Hören, Vernehmen, Verstehen

Vorlesung:
Anfänge der Medien-Philosophie
WS 02/03; Mittwoch, 18-20, Hs A (Lorenz Engell)
5. Vorlesung (20. 11. 02): Hören, Vernehmen, Verstehen
I
1. Begrüßung, Ankündigungen, Ausblick
- Theweleit-Vorlesung am Freitag, den 22.11. „was ist Realität“; Workshop
„Blut schreiben“, ebenfalls am Freitag, Helmholtzstr. DEFA Film nach der
Vorlesung. Weitere Ankündigung.
- Ausblick: Anders als sonst heute kein Rückblick, statt dessen: Über die Maus.
Dann über das Hören: 1. Hören im Mythos; 2. Struktur, Funktion, Leistung des
Hörens; 3. Was erkennen wir, wenn wir hören: Vernehmen, Verstehen und
Hören bei Martin Heidegger.
Über die Maus, Teil 1. Anmerkung: Ausnahmsweise ein geschlossener Text.
Über die Maus
- In der digitalen Welt gilt: Die Maus ist alles, was der Fall ist. Genauer, die
Maus ist das Werkzeug, mit dessen Hilfe darüber entschieden wird, was der
Fall ist und was nicht; die Maus steuert an, markiert und wählt aus, was der
Fall ist, und was nicht; sie macht, daß etwas ist und nicht vielmehr nichts,
etwas Bestimmtes und nicht vielmehr etwas ganz anderes. Die Maus ist
vielleicht nicht gleich die ganze Welt, aber sie ist auf ihre Weise die
Bedingung der Möglichkeit einer Welt. Diese spezielle Welt der Maus besteht
aus zwei Teilen oder Teilwelten, deren eine alles ist, was der Fall ist, also alle
positiv gegebenen Sachverhalte, deren andere aber alles ist, was nicht, nicht
mehr oder noch nicht der Fall ist, also alle vergangenen, zukünftig möglichen
und kontingenten, statt des Tatsächlichen und neben ihm ebenso gut möglichen
Sachverhalte. Jede der beiden Teilwelten enthielte selbstverständlich die
jeweils andere und setzte sie voraus, denn alle positiv gegebenen Sachverhalte
sind auch mögliche Sachverhalte, und die Wirksamkeit vergangener,
gegenwärtiger und zukünftiger Möglichkeiten neben der gegebenen Welt ist
ihrerseits ein wirklichkeitsmächtiger Sachverhalt. Die Differenz dieser beiden
Welten, genauer: die Einheit der Unterscheidung beider Welten konstituiert
das, was wir Welt nennen können. Und eben diese Unterscheidung ist es, die
bei jedem Mausklick immer wieder getroffen wird. Der Mausklick aktualisiert
die Möglichkeit von Welt; im Augenblick des Mausklicks realisiert sich Welt
und wird sie erfahrbar, die sich ja sonst als Voraussetzung aller Erfahrung
ihrerseits der Erfahrbarkeit meist entzieht außer in Extremsituationen wie der
tiefen Langeweile oder der grundlosen Angst. Während aber diese
Erfahrungsformen eher der Negation der Welt, dem Nichts, gelten, gilt die
Form des Mausklicks unmittelbar der Positivität der Welt. Indem die Maus

zwischen dem positiv Gegebenen und dem daneben und als nächstes auch
Möglichen unterscheidet, etwas in die Welt der Sachverhalte hebt, anderes
aber ins das Reich des bloß Möglichen verweist, aktualisiert sie deren
Differenz und bejaht damit die Welt. Wo Angst und Langeweile die Welt
durch Negation zum Vorschein bringen, da verhält sich die Maus grundsätzlich
affirmativ zur Welt.
- Keine Sorge, wenn dies etwas rätselhaft erscheint, ich komme darauf zurück.
Denn diese Betrachtungen über die Welt der Maus greifen zunächst weit
voraus. Für sich genommen nämlich ist die Maus erst einmal so gut wie gar
nichts. Funktion besitzt und Sinn entfaltet sie erst als Teil eines umfassenderen
technischen Gefüges, in das sie eingelassen ist, und das etwa Betriebssysteme,
Benutzeroberflächen, Vernetzungsformen mit umgreift. Nur im Verein mit der
Fenstertechnologie und den Schaltflächen etwa kann die Maus greifen. Hierin
gleichen sich viele Schreib-, Werk- oder Denkzeuge, Medien, die je für sich
allein genommen wenig oder nichts vermögen und der Ergänzung durch
Komplemente bedürfen, syntagmatische Zusammenhänge ausbilden. Zum
Bleistift gehört das Papier, zum Buchdruck die Buchbinderkunst, zum
Hochhaus der Fahrstuhl, zur Eisenbahn der Telegraph; die Fernbedienung gibt
Sinn nur im Verein mit Kabel- und Satellitenempfang (und umgekehrt), der
Walkman setzt die Compact Cassette voraus, die wiederum ohne den Walkman
vermutlich längst vom Markt verschwunden wäre. Hinzu kommt, daß der
Beitrag der Maus zu unseren Gedanken gar nicht unbedingt eng an die Maus
gebunden ist. Die physische, gegenständliche Maus ist auf einer
paradigmatischen Achse ersetzbar, etwa durch Trackball oder Touchpad. Die
konkrete Maus ist eine mögliche Kristallisationsform ihrer Funktion im
Kontext, eben der Mausfunktion, unter vielen anderen, auch wenn sie
möglicherweise eine ideale Form ausbildet. In beiden Eigenschaften, der
syntagmatischen Komplementarität mit anderen einerseits und der funktionalen
paradigmatischen Substituierbarkeit durch andere andererseits, erweist sich die
Maus als ein typisches Medium. Medien bilden noch immer
Systemzusammenhänge aus, sie beziehen sich stets auf andere Medien, die sie
zu Komplexen ergänzen oder in Komplexen ersetzen können. Schon Marshall
McLuhan wußte, daß man Medien weniger in der Differenzperspektive
erklären kann im Hinblick auf irgend eine außerhalb ihrer liegende Realität
und sog. „Inhalte“, als vielmehr in der funktionalen Perspektive im Hinblick
auf die Funktionen, die sie im Gefüge der Medien einnehmen, auf den
Zusammenhang, der sie mit anderen zusammenschließt.
- Die Mausfunktion ist ihrerseits komplex, sie kann ihrerseits – getreu den
Fundamentalkategorien Peirces - aufgegliedert werden in drei Teilbereiche.
Erstens oder als Erstheit ist die Maus funktional in sich, ohne weitere Hinsicht
auf das, was sie leistet oder bedeutet. Damit hat die Maus, wie Morris dies
nennt, syntaktische Funktionen für das materielle und visuelle Geschehen auf
der Bildschirmoberfläche; das Ausgangsmaterial, mit dem sie arbeitet, sind
bestimmte Handbewegungen und Handlungen, die sie einer strengen
Systematik in der Art einer Grammatik unterwirft. Zweitens oder als Zweitheit
steht die Maus in einer Beziehung zu etwas anderem; koordiniert sie die
Geschehensabläufe auf der Bildschirmoberfläche mit solchen außerhalb des
Bildschirms in der physischen und gedanklichen Welt des Nutzers ebenso wie
in der technischen Binnenwelt des Geräts. Sie besitzt dann in der semantischen
Dimension eine Repräsentationsfunktion, indem sie etwa Bewegungen des
Nutzers und Abläufe des Programms miteinander verschränkt und auch auf

dem Bildschirm ablesbar, sichtbar macht, auf- und anzeigt. Und erst drittens
oder als Drittheit, in der pragmatischen Dimension in der Terminologie
Morris’, stellt sie Zusammenhänge her, indem sie Dinge außerhalb ihrer selbst
miteinander verknüpft. Sie läßt Verbindungen und Zusammenhänge erstehen
und schießlich gibt sie, was uns mit Nietzsche am meisten interessiert, der
Welt, die sie erschließt, eine bestimmte und bestimmbare Form, interpretiert
sie die Welt, erzeugt sie Wahrnehmungs-, Sinngebungs- und
Denkgewohnheiten.
2. Erste Unterbrechung
4. Fortsetzung
- Nachbetrachtung zu Erstheit, Zeitheit, Drittheit: Natürlich ist die Maus als
technisch konstituiertes, real begegnendes Artefakt immer vom Charakter der
Zweitheit.
- Dennoch können auch an realen Gegenständen die drei Kategorien
unterschieden werden, wenigstens analytisch, weil Zweitheit immer Erstheit
einschließt; und weil diese Unterscheidung immer schon Drittheit erfordert (es
gibt auch andere Argumente, aber das soll hier genügen).
- Der erste, der syntaktische Funktionsbereich der Maus umfaßt folglich das
Rohmaterial, aus dem das Maushandeln sich aufbaut; all das, was die
Bewegung des Cursors über das Bildfeld betrifft (und dasjenige der Maus
selbst über den Mauspad, die Handbewegung). Das ist zunächst und zuerst das
bloße, oft zunächst noch orientierungslose Fahren und Schwenken über die
Bildschirmoberfläche. Es hat mitunter, zu Beginn einer Computersitzung, rein
phatische Funktion und meldet Gerät und Betriebssystem zur Stelle. Dann aber
folgt das mehr oder weniger gezielte Suchen oder gar Aufsuchen bestimmter
Stellen auf der Bildschirmoberfläche, wie auch entsprechend das Innehalten,
das Ansteuern, Anzeigen und Hervorheben bestimmter Punkte, Flächen und
Fenster. Jeder beliebige Punkt der Bildschrimoberfläche kann von jedem
beliebigen anderen aus auf jedem beliebigen Weg angesteuert und aufgesucht
werden. Es gibt, trotz oder gar wegen der digitalen, also diskreten
Bildtechnologie etwa des Flüssigkristalbildschirms keine feste Organisation
der Fläche etwa in Zeilen, Linien und Spalten mehr und keine diskrete Struktur
der Nutzeroberfläche. Damit gewinnt die Maus auf der Bildschirmoberfläche
etwas von der Freiheit des Blicks im Raum oder derjenigen des Zeichenstifts
auf dem Papier zurück und führt über das konventionelle Schreiben hinaus, das
sich die Welt schließlich in geordneten Bahnen erschließt. Zweitens gehört in
diesen Bereich materieller Funktion der Maus essentiell das Auswählen durch
den berühmten Mausklick, die Betätigung der Taste. Am Übergang vom
Ansteuern zum Anklicken können sehr schön die Selektionsstufen der -
revidierbaren, noch virtuellen - Vorauswahl und der gültigen Wahl markiert
werden, wie sie für den Aufbau von Sinnsystemen kennzeichnend ist, in denen
an eine Aussage oder an eine Handlung keineswegs irgend eine beliebige
andere als sinnvoll folgen kann, wohl aber eine sehr große, durch den
Sinnrahmen schon vorstrukturierte und vorausgewählte Vielzahl, aus der dann
eine aktuelle Folgehandlung oder Folgeaussage sinnhaft ausgewählt wird. Auf
das bloße Abschwenken eines möglichen Angebots folgt also im Mausklick
eine Entscheidung für etwas Bestimmtes und gegen etwas oder alles andere,

wobei diese Entscheidung in aller Regel weitere Entscheidungsmöglichkeiten
oder weiteren Entscheidungszwang nach sich zieht; neue Fenster werden
geöffnet, die neue Betrachtung erfordern und neue Selektionsmöglichkeiten
darbieten. Schließlich wäre eine dritte Variante des materiellen
Funktionsbereichs zu nennen, nämlich die Kombination der beiden ersten, also
die Bewegung der Maus bei gedrückter Taste bzw. die Veränderung der
Flächen und Fenster, das Verkleinern, Vergrößern und Umsortieren, die
Verschiebung der Fenster und Symbole, das berühmte „Ziehen“, mit dem man
etwa ein Dokument „hervorziehen“ oder von einem Ordner in einen anderen
„hinüberziehen“ kann. Damit ist bereits der Bereich der Bearbeitung benannt,
d. h. des Eingriffs in die vorstrukturierte Welt, die jetzt nicht mehr nur als
nachvollziehbarer Entscheidungsbaum, als Selektionsmasse zur Verfügung
steht, sondern zu einer regelrechten Umgebung (und damit erst überhaupt zu so
etwas wie einer Welt) werden kann, an und in der, neben den reversiblen, auch
irreversible, in dieser Form so nicht vorselegierte Handlungen vorgenommen
werden können, eine dynamische, temporalisierte Welt also. In allen drei
Fällen, dem Fahren, dem Klicken und dem Ziehen, entwickeln sich im übrigen
alsbald routinemäßige Handlungs- und Bewegungsbabfolgen, optimierte
Standardverläufe, Programmen ähnlich. Zwischen den programmierten
Abläufen des Rechners und jenen des Nutzers muß hier nicht unterschieden
werden; die Maus funktioniert gleichsam in beiderlei Richtung, indem sie nicht
nur dem Rechner sagt, was er als nächstes tun soll, sondern auch dem Nutzer,
und so Vorschriften und Befehle in beiderlei Richtung und Hinsicht erteilt.
3. Zweite Unterbrechung: Iconizität, Indexikalität und Symbolizität
- Damit komen wir zur zweiten Ebene der Maus, nämlich zu ihrer
Darstellungsfunktion
- Dazu eine grundsätzliche, wichtige Erweiterung: Erstheit, Zweitheit und
Drittheit sind nicht nur zusammen gegeben, sondern sie können auch
aufeinander bezogen, aufeinander abgebildet werden.
- Das ist ja auch ganz logisch: Seiendes jeder Kategorie kann auftreten oder
gegeben sein wiederum im Modus der Erstheit, Zweitheit oder Drittheit.
- Für den besonderen Fall der Zweitheit bedeutet das: Die beiden in der
Zweitheit zusammen auftretenden Gegebenheiten können je nach der Art ihres
Zusammehangs unterschieden werden:
- Haben Sie etwas gemeinsam (Ähnlichkeit): Erstheit des Zusammenhangs (das
kann aber auch z.B. der Ort oder der Zeitpunkt ihres Auftretens sein o.ä.);
- Treten sie als Ursache und Wirkung bzw. Grund und Folge auf: Zweitheit des
Zusammenhangs;
- Treten sie als frei gestifteter Zusammenhang auf, der konventionell (also über
etwas Drittes, Unabhängiges) vermittelt ist: Drittheit des Zusammenhangs.
- Erstheit: ICONIZITÄT, Zweitheit: INDEXIKALITÄT, Drittheit:
SYMBOLIZITÄT
4. Fortsetzung Maus
- Im zweiten Funktionsbereich, dem Bereich der Semantik oder der
Repräsentation, haben wir es dagegen mit Visualisierungen, Koordinationen
und Anzeigen sowie mit komplexen Darstellungsvorgängen zu tun. Als erstes
und für sich genommen stellt die Maus natürlich, aufgrund ihrer ergonomisch

gewonnen Form, eine Maus dar; allein dies schon, die Metapher der Maus,
immerhin ein Lebewesen, und ein niedliches dazu, bietet viel Raum für
Interpretation. Die iconischen und indexikalischen Darstellungsbeziehungen
des gesamten Maus-Komplexes aber sind hier von größerem funktionalen
Gewicht. In einer ganzen Kette von Analogiebeziehungen - und auch
Analogiebeziehungen können digital codiert sein -, die zum Teil physiologisch
begründet sind, zum Teil technisch und zum Teil rein konventionell,
repräsentiert der Cursor auf dem Bildschirm den Blick des Benutzers auf
einzelne Teile und Ausschnitte des Bildfeldes, oder genauer: den Focus; und
zwar sowohl den Focus als Blick- und visuelles Schärfezentrum wie auch als
Zentrum der Aufmerksamkeit, jenseits dessen zunächst ein Unschärfebereich,
eine Dunstzone noch abgeblendeter möglicher nächster oder vorhergehender
Focusssierung liegt. Diese Kette verläuft von der Aufmerksamkeit des Blicks
über die Auge-Hand-Beziehung zur Maus selbst und von dort über das
Mousepad bis zum Cursor auf dem Bildschirm. In vielen Anwendungen
repräsentiert der Cursor sogar den Benutzer selbst, nämlich alle seine
funktionalen Handlungsmöglichkeiten in der dargebotenen Welt. Daraufhin
erst wird es möglich und sinnvoll, den Cursor auch visuell als Figur, als
Abbildung einer Hand, eines Körpers zu gestalten und ihn als virtuelle Person,
als Avatar im wahrsten Sinne des Wortes auszuführen, wie er uns
beispielsweise im Videospiel begegnet. Die nächste, die indexikalische Stufe
der Repräsentationsfunktion wird wiederum im Mausklick erreicht, diesem
technischen und auch epistemologischen Zentrum des gesamten Maus-
Komplexes. Der Cursor repräsentiert jetzt die Hand; genauer: den Zeigefinger,
das digitum des Benutzers und das Moment der Berührung. Das Aufleuchten,
Hinterlegen, Beschriften oder sonstige Herausheben des repräsentiert die
Deixis, die Zeigehandlung, durch die die eigentliche Selektion bereits angelegt
und dann in der Berührung der Taste realisiert wird. Die gesamte
Kulturtheorie der Deixis, die semiotischen, psychologischen und
epistemologischen Verzweigungen der elementaren und primären „Dies-Dort-
Du-Dann“-Relation und des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs, die durch
die Deixis aufgepannt wird und die bis hin zu magischen und rituellen
Praktiken der Berührung und des Handauflegens, zu den Schöpfungsmythen
und zu seltsamen Alltagsbräuchen wie dem Händedruck führt, braucht hier
nicht ausgeführt zu werden. Wichtig ist, daß durch den Mausklick in dem
durch den Bildschirm zur Unterscheidung freigegebenen Material eine
konkrete Unterscheidung getroffen wird (dieses hier und alles andere -
wenigstens jetzt erst einmal - nicht), und zugleich die ausgewählte Seite der
Unterscheidung positiv markiert, bezeichnet wird (dies hier). Die Maus wählt
jedoch nicht nur aus, sie löst auch aus und gibt ganze Handlungsroutinen frei,
die sich sich entlang mehr oder weniger fester Schemata aus dem
Zusammenspiel der getroffenen Wahl und der dadurch ausgelösten Arbeit des
Rechners selbst ergeben. Auch zum Phänomen der Auslösung als der
spezifischen Funktion des Schalters existiert eine ausgearbeiteter
Theoriekontext, in dem insbesondere als Kern maschineller und
maschinisierter Vorgänge nicht etwa der energetische oder der mechanische
Prozeß ausgemacht wird, sondern vielmehr der regelungstechnische Eingriff
der Unterbrechung und Auslösung der mechanischen Bewegung. In diesem
Sinne repräsentiert die Maus nicht nur die Welt des Benutzers und seine
Handlungsmöglichkeiten auf dem Bildschirm, sondern zugleich auch die Welt
des Gerätes und seiner Möglichkeiten; gleichsam das Innere des Geräts oder

doch einen Teil davon. Erst dadurch wird der Bildschirm zur Schnittstelle oder
zur Berührungsfläche des Mensch-Maschine-Zusammenhangs. Der Mausklick
wird zu einem Befehl, und erst dadurch wird, wie vorhin beim Avatar, die
Einrichtung konventioneller oder iconischer Schaltflächen sinnvoll, die
bestimmte Arbeitsvorgänge in toto repräsentieren und bei Berührung und
Anwahl auslösen.
- In der dritten, der symbolischen Stufe der Repräsentationsfunktion schließlich
läßt sich die Maus zunächst als Performanzsymbol für die Funktions- und
Leistungsfähigkeit der digitalen Informationsverarbeitung überhaupt lesen,
pars pro toto für den medialen Gesamtzusammenhang, für den und in dem sie
steht. Ähnlich wie bei der Fernbedienung hat, wer die Maus hat, auch die
Macht über das Geschehen auf dem Bildschirm, die anderen können nur über
die Schulter schauen. Weiterhin nimmt sie, etwa als avancierte Designermaus,
Anteil am Haushalt kultureller Statussymbole, in dem jedes Ding als Ware mit
Bedeutsamkeit zur Aussage beispielsweise über seinen Besitzer aufgeladen
wird. Sinn und Funktion der Maus konvergieren hier typischerweise mit
ökonomischen Werten.
- Damit kommen wir zur Frage nach dem Sinn der Maus als dem
Zusammenhang, den sie stiftet. Wir betrachten sie abschließend unter dem
Aspekt der Drittheit und kehren somit zurück zum Problem einer möglichen
Welt der Maus, nach den Welterschließungs- und Sinngebungsstrategien dieses
Werkzeugs. Die Welt der Maus ist in Sonderheit gekennzeichnet durch das
Nebeneinander von Wirklichem und Möglichem - oder von Aktuellem und
Virtuzellem - , das sich in den motiven der Selektivität, wie gesehen, realisiert.
der gängige, aber logisch eher merkwürdige Ausdruck von der „Virtuellen
Realität“ hat hier seinen Sinn. Gilles Delueze spricht, wenngleich nicht in
Hinsicht auf die Maus, sondern im Rahmen seiner Philosophie des Kinos, von
einer Koaleszenz, einem Nebeneinanderliegen oder Oszillieren von
Wirklichkeit ud Möglichkeit. Er macht zudem diese Modalitätenverschiebung
als den Grund der Zeit aus. Demnach wäre die Maus also eine Zeitmaschine,
die die verschiedensten Schichten des Abgelegten, des Noch-zu Betrachtenden
oder Noch-zu Lesenden und des gerade jetzt Wirksamen, des „Geöffneten“
oder „Aktivierten“ übereinander und nebeneinander legen und sogar in iher
Schichtung beliebig verändern, etwa Abgelegtes wieder hervorziehen, kann.
Das Interessante an dieser Anordnung der Zeiten in Schichten ist die
Verräumlichung: Natürlich findet hier eine Projektion der Zeit in den Raum
statt, aber der Projektionsraum (oder der Raum der Bearbeitung) ist ein
Grenzfall zwischen Raum und Fläche. Das Desktop ist flächig, erlaubt aber
eine Tiefenstaffelung von Flächen, ohne jedoch gänzlich in den
Dreidimensionalen Raum auszuweiten. Man könnte auch in der Frage von
Raum und Fläche von einer Koaleszenz, einem Nebeneinander beider
Geometrien sprechen, die das Nebeneinander des Möglichen und des
Wirklichen abbildet. In jedem Fall ist in der Welt der Maus alles, was
erscheint, ein Produkt einer Wahl, die auch anders hätte ausfallen können und
in vielen Fällen sogar spurlos revidierbar ist. Die Wirklichkeit ist eine
kontigente Realität, die Möglichkeit eine virtuelle Realität, und zwischen
beiden herrscht eine Selektionsbeziehung. Jede an- und ausgewählte Variante
weist dabei imer schon und immer noch von sich selbst weg auf die nächst zu
wählende oder die vorangegangene Wahl. Eine Webseite lädt nicht zum

Verweilen ein; die wichtigsten Flächen sind die Weiter- und
Zurückschaltbefehle. Der Nutzer ist nie so richtig da, wo er gerade ist, sondern
immer schon und immer noch woanders, dort. wo er herkommt oder dort, wo
er als nächste hingehen könnte; und er fühlt sich immer weggezogen. Wir
kennen den Effekt auch von der Fernbedienung, die das Verharren bei Ein- und
Demselben zugunsten des Wechsels zum Anderen unwahrscheinlich macht. Es
braucht nicht hervorgehoben zu werden, wie sehr diese Verfassung der
digitalen Welt als Produkt von Wahl und Auswahl, als gesamtraum zu
treffender Wahlen, auch die Suggestivkraft der revidierbaren Wahl, der
umkehrbaren Entscheidung, der Gleichzeitigkeit des Nebeneinander
Möglichen - das Eine und das Andere auch -, das Prinzip des Hier und zugleich
anderswo, das auch beispielsweise in Medien wie dem Walkman und ganz
besonders dem Handy wirksam ist, sich pragmatisch wie phänomenal in den
Funktionszusammenhang eines hochgezüchteten Konsum- und
Dienstleistungskapitalismus mit seinen Flexibilisierungsanforderungen, seinem
Ubiquitätsdruck und seinen Komplexitätszumutungen fügt.
- Das Restproblem jedoch bleibt der prekäre Status der so beschaffenen Welt
selbst. Denn die digitale Welt als eine mithilfe geeigneter Werkzeuge - und
zwar als Werkzeuge erkennbare Werkzeuge wie eben der Maus - eigens und
künstlich verfertigte Welt ist nicht nur Fläche, Raum und Rahmen der
Wählbarkeit, sondern selbstverständlich ihrerseits nur plural und kontingent
vorstellbar, ein Selektionsprodukt, das genauso gut ganz anders ausfallen
könnte. Damit ist das, was wir traditionell als „Die Welt“ für den Inbegriff der
Einheit und der Differenzlosigkeit, für Allheit schlechthin halten, die uns auch
allen gleichermaßen und vorazussetzungslos gegeben ist und der nur der
Abgrund des Nichts gegenübersteht, nur mehr als unentrinnbare Vielheit zu
haben, zu der es aber andererseits nicht einmal mehr ein Nichts als
undenkbaren Außenraum zu geben scheint. Die digitale Welt ist aufgespalten,
differenziert, plural, einerseits eine reine Innenwelt aber, ohne Außenraum
andererseits. Die allfällige Rede von der Globalisierung hat genau hier ihren
Sinnkern, sie meint nämlich eine binnendifferenzierte, aber unentrinnbare,
gleichsam nur noch von innen begehbare Innenwelt ohne Außenansicht.
Gemeinsamkeit kann in der digitalen Welt weder vorausgesetzt noch einfach
angetroffen werden, die Welt ist keine bedingungslose Folie der
Gemeinsamkeit mehr. Gemeinsamkeit muß vielmehr immer erst gewählt, jedes
Mal einzeln erdacht und hergestellt werden, und es gäbe auch stets
Alternativen zu ihr, so daß sie immer fragil, temporär und gefährdet bleibt. Die
einzige apriorische Gemeinsamkeit, die niemand in Frage stellen kann, weil
die Mittel dazu fehlen würden, sind eben die Mittel selbst, sind die Werkzeuge
der Weltgenerierung, der Sinnerfahrung und der Selektion, von Nietzsches
Schreibmaschine bis zur heutigen Computermaus.

II
Überleitung und Einleitung: Hören.
- Soweit zum Tasten und zur technischen Instrumentierung des Tastens bis
heute.
- Nun: Übergang zum nächsten „Sinn“, nämlich dem Hörsinn.
- Christoph Willibald Gluck: Che farò senza Euridice
2. Vom Mythos des Hörens: Orpheus und Hermes
- Orpheus, Sohn der für das Epos zuständigen Muse Kalliope, war berühmt für
seine Qualitäten als Musiker und Sänger. Zwei Beispiele: Seine Durchfahrt
durch die Straße von Messina (an der die Sirenen zu hören waren) mit den
Argonauten: er besänftigte die Sirenen durch sein Spiel und gelangte hindurch
(anders Odysseus, der seinen Gefährten die Ohren verstopfen und sich an den
Mast binden ließ).
- Zweites Beispiel: Orpheus und Euridice: Orpheus gelingt es durch sein Spiel,
Hades zur Rückgabe seiner verstorbenen Frau zu bewegen; leider dreht sie sich
auf dem Rückweg verbotswidrig um und muß doch zurück ins Totenreich.
- ein anderer Mythos: Argos und Hermes. Zeus begehrt die schöne Io und
verwandelt sie, um keinen Verdacht bei der eifersüchtigen Hera zu erregen, in
eine Kuh, sich selbst in einen Stier. Hera, mißtrauisch, stellt aber die Kuh unter
Dauerbewachung durch Argus, dessen Haut über und über mit Augen bedeckt
ist und der deshalb in alle Richtungen zugleich sehen kann.
- Zeus beauftragt Hermes deamit, Argus aus dem Weg zu räumen. Da man sich
dem Argus aber nicht unbemerkt nähern kann, erfindet Hermes die Panflöte.
Mit dem Flötenspiel gelingt es ihm, den Argus willenlos und arglos zu machen
und ihn anschließend zu erschlagen.
- Hera häutet den Erschlagenen dann ab und verleiht seine Haut dem Pfau.
3. Struktur, Funktion und Leistung des Hörsinns
- Was sagt uns das über das Hören ?
- Raumstruktur: Tastsinn war auf den Punkt, auf die Berührung gerichtet; bei
Dauerbeanspruchung „schaltet“ er „ab“. Sehsinn ist auf die Lokalisierung im
Raum, die präzise Beobachtung gerichtet (Linienmetapher). Dagegen Hörsinn:
Umgreifend, räumlich, Serres: „Global“. Daher die Überlegenheit des
Flötenspiels gegenüber der Pan-Optik.
- Zeitstruktur: Tastinn auf die Differenz vorher-nachher selbst gerichtet:
Zeitpunkt, in dem das Differenzierte noch zugleich präsent ist. Sehsinn:
Lineare Anordnung von Vorher und Nachher. Dagegen Hörsinn:
Zusammenziehen des Gehörten in die Dauer, Beispiel Geräusch, Musik, aber
auch Rede: Jedesmal wird das Nacheinander Erklingende zu einem Kontinuum
zusammengezogen (Bergson, Husserl weiten in einem nahezu gleichlautenden
Beispiel, den Glockentönen, darauf hin).

- Aber nicht nur in Zeit und Raum, sondern offenbar auch in der Dimension der
Sozialität wirkt der Hörsinn zusammenziehend, Zusammenhang stiftend: Im
Mythos immer wieder Aufgehgen des Individuums in einem Zusammenhang
als Verlust des Willens oder der Gefährlichkeit, Betörung, Betäubung,
Ablenkung usw.: Vereinnahmung. Überschreitung des Subjekts (Tastsinn:
Unterschreitung).
- Diese Überschreitung macht aber Selbsterfahrung des Subjekts erst möglich:
Nur, wenn ich mich gleichsam von außen wahrnehmen kann, kann oich mich
als Subjekt wahrnehmen und, wie wir sehen werden, auch die Anderen als
Andere Subjekte.
- Dafür fundamental. Die Rückkopplung von Stimme und Ohr: Externalisierung
und Wiederaneignung; Zu sich selbst in Unterschied treten. Diese
Rückkopplung ist auch, anders als die etwa Auge-Hand, nicht unterbrechbar
und durch nichts anderes zu ersetzen. (Tasten ohne Sehen ist möglich;
Sprechen ohne Hören aber nicht: Nur wer hört, kann sprechen, wer spricht.
muß es hören). So wie die Hand genau am Übergang von Wahrnehmung und
Handlung operiert (und sie folglich unterscheidbar macht), so das Ohr an
demjenigen von Wahrnehmung und Kommunikation.
- Überhaupt ist das Ohr natürlich privilegiert, weil es das Sprachprivileg trägt,
aber dazu in einer anderen Vorlesung mehr.
- Wenn Taster und Schalter die Externalisierungen, Technologisierungen des
Tastsinns sind, dann ist die Technologisierung des Hörsinns nicht etwa der
Lautsprecher oder das Mikrofon o.ä., sondern der
Rückkopplungsmechanismus; Fliehkraftregler, Thermostat und Schaltkreis
stehen in der Dimension des Hörens.
- Schließlich eine Ansicht, die uzur Diskussion Anlaß gibt: Rudolf Arnheim
(Anschauliches Denken): Im Hörsinn (Beispiel: Musik) denken wir rein
differentiell, syntaktisch. Klänge stellen nichts dar, sie sind (anders als andere,
von denen wir sie unterscheiden). Sie verweisen uns nicht an die Dinge.
Deshalkb, so Arnheim, ist Hören ein Modus, in dem wir nicht über die Welt
(oder besser: Die Dinge in ihr) nachdenken. Das ist dem Sehen vorbehalten.
5. Martin Heidegger: Aisthesis und Noein
- Das gibt Anlaß zu der Frage: Was erkennen wir, wenn wir hören ? Heidegger
spricht von einem spezifischen Erkenntnistyp, den er im Gegensatz zum
„Erkennen“ (im engeren Sinne) als „Vernehmen“ bezeichnetund im
Griechischen sowohl mit dem Begriff des „noein“ (im allgemeinen mit
„Erkennen“ übersetzt, von Heidegger als „schlichtes Vernehmen“) identifiziert
als auch mit dem der „aisthesis“ (im allgemeinen als „Wahrnehmung“
bezeichnet).
- Diesen Erkenntnistyp präpariert er aus seiner Aristoteles Lektüre heraus.
Erkenntnis, so Aristoteles laut Heidegger, ist eine Frage des Zusammenhangs.
Erkennen heißt, etwas ALS etwas zu behandeln. Behandelt man es als das, was
es ist, so ist das eine richtige Erkenntis. Behandelt man es als das, was es nicht
ist, so ist das eine falsche Erkenntis. Das gilt auch und besonders für

sprachliche Behandlung : Aussage. Etwas aussagen heißt, es mit etwas
zusammenzuziehen, es als dies oder jenes anzusprechen oder nicht.
- In jeder Erkenntis und jeder wahren Aussage sind also immer zwei Ebenen
enthalten: Das, was behandelt bzw. angesprochen wird und das, ALS das es
angesprochen bzw. behandelt wird. Normalerweise sind beide identisch, dann
fällt das gar nicht auf. Erst wenn sie nicht identisch sind, nämlich: das Auto als
Haus, der Tisch als Stuhl usw. behandelt bzw. angesprochen wird, ist Irrtum
die Folge und fällt auf, daß es beide Ebenen gibt.
- Kommentar dazu nebenbei: Das hängt natürlich mit der ZWEITHEIT alles
Begegnenden zusammen. Dioes erlaubt es, etwas als etwas zu behandeln.
- Das wird deutlich, wenn Aristoteles von allem Wirklichen als
Zusammengesetztem spricht, das also so oder anders zusammengesetzt ist. Die
Wahrheit sagen heißt dann, das sprachlich zusammen zu bringen, was
zuzsammen gehört, und das sprachlich zu trennen (nämlich: durch negation),
was nicht zusammengehört.
- Heidegger weiter: Es gibt aber bei Aristoteles auch eine Ausnahme, solches
Seiende nämlich, das nicht zusammengesetzt ist, sondern elementar und
primär. Es kann nicht als etwas angesprochen werden, nicht als etwas
wahrgenommen werden, weil es immer nur das ist, was es ist. Wir würden
sagen: ERSTHEIT.
- Solches Seiende, das nie verstellt werden kann, ist nur die aisthesis bzw. dem
noein zugänglich, es ist darüber kein Irrtum möglich (sondern nur
nichtwahrnehmen). Dies nennt Heidegger das „schlichte Vernehmen“.
- Erkenntnis vom Typ des Hörens wäre also gerichtet auf derlei Erstheiten, oder
anders: während etwa das Sehen speziell auf Zweitheit gerichtet ist (auch wenn
die immer Erstheit involviert), ist das Hören mehr als jeder andere Sinn in der
Lage, Erstheiten wahrzunehmen; das, was noch vor dem „Etwas“ liegt. Das
könnte auch Arnheim meinen.
- Oder anders, richtiger formulirt: der Hörsinn wird vom Sehsinn danach
unterschieden, daß er sich speziell auf Erstheit richten kann; er wird zur
Metapher dafür.
6. Heidegger (Forts.): Verstehen
- An anderer Stelle entwickelt Heidegger eine andere Formulierung für eine
Weise des Erkennens, die von dem Erkennen von etwas als etwas Bestimmtes,
dem klaren Erkennen usw. verschieden ist und ihm vorgelagert. Auch sie
bezeichnet er mit einer akustischen Metapher, nämlich dem Verstehen.
- „Verstehen“ bezeichnet im Alltagsgebrauch sowohl das mentale Geschehen als
auch die bloße Wahrnehmung: Erneut Hören als Differenz beider,
Wahrnehumg und Kommunikation.
- Heidegger: Alle Gegenstände, die uns begegnen, bilden einen Zusammenhang,
etwa haben sie einen Zweck, oder gehören zueinander, sind miteinander
verbunden usw.: Zeugzusammenhang, Verweisung. Wichtig: Für heidegger ist
dieser Zusammenhang nicht eine Überschreitung es Einzeldings, also vom
Einzelgegenstand her zu denken (denn wie soll das auch gehen ?), sondern

immer umgekehrt: Der Gegenstand „bezeichnet“, „aktualisiert“ eine Stelle in
einem Zusammenhang. Der Zusammenhang ist primär. Die Anerkennung
dieser primären Eingelassenheit des Einzeldings in einen Zusammenhang
nennt Heidegger: „Bewendenlassen“: Bestehenlassen in dem Zusammenhang,
in dem es steht.
- Dieser Zusammenhang ist als konkreter z.B. Gebrauchs- oder Verwendugs,
Zweck oder auch Sinnzusammenhang letztlich immer auch nur Teil größerer
Verweisungsganzer und letztlich der Welt im Ganzen (im Gegensatz zur
Anhäufung von Einzeldingen).
- Die Fähigkeit des menschlichen Daseins, dieses Ganze bestehen zu lassen,
nennt Heidegger das Verstehen. Das Verstehen bezieht sich also auf die
Eingelassenheit jedes Einzeldings in die Welt und letztlich auf die Welt als
Gesamtzusammenhang, Das Besondere ist aber, daß das Dasein das kann, weil
es selbst immer in die Welt eingebunden ist, nicht außerhalb ihrer steht.
Deshalb begreift sich das Dasein letztlich im verstehen selbst als, wie
Heidegger sagt, „in der Welt Sein“. Weil das Dasein die Welt versteht, versteht
es sich, und zwar als dasjenige Seiende, das die Welt versteht.
- „Wenn dem Dasein wesenhaft die Seinsart des In der Welt Seins zukommt,
dann gehgört zum wesenhaften bestand seines Seinsverständnisses das
Verstehen von In der Welt Sein. Das vorgängige Erschließen dessen,
woraufhin die Freigabe des innerweltlichen Begegnenden erfolgt, ist nichts
anderes als das Verstehen von Welt, zu der sich das Dasein schon immer
verhält.“ (SuZ, 86).
- „Verstehen“ ist als Wort dem Bezirk des Hölrens entnommen. Wenn Arnheim
also sagt, daß das Hören nicht auf die Dinge im Einzelnen gerichtet ist und daß
Hören nicht heißen kann, über die Welt nachzudenken, dann könnte dies mit
Heidegger dahin gewendet werden, daß statt dessen Hören heißen kann, IN
DER WELT nachzudenken: Aspekt des Umgreifenden, des Globalisierenden
beim Hören.
7. Heidegger: Hören
- Auch das Hören taucht schließlich bei Heidegger (nach Vernehmen und
Verstehen) auf. Und auch er schreibt dem Hören ein spezielles Verhältnis zur
Kommunikation und damit zur Sozialität zu:
- In der Welt nämlich begegnen wir nicht nur Gegenständen, sondern auch
anderen Menschen, also dem anderen Dasein. Menschliches Dasein ist deshalb
nicht nur durch In der Welt sein besonders bezeichnet (da es die Welt, wie
gesehen, verstehen kann), sondern auch durch die Begegnung mit dem anderen
Dasein, dem (Heidegger) Mit-Sein. Mit-Sein gehört wesentlich zum Dasein.
- Der Andere begegnet uns aber besonders als sprechendes Dasein. Wir können
die Anderen von den begegnenden Dingen zunächst deshalb unterscheiden,
weil sie sprechen. Hier wird also, um über Heidegger hinaus zu gehen, die
primäre Rückkopplungsschleife erweitert, verdoppelt: Ich nehme den
sprechenden Anderen als Meines Gleichen wahr, nämlich als einen, der sich
beim Sprechen ebenfalls selber wahrnimmt und deshalb für sich selbst

8. Schluß
ebenfalls da ist. ich erkenne mich selber (nicht als Individuum, sondern als
Dasein) im Anderen.
- Heidegger formuliert so: „Das Reden ist für das Hören konstitutiv. Und wie die
sprachliche Verlautbarung in der Rede gründet, so das akustische Vernehmen
im Hören. Das Hören auf (jemanden, L.E.) ist das existenziale Offensein des
Daseins als Mit-Sein für den Anderen. Das Hören konstituiert sogar die
primäre eigentliche Offenheit des Daseins für sein eigenes Sein-Können. als
Hören der Stimme des Freundes, den jedes Dasein bei sich trägt“. (SuZ, 163)
- Für Heidegger ist also die Stimme des Anderen primär; die vermeintlich
ursprüngliche Rückkopplung als Selbstwahrnehmung ist die – internalisierte -
Folgeerscheinung: Das Mitsein ist konstitutiv.
- „Das Dasein hört, weil es versteht (und nicht umgekehrt, L.E.). Als
verstehendes In der Welt Sein mit den Anderen ist es dann Mitdasein und ihm
selbst hörig und in dieser Hörigkeit zugehörig. Das Aufeinander Hören. in dem
sich das Mitdasein ausbildet, hat die möglichen Weisen des Folgens,
Mitgehens, die provativen Modi des Nicht Hörens, des Widersetzens, des
Trotzes, der Abwehr“. (SuZ, 163).
- Hier kehrt also das Sozialisierungsmotiv wieder und auch das
Überwältigungsmotiv, die Hörigkeit, klingt wieder an, die wir im Mythos
schon angetroffen haben. Heidegger verwendet dann ja auch viel Mühe auf die
Analyse der Verfalllsformen des Mitdaseins, nämlich der Verfallenheit an das
„Man“, das „Gerede“, die Öffentlichkeit usw.
- Alle technischen Instrumentierungen der Stimme, von den Musikinstrumenten
bis zu den modernen Schallaufzeicnungs- und Verstärkungstechniken, müssen
in diesem Zusammenhang gesehen werden. Heideggers Gedanken halten dazu
an, auch Massenmedien über die Hör- und Verstehensfunktion aufzuschlüseln.
Nächstes Mal deshalb als Ausblick: Über das Radio.