong> erwachsenen K<strong>in</strong>dern, sondern<br />

auch die zwischen Großeltern <strong>und</strong> Enkeln untersuchen zu können. Dies setzt die gleichzeitige<br />

Betrachtung beider Altersgruppen voraus. Erst bei den 70- bis 85-jährigen Befragten treten<br />

Enkel <strong>in</strong> ausreichender Anzahl auf, um diese Austauschbeziehungen untersuchen zu können.<br />

Die <strong>in</strong> Tabelle 10.13 beschriebenen Muster des Austauschs f<strong>in</strong>anzieller <strong>und</strong> <strong>in</strong>strumenteller<br />

Unterstützung zwischen Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dern f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> ähnlicher Weise auch bei den 55- bis<br />

85-Jährigen (vgl. Tabelle 10.14 unten).<br />

489


Tabelle 10.14:<br />

Transfers <strong>und</strong> Hilfen von <strong>und</strong> an 55 bis 85-Jährige<br />

490<br />

F<strong>in</strong>anzielle Transfers Instrumentelle Hilfen<br />

ND D sig. ND D sig.<br />

von Eltern - 4,3 * - 1,9 n.s.<br />

an Eltern 11,4 1,9 ** 8,0 17,6 n.s.<br />

von K<strong>in</strong>dern 4,5 1,9 * 10,1 13,0 n.s.<br />

an K<strong>in</strong>der 16,6 25,7 ** 6,0 7,5 n.s.<br />

von Enkeln - 0,3 n.s. - 1,2 n.s.<br />

an Enkel 12,8 16,2 n.s. - 0,3 n.s.<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

Quelle: Alterssurvey 2002, Replikationsstichprobe (n= 1582), gewichtet, Ausländerstichprobe (n= 199), ungewichtet.<br />

Personen mit Eltern, K<strong>in</strong>dern bzw. Enkeln außerhalb des Haushalts.<br />

F<strong>in</strong>anzielle Transfers von Seiten der Eltern s<strong>in</strong>d häufiger bei älteren Deutschen. Ausländer <strong>und</strong><br />

Ausländer<strong>in</strong>nen leisten <strong>in</strong> dieser Altersgruppe wiederum zu e<strong>in</strong>em bedeutsamen Teil f<strong>in</strong>anzielle<br />

Hilfe an ihre Eltern. Im Austausch <strong>in</strong>strumenteller Hilfen unterscheiden sich Ausländer <strong>und</strong><br />

Ausländer<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> Deutsche andererseits <strong>in</strong>teressanterweise nicht mehr. Auch im<br />

H<strong>in</strong>blick auf Unterstützungsaustausch mit eigenen K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Enkeln lässt sich anhand der<br />

Daten e<strong>in</strong> sehr ähnliches Muster bei deutschen <strong>und</strong> nichtdeutschen Älteren konstatieren. Es<br />

entspricht dem Bild, das oben bereits für die Deutschen beschrieben wurde: Die älteren Menschen<br />

<strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte s<strong>in</strong>d f<strong>in</strong>anziell <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Geber an beide jüngeren Generationen<br />

<strong>und</strong> im H<strong>in</strong>blick auf nichtmonetäre Hilfen vor allem Empfänger – allerd<strong>in</strong>gs fast ausschließlich<br />

seitens der K<strong>in</strong>dergeneration. Enkeln kommt hier nur e<strong>in</strong>e sehr marg<strong>in</strong>ale Rolle zu.<br />

Insgesamt zeigen die Daten des Alterssurvey, dass Ausländer <strong>in</strong>sgesamt <strong>in</strong> ähnlichem Maße<br />

sozial e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d wie Deutsche. Die Kernfamilie ist sowohl für Deutsche als auch für<br />

Ausländer zentraler sozialer Bezugspunkt. Der weitaus größte Teil verfügt ebenso wie der größte<br />

Teil der Deutschen über soziale Kontakte sowie potentielle Unterstützung <strong>und</strong> damit über<br />

e<strong>in</strong>e wichtige Voraussetzung für positive Lebensqualität <strong>und</strong> soziale Integration. E<strong>in</strong> Austausch<br />

<strong>und</strong> soziale Unterstützung zwischen den Generationen f<strong>in</strong>det statt.<br />

Das Niveau ist bei Ausländern fast durchgängig niedriger als bei Deutschen. Allerd<strong>in</strong>gs muss<br />

im H<strong>in</strong>blick auf <strong>in</strong>strumentelle Hilfe berücksichtigt werden, dass nur nach Personen außerhalb<br />

des Haushalts gefragt wurde. Insgesamt können die <strong>in</strong>tergenerationalen Beziehungen sowohl für<br />

Deutsche als auch für Nichtdeutsche als überwiegend räumlich nah, emotional eng, von häufigem<br />

Kontakt <strong>und</strong> ähnlichen Unterstützungsmustern geprägt, beschrieben werden. Bedeutsame<br />

Unterschiede zwischen den beiden Staatsangehörigkeitsgruppen f<strong>in</strong>den sich jedoch <strong>in</strong> den Beziehungen<br />

zu den Eltern. Sie s<strong>in</strong>d von der Tatsache bestimmt, dass e<strong>in</strong> Großteil der Eltern der<br />

Nichtdeutschen im Ausland lebt. Diese Beziehungen werden transnational gepflegt. Kennzeichnend<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere, aber immer noch überwiegend rege Kontakthäufigkeit <strong>und</strong> vergleichsweise<br />

häufige f<strong>in</strong>anzielle Transfers. Ausländer bewerten ihre Elternbeziehungen bei größerer<br />

räumlicher Entfernung <strong>und</strong> ger<strong>in</strong>gerer Kontakthäufigkeit <strong>in</strong>sgesamt enger als die Deutschen.<br />

Neben kulturellen Unterschieden trägt möglicherweise die größere Entfernung dazu bei.


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

10.8 Zusammenfassung <strong>und</strong> Implikationen<br />

10.8.1 Zusammenfassung<br />

Die Ausländerstichprobe des Alterssurveys bietet e<strong>in</strong>e Datenbasis für die Analyse zentraler<br />

Dimensionen der Lebenssituation von Menschen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit <strong>in</strong> der<br />

zweiten Lebenshälfte. In diesem Kapitel wurden zentrale Dimensionen der sozialen Lage im<br />

H<strong>in</strong>blick auf ihre Bedeutung für die Lebensqualität <strong>und</strong> den Grad der Teilhabe <strong>und</strong> Integration<br />

der älteren Ausländer betrachtet, mit e<strong>in</strong>em thematischen Schwerpunkt auf dem Aspekt der<br />

E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> Familienbeziehungen <strong>und</strong> Unterstützungsnetzwerke.<br />

Die Daten bestätigen die bisherigen Kenntnisse zur materiellen Lage älterer Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen.<br />

Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer verfügen im Durchschnitt über niedrigere E<strong>in</strong>kommen<br />

als gleichaltrige Deutsche. Dementsprechend s<strong>in</strong>d sie häufiger von Armut betroffen als<br />

Deutsche <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d seltener wohlhabend. Sie besitzen seltener Wohneigentum <strong>und</strong> teilen sich<br />

ihre durchschnittlich kle<strong>in</strong>eren <strong>und</strong> weniger gut ausgestatteten Wohnungen mit mehr Personen.<br />

Diese Schlechterstellung <strong>in</strong> den objektiven Lebensbed<strong>in</strong>gungen im Vergleich zu den Deutschen<br />

f<strong>in</strong>det ihren Ausdruck <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>sgesamt niedrigerem subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>den. Anders als<br />

bei den Deutschen, bei denen sich die Situation hochaltriger, zumeist verwitweter <strong>und</strong> demzufolge<br />

alle<strong>in</strong>lebender Frauen als besonders problematisch darstellt, gibt es bei Ausländer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Ausländern <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte ke<strong>in</strong>en vergleichbaren Geschlechtseffekt.<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> nachteiliger Arbeits- <strong>und</strong> Wohnbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit e<strong>in</strong>em<br />

von e<strong>in</strong>er Migrationsbiografie geprägten Leben war e<strong>in</strong>e deutlich schlechtere ges<strong>und</strong>heitliche<br />

Situation im Vergleich zu den Deutschen erwartet worden. Daten zur subjektiven Bewertung<br />

des Ges<strong>und</strong>heitszustandes, zu ges<strong>und</strong>heitlichen E<strong>in</strong>schränkungen <strong>und</strong> Hilfebedarf bestätigen<br />

diese Hypothese jedoch nicht. Allerd<strong>in</strong>gs schätzen Nichtdeutsche mittleren Alters ihre Ges<strong>und</strong>heit<br />

deutlich schlechter e<strong>in</strong> als gleichaltrige Deutsche. Unterschiede bei Kontrolle des Alters<br />

s<strong>in</strong>d demnach e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis darauf, dass die große Heterogenität der ausländischen Bevölkerung<br />

<strong>in</strong> gewisser Weise nivellierend wirkt.<br />

E<strong>in</strong>e Form der gesellschaftlichen Integration <strong>und</strong> Partizipation am sozialen <strong>und</strong> politischen Leben<br />

stellt das Engagement <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Organisationen dar. Obwohl der Organisationsgrad<br />

von Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländern h<strong>in</strong>ter dem der gleichaltrigen Deutschen zurückbleibt, ist<br />

der Abstand weitaus ger<strong>in</strong>ger als erwartet. Außerdem gilt zu bedenken, dass das Erhebungs<strong>in</strong>strument<br />

primär auf die Bedürfnisse der deutschen Bevölkerung zugeschnitten war.<br />

Soziale E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung f<strong>in</strong>det durch familiale <strong>und</strong> außerfamiliale Beziehungen <strong>und</strong> Unterstützungsnetzwerke<br />

statt. Ausländer <strong>und</strong> Ausländer<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem gesellschaftlichen Bereich ebenso<br />

<strong>in</strong>tegriert wie Deutsche, d.h. sie s<strong>in</strong>d nicht häufiger von Vere<strong>in</strong>samung <strong>und</strong> Isolation betroffen.<br />

Andererseits ist der Grad der sozialen Integration auch nicht nennenswert größer als bei<br />

Deutschen. Es gibt jedoch durchaus e<strong>in</strong>e Reihe von Unterschieden: Nichtdeutsche leben <strong>in</strong><br />

durchschnittlich größeren Haushalten <strong>und</strong> öfter <strong>in</strong> Zweigenerationenhaushalten mit ihren K<strong>in</strong>dern.<br />

491


492<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff<br />

Die Familie nimmt im Leben von Nichtdeutschen ebenso e<strong>in</strong>e zentrale Stellung e<strong>in</strong> wie bei den<br />

Deutschen. Der Großteil der K<strong>in</strong>der von Deutschen <strong>und</strong> Nichtdeutschen lebt <strong>in</strong> der näheren<br />

Umgebung der Eltern <strong>und</strong> bietet so die Möglichkeit für direkte Interaktion <strong>und</strong> Kommunikation.<br />

E<strong>in</strong> zentraler Unterschied besteht jedoch dar<strong>in</strong>, dass von e<strong>in</strong>em nicht ger<strong>in</strong>gen Teil der Nichtdeutschen<br />

alle K<strong>in</strong>der im Ausland leben. Noch bedeutsamer ist jedoch die Transnationalität <strong>in</strong><br />

der Beziehung zu den Eltern – bei den nichtdeutschen Staatsangehörigen leben diese überwiegend<br />

im Ausland. Die Wohnentfernung hat offensichtlich Auswirkungen auf die Kontakthäufigkeit,<br />

jedoch nicht auf die empf<strong>und</strong>ene Enge der Beziehung. Während Deutsche häufiger Kontakt<br />

zu ihren näher wohnenden Eltern pflegen, haben Nichtdeutsche zwar seltener Kontakt zu<br />

ihren weiter entfernt wohnenden Eltern, bezeichnen die Beziehung jedoch ebenfalls als eng<br />

bzw. sehr eng.<br />

E<strong>in</strong> <strong>in</strong>teressantes Muster ergibt sich auch im H<strong>in</strong>blick auf f<strong>in</strong>anzielle <strong>und</strong> <strong>in</strong>strumentelle Hilfen.<br />

Im Gegensatz zu den aus der ersten Welle des Alterssurveys bekannten Ergebnissen für die<br />

deutschen 40- bis 85-Jährigen, erhalten nichtdeutsche Angehörige der mittleren Generation<br />

nicht nur wenig f<strong>in</strong>anzielle Hilfen von ihren Eltern – sie leisten auch umgekehrt mehr f<strong>in</strong>anzielle<br />

Unterstützung an ihre im Herkunftsland lebenden Eltern. Dies kann zum e<strong>in</strong>en mit dem i.d.R.<br />

vorhandenen ökonomischen Gefälle zwischen Aufnahmeland <strong>und</strong> Herkunftsland erklärt werden<br />

<strong>und</strong> dem Bedarf der Eltern im wirtschaftlich schwächeren Herkunftsland. Zum anderen stellen<br />

f<strong>in</strong>anzielle Transfers vermutlich auch e<strong>in</strong>e Kompensation für – aufgr<strong>und</strong> der großen räumlichen<br />

Entfernung – nicht zu realisierende <strong>in</strong>strumentellen Hilfe dar.<br />

10.8.2 Sozial- <strong>und</strong> gesellschaftspolitische Implikationen<br />

Der Alterssurvey bietet umfangreiches Datenmaterial für e<strong>in</strong>e Analyse vielfältiger Lebensbereiche<br />

der ausländischen <strong>und</strong> der deutschen Bevölkerung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte. Die besondere<br />

Stärke des Alterssurveys besteht dar<strong>in</strong>, dass Interaktionen zwischen e<strong>in</strong>zelnen Lebensbereichen<br />

im Detail analysiert werden können. Die ausländische Bevölkerungsgruppe <strong>in</strong> Deutschland<br />

ist <strong>in</strong> sich jedoch sehr heterogen <strong>und</strong> besteht aus vielen ethnischen Gruppen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Vielzahl<br />

von Nationalitäten (vgl. auch Tabelle 10.A1 im Anhang). Dies erschwert zum e<strong>in</strong>en die<br />

Datenanalyse <strong>und</strong> die Aussagekraft der Analyseergebnisse, da jeweils nur ger<strong>in</strong>ge Fallzahlen<br />

zur Verfügung stehen. Zum anderen ist es kaum möglich, e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Sozialpolitik für alle<br />

ausländischen Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte zu gestalten. Dennoch wird im folgenden<br />

der Versuch unternommen, auf der Basis gewisser Regelmäßigkeiten <strong>in</strong> den Lebensverhältnissen<br />

40- bis 85-jähriger Nichtdeutscher, sozial- <strong>und</strong> gesellschaftspolitische Empfehlungen zu<br />

geben.<br />

Das aus der Literatur zur allgeme<strong>in</strong>en Lebenssituation von Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländern <strong>in</strong><br />

Deutschland h<strong>in</strong>länglich bekannte Ergebnis relativer sozio-ökonomischer Deprivation (ger<strong>in</strong>gere<br />

Schul- <strong>und</strong> Berufsbildungsqualifikationen, niedrige E<strong>in</strong>kommen, stärkere Betroffenheit von<br />

Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Armut – <strong>und</strong> daraus folgend niedrigere Altersrenten, seltener Wohneigentum)<br />

wurde mit den Daten des Alterssurveys bestätigt. Ausländische Menschen <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte s<strong>in</strong>d dementsprechend stärker auf staatliche f<strong>in</strong>anzielle Transfers angewiesen als<br />

gleichaltrige Deutsche. Diese stärkere Bedürftigkeit wird noch dadurch verstärkt, dass ausländi-


Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

sche Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte ke<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung von ihren (im Herkunftsland)<br />

lebenden Eltern erwarten können. Im Gegenteil, die <strong>in</strong> Deutschland lebenden 40- bis<br />

85-Jährigen spielen selbst e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle als f<strong>in</strong>anzielle Unterstützer ihrer im Herkunftsland<br />

zurückgebliebenen Familienangehörigen. Die deutsche Sozialpolitik sieht sich dementsprechend<br />

dem Dilemma gegenüber, mit f<strong>in</strong>anziellen staatlichen Transfers nicht nur bedürftige<br />

ausländische Menschen im eigenen Land, sondern de facto auch noch bedürftigere Menschen<br />

im Ausland zu unterstützen.<br />

Auf der anderen Seite s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Deutschland lebende Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gerem<br />

Maße auf <strong>in</strong>strumentelle Haushaltshilfen angewiesen. Das liegt zum e<strong>in</strong>en dar<strong>in</strong>, dass sie<br />

öfter mit K<strong>in</strong>dern im eigenen Haushalt leben <strong>und</strong> so auf dieses Unterstützungspotenzial zurückgreifen<br />

können. Zu bedenken gilt jedoch, dass die Arbeitsmigrant<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> -migranten der ersten<br />

Anwerbungswellen <strong>in</strong> den 1950er Jahren erst <strong>in</strong> den nächsten Jahren die Lebensphase der<br />

Hochaltrigkeit erreichen werden. Die verstärkte Notwendigkeit außerhäuslicher <strong>in</strong>strumenteller<br />

Hilfen ergibt sich jedoch auch <strong>in</strong> der deutschen Bevölkerung erst ab e<strong>in</strong>em Alter von 70 Jahren.<br />

Es ist also fraglich, ob es sich bei diesem Ergebnis um e<strong>in</strong>en genu<strong>in</strong>en Unterschied zwischen<br />

Nichtdeutschen <strong>und</strong> Deutschen oder lediglich um e<strong>in</strong>en Alterseffekt der im Durchschnitt jüngeren<br />

Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer handelt. Es ist e<strong>in</strong>e wesentliche Aufgabe zukünftiger Alterssozialberichterstattung,<br />

dieser Frage nachzugehen.<br />

Sollte das Letztere der Fall se<strong>in</strong>, dann werden hochaltrige Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer <strong>in</strong><br />

Zukunft ebenfalls auf externe <strong>in</strong>strumentelle Hilfen angewiesen se<strong>in</strong>. Aufgr<strong>und</strong> der zuvor beschrieben,<br />

ökonomisch deprivierten Lebensumstände werden sie jedoch kaum <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong>,<br />

für Haushaltshilfen zu bezahlen. Hochaltrige Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer könnten so zu e<strong>in</strong>er<br />

wesentlichen Zielgruppe zukünftiger sozialpolitischer Interventionen werden.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus ist es notwendig, bei der Planung zukünftiger ambulanter <strong>und</strong> stationärer Pflegestrukturen<br />

die besonderen Bedürfnisse dieser, aus anderen Kulturkreisen stammenden Personen<br />

zu berücksichtigen. Es ist davon auszugehen, dass sich mit der rapiden Alterung der ausländischen<br />

Bevölkerungsgruppe e<strong>in</strong> starker zusätzlicher Bedarf an Pflegee<strong>in</strong>richtungen ergeben<br />

wird. Dabei sollte besonderer Wert auf e<strong>in</strong>e kultursensible Pflege gelegt werden.<br />

Es ist e<strong>in</strong>e wesentliche Aufgabe deutscher Gesellschafts- <strong>und</strong> Sozialpolitik, zu e<strong>in</strong>er gel<strong>in</strong>genden<br />

Integration ausländischer Menschen beizutragen. Die Nachhaltigkeit solcher Maßnahmen<br />

wird am besten durch umfassende Bildungsangebote für alle Altersgruppen erhöht. Dies bedeutet<br />

u.a. Sprachkurse auch für ältere Menschen anzubieten. Langfristig noch wichtiger ist es aber,<br />

schulische <strong>und</strong> berufliche Qualifikationen der jüngeren Generationen zu erhöhen, um diese <strong>in</strong><br />

die Lage zu versetzen, sich selbst <strong>und</strong> ihren Familienangehörigen zu helfen. Das ist das Ziel<br />

e<strong>in</strong>er aktivierenden Sozialpolitik – <strong>und</strong> das ist auch das Ziel e<strong>in</strong>er erfolgreichen Generationenpolitik<br />

(vgl. dazu auch die Ausführungen <strong>in</strong> Kapitel 5).<br />

493


10.9 Literatur<br />

494<br />

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497


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Kapitel 10: Lebenssituation älterer Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer<br />

Tabelle A10.1: Zusammensetzung der Ausländerstichprobe des Alterssurveys (2002)<br />

nach Staatsangehörigkeit (Selbstangabe, Frage 329)<br />

Fallzahl (n) Anteil an der Stichprobe<br />

(Prozent)<br />

Europa<br />

EU-Mitgliedsländer (bis 30.05.2004)<br />

Italien 47 8,0<br />

Griechenland 27 4,6<br />

Österreich 28 4,8<br />

Niederlande 18 3,1<br />

Frankreich 12 2,0<br />

Großbritannien 9 1,5<br />

Portugal 5 0,9<br />

Spanien 4 0,7<br />

Irland 2 0,3<br />

F<strong>in</strong>nland 2 0,3<br />

Belgien 1 0,2<br />

Dänemark 1 0,2<br />

Schweden 1 0,2<br />

Türkei 95 16,2<br />

Schweiz 7 1,2<br />

Island 1 0,2<br />

Osteuropa<br />

Staaten des ehemaligen Jugoslawien 67 11,4<br />

Staaten der ehemaligen Sowjetunion 35 6,0<br />

Polen 13 2,2<br />

Tschechien/Slowakei/Tschechoslowakei 6 1,1<br />

Rumänien 5 0,9<br />

Ungarn 3 0,5<br />

Nord- <strong>und</strong> Südamerika<br />

USA 16 2,7<br />

Brasilien 1 0,2<br />

Kolumbien 1 0,2<br />

Peru 1 0,2<br />

Afrika<br />

Ghana 3 0,5<br />

Algerien 1 0,2<br />

Eritrea 1 0,2<br />

Marokko 1 0,2<br />

Sambia 1 0,2<br />

Senegal 1 0,2<br />

Tunesien 1 0,2<br />

499


Tabelle A10.1 (fortgesetzt)<br />

500<br />

Fallzahl (n) Anteil an der Stichprobe<br />

(Prozent)<br />

Naher <strong>und</strong> mittlerer Osten<br />

Irak 3 0,5<br />

Libanon 3 0,5<br />

Israel 1 0,2<br />

Jordanien 1 0,2<br />

Kurdistan 1 0,2<br />

Paläst<strong>in</strong>a/Jordanien 1 0,2<br />

Asien<br />

Iran 6 1,0<br />

Indien 5 0,9<br />

Afghanistan 4 0,7<br />

Vietnam 4 0,7<br />

Ch<strong>in</strong>a 3 0,5<br />

Malaysia 3 0,5<br />

Philipp<strong>in</strong>en 3 0,5<br />

Thailand 3 0,5<br />

Pakistan 2 0,3<br />

Japan 1 0,2<br />

Indonesien 1 0,2<br />

Korea 1 0,2<br />

S<strong>in</strong>gapur 1 0,2<br />

Sri Lanka 1 0,2<br />

Australien 2 0,3<br />

Doppelstaatler: zwei ausländ. 1 0,2<br />

Deutschland 83 14,2<br />

Doppelstaatler: dt.u. ausländ. 31 5,3<br />

Staatenlos 3 0,5<br />

Gesamt 586 100,0<br />

Quelle: Ausländerstichprobe 2002 (n= 586)<br />

Helen Krumme, Andreas Hoff


11. Implikationen des Alterssurveys für<br />

Gesellschaft, Wirtschaft <strong>und</strong> Politik<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff,<br />

Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

11.1 E<strong>in</strong>leitung<br />

E<strong>in</strong>e so umfassende <strong>und</strong> breit angelegte Studie wie der Alterssurvey liefert Informationen <strong>und</strong><br />

Erkenntnisse zu sozialem <strong>Wandel</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n <strong>Entwicklung</strong>sdynamiken <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte. Diese s<strong>in</strong>d nicht alle<strong>in</strong> für die sozial- <strong>und</strong> verhaltenswissenschaftliche Alternswissenschaft<br />

von Bedeutung. Sie dienen – im S<strong>in</strong>ne von Sozialberichterstattung – auch dazu, Beiträge<br />

für die Beratung der Politik sowie für gesellschaftliche Diskurse zu leisten. In dieser abschließenden<br />

Zusammenschau geht es nun um die Implikationen, die die Ergebnisse der zweiten<br />

Welle des Alterssurveys für Gesellschaft, Wirtschaft <strong>und</strong> Politik haben können. Dabei möchten<br />

wir uns auf jene gesellschaftlichen <strong>und</strong> politischen Diskurse beziehen, <strong>in</strong> denen der demografische<br />

<strong>Wandel</strong> <strong>und</strong> die aus diesem <strong>Wandel</strong> erwachsenen Konsequenzen thematisiert werden (unabhängig<br />

davon, ob es sich dabei um sichere, wahrsche<strong>in</strong>lich oder nur erwünschte bzw. befürchtete<br />

Konsequenzen handelt). An dieser Stelle möchten wir drei Diskurse zum demografischen<br />

<strong>Wandel</strong> <strong>und</strong> zur gesellschaftlichen Bedeutung von Alter <strong>und</strong> Altern unterscheiden, die zum Teil<br />

gegensätzliche Aussagen über die Implikationen des demografischen <strong>Wandel</strong>s machen, zum<br />

Teil aber auch unterschiedliche Themen <strong>und</strong> Argumentationsebenen aufweisen: Bedarfs- <strong>und</strong><br />

Versorgungsdiskurs sowie Belastungsdiskurs <strong>und</strong> Potenzialdiskurs. Diese Diskurse sollen im<br />

folgenden zunächst prototypisch skizziert werden. Anschließend soll gefragt werden, <strong>in</strong>wiefern<br />

ausgewählte Bef<strong>und</strong>e der zweiten Welle des Alterssurveys für diese Diskurse von Relevanz<br />

s<strong>in</strong>d. Dabei sollen aufbauend auf den Schlussfolgerungen der E<strong>in</strong>zelkapitel auch Implikationen<br />

für die Gesellschafts- <strong>und</strong> Sozialpolitik diskutiert werden. (Es sei darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass die<br />

theoretischen <strong>und</strong> praktischen Implikationen der Bef<strong>und</strong>e <strong>in</strong> den jeweiligen thematischen Kapiteln<br />

umfassender erörtert werden).<br />

Bedarfs- <strong>und</strong> Versorgungsdiskurs: Die Analyse des Verhältnisses zwischen Bedarfen älterer<br />

Menschen <strong>und</strong> ihrer Versorgung durch sozialstaatliche Sicherungssysteme hat <strong>in</strong> der sozialen<br />

Gerontologie e<strong>in</strong>e bedeutende Tradition (Dieck & Naegele, 1993; 1978), wobei die Sicht des<br />

Alters als „soziales Problem“ auch kritisch diskutiert wird (Kondratowitz, 1999). Bei diesem<br />

Diskurs geht es gr<strong>und</strong>sätzlich um die Frage, wie die Lebenslagen älterer Menschen zu bewerten<br />

s<strong>in</strong>d bzw. ob die Bedarfe älter werdender <strong>und</strong> alter Menschen durch sozialstaatliche, marktliche<br />

<strong>und</strong> ehrenamtliche Versorgungsangebote gedeckt werden. Als prom<strong>in</strong>ente Beispiele für e<strong>in</strong>e<br />

Sozialberichterstattung, die im Rahmen dieses Bedarfs- <strong>und</strong> Versorgungsdiskurses vorgelegt<br />

wurden, können e<strong>in</strong>ige der Altenberichte der B<strong>und</strong>esregierung genannt werden. So wurde beispielsweise<br />

im zweiten Altenbericht die Wohnsituation älterer Menschen ausführlich bewertet<br />

(BMFSFJ, 1998). Der vierte Altenbericht nahm die Situation sehr alter Menschen <strong>in</strong> den Blick,<br />

wobei die Versorgung hochaltriger Menschen mit demenziellen Erkrankungen <strong>in</strong> besonderem<br />

501


502<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Maße berücksichtigt wurde (BMFSFJ, 2002). E<strong>in</strong>e ähnliche, bedarfs- <strong>und</strong> versorgungsbezogene<br />

Perspektive f<strong>in</strong>det sich auch im Ausblick des Berichts zur ersten Welle des Alterssurveys (Kohli<br />

& Künem<strong>und</strong>, 2000). Dabei wurde mit Blick auf die Bewertung der Lebenssituation von Menschen<br />

<strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte festgestellt, dass die vorgelegten Bef<strong>und</strong>e nicht dazu angetan<br />

seien, „das heutige Alter zu dramatisieren oder gar zu skandalisieren“ (Kohli & Künem<strong>und</strong>,<br />

2000, S. 337). Insgesamt, so das Resümee der ersten Welle des Alterssurveys, sei die Lebenssituation<br />

von Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>in</strong> Bezug auf materielle Situation, Ges<strong>und</strong>heitszustand,<br />

Wohnsituation <strong>und</strong> soziale Integration als gut e<strong>in</strong>zuschätzen, wobei Differenzierungen<br />

<strong>und</strong> soziale Ungleichheiten auch <strong>in</strong> der Phase des Alters bestehen bleiben.<br />

Belastungsdiskurs: Während es bei dem „Bedarfs- <strong>und</strong> Versorgungsdiskurs“ zunächst nur um<br />

e<strong>in</strong>e Bewertung der Angemessenheit von Versorgungsstrukturen angesichts von vorhandenen<br />

Bedarfen geht, werden <strong>in</strong>nerhalb der öffentlichen Debatte auch die gesellschaftlichen Kosten<br />

e<strong>in</strong>er umfassenden Versorgung älterer Menschen diskutiert. Bei der E<strong>in</strong>schätzung des demografischen<br />

<strong>Wandel</strong>s wird <strong>in</strong> den Medien der wachsende Anteil älterer Menschen an der Gesellschaft<br />

häufig mit steigenden ökonomischen Belastungen <strong>in</strong> Zusammenhang gebracht. Im Rahmen<br />

dieses „Belastungsdiskurses“ wird auf wachsende Beitragssätze <strong>in</strong> der Renten-, Kranken-<br />

<strong>und</strong> Pflegeversicherung h<strong>in</strong>gewiesen, deren Ursachen im demografischen <strong>Wandel</strong> zu suchen<br />

seien <strong>und</strong> deren bedrohliche Auswirkungen vor dem „demografischen Kippen“ der Gesellschaft,<br />

also dem Zeitpunkt, <strong>in</strong> dem ältere Menschen die Mehrheit der Wählerschaft stellen, abgewehrt<br />

werden müssten (S<strong>in</strong>n & Übelmesser, 2000). Zudem wird darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass das Altern<br />

der Erwerbsbevölkerung negative Konsequenzen für die wirtschaftliche <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong>sgesamt<br />

habe, da e<strong>in</strong>e alternde Erwerbsbevölkerung weniger leistungsfähig <strong>und</strong> <strong>in</strong>novativ sei (Hoffmann,<br />

Köhler, & Sauer, 1999). In diesem Zusammenhang wird auch nicht selten das Problem<br />

der „<strong>in</strong>tergenerationalen Gerechtigkeit“ diskutiert. Dabei wird darauf verwiesen, dass <strong>in</strong> den<br />

sozialen Sicherungssystemen die Renditen für zukünftige Generationen von Ruheständlern im<br />

Vergleich mit aktuellen Rentnergenerationen s<strong>in</strong>ken werde, <strong>und</strong> es werden Vorschläge gemacht,<br />

wie e<strong>in</strong>e solchermaßen bestimmte Gerechtigkeit zwischen den Generationen herzustellen sei<br />

(Tremmel, 1997). Insgesamt wird im Rahmen des „Belastungsdiskurses“ der demografische<br />

<strong>Wandel</strong> als Problem <strong>und</strong> Gefährdung für den Zusammenhalt der Gesellschaft <strong>und</strong> die Existenz<br />

sozialstaatlicher Institutionen gesehen. Die Bef<strong>und</strong>e der im Rahmen des „Bedarfs- <strong>und</strong> Versorgungsdiskurses“<br />

vorgelegten Sozialberichterstattung zur <strong>in</strong>sgesamt als gut e<strong>in</strong>zuschätzenden<br />

Lebenssituation vieler älterer Menschen können dabei sogar als Argument für die Möglichkeit<br />

(oder Notwendigkeit) von Kürzungen sozialstaatlicher Leistungen e<strong>in</strong>gesetzt werden.<br />

Potenzialdiskurs: Der „Belastungsdiskurs“ des Alter(n)s wird aus ethischer <strong>und</strong> ökonomischer<br />

Sicht kritisiert (Gronemeyer, 1996; Schmähl, 2002). Dabei wird nicht alle<strong>in</strong> darauf verwiesen,<br />

dass mit bestimmten Maßnahmen, wie etwa der Verlängerung der Lebensarbeit, die Herausforderungen<br />

des demografischen <strong>Wandel</strong>s erfolgreich bewältigt werden könnten, sondern es werden<br />

auch potenziell positive Aspekte des Alters <strong>und</strong> Alterns herausgestellt. Wie bereits seit längerem<br />

<strong>in</strong>nerhalb der Gerontologie (P.B. Baltes, 1984; Lehr, 1978; Thomae & Lehr, 1973), wird<br />

zunehmend auch <strong>in</strong> der politischen Diskussion der demografische <strong>Wandel</strong> unter der Perspektive<br />

e<strong>in</strong>es bislang zu wenig genutzten <strong>und</strong> <strong>in</strong> Zukunft besser zu realisierenden Potenzials des Alters<br />

geführt. Bereits im dritten Altenbericht wurde nicht alle<strong>in</strong> die Frage gestellt, welche gesellschaftlichen<br />

Ressourcen für e<strong>in</strong> gutes Leben im Alter bereitgestellt werden müssen, sondern


Kapitel 11: Implikationen des Alterssurveys für Gesellschaft, Wirtschaft <strong>und</strong> Politik<br />

auch, welche Ressourcen ältere Menschen <strong>in</strong> die Gesellschaft e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen können (BMFSFJ,<br />

2001). Der fünfte Altenbericht, der gegenwärtig erstellt wird, ist schließlich ganz explizit den<br />

„Potenzialen des Alters <strong>in</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft“ gewidmet (so der Titel des Berichtsauftrages).<br />

Der Potenzialdiskurs des Alter(n)s stützt sich auf die Ergebnisse unterschiedlicher Diszipl<strong>in</strong>en.<br />

Die <strong>Entwicklung</strong>spsychologie der Lebensspanne beschreibt seit längerem die zweidimensionale<br />

<strong>Entwicklung</strong> kognitiver Kompetenz mit der Möglichkeit der Plastizität basaler kognitiver<br />

Prozesse e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> der Stabilität wissensbasierter Komponenten andererseits (P.B.<br />

Baltes, 1984), wobei e<strong>in</strong> une<strong>in</strong>geschränkter Optimismus kaum mehr vertreten wird (P.B. Baltes,<br />

2003). Auch die Arbeitswissenschaft hat e<strong>in</strong>drucksvoll belegt, dass Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz<br />

kaum mit dem Lebensalter korreliert (Dittmann-Kohli, Sowarka, & Timmer, 1997).<br />

Innerhalb der Ges<strong>und</strong>heitswissenschaften wurde zudem wiederholt gezeigt, dass die Ges<strong>und</strong>heit<br />

nachwachsender Kohorten älter werdender Menschen im historischen Verlauf immer besser<br />

geworden ist, so dass die Leistungsfähigkeit vor allem jüngerer Ruheständler <strong>in</strong> der Regel sehr<br />

hoch ist (Manton & Gu, 2004, <strong>in</strong> press). In diesem Zusammenhang wurde auch darauf h<strong>in</strong>gewiesen,<br />

dass die Übernahme von ehrenamtlichen Tätigkeiten <strong>und</strong> bürgerschaftlichem Engagement<br />

älterer Menschen bereits jetzt weitverbreitet sei, aber durch geeignete Opportunitätsstrukturen<br />

sogar noch gesteigert werden könne (Künem<strong>und</strong>, 2000). Insgesamt betont der „Potenzialdiskurs“<br />

also die positiven Aspekte oder Möglichkeiten des demografischen <strong>Wandel</strong>s.<br />

Wie an dieser kurzen Skizze zu erkennen ist, stehen die Diskurse des demografischen <strong>Wandel</strong>s<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em komplexen Beziehungs- <strong>und</strong> Spannungsverhältnis. Bei der Ause<strong>in</strong>andersetzung zwischen<br />

Proponenten von Belastungs- <strong>und</strong> Potenzialdiskurs geht es letztlich darum, ob es angemessener<br />

sei, den demografischen <strong>Wandel</strong> als Bedrohung oder Chance e<strong>in</strong>er Gesellschaft zu<br />

<strong>in</strong>terpretieren (<strong>und</strong> darum, welche politischen Maßnahmen angesichts der jeweiligen Szenarien<br />

e<strong>in</strong>zusetzen s<strong>in</strong>d). Dagegen wird im Bedarfs- <strong>und</strong> Versorgungsdiskurs e<strong>in</strong> „gutes Leben“ im<br />

Alter (im S<strong>in</strong>ne von Lebensqualität <strong>und</strong> Wohlbef<strong>in</strong>den) thematisiert, wobei gute Nachrichten<br />

zur Lebenssituation im Rahmen des Belastungsdiskurses möglicherweise als Argumente für die<br />

E<strong>in</strong>schränkung von Versorgungsleistungen verwendet werden. Im folgenden soll der Versuch<br />

unternommen werden, die Bef<strong>und</strong>e der zweiten Welle auf diese Diskurse zu beziehen – um so<br />

die Wahl angemessener Interventionen mit Argumenten zu stützen.<br />

11.2 Erwerbstätigkeit<br />

Die zweite Welle des Alterssurveys hat gezeigt, dass sich zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 e<strong>in</strong>e Trendwende<br />

h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em längeren Verbleib im Erwerbsleben andeutet. Zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

kam es zu deutlichen Veränderungen <strong>in</strong> den <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Erwartungen e<strong>in</strong>es frühen Ruhestandes:<br />

Ältere Arbeitnehmer planen im Jahr 2002 sehr viel seltener als im Jahr 1996, mit 60 Jahren<br />

oder früher <strong>in</strong> den Ruhestand zu gehen. Allerd<strong>in</strong>gs ist diese Veränderung noch nicht begleitet<br />

von klaren Vorstellungen darüber, bis zu welchem Lebensalter die betreffenden Personen weiter<br />

arbeiten wollen. Offensichtlich haben die zahlreichen gesetzlichen Maßnahmen der vergangenen<br />

Jahre zur Verr<strong>in</strong>gerung der Anreize für e<strong>in</strong>en frühzeitigen Übergang <strong>in</strong> den Ruhestand erste<br />

Wirkungen entfaltet, die sich vor allem <strong>in</strong> den Erwerbsbeendigungsplänen, aber noch nicht <strong>in</strong><br />

gleicher Weise <strong>in</strong> der Erwerbsbeteiligung <strong>und</strong> dem Ausstiegsalter niederschlagen. Während sich<br />

<strong>in</strong> den Erwartungen <strong>und</strong> Plänen bereits e<strong>in</strong>e deutliche Abkehr vom frühen Ausscheiden aus dem<br />

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504<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Erwerbsleben zeigt, ist e<strong>in</strong>e solche Trendwende bei Betrachtung der altersspezifischen Erwerbsbeteiligung<br />

<strong>und</strong> des tatsächlichen Ausstiegsalters erst im Ansatz zu erkennen. Diese Bef<strong>und</strong>e<br />

könnten bedeuten, dass älter werdende Arbeitnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Arbeitnehmer ihre eigenen<br />

Lebensplanungen mit Blick auf e<strong>in</strong>e biografisch verlängerte Erwerbsphase verändert haben.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs setzt e<strong>in</strong> längerer Verbleib im Beschäftigungssystem e<strong>in</strong>e entsprechende Nachfrage<br />

nach älteren Arbeitskräften voraus. Betrachtet man die <strong>Entwicklung</strong>en auf dem Arbeitsmarkt, so<br />

s<strong>in</strong>d Zweifel angebracht, ob es <strong>in</strong> Zukunft tatsächlich zu e<strong>in</strong>er verlängerten Erwerbsphase kommen<br />

wird. Werden Betriebe auch weiterh<strong>in</strong> die Frühausgliederung älterer Arbeitnehmer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Arbeitnehmer praktizieren, so bedeutet dies für die betroffenen Personen, dass sich die<br />

Dauer der Arbeitslosigkeit bis zum Rentene<strong>in</strong>tritt verlängert <strong>und</strong> zugleich die f<strong>in</strong>anzielle Absicherung<br />

verschlechtert (Barkholt, 2001). Maßnahmen, die <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie darauf abzielen, den<br />

Druck zum Anbieten der eigenen Arbeitskraft zu erhöhen, werden vermutlich nicht ausreichen,<br />

um das von der Europäischen Union vorgegebene Ziel e<strong>in</strong>er Erwerbstätigenquote von 50 Prozent<br />

der älteren Arbeitskräfte bis 2010 zu erreichen. Notwendig s<strong>in</strong>d flankierende Maßnahmen,<br />

die die Arbeitsfähigkeit fördern <strong>und</strong> die Nachfrage nach älteren Arbeitskräften stimulieren<br />

(Behrend, 2002). Ob diese Nachfrage ausgerechnet durch die Beseitigung des Kündigungsschutzes<br />

gesteigert werden kann, wie derzeit von Manchen gefordert, ist jedoch ungewiss. Zunächst<br />

ist davon auszugehen, dass dies die Möglichkeiten der Ausgliederung älterer Arbeitskräfte<br />

erleichtert. Ob dies ausgeglichen werden kann durch den Abbau der Hemmnisse zur Wiedere<strong>in</strong>stellung<br />

älterer Arbeitsloser, ist unsicher.<br />

Wichtige Voraussetzungen für e<strong>in</strong> Gel<strong>in</strong>gen des Umsteuerns zu e<strong>in</strong>em längeren Verbleib im<br />

Erwerbsleben <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Akzeptanz bei Beschäftigten <strong>und</strong> Betrieben s<strong>in</strong>d die Überw<strong>in</strong>dung der<br />

Wachstumsschwäche, e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Entspannung des Arbeitsmarkts, der Abbau von Vorbehalten<br />

gegenüber älteren Arbeitskräften sowie die Verbesserung der Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong><br />

die Förderung ihrer Arbeitsfähigkeit <strong>und</strong> -motivation. Unter diesen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen könnte<br />

es <strong>in</strong> Zukunft möglich se<strong>in</strong>, die Potenziale älterer Arbeitnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Arbeitnehmer besser<br />

zu nutzen als dies im Augenblick der Fall ist. Die <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n Voraussetzungen <strong>in</strong> Form sich<br />

wandelnder Lebensentwürfe <strong>und</strong> -planungen sche<strong>in</strong>en allmählich zu stehen. Und mit der Akzeptanz<br />

e<strong>in</strong>er längeren Erwerbsphase im Lebenslauf <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er sich verlängernden tatsächlichen<br />

Erwerbsphase könnten auch die Belastungen der sozialen Sicherungssysteme, <strong>in</strong>sbesondere<br />

durch die immer noch praktizierten Formen der Frühverrentung, deutlich verr<strong>in</strong>gert werden.<br />

11.3 Materielle Lage<br />

Die aktuelle materielle Lage älterer Menschen wird <strong>in</strong> der Sozialberichterstattung <strong>in</strong> der Regel<br />

als recht gut bezeichnet (BMFSFJ, 2001), wobei sich allerd<strong>in</strong>gs das Ausmaß sozialer Ungleichheiten<br />

bis <strong>in</strong> das dritte <strong>und</strong> vierte Lebensalter nicht verr<strong>in</strong>gert (Kohli, Künem<strong>und</strong>, Motel, &<br />

Szydlik, 2000). Die hier vorgelegten Bef<strong>und</strong>e der zweiten Welle des Alterssurveys zeigen allerd<strong>in</strong>gs,<br />

dass sich die aktuell positive Situation älterer Menschen <strong>in</strong> Zukunft verändern kann, da<br />

künftige <strong>Entwicklung</strong>en der Ruhestandse<strong>in</strong>kommen möglicherweise nicht mit den Erwerbse<strong>in</strong>kommen<br />

<strong>in</strong> der Lebensmitte Schritt halten werden. Zugleich s<strong>in</strong>d Ausdifferenzierungen der<br />

Verteilungen zu erwarten. Beide Tendenzen lassen sich mit gewissen E<strong>in</strong>schränkungen bereits


Kapitel 11: Implikationen des Alterssurveys für Gesellschaft, Wirtschaft <strong>und</strong> Politik<br />

heute ausmachen. Zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 haben <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> Ostdeutschland die E<strong>in</strong>kommen<br />

der über 70-Jährigen nicht mit jenen der Jüngeren Schritt gehalten. In Ostdeutschland<br />

ist auch e<strong>in</strong>e Ausdifferenzierung der E<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte festzustellen.<br />

Dieser Bef<strong>und</strong> f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> dieser Weise <strong>in</strong> Westdeutschland nicht (dort zeigen sich leichte<br />

Verstärkungen der Ungleichheit nur bei den unter 70-jährigen Männern; zudem stellt sich die<br />

E<strong>in</strong>kommensverteilung im Westen im Jahr 2002 sogar leicht homogener dar als noch sechs<br />

Jahre zuvor).<br />

Entgegen der Erwartung, dass E<strong>in</strong>kommen älterer Menschen stabil seien, zeigt sich, dass Auf-<br />

oder Abstiege <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>kommensverteilung durchaus häufig vorzuf<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d. In den oberen<br />

Altersgruppen ist der Anteil stabiler E<strong>in</strong>kommen jedoch merklich höher. Aufstiege f<strong>in</strong>den sich<br />

besonders häufig unter den jüngeren Menschen, die aufgr<strong>und</strong> ihrer Teilhabe am Erwerbsleben<br />

auch über höhere Chancen verfügen, ihre E<strong>in</strong>kommenssituation zu verbessern. Zudem ist zu<br />

konstatieren, dass die Altersgruppen im erwerbsfähigen Alter im Mittel zu den Aufsteigern zu<br />

zählen s<strong>in</strong>d, da sie im Vergleich mit der allgeme<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>kommensentwicklung überproportionale<br />

Gew<strong>in</strong>ne realisieren konnten, während die Personen im Ruhestandsalter im Mittel absteigen.<br />

Besonders häufig s<strong>in</strong>d Abstiege <strong>in</strong> der ältesten Altersgruppe <strong>in</strong> Ostdeutschland. Dort f<strong>in</strong>den sich<br />

auch seltener Aufstiege <strong>in</strong> der relativen E<strong>in</strong>kommensposition.<br />

Die Ergebnisse zu Armut <strong>und</strong> Wohlstand entsprechen teilweise den Tendenzen, die sich mit<br />

Blick auf das E<strong>in</strong>kommen zeigen. Zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 gibt es e<strong>in</strong>en leichten Anstieg der<br />

Armutsquoten <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte, die allerd<strong>in</strong>gs auf die <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

zurückzuführen ist. Während die Armutsquote <strong>in</strong> Westdeutschland nahezu konstant bleibt,<br />

steigt sie <strong>in</strong> Ostdeutschland deutlich an. Dieser Unterschied tritt unter den über 70-Jährigen am<br />

deutlichsten zu Tage. Auch die positive <strong>Entwicklung</strong> des Anteils hoher E<strong>in</strong>kommen f<strong>in</strong>det vor<br />

allem <strong>in</strong> Westdeutschland statt: Gew<strong>in</strong>ner sche<strong>in</strong>en hier die 55- bis 69-jährigen westdeutschen<br />

Männer zu se<strong>in</strong>. Die ältesten Menschen <strong>in</strong> Ostdeutschland partizipieren dagegen nach wie vor<br />

kaum an hohen E<strong>in</strong>kommen. H<strong>in</strong>sichtlich Vermögen <strong>und</strong> Verschuldung zeigen sich <strong>in</strong> den Niveaus<br />

kaum Veränderungen über die Zeit, <strong>und</strong> die Differenzen zwischen West <strong>und</strong> Ost bleiben<br />

bestehen. Auch hier deutet sich die besondere Problemlage der Ältesten <strong>in</strong> Ostdeutschland an:<br />

Den zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 nur wenig gestiegenen E<strong>in</strong>kommen steht e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Vermögensausstattung<br />

zur Seite.<br />

Die hier vorgelegten Bef<strong>und</strong>e zur materiellen Situation älterer Menschen <strong>in</strong> Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland<br />

zeigen e<strong>in</strong> differenziertes Bild. Die materielle Lage älterer <strong>und</strong> alter Menschen ist<br />

gegenwärtig im Mittel als gut e<strong>in</strong>zuschätzen. In diesem S<strong>in</strong>ne ist hier e<strong>in</strong> Potenzial für Produkte<br />

<strong>und</strong> Dienstleistungen vorhanden, dass möglicherweise durch adäquate Angebote erschlossen<br />

werden kann. Dennoch ist zu betonen, dass die Unterschiede im Alter groß (<strong>und</strong> offenk<strong>und</strong>ig<br />

recht stabil) s<strong>in</strong>d. Mit Blick auf mögliche Wirkungen ist daher zu fragen, ob Anpassungen im<br />

Bereich der sozialen Sicherung e<strong>in</strong>e geeignete Maßnahme s<strong>in</strong>d, um Beitragsbelastungen zu verr<strong>in</strong>gern,<br />

zumal die Ausweitung der Lebensarbeitszeit e<strong>in</strong>e alternative <strong>und</strong> möglicherweise mit<br />

weniger negativen Effekten behaftete Maßnahme ist.<br />

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Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

11.4 Familie <strong>und</strong> <strong>in</strong>tergenerationale Unterstützung<br />

Der demografische <strong>Wandel</strong> berührt <strong>in</strong> direkter Weise die soziale E<strong>in</strong>bettung älter werdender <strong>und</strong><br />

alter Menschen, vor allem <strong>in</strong>nerhalb der Familie. Generationenbeziehungen werden heute vor<br />

allem im ‚multilokalen Familienverb<strong>und</strong>’ gelebt: Die Angehörigen e<strong>in</strong>er Familie wohnen nicht<br />

unbed<strong>in</strong>gt im selben Haushalt, aber sie halten mite<strong>in</strong>ander Kontakt <strong>und</strong> unterstützen sich regelmäßig.<br />

Die meisten Deutschen leben dabei heute <strong>in</strong> Konstellationen von drei Generationen. In<br />

den Ergebnissen der zweiten Welle des Alterssurveys machen sich jedoch erste Anzeichen für<br />

die Auswirkungen des demografischen <strong>Wandel</strong>s bei der jüngsten Altersgruppe bemerkbar. Hier<br />

konnte zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 <strong>in</strong> den Familien e<strong>in</strong>e Verschiebung des Anteils von Drei-<br />

Generationen-Konstellationen h<strong>in</strong> zu Zwei-Generationen-Konstellationen beobachtet werden.<br />

Auch die Zusammensetzung der Haushalte der 40- bis 85-Jährigen verändern sich. Im Vergleich<br />

zu 1996 hat sich im Jahr 2002 sowohl der Anteil von Alle<strong>in</strong>lebenden, als auch der von Paaren<br />

ohne K<strong>in</strong>der deutlich erhöht. Mit dem weiteren Anstieg k<strong>in</strong>derloser Haushalte wird sich <strong>in</strong> den<br />

nächsten Jahren der Anteil von E<strong>in</strong>-Generationen-Haushalten weiter erhöhen. Obwohl die überwiegende<br />

Mehrheit der Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>in</strong> räumlicher Nähe zu ihren<br />

K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Eltern lebt, ist die Wohnentfernung zwischen Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dern 2002 größer als<br />

vor sechs Jahren. Vor allem der Anteil von am selben Ort lebenden K<strong>in</strong>dern hat im Vergleich zu<br />

1996 abgenommen. Koresidenz von Eltern <strong>und</strong> erwachsenen K<strong>in</strong>dern ist 2002 noch weniger<br />

weit verbreitet als vor sechs Jahren.<br />

Die Beziehungen zur Familie werden von Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte <strong>in</strong> der Regel<br />

als positiv e<strong>in</strong>geschätzt. Diese Bewertungen s<strong>in</strong>d zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 sogar noch positiver<br />

geworden. In E<strong>in</strong>klang damit werden Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehungen durch e<strong>in</strong> Gefühl großer Verb<strong>und</strong>enheit<br />

charakterisiert. Die wichtigsten Kontaktpersonen älter werdender <strong>und</strong> alter Menschen<br />

s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> bleiben Familienangehörige. Allerd<strong>in</strong>gs hat sich die Kontakthäufigkeit zwischen<br />

Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong>nerhalb der sechs Jahre zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 etwas verr<strong>in</strong>gert. Zu<br />

betonen ist, dass Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e Last für die Familienmitglieder<br />

der jüngeren Generationen s<strong>in</strong>d. Im Gegenteil leisten ältere Familienmitglieder mehr<br />

Unterstützung als sie umgekehrt erhalten. Im Jahre 2002 hat sich dieser Unterschied sogar noch<br />

vergrößert: Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte erhalten im Jahr 2002 weniger Unterstützung<br />

als im Jahr 1996.<br />

Es stellt sich nun die Frage, was staatliche Sozialpolitik zur Stärkung <strong>in</strong>tergenerationaler Familienbeziehungen<br />

beitragen kann. Das Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zip, auf dem der deutsche Sozialstaat<br />

beruht, hat <strong>in</strong> der Vergangenheit dazu geführt, dass Familien <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>e Vielzahl von<br />

Aufgaben übernommen haben, die <strong>in</strong> anderen Gesellschaftssystemen von anderen Institutionen<br />

getragen werden. Indem Menschen <strong>in</strong>formelle Unterstützung leisten, entlasten sie den Sozialstaat<br />

von Aufwendungen, die andernfalls für formelle Hilfestrukturen bereitgestellt werden<br />

müssten. Sozialpolitik besteht jedoch nicht nur <strong>in</strong> der Bereitstellung von Versorgungsleistungen<br />

– zu Sozialpolitik gehört auch die Schaffung von geeigneten Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für die Hilfe<br />

zur Selbsthilfe <strong>und</strong> für das Zusammenführen der Generationen. E<strong>in</strong> Beispiel hierfür ist die Integration<br />

der bisher separat geführten politischen Handlungsfelder von Familien-, K<strong>in</strong>der-, Senioren-<br />

<strong>und</strong> Bildungspolitik zu e<strong>in</strong>er „Generationenpolitik“ (Lüscher & Liegle, 2003). Dabei<br />

handelt es sich um e<strong>in</strong> gesellschaftspolitisches Programm zur Förderung des künftigen Zusam-


Kapitel 11: Implikationen des Alterssurveys für Gesellschaft, Wirtschaft <strong>und</strong> Politik<br />

menlebens von Generationen. Generationenpolitik setzt die Kooperation verschiedener gesellschaftlicher<br />

Akteure (Staat, Kirchen, Verbände, Unternehmen, etc.) voraus. E<strong>in</strong>e koord<strong>in</strong>ierte<br />

Generationenpolitik hat die Interessen aller Generationen im Blick <strong>und</strong> geht von den Leitideen<br />

der Generationengerechtigkeit, wechselseitiger Verantwortung <strong>und</strong> der Verantwortung für die<br />

Zukunft im S<strong>in</strong>ne von Nachhaltigkeit aus. Dies kann dar<strong>in</strong> bestehen, dass Begegnungsmöglichkeiten<br />

für jüngere <strong>und</strong> ältere Menschen geschaffen werden (etwa über Wissens- oder Zeitzeugenbörsen)<br />

<strong>und</strong> dass ältere Menschen Verantwortung für jüngere Menschen übernehmen (etwa<br />

<strong>in</strong> Bildungs- oder Betreuungse<strong>in</strong>richtungen). In diesem S<strong>in</strong>ne könnte es gel<strong>in</strong>gen, das Potenzial<br />

des Alters zu nutzen, um das Mite<strong>in</strong>ander der Generationen zu verbessern.<br />

11.5 Gesellschaftliche Partizipation<br />

Das Potenzial des Alters wird sehr deutlich <strong>in</strong> den produktiven Tätigkeiten des bürgerschaftlichen<br />

Engagements. Die Übernahme an Verantwortung <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>en oder anderen Institutionen,<br />

aber auch die Beteiligung an Pflegetätigkeiten <strong>und</strong> Betreuung von K<strong>in</strong>dern s<strong>in</strong>d bedeutsame<br />

bürgerschaftliche Aufgaben. Für die meisten dieser Tätigkeiten gilt jedoch, dass sie – wenn<br />

auch <strong>in</strong> unterschiedlichem Ausmaß – mit zunehmendem Alter seltener ausgeübt werden. Im<br />

Bereich des ehrenamtlichen Engagements fällt der Rückgang der Partizipation im höheren Alter<br />

weniger dramatisch als etwa bei der Erwerbstätigkeit aus, ist aber immer noch erheblich. Die<br />

Beteiligung an ehrenamtlichen Tätigkeiten geht von der jüngsten zur ältesten Altersgruppe um<br />

mehr als die Hälfte zurück. In Zukunft könnte sich jedoch im Zuge der Verbesserung der <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n<br />

Ressourcen der Personenkreis der ehrenamtlich aktiven älteren Menschen erweitern:<br />

Bislang weist jede jüngere Ruhestandskohorte e<strong>in</strong> höheres Ausbildungsniveau <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e bessere<br />

Ges<strong>und</strong>heit auf, verfügt also über mehr Ressourcen für Aktivität als die Geburtsjahrgänge zuvor.<br />

Da Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> vor allem Bildungsniveau mit der Beteiligung im Bereich z.B. des ehrenamtlichen<br />

Engagements oder der Bildung zusammenhängen, kann mit e<strong>in</strong>er stärkeren Beteiligung<br />

<strong>in</strong> diesen Bereichen gerechnet werden. Zugleich dürfte sich jedoch der Anspruch auf<br />

s<strong>in</strong>nvolle Aktivität als Folge der gesellschaftlichen Individualisierungsprozesse erhöhen. Dieses<br />

bereits vorhandene <strong>und</strong> <strong>in</strong> Zukunft noch zunehmende Potenzial des Alters durch geeignete Angebote<br />

<strong>und</strong> Opportunitätsstrukturen zu realisieren, ist e<strong>in</strong> bedeutsames seniorenpolitisches Ziel<br />

(Braun, Burmeister, & Engels, 2004).<br />

11.6 Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Versorgung<br />

In guter Ges<strong>und</strong>heit e<strong>in</strong> hohes Alter zu erreichen, ist e<strong>in</strong> Ziel, das nicht alle<strong>in</strong> älter werdende<br />

<strong>und</strong> alte Menschen haben, sondern das auch hohe Priorität <strong>in</strong> der Sozial- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitspolitik<br />

besitzt. Die Ergebnisse der zweiten Welle des Alterssurveys haben gezeigt, dass es über die<br />

untersuchten Altersgruppen h<strong>in</strong>weg zu e<strong>in</strong>em Anstieg der Erkrankungen <strong>und</strong> der damit verb<strong>und</strong>enen<br />

Beschwerden kommt. Dies bestätigt die Bef<strong>und</strong>e anderer Studien, etwa der Berl<strong>in</strong>er Altersstudie<br />

(Ste<strong>in</strong>hagen-Thiessen & Borchelt, 1996). Neben diesem Anstieg von oftmals chronischen<br />

Erkrankungen kommt es im höheren Alter auch zu e<strong>in</strong>er erhöhten Häufigkeit von Unfällen<br />

<strong>und</strong> akuten Erkrankungen. Zudem gibt es Altersgruppenunterschiede h<strong>in</strong>sichtlich Mobilität<br />

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Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

<strong>und</strong> subjektiver Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung. Frauen weisen im höheren Lebensalter e<strong>in</strong>e höhere<br />

Bee<strong>in</strong>trächtigung der Mobilität auf als Männer, was möglicherweise mit der höheren Frühsterblichkeit<br />

von Männern zu erklären ist. Die subjektive Ges<strong>und</strong>heitse<strong>in</strong>schätzung fällt mit höherem<br />

Alter zunehmend ungünstiger aus <strong>und</strong> korrespondiert damit mit der Zunahme körperlicher Erkrankungen.<br />

Diesen, teilweise bereits aus anderen Studien bekannten Ergebnissen, die e<strong>in</strong>e Abnahme der<br />

Ges<strong>und</strong>heit mit wachsendem Alter belegen, ist jedoch e<strong>in</strong> bedeutsamer Bef<strong>und</strong> zum <strong>Wandel</strong> des<br />

Ges<strong>und</strong>heitszustandes <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte – <strong>und</strong> zwar <strong>in</strong>nerhalb des kurzen Zeitraums<br />

zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 – zur Seite zur stellen. Die Ergebnisse der Kohortenvergleiche zwischen<br />

den 40- bis 85-Jährigen der Jahre 1996 <strong>und</strong> 2002 zeigen, dass nachfolgende Geburtskohorten<br />

e<strong>in</strong>e bessere Ges<strong>und</strong>heit, d.h. e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Multimorbidität <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Zahl von<br />

bedeutsamen Beschwerden haben als früher Geborene. Insgesamt kann man feststellen, dass die,<br />

durch e<strong>in</strong>e höhere Lebenserwartung „gewonnenen“ Lebensjahre nicht durch schlechte Ges<strong>und</strong>heit<br />

gekennzeichnet s<strong>in</strong>d, sondern dass die gewonnene Lebenszeit eher <strong>in</strong> guter Ges<strong>und</strong>heit<br />

verbracht werden kann. Die Ergebnisse der zweiten Welle des Alterssurveys weisen m<strong>in</strong>destens<br />

auf e<strong>in</strong>e Morbiditätskonstanz h<strong>in</strong>, s<strong>in</strong>d jedoch auch mit der Theorie der Morbiditätskompression<br />

vere<strong>in</strong>bar, die besagt, dass durch geeignete ges<strong>und</strong>heitsfördernde <strong>und</strong> präventive Maßnahmen<br />

das Auftreten von Krankheiten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e kurze Phase am Lebensende „komprimiert“ werden kann.<br />

Denkbar ist allerd<strong>in</strong>gs, dass die gef<strong>und</strong>enen Kohortenunterschiede nicht mehr für die Phase der<br />

Hochaltrigkeit bestehen. Denn es ist möglich, dass zwar die nachfolgenden Kohorten mit e<strong>in</strong>em<br />

besseren ges<strong>und</strong>heitlichen Ausgangsniveau die Phase der Hochaltrigkeit beg<strong>in</strong>nen, dieser Vorteil<br />

jedoch nicht vor großen Verlusten <strong>in</strong> dieser letzten Lebensphase schützt (P.B. Baltes, 1997).<br />

Aus heutiger Sicht ist bekannt, dass <strong>in</strong> der Lebensphase der Hochaltrigkeit unter anderem die<br />

Prävalenz von Demenzen stark zunimmt. Etwa jede vierte Person zwischen 85 <strong>und</strong> 89 Jahren<br />

<strong>und</strong> jede dritte Person ab 90 Jahren ist gegenwärtig hiervon betroffen (BMFSFJ, 2002).<br />

Dennoch bestärken die hier vorgelegten Bef<strong>und</strong>e die Annahme, dass Maßnahmen der Prävention<br />

<strong>und</strong> Rehabilitation das Potenzial älter werdender <strong>und</strong> alter Menschen für e<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> gesellschaftlicher<br />

Partizipation sowie <strong>in</strong> Selbstbestimmtheit <strong>und</strong> Selbständigkeit fördern können. Die<br />

Ergebnisse zum Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte geben H<strong>in</strong>weise auf verschiedene<br />

Präventionspotenziale. Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>, dass chronische Erkrankungen „mitaltern“,<br />

d.h. bis <strong>in</strong>s hohe Alter fortbestehen <strong>und</strong> Folgeerkrankungen sowie Funktionse<strong>in</strong>bußen verursachen<br />

können, ersche<strong>in</strong>t es wichtig, möglichst früh im Lebensverlauf die Chronifizierung von<br />

Erkrankungen <strong>und</strong> Funktionse<strong>in</strong>bußen zu vermeiden. Die hohe Zahl der 40- bis 54-Jährigen, die<br />

zwei oder mehr Erkrankungen angeben bzw. E<strong>in</strong>schränkungen h<strong>in</strong>sichtlich anstrengender Tätigkeiten<br />

nennen, weist auf entsprechenden Präventions- <strong>und</strong> Rehabilitationsbedarf h<strong>in</strong>. Die<br />

Möglichkeiten, dauerhafte Multimorbidität <strong>und</strong> Funktionse<strong>in</strong>bußen zu vermeiden, s<strong>in</strong>d im mittleren<br />

Erwachsenenalter zumeist am größten. Aber auch h<strong>in</strong>sichtlich der älteren Altersgruppen<br />

sollten die hohen präventiven Potenziale nicht unterschätzt werden. E<strong>in</strong>e Vielzahl von Erkrankungen,<br />

unter anderem Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegserkrankungen <strong>und</strong> Diabetes<br />

mellitus (Typ II), weisen bis <strong>in</strong>s hohe Alter deutliche Präventionspotenziale auf. Dabei nimmt<br />

mit steigendem Alter besonders die Bedeutung von Tertiärprävention zu, d.h. die Vermeidung<br />

oder Verzögerung der Verschlimmerung e<strong>in</strong>er Erkrankung sowie die Verh<strong>in</strong>derung oder Milderung<br />

bleibender Funktionse<strong>in</strong>bußen.


Kapitel 11: Implikationen des Alterssurveys für Gesellschaft, Wirtschaft <strong>und</strong> Politik<br />

Die Bef<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Empfehlungen, die sich auf die Kohortenvergleiche zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002<br />

stützen, können ergänzt werden durch längsschnittliche Analysen der zweiten Welle, <strong>in</strong> denen<br />

e<strong>in</strong>e Vorhersage von Ges<strong>und</strong>heitsveränderungen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte vorgenommen<br />

wurde. Dabei wurden als potenzielle E<strong>in</strong>flussgrößen verschiedene soziale <strong>und</strong> psychische Faktoren,<br />

<strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>s Verhalten sowie zusätzlich E<strong>in</strong>stellungen gegenüber dem Älterwerden berücksichtigt.<br />

Die Ergebnisse legen die Annahme nahe, dass sich soziale Faktoren kumulativ<br />

über langandauernde, stabile Lebensstile auf die körperliche Ges<strong>und</strong>heit auswirken. H<strong>in</strong>sichtlich<br />

des Ges<strong>und</strong>heitsverhaltens wurde deutlich, dass zwar sportliche Aktivitäten, nicht jedoch Spaziergänge<br />

e<strong>in</strong>en positiven E<strong>in</strong>fluss auf die Ges<strong>und</strong>heit haben. Die Ergebnisse zu E<strong>in</strong>stellungen<br />

legen nahe, dass Vorstellungen über das Älterwerden im Zeitraum der betrachteten sechs Jahre<br />

e<strong>in</strong>en deutlichen E<strong>in</strong>fluss auf die Ges<strong>und</strong>heitsentwicklung haben. Vorstellungen über das Älterwerden<br />

bee<strong>in</strong>flussen <strong>in</strong> erstaunlicher Weise, ob es zu e<strong>in</strong>er Zu- bzw. Abnahme oder Konstanz<br />

der Anzahl körperlicher Erkrankungen <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Zeitraumes von sechs Jahren kommt –<br />

dies gilt für alle drei betrachteten Altersgruppen. Dabei haben vor allem zwei Sichtweisen auf<br />

das Älterwerden starken E<strong>in</strong>fluss auf die Ges<strong>und</strong>heit: Zum e<strong>in</strong>en die pessimistische Vorstellung,<br />

dass das Älterwerden mit physischen Verlusten verb<strong>und</strong>en ist. Dabei wurde deutlich, dass die<br />

Erwartung von physischen Verlusten (<strong>und</strong> zwar unabhängig davon, <strong>in</strong> welchem Umfang e<strong>in</strong>e<br />

Person bei der Erstbefragung krank bzw. ges<strong>und</strong> war) zu e<strong>in</strong>em Anstieg der Multimorbidität<br />

über den Zeitraum von sechs Jahren führte. Zum anderen erwies sich auch die optimistische<br />

Vorstellung, Älterwerden als e<strong>in</strong>e Möglichkeit für persönliche Weiterentwicklung zu sehen, als<br />

ges<strong>und</strong>heitsrelevant. E<strong>in</strong>e <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne positive Sicht auf das Älterwerden erwies sich als<br />

ges<strong>und</strong>heitsprotektiv. Personen, die das Älterwerden (auch) als Phase der Weiterentwicklung<br />

sahen, hatten e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>geren Anstieg von Krankheiten als Personen mit negativerer Sicht auf<br />

das Älterwerden – <strong>und</strong> zwar wiederum unabhängig davon, über wie viele Krankheiten die Personen<br />

zum ersten Befragungszeitpunkt berichteten.<br />

Der Bef<strong>und</strong>, dass soziale Faktoren, Ges<strong>und</strong>heitsverhalten, psychische Ressourcen <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbesondere<br />

Vorstellungen über das Älterwerden sowohl zu Beg<strong>in</strong>n der zweiten Lebenshälfte als<br />

auch im höheren Alter e<strong>in</strong>e hohe Bedeutung für die Ges<strong>und</strong>heit haben, weist darauf h<strong>in</strong>, dass <strong>in</strong><br />

Maßnahmen zur Ges<strong>und</strong>heitsförderung stets gesellschaftliche, soziale <strong>und</strong> psychische Faktoren<br />

gleichermaßen berücksichtigt werden sollten. E<strong>in</strong>e solche multidiszipl<strong>in</strong>äre Herangehensweise<br />

sollte dabei Aspekte wie die eigene Sicht auf das Älterwerden e<strong>in</strong>beziehen <strong>und</strong> zwar nicht erst<br />

bei jenen, die bereits e<strong>in</strong> hohes Alter erreicht haben, sondern gerade auch bei Personen, die am<br />

Beg<strong>in</strong>n ihrer zweiten Lebenshälfte stehen.<br />

11.7 Subjektives Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

Neben dem Ges<strong>und</strong>heitszustand ist das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den e<strong>in</strong> bedeutsamer Bestandteil<br />

e<strong>in</strong>es guten Lebens im Alter. Lebenszufriedenheit <strong>und</strong> Gefühle stellen unterschiedliche Komponenten<br />

subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens dar. Lebenszufriedenheit betrifft die Beurteilung der eigenen<br />

Lebenssituation anhand von Bewertungsmaßstäben. Gefühlszustände spiegeln dagegen die Reaktion<br />

auf tägliche Ereignisse <strong>und</strong> Schwierigkeiten wider. Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte<br />

äußern im Durchschnitt hohe Zufriedenheit, erleben häufig positive Emotionen <strong>und</strong> erfahren eher<br />

selten negative Gefühle. Zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 nahmen Zufriedenheit <strong>und</strong> positiver Affekt im<br />

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Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

Durchschnitt leicht zu <strong>und</strong> negativer Affekt leicht ab. Die Komponenten subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />

– Lebenszufriedenheit, positive Gefühle <strong>und</strong> negative Gefühle – verändern sich mit dem<br />

Alter <strong>in</strong> unterschiedlicher Weise. Die Lebenszufriedenheit bleibt bis <strong>in</strong>s hohe Alter zum<strong>in</strong>dest<br />

stabil, <strong>und</strong> es zeigen sich sogar H<strong>in</strong>weise, dass Lebenszufriedenheit mit dem Alter tendenziell<br />

ansteigt. Gleichzeitig nimmt mit dem Alter die Häufigkeit erlebter Gefühle <strong>in</strong>sgesamt ab. Je<br />

älter Menschen werden, desto seltener erleben sie sowohl positive Gefühle (wie „Glück“) als<br />

auch negative Gefühle (wie „Trauer“).<br />

Frauen äußern höhere Zufriedenheit mit ihrem Leben als Männer. Dieser Unterschied zwischen<br />

den Geschlechtern verändert sich zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 nicht. Gleichwohl äußern Frauen auch<br />

<strong>in</strong> höherem Maß als Männer das Erleben negativer Gefühle. Die geschlechtsspezifischen Bef<strong>und</strong>muster<br />

h<strong>in</strong>sichtlich negativen Affekts könnten auf unterschiedliches Antwortverhalten von Männern<br />

<strong>und</strong> Frauen zurückzuführen se<strong>in</strong>: Es ist möglich, dass Frauen eher bereit s<strong>in</strong>d als Männer, das<br />

Erleben negativer Emotionen zu berichten. E<strong>in</strong> hervorzuhebendes, positiv zu bewertendes Ergebnis<br />

bezieht sich auf die Annäherung zwischen Ost <strong>und</strong> Westdeutschland. Die Zufriedenheit von<br />

Menschen, die <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>esländern leben, erhöhte sich zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 stärker<br />

als bei Menschen, die <strong>in</strong> den alten B<strong>und</strong>esländern leben. Es bestehen zwar auch im Jahr 2002 noch<br />

regionale Unterschiede <strong>in</strong> der Lebenszufriedenheit. Gleichwohl ist e<strong>in</strong>e deutliche Annäherung <strong>in</strong><br />

der Zufriedenheit von Menschen <strong>in</strong> Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland zu verzeichnen. H<strong>in</strong>sichtlich sozialer<br />

Ungleichheit zeigen die Bef<strong>und</strong>e deutlich Unterschiede zuungunsten der Angehörigen unterer<br />

sozialer Schichten. Dieser E<strong>in</strong>fluss der Schicht zeigt sich auch <strong>in</strong> anderen Studien (Bulmahn,<br />

2002). Angehörige der unteren sozialen Schichten zeigen zudem zwischen 1996 <strong>und</strong> 2002 nur<br />

ger<strong>in</strong>ge Zugew<strong>in</strong>ne <strong>in</strong> der Lebenszufriedenheit. Für Angehörige der mittleren <strong>und</strong> gehobenen<br />

sozialen Schicht waren die entsprechenden Zuwächse <strong>in</strong> der subjektiven Lebensqualität deutlich<br />

größer. Die erheblichen Unterschiede zwischen sozialen Schichten im subjektiven Wohlbef<strong>in</strong>den<br />

blieben über den Zeitraum von sechs Jahren stabil.<br />

Die längsschnittlichen Analysen zur <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>n <strong>Entwicklung</strong>sdynamik zeigen, dass Veränderungen<br />

<strong>in</strong> der persönlichen Lebenssituation vor allem mit Veränderungen <strong>in</strong> bereichsspezifischen<br />

Bewertungen zusammen hängen – <strong>und</strong> erst diese Veränderungen <strong>in</strong> bereichsspezifischen<br />

Bewertungen korrelieren mit Veränderungen der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit. Mit dem<br />

Alter verändern sich die Gewichtungen der Bewertung verschiedener Lebensbereiche für die<br />

allgeme<strong>in</strong>e Lebenszufriedenheit. Während <strong>in</strong> den jüngeren Altersgruppen Veränderungen <strong>in</strong> der<br />

Bewertung des Lebensstandards <strong>und</strong> der sozialen Beziehungen Bedeutung für Veränderungen <strong>in</strong><br />

der allgeme<strong>in</strong>en Lebenszufriedenheit haben, s<strong>in</strong>d dies <strong>in</strong> der ältesten Altersgruppe vor allem<br />

Veränderungen <strong>in</strong> der subjektiven Ges<strong>und</strong>heit.<br />

Die hier vorgelegten Bef<strong>und</strong>e belegen, dass das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den, <strong>in</strong>sbesondere die<br />

Zufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation, bis <strong>in</strong>s fortgeschrittene Alter hoch bleibt. Dies<br />

ist, gerade angesichts e<strong>in</strong>es nicht selten negativen „Belastungsdiskurses“ <strong>in</strong> den Medien, e<strong>in</strong>e<br />

positive <strong>und</strong> optimistische Botschaft. Dieser Bef<strong>und</strong> sollte zum Anlass genommen werden, den<br />

medialen Diskurs über das Alter optimistischer zu gestalten. Das negative Altersstereotyp trifft<br />

offensichtlich nicht das Selbstbild älter werdender <strong>und</strong> alter Menschen. Zugleich sollte dabei<br />

jedoch nicht übersehen werden, dass gerade alte <strong>und</strong> sehr alte Menschen nur selten Unzufriedenheit<br />

mit der objektiven Lebenssituation äußern. Der an sich positiv zu bewertende Bef<strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>er hohen Lebenszufriedenheit auch im höheren Erwachsenenalter sollte nicht dazu führen,


Kapitel 11: Implikationen des Alterssurveys für Gesellschaft, Wirtschaft <strong>und</strong> Politik<br />

dass ältere Menschen generell aus dem Blickfeld sozialpolitischer Wachsamkeit geraten. Dies<br />

zeigt sich <strong>in</strong>sbesondere h<strong>in</strong>sichtlich des E<strong>in</strong>flusses sozialer Ungleichheit für das subjektive<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den.<br />

11.8 Die Lebenssituation der ausländischen Bevölkerung <strong>in</strong><br />

Deutschland<br />

Der Alterssurvey bietet umfangreiches Datenmaterial für e<strong>in</strong>e Analyse vielfältiger Lebensbereiche<br />

der ausländischen <strong>und</strong> der deutschen Bevölkerung <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte. Die besondere<br />

Stärke des Alterssurveys besteht dar<strong>in</strong>, dass Interaktionen zwischen e<strong>in</strong>zelnen Lebensbereichen<br />

im Detail analysiert werden können. Die ausländische Bevölkerungsgruppe <strong>in</strong> Deutschland<br />

ist <strong>in</strong> sich jedoch sehr heterogen <strong>und</strong> besteht aus vielen ethnischen Gruppen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Vielzahl<br />

von Nationalitäten. Dies erschwert zum e<strong>in</strong>en die Datenanalyse <strong>und</strong> die Aussagekraft der<br />

Analyseergebnisse, da jeweils nur ger<strong>in</strong>ge Fallzahlen zur Verfügung stehen. Zum anderen ist es<br />

kaum möglich, e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Sozialpolitik für alle ausländischen Menschen <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte zu gestalten. Dennoch wird im folgenden der Versuch unternommen, auf der Basis<br />

gewisser Regelmäßigkeiten <strong>in</strong> den Lebensverhältnissen 40- bis 85-jähriger Nichtdeutscher sozial-<br />

<strong>und</strong> gesellschaftspolitische Empfehlungen zu geben.<br />

Das aus der Literatur zur allgeme<strong>in</strong>en Lebenssituation von Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländern <strong>in</strong><br />

Deutschland h<strong>in</strong>länglich bekannte Ergebnis relativer sozioökonomischer Deprivation (ger<strong>in</strong>gere<br />

Schul- <strong>und</strong> Berufsbildungsqualifikationen, niedrige E<strong>in</strong>kommen, stärkere Betroffenheit von<br />

Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Armut – <strong>und</strong> daraus folgend niedrigere Altersrenten, seltener Wohneigentum)<br />

wurde mit den Daten des Alterssurveys bestätigt. Ausländische Menschen <strong>in</strong> der zweiten<br />

Lebenshälfte s<strong>in</strong>d dementsprechend stärker auf staatliche f<strong>in</strong>anzielle Transfers angewiesen als<br />

gleichaltrige Deutsche. Diese stärkere Bedürftigkeit wird noch dadurch verstärkt, dass ausländische<br />

Menschen <strong>in</strong> der zweiten Lebenshälfte ke<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung von ihren (im Herkunftsland)<br />

lebenden Eltern erwarten können. Im Gegenteil, die <strong>in</strong> Deutschland lebenden 40- bis<br />

85-Jährigen selbst spielen e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle als f<strong>in</strong>anzielle Unterstützer ihrer im Herkunftsland<br />

zurückgebliebenen Familienangehörigen.<br />

Die Familie nimmt – sowohl bei Deutschen als auch bei Ausländern – e<strong>in</strong>e zentrale Stellung<br />

e<strong>in</strong>. Der Großteil der K<strong>in</strong>der von Deutschen <strong>und</strong> Nichtdeutschen lebt <strong>in</strong> der näheren Umgebung<br />

der Eltern <strong>und</strong> bietet so die Möglichkeit für direkte Interaktion <strong>und</strong> Kommunikation. E<strong>in</strong> zentraler<br />

Unterschied besteht jedoch dar<strong>in</strong>, dass die K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>es erheblichen Teils der Nichtdeutschen<br />

im Ausland leben. Noch bedeutsamer ist jedoch die Transnationalität <strong>in</strong> der Beziehung zu den<br />

Eltern, die bei den nichtdeutschen Staatsangehörigen zum weit überwiegenden Teil im Ausland<br />

leben. Die Wohnentfernung hat zwar Auswirkungen auf die Kontakthäufigkeit, nicht aber auf<br />

die empf<strong>und</strong>ene Enge der Beziehung. Während also Deutsche häufiger Kontakt zu ihren näher<br />

wohnenden Eltern pflegen, haben Nichtdeutsche zwar seltener Kontakt zu ihren weiter entfernt<br />

wohnenden Eltern, bezeichnen die Beziehung jedoch ebenfalls als eng bzw. sehr eng. Die <strong>in</strong><br />

Deutschland lebenden Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gerem Maße auf <strong>in</strong>strumentelle<br />

Haushaltshilfen angewiesen. Das liegt zum e<strong>in</strong>en vermutlich dar<strong>in</strong> begründet, dass sie öfter<br />

mit K<strong>in</strong>dern im eigenen Haushalt leben <strong>und</strong> so auf dieses Unterstützungspotenzial zurückgreifen<br />

511


512<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

können. Zu bedenken ist jedoch, dass die Arbeitsmigrant<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> -migranten der ersten Anwerbungswellen<br />

<strong>in</strong> den 1950er Jahren erst <strong>in</strong> den nächsten Jahren die Lebensphase der Hochaltrigkeit<br />

erreichen werden. Die verstärkte Notwendigkeit außerhäuslicher <strong>in</strong>strumenteller Hilfen<br />

ergibt sich jedoch auch <strong>in</strong> der deutschen Bevölkerung erst ab e<strong>in</strong>em Alter von 70 Jahren. Es ist<br />

also fraglich, ob es sich bei diesem Ergebnis um e<strong>in</strong>en genu<strong>in</strong>en Unterschied zwischen Nichtdeutschen<br />

<strong>und</strong> Deutschen oder lediglich um e<strong>in</strong>en Alterseffekt der im Durchschnitt jüngeren<br />

Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer handelt. Es ist e<strong>in</strong>e wesentliche Aufgabe zukünftiger Alterssozialberichterstattung,<br />

dieser Frage nachzugehen.<br />

Sollte das Letztere der Fall se<strong>in</strong>, dann werden hochaltrige Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer <strong>in</strong><br />

Zukunft ebenfalls auf externe <strong>in</strong>strumentelle Hilfen angewiesen se<strong>in</strong>. Aufgr<strong>und</strong> der zuvor beschriebenen,<br />

ökonomisch deprivierten Lebensumstände werden sie jedoch kaum <strong>in</strong> der Lage<br />

se<strong>in</strong>, für Haushaltshilfen zu bezahlen. Hochaltrige Ausländer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ausländer könnten so zu<br />

e<strong>in</strong>er wesentlichen Zielgruppe zukünftiger sozialpolitischer Interventionen werden. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus ist es notwendig, bei der Planung zukünftiger ambulanter <strong>und</strong> stationärer Pflegestrukturen<br />

die besonderen Bedürfnisse dieser aus anderen Kulturkreisen stammenden Personen zu berücksichtigen.<br />

Es ist davon auszugehen, dass sich mit der rapiden Alterung der ausländischen<br />

Bevölkerungsgruppe e<strong>in</strong> starker zusätzlicher Bedarf an Pflegee<strong>in</strong>richtungen ergeben wird. Dabei<br />

sollte besonderer Wert auf e<strong>in</strong>e kultursensible Pflege gelegt werden. Es ist e<strong>in</strong>e wesentliche<br />

Aufgabe deutscher Gesellschafts- <strong>und</strong> Sozialpolitik, zu e<strong>in</strong>er gel<strong>in</strong>genden Integration ausländischer<br />

Menschen beizutragen. Die Nachhaltigkeit solcher Maßnahmen wird am besten durch<br />

umfassende Bildungsangebote für alle Altersgruppen erhöht. Dies bedeutet u.a. Sprachkurse<br />

auch für ältere Menschen anzubieten. Langfristig noch wichtiger ist es aber, schulische <strong>und</strong><br />

berufliche Qualifikationen der jüngeren Generationen zu erhöhen, um diese <strong>in</strong> die Lage zu versetzen,<br />

sich selbst <strong>und</strong> ihren Familienangehörigen zu helfen. Das ist das Ziel e<strong>in</strong>er aktivierenden<br />

Sozialpolitik <strong>und</strong> zugleich das Ziel e<strong>in</strong>er erfolgreichen Generationenpolitik.<br />

11.9 Ausblick<br />

Der demografische <strong>Wandel</strong> <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Veränderungen stellen Gesellschaft,<br />

Wirtschaft <strong>und</strong> Politik e<strong>in</strong>erseits vor große Herausforderungen (Enquete-Kommission, 2002),<br />

bieten andererseits aber auch Chancen für gesellschaftliche Weiterentwicklung (Qualls & Abeles,<br />

2000). Die zweite Welle des Alterssurveys stellt für Akteure <strong>in</strong> Gesellschaft, Wirtschaft <strong>und</strong><br />

Politik umfassende Informationen zu sozialem <strong>Wandel</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>in</strong>dividuelle</strong>r <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> der<br />

zweiten Lebenshälfte zusammen. Die gegenwärtigen <strong>und</strong> auch künftigen Generationen älterer<br />

Menschen verfügen über zahlreiche Ressourcen, die bereits jetzt im Rahmen von familialer<br />

Unterstützung <strong>und</strong> bürgerschaftlichem Engagement gesellschaftlich nutzbar gemacht werden,<br />

die aber <strong>in</strong> Zukunft möglicherweise noch breiter aktiviert werden können.<br />

Im S<strong>in</strong>ne des oben skizzierten „Bedarfs- <strong>und</strong> Versorgungsdiskurses“ lassen die Bef<strong>und</strong>e zu den<br />

verschiedenen Themen erkennen, dass es der gegenwärtigen Generation älterer Menschen recht<br />

gut geht. Die E<strong>in</strong>kommenssituation ist im Durchschnitt als adäquat zu bezeichnen, die soziale<br />

Integration <strong>in</strong> Familie <strong>und</strong> soziale Netzwerke ist gut <strong>und</strong> das subjektive Wohlbef<strong>in</strong>den ist hoch.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs ist dabei zu berücksichtigen, dass durch Durchschnittswerte die zum Teil bestehen-


Kapitel 11: Implikationen des Alterssurveys für Gesellschaft, Wirtschaft <strong>und</strong> Politik<br />

den, erheblichen Differenzierungen <strong>und</strong> sozialen Ungleichheiten verdeckt werden, die nach wie<br />

vor e<strong>in</strong>e Herausforderung für Gesellschafts- <strong>und</strong> Sozialpolitik darstellen. Zudem machen die<br />

Bef<strong>und</strong>e zum sozialen <strong>Wandel</strong> deutlich, dass zukünftig <strong>in</strong> den Bereichen materielle Versorgung<br />

<strong>und</strong> soziale Integration möglicherweise mit e<strong>in</strong>em Anstieg von Problemlagen zu rechnen ist.<br />

Sollte die Bedeutung der gesetzlichen Rentenversicherung <strong>in</strong> Zukunft durch Dämpfungsmaßnahmen<br />

s<strong>in</strong>ken, so ist gerade bei bedürftigen Haushalten nicht davon auszugehen, dass sie <strong>in</strong> der<br />

Lage se<strong>in</strong> werden, kompensierende private Alterssicherungen abzuschließen. Der <strong>Wandel</strong> <strong>in</strong> der<br />

Zusammensetzung von Familien, die weiterh<strong>in</strong> steigende K<strong>in</strong>derlosigkeit nachwachsender Generationen<br />

sowie die ansteigende Mobilität der K<strong>in</strong>dergenerationen kann <strong>in</strong> Zukunft ebenfalls<br />

zu häufiger werdenden Konstellationen brüchiger sozialer Unterstützungsnetzwerke führen.<br />

Hier ist es sicherlich notwendig, geeignete sozialpolitische Maßnahmen im Bereich der sozialen<br />

Sicherung sowie der Unterstützung von älteren Menschen mit Hilfe- <strong>und</strong> Pflegebedarf bereitzustellen.<br />

Diese <strong>Entwicklung</strong>en lassen es geraten ersche<strong>in</strong>en, nicht allzu voreilig Entwarnung mit<br />

Blick auf den Hilfebedarf alter <strong>und</strong> sehr alter Menschen zu geben.<br />

Gleichwohl lassen sich <strong>in</strong> den Bef<strong>und</strong>en der zweiten Welle des Alterssurveys auch sehr positive<br />

<strong>und</strong> optimistisch stimmende Botschaften entnehmen. Offenk<strong>und</strong>ig hält der Trend zu verbesserter<br />

Ges<strong>und</strong>heit nachwachsender Generationen an. Deutliche Anzeichen für verbesserte Ges<strong>und</strong>heit<br />

der zukünftigen „jungen Alten“ ließen sich <strong>in</strong> den Bef<strong>und</strong>en ablesen. Gerade hier ist jedoch<br />

zu betonen, dass die ges<strong>und</strong>heitlichen Potenziale älter werdender Menschen durch Maßnahmen<br />

der Ges<strong>und</strong>heitsförderung <strong>und</strong> Prävention gestützt werden sollten. Der Blick auf die <strong>in</strong> der Regel<br />

recht gute Ges<strong>und</strong>heit von Menschen zwischen 40 <strong>und</strong> 70 Jahren lässt auch den Schluss zu,<br />

dass ges<strong>und</strong>heitliche Gründe kaum gegen e<strong>in</strong>e Verlängerung der durchschnittlichen Lebensarbeitszeit<br />

sprechen. Dazu kommt die Tatsache, dass sich <strong>in</strong> den Köpfen älter werdender Arbeitnehmer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Arbeitnehmer offensichtlich e<strong>in</strong> <strong>Wandel</strong> h<strong>in</strong>sichtlich der eigenen Lebensplanung<br />

vollzieht: Immer weniger ältere Arbeitnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Arbeitnehmer planen e<strong>in</strong>en Berufsausstieg<br />

mit 60 Jahren. Allerd<strong>in</strong>gs muss hierbei bedacht werden, dass im Arbeitsmarkt gegenwärtig<br />

noch ke<strong>in</strong>e starke Nachfrage nach (älteren) Arbeitskräften besteht. Daher s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> jedem<br />

Fall Maßnahmen der Schonung <strong>und</strong> Pflege von Humankapitalressourcen, die auch <strong>in</strong> der<br />

Verantwortung von Betrieben liegen, sowie der flankierenden Absicherung angesichts e<strong>in</strong>es<br />

gegenwärtig wenig dynamischen Arbeitsmarktes notwendig.<br />

Wir hoffen, dass die hier vorgelegten Bef<strong>und</strong>e dabei helfen werden, die Herausforderungen des<br />

demografischen <strong>Wandel</strong>s nicht ausschließlich unter der Perspektive der gesellschaftlichen Belastungen<br />

<strong>und</strong> ihrer Verteilung zu sehen. Vielmehr denken wir, dass es e<strong>in</strong>e Reihe von Chancen<br />

gibt, die der demografische <strong>Wandel</strong> <strong>und</strong> die sich daran anschließenden gesellschaftlichen Veränderungen<br />

bieten. Sich den Herausforderungen optimistisch zu stellen <strong>und</strong> die Chancen produktiv<br />

zu nutzen, sollte das Ziel geme<strong>in</strong>samer Anstrengungen von Gesellschaft, Wirtschaft <strong>und</strong><br />

Politik se<strong>in</strong>.<br />

513


514<br />

Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstler <strong>und</strong> Andreas Motel-Kl<strong>in</strong>gebiel<br />

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