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Folien des Vortrags zum Mutismus

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Selektiver<br />

<strong>Mutismus</strong><br />

Erscheinungsbilder,<br />

Diagnostik, Therapie<br />

Prof. Dr. Nitza Katz-Bernstein<br />

TU Dortmund, DE / TAU Tel-Aviv- University, IL


Inhalt:<br />

1. Theoretische Zugänge<br />

2. Diagnostik und Koordination der Therapie<br />

3. Therapeutische Zugänge<br />

3.1. Nonverbal kommunizieren<br />

3.2. Aufbau der verbalen<br />

Kommunikation<br />

4. Zusammenarbeit mit Angehörigen und<br />

Fachleuten


So hat alles<br />

angefangen….


1. Theoretische Zugänge


Definition:<br />

mutus (lat.) = Schweigen<br />

• Aphasia Voluntaria (Kussmaul 1877)<br />

• Freiwillige Stummheit (Gutzmann 1894)<br />

• Totaler/elektiver <strong>Mutismus</strong> (Tramer 1934)<br />

• Elektiver <strong>Mutismus</strong> (ICD-10, F94.0)<br />

• Selective Mutism (SM)<br />

• Selektiver <strong>Mutismus</strong> (DSM IV)<br />

• Partielles/Universelles Schweigen<br />

(Schoor 2002)


„Mutistische Kinder besitzen meist die<br />

Fähigkeit zu sprechen. Sie setzen diese<br />

jedoch in für sie fremden Situationen, an<br />

bestimmten Orten und/oder gegenüber<br />

einem bestimmten Personenkreis nicht ein.<br />

Sie verstummen, erstarren oder<br />

verständigen sich ausschließlich und<br />

konsequent mittels Gesten, Mimik oder<br />

schriftlichen Mitteilungen“.<br />

(Hartmann 1992)


„Selektiver <strong>Mutismus</strong> ist eine Störung der<br />

Kindheit, die als eine umfassende<br />

Sprachlosigkeit in min<strong>des</strong>tens einer<br />

spezifischen Situation auftritt, trotz der<br />

Fähigkeit, in anderen Situationen zu<br />

sprechen.“<br />

(Dow et al. 1999, 19,<br />

Übers. Katz-Bernstein 2007)


Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für<br />

Kinder- und Jugendpsychiatrie:<br />

„Beim elektiven <strong>Mutismus</strong> handelt es sich um<br />

eine emotional bedingte Störung der<br />

sprachlichen Kommunikation. Sie ist durch<br />

selektives Sprechen mit bestimmten<br />

Personen oder in definierten Situationen<br />

gekennzeichnet. Artikulation, rezeptive und<br />

expressive Sprache der Betroffenen liegen in<br />

der Regel im Normbereich, allenfalls sind sie<br />

-bezogen auf den Entwicklungsstand- leicht<br />

beeinträchtigt.“<br />

(Castell, Schmidt 2003)


F 94.0: Elektiver <strong>Mutismus</strong> (ICD-10, 1994)<br />

- emotional bedingte Selektivität <strong>des</strong> Sprechens<br />

- Kind zeigt seine Sprachkompetenz in einigen<br />

Situationen, in anderen definierten<br />

Situationen jedoch nicht<br />

- Störung tritt meist erstmals in der frühen<br />

Kindheit auf<br />

- Typischerweise spricht das Kind zu Hause<br />

oder mit engen Freunden ist in Schule oder<br />

bei Freunden mutistisch<br />

- Dazugehöriger Begriff: selektiver <strong>Mutismus</strong>


Differentialdiagnostik:<br />

- Passagerer <strong>Mutismus</strong> als Teil einer Störung<br />

mit Trennungsangst bei jungen Kindern<br />

(F93.0)<br />

- Umschriebene Entwicklungsstörungen <strong>des</strong><br />

Sprechens und der Sprache (F80)<br />

- Tiefgreifende Entwicklungsstörungen (F84)<br />

- Schizophrenie (F20)<br />

- Verhaltens- und emotionale Störungen mit<br />

Beginn in der Kindheit und Jugend<br />

(ICD-10, 1994, F9)


Differentialdiagnostik:<br />

Sprechangst <strong>Mutismus</strong><br />

• Angst vor jemandem zu<br />

sprechen (meistens<br />

Publikumssituationen)<br />

• starke bis zur Flucht<br />

führende Angst beim<br />

Sprechen (Panikartig)<br />

• eher reflektiert und kann<br />

vom dem Betroffenen<br />

verbal geäußert werden<br />

• Beginn oft im späteren<br />

Alter<br />

• Angst mit jemandem<br />

zu sprechen<br />

• Kontext identifizierbar<br />

• Personen<br />

identifizierbar<br />

• Alternative Komm. oft<br />

möglich<br />

• eher unbewusst<br />

• Beginn meistens in der<br />

frühen Kindheit


Diagnostische Kriterien: (DSM – IV)<br />

- andauernde Unfähigkeit, in bestimmten<br />

Situationen zu sprechen (in denen das<br />

Sprechen erwartet wird, z. B. Schule)<br />

- Störung behindert die schulischen oder<br />

beruflichen Leistungen oder die soziale<br />

Kommunikation<br />

- Dauer: min<strong>des</strong>tens einen Monat (nicht auf<br />

ersten Monat nach Schulbeginn beschränkt)<br />

(Saß et. Al. 1998, 155 f)


Diagnostische Kriterien:<br />

- Unfähigkeit zu sprechen ist nicht durch<br />

fehlende Kenntnisse der gesprochenen<br />

Sprache bedingt<br />

- kann nicht besser durch eine<br />

Kommunikationsstörung erklärt werden und<br />

tritt nicht ausschließlich im Verlauf einer<br />

tiefgreifenden Entwicklungsstörung,<br />

Schizophrenie oder einer anderen<br />

Psychotischen Störung auf.<br />

(Saß et. Al. 1998, 155f)


<strong>Mutismus</strong>arten:<br />

- „Symbiotic mutism caracterized by a<br />

symbiotic relationship with a caregiver and<br />

a manipulative and negativistic attitude<br />

towards controlling adults.“<br />

[Symbiotischer <strong>Mutismus</strong> ist als eine<br />

symbiotische Beziehung zu einer<br />

Bezugsperson und als eine manipulative,<br />

negativistische Einstellung gegenüber<br />

verantwortlichen Erwachsenen<br />

charakterisiert.]<br />

(Hayden, 1980)


<strong>Mutismus</strong>arten:<br />

- „Speech phobic mutism characterized by a<br />

fear of hearing one‘s voice accompanied by<br />

obsessive-compulsive behaviors.“<br />

[Sprechangst-<strong>Mutismus</strong> ist durch die Angst,<br />

die eigene Stimme zu hören, charakterisiert und<br />

wird und wird von Zwangsgedanken und/oder<br />

–handlungen begleitet.]<br />

(Hayden, 1980)


<strong>Mutismus</strong>arten:<br />

- „Reactive mutism caused by a single<br />

depression and withdrawal.“<br />

[Reaktiver <strong>Mutismus</strong> wird durch eine<br />

einmalige Depression und Rückzug<br />

verursacht.]<br />

(Hayden, 1980)


<strong>Mutismus</strong>arten:<br />

- „Passive-aggressive mutism characterized<br />

by a defiant refusal to speak and the use of<br />

‚silence as a weapon‘.“<br />

[Passiv-aggressiver <strong>Mutismus</strong> ist durch eine<br />

aufsässige Verweigerung zu sprechen und<br />

eine Anwendung <strong>des</strong> ‚Schweigens als eine<br />

Verteidigungswaffe‘ gekennzeichnet.]<br />

(Hayden, 1980)


<strong>Mutismus</strong>arten:<br />

- Frühmutismus (ab 3;4-4;1)<br />

- Spät-/Schulmutismus (ab 5;5)<br />

Zwei Hauptgruppen (Lesser-Katz 1988)<br />

- compliant, timid, anxious, dependent, insecure<br />

(gefügig, scheu, ängstlich, anhänglich, unsicher)<br />

- non-compliant, passive-aggressive,<br />

avoidance (nicht-einfügsam, passiv-aggressiv,<br />

Vermeidung)


Epidemiologie:<br />

- 0,1% – 0,7% der klinisch erfassten Kinder (vgl.<br />

Bahr 1998)<br />

- 0,5% mutistische Kinder unter den psychiatrischen<br />

Auffälligkeiten (Steinhausen 2000)<br />

- Prävalenz von Mädchen: 1,6 : 1 bis 2,6 : 1 (vgl.<br />

Schoor 2001, 188)<br />

- Bei stationärer Behandlung<br />

- Besserung der Störung: 3 – 8 Jahre: 62%<br />

(Löwenstein 1979), 6 – 8 Jahre: 46% (Kolvin,<br />

Fundudis 1991)<br />

- Dauer der Störung: Bei Mädchen ca. 5-6, bei<br />

Jungen 4 Jahre


Co - Morbidität:<br />

- Soziale Ängstlichkeit, Soziale Phobie<br />

- Störung <strong>des</strong> Sozialverhaltens mit<br />

oppositionellem Verhalten<br />

- Depressive Symptomatik<br />

- Regulationsstörung von Schlaf, Essen,<br />

Ausscheidungsfunktion oder<br />

Verhaltenskontrolle


Psychopathologische Auffälligkeiten (Rösler 1986):<br />

- Angstsymptome (90,6%)<br />

- Passives Rückzugsverhalten (63%)<br />

- Stimmungsschwankungen (37,5%)<br />

- Konzentrations- und Leistungsstörungen (37,5%)<br />

- Aggressivität (28,1%)<br />

- Hypermotorik (28,1%)<br />

- Markante Mimik und Gestik (28,1%)<br />

- Hartnäckigkeit (18,8%)<br />

- Bettnässen (Enuresis) (31,2%)<br />

- Tics, Jactation, Stereotypien (21,9%)<br />

- Zwänge (21,9%)<br />

- Einkoten (Enkopresis) (6,3%)<br />

- Nägelkauen (Onychophagie), Daumenlutschen und<br />

Haareraufen (Trichotillomanie) (40,6%)


Weitere Befunde bezüglich neurologischer<br />

Auffälligkeiten<br />

- Pathologische Anamnese (50%)<br />

- Auffällige Anamnese (34,4%)<br />

- Unauffällige Anamnese (15,6%)<br />

- Klinisch-neurologischer Befund (50%)<br />

- Pathologisches EEG (50%)<br />

Entwicklungsstörungen<br />

- Statomotorische Entwicklungsverzögerung (31,3%)<br />

- Sprachentwicklungsverzögerung (65,6%)<br />

- Sprachstörung (46,6%)<br />

- Visuo-motorische Störung (40,6%)<br />

- Linkshändigkeit (12,5%)<br />

- Lese-Rechtschreibschwäche (15,6%)


Folgende Sprachstörungen können vorkommen:<br />

- Stottern, Poltern-Stottern<br />

- partielle/multiple Dyslalie<br />

- Dysarthrophonie, Dysarthrie, Dyspraxie<br />

- stark eingeschränkter Wortschatz,<br />

semantische Störungen<br />

- grammatische (syntaktisch-morphologische)<br />

Störungen<br />

- Sprachentwicklungsstörung bei<br />

Zweisprachigkeit<br />

= Störung der pragmatischen Kompetenz


Weitere Risikofaktoren: (Steinhausen et al.)<br />

- Migration und Bilingualität (28% bzw. 22%)<br />

- Psychische Störungen, Persönlichkeits<br />

störungen der Eltern (10,5%)<br />

- Mutistisch-anmutende Verhaltensweisen der<br />

engsten Angehörigen (72,2%, Kontrollgruppe:17,6%)<br />

- Prä-, peri-, postnatale Komplikationen (75%)<br />

- Störung der pragmtaisch-kommunikativen<br />

Kompetenz<br />

- Temperamentsmerkmale (Rückzug, Scheu,<br />

Ängstlichkeit, Schweigsamkeit)


Warum schweigen Kinder?<br />

- Operante Konditionierung<br />

- Lernen am Modell oder die Erfahrung der<br />

Selbstwirksamkeit (Bandura 1977; 1983)<br />

- Neurotisches Verhalten infolge eines Konfliktes<br />

psychoanalytische Erklärungsansatz (Lempp 1982)<br />

- Schweigen als ein Ausdruck einer systemischen<br />

Organisation und/oder elterliche Delegation -<br />

Systemischer Ansatz (Lebrum 1990)<br />

- Schweigen als Bewältigungsstrategie (Bahr 1996)


Warum schweigen Kinder?<br />

• Entwicklungspsychologischer<br />

Aspekt: Fehlende kommunikative und<br />

sprachliche Kompetenz<br />

Die Unfähigkeit, die<br />

Fremdheit zu überwinden!<br />

(Katz-Bernstein 2007)


Faktoren, um die Fremdheit zu überwinden:<br />

- hinreichend stabile Bindung zu den Bezugspersonen<br />

- Eltern als Referenz und Modell bei der Wahl von<br />

neuen Kontakten und Art der Kontaktaufnahme<br />

- positive, nicht-bedrohliche Vorerfahrungen mit<br />

Fremden<br />

- Gewissheit, willkommen zu sein<br />

- keine grausame Konsequenz bei Fehlverhalten und<br />

Versagen am neuen Ort<br />

- Begrüßungs- und Abschiedsrituale<br />

- eigene Regulierung der Beziehungen<br />

- hinreichende Furchtlosigkeit und Neugier<br />

- genügend sprachliche Kompetenz<br />

- autobiographisches Gedächtnis bereits gebildet


Spracherwerb und Sprachentwicklung:<br />

- Kommunikations- und Dialogstrukturen<br />

- Trianguläre Prozesse<br />

- Innere Repräsentation<br />

- Symbolisierung, narrative Organisation<br />

- Trennung zwischen innerem und äußerem<br />

Dialog<br />

- Regulierung <strong>des</strong> eigenen Verhaltens,<br />

Kontextgerechter Sprachgebrauch


Kommunikations- und<br />

Dialogstrukturen<br />

Erworben durch dyadische Interaktion<br />

Trianguläre Prozesse<br />

Verbindung einer dritten Dimension<br />

der Kommunikation<br />

Innere Repräsentation<br />

Loslösung von der konkreten Realität<br />

Symbolisierung, narrative<br />

Organisation<br />

Generische und episodische Strukturen<br />

Trennung zwischen innerem und<br />

äußerem Dialog<br />

Soziale Sprachkompetenz<br />

Regulierung <strong>des</strong> eigenen Verhaltens,<br />

kontextangepasster Sprachgebrauch<br />

Konstitution einer eigenen Identität<br />

Ebene Erworbene<br />

Kompetenz/ Input<br />

Kommunikative Ebene Prosodischer Input<br />

Evaluative, kognitivaffektive<br />

Ebene<br />

Phonetischphonologischer<br />

und<br />

semantischer Input<br />

Repräsentative Ebene Semantisch-lexikalischer<br />

Input, narrative<br />

Zusammenhänge<br />

Symbolisch-narrative<br />

Ebene<br />

Pragmatischkommunikative<br />

Ebene<br />

Syntaktischmorphologische<br />

Integration<br />

Narrative und diskursive<br />

Kompetenz<br />

Operationale Ebene Erwägungs- und<br />

Entscheidungskompetenz


Kommunikations-<br />

und Dialogstrukturen<br />

(Dyadische Interaktion):<br />

ZIEL: Aufbau von Dialogregeln:<br />

• Begrüßungs- und Abschiedsrituale<br />

• Blickaustausch, Augenkontakt<br />

• Turn-taking-Verhalten<br />

• Austausch von nicht-verbalen<br />

Regulatoren, Gesten u. ä.


Trianguläre Prozesse („Ich-Du-Sache“ Zollinger 1995)<br />

ZIEL: Kommunikationspartner auf Sach-<br />

verhalten und Begebenheiten hinweisen;<br />

gemeinsam handeln; über sich berichten


Innere Repräsentation:<br />

ZIELE:<br />

- Trennung von der<br />

Bezugsperson<br />

- Aufbau eines Selbstbil<strong>des</strong><br />

der aktiven Kommunikation<br />

- Eigenwirksamkeit durch<br />

Handeln und Mitwirken


- Symbolisierung und narrative Organisation<br />

-Einführung einer fiktiven Ebene,<br />

- Kompetenz der Realitätsprüfung<br />

(Überstiegsfähigkeit, Metaebene)<br />

- Trennung zwischen Realität und Phantasie als<br />

Grundlage der Angstbewältigung


Trennung zwischen innerem und äußerem<br />

Dialog:<br />

Safe Place<br />

Abgrenzung („Nein“-Sagen)<br />

narrative Kompetenz<br />

Schweigen und Ver-<br />

schweigen als Mittel schätzen lernen<br />

(Geheimnisse haben)


Soziales, kontextangepasstes Sprechen<br />

operationale Ebene: Transfer<br />

Eig. Erwägungs- und Entscheidungs-<br />

kompetenz erleben<br />

Eigenregulation<br />

Bewerten lernen


2. Diagnostik und Koordination<br />

der Therapie


Diagnostische Erhebungen<br />

Drei Arten von mutistischen Verhaltensweisen:<br />

Schweigen; allgemein gehemmtes,<br />

zurückgezogenes Verhalten<br />

Relativ normales Verhalten, kein Sprechen.<br />

Vermeiden von Lautsprache und lautes<br />

Sprechen; Kommunikation erfolgt<br />

gestikulierend.<br />

Abwehren<strong>des</strong>, feindseliges und aggressives<br />

Verhalten mit hartnäckigem Schweigen<br />

(Mischformen möglich; abhängig von Situation)


Diagnostische Erhebungen<br />

Beobachtungs-Checkliste für Erz. (>2 „nein“)<br />

Zeigt das Kind ein allgemein unbeschwertes<br />

Verhalten?<br />

Befindet sich das Kind noch in einer<br />

Eingewöhnungsphase?<br />

Sind Situationen aus<strong>zum</strong>achen, in denen das<br />

Kind sich eher wohl und entspannt fühl?<br />

Nimmt das Kind Anteil am Geschehen? Lacht<br />

es, macht es Körpergeräusche?


Diagnostische Erhebungen<br />

Beobachtungs-Checkliste f. Erz.: (>2 „nein)<br />

Gibt das Kind Lautmalereien beim Spielen von<br />

sich?<br />

Kommuniziert es nonverbal? Wenn ja, mit<br />

wem und in welchen Situationen?<br />

Sind vielleicht nur ritualisierte Situationen<br />

betroffen? (Morgenkreis, Frontalunterricht)<br />

Ist eine Entwicklung und Entspannung seit<br />

dem Anfang aus<strong>zum</strong>achen?


Diagnostische Erhebungen<br />

Beobachtungs-Checkliste: („ja“ cross-check)<br />

Das Schweigen dauert über 6 Monate an<br />

Es zeigt sich keine Entwicklung Richtung Sprechen<br />

Das Schweigen zeigt sich als systematisch<br />

Beim Ansprechen senkt das Kind den Kopf/erstarrt<br />

Das Kind zeigt ein ritualisiertes Verhalten zur<br />

Etablierung <strong>des</strong> Schweigens<br />

Das Kind schweigt auch im Spiel<br />

Sonstige Verhaltensauffälligkeiten, Risiken, etc.<br />

Eltern berichten, dass das Kind zu Hause „normal“ redet


Diagnostische Erhebungen<br />

Zwei wichtige Hinweise:<br />

1. Die Störung ist im kindlichen Alter nicht<br />

hermetisch und NICHT ohne weiteres<br />

abgrenzbar von weiteren definierten<br />

Entwicklungsstörungen<br />

2. Die Störung ist eine ernst zu nehmende<br />

Auffälligkeit!


Diagnostische Erhebungen<br />

Mit interdisziplinärem Charakter: Interviews bezügl.<br />

Des Symptoms<br />

Der sozialen Interaktion<br />

Der psychiatrischen Befunde<br />

Der medizinischen Befunde<br />

Der audiologischen Befunde<br />

Der schulischen und kognitiven Kompetenzen<br />

Der vergangenen und aktuellen Sprech- und<br />

Sprachleistungen


Setting und „Case Management“<br />

Qualitätskriterien für eine gute therapeutische Betreuung:<br />

1. Vorerfahrungen der Therapeutin oder der therapeutischen<br />

Stelle<br />

2. Eine gewisse professionelle Reife der Therapeutin<br />

3. Regelmäßigkeit der therapeutischen Sitzungen<br />

4. Therapeutin widmet sich ungestört und intensiv dem Kind<br />

5. Unterschiedliche Zugänge und Methoden<br />

6. Berücksichtigung der Sprachdefizite, die hinter der Störung<br />

stehen<br />

7. Sicherheit und Ernsthaftigkeit im Umgang mit dem Kind


Setting und „Case Management“<br />

Qualitätskriterien für eine gute therapeutische Betreuung:<br />

8. Kind ist motiviert und / oder arbeitet mit<br />

9. Einbezug der Eltern ohne Schuldzuweisungen<br />

10. Offene, unterstützende Zusammenarbeit mit weiteren<br />

Fachpersonen<br />

11. Empfehlung der Therapeutin durch ernst zu nehmende<br />

Fachpersonen / Institutionen<br />

12. Arbeit der Therapeutin wird durch einen Supervisor<br />

begleitet


Setting und „Case Management“<br />

Mutistische Kinder<br />

verfügen oft über ein<br />

breiteres Verhaltensrepertoire,<br />

als es sich<br />

aus der Perspektive<br />

<strong>des</strong> einen Kontextes<br />

zeigt!


Erhebungen von therapierelevanten Daten<br />

Entwicklungspsychologischer Zugang:<br />

• Symptomdiagnostik<br />

Wo und wie zeigt sich die Symptomatik?<br />

• Strukturdiagnostik<br />

Welchen subjektiven Lebenssinn hat das<br />

Schweigen?<br />

• Systemdiagnostik<br />

Wie ist das Schweigen in das Familiensystem<br />

eingebettet?


Topographie <strong>des</strong><br />

Sprechens und <strong>des</strong><br />

Schweigens


Ä<br />

U<br />

ß<br />

E<br />

R<br />

U<br />

N<br />

G<br />

S<br />

F<br />

O<br />

R<br />

M<br />

E<br />

N


3. Therapeutische Zugänge


2. UNTERSCHIEDE ERWACHSENE/KINDER<br />

Therapeutische Arbeit mit Kindern<br />

a)Abhängigkeitsdimension:<br />

Die Massnahme wird nicht freiwillig, durch eigene Einsicht in die Störung<br />

initiiert. Der Therapeut ist zugleich in den Erziehungs-Aufgaben als Modell und<br />

als Vertrauensperson involviert.<br />

b) Entwicklungsdimension:<br />

Jede Entwicklungsstufe – Kleinkindalter, Primarstufe, Pubertät oder<br />

Adoleszenz - hat andere Schwerpunkte und Störungsbilder, bedarf ein eigenes<br />

Wissen, sowie eigene Zugänge und Methoden.<br />

c) Systemische Dimension:<br />

Jede Störung steht in engem Verhältnis zu den positiv oder negativ<br />

potenzierenden Interaktionen im Elternhaus, in der Schule und in der übrigen<br />

Umwelt. Die beraterische und begleitende Arbeit mit Angehörigen sowie die<br />

interdisziplinäre Vernetzung ist ein integraler Teil der Therapie.<br />

d) Präventionsdimension:<br />

Viele spätere psychische Schäden können in dieser Lebensphase noch abgefangen<br />

oder gemildert werden. Die neurologische Organisation <strong>des</strong> Gehirns ist noch im<br />

Werden. Die Zugänglichkeit und Beeinflussbarkeit durch pädagogische und<br />

therapeutische Massnahmen ist noch gegeben: Diese Massnahmen schenken<br />

Struktur, Selbst- und Fremdachtung und vermitteln soziale Kompetenzen die<br />

prägend sind für den gesamten Lebenslauf. Dies gibt der Kinderpsychotherapie


Wirkfaktoren<br />

- Respekt vor dem Klienten: „Das Kind dort abholen,<br />

wo es steht“ – Motivationsarbeit.<br />

- Therapeutische Beziehung: Das Kind gewinnen und als<br />

erzieherische Person und Modell in der Lebensgestaltung<br />

Gewicht bekommen.<br />

- Zuversicht <strong>des</strong> Klienten auf Veränderung: Der<br />

Resignation und Angst ein therapeutischer Optimismus<br />

und Ressourcenorientierung entgegensetzten.<br />

- Methoden und Techniken: Besondere Techniken um<br />

dem Symptom und der Störung direkt anzugehen.<br />

(gestützt auf Miller, Duncan, Hubble 2000)


Vier Beziehungsangebote<br />

(Katz-Bernstein 2008)<br />

• Spiegeln (dyadische Dimension)<br />

• Handeln, Sinn, Verstehen<br />

(trianguläre D.)<br />

• Konfrontieren (soziale D.)<br />

• Ressourcenorientierung<br />

(Entwicklungsd.)


Therapeutische Haltung<br />

Druck ausüben oder gewähren lassen?<br />

Therapeutische Beziehung: Respekt, jedoch keine Angst<br />

vor dem Schweigen!<br />

Direkte Verhaltensänderung versus psychodynamische<br />

Richtung (?)<br />

Motivation, Zuversicht auf Veränderung<br />

Durchhaltevermögen!<br />

„Safe Place“ für Therapeutin/en<br />

Methoden und Techniken


Therapeutische Haltung<br />

Integrative Prinzipien für die therapeutische Arbeit<br />

• Förderung der Eigenwirksamkeit<br />

• Responsivität gegenüber Intentionen<br />

• Humor, Spiel mit Paradoxien, Verspieltheit, Provokation<br />

• Unterstellung der positiven Entwicklung<br />

• Approximales Vorgehen<br />

• Ausweitung der Frustrationstoleranz<br />

• Spannungserzeugung, Überraschung, Neugier wecken<br />

• Konsequenz zur Einhaltung der Grenzen<br />

• Rituale, Struktur<br />

• Gemeinsames Aushandeln von Entscheidungen<br />

• Trost und Beharrlichkeit bei Resignation, Fehlern


Therapiegestaltung<br />

Klärung <strong>des</strong> Therapieauftrages (Umgang mit ambivalenten<br />

Botschaften)<br />

- Arbeitsbündnis, um…<br />

• mit dem Kind eine klare Abmachung zu treffen<br />

• zu „enttabuisieren“<br />

• einen Zeitrahmen und ein konkretes Zeitgefühl zu geben<br />

• das Kind zu motivieren<br />

• der Angst etwas entgegenzusetzen<br />

• der Ambivalenz <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> einen Spielraum zu geben<br />

• dem Kind Zuversicht geben<br />

• dem Kind seine eigene Kontrolle zuzusichern


Therapiegestaltung<br />

Trennung von Bezugspersonen (Mama bleibt draußen!)<br />

„Safe Place“ (Der sichere Ort als Ausgangspunkt)<br />

- Raum im Raum:<br />

• erfährt sich als abgetrennt von der Therapeutin<br />

• wird nicht direkt angesprochen<br />

• kann „zu sich selbst“ kommen<br />

• kann sich abschirmen<br />

• kann Beziehungs- und Kommunikationsangebote abwägen<br />

und Reaktionen testen<br />

• kann lernen, die Aufnahme der Beziehung zu steuern<br />

• lernt „Innen“ und „Außen“ zu verbinden (triangulieren)<br />

• kann Grenzen symbolisch gestalten


3.1 Nonverbal kommunizieren


1. Aufbau eines kommunikativen Verhaltens (Turn-Taking)<br />

• Vormachen – nachmachen<br />

• Frage – Antwort<br />

• Führen und geführt werden<br />

• Abwechseln<strong>des</strong> und gemeinsames Gestalten<br />

Prinzip:<br />

• Kind als sozialer Akteur!


2. Arbeit mit Puppen und Übergangsobjekten<br />

(Eine Hütte für den Bären)<br />

- „Hilfs-Ich“<br />

3. Das Märchenheft mit den<br />

Sprechblasen<br />

(„Jaul, Kabumm, Seufz…“)<br />

- Märchenheft<br />

• Fördert Sprachkompetenzen<br />

• Unterstützt bei der Diagnostik<br />

• Desensibilisierende Funktion<br />

• Aufbau einer linguistischen Kompetenz<br />

• Psychodynamische Entwicklungsfunktion


4. Sprachtherapeutische Maßnahmen<br />

(Sprachaufbau ohne Sprechen)<br />

5. Symbolisierung und narrative Verarbeitung<br />

(Erzählen ohne Sprache)<br />

• Symbolspiel als ein Bereich zwischen Innen und Außen<br />

• Loslösung von der Realität<br />

• Zusammenhänge verstehen und über sie berichten<br />

• Soziale Empathie (verschiedene Perspektiven)<br />

• Ereignisse ordnen und strukturieren<br />

• Aufbau narrativer Strukturen<br />

• „Mentalisierung“; Ich-Erleben


6. Aggressionen zähmen im Symbol- und Rollenspiel<br />

• Niemanden physisch/psychisch verletzen<br />

• Regeln konsequent einhalten<br />

• Rituale<br />

• Impuls <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> folgen<br />

• Rachephantasien bei mutistischen Kindern üblich<br />

• „minimale Überlebensbedingungen“ für die Figuren<br />

• Wertschätzung und Respekt<br />

• „Koexistenz“<br />

• Kräfte der Figuren/Rollen anerkennen<br />

• Geschichte ggf. aufschreiben (Märchenheft)


3.2 Aufbau der verbalen<br />

Kommunikation


Lärmend kommunizieren<br />

Erste Worte<br />

- Die Kunst der Unterstellung<br />

- Hierarchie <strong>des</strong> Ortes, der Personen und der<br />

Sprechweise<br />

- Entscheidungshilfen geben<br />

- Orte mit Personen verknüpfen


Arbeit mit dem Tonband<br />

Schattensprechen und Zugzwänge<br />

Arbeit mit „inneren Stimmen“ oder „Introjekten“<br />

Hausaufgaben<br />

• Stärken und Schwächen <strong>des</strong> Schweigens – „Reframing“<br />

• Aufgaben zur Desensibilisierung<br />

• Eigene Beobachtungen notieren (Was passiert genau<br />

beim Schweigen? – im Körper; welche Gedanken; was<br />

für Sätze hätte ich am liebsten gesagt?)


Transfer: Die Generalisierung <strong>des</strong> Sprechen-<br />

Könnens<br />

Krise und Widerstand<br />

Ende der Therapie: Evaluation und Abschied<br />

•Übergangsobjekte „go between“<br />

•Übergangsrituale<br />

•Evaluation der Therapie:<br />

„The best and the worst“


Katz-Bernstein, N.<br />

(2007). Selektiver<br />

<strong>Mutismus</strong> bei Kindern.<br />

Erscheinungsbilder,<br />

Diagnostik, Therapie.<br />

2. Auflage. Reinhardt,<br />

München/Basel


Katz-Bernstein, N.;<br />

Meili-Schneebeli, E.;<br />

Wyler-Sidler, J. (2007):<br />

Mut <strong>zum</strong> Sprechen<br />

finden. Therapeutische<br />

Wege mit selektiv<br />

mutistischen Kindern.<br />

Reinhardt, München/<br />

Basel

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