Big Alma Regie - DIAGONALE - DEUTSCHE VERSION- Forum ...
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#033<br />
<strong>Big</strong> <strong>Alma</strong><br />
Susanne Freund A 2007, Digi-Beta, Farbe, 90 Minuten<br />
Buch Susanne Freund Kamera Andreas Kopf Schnitt Michou<br />
Hutter Ton Bernhard J. Schmid, Joe Knauer, Peter meiselmann,<br />
Michael H. Jones Herstellungsleitung manfred Fritsch produzenten<br />
Danny Krausz, Kurt Stocker Produktion Dor Film, ORF,<br />
arte, AVRO Förderung FFA, FFW<br />
Susanne Freund. 1979 1979 Abschluß des Chemistudiums an<br />
der Universität Wien. 1984-86 Kostümassistentin bei Theater<br />
und Film. 1985-1990 Requisite, <strong>Regie</strong>assistentz, Aufnahmeleitung<br />
und Produktionsleitung bei Film und TV. Arbeitet als Regisseurin<br />
und Drehbuchautorin. i<br />
Filme/Videos (Auswahl): Der Überfall (Buch mit Florian Flicker,<br />
1998), Papa allein zu Haus (1997), Im Namen Gottes (1996),<br />
Kybern-ethik (1995), Das Heimliche Fest (1992), Kobalek (1991)<br />
––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />
Das Brechen des Blicks<br />
Susanne Freund über <strong>Big</strong> <strong>Alma</strong><br />
aufgezeichnet von Carla Hopfner<br />
Wie alles begann:<br />
Ich wurde von der DOR-Film gefragt, ob ich mir vorstellen<br />
könnte, über <strong>Alma</strong> einen Film zu machen. Zu Beginn war ich<br />
sehr skeptisch. Meine Dokumentarfilme handelten bislang nur<br />
von lebenden Menschen. <strong>Alma</strong> ist tot. Und eine historische<br />
Dokumentation im herkömmlichen Sinn – Abfolge von Fotos<br />
mit Off-Sprecher – interessiert mich eigentlich nicht. Vor einer<br />
Zusage wollte ich also zunächst recherchieren, ob es noch<br />
ZeitzeugInnen gibt ...<br />
<strong>Alma</strong> als Spielfilm:<br />
Ob ich mir hätte vorstellen können, auch einen Spielfilm zu<br />
machen? Nein, der Gedanke kam mir niemals. <strong>Alma</strong> eignet sich<br />
nicht für einen Spielfilm, schon allein wegen dieser extremen<br />
Erwartungshaltung, die mit diesem Namen verbunden ist:<br />
Schlampe oder Muse.<br />
<strong>DIAGONALE</strong><br />
materialien<br />
Im Dokumentarischen lassen sich die Zwischentöne dieser Figur<br />
viel besser einfangen, finde ich. Auch politische Dinge, die mich<br />
sehr interessieren. Das Faktum, dass <strong>Alma</strong> mit den Faschisten<br />
liebäugelte – was aus der Geschichte der ersten Republik<br />
heraus erzählt werden kann und in sich spannend ist etc.<br />
Zur Arbeit mit den ZeitzeugInnen:<br />
Für mich war es zunächst ein großes Problem, dass es zum<br />
Leben von <strong>Alma</strong> sehr wenig Zeitzeugen gibt, zu <strong>Alma</strong>s Leben,<br />
vor 1930 naturgemäß gar keine.<br />
Ich wollte aber kein „Archivfeature“ machen. Und die Biografien<br />
zu ihr fand ich alle tendenziös. Verehrung oder Verachtung. Ganz<br />
schlimm ist <strong>Alma</strong>s Autobiografie Mein Leben – ein schrecklich<br />
pathetisches Machwerk. Die alte <strong>Alma</strong> hat viel selbst zensuriert,<br />
und ihre Briefe und Tagebücher umgeschrieben ...<br />
Der Angelpunkt war, als ich die frühen Tagebücher der <strong>Alma</strong> entdeckt<br />
habe, und darin eine ebenso naive wie witzige und kluge<br />
junge Frau, die Komponistin werden wollte, entdeckte. Das fand<br />
ich sehr spannend. Da war ein Mensch spürbar, der mich sehr<br />
interessierte. Diese Tagebücher verdanken wir Susanne Rode<br />
Breymann und Antony Beaumont. Die haben in mühsamer Kleinarbeit<br />
<strong>Alma</strong>s grauenhafte Handschrift entziffert ...<br />
Die ZeitzeugInnen wiederum verleihen dem Film ihren eigenen<br />
persönlichen Ausdruck. Es ist auch irgendwie bezeichnend,<br />
dass <strong>Alma</strong> ausschließlich Frauen als Nachkommen hat.<br />
Die Enkelinnen <strong>Alma</strong>s wissen aber gar nicht so viel über das<br />
Leben ihrer Großmutter, aber darum geht es mir auch nicht<br />
unbedingt. Mir geht es immer darum, wie jemand etwas macht,<br />
weniger darum, was er macht, und darüber wissen alle<br />
ZeitzeugInnen wunderbare – sehr persönliche – Geschichten …<br />
<strong>Big</strong> <strong>Alma</strong> war ein aufwendiger und anstrengender Film.<br />
Auch weil ich mich den ProtagonistInnen intensiv widmete.<br />
Das mache ich – wie andere DokumentaristInnen auch – zwar<br />
in jedem Dokumentarfilm, aber, hier hatte ich nicht einen<br />
Menschen sondern sehr viele ZeitzeugInnen.<br />
Und wenn der Film aus ist, gibt es die Menschen immer noch.<br />
Ich begann bereits im Juni 2005 mit der Recherche, das Konzept<br />
war im Dezember 2006 fertig. Die Zeit drängte, die ZeitzeugInnen<br />
waren und sind nicht mehr die jüngsten und ich<br />
wollte es vor mir verantworten können, sie noch vor der Kamera<br />
zu zeigen …<br />
Gedreht wurde im Zeitraum März bis September und im Winter<br />
2006/07 haben wir geschnitten.<br />
Der Film wurde erst unlängst fertig.<br />
1
www.diagonale.at/materialien<br />
Zum Einsatz von Found-Footage-Material:<br />
Michael Loebenstein vom Filmmuseum – ein Profi in Sachen<br />
Found Footage – hat mir schon zu einem frühen Zeitpunkt<br />
Archivmaterial zum Thema zusammengestellt. Alles war enorm<br />
anregend und spannend. Wir hatten eine Art stummes<br />
Einverständnis – ich musste z.B. nicht erklären, dass ich nicht<br />
„Geschichte bebildern“ will.<br />
Michael Loebenstein und ich haben das gleiche Geschichtsverständnis.<br />
Es geht mir nicht darum, historisch korrekteste<br />
Bildaufnahmen zu verwenden – man soll ein Gefühl bekommen<br />
für das Leben dieser Frau. Es geht nicht darum, authentisch zu<br />
sein, sondern darum, Geschichte plausibel zu machen. Wenn<br />
das mit Bildmaterial geschieht, das vielleicht Jahre nach dem<br />
„historisch korrekten“ Ereignis entstanden ist, dann soll mir<br />
das recht sein. Ich habe z. B. zum Witwendasein <strong>Alma</strong>s nach<br />
Mahlers Tod 1911 einen Filmausschnitt aus dem Jahr 1923<br />
verwendet: eine Tanzende in einem Nachtlokal.<br />
Und was bitte ist schon authentisch?<br />
Die Menschen denken dabei immer an echt und an Wahrheit<br />
und wer kennt die schon …<br />
Es gibt nur eine einzige Filmaufnahme von Franz Werfel– die in<br />
einem tschechischen Archiv lagerte – die ich gleich an mehreren<br />
Stellen eingesetzt habe. Immer wieder derselbe Ausschnitt. Für<br />
mich war diese Aufnahme ein Symbol für das, was Werfel ausgemacht<br />
haben könnte: er schreibt und raucht ... ununterbrochen.<br />
Zum Drehbuch:<br />
Das Drehbuch bei einem Dokumentarfilm ist wie eine Prognose,<br />
man schreibt, was man glaubt, das passieren wird, stützt sich<br />
dabei auf Erfahrungswerte aus der Recherche. Man hält fest,<br />
wofür die Menschen/ZeitzeugInnen stehen, in der Geschichte,<br />
die man erzählen will. Man weiß ja nicht, was sie letztendlich<br />
dann vor der Kamera erzählen werden ...<br />
Ich hatte ein Gerüst, wusste auch, wie ich anfange und wie ich<br />
ende. Ich wusste, dass ich am Ende beginne, um in die Kindheit<br />
zurückzuspringen, um dann chronologisch fortzufahren.<br />
Die ZeitzeugInnen waren sehr persönlich, jeder hat von sich viel<br />
preisgegeben. Diese persönliche Ebene fortführen, auch wenn<br />
kein Zeitzeuge zu Wort kommt, war schwierig. Abgefilmte<br />
Denkmäler und „Wirkungsstätten“ finde ich nämlich gar nicht<br />
spannend So kam ich auf die Idee einen Teil der Geschichte mit<br />
Reiseführern zu erzählen, – z.B. Ruth Werfel, eine Verwandte<br />
Werfels, in Frankreich, <strong>Alma</strong>s Jugend – über Museumsführungen<br />
in Wien. So etwas eröffnet auch wieder eine andere Sichtweise.<br />
Diese formale Lösung bricht oder verdoppelt – wenn man so<br />
will – den Blick auf eine Figur und thematisiert unsere sehr<br />
distanzierte, wirklichkeitsfremde und „museale“ Rezeption.<br />
Wir betrachten also einen Film über <strong>Alma</strong>, in dem wir Menschen<br />
sehen, die Bilder betrachten von Menschen, mit denen die<br />
junge <strong>Alma</strong> aber ganz alltäglich verkehrt hat …<br />
Ich hasse Off-Text. Aber bei <strong>Alma</strong> ließ er sich nicht vermeiden.<br />
Er enthält sich in diesem Film jeder Bewertung und liefert ausschließlich<br />
Fakten ...<br />
2<br />
#033<br />
Durch die Mischung von Zeitzeugen, Führungen, Archiv,<br />
Off-Texten, Tagebüchern, etc., kam es dann zu diesem „Zwitter“<br />
von Film und es war gar nicht leicht, das alles zu verweben ...<br />
Zur Entstehung und Verwertung:<br />
Für mich war von Anfang an klar, dass ich keinen 50 Minuten<br />
Film machen will. Ich wollte 90 Minuten. Wie sollte ich dieses<br />
Leben in 50 min. erzählen?<br />
Aber es musste auch eine 52-Minuten-Version gemacht werden.<br />
Das ist dann im Grunde ein ganz anderer Film. Da müssen ganze<br />
Blöcke raus. Ich habe z.B. die ganze Diskussion um <strong>Alma</strong> und ihr<br />
Komponistendasein weggelassen. Ganze Erzählstränge um ZeitzeugInnen.<br />
Im Grunde muss man ein neues Konzept schreiben.<br />
Und frei nach dem Motto – wie beim Drehbuchschreiben –<br />
vorgehen: „Was sind deine Lieblingsszenen – hau sie raus!“<br />
Schrecklich.<br />
Auch produktionstechnisch war <strong>Alma</strong> kein leichtes Projekt und<br />
auch für mich neu. Die Arbeit mit so vielen verschiedenen<br />
Materialien aus unterschiedlichen Quellen ist mühsam und es ist<br />
technisch sehr aufwendig, die verschiedenen Formate einander<br />
anzupassen.<br />
Über die Arbeitsweise:<br />
Ich habe für jedes Projekt ein Skizzenbuch, auch für <strong>Alma</strong>, da<br />
kommt alles hinein, was mit diesem Film zu tun hat. Bei manchen<br />
Sequenzen wusste ich schon wie diese aussehen sollten<br />
bevor wir noch angefangen hatten zu drehen.<br />
Ich habe in <strong>Big</strong> <strong>Alma</strong> z.B. Fotos verwendet, die habe ich von<br />
Anfang an gewollt, und auch die Reihenfolge, in der ich sie<br />
haben wollte, und in dieser kleben sie auch in meinem Skizzenbuch.<br />
Genauso wie dann viel später im Film ...<br />
Mir war das Titelbild zu <strong>Big</strong> <strong>Alma</strong> von Anfang an klar: Ich wollte<br />
diese freche 13-jährige haben. Normalerweise mache ich keine<br />
Schwenks, aber diesmal wollte ich bei diesem Foto einen<br />
Schwenk von unten hinauf machen. Es war die richtige Entscheidung,<br />
denn jeder fragt sich, welches Gesicht denn zu diesen<br />
dünnen Beinchen die in groben Baumwollstrümpfen stecken,<br />
gehören wird ...<br />
Zur Musikalität des Films:<br />
Sehr wichtig war für mich die Arbeit mit der Cutterin. Ich bin<br />
ja oft bis über beide Ohren vorbereitet. Was mindestens genauso<br />
schlecht ist wie es gut ist. Das macht blind ...<br />
Michou Hutter, meine Cutterin, hatte mit Absicht nichts außer<br />
meinem Konzept zu <strong>Alma</strong> gelesen. Sie war freier als ich.<br />
Das war sehr gut.<br />
Ich wusste von Anfang an, dass ich in der Titelsequenz Musik<br />
aus Wagners Tristan haben wollte. So wollte ich mit Tristan zu<br />
schneiden anfangen. Michou meinte: Bitte nicht, ich will jetzt<br />
nicht auf Musik schneiden. Wir haben so viel Material, wir müssen<br />
zunächst den Bogen rausbekommen. Recht hat sie gehabt,<br />
wir würden sonst heute noch basteln. Wir haben in dem Film insgesamt<br />
Musik äußerst sparsam verwendet, nur an ganz<br />
bestimmten Stellen, eine davon eben Tristan.
Die Musikalität des Schnitts trägt dieser ja – dank Michou –<br />
in sich, da braucht es nicht immer und überall Musik dazu.<br />
Schön und wichtig war auch die Uraufführung des Liedes von<br />
<strong>Alma</strong> Mahler-Werfel für den Film. Das wurde letzten Endes mit<br />
Unterstützung von Marina Mahler nur für uns uraufgeführt im<br />
grünen Salon der Schaubühne Berlin. Wir wussten nicht, was<br />
das für ein Lied sein wird. Die Partitur war erst Wochen davor in<br />
einem US-Archiv in einer Schachtel aufgetaucht. Als wir das<br />
Lied zum ersten Mal hörten waren wir alle hin und weg und<br />
begeistert: das hat eine 20-Jährige komponiert? Alle Achtung ...<br />
Carla Hopfner, geboren 1978. Studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft.<br />
Arbeitet als <strong>Regie</strong>assistentin am Theater. Seit Mai 2005<br />
Projektbetreuung und Büroleitung bei der <strong>DIAGONALE</strong>.<br />
Muse und Grande Dame<br />
von Daniela Sannwald<br />
<strong>Alma</strong> Mahler-Werfel sammelte angeblich Künstler als Liebhaber<br />
und Ehemänner. Sie war nacheinander mit dem Maler Gustav<br />
Klimt, dem Komponisten Gustav Mahler, dem Architekten Walter<br />
Gropius, dem Maler Oskar Kokoschka und dem Schriftsteller<br />
Franz Werfel liiert; man sprach von ihr als Muse dieser Männer.<br />
Musen waren im alten Griechenland Göttinnen der Künste, im<br />
19. und 20. Jahrhundert nannte man Frauen von Künstlern so –<br />
in der Annahme, erst ihre Anwesenheit, ihre Persönlichkeit, ja<br />
vor allen Dingen ihre Schönheit, inspiriere die jeweiligen Männer<br />
zu den kreativen Großtaten, die sie vollbrachten. Man denkt an<br />
sonnendurchflutete Ateliers im Montmartre, im und ums Bett<br />
herum vertrödelte.<br />
Vormittage oder sehr lange Abende, an Rotweinkaraffen, türkische<br />
Zigaretten, Katzen. Man denkt an verzehrende Leidenschaft,<br />
die, ausgelebt oder nicht, sich sofort in der Produktion<br />
von Kunst niederschlägt, die wiederum glücklich macht und der<br />
Liebe neue Nahrung zuführt.<br />
<strong>DIAGONALE</strong><br />
materialien<br />
Susanne Freunds Dokumentarfilm zeigt vor allem eins: die Mühsal<br />
der Musenexistenz, die zwar gelegentlich auch glanzvolle<br />
Momente hatte und gewisse Freiheiten mit sich brachte. Aber vor<br />
allem ging es darum, sich auf die Männer einzustellen, unendliches<br />
Verständnis für ihre künstlerisch motivierten<br />
Absonderlichkeiten aufzubringen und sie von der<br />
Alltagsrealität abzuschirmen, auf dass der Schaffensprozess<br />
nicht gestört würde.<br />
<strong>Alma</strong> Mahler, 1879 in Wien geboren, wusste von Kindheit an, was<br />
es heißt, in einen Künstlerhaushalt zu leben. Ihr Vater Emil Jakob<br />
Schindler war ein Landschaftsmaler, der im kronprinz-lichen Auftrag<br />
Bilder von den südlichen Regionen der Donau-monarchie<br />
malte, deswegen relativ wohlhabend war und mit<br />
seiner Familie viel reiste.<br />
Dieser Lebensstil ersparte <strong>Alma</strong> den Schulbesuch; sie erhielt Privatunterricht,<br />
lernte jedoch vor allem durch das kulturell anregende<br />
Klima – ihre Mutter unterhielt Salons –<br />
in ihrem Elternhaus und dadurch, dass sie mit offenen Augen und<br />
Ohren durch die Welt ging, zumindest so weit, wie einer bürgerlichen<br />
Tochter zu Ende des 19. Jahrhunderts das gestattet war.<br />
Auch wenn das nicht sehr weit war, nutzte sie ihre Spaziergänge<br />
als Entdeckungsreisen, bei denen sie neugierig alles aufsaugte,<br />
was sie beobachtete. So schrieb sie in ihrem Tagebuch über den<br />
Abscheu, den zwei kopulierende Hunde in ihr erregten, sann<br />
darüber nach, ob auch Menschen-Männchen ähnlich<br />
„schwingende Bewegungen“ bei diesem Akt vollzögen und<br />
schwor schließlich, sich selbst niemals für so etwas hergeben zu<br />
wollen.<br />
Susanne Freund hat, als Original-Quelle, Tagebuch-Auszüge <strong>Alma</strong><br />
Mahler-Werfels aus dem Off sprechen lassen, wenige ZeitzeugInnen,<br />
Verwandte und Bekannte, und viele ExpertInnen interviewt,<br />
historische Fotos und Filmaufnahmen kompiliert, die weniger mit<br />
<strong>Alma</strong> Mahler direkt, aber viel mit der jeweiligen Ära zu tun<br />
haben, von der der Film erzählt.<br />
Deutlich wird vor allem, dass die Erzählung von Biografie, auch<br />
wenn so viele Fakten bekannt und belegt und sogar, wie in diesem<br />
Fall, Quellen aus erster Hand, zugänglich sind, immer<br />
äußerst abhängig vom Standpunkt des Biografen und dessen<br />
Erkenntnisinteresse ist.<br />
Gerade die Biografie <strong>Alma</strong> Mahler-Werfels musste, besonders<br />
unter dem Paradigma der Gender-Forschung, schon als Beweismittel<br />
für einander entgegengesetzte Positionen herhalten. Den<br />
einen galt sie als Paradebeispiel weiblicher Stärke und Selbstbestimmung;<br />
die anderen sehen sie als Prototyp einer unterdrückten<br />
und ihre eigenen musikalischen Talente verleugnenden Ehefrau<br />
und Mutter.<br />
Exemplarisch für die Mehrdeutigkeit und praktisch gegensätzliche<br />
Interpretierbarkeit von Quellen stellt Susanne Freund zwei<br />
Positionen gegenüber, die das musikalische Talent und die verhinderte<br />
Komponistinnen-Karriere <strong>Alma</strong> Mahler-Werfels betreffen:<br />
Susanne Rode-Breymann, Herausgeberin ihrer frühen Tagebücher<br />
spricht von ihrem Kompositionstalent, erwähnt, dass sie keinen<br />
3
www.diagonale.at/materialien<br />
Raum zum Arbeiten gehabt, ihr die schöpferische Ruhe, auf die<br />
etwa ihr erster Ehemann Gustav Mahler später bestehen sollte,<br />
nicht zur Verfügung gestanden habe, und dass, als sie im Jahr<br />
1902 den zwanzig Jahre älteren Mahler geheiratet und damit auf<br />
eine eigene Laufbahn als Komponistin bewusst verzichtet habe,<br />
dies vor allem aus Opposition gegen die von ihr nicht sehr<br />
geliebte Mutter geschehen sei. Diese war selbst eine ehemalige<br />
Operetten-Soubrette, die ihren Beruf mit der Eheschließung<br />
aufgab, soll sie zu einem selbstständigen Weg ermutigt haben.<br />
Ihr Ko-Herausgeber Antony Beaumont versucht dagegen, am<br />
Klavier zu beweisen, dass es <strong>Alma</strong> Mahler doch am entscheidenden<br />
Quäntchen Kompositions-Talent gefehlt habe, indem er<br />
Motive über dasselbe Thema von Mahler und seiner Frau<br />
intoniert. Im weiteren Verlauf des Films lässt Susanne Freund<br />
mehrere Biografen über <strong>Alma</strong> Mahler-Werfels erotische<br />
Ausstrahlung und ihr Sexualleben, ihre Qualitäten als Mutter und<br />
Ehefrau oder ihre politischen Einstellungen spekulieren.<br />
Ihr Film gerät damit zu einer kleinen Studie über die grassierende<br />
Biografien-Mode: Nichts interessiert Menschen so sehr,<br />
wie das Leben anderer Menschen, das zeigt sich in der Zunahme<br />
der TV-Reality-Formate, in der Boulevardisierung auch<br />
seriöser Tageszeitungen, in den ständig neu erscheinenden<br />
Society-Magazinen.<br />
Susanne Freunds Dokumentation bringt einen ins Grübeln<br />
darüber, was eine gute Biografie eigentlich leisten muss oder<br />
kann – auch ihr eigenes Tun muss sich dieser Fragestellung<br />
unterwerfen lassen – und es scheint, dass das Genre vom vollkommen<br />
subjektiven oder klamaukig-kolportagehaften Zugang<br />
bis hin zur breit angelegten und gut recherchierten Beschreibung<br />
des (kultur-)historischen Kontexts einer Lebensgeschichte<br />
alles beinhaltet. Dass lust- und leidensverdächtige Biografien<br />
(Mozart! Romy! Warhol!) über mehr Pop-Potenzial verfügen als<br />
die von Natur-wissenschaftlern oder Politikern, versteht sich.<br />
<strong>Alma</strong> Mahler-Werfel mit ihren Ehemännern Mahler, Gropius,<br />
Werfel und ihren vier Kindern, von denen Mahlers erste Tochter<br />
und Werfels Sohn als Kleinkinder und Gropius’ Tochter siebzehnjährig<br />
starben, mit ihren vielen Geliebten, ihrem Kosmopolitentum<br />
und ihrem Pragmatismus, der sie und ihre Männer stets<br />
auch durch schwierige Zeit rettete, wäre eine ideale Boulevard-<br />
Figur gewesen, bloß, dass die zur Generierung einer solchen<br />
notwendigen Medien eben Massen erreichen müssen, und<br />
damit fingen sie erst kurz vor <strong>Alma</strong> Mahler-Werfels Tod an.<br />
Susanne Freunds Dokumentation schlachtet das Private nicht<br />
aus, sondern setzt es zu größeren (gesellschafts-)politischen<br />
Zusammenhängen in Beziehung: Nüchtern stellt sie fest, dass<br />
<strong>Alma</strong> Mahler zweimal vor dem Antisemitismus ins Exil floh, das<br />
erste Mal vor dem kakanischen, dem vor allem Gustav Mahler<br />
ausgesetzt war, der daraufhin ein Engagement an der Met in<br />
New York annahm. Das zweite Mal vor dem nationalsozialistischen,<br />
mit ihrem dritten Ehemann, dem Bestsellerautor Franz<br />
Werfel, mit dem sie 1938 aus Wien floh. Über Prag, London,<br />
Paris, Marseille und schließlich Lissabon führte dieser Weg ins<br />
Exil mit zwölf Koffern – <strong>Alma</strong> hatte stets die Partituren Gustav<br />
Mahlers im Gepäck – und es war, wie ZeitzeugInnen berichten,<br />
4<br />
#033<br />
einzig <strong>Alma</strong> zu verdanken, dass der um zehn Jahre jüngere<br />
Werfel diese Flucht nicht nur überlebte, sondern nicht einmal in<br />
Frankreich interniert wurde wie viele seiner LeidensgenossInnen.<br />
<strong>Alma</strong> Mahler-Werfel muss, so erzählen Menschen, die ihr nahe<br />
standen, im Alter eine herrische, egozentrische Person gewesen<br />
sein, die nicht nur ihre einzige überlebende Tochter, ihre Nachbarin<br />
im New Yorker Domizil, das sie nach Franz Werfels Tod<br />
1945 bezogen hatte, ausnutzte und schikanierte. Wenn sie<br />
jedoch Klavier spielte, vergaß ihr Publikum alle zugefügten Kränkungen,<br />
dann offenbarten sich, so heißt es, ihre schöne, zarte<br />
Seele und ihre virtuose Ausdruckskraft. Sonst war ihr wenig<br />
geblieben.<br />
Susanne Freund hat auch Archivaufnahmen von <strong>Alma</strong> Mahler-<br />
Werfel selbst am Ende ihres Lebens aufgetrieben: Zu Beginn des<br />
Films zeigt eine österreichische Wochenschau, wie sie kurz nach<br />
dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach Wien zurückkehrt und<br />
unter Ehrenbezeigungen empfangen wird. Dass sie dort wie viele<br />
andere Remigranten anti-semitischen Anfeindungen ausgesetzt<br />
war und gleich wieder zurück in die USA ging, offenbart die<br />
Filmemacherin erst am Ende ihrer Dokumentation. Da gibt es<br />
dann auch ein schönes Interview mit Dorothea Nuria<br />
Nono-Schoenberg, der Tochter des Komponisten, dessen Familie<br />
sich mit <strong>Alma</strong>s im kalifornischen Exil angefreundet hatte: Bis zu<br />
ihrem Tod 1964 habe <strong>Alma</strong> immer ein prachtvolles Kollier und<br />
dazu passende Ohrgehänge getragen, eine Marotte, über die<br />
sich ihr Umfeld insgeheim amüsierte. Aber der aus der Heimat<br />
über viele Exil-Stationen gerettete Schmuck sei schließlich ein<br />
Ausdruck ihrer Identität gewesen, <strong>Alma</strong> habe damit die Verbindung<br />
zu ihren Wurzeln gehalten. Nicht nur zu ihren geografischen,<br />
denkt man, auch zu ihren kulturellen, sozialen und vor<br />
allem historischen; und man bedauert ein bisschen, dass das<br />
21. Jahrhundert für Grandes Dames ihres Formats definitiv keinen<br />
Platz zu haben scheint.ant, aber man muss sie nicht verstehen<br />
können. Hätten wir sie untertitelt, würde auf diesen wenigen<br />
Sätzen im Film zu viel Gewicht liegen. So bleibt es bei Beobachtungen,<br />
bei denen die Menschen im Vordergrund stehen.<br />
Daniela Sannwald, Filmhistorikerin, -publizistin, freie Mitarbeiterin an<br />
der Deutschen Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, Berlin.<br />
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />
Impressum: <strong>DIAGONALE</strong> – <strong>Forum</strong> österreichischer Film<br />
Rauhensteingasse 5/5, A-1010 Wien, Tel. +43-1-595 45 56<br />
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