Streif lichter zur Bildungspolitik
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Streif lichter zur Bildungspolitik
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<strong>Streif</strong> <strong>lichter</strong><br />
<strong>zur</strong> <strong>Bildungspolitik</strong><br />
Von P. Hauenstein<br />
Inhalt<br />
Ist die HTLeine Ingenieurschule?<br />
Die internationale Klassifikation der Bildungsbereiche<br />
Allgemeinbildung, Berufsbildung, Menschenbildung<br />
Die Betriebslehre als Grundlage des HTL-Studiums<br />
Soll die Berufsmittelschule einen anderen Namen erhalten?<br />
Die HTL und das Konzept der rekurrenten Bildung<br />
Sind die hTL-Direktoren bescheiden?<br />
Die Maturandenlawine und der Numerus clausus<br />
Ein Kurzstudium an den schweizerischen Hochschulen?<br />
Die HTL ist keine Mini-Universität<br />
Die HTL-Absolventen im Ausland<br />
Sonderdruck aus der«STZ» 1976177<br />
INFO-PARTNER
Das neue Berufsbildungsgesetz wird weitreichende Folgen fir die Ausbildung an den €iöhe-<br />
ren Technischen Lehranstalten sowie îiir die Stellung der HTL-Absolventen in Beruf und Ge-<br />
sellschaft haben. Peter Hauenstein, Präsident der Direktorenkonferenz der Tages-HTL.<br />
stellt diese Fragen in einen grösseren bildungspolitischen Zusammen hang.<br />
Ist die HTL<br />
eine Ingenieurschule?<br />
Ini Pavillon «Bildung und Forschung» der<br />
Expo I 963 in Lausanne war eine grosse und<br />
eindrückliche Graphik von Herrn Prof. Kne-<br />
schaurek (u sehen, die zeigte. dass die<br />
Schweiz im internatioiialen Vergleich viel<br />
zuwenig Akademiker ausbildet. Unser Land<br />
hatte im Jahre I961 angeblich 20 Promille,<br />
die USA aber 75 Promille Hoclischulstudeii-<br />
ten. bezogen auf die 20- bis 29jährige Bevöl-<br />
kerung (Bild). Im Begleittext war zu lesen,<br />
dass im technischen Bereich vor allem 7uke-<br />
nig Ingenieure vorhanden sind.<br />
Als Abteiluiigsvorstand einer Firma der<br />
schweizerischen Maschinenindustrie hatte<br />
ich damals selbst Ingenieure und Techniker<br />
- aus schtveizerischen und ausländischen<br />
Lehranstalten - zu führen und stand durch<br />
meine Tätigkeit in engem Kontakt mit dem<br />
Ausland. Es wollte mir nicht einleuchten.<br />
dass die Schweiz prozentual weniger Inge-<br />
nieure beschäftigen solle als andere Länder.<br />
Meine Erfahrung bestätigte eher das Gegen-<br />
teil: Die Schweizer waren bei gleichen Be-<br />
rufstitelii besser ausgebildet als ihre auslän-<br />
dischen Kollegen. Oder umgekehrt formu-<br />
liert: Bei gleichen Fähigkeiten hatten die<br />
Schweizer geringere Titel als die ausländi<br />
schen Absolventen. So war es zum Beispiel<br />
keine Ausnahme, dass einer meiner Monteure<br />
bessere Kenntnisse und Fähigkeiten besass<br />
als ein Ingenieur aus einem Entwicklungs-<br />
land. Mein Eindruck war. dass wir genügend<br />
Ingenieure hatten - nur nannten wir sie teil<br />
weise anders. An der Expo Lausanne reifte<br />
deshalb mein Entschluss. dem Problem der<br />
internationalen Studenten- und Berufsstati<br />
stiken nachzugehen. Das Faszinierende<br />
Thema hat mich seither nicht mehr aus sei-<br />
nem Bannkreis entlassen.<br />
Herr Prof. Kneschaurek erklärte mir später.<br />
er hätte die von ihm erfassten Schulen nicht<br />
auf ihren miereti Gehalt geprüft. sondern er<br />
hätte sie nach ihren offiziellen Bezeichnungen<br />
in die Statistik eingereiht. Das verstand ich;<br />
der Statistiker hat ja nicht die Zeit. neben<br />
seinen statistischen Analysen auch noch<br />
pädagogische Untersuchungen vorzuneh<br />
men. So wurde wenige Jahre später bekannt,<br />
dass die USA ihre Bachelors als Hochschul-<br />
studenten eingereiht hatten I. Die analogen<br />
Studienabschlüsse unseres Landes hatte man<br />
jedoch von der Studentenstatistik ferngehal-<br />
ten. weil sie - bei uns - nicht als Hochschul<br />
abschlusse galten. Etwa 6U% der US-Che-<br />
miket waren dainals Bachelors. Daraus kann<br />
man den Felilereiníluss auf die statistischen<br />
Resultate abschätzen.<br />
Mir wurde eines klar: Internationale Verglei-<br />
che erfordern aussagekräftige Schulbzzeich-<br />
nungen. Aus Statistiken wird man immer<br />
falsche Schlússe ziehen, wenn man die<br />
schweizerische HTL als Technikum statt als<br />
' P. Hauensiein: Warnung vor irrefuhreriden Sta-<br />
tistiken. .STZ*> Nr.48 vom 2. Dezember 1971.<br />
2<br />
Ingenieurschule bezeichnet. Dein aus der<br />
Statistik kann ja nicht hervorgehen. dass der<br />
Techniker der meisten Lander (z. B. Frank-<br />
reich. alle Ostländerì bis zum Abschluss etwa<br />
I8jährip wird. wahrend der HTL-Techniker<br />
unseres Landes in geradliniger Lautbahn<br />
durchschnittlich bis zum 24. Altersjahr in der<br />
Ausbildung steht.<br />
Die HTL. Winterthur. Windisch. Buchs und<br />
Rapperswil haben durch kantonalen Parla<br />
mentsbeschluss bzw. Volksabstimmung -<br />
nach 1% I - die offizielle Zusatzbezeichnung<br />
lngenieurschule erhalten. Wir HTL-Direkto-<br />
ren wünschen nun. dass unsere Schulen auch<br />
im neueii Berufsbildungsgesetz als Inge-<br />
nieurschulen bezeichnet werden. Dies unter<br />
der Voraussetzung, dass die Bezeichnung<br />
vom inneren Gehalt der Schulen her ge-<br />
rechtfertigt ist. üas internationale Ansehen<br />
der schweizerischen Berufsbezeichnungen<br />
darf dadurch nicht vermindert werden. Wir<br />
miissen uns also die Frage stellen. oh die<br />
Höheren Technischen Lehranstalten tat-<br />
sächlich Ingenieiirschulen sind. Nachfolgend<br />
werde ich die Frage bejahen und meine Ant-<br />
wort durch fünf Areuinente begründen.<br />
i. Die Unesco-Klassifikation<br />
Die Unesco-Klassifikation der Eildungsbe-<br />
reiche gewinnt weltweit zunehmende Aner-<br />
kennung:<br />
- Der primäre Bildungsbereich entspricht<br />
unserer Primarschule.<br />
- Der sekundäre Bildungsbereich umfasst<br />
die untere Mittelstufe sowie die anschlies-<br />
sende Weiterbildung in Gymnasium, Berufs-<br />
schule oder Berufslehre.<br />
- Der tertiäre Bildungsbereich beginnt mit<br />
dem Abschluss des sekundären Bereiches ini<br />
17. bis 18.Altersjahr. Dazu zählen in der<br />
Schweiz -wo man zwar etwas alter wird -die<br />
Ausbildungsgrad<br />
(Schulungsindex)<br />
Hochschulstudenlen<br />
in '1.. der<br />
20- bis 231ahrigen<br />
Bevolkcrung<br />
't<br />
:i<br />
Universitäten, die ETH. die HTL, die HLS,<br />
die HWV. die HPL usw.<br />
In vielen Ländern gehören die Techniker-<br />
schulen zum sekundären Bildungsbereich; sie<br />
bilden eine Alternative zum Gymnasium und<br />
berechtigen beim Abschluss meistens zum<br />
Eintritt in eine Hochschule.<br />
Die lngenieurschule hingegen verlangt als<br />
Eintrittsbedingung durchwegs eine abge-<br />
schlossene Ausbildung im sekundären Bil-<br />
dungsbereich: Gymnasiiim. Berufsschule<br />
oder Berui'slehre. Sie baut in drei- bis vier-<br />
jährigem Lehrgang auf diese Kenntnisse auf.<br />
Die gesamte Ausbildungsdauer beträgt in der<br />
Schweiz für den HTL Ingenieur I6 bis 17<br />
Jahre. für den ETH-Ingenieur 17 bis 18 Jahre<br />
(Durchschnittsrverte). Dabei ist nicht he-<br />
rücksichtigt. dass die HTL die langen Som-<br />
merferien der Hochschule nicht kennt. also<br />
bezüglich Anzahl Unterrichtswochen in<br />
dreijährigein Studium mehr umfasst als die<br />
Hochschule in ihrem vierjährigen Pensum.<br />
Die Folge davon ist die Unmögliclikeit.<br />
Nährend des HTL-Studiums Praktika oder<br />
Militärdienst zu absolvieren. Diese ausser-<br />
schulischen Tätigkeiten müssen auf der<br />
HTL-Spur i'or dem Eintritt in die Ingenieur-<br />
schule abgeschlossen sein. damit das Studium<br />
nicht um ein ganzes Jahr unterbrochen wer-<br />
den muss.<br />
2. Der Charakter der Schule<br />
Die HTL bildet anwendungsbezogene tnge-<br />
nieure aus. Wlhrend die ETH die Heranbil-<br />
dung des akademischen Nachwuchses <strong>zur</strong><br />
Aufgabe hat. liegt das Ziel der HTL in der<br />
Ausbildung von praxisorientierten wissen-<br />
schaftlichen Fachleuten. Bei der Hochschule<br />
steht die Förderung der abstrakten. urnfas-<br />
senden und auf dir Forschung gerichteten<br />
Fiiliigkeiten im Vordergrund. bei der HTL die<br />
Umsetzung der Forscliungsergebnisse in die<br />
prak fische Anwendung. Die IiT L- Absolc en-<br />
ten sind die eigentlichen Realisatoren neuer<br />
Projekte bzw. die Leiter von Entwicklungs-<br />
und Produktionsstätten.<br />
Im alten Berufsbildungsgesetz (vorn 20.9.63)<br />
war die Aufgabe der HTL negativ formuliert<br />
worden: «. , , Ausübung von libheren techni-<br />
e Die einzelnen Punkie geben die Verhallnisse II den Jahren 1959/:0 an<br />
* -. Die Beziehungslinien geben die Enìwicklunq in den ongefuhrten<br />
Jahren an<br />
o JdSSfi
Bild 2. Siitialrc S3800 - das Schuluiigsi~io~eIl/ìir<br />
' prograrnrnirrbare Sfeiimii?gei?<br />
schen Berufen. die kein Hochschulstudium<br />
voraussetzen.>) Eine negative Umschreibung<br />
ist für die pädagogische Zielsetzung und die<br />
Gestaltung von Lehrplänen eine schwache<br />
Hilfe! Die neugegründeten HTL Windisch.<br />
Muttenz. Buchs und Rapperswil haben des-<br />
halb ihre Lehrpläne auf internationale Nor-<br />
men ausgerichtet und die Curricula auslän-<br />
discher Ingenieurschulen als Richtlinie ge-<br />
wählt. Die älteren HTL zogen nach. Der<br />
HTL-Abschluss entspricht heute bezüglich<br />
theoretischer Anforderungen dem angel-<br />
sächsischen Bachelor of Engineering. Durch<br />
die verlangte Berufslehre werden unsere Di-<br />
plomanden zwar 1 bis 2 Jahre älter als ihre<br />
ausländischen Kollegen. besitzen aber dafür<br />
eine vertiefte Ausbildung im praktischen<br />
Können.<br />
3. Die Mindestvorschriften<br />
Das Eidgenössische Vol kswirtschaftsdepar-<br />
tement hat im Jahre 1968 Mindestvorschrif-<br />
ten für die Anerkennung von Höheren Tecli-<br />
nischen Lehranstalten herausgegeben. Diese<br />
schreiben unter anderem die verlangte Allge-<br />
meinbildung vor:<br />
- mindestens 300 Stunden Muttersprache<br />
und eine Fremdsprache<br />
- mindestens 200 Stunden weitere geistes-<br />
und sozialwissenschaftliche Fächer wie mo-<br />
derne Geschichte, Reclitskunde. Soziologie.<br />
Betriebspsychologie usw.<br />
Die neuen Schulen konnten ihre Studienplane<br />
von Anfang an auf diese Vorschriften aus-<br />
richten. Die älteren Techniken mussten sich<br />
anpassen. um damit den Ubergang vom<br />
«Technikum» (schmale. aber qualifizierte<br />
Fachausbildung) <strong>zur</strong> «Ingenieurschule»<br />
(breiteres. schöpferisches Tätigkeitsfeld) zu<br />
vollziehen.<br />
Die Direktoren der Tages-HTL wehren sich<br />
nicht gegen eine zukünftige Verscliarfung der<br />
Mindestvorschrifteii. Das Anspruchsniveau<br />
vieler HTL liegt ja bereits heute wesentlich<br />
über dem verlangten Minimum. Sollte eine<br />
Lehranstalt dann noch nicht auf dem inter-<br />
nationalen Niveau der Ingenieurschule ste-<br />
hen. so müsste sie sich anpassen oder Tech-<br />
nikerschule bleiben (z. B. das Technikum<br />
Genf, das seiner heutigen Struktur nach eher<br />
dem sekundären Bildungsbereich zuzuordnen<br />
ist).<br />
Ausländische Fachleute bestätigen immer<br />
wieder den hohen Stand der Ausbildung an<br />
unseren HTL. Besonders dann, wenn sie<br />
Bachelor's Degree mitgeben, werden diese im<br />
Ausland oft nicht anerkannt. weil das Degree<br />
von einem «Technikum» ausgestellt wurde.<br />
Erst wenn der Kandidat seine Fähigkeiten<br />
unter Beweis stellen konnte. gilt er - dann<br />
aber meistens ohne Einschränkung - als Iii-<br />
genieur. Aber dazu kommt mancher ear<br />
nicht, weil das unverständliche Diplom ein<br />
unüberwindliches Hindernis darstellt.<br />
5. Die fehlende Matur<br />
Skeptiker behaupten immer wieder, die HTL<br />
könne gar keine Ingenieurschule sein. weil sie<br />
vor dem Eintritt keine Maturität verlange.<br />
Dem ist entgegenzuhalten, dass in anderen<br />
Nationen viele «matUrIose» Ingenieurschulen<br />
existieren. Zum Teil einfach aus dem Grund.<br />
weil es dort gar keine Maturität in unserem<br />
Sinne gibt. zutn Beispiel in den angelsächsi-<br />
schen und östlichen Ländern. Die Matur als<br />
Abschluss des sekundaren Bildungsbereichec<br />
ist ja eine spezifische Eigenart derjenigen<br />
Nationen. deren Schulen stark von Humboldt<br />
beeinflusst wurden (Humboldt-Block =<br />
Kontinentaleuropa plus einige ehemalige eu-<br />
ropäische Kolonien).<br />
In den sechziger Jahren hatte nur das Be-<br />
stand. was an Schulen gelehrt wurde: der<br />
Praxis wurde wenig Bedeutung zugespro-<br />
chen. Diese ~(Verschulungseuphorie)) ist<br />
3
heute vorbei. Das pädagogische Konzept der<br />
rekurrenten Bildung ist aufgekommen: SI-<br />
stematischer Wechsel zwischen Lern- und<br />
Erfalirungsphaseii. Der HTL-Bildungsweg<br />
erfullt die Forderung der rekurrenten Pid-<br />
agogik aufs beste. Nach 9jahriger Schulzeit<br />
folgt eine 3- bis djährige Praxisperiode (Be-<br />
rufslelire). die anschliessend wiederum durch<br />
:!ne 3jihrige Schulphase erganzt wird.<br />
Ubrigens studieren auch Maturanden aii uii-<br />
seren HTL. Uni das HTL-Studium fur sie<br />
attraktiver zu gestalten. wurden die Aufnali-<br />
mebedingungen kürzlich ¡in Sinne einer Re-<br />
duktion vereinheitlicht: Vom Inhaber eines<br />
schweizerischen Mattiritatszeugnisses wer-<br />
den .ietzt vor dem Eintritt mindestens I2<br />
Monate Praxis im gewählten Fachbereich<br />
t,erlangt. Der Studienerfolg der Maturanden<br />
1iiv.t chenfalls einen Ruckschlusn auf das<br />
Ansprtichsiiiveau der Schule zu. Wäre die<br />
HTL fur die Maturanden leicht, so müssten<br />
sie Spitzenschüler sein. Dies ist nach Erfali-<br />
rung nicht der Fall: gelegentlich scheitert so-<br />
gar ein Maturand. lm allgemeinen gehoreii<br />
die Maturanden in den unteren Semestern zu<br />
den besseren Schülern. während sie in den<br />
oberen Semestern. wo die praktischen Er-<br />
Fahrungen der Berufslehre stärkere Bedeu-<br />
tung gewinnen, oft ins Mittelfeld <strong>zur</strong>ückfal-<br />
len.<br />
Wenige Leute bestreiten. dass unsere HTL<br />
Ingenieurschulen sind. Die Frage ist eigent-<br />
lich nur. ob sie sich auch so nennen durfen.<br />
Hoffen wir. dass die eidgen6ssischen Parla-<br />
mentarier diese Frage bei der Revision des<br />
Berufsbildungsgesetzes bejahen werden!<br />
~~ ~ ~<br />
Die internationale<br />
Klassifikation<br />
der Bildungsbereiche<br />
Bis zuin Zweiten Weltkrieg interessierten'\cir<br />
Schweizer uns wenig für die Schul- uiid BiL<br />
tliiiigssysteme anderer Lander. 41s Heimat<br />
Pestalozzis \varen wir iiberzeugt. die besten<br />
Schulen der Welt zu hesitren. Das gute Be-<br />
\tchen des w ¡ r t sc li aft l ic hen K on h u r reii z-<br />
karnpfes mit andern N?Iioneri hestarkte uns<br />
- 7u Recht - in dieser Uberzeugting. Uni SO<br />
hiirter schreckten uns vor einigen Jahren die<br />
Berichte Labhardt tind Kneschaureh auf. die<br />
diirlegten. unser Land tate zuwenig fiir seine<br />
Schulen. Im internationalen Vergleich seien<br />
wir sogar Btiildtingspolitisch unterentwik-<br />
kelt,). Wie ist diese Wende heute. irn Ruck-<br />
blick. zii erhlareii?<br />
Das traditionelle Schulsysteiii unseres Lan-<br />
des baute auf den drei Stufen<br />
- der Volksschule (obligatorische Schiil-<br />
pllictit)<br />
~ der Mittelschule uiid<br />
- der Hochschule auf.<br />
Die Berufsbildung. der sich mehr als 70"(1<br />
unserer Jugendlictieii zuwenden. hatte in die<br />
sein Rahmen keinen Platz: sie stand atisscrhalb<br />
deï Schemas. So wurden zum Beispiel<br />
die Berufsleliren oder die Handelsdiploinschulen<br />
als eine Kategorie fur sich betrachtet.<br />
die in einer ginzlicli anderen Bilduiigslaiid-<br />
Schaft beheimatet waren. gewisseriiiasseii auf<br />
einem aiidern Planeten ~ waruni eigeiitlicli?<br />
Im Gegensatz <strong>zur</strong> Eidgerioïsischeii Tecliiii~<br />
sclirn Hochschule wurde das Techiiihuiii oft<br />
4<br />
als technische ,Alir/e/schule bezeichnet. ob-<br />
schon seine Schüler etwa gleich alt sind tind<br />
eine fast gleich lange Ausbildung durchlaufen<br />
wie die Hoclisctiulstudeiiten.<br />
Bei internationalen Verp!eiclien ergaben sich<br />
nun Schwierigkeiten. In der ScliweiL galt iiur<br />
derjenige als Hochschulsttident. der eine<br />
Maturitit bestanden hatte. in vielen andern<br />
Lindern hingegen jeder. der in gerader<br />
Laufbahn nach dem 17. bis 20. Altersjahr<br />
noch in der Ausbildung stand. Deshalb<br />
musste die internationale Statistik zwangs-<br />
lauiìg zuin Schluss führen. die Schweiz hatte<br />
zuwenig Studenten und bilde zuwenig Aka-<br />
demiker aus. Ein objehti\er Vergleich der<br />
verschiedenen Lander ist nur atifgruiid ein-<br />
heitlicher Einreitiuiigskriterien moglich. Sol-<br />
che sind erst in den letzten Jahren entwickelt<br />
wv«rdeii.<br />
Die Unesco-Klassifikation<br />
Die Klassifikation der Unesco. die inirner<br />
in e li r a Is al Igemei n g ü I t iges Schein a an er h an ii t<br />
w i rd . deli r i iert fol gen de Bi Id u ii g s bereic h e :<br />
- Priinarer t3ildurigsbereich: Primarschule<br />
- Sekundarer Bildungsbereich: untere Mit-<br />
telstufe wie Sehundarschule. Realschule. Be-<br />
rirhsschtile usw. sowie Gyinnasitini. Berufs-<br />
lehre. Berufsschule. Berufsniittelscliule. Di-<br />
ploiiiinittelschule und ihnliclie Bildungsstat-<br />
ten.<br />
- Tertiarer Bildungsbereich: höhere Ausbil<br />
dung. die ari die I I bis I3 ersten Ausbil-<br />
durigsjatire aiisctiliesst und den FornieIlen<br />
Abschluss der sekundiren Ausbildung vor-<br />
aussetzt. Der Eintritt in den tertiären Bil-<br />
duiigsbereich erfolgt in der Regel irn 17. bis<br />
18. .Altersjahr (in der Schweiz wird man et-<br />
was ilter). Zu diesem Bereich gehoren zum<br />
Beispiel die Universitäten. die Technischen<br />
Hochschulen. die Hohereii Technischen<br />
Lehranstalten. die Techniherschuleii. die<br />
Hoheren Wirtschafts- und Verwaltungs-<br />
xliiilen. die Höheren Landu.irtschaftlichen<br />
Schulen und die Oberseiiiinarieii.<br />
Naclidein dir Unesco jahrelanc init Entiviir-<br />
fen gearbeitet hatte. i5t ¡ni \'ergangeneri Mirz<br />
die dellnitive Fassung der Klassifikation er<br />
schienen I.<br />
Iii der Sparte der Techiiih haiiii die Klassifi-<br />
kation grafisch wie folgt dargestellt werden:<br />
Andere Klassiiihationss~steme<br />
Neben der Unesco-Klassifikation standen ini<br />
letzten Jahrzehnt noch zwei andere Klassifi-<br />
ni<br />
y/,<br />
A A A ' --r<br />
I I ;I<br />
Gymnasium , obere Mittelschule , Berufsschule ,<br />
Berufslehre , Praxis<br />
Sekundar - , Real - , Bezirksschule ,<br />
It"<br />
Progymnasium<br />
Primarschule<br />
hationssystenie in der öffentlichen Dishus-<br />
sion. nimlich die Systeine der OECD? und<br />
der EWG l. Sie sollen hier iiur aili Rande er-<br />
wihnt werden. weil sie<br />
- iin tertiaren Bildungsbereich nicht wesent-<br />
lich von der Unesco~Klassifikati»n abwei~<br />
cheil.<br />
~ \erintitlich nach und nach durch die<br />
Unescci~Klassitìkatioii verdringt werden.<br />
nachdem diese nun in definiti\er Fassung<br />
vorliegt.<br />
Die OECDK/nss!/ìXn/io/i teilt den tertiareri<br />
Bereich (Enseignement supérieur) auf in<br />
a) Enseignement supérieur de type unii ersitaire.<br />
Cycle long. iii der Schweiz die ETH.<br />
b) Enseignement superieur de type non uni^<br />
tersitaire. Dazu gehören auch die universitareii<br />
Ktirzctudien - cycle court. in der<br />
Schweiz die HTL.<br />
Die Ell G-E~?i~~eh/uug gilt vor alleni für In-<br />
genieure. und zwar für die beiden Gruppen<br />
der Hoctisclitilingenieiire und der Faclischuliiigenieure.<br />
Das Kriterium fur den Hochscliuliiigeiiieur<br />
ist<br />
- ein nach erfolgreicher Beendigung eines<br />
\ ollstindigeii Ausbilduiigsgangs von mindestens<br />
\ier Jahren iii einer Lehranstalt init<br />
Hoclisctiulatisbildtiii~ in der der betreffenden<br />
Tatigheit entsprechenden Fachriclituiig er-<br />
worbenes Abschlussdiplom:<br />
- der Ausdruck ' bezei c li n et sow» ti I die<br />
Uriiwrsititen als auch die Lehranstalten. die<br />
\on deii Mitgliedstaaten ihres Sitzes als nach<br />
Wesen und Rang einer Uniiersitat gleich<br />
angesehen werden.<br />
Der Fachschulingenieur hingegen benotigt<br />
~ ein nach erfolgreicher Beendigung eines<br />
vollstindigen Ausbildungsganges \on miii~<br />
desteiis drei Jahren in einem Institut für hi
- Die HTL gehbrt zum tertiaren Bildungsbereicli<br />
(Unesco). Die H PI. Sturleiiteii sind<br />
aber Blter cdurchscliiiittlicli 2 I his 24) 31s<br />
nach dein Unesco Sclienia ( 171 I8 bis 2017 I ).<br />
Die H'PL veriniltell ein «enseignement su<br />
pkrieur niin ~iii\ersitaire,~ (OFCI)).<br />
Die HTL hildet F;ichirigeiiieurr aus<br />
(EWG ).<br />
Nach iiiteriiatioiialeii Noririen ist also die<br />
HTL. unzweifelhalt als Ingenieurschule zu<br />
bezeichnen.<br />
Der Vollstandigkeit halber sei noch das<br />
FEAh:l-Rrpir;ter erw5lirit. auf das wir in ci<br />
nein spitereii Aufsatz eingehen werden.<br />
Der dritte Ausbaubericht des Wiswrischaftsratcs<br />
Der Schweizerische Wissenschal'tsrai bearbeitet<br />
gepciitvartig seinen dritten Ausbauhericht.<br />
Ohne die Uiiesco-Klassifikatiori voll LU<br />
uberiiehiiieii. wird er doch der abengenannten<br />
Gruiideinteilung der t3ildungsbereiclie Rech<br />
ntiiig trzpen. Er wird die kiiriftige Entutch<br />
lung der Hochschuleii in Jen Zusamincnliniig<br />
init derjenigen anderer Sektoren des tertiareii<br />
Bildungsbereiches. der Mittelschulr: und der<br />
Berufsbildiiiiy srellen '~ '.<br />
Nach einer provisorischen Zusammenstd<br />
IunS des Wisserisch;iftsrates studieren gemwirtip<br />
etwì 57"~ der Studenten mi tini<br />
versitiiren und 42"~ an 3usseriiniversitaren<br />
Lehranstalten des tertiaren Bildungsberei<br />
ches. f:rühtre Statistilten, die für die Schvre¡i.<br />
niir die Hoclischulstudenten erfasst hatten.<br />
müssen also mit dem Faktor I ,7 multipliziert<br />
werden.<br />
Diese Zahlen sind allerdings nur appruximativ.<br />
Sie k&71~1 heute überhaupt nicht genau<br />
ermittelt werden. weil die notwendigen Uri<br />
tcrlagen fehlen. Bisher existierte in unserem<br />
Land wohl eine Hochschulstatistik: die übrigen<br />
Lehranstalten des tertiären Bereiches<br />
wurden aber statistisch nur rudimentsr erfasst.<br />
Die Unesco-Klassifikation erfordert in<br />
der Schweir. zusät7liche statistische Erhebungen.<br />
Um für seinen dritten Ausbaubericht<br />
zuverlassige Angaben zu erhalten, fuhrt der<br />
Wissenschaftsrat gegenwartig eine Uinfriige<br />
bei allen nichtuniversitäreri Lehranstalten des<br />
tertiaren Bildungsbereiches durch. Der dritte<br />
Ausbaubericht wird also voraussichtlich ge-<br />
~ILIW Grunddaten enthalten. die unseren Beh6rden<br />
als Ausgangsbasis für weitere bildungspolitische<br />
Entscheidungen dienen kön<br />
nen.<br />
Widerstände gegen die neue Klassifikation<br />
Die Unescz-Klassifikation ist in der schwei-<br />
zerischen Offrntlichkeit noch wenig bekannt.<br />
Dies hat nicht nur mit maiigelnder Inforina-<br />
tion zu tun. Gewisse Kreise hängen am Ge-<br />
wohnten. am traditionell Gewachsenen. Dem<br />
Anhänger des Humboldtschen Gymnasiums<br />
kommt es zuni Beispiel merkwürdtg vor. dass<br />
der Gymnasiast und der Lehrling detn glei-<br />
chen ßildiingsbereich zugeordnet werden.<br />
Der Gymnasiast wird doch intellektuell mehr<br />
gefordert als der Lehrlins! Allerdings hatte<br />
schon Pestalozzi die Bildung von {(Kopf.<br />
Herz und Hand)) angestrebt. So schenken<br />
einzelne private Schulen der nichtintellektu-<br />
eilen PersönliclikeitsentfiiltunE ihrer Schüler<br />
mehr Beachtung ais die staatlichen Mittel<br />
schulen. Sie bauen musische und gestalteri-<br />
sche Facher in ihr Unterrictitsprogranlni ein<br />
und lassen auch handwerkliche Begabungen<br />
zum Zuge kommen.<br />
\Vie gross die Spannweite andernorts ist, zeigt<br />
uns ein Blick auf die russischen und chinesi-<br />
schen Schulen. die der praktischen Arbeit in<br />
Industrie und Landwirtschaft ein äusserst<br />
grosses Gewicht zuerkennen. Auch bei uns<br />
lindet das neue Konzept der rekurrenteil Bildung<br />
- systematischer Wechsel zwischen<br />
Lern- und Erfahruiigsphasen -- zunehmende<br />
Beachtung. Die HTL-Bildungsspur steht diesem<br />
Konzept näher als der akademische Bil-<br />
dungsweg.<br />
Viele Leute möchten die Schul- und Aushil-<br />
diingswege nach den Kriterien «höher. und<br />
(
Eidg. Volkswirtschafts -<br />
de par tement<br />
Eundesral Hurlimann Bundesrat Erugger<br />
Hochschul förderungsgesetz<br />
Forschung sgeset z<br />
I o n<br />
I<br />
E T H<br />
I<br />
Universitat<br />
Abteilung fur<br />
Landwirtschaft<br />
Eerufsbildungs- Landwirtschafts -<br />
gesetz gesetz<br />
I<br />
Kanton<br />
H TL<br />
I<br />
I<br />
I<br />
Kanton<br />
Hohers landwirt -<br />
Oberseminar (HPL) HWV schaftl. Schule (HLS)<br />
HL fur medizinische Tee hniker schule<br />
u sozialhelferische<br />
Berufe<br />
Dir 4 iifspli/reriiiig ini rerriarcn Bildungsbereich<br />
Berufsbildungsgesetz dreht sich an der<br />
Oberfläche zwar vorwiegend um Namen und<br />
Begriffe. Doch im tieferen Grunde geht es um<br />
grundsätzliche Bildungsfragen. Einzelne eher<br />
hochschulorientierte Kreise befürworten in<br />
ihrer Vernehmlassung die klare Trennung des<br />
akademischen Bildungsweges (Gymnasium/<br />
Hochschule) von der beruflichen Bildung<br />
zum Ingenieur (Berufslehre/BMS/HTL). Sie<br />
wehren sich gegen eine vermehrte Integration<br />
der beiden Bildungsbereiche: anscheinend<br />
möchten sie den bestehenden Graben zwi-<br />
schen Bildung und Ausbildung aufrechter-<br />
halten.<br />
3. Prestigemässige Barrieren<br />
Die Hochschulbildung geniesst in unserer<br />
Bevölkerung das höchste Ansehen. Viele El-<br />
tern möchten ihre Kinder unbedingt ins<br />
Gymnasium und anschliessend an die Uni-<br />
versität schicken. Nur wenn die massgeben-<br />
den Noten eindeutig ungenügend sind, wird<br />
eine andere Laufbahn in Erwägung gezogen.<br />
So ist die Maturandenzahl in den letzten<br />
Jahren jäh in die Höhe geschnellt, was grosse<br />
Probleme geschaffen hat: Uberfüllung der<br />
Hochschulen. drohender Numerus clausus,<br />
Gefahr eines akademischen Proletariats usw.<br />
Die Berufsbildung sollte deshalb auch presti-<br />
gemässig aufgewertet werden. damit sie für<br />
unsere Jugendlichen wieder attraktiver wird.<br />
Unsere freiheitliche Schweiz lehnt ja diktato-<br />
rische Lenkungsmassnahmen ab: ein Aus-<br />
gleich kann nur über eine Verminderung des<br />
Prestigegefälles zwischen Hochschulbildung<br />
und Berufsbildung erreicht werden. Auch von<br />
dieser Sicht her würde die Bezeichnung «In-<br />
genieurschule» den heutigen Höheren Tech-<br />
nischen Lehranstalten gut anstehen. Dass<br />
diese Bezeichnung sachlich begründet ist.<br />
wurde an anderer Stelle bereits dargelegt. Auf<br />
den Bildungsweg Berufslehre/BMS/HTL ge-<br />
hort nicht einfach der weniger intelligente<br />
Jüngling. sondern in erster Linie derjenige,<br />
der den Drang <strong>zur</strong> praktischen Betätigung,<br />
<strong>zur</strong> Realisierung und zu aktivem. schöpferi-<br />
schem Wirken in sich spürt. Derjenige, der<br />
sich im Eignungstest bei guter Intelligenz vor<br />
allem durch sein praxisbezogenes Bega-<br />
bungsprofil auszeichnet.<br />
Schlimmer als in der Schweiz ist die Situation<br />
in Entwicklungsländern, wo aus Prestige-<br />
gründen oft Hochschulen und Forschungs-<br />
Stätten errichtet werden. obschon die mittlere<br />
Bildungsstufe und der Berufsbildungsbereich<br />
gänzlich fehlen. Es sind dann wohl Atom-<br />
6<br />
Physiker vorhanden. aber Mechaniker sind<br />
keinq.zu finden. ich habe selbst in Ländern<br />
wie Agypten, Angola. Indien und Irak Si-<br />
tuationen erlebt. wo auf Baustellen .zwar In-<br />
genieure mit Hochschuldiplom im Uberfluss<br />
herumstanden: niemand aber war zu finden.<br />
der zum Beispiel imstande gewesen wäre. bei<br />
einem gewöhnlichen Elektromotor ein Ku-<br />
gellager auszuwechseln, so dass ich es<br />
schliesslich selbst machen musste.<br />
4. Synthese<br />
Ich habe drei Arten von Hemmnissen darge-<br />
stellt, die sich der geforderten Integration der<br />
verschiedenen Bildungsbereiche entgegen-<br />
stellen. Mir scheinen diese Widerstände ana-<br />
chronistisch zu sein. Die ungelösten Pro-<br />
bleme unseres industriellen Zeitalters (Gren-<br />
zen des Wachstums, Umweltprobleme. All-<br />
tagshetze. Lebensqualität u.a.) rufen drin-<br />
gend nach einer Integration. Kaum ein frü-<br />
heres Zeitalter war geeigneter für das Vor-<br />
haben. Der gestiegene Wohlstand. die zu-<br />
nehmende Freizeit. neue Lehr- und Informa-<br />
tionsformen wirken der einseitigen Orientie-<br />
rung entgegen. Es gilt aber die Chancen zu<br />
nutzen und die entsprechenden Bildungs-<br />
möglichkeiten zu schaffen. In diesem Sinne<br />
verlangt der Schweizerische Wissenschafts-<br />
rat in seiner Stellungnahme zum Entwurf des<br />
neuen Berufsbildungsgesetzes einen Abbau<br />
der Kluft zwischen allgemeiner Bildung und<br />
Berufsbildung [2].<br />
Anlässlich der letzten pädagogischen Rekru-<br />
tenprüfungen hatten sich die angehenden<br />
Wehrmänner über ihre Schulerfahrungen zu<br />
äussern. Die Antworten sind interessant: Die<br />
Maturanden vermissten den Praxisbezug der<br />
gymnasialen Schulung: die ehemaligen<br />
Lehrlinge und Berufsschüler kritisierten hin-<br />
gegen das Zukurzkommen der Allgemeinbil-<br />
dung. Offensichtlich ist die geforderte Inte-<br />
gration der Bildungsbereiche ein ernstes An-<br />
liegen unserer Jugend. Nicht von ungefähr.<br />
denn sie muss ja mit der Schweiz von morgen<br />
fertig werden!<br />
Wir hoffen, dass die eidgenössischen Räte die<br />
Revision des Berufsbildungsgesetzes mit der<br />
notwendigen Weitsicht in Angriff nehmen.<br />
Grundsätzliche Anliegen der Menschenbil-<br />
dung - nicht kleinkarierte Detailfragen -<br />
sollen dabei wegleitend sein.<br />
Literaturhinseis<br />
I. C. Menze: Die Bildungsreforrn Wilhelm von<br />
Humboldts. Hermann-Schroedel-Verlag, Han-<br />
nover 1975. Seite 183ff.: Humboldt und Pe-<br />
stalozzi.<br />
2. Wissenschaftspolitik li1976. Seite I I.<br />
Die Betriebslehre<br />
als Grundlage<br />
des HTL-Studiums<br />
Kein anderes Land hat die Berufslehre derart<br />
eingehend institutionalisiert wie die Schweiz,<br />
In einigen massgebenden Industrieländern<br />
existiert die Berufslehre überhaupt nicht. In<br />
der dritten Welt lassen sich Betriebslehren<br />
schwer einführen. weil die Betriebe fehlen. die<br />
Lehrlinge ausbilden könnten.<br />
Niemand bezweifelt. dass die gute Berufs-<br />
ausbildung wesentlich <strong>zur</strong> Konkurrenzfähig-<br />
keit der Schweizer Wirtschaft und damit zu<br />
unserem Wohlstand beigetragen hat. Trotz-<br />
dem gerät die Betriebslehre - früher nannte<br />
man sie Meisterlehre - immer wieder unter<br />
Beschuss:<br />
- Gewisse politische Linksgruppen sehen es<br />
nicht gern, dass die Betriebslehre in priva/-<br />
wirtschaftlichen Betrieben absolviert wird.<br />
Sie bezweifeln. dass der privatwirtschaftliche<br />
Meister den Lehrling ebensogut ausbilden<br />
kann wie ein staatlicher Lehrer. Während der<br />
Hochkonjunktur haben diese Kreise sogar<br />
von einer Ausbeutung der Lehrlinge durch die<br />
Arbeitgeber gesprochen. Sie möchten die<br />
Betriebslehren durch staatliche Lehrwerk-<br />
stätten ersetzen.<br />
- Akademische Kreise werten die Berufs-<br />
lehre gelegentlich deshalb gering, weil sie<br />
wenig formale Allgemeinbildung vermittelt.<br />
Auch die Tatsache. dass der Lehrling im<br />
technischen Bereich in einer Werkstatt ar-<br />
beiten muss, hält einzelne Eltern davon ab, ihr<br />
Kind in eine Betriebslehre zu schicken. Selten<br />
erklären Eltern mit Stolz, dass ihr Sohn sich<br />
zum Berufsarbeiter ausbildet. Eher hört man<br />
die Aussage: «Er wird nur Arbeiter.))<br />
- Die Aufwertung der Betriebslehre stösst<br />
gelegentlich auf den Widerstand der Arbeit-<br />
geber selber. Die aufwendigere Ausbildung<br />
des Lehrlings könnte vielleicht seine Produk-<br />
tionsleistung vermindern. Der Berufsmittel-<br />
Schüler verbringt schon fast 408 seiner Ar-<br />
beitszeit in der Schule: seine Abwesenheit<br />
hemmt den kontinuierlichen Arbeitsablabf im<br />
Betrieb. Immer noch gibt es Lehrmeister, die<br />
ihren Lehrlingen den Besuch der Berufsmit-<br />
telschule verweigern. was rechtlich zulässig<br />
ist.<br />
Gewiss, die meisten Arbeitgeber denken und<br />
handeln nicht so. Sie messen der Berufslehre<br />
ihren spezifischen Wert im schweizerischen<br />
Bildungswesen zu und leisten ihren aktiven<br />
Beitrag. Einzelne Firmen, zum Beispiel aus<br />
der chemischen und aus der Maschinenindu-<br />
strie. bieten Berufslehren an. um die man uns<br />
weltweit beneidet.<br />
Nach abgeschlossener Lehre kann sich der<br />
Berufsmann zum Ingenieur weiterbilden.<br />
Auch dieser Bildungsweg wird meistens ge-<br />
ringer eingeschätzt als der Weg über das<br />
Gymnasium <strong>zur</strong> Hochschule. Nach dem<br />
heute gültigen Berufsbildungsgesetz erhält<br />
der erfolgreiche Absolvent nach einer totalen<br />
Ausbildungszeit von 16 bis 17 Jahren das<br />
Diplom als Ingenieur-Techniker HTL. Es<br />
wäre an der Zeit. dieses Diplom im Zuge der<br />
Revision des Berufsbildungsgesetzes in ein<br />
volles Ingenieurdiplom umzuwandeln. Kein<br />
anderes Land bildet sein technisches Kader<br />
in geradliniger Laufbahn bis zum 24. Alters-
' "."<br />
,__<br />
Jahr aus und verweigert ihm anschliessend<br />
den vollwertigen Ingenieurtitel.<br />
Den Gegnern der aufgewerteten Betriebslehre<br />
möchten wir folgendes zu bedenken geben:<br />
Das spezifisch schweizerische System der<br />
institutionalisierten Berufslehre hat in der<br />
Zukunft nur dann Bestand, wenn es eine ef-<br />
fiziente Ausbildung vermittelt. Die Alterna-<br />
tive wäre der Ersatz durch staatliche Lehr-<br />
werkstätten und Vollzeitschulen. Wenn wir<br />
die Betriebslehre erhalten wollen, müssen wir<br />
zu ihrer Aufwertung ja sagen. Je besser die<br />
Berufslehre ist, desto eher wirkt sie als echte<br />
Alternative zum Gymnasium. Besonders<br />
dann, wenn sie durch die Berufsmittelschule<br />
ergänzt wird und wenn die Möglichkeit einer<br />
späteren Weiterbildung zum Ingenieur of-<br />
fensteht.<br />
Grundlage fur die Ingenieuraucbildung<br />
Die Betriebslehre bietet als Grundlage für ein<br />
späteres HTL-Studium folgende Vorteile:<br />
I. Der Lehrling erlebt die Betriebsgemein-<br />
schaft in einem Alter, wo die Lebensauffas-<br />
sung des jungen Menschen noch im Werden<br />
ist. Das Verständnis für die Zusammenarbeit<br />
und den sozialen Ausgleich wird dadurch<br />
gefördert. Diese Komponente des schweize-<br />
rischen Bildungswesens hat doch sicher zum<br />
sozialen Frieden beigetragen, wie er in der<br />
Schweiz. im Gegensatz zu den meisten an-<br />
der? Ländern. während Jahrzehnten erhalten<br />
werden konnte: Friedensabkommen. Fehlen<br />
von Streiks. von sozialen Ausschreitungen.<br />
Die gegenw artigen Schwierigkeiten, die durch<br />
die wirtschaftliche Rezession bedingt sind,<br />
können die langjährige positive Bilanz des<br />
internationalen Vergleiches kaum beein-<br />
trächtigen. Oft wird behauptet. die in der<br />
Berufslehre erlernten Fähigkeiten könnten<br />
auch in kürzerer Zeit. zum Beispiel durch ein<br />
Praktikum, erworben werden. Der Praktikant<br />
wird aber von den Mitarbeitern kaum als<br />
Glied ihrer soziologischen Gruppe aner-<br />
kannt. Er wird ja in wenigen Jahren als Vor-<br />
gesetzter zu ihnen <strong>zur</strong>ückhonimen! So bleibt<br />
der Praktikant ein Fremdkörper. Die hand-<br />
werklichen Fähigkeiten kann er zwar erler-<br />
nen. aber die Entwicklung seiner Gemein-<br />
schaftsfähigkeit wird ihm schwerer gemacht<br />
als dem Lehrling. Die Situation ist ähnlich wie<br />
im Militär: Um das Rekrutendasein zu erler-<br />
nen. muss man selbst Rekrut sein. Jeder<br />
Vorgesetzte war einmal Rekrut. Ein «Re-<br />
krutenpraktikum)) ist bisher. aus guten Grün-<br />
den, noch nicht erfunden worden! Damit<br />
wollen wir uns nicht gegen eine Verkürzung<br />
der Berufslehre für besonders qualifizierte<br />
HTL-Kandidaten wenden: vier Jahre sind für<br />
manche allzu lang. Und wir anerkennen auch,<br />
dass einzelne Praktikanten. sofern sie das<br />
notwendige Fingerspitzengefühl mitbringen,<br />
die Betriebsgemeinschaft in durchaus positi-<br />
vem Sinne erleben können.<br />
2. Der Ingenieur arbeitet mit Material, wie<br />
Baugrund, Beton. Stahl. Soll die praktische<br />
Ingenieurausbildung nicht hier. beim Schaf-<br />
fen mit dem Stoff. ihren Anfang nehmen? Der<br />
spätere Student hat als Lehrling erlebt. bei<br />
welcher Belastung eine Gussplatte bricht: er<br />
weiss. wie hart ein Drehstahl ist; er hat ge-<br />
fühlt, wie leicht sich ein Fundament im sum-<br />
pfigen Boden senkt. Diese Erfahrungen stel-<br />
len wesentliche Bildungskomponenten der<br />
Berufslehre dar. die dem Gymnasiasten feh-<br />
len. Auf ihnen baut die HTL auf. Das mo-<br />
derne Konzept der rekurrenten Pädagogik<br />
legt auf die Auswertung der praktischen Er-<br />
fahrungen ganz besonderen Wert.<br />
3. Der Ingenieur muss die Sprache des Ar-<br />
beiters sprechen und diejenige des Unterneh-<br />
mers verstehen. Wir haben oben dargelegt.<br />
wie der Lehrling den Arbeiter in der Be-<br />
triebsgemeinschaft verstehen lernt. Auch das<br />
Verständnis der Sprache des Unternehmers<br />
beginnt in der Werkstatt oder im Konstruk-<br />
tionssaal. Hier erlebt der Lehrling zum ersten<br />
Mal das Wesen des freien Wettbewerbes un-<br />
ter den Firmen. Er ist Glied der sozialen<br />
Marktwirtschaft. So ist es zum Beispiel<br />
leichter. dem HTL-Studenten. der aus einer<br />
Berufslehre kommt. die anweridungsbezoge-<br />
nen Erkenntnisse der Betriebswissenschaft<br />
beizubringen als dem Maturanden. Wirt-<br />
schaftliche Fragen kommen ja an unseren<br />
Gymnasien eher zu kurz.<br />
4. Unser Land lebt von der Qualitätsarbeit.<br />
Sie nimmt ihren Anfang in der Werkstatt. Der<br />
Ingenieur, der als Lehrling <strong>zur</strong> Qualitätsar-<br />
beit erzogen wurde, wird diese auch als Vor-<br />
gesetzter fördern.<br />
5. Die Betriebslehre schliesst rnit einem Be-<br />
rufsausweis ab. Auch wenn das Weiterstu-<br />
dium nicht ergriffen wird oder wenn man<br />
darin steckenbleibt, hat man eine Grundlage<br />
zum Broterwerb. Auf dem Bildungsweg<br />
Gymnasium/Hoclischule ist dies nicht der<br />
Fall. weil die Maturität in der Regel nicht als<br />
Grundlage für eine Berufstätigkeit dienen<br />
kann. Wir HTL-Direktoren erleben immer<br />
wieder die traurige Situation der gescheiterten<br />
Gymnasisten, die sich im Alter von 18 oder<br />
19 Jahren noch nach einer geeigneten Be-<br />
rufslehre umsehen müssen.<br />
6. Tritt der HTL-Ingenieur nach Schulab-<br />
schluss ins Berufsleben ein. so ist er mit dem<br />
Betriebsgeschehen bereits vertraut. Der beim<br />
Hochschulingenieur übliche erste Praxis-<br />
schock tritt bei ihm kaum mehr auf, weil er<br />
die Praxis schon kennt.<br />
Die Institution der Berufslehre ist besser als<br />
der Ruf, den sie in weiten Kreisen der Bevöl-<br />
kerung geniesst. Sie ist in langjähriger Tradi-<br />
tion gewachsen und bildet einen festen Be-<br />
standteil des schweizerischen Bildungssy-<br />
stems. Am besten sichern wir ihren Fortbe-<br />
stand. indem wir sie weiterhin verbessern.<br />
Soll die Berufsmittelschule<br />
einen anderen Namen<br />
erhalten?<br />
Im Jahre 1968 veröffentlichte Herr Dr.<br />
L. Nyikos. damals Rektor eines Basler<br />
Gymnasiums, einen viel beachteten Artikel<br />
unter dem Titel: ((Bildung ist kein Vorrecht<br />
der Gymnasiasten.)) Auch Lehrlinge sollen in<br />
den Genuss einer gymnasialen Bildung kom-<br />
men; der Graben zwischen Ausbildung und<br />
Bildung ist abzubauen. Eine echte Alternative<br />
zum Gymnasium soll geschaffen werden.<br />
Dieser Aufsatz war gleichsam der zündende<br />
Funke fur die Schaffung der Berufsmittel-<br />
schulen. Zwar schwebte dem Verfasser nicht<br />
die heute realisierte Form der Schule vor -<br />
auch die neue Diplornmittelschule liegt in der<br />
von ihm anvisierten Ziellinie -. aber seit sei-<br />
ner Publikation brach die Diskussion um die<br />
Berufsmittelschule nicht mehr ab.<br />
Das Konzept der BMS<br />
Die intelligentesten Lehrlinge, etwa 5-8 RI<br />
eines Jahrganges, besuchen heute die Be-<br />
rufsmittelschule an einem zusätzlichen<br />
Schultag pro Woche. Zusätzlich, weil der er-<br />
ste Tag ja bereits durch die Gewerbliche Be-<br />
rufsschule beansprucht wird. So arbeiten die<br />
BMS-Lehrlinge wöchentlich 3 Tage im Be-<br />
trieb und 2 Tage in der Schule.<br />
Das BIGA hatte am 26.Juni 1970 eine<br />
Wegleitung für die Errichtung und die Orga-<br />
nisation von Berufsmittelschulen und deren<br />
Subventionierung durch den Bund herausge-<br />
geben. In der Folge sind solche Berufsmittel-<br />
schulen in allen grösseren Städten entstan-<br />
den. Gewiss läuft bei der BMS heute noch<br />
nicht alles rund. Dies kann jedoch nicht er-<br />
staunen. wurde doch - eine seltene Aus-<br />
nahme in der schweizerischen Bildungsland-<br />
schaft - ein neuer Schultyp nicht nach 25<br />
kantonalen Auffassungen. sondern mit eid-<br />
genössischer Koordination aufgebaut. Man<br />
stelle sich vergleichsweise die Schwierigkeiten<br />
vor. die auftreten würden. wenn man die<br />
Gymnasien oder die Lehrerseminarien der<br />
ganzen Schweiz vereinheitlichen wollte!<br />
In der BIGA-Wegleitung von 1970 war die<br />
Aufgabe der BMS wie folgt formuliert wor-<br />
den :<br />
N Die Berufsmittelschule vermittelt geeigneten<br />
Lehrlingen und Lehrtöchtern aller Berufe als<br />
Erganzung zum Pflichtunterricht an der Be-<br />
rufsschule eine breitere theoretische Schulung<br />
<strong>zur</strong> Vertiefung der beruflichen Ausbildung<br />
und <strong>zur</strong> Erweiterung der allgemeinen Bil-<br />
dung.),<br />
Man beachte das Doppelziel der Vertiefung<br />
der beruflichen Ausbildung einerseits und der<br />
Erweiterung der Allgemeinbildung anderer-<br />
seits.<br />
Nachdem diese BIGA-Wegleitung nur Emp-<br />
fehlungscharakter gehabt hatte, soll die Be-<br />
rut'sinittelschule nun im neuen Berufsbil-<br />
dungsgesetz verankert werden. Artikel 28 des<br />
Entwurfes lautet wie folgt:<br />
(
intelligente. Das fördere eine neue Elitebil-<br />
dung. die abzulehnen sei. Ein Berufsverband<br />
wendet sich in seiner Vernehmlassung zum<br />
Entwurf des neuen Berufsbildungsgesetzes<br />
vor allem gegen den Namen der Schule. Er<br />
meint. die Bezeichnung ,hfirfe/schule könne<br />
zu Missverständnissen Anlass geben. indem<br />
der Anschein erweckt werde. die Schulen<br />
ständen auf der Stufe der Gymnasien.<br />
Gerade das war aber die Absicht von Herrn<br />
Dr. Nyikos: die Kluft zwischen Berufsbildung<br />
und gymnasialer Bildung zu verringern. Ge-<br />
rade deshalb ist ja die Erweiterung der allge-<br />
meinen Bildung ein Hauptziel der BMS.<br />
Der erwähnte Berufsverband möchte den<br />
Begriff G Berufsmittelschuleb, durch (( Erwei-<br />
terte Berufsschule)) ersetzen. Wir glauben<br />
nicht. dass man den Namen wechseln kann.<br />
ohne die Schule selbst zu ändern. Wollen die<br />
Vorkampfer der Namensänderung, von de-<br />
nen viele selbst Arbeitgeber und Lehrmeister<br />
sind. den BMS-Lehrlingen tatsächlich die<br />
vermehrte Allgemeinbildung vorenthalten?<br />
Halten sie am alten Gegensatz zwischen Bil-<br />
dung und Ausbildung fest nach der Formel:<br />
,-<br />
c-<br />
gung stehen. Diese Angebote werden BiI-<br />
dungsbausteine genannt: es sind in sich ab-<br />
geschlossene Bildungsabschnitte. die Tage.<br />
Wochen oder Monate dauern. In Frankreich<br />
nennt man diese Bildungsabschnitte Unités<br />
capitalisables. in Deutschland redet man vom<br />
Baukastensystem. in England und Kanada<br />
von Modulausbildung. in den USA von Cre-<br />
dits. Die Bildungsbausteine können berufli-<br />
cher Art sein oder allgemeine Bildung ver-<br />
mitteln. Sie können ein Lehrgebiet eher<br />
schmal und tiefgründig (für den Spezialisten)<br />
oder eher orientierend und breit (für den Ge-<br />
neralisten) behandeln (Bild l). Die Lehrme-<br />
thode kann eher induktiv (anschliessend an<br />
praktische Erfahrung) oder deduktiv (an-<br />
schliessend an frühere Theoriebausteine) sein.<br />
cì Erwachsenengerechte Unterrichtsmethode<br />
Ein Bildungswesen. das sich an Erwachsene<br />
jeden Alters richtet, muss auch seine Meiho-<br />
den auf Erwachsene abstimmen. Dazu gehort<br />
die Beteiligung der Teilnehmer an der Ent-<br />
scheidung über Ziel. Inhalt. Methode und<br />
Erfolgskontrolle der Bildungsbausteine. Da<br />
in der Kombination der einzelnen Bildungs-<br />
bausteine bedeutend mehr Freiheitsgrade<br />
vorhanden sind als beim heutigen Schulsy-<br />
stem. kommt der Feststellung des Lernerfol-<br />
ges vermehrtes Gewicht zu. Der Lernerfolg<br />
bedeutet den Grad. in dem die gemeinsam<br />
festgelegten Lernziele erreicht werden.<br />
Als weitere Merkmale wären die allgemeine<br />
Zuganglichkeit der Bilduiigsangebote und die<br />
Frage des Bildungsurlaubes zu erwähnen.<br />
Wir wollen jedoch nicht darauf eingehen: der<br />
interessierte Leser sei auf die Literatur ver-<br />
wiesen I i I.<br />
fur den Speualisten<br />
Bild I. Uildiriigsbaus~ei~ie<br />
Schule<br />
Praxis<br />
Schule<br />
fur den Generalisten<br />
__ -<br />
! !<br />
Die schweizerische HTL<br />
Wenn wir nachfolgend darstellen. dass auch<br />
der zweite Ansatz. nämlich das Rückbezie-<br />
hen Irecurrere) auf die Praxis für unser Land<br />
keine pädagogische Neuheit darstellt. so<br />
stutzen wir uns auf die Tatsachen.<br />
- dass kein Land die Institution der Berufs-<br />
lehre so eingehend ausgebaut hat wie die<br />
Schweiz und<br />
- dass in unserem Land höhere Studien-<br />
gange angeboten werden. die sich auf die<br />
Bildungskornponenten einer Berufslehre ab-<br />
stützen (HTL. HWV. HLS, Kurse für so-<br />
zialhelferische, paramedizinische und kauf-<br />
männische Berufe). Dies ist noch nicht in al-<br />
len Ländern üblich. Im Nachbarland Frank-<br />
reich zum Beispiel führt fast jeder höhere<br />
Bildungszug über das Baccalauréat. das<br />
ausschliesslich oder vorwiegend theoretische<br />
Kenntnisse voraussetzt.<br />
Die Berufslehre an sich ist ein rekurrenter<br />
Bildungsbaustein: Abwechselnde Zyklen von<br />
Schule (Theorie) und Betrieb (Ausbildung<br />
und Anwendung) kennzeichnen ihren Lern-<br />
vorgang. Der «gewöhnliche» Lehrling ver-<br />
bringt einen Tag in der Schule und vier Tage<br />
im Betrieb: der BMS-Lehrling zwei Tage in<br />
der Schule und drei Tage im Betrieb. Das<br />
pädagogische Prinzip des ((Learning by do-<br />
ing)) (Lernen bei der Arbeit) findet hier seine<br />
sinnvolle Verwirklichung (Bild 2).<br />
Bei der Einführung eines rekurrenten Bil-<br />
dungssystems stellt sich unter anderem die<br />
Frage. wie die praktischen Erfahrungen als<br />
Eingangsvoraussetzung für einen Aufbau-<br />
kurs formuliert und geprüft werden können.<br />
Setzt doch ein sinnvoller Aufbau der einzel-<br />
nen Bausteine eine gute Ordnung voraus:<br />
Wohl definierte Kenntnisse und Fahigkeiten<br />
theoretischer und praktischer Art müssen<br />
vorhanden sein, bevor der nächste Baustein<br />
in Angriff genommen werden kann. Entweder<br />
werden die Voraussetzungen am Ende eines<br />
abgeschlossenen Kurses getestet - sie erge-<br />
ben daniit die erhofften ((Credits. -. oder sie<br />
werden vor dem Eintritt in den neuen Kurs<br />
gepruft í Eintrittstestì.<br />
Auf diesem Gebiet kann die HTL Erfahrun-<br />
wurden. Wie priift man die in einem prakti-<br />
schen Bildungsbaustein (= Berufslehre) er-<br />
worbenen Fähigkeiten im Hinblick aufdas im<br />
nächsten Baustein (= HTL) zu erreichende<br />
Ziel? Mehrere schweizerische HTL führen<br />
iieben theoretischen Aufnahmeprüfungen<br />
(Mathematik, Sprache usw.) eine sogenannte<br />
Fachprüfung durch. Ein zukiinftiger Archi-<br />
tekturstudent muss sich zum Beispiel darüber<br />
ausweisen. dass er das Fachzeichnen kennt<br />
(die HTL befasst sich nicht inehr mit dem<br />
Fachzeichnen). darüber hinaus aber auch.<br />
dass er die zum Studium notwendige kon-<br />
struktiv-schopferische Begabung und Fähig-<br />
keit besitzt. Die Aufnahmeprüfung will ja<br />
feststellen. ob der Kandidat voraussichtlich<br />
das Potential für das erfolgreiche Bestehen<br />
eines anspruchsvollen Studiums mit sich<br />
bringt. Ein Teil der geprüften Fähigkeiten<br />
wurde in der Schule. der Rest iii der prakti-<br />
schen Tätigkeit der Berufslehre erworben.<br />
Zukunftsmöglichkeiten<br />
Die <strong>Bildungspolitik</strong> will unserer Bevölkerung<br />
jene Bildung vermitteln. die sie befähigt. ihre<br />
persönliche Zukunft und die Zukunft unseres<br />
Landes zu gestalten. Durch organische und<br />
koordinierte Weiterentwicklung ihrer heuti-<br />
gen Bildungseinrichtungen soll sich die<br />
Schweiz die Vorteile möglicher neuer Sy-<br />
steme sichern. ohne die kulturelle Eigenart<br />
und Mannigfaltigkeit (Föderalismus) preis-<br />
zugeben. Dazu bietet sich die Idee der re-<br />
kurrenten Bildung als möglicher Orientie-<br />
rungsrahmen an. Für den Bereich der tech-<br />
nischen Bildung erkennen wir folgende Mög-<br />
lich keiten :<br />
I. Stnrkere Irinrvidiralisieruiig: Das Prinzip<br />
der Rekurrenz ermöglicht die vermehrte In-<br />
dividualisierung der Studiengänge. Früher<br />
waren unsere Schulen durch das Kanalsy-<br />
stem geprägt: man verliess denjenigen Kanal,<br />
in den man eingestiegen war. Der Einstieg ins<br />
Progymnasium führte (bei Erfolg) zum Aka-<br />
demiker. der Einstieg in die Realschule hin-<br />
gegen zum Berufsarbeiter. Die Durchlässig-<br />
keit zwischen den einzelnen Kanälen ist in<br />
den letzten Jahren verbessert worden. Nach<br />
., Bt,r zl,,isc,l~l, Sc/lirle i,,ld Prc,s,s gen anbieten. die andernorts selten gewonnen dem rekurrenten Prinzip wird die Durchlässigkeit<br />
noch leichter gemacht. weil man auch<br />
in höherem Alter noch weiterstudieren kann.<br />
I l<br />
Praxis<br />
Schule<br />
Die heutigen Globalausweise (Maturitat.<br />
Schule 1 eidgenössisches Fähigkeitszeugnis) verlieren<br />
Gym 1 Uni Schule<br />
. .-. .. ..... an Gewicht. Sie werden durch Teilausweise<br />
.....<br />
(Credits) über die besuchten Kurse bzw. die<br />
Praxis<br />
.....<br />
7. Stli’lzkrrrse: Um den älteren Studenten. die<br />
nach längerer Praxiserfahrung das Studium<br />
wieder aufnehmen, den Anschluss zu er-<br />
Lehre und möglichen. wären Förder- und Stützkurse<br />
Vor ber ei tung notwendig. Die heutigen Mehrsemesterlelir-<br />
AKADEMIKER HTL - ABSOLVENT<br />
gänge waren durch kürzere Bausteine. das<br />
heisst durch Semester- oder Triniesterkurse<br />
zu ersetzen. Die Unterrichtsgestaltung an der<br />
HTL miisste ganz allgemein flexibler werden.<br />
wenn sie der Forderuns der Rekurrenz gerecht<br />
werden wollte.<br />
......<br />
......<br />
~.....<br />
3. Bessere Zi
Die Auflösung der starren Bildungsspuren in<br />
einzelne Bausteine würde die Durchlässigkeit<br />
zwischen A und B weiter erhöhen, im Extremfall<br />
sogar beliebige Zusammenstellung<br />
einzelner Bildungsbausteine ermöglichen. Die<br />
mehr theoriebezogenen Kurse würden von<br />
der ETH, die vorwiegend anwendungsorientierten<br />
Bausteine von der HTL angeboten.<br />
Deutschland hat dieses Ziel durch die Gründung<br />
von Gesamthochschulen LU erreichen<br />
versucht. Wir HTL-Direktoren glauben, dass<br />
die Kombinierbarkeit auch angestrebt werden<br />
kann. ohne dass die Verschiedenen höheren<br />
Lehranstalten unseres Landes zu Gesamthochschulen<br />
verschmolzen werden. Die<br />
kürzlich abgeschlossene Vereinbarung zwischen<br />
ETH und HTL. welche das Umsteigen<br />
von A nach B und umgekehrt erleichtert.<br />
bildet darür einen hoffnungsvollen Anfang.<br />
4. Bessere Molirarion: Die Rekurrenz würde<br />
sich positiv auf die Motivationslage der Stu-<br />
denten auswirken. Heute r~russ der Maturand<br />
studieren. weil er mit der Maturität keinen<br />
Beruf hat. In Zukunft würden nur solche<br />
Menschen einen zusätzlichen Bildungsbaustein<br />
in Angriff nehmen, die sich tatsächlich<br />
zusätzliche Bildung erwerben ildien. Sie haben<br />
ja bereits einen Beruf und damit ihren<br />
Broterwerb. Vielleicht würden dann die<br />
«frustrierten» Studenten verschwinden. die<br />
heute soviel zu reden geben.<br />
5. Globales Bildiingskonzepf: Das Prinzip<br />
der rekurrenten Bildung würde zwar den<br />
Graben zwischen Allgemeinbildung und Berufsbildung<br />
nicht ausebnen: der Graben<br />
würde aber kleiner. Er könnte leichter überschritten<br />
werden. Spezialisten aus der Berufsbildungsspur<br />
könnten allgemeinbildende<br />
Bausteine wählen, während Absolventen und<br />
Berufsleute mit vorwiegend abstrakter Bildung<br />
Spezialistenkurse besuchen könnten.<br />
So könnte jedermann seine Bildung nach individuellen<br />
Bedürfnissen vervollkommen.<br />
Der Verfasser erwartet keinen raschen Siegeszug<br />
des rekurrenten Bildungskonzeptes.<br />
Er betrachtet es aber als wertvolles Denkmodell.<br />
das die Richtung der anzustrebenden<br />
Verbesserungen anzeigt. Der Fortschritt ist in<br />
unserem Land durch kleine Schritte gekennzeichnet.<br />
Die Recision des Berufsbildunp<br />
gesetzes ist ein solcher Schritt. Die eidgenossischen<br />
Parlamentarier mögen ihn vorwärts<br />
tun!<br />
Literaturhinweis<br />
I. Bonatii:Eggerik'o~~iRiRuuh/Nuberman: Re-<br />
kurrente Bildung in der Schweiz. Wiscen-<br />
schaftspoiítik. Beiheft 8, 1975.<br />
2. C. Merize; Die Bildungcreform Wilhelrn von<br />
Humboldts. 1975. Schroedel Verlag KG. Han-<br />
noier.<br />
Sind die HTL-Direktoren<br />
bescheiden?<br />
Im Zusammenhang mit der Didacta-Aus-<br />
stellung in Basel fand im Mai 1970 ein Kon-<br />
gress der HTL-Dozenten Westeuropas statt.<br />
Vertreten waren vor alleni die technischen<br />
Lehranstalten der EG und der Schweiz.<br />
Pie deutschen Kollegen berichteten uns von<br />
den Studentenunruhen und Streiks an den<br />
deutschen Ingenieurschulen (= HTL). Wir<br />
Schweizer, an «Ruhe und Ordnung» ge-<br />
lo<br />
wöhnt. folgten ihren Ausführungen mit gros-<br />
sem Interesse. verbreiteten sie doch den<br />
leichten Hauch eines spannenden Romans.<br />
Was war geschehen?<br />
1951 war die FEANI (Fédération euro-<br />
pienne d'associations nationales d'inge-<br />
nieurs) gegründet worden. Ein Ziel dieser In-<br />
eenieurvereinigung war die gegenseitige An-<br />
erkennung der Diplorne und damit die<br />
Schaffung der Freizügigkeit der Ingenieure<br />
innerhalb der angeschlossenen Länder Euro-<br />
pas. Das duale System der Ingenieuraus-<br />
bildung - einerseits der theoretische Bil-<br />
dungszug über Gymnasium und Hochschule.<br />
andererseits der Berufsbildungszug über Be-<br />
rufslehre und HTL - hatte bei der Klassifi-<br />
kation der Schulen grosse Schwierigkeiten<br />
bereitet. Die FEANI hatte sich schliesslich<br />
auf das rolgende Register geeinigt:<br />
- Gruppe A = akademische Ingenieure (mit<br />
zwei Untergruppen Aa und Ab)<br />
- Gruppe B := anwendungsbezogene inge-<br />
nieure<br />
Das Resultat der ersten Einreihung entsprach<br />
etwa dem, was die Kenner der europaischen<br />
Bildungslandschaft erwartet hatten: für ün-<br />
eingeweihte wirkte es aber erstaunlich.<br />
Deutschland hatte nur 9 Hochschulen in der<br />
Kategorie A, hingegen über 100 Ingenieur<br />
schulen (= HTL) in der Kategorie B. Umge-<br />
kehrt war die Situation für Frankreich: 133<br />
Schulen in der Kategorie A, hingegen keine<br />
einzige in der Kategorie B. Wie war dies zu<br />
erklären?<br />
In Frankreich führt jede höhere Bildung über<br />
ein Baccalaurlat. das mit etwa I8 Jahren er-<br />
Rorben wird. Es kann mit einer Matur ver-<br />
glichen werden und berechtigt. allerdings mit<br />
Einschränkungen. zum Studium an einer<br />
Hochschule. Ein Aufbaustudium nach der<br />
Berufslehre existierte in Frankreich kaum.<br />
Wohl aber in Deutschland: Die deutschen<br />
Ingenieurschulen (= HTL) wiesen eine lang-<br />
jährige Tradition auf und waren von der In-<br />
dustrie hoch geschätzt. Zum Eintritt wurde<br />
der Abschluss einer Berufslehre. also keine<br />
Maturität. verlangt. Deshalb waren die deut-<br />
schen Ingenieurschulen in die Kategorie B<br />
eingereiht worden I1 I.<br />
Kann man den deutschen Studenten verar-<br />
gen. dass sie nun aufbegehrten? Sie witterten<br />
ein politisches Ränkespiel: Deutschland hatte<br />
ja den Zweiten Weltkrieg verloren, und in<br />
Frankreich war de Gaulle an der Macht. Die<br />
aGrande Nation» konnte offenbar die deut-<br />
schen Ingenieure nicht als ebenbürtig aner-<br />
kennen! Die Auseinandersetzung, die in der<br />
Schweiz als gewohnte Polarität zwischen der<br />
Humboldt-Pädagogik einerseits und der Be-<br />
rufspädagogik andererseits aufgefasst wurde,<br />
verschob sich in Deutschland in den politi-<br />
schen Raum. In der Folge streikten die Inge-<br />
nieurschulstudenten und forderten lautstark<br />
die Anerkennung ihres Studienabschlusses<br />
durch die FEANI und die EG.<br />
Zurück zum Kongress der HTL-Dozenten<br />
vorn Mai 1970. Die deutschen Kollegen ver-<br />
langten eine Aufwertung ihrer Ingenieur-<br />
schulen. Die Umwandlung in Fachhoch-<br />
schulen wurde angestrebt. Als Zulassung<br />
sollte eine neue dachgebundene Hochschul-<br />
reife)) eingeführt werden, die entweder durch<br />
Vorkurse (vor der HTLì oder durch den Be-<br />
such der neu zu schaffenden Fachoberschu-<br />
len erworben werden könnte. Die deutschen<br />
Kollegen forderten uns Schweizer auf. ihre<br />
Restrebungen zu unterstützen und für unsere<br />
schweizerischen HTL die analoge Aufwer-<br />
tung zu verlangen.<br />
Herr Ottrubay (Luzern). der damalige Präsi-<br />
dent der HTL-Direktoren-Konferenz. erläu-<br />
terte den schweizerischen Standpunkt: Un-<br />
sere Industrie ist durch die Qualitatsarbeit<br />
stark geworden. Sie braucht sowohl Akade-<br />
miker wie auch praxisbezogene Ingenieure.<br />
Wir Schweizer bleiben unseren padagogi-<br />
schen überzeugungen treu; ein Prestige-<br />
kampf nach deutschem Muster liegt uns fern.<br />
Einmal mehr galten wir als die «bescheidenen<br />
Schweizern. Wollten wir doch den bewährten<br />
Charakter unserer HTL erhalten und weder<br />
Fachhochschulen noch Teil von Gesarnt-<br />
hochschulen werden.<br />
Heute schreiben wir das Jahr 1976. Die<br />
deutschen Pläne sind verwirklicht worden.
--.<br />
Haben sie sich bewährt? Ich fasse meine -<br />
persönliche - Beurteilung stichwortartig zusammen:<br />
- Die Bildungsanstrengungen im deutschen<br />
Fachhochschulbereich sind eindrücklich.<br />
Neue Lehranstalten wurden eröffnet: die bestehenden<br />
Schulen konnten ihre Ausbildungsprogramme<br />
und Laboratorien dank<br />
grosszügiger Kredite wesentlich erweitern.<br />
- Schwierigkeiten bietet das vorgeschriebene<br />
Praktikum. zweimal ein Semester während<br />
der offiziellen vierjährigen Studiendauer. zum<br />
Beispiel in Baden-Württemberg. Aus naheliegenden<br />
Gründen zeigt die deutsche Industrie<br />
wenig Interesse für diese Praktikanten.<br />
hätte sie doch lieber die früheren «Lehrlinge».<br />
- Die Entlastung der akademischen Hochschulen<br />
ist geringer als erwartet. Die Gymnasiasten<br />
gehen lieber 1-2 Jahre länger <strong>zur</strong><br />
Schule. um die allgemeine Hochschulreife<br />
(= Abitur). statt nur die fachgebundene<br />
Hochschulreife. zu erwerben. Anschliessend<br />
treten sie aber in eine «richtige. Hochschule<br />
ein (Universität oder technische Universität).<br />
- Der Industrie fehlen die früheren praxisund<br />
anwendungsbezogenen Ingenieure.<br />
- Die akademischen Hochschulen sind<br />
überfüllt. Zur teilweisen Ableitung der Abiturientenlawine<br />
werden neuerdings Studienakademien<br />
eröffnet. die ein Ingenieurdiplom<br />
nach kurzer berufsbegleitender Schulung<br />
verleihen. Ob dieser neue Ingenieurtyp die<br />
Absolventen der alten Ingenieurschulen ersetzen<br />
kann, ist fraglich.<br />
- Die Integration der verschiedenen Lehranstalten<br />
zu Gesamthochschulen bietet mehr<br />
Schwierigkeiten als erwartet. So gehören zum<br />
Beispiel die Fachhochschule Furtwangen<br />
(= HTL) und die Kunsthochschule Trossingen<br />
zum Gesamthochschulbereich Tübingen: die<br />
Bindungen sind aber nicht sehr eng. Vergleichsweise<br />
sind die Kontakte zwischen der<br />
HTL Winterthur und der ETH Zürich enger.<br />
ohne dass die beiden Lehranstalten Teil der<br />
glciclicii tiesriin thochschule w;iren.<br />
~ üie<br />
kinreihung in Gruppe A oder B des<br />
FEANI-Registers ist weiterhin umstritten.<br />
Seit dem Kongress von 1970 hat auch<br />
Frankreich seine technische Ausbildung mo-<br />
dernisiert. Mit 18 Jahren wird man Techni-<br />
cien. mit 20 Jahren Technicien supérieur. Der<br />
höhere Techniker wird. nach dem Bestehen<br />
des Baccalauréats, am Institut universitaire<br />
de technologie ausgebildet, also an einer<br />
Universität (Kurzstudium). Die Ingenieure<br />
figurieren andererseits nach wie vor alle in der<br />
Gruppe A des FEANI-Registers.<br />
In der Schweiz sind die HTL-Studenten beim<br />
Eintritt etwa 2 I. beim Diplom etwa 24 Jahre<br />
alt. In einem Alter. wo der Franzose bereits<br />
sein Diplom als Technicien superieur besitzt,<br />
kann der Schweizer sein HTL-Studium<br />
überhaupt erst beginnen.<br />
Man wirft den schweizerischen HTL-Direk-<br />
toren gelegentlich vor. sie seien allzu be-<br />
scheiden gewesen: sie hätten deshalb den<br />
Anschluss verpasst. als sie den deutschen und<br />
französischen Bestrebungen nicht gefolgt<br />
seien. Wir stehen aber nach wie vor zu der am<br />
Dozentenkongress von 1970 geäusserten<br />
Auffassung: Unsere Industrie braucht so-<br />
wohl theorie- als auch anwendungsbezogene<br />
Ingenieure. Wir wollen unsere HTL nicht in<br />
Fachhochschulen umwandeln (wie in<br />
Deutschland); wir wollen nicht in den uni-<br />
versitären Bereich eingereiht werden (wie die<br />
IUT in Frankreich), wir möchten auch nicht<br />
Teil einer Gesamthochschule sein. Aber wir<br />
stellen eine bescheidene Forderung: Das. was<br />
sich in den letzten Jahren ganz natürlich ein-<br />
gebürgert hat und heute CleJuclo besteht. soll<br />
irn neuen Berufsbildungsgesetz auch de jirre<br />
verankert werden.<br />
Die HTL soll Ingenieurschule heissen. und<br />
ihre Absolventen sollen sich als Ingenieure<br />
bezeichnen dürfen.<br />
Literaturhinweis<br />
I. FEANI. Europaisches Register der hoheren<br />
technischen Berufe. 2.. prov. Ausgabe, April<br />
1965, I, Boulevard Malesherbes. Paris 8 e.<br />
Die Maturandenlawine<br />
und der Numerus clausus<br />
In früheren Beiträgen («STZ» 35/36 und<br />
39/40) haben wir dargelegt, dass einzelne in-<br />
ternationale Statistiken die Schweiz als «bil-<br />
dungspolitisch unterentwickelt» dargestellt<br />
hatten. In der Folge erschallte ein Notruf<br />
durch unser Land: Wir brauchen mehr<br />
Gymnasiasten, wir brauchen mehr Akade-<br />
miker. Die kantonalen Erziehungsdirektoren<br />
begannen um die möglichst rasche Erhöhung<br />
der Gymnasiastenzahlen zu wetteifern. So<br />
nennt das Leitbild des Kantons Baselland aus<br />
dem Jahre 1968 folgende Ziele: Im Jahr 1980<br />
15"n. im Jahr 2000 25% Absolventen einer<br />
Mittelschule. bezogen auf den Altersjahr-<br />
gang. Andere Kantone legten ähnlich über-<br />
setzte Ziele fest.<br />
Seither hat sich das Bild gewandelt. Es wurde<br />
allmählich klar. dass diese Statistiken irre-<br />
führend waren. Die Schweiz hatte den Begriff<br />
Das HTl=S/iuiiutrt s/u/=/ sich auf ausgedc./itm<br />
Lahorarbeireti ab (Foro: Ch. Baur. Basel)<br />
Gewohnheit gemacht. die Laufbahnentwich-<br />
lung dieser Ratsuchenden zu erforschen. Im-<br />
mer wieder höre ich ihre Aussage. aufgrund<br />
der Freude am Werken und Realisieren hät-<br />
ten sie eigentlich in eine Berufslehre eintreten<br />
wollen. Doch seien sie von der Familie und<br />
der Verwandtschaft - gelegentlich auch von<br />
Lehrern - geradezu ins Gymnasium gedrängt<br />
worden. Die Familie hätte eben einen Inge-<br />
nieur und nicht einen Techniker gewünscht.<br />
Die Traditions- und Prestigebarrieren sind<br />
offenbar immer noch sehr stark. Oft steht bei<br />
der Berufswahl nicht die Begabung für eineii<br />
Beruf. sondern die hierarchische Einstufung<br />
der zu wählenden Tätigkeit im Vordergrund.<br />
Die Schüler sind deshalb in Zukunft vermehrt<br />
über die Alternativen zu Gymnasium und<br />
Hochschule aufzuklären. Die Berufsbil-<br />
dungsspur ist ja in den letzten Jahren we-<br />
sentlich verbessert worden. gibt es doch heute<br />
die Brrulsinittelschule. Uiploniniitlrlschule.<br />
Technikerschule. Höhere Technische Lehr-<br />
anstalt. Höhere Wirtschafts- und Verwal-<br />
tungsschule. Höhere Landwirtschaftsschule<br />
usw. Berufsberater und Lehrer müssen diese<br />
Alternativen ihren Schülern nahebringen.<br />
wenn die praktische Begabung bei guter In-<br />
telligenz feststeht. Das Begabungsprqfil der<br />
Jugendlichen muss in Zukunft vermehrt aus-<br />
schlaggebend sein. Auf den Bildungsweg Be-<br />
rufslehre/BMS/HTL gehört nicht nur der<br />
weniger intelligente Jüngling, sondern in er-<br />
ster Linie derjenige. der den Drang <strong>zur</strong><br />
praktischen Betätigung. <strong>zur</strong> Realisierung und<br />
zu aktivem, schöpferischem Wirken in sich<br />
spürt. Derjenige. der sich im Eignungstest<br />
durch praktische Begabungskomponenten<br />
auszeichnet. Die Verwirklichung dieser These<br />
setzt natürlich das bessere Instrumentarium<br />
<strong>zur</strong> Ermittlung des Begabungsprofils voraus.<br />
das glücklicherweise in den letzten Jahren<br />
von Psychologen und Berufsberatern ent-<br />
wickelt wurde. Die Berufsberater orientieren<br />
die Jugendlichen heute auch besser Über<br />
nichtakademische Bildungswege für Matu-<br />
randen I2 I.<br />
12<br />
Das Umsteigen in den Berufsbilduiigsbereich<br />
kann also auch nach bestandener Matur noch<br />
sinnvoll sein. Besonders dann. wenn sich der<br />
Maturand starker zu einer praxisbezogenen<br />
als zu einer abstrakten. theorieorientierten<br />
Tätigkeit hingezogen fühlt (Bild).<br />
Man sollte davon abkommen, als Anschluss<br />
an die Matur nur das Hochschulstudium zu<br />
sehen. Die Matur stellt als Ausweis über eine<br />
gute Allgemeinbildung einen Wert an sich<br />
dar. der auch dann <strong>zur</strong> Geltung kommt, wenn<br />
keine Hochschullaufbahn beschritten wird.<br />
Um den Maturanden den Eintritt zu erleich-<br />
tern, haben die schweizerischen HI'L die ob-<br />
ligatorische Vorstudienpraxis für sie kürzlich<br />
auf I2 Monate reduziert. Natürlich werden<br />
die Maturanden in der HTL immer eine<br />
Minderheit darstellen - höchstens 20"0 einer<br />
Klasse - denn der Charakter der Schule als<br />
Aufbaustudium nach der Berufslehre soll<br />
grundsätzlich beibehalten werden. Die bislie-<br />
rige Erfahrung zeigt aber. dass die Maturan-<br />
den eine Belebung'und Bereicherung bringen:<br />
oft wird der Teamgeist in der Schulklasse<br />
besser. wenn Studenten mit verschiedener<br />
Vorbildung zusammenarbeiten.<br />
Das in ßeratung stehende neue Berufsbil-<br />
dungsgesetz bietet Gelegenheit, die darge-<br />
stellten Ideen der Verwirklichung näherzu-<br />
bringen. Die Berufsbildung muss wieder auf-<br />
gewertet werden. damit sie als echte Alter-<br />
native zu Gymnasium und Hochschule von<br />
vielen Jugendlichen - in voller Freiheit und<br />
ohne staatliche Lenkung - gewählt wird. So<br />
dürfte sich mit der Zeit ein neues Gleichge-<br />
wicht einstellen. das den Numerus clausus an<br />
unseren Hochschulen unnötig macht.<br />
Litersturhinweis<br />
i. Prof. Kneschaurek: Perspektiven des schweiz.<br />
Bildungswesens. St. Gallen. Mai 197 I .<br />
2. Nichtahademische Bildungswrge fur Mittel-<br />
schuler. Herausgegeben von der Schweiz. Ar-<br />
beitsgemeinschaft fur akadeiiiisclie Studien-<br />
und Berufsberatung. Bern. August 1074.<br />
Ein Kurzstudium<br />
an den schweizerischen<br />
Hochschulen?<br />
Die schweizerischen Hochschulen verleihen<br />
einen Sttidiennbschluss. der im internationalen<br />
Vergleich ein beachtliches Niveau aufweist.<br />
Wenn wir das angelsächsische BiIduiigssysteni<br />
als Vergleich heranziehen. so<br />
höiinen wir feststellen. dass die folgenden<br />
schweizerischen Studienabschlüsse dem Master's<br />
Degree ungefähr iiquivalent sind l :<br />
~ das Diploin der ETH.<br />
- das Diplom einer Universität (2.B. in<br />
Chemie).<br />
- das Lizentiat einer Universität (z.B. in<br />
Germanistik oder Jurisprudenz).<br />
Der Schweizer wird bis zum Master's Degree<br />
im Durchschnitt etwas alter als seine auslän-<br />
dischen Kollegen: das «beachtliche Niveau»<br />
wird al50 durch intensive und lange dauernde<br />
Arbeit redlich verdient.<br />
In vielen Landern kann man die Hochschule<br />
auf einem tieferen Niveau verlassen. um ins<br />
Berufsleben einzutreten. Der erste akademi-<br />
sche Abschluss heisst ((Bachelor's Degree),:<br />
er wird in den angelsächsischen Ländern etwa<br />
mit dem 2Z.Altersjahr erworben. Bis zum<br />
Master's Degree sind 1-2 zusätzliche Stu-<br />
dienjahre erforderlich.<br />
In unserem Land gibt es an den Hochschulen<br />
hein tieferes Diplom als den Master: wer die<br />
Universität vorzeitig verlässt. tut dies ohne<br />
Abschluss. Zwar bestehen auch bei uns einige<br />
Kurzstudiengänge. zum Beispiel<br />
- ftir die Sekundarlehrerausbildung.<br />
~ fiir die Ausbildung zum Notar,<br />
- für einzelne Berufe im medizinischen und<br />
sozialhelferischen Bereich.<br />
Diese MCyglichkeiten sind aber auf wenige<br />
Kantone beschriinht. so dass man sie als<br />
Ausnahmen bezeichnen kann (welche die<br />
Regel bestltigenì. Von diesen Ausnahmen<br />
abgesehen. gibt es also in unserem Land kein<br />
akademisches Kurzstudiuin.<br />
Soll man in Zukunft ein solches Kurzstudium<br />
einführen? Folgende Argumente sprechen<br />
dafür:<br />
I . Dtrs Begnhiitigsppr-ofil. Viele Maturanden<br />
würden gerne eiii kurzeres Studium absol-<br />
\,ieren. wenn ein entsprechender Lehrgang<br />
existierte. Ihrem Begabungsprofil entsprechend<br />
suchen sie eher eine praxisbezogene<br />
Ausbildung als ein akademisches Vollstud<br />
iUi11 .<br />
2. Der. Brdorl: Die Maturandenzahlen sind in<br />
den letzten Jahren rapid in die Höhe geschnellt.<br />
Mit grösster Wahrscheinlichkeit<br />
braucht unser Land gar nicht so viele Akademiker.<br />
wie die heutigen Gymnasiastenzahlen<br />
koraussehen lassen.<br />
3. Dir jehletideti Siudieriplär,-e. Die schweizerischen<br />
Universitäten sind überfüllt: die<br />
Kredite fur die Kapazitätserweiterung fehlen<br />
' Liiii riIlfillige Miscverstandnisse zu vermeiden.<br />
priirisiere ich die Aussage wie folgt: Der Dirrrh-<br />
w/iui/! dieser qchnwzerisclien Scliulabsclilüsse<br />
critspriclit uiigefiihr dem Durr/rsdrni/~ der ma^<br />
\ter'> Ilegrces. die ion angelsachsischen Lchran-<br />
\talten berlielien werden. Selbstverstindlich gibt es<br />
wwohl in der Schweiz wie im .Ausland Abschlusse<br />
mit Iiolicrern und geriiigcrem Anspruchsniveau. >o<br />
cliiss iii:iri nur die Durchscliiiitte vergleicheii kann.
c<br />
I-<br />
jedoch. Die Studenten der Kurzlehrgänge<br />
wurden die raren Studienplätze weniger lang<br />
beanspruchen.<br />
4. Dic KOS[PII. Kurzstudien wären sowohl für<br />
den Steuerzahler wie fur den einzelnen Studenten<br />
billiger als akademische Vollstudien.<br />
3. Dit, Gejiuhr des bert!/lichen r Oi-erskillsw.<br />
Früher hat man geglaubt, für jeden Arbeitsplatz<br />
sei nur der allerbeste Mann gut genug.<br />
Heute neigt man eher <strong>zur</strong> Auffassung. dass<br />
das Anforderungsprofil einer Stelle mit dem<br />
Fähigkeitsprofil des Bewerbers übereinstimmen<br />
sollte. Ist der Stelleninhaber beruflich<br />
allzugut ausgebildet, so ist er am Arbeitsplatz<br />
unterfordert: daraus entsteht leicht Unzufriedenheit<br />
und Unruhe. Zumindest in der<br />
gegenwärtigen Rezession sind anscheinend<br />
mehr Arbeitsplatze für Praktiker vorhanden<br />
als für Absolventen theoretischer Lehrgange.<br />
Mit Bezug auf allgeineirw Bildungsgüter -<br />
zum Beispiel staatsbürgerliche Bildung - gibt<br />
es wohl keinen Overskill: dieses Problem<br />
steht aber ausserhalb unseres Themas, und<br />
wir wollen nicht darauf eintreten.<br />
Die Frage. ob an den schweizerischen<br />
Hochschulen ein Kurzstudium eingefuhrt<br />
werden soll, ist von den bildungspolitischen<br />
Gremien unseres Landes in den letzten Jahren<br />
wiederholt diskutiert worden. Die Idee ist<br />
aber mehrheitlich auf Ablehnung gestossen.<br />
Warum?<br />
Ein akademisches Bachelor's Degree wäre im<br />
Prinzip «ähnlich wie ein Master's Degree.<br />
aber von allem etwas weniger)). Könnte die<br />
Praxis solche Mini-Akademiker überhaupt<br />
sinnvoll beschäftigen? Ich bezweifle es. Die<br />
neueren europäischen Beispiele sind jedenfalls<br />
wenig ermutigend. Das zweijährige<br />
a)<br />
L<br />
:O .- c<br />
L<br />
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c<br />
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ausser universi tarer uni versi tarer<br />
\/<br />
Ter t iarbereich T Tertiarbereich<br />
X<br />
, o<br />
KurzStudium am Institut universitaire de<br />
technologie (IUT) in Frankreich. das mit dem<br />
Titel (
prägt I 1 l. Immer wieder taucht die Frage auf,<br />
ob man die beiden Wege nicht zusammenle-<br />
gen könnte, um damit den Aufbau der Aus-<br />
bildung zu vereinfachen. Mit den folgenden<br />
Darlegungen will ich zeigen, dass eine Zu-<br />
sammenlegung nichf sinnvoll wäre.<br />
Die beiden Bildungswege sind in Bild I dar-<br />
gestellt. Die akademische Bildungsspur A<br />
führt über das Gymnasium <strong>zur</strong> Hochschule,<br />
die Berufsbildungsspur B über Berufslehre<br />
und BMS <strong>zur</strong> HTL. A und B sind als Bil-<br />
dungswege komplementär, das heisst, sie<br />
konkurrenzieren sich nicht, sondern sie er-<br />
gänzen sich. Während die Hochschule die<br />
Heranbildung des akademischen Nach-<br />
wuchses <strong>zur</strong> Aufgabe hat, liegt das Ziel der<br />
HTL in der Ausbildung von praxisorientier-<br />
ten wissenschaftlichen Fachleuten. Bei der<br />
Hochschule steht die Förderung der ab-<br />
strakten, umfassenden und auf die Forschung<br />
gerichteten Fähigkeiten im Vordergrund. bei<br />
der HTL die Umsetzung der Forschungser-<br />
gebnisse in die praktische Anwendung. Die<br />
HTL-Absolventen sind die eigentlichen Rea-<br />
lisatoren neuer Projekte bzw. die Leiter von<br />
Entwicklungs- und Produktionsstätten.<br />
Wirtschaft und Verwaltung brauchen beide<br />
Typen von Ingenieuren. Der im Einzelfall<br />
bevorzugte Bildungsweg wird in Stelleninse-<br />
raten oft angegeben. Man sucht entweder ei-<br />
nen dipl. Ing. ETH oder einen Ing. HTL. Die<br />
durchschnittlichen Fähigkeitsprofile der Ab-<br />
solventen Überschneiden sich zwar in einem<br />
breiten Bereich; man findet deshalb auch<br />
Stellenausschreibungen für «Ing. ETH oder<br />
HTL». Das darf aber nicht darüber hinweg-<br />
täuschen. dass auf den beiden Bildungswegen<br />
verschiedene Begabungskomponenten geför-<br />
dert werden. Die Kandidaten sind zwar beim<br />
Eintritt in die Hochschule bzw. in die HTL<br />
etwa gleich alt. Sie bringen aber unterschiec-<br />
liche Bildungskomponenten mit: der Matu-<br />
rand eine breite Allgemeinbildung, der Lehr-<br />
ling eine abgeschlossene Berufsbildung. Es<br />
liegt auf der Hand, dass die Weiterbildung<br />
diesen unterschiedlichen Grundlagen Rech-<br />
nung tragen muss.<br />
Während beim Hochschulstudent die Theorie<br />
im Vordergrund steht. bildet die Praxisnähe<br />
das Fundament in der Ausbildungsstruktur<br />
der HTL. Die Hochschule entwickelt den<br />
Lehrstoff zum grossen Teil aus der Mathe-<br />
matik heraus, da der Maturand keine prakti-<br />
schen Erfahrungen mitbringt. Im Gegensatz<br />
dazu stützt sich die HTL von allem Anfang<br />
an auf zwei Grundpfeiler: die in der Lehre<br />
erworbenen praktischen Erfahrungen einer-<br />
seits und die - allerdings geringeren - ma-<br />
thematischen Schulkenntnisse andererseits.<br />
Bild 2 stellt das Gesagte am Beispiel des<br />
Maschineningenieurs grafisch dar:<br />
Der Bildungsweg der Hochschule beginnt im<br />
Schema oben; die HTL hingegen nähert sich<br />
I--<br />
Theoret i sche Aushi Ldwg in<br />
Mittebchuk oder Lehre<br />
&:<br />
L'<br />
I I<br />
Hydraulik Thermodynamik<br />
All gemeine<br />
Stromungslehre<br />
M echaniK Fest ig k ei t sl eh re<br />
I l<br />
i Werkstoffk<br />
Bild 2. SrJienru fische Ilarsiellurig des Bildungs-<br />
weges ali der HTL ioid an der Technischen<br />
Hochschirle<br />
dem Ziel gleichzeitig von oben und von unten,<br />
das heisst von der Mathematik wie von der<br />
praktischen Erfahrung her. Dementsprechend<br />
sind die Unterrichtsziele der beiden<br />
Lehranstalten verschieden. Der Bildungsweg<br />
der Hochschule entwickelt vor allem die Fähigkeit<br />
zum logischen, abstrakten Denken,<br />
während die HTL die intuitiven, konstruktiv-schöpferischen<br />
Bildungskomponenten<br />
stärker fördert. So eignet sich die Bildungs-<br />
Struktur der HTL im allgemeinen besser <strong>zur</strong><br />
Ausbildung von Konstrukteuren als der<br />
akademische Bildungsweg. Der Vertreter einet<br />
Crosstirma der Maschinenindustrie hat<br />
kürzlich an einem Seminar erklärt, dass in<br />
den letzten Jahren mehr als 90% der Konstruktionen<br />
seiner Firma von HTL-Absolventen<br />
entworfen wurden.<br />
Misst man das erreichte Abschlussniveau<br />
nach ausschliesslich intellektuellen Kriterien,<br />
Bild I. Das duule Slsfeìn der I17genreurausbildu~~g so wird die HTL das schweizerische Hochschulniveau<br />
nicht ganz erreichen. In den<br />
I I<br />
theoretischen Fächern steht das HTL-Di-<br />
Bildungswege<br />
plom auf dem Niveau eines durchschnittli-<br />
I A<br />
B<br />
chen Bachelor's Degree der angelsächsischen<br />
Länder, während der ETH-Abschluss etwa<br />
einem Master's Degree entspricht. Der<br />
Schweizer HTL-Student wird etwa 1-2 Jahre<br />
älter als sein ausländischer Kollege, besitzt<br />
aber dafür eine vertiefte Ausbildung im<br />
praktischen Können.<br />
14<br />
Ein Mini-Auto ist ein richtiges Auto, nur in<br />
allem etwas kleiner und billiger. Ich habe im<br />
letzten Beitrag (9. Folge, «STZ» 1/2, 1977)<br />
dargelegt. dass ein neu einzuführendes<br />
ZIEL<br />
Kurzstudium an den schweizerischen Uni-<br />
versitäten zu einem Mini-Akademiker führen<br />
würde. Die HTL bietet zwar auch ein Kurz-<br />
Studium an, aber es ist ein Studium anderer<br />
Art. Die HTL kann deshalb nicht als Mini-<br />
Universität bezeichnet werden. Durch den<br />
stärkeren Praxisbezug besitzt sie eine andere<br />
Bildungsstruktur als die Universität. Sie ist<br />
eine eigenständige Lehranstalt des tertiären<br />
Bildungsbereiches, die neben der Hochschule<br />
steht. Die Fähigkeiten des HTL-Ingenieurs<br />
ergänzen - teilweise - diejenigen seines Kol-<br />
legen von der ETH.<br />
Die beiden Bildungswege A und B sollen<br />
durchlässig sein, das heisst, das Umsteigen<br />
von A nach B und umgekehrt soll möglich<br />
sein. Seit wenigen Jahren ist diese Forderung<br />
auch in der Schweiz erfüllt. Die unterschied-<br />
liche Struktur dec. beiden Bildungswege er-<br />
fordert aber eine «Ubergangsausbildung», die<br />
einen Zeitverlust mit sich bringt. Beim Um-<br />
steigen von A nach B ist ein mindestens ein-<br />
jähriges Praktikum zu absolvieren, das mög-<br />
lichst viele derjenigen Fähigkeiten vermittelt,<br />
die in einer entsprechenden Berufslehre er-<br />
worben werden. Das Umsteigen in der um-<br />
gekehrten Richtung, von B nach A, erfordert,<br />
sofern die verlangte Qualifikation vorhanden<br />
ist, ein Ubergangsstudium von ebenfalls ei-<br />
nem Jahr. das <strong>zur</strong> Hälfte an der HTL Win-<br />
terthur, <strong>zur</strong> anderen Hälfte an der ETH Zü-<br />
rich absolviert wird. In der welschen Schweiz<br />
besteht zwischen der HTL Yverdon und der<br />
ETH Lausanne eine analoge Regelung. Nach<br />
bestandener Prüfung (2. Vordiplom) kann das<br />
normale ETH-Studium ab 5.Semester auf-<br />
genommen werden. So ist jetzt der Aufstieg<br />
vom HTL-Ingenieur (Bachelor's Degree)
zum dipl. Ing. ETH (Master's Degree) auch<br />
in der Schweiz möglich.<br />
Selbstverständlich ist diese Weiterbildungs-<br />
möglichkeit nur wenigen vorbehalten, nam-<br />
[ich solchen Studenten, die während der<br />
HTL-Ausbildung ihre ((theoretische Ader»<br />
entdecken. Die HTL wird keine Zubringer-<br />
schule <strong>zur</strong> ETH werden; sie bleibt eine Ab-<br />
schlussschule. Der Überwiegende Teil ihrer<br />
Absolventen wird nach dem HTL-Diplom in<br />
die Praxis eintreten.<br />
Ein erster Klassenzug v?n etwa 20 HTL-<br />
Absolventen hat das Ubergangsstudium<br />
durchiaufen. Wie der ETHZ-Präsident fest-<br />
stellt. wurde den Kandidaten ein voller Erfolg<br />
zuteil; ihr Notendurchschnitt beim 2. Vordi-<br />
plom lag deutlich über demjenigen der<br />
ETH-eigenen Studenten 121.<br />
Den Behörden. welche dieser neuen Über-<br />
trittsregelung <strong>zur</strong> ETH zugestimmt haben,<br />
soll auch an dizser Stelle offiziell gedankt<br />
werden. Vorher war der Aufstieg vom Ba-<br />
chelor zum Master nur im Ausland - vor al-<br />
lem an amerikanischen Universitäten -<br />
möglich gewesen: in der Schweiz war vom<br />
HTL-A bsolventen hingegen ein vollständiges<br />
Zweitstudium an der ETH verlangt worden.<br />
- Das eidgenössischen Berufsbildungsgesetz<br />
steht in der Revision. Es ist zu hoffen, dass<br />
der dargelegte Status der HTL als eigenstän-<br />
dige ausseruniversitäre Lehranstalt des ter-<br />
tiären Bildungsbereiches im revidierten Ge-<br />
setz verankert wird.<br />
Literaturhiiiweis<br />
I. ïrogtriire/iSel/hl: Der Ingenieur in der Euro-<br />
paischen Gemeinschaft. Schroedel-Verlag,<br />
Hannover 1972.<br />
2. L'rspruiig H.: Die Regelung für die Aufnahme<br />
con HTL~Ahsolventen an die ETH Zürich.<br />
Schweiz. Bauzeitung. Heft 34. 19.August 1976.<br />
Der HTL- Absolvent<br />
im Ausland<br />
'- Bei der Ankunft des HTL-Absolventen in ei-<br />
nem fremden Land treten oft Schwierigkeiten<br />
auf. Seinem ofiiziellen Schulausweis entspre-<br />
chend wird er falsch eingestuft. In der ge-<br />
genwärtigen Rezession kommt es sogar vor.<br />
dass ein IiTL-Ingenieur im Ausland keine<br />
Beschäftigung findet. weil man ihm die für die<br />
freie Stelle verlangten Fähigkeiten nicht zu-<br />
traut.<br />
Mit seinem Technikumsdiplom erhält unser<br />
Absolvent die Berufsbezeichnung «Inge-<br />
nieur-Techniker HTL». Diese ist im Ausland<br />
fast giinzlich unbekannt. Kein Bewerber wird<br />
zum Beispiel in Amerika eine angemessene<br />
Beschaftigung finden. wenn er erklärt: «I<br />
have a Dipíorna of a Swiss Technicum. I am<br />
an engineer-technician HTL.» Im Zu-<br />
sammenhang mit der Revision des eidgenös-<br />
sischen Berufsbildungsgesetzes wird zwar<br />
gelegentlich behauptet, es gäbe auch Inge-<br />
nieur-Techniker in andern Ländern. zum<br />
Beispiel in Belgien und England. Ist diese<br />
Behauptung richtig?<br />
Um fur allfällige Diskussionen gewappnet zu<br />
sein, haben wir HTL-Direktoren in den ver-<br />
gangenen Monaten Berufsvergleiche an Ort<br />
und Stelle durchgeführt. Auch die Verbände<br />
ehemaliger HTL-Absolventen haben durch<br />
ihre Mitglieder im Ausland entsprechende<br />
Untersuchungen anstellen lassen. Hier die<br />
Ergebnisse:<br />
a) in Belgien gibt es einen technischen Inge-<br />
nieur (ingenieur technicien). Seine Ausbil-<br />
dung ist weniger praxisbzzogen als das<br />
schweizerische HTL-Studium, weil sie nicht<br />
an eine Berufslehre anschliesst. Eine Vorlage,<br />
die den ((ingenieur technicien)) durch «inge-<br />
iiieur industriel>) ersetzen will. wird gegeii-<br />
wartig vom belgischen Parlament bearbeitet.<br />
b) In England gibt es einen (dechnician engi-<br />
neer». Sein durchschnittliches Fähigkeits-<br />
profil entspricht etwa einem schweizerischen<br />
Techniker TS oder einem Absolventen der<br />
höheren Fachprüfung, zum Beispiel einem<br />
guten Meister.<br />
c) in Frankreich gibt es einen technicien su-<br />
perieur. Dieser Titel ist nlit schweizerischen<br />
Schulabschlüssen überhaupt nicht vergleich-<br />
bar: er wird nach Bestehen des *baccalau-<br />
rkat» durch ein zweijähriges Studium am In-<br />
stitut universitaire de technologie erworben.<br />
Der Franzose ist bereits cctechnicien supe-<br />
rieur» in einem Alter. wo der Schweizer sein<br />
HTL-Studium Überhaupt erst beginnen kann.<br />
In den drei Ländern - wie übrigens in den<br />
östlichen Nationen - existiert auch der Bz-<br />
rufstiiel ((Techniker». Er wird nach kurzer<br />
Aiisbiidung im Alter von 18-19 Jahren er-<br />
worben und ist seinem Ausbildungsgehalt<br />
entsprechend am ehesten mit dem Abschluss<br />
einer qualifizierten schweizerischen Berufs-<br />
lehre zu vergleichen.<br />
Fazit: Die Behauptung. es gäbe auch Inge-<br />
nieur-Techniker in andern Ländern, ist irre-<br />
führend. Soweit iihnlicli lautende Berufsbe-<br />
zeichnungen tatsächlich existieren. so werden<br />
sie auf andersartige, weniger anspruchsvolle<br />
Ausbildungsgange bezogen. Die Berufslehre<br />
als Grundlage für ein praxisbezogenes höhe-<br />
res Studium ist in anderen Ländern wenig<br />
bekannt (siehe auch 4. Folge. sSTZ» 43/44).<br />
Die Berufslehre ist der gewichtige Vorteil des<br />
schweizerischen HTL-Bildungsweges.<br />
Die Weiíerbildung ¡in Ausland<br />
Die neueren schweizerischen HTL verleihen<br />
ihren Absolventen, als Teil des mehrsprachi-<br />
gen Diploniausweises. ein Bachelor's Degree.<br />
Ris vor kurzem war die Weiterbildung <strong>zur</strong><br />
nächsthöheren Stufe, zum Master's Degree,<br />
in der Schweiz ausserordentlich schwierig.<br />
Lernwillige HTL-Ingenieure suchten sich<br />
deshalb die gewünschte Weiterbildung im<br />
Ausland. Besonders die Vereinigten Staaten<br />
waren attraktiv. galten sie doch als technische<br />
SpitZennation der Welt. Hier ergaben sich<br />
aber immer wieder Schwierigkeiten mit der<br />
Anerkennung des HTL-Diploms als Bache-<br />
lor's Degree. Unsere Diplomurkunde wirkt<br />
verdächtig. weil sie von einem «Technikum»<br />
ausgestellt wird. Gibt es doch in keinem an-<br />
deren Land ein Technikum, das eine Ausbil-<br />
dung \om Gehalt eines Bachelor's Degree<br />
vermittelt! In anderen Ländern heissen solche<br />
Schulen Ingenieurschule, Engineering Col-<br />
lege, Fachhochschule, Polytechnic. institut<br />
universitaire oder - in Entwicklungsländern<br />
- technische Universität. Trotz dieser Hin-<br />
dernisse ist es in den letzten Jahrzehnten vie-<br />
len HTL-Absolventen gelungen, in angel-<br />
sächsischen Ländern die Weiterbildung vom<br />
Bachelor zum Master zu absolvieren. Wie<br />
war das moglich?<br />
- Oft müssen wir HTL-Direktoren eine Be-<br />
glaubigung ausstellen, die das erworbene<br />
Bachelor's Degree nochmals ausdrücklich<br />
bestätigt. Manchmal sind auch Übersetzun-<br />
gen der Lehrplane und Auszüge aus den Di-<br />
plomarbciteri notwendig. Wir haben auch<br />
scholl ausländische Schwesterschulen gebe-<br />
ten. den Kandidaten zu einer Bachelor-Prü-<br />
fung zuzulassen. Eine solche Prüfung fiel fast<br />
immer erfolgreich aus. worauf dem Weiter-<br />
studium nichts mehr im Wege stand.<br />
- In den seltenen Fällen. wo das Ablegen ei-<br />
ner Prüfung verweigert wird. hilft nur eines:<br />
Wir laden Vertreter der ausländischen<br />
Schwesterschule zum Besuch unseres<br />
«Technikums» ein. Laboratorien, Priifungs-<br />
und Diplomarbeiten werden gezeigt. Oft ist<br />
das Staunen der Besucher gross. Problemlos<br />
wird jetzt unser Absolvent als Bachelor an-<br />
erkannt. Zurück bleibt die Frage: «Warum<br />
wird eine solche Schule in der Schweiz<br />
Technikum genannt?n Auch für uns bleibt<br />
das Fragezeichen.<br />
Unter Berücksichtigung der Sprachbarriere<br />
benötigten unsere HTL-Absolventen für die<br />
Weiterbildung zum Master etwa 2 Jahre. Seit<br />
kurzem ist nun das Weiterstudium auch in<br />
der Schweiz möglich. so dass der Umweg<br />
über ausländische Universitäten in Zukunft<br />
in den Hintergrund treten dürfte. Die schu-<br />
lische Weiterbildung stellt aber eher die<br />
Ausnahme dar: die meisten HTL-Absolven-<br />
ten wenden sich nach dem Diplom der Be-<br />
rufstätigkeit in der Schweiz oder im Ausland<br />
zu.<br />
Die Ingenieurtatigkeit im Ausland<br />
Ingenieure der Schweizer Exportfirmen rei-<br />
sen oft ins Ausiand. sei es für die Führung von<br />
Verkaufsverhandlungen. von technischen<br />
Abklärungen oder für die Leitung von Mon-<br />
tage und lnbetriebsetzung. Diese Firmeiiver-<br />
treter werden nach aussen immer als Inge-<br />
nieure bezeichnet. Der Kunde fragt nicht<br />
nach den durchlaufenen Schulen. obschon<br />
nach schweizerischer Definition eigentlich<br />
zwei verschiedene Ingenieurkategorien anzu-<br />
treffen sind: ETH-Ingenieure und Ingenieur-<br />
Techniker HTL. Als Referenz für diese Aus-<br />
senposten gilt ja weniger die durchlaufene<br />
Schule als die Firma selber. Diese würde ihre<br />
Mitarbeiter nicht als Ingenieure bezeichnen,<br />
wenn sie als solche nicht qualifiziert wären.<br />
Der Kunde zahlt zum Beispiel bei Inbetrieb-<br />
\i'irtl sich der ii rbíbsoheni im .4irslarid be-<br />
ilYihi CI1 ?<br />
15
setzungsarbeiten. die nach Ergebnis abge-<br />
rechnet werden, für alle den gleichen Tages-<br />
ai1 sa t 2.<br />
HTL-Absolventen. die als Vertreter von<br />
Schweizer Firmen ins Ausland reisen, stossen<br />
also auf wenig Schwierigkeiten. Wie aber ist<br />
die Situation bei der selbstandigen Stellensu-<br />
che im Ausland?<br />
Grundsätzlich treten die gleichen Probleme<br />
auf. die oben am Beispiel der Weiterbildung<br />
dargestellt wurden: Das Bachelor‘s Degree<br />
eines schweizerischen Technikums wird oft<br />
nicht anerkannt. Der Kandidat läuft Gefahr,<br />
als Techniher eingestuft zu werden. Dann<br />
kommt er aber ari einen falschen Platz. Wie<br />
erwihnt, erwirbt man in den meisten Ländern<br />
das Technikerdiploin nach kurzer Ausbil-<br />
dung bereits im Alter von 18-19 Jahren. Der<br />
Schweizer HTL-Ingenieur wird also mit Ar-<br />
beiten betraut. die bei uns von einem guten<br />
Berufsmann mit Lehrabschluss ausgeführt<br />
wurden. Da der HTL-Absolvent in der Regel<br />
eine prahtische Lehre durchlaufen hat. kann<br />
er auch einen untergeordneten Job befriedi-<br />
gend ausfülleii. Nur ist das natürlich nicht<br />
sein Ziel. Eiiri iinc/ztr@ic/ier Aufstieg zu einer<br />
Iiigeiiieurtätigkeit ist dort nicht leicht. wo die<br />
gewerhscliaftlichen Organisationen stark<br />
sind. Man lässt einen Mitarbeiter, den man im<br />
ganzen Betrieb als «blue collar worker*<br />
kennt. nicht plötzlich zum Ingenieur aufstei-<br />
gen.<br />
Der HTL-Absolvent sollte also im Ausland<br />
danach trachten, auf Anhieb richtig einge-<br />
stuft zu werden. Wenn Schwierigkeiten auf-<br />
treten. so hilft vielleicht eine Zusatzbestäti-<br />
gung der durchlaufenen Ausbildung, die von<br />
der schweizerischen HTL-Schulleitung aus-<br />
gestellt wird. Der Kandidat sollte sich even-<br />
tuell vorerst mit einer Probeanstellung be-<br />
gnügen. Diese bietet ihm die Chance, zu zei-<br />
gen, was er kann. Sofern die Sprachbarriere<br />
kein Handicap darstellt. wird die Probean-<br />
stellung erfolgreich verlaufen. Nicht weil wir<br />
Schweizer besonders gescheit wären. sondern<br />
weil unsere HTL-Ausbildung mit vorgängiger<br />
Berufslehre eine lange und anspruchsvolle<br />
Ausbildung darstellt. die in andern Ländern<br />
selten anzutreffen ist.<br />
Seit die arabischen Länder als Kunden der<br />
schweizerischen Wirtschaft in den Vorder-<br />
grund getreten sind. wirkt sich die Verschie-<br />
bung unserer Berufstitel gegenüber interna-<br />
ijonalen Regeln besonders krass aus. Die<br />
Olländer sind entweder mit dem französi-<br />
schen (z.B. Algerien) oder mit dem angel-<br />
siichsischen (z. B. Irak) Schulsystem vertraut.<br />
Ist es einem schweizerischen HTL-Absol-<br />
Sonderdruck aus der ((Schweizerischen Technischen Zeitschrift))<br />
73.Jg.( 1976), Nrn.35/’36.3