Jever Mariengymnasium-Langer Kampf ... - K1 mediendesign
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JEVER, 22. Januar 2011<br />
<strong>Langer</strong> <strong>Kampf</strong> für ganz<br />
besondere Kinder<br />
Bildung Hanna und Nike besuchen trotz ihres Down-Syndroms ab dem<br />
Sommer das <strong>Mariengymnasium</strong><br />
Freuen sich aufs<br />
<strong>Mariengymnasium</strong>: Hanna und<br />
ihre Mutter Christina Haartje-<br />
Graalfs aus <strong>Jever</strong> (links) sowie<br />
Nike mit ihrer Mutter Martina<br />
Baumert aus Sande.<br />
BILD: Ulrich Schönborn<br />
Für die Eltern der Mädchen war<br />
klar, dass ihre Kinder nach der<br />
Grundschule mit ihren Freunden<br />
eine Regelschule besuchen<br />
sollen. Doch der Weg dorthin war<br />
steinig.<br />
VON ULRICH SCHÖNBORN<br />
JEVER - Sie waren in der<br />
Krabbelgruppe und im Kindergarten,<br />
sind in Sportvereinen und bei der<br />
DLRG. Derzeit besuchen sie die<br />
Grundschule. Und danach? Für Nike<br />
(10) aus Sande und Hanna (10) aus<br />
<strong>Jever</strong> solle es auch nach der vierten<br />
Klasse ganz „normal“ weiter gehen.<br />
Obwohl die beiden Mädchen das<br />
Down-Syndrom haben und deshalb<br />
als behindert gelten, werden sie ab dem Sommer das <strong>Mariengymnasium</strong> in<br />
<strong>Jever</strong> besuchen. Doch der Weg dorthin war steinig.<br />
„Für uns kam für unsere Töchter nur eine wohnortnahe Regelschule und keine<br />
Förderschule in Frage“, sagen die Mütter von Hanna und Nike, Christina<br />
Haartje-Graalfs und Martina Baumert. Die Mädchen hätten sich bisher frei in<br />
der Gesellschaft und in ihrem Freundeskreis entfalten können – und das solle<br />
auch so bleiben.<br />
Auf der Suche nach einer Einrichtung, die eine so genannte „inklusive<br />
Beschulung“ ermöglicht, hatten die Familien das Gymnasium erst gar nicht im<br />
Blick. Doch die neue Gesamtschule Friesland in Schortens und die Haupt- und<br />
Realschule in <strong>Jever</strong> hätten sich skeptisch bis ablehnend gezeigt.<br />
Viele Anträge gestellt<br />
Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Inklusion“ voriges Jahr in Schortens<br />
hatte die Gymnasiallehrerin Insa Hörnle dann Christina Haartje-Graalfs<br />
signalisiert: „Ich würde Hanna gerne unterrichten“. Viele Monate, Anträge,<br />
Konferenzen und Abstimmungen später und mit Rückendeckung des<br />
Landkreises als Schulträger ist aus diesem spontanen Angebot inzwischen<br />
eine verbindliche Entscheidung geworden.<br />
Laut der UN-Menschenrechtskonvention haben alle Kinder das Recht, eine<br />
Regelschule zu besuchen. In Deutschland steht trotz gut meinender<br />
politischer Willenserklärungen die Umsetzung dieser Forderung aber noch<br />
ganz am Anfang. Unter Pädagogen ist die Inklusion umstritten. Grundsätzlich<br />
geht es immer nur um Einzelfallentscheidungen. Viele Schulen scheuen sich<br />
vor der Herausforderung – oder sehen sich schlichtweg überfordert. „Auch wir<br />
streben inklusiven Unterricht an. Als Schule, die sich gerade erst im Aufbau<br />
befindet, befürchten wir aber, dass wir die besonderen Ansprüche der Kinder<br />
noch nicht erfüllen könnten“, begründet der Leiter der erst voriges Jahr<br />
gegründeten IGS Friesland, Wolfgang Ernstorfer, seine Bedenken, Hanna und<br />
Nike aufzunehmen. „Für die Eltern ist das unglücklich, aber ich habe noch<br />
nicht einmal die Lehrer eingestellt, die dann für die neuen fünften Klasse<br />
verantwortlich wären“, wirbt Ernstorfer um Verständnis.<br />
Die Haupt- und Realschule <strong>Jever</strong> habe eine Aufnahme von Hanna nicht<br />
grundsätzlich abgelehnt, betont Schulleiter Wolfgang Niemann-Fuhlbohm.<br />
„Wir hätten dem Elternwunsch entsprochen“, sagt er. Allerdings habe er<br />
deutlich darauf hingewiesen, dass aus seiner Sicht die fünf Förderstunden mit<br />
einem Sonderpädagogen, die Hanna zustünden, bei insgesamt bis zu 30<br />
Wochenstunden aus seiner Sicht nicht ausreichten.
Wochenstunden aus seiner Sicht nicht ausreichten.<br />
Auch am <strong>Mariengymnasium</strong>, das mit der inklusiven Beschulung Neuland<br />
betritt, sei kontrovers diskutiert worden, räumt Schulleiterin Dorothe Levin<br />
ein. Kann ein Gymnasium mit seinen besonderen Leistungsanforderungen den<br />
Kindern gerecht werden? Und wie können sie in die meist großen Klassen mit<br />
bis zu 30 Schülern integriert werden? Doch trotz dieser Fragen hat sich um<br />
Insa Hörnle ein Team gefunden, das die Herausforderung annehmen will.<br />
Unterstützt werden die Lehrer und – vor allem – die Klasse von einer<br />
Integrationskraft, die sie ständig im Unterricht begleiten wird, und von einem<br />
Lehrer der Förderschule, der bei zwei Kindern für insgesamt zehn<br />
Wochenstunden ans Gymnasium abgeordnet wird.<br />
Ermutigende Rückmeldung<br />
Das Lehrerteam des <strong>Mariengymnasium</strong>s hat sich zwischenzeitlich bei anderen<br />
Gymnasien erkundigt, die bereits Kinder mit dem Down-Syndrom<br />
aufgenommen haben – und viele ermutigende Rückmeldungen erhalten.<br />
Dorothe Levin verspricht sich für die gesamte Klasse positive Impulse. Das<br />
Inklusionsmodell könne die Klassengemeinschaft fördern und das<br />
Sozialverhalten aller Schüler stärken.<br />
Unterrichtet werden Hanna und Nike im Gymnasium „zieldifferent“, wie es in<br />
der Fachsprache heißt. Während sich die Klasse mit dem gymnasialen<br />
Lehrplan beschäftigt, müssen die Themen für die beiden Mädchen so<br />
modifiziert werden, dass sie auch ihren Möglichkeiten entsprechen.<br />
Mit geschickt organisierter Gruppenarbeit und der Hilfe der Integrationskraft<br />
sei das aber gut machbar, betont Dorothe Levin. Im Neubau für die fünften<br />
Klassen stehe zudem ein Gruppenraum zur Verfügung, der bei Bedarf ge<br />
nutzt werden könne. Auch benotet werden Hanna und Nike nicht nach dem<br />
üblichen Schema, sondern nach einem auf sie zugeschnittenen System.<br />
Abitur geschafft<br />
Es gibt Menschen mit Down-Syndrom, die das Abitur geschafft und studiert<br />
haben. Erst jüngst hat der Kino-Film „Me too“ über Pablo Pineda aus Spanien,<br />
der ein Hochschulstudium absolviert hat und Sozialarbeiter wurde, die<br />
Zuschauer fasziniert und berührt.<br />
Ans Abitur denken Christina Haartje-Graalfs und Martina Baumert aber noch<br />
lange nicht. „Es hängt von unseren Kindern ab, wie weit sie den neuen Weg<br />
gehen wollen“, sagen sie. Die Familien sind erstmal froh, dass ihr langer<br />
<strong>Kampf</strong> um einen Platz in der weiter führenden Regelschule ein gutes Ende<br />
gefunden hat – und sicher, dass die Entscheidung das Beste für die Kinder ist.<br />
„Es ist in Deutschland für Menschen mit Behinderung immer noch extrem<br />
schwierig, das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe einzufordern“, sagt<br />
Christina Haartje-Graalfs. Dass sie trotzdem nicht aufgeben wird, war für sie<br />
aber immer klar.<br />
Für das Ziel, ihrer Tochter den Besuch einer Regelschule zu ermöglichen,<br />
hätten sie und ihre Familie, die seit vielen Jahren glücklich in <strong>Jever</strong> lebt und<br />
arbeitet, auch harte Konsequenzen gezogen: „Wenn es hier nicht geklappt<br />
hätte, wären wir weggezogen.“<br />
Die Beschreibung des Down-Syndroms erfolgte nach Angaben des<br />
Arbeitskreises Down-Syndrom e.V. im Jahr 1866 durch den britischen Arzt J.<br />
Langdon H. Down.<br />
Der Grund für das Down-Syndrom – oder Trisomie 21 – ist ein genetischer<br />
Defekt, die Menschen haben ein Chromosom mehr als andere. Jedes 600.<br />
Kind ist betroffen.<br />
Menschen mit Down-Syndrom müssen mit einer ganzen Zahl von<br />
Widrigkeiten kämpfen, die ihnen das Leben schwer machen. Diese liegen<br />
teilweise in ihrer Natur und den daraus sich ergebenden mehr oder weniger<br />
stark ausgeprägten Behinderungen begründet. Der Grad der Behinderung ist<br />
jedoch auch abhängig von der Art und Weise, wie das Umfeld mit dieser<br />
Behinderung umgeht.<br />
Bei guter medizinischer Betreuung und kompetenten die Entwicklung<br />
begleitenden Fördermaßnahmen können auch Menschen mit Trisomie 21 ein<br />
selbstständiges Leben führen.
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