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Zwa traurige Buam Regie - DIAGONALE - DEUTSCHE VERSION ...

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#031<br />

<strong>Zwa</strong> <strong>traurige</strong> <strong>Buam</strong><br />

Gabriele Hochleitner, A 2006, Digi-Beta, Farbe, 96 Minuten<br />

Konzept und Realisation Gabriele Hochleitner<br />

Schnitt Timothy McLeish mit Peter und Ernst Hochleitner u.a.<br />

Förderungen BKA, Kand Salzburg, Stadt Salzburg, Gemeinde<br />

Goldegg, Frauenbüro Salzburg Stadt<br />

Gabriele Hochleitner, geboren 1969 in Salzburg.<br />

Ausbildung an der Fachhochschule für Foto/Filmdesign in<br />

Dortmund. Arbeitet seit 1998 als Dokumentarfilmerin in Italien,<br />

Deutschland und Österreich<br />

Filme/Videos (Auswahl): Roma Rozdol Rostock (2005),<br />

Sweet Briar (2004), La Habana (2001), Die Stadt und die<br />

Erinnerung (2001), Almrausch (1997)<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Verdachtsmomente<br />

von Barbara Wurm<br />

Sie ist anwesend, obwohl man sie nie zu sehen bekommt.<br />

Zunächst wird sie angesprochen, später hört man sie sprechen<br />

und schließlich wird sie – als Adressierte und Stimme neben<br />

dem Mikrophon – immer stärker Teil des Geschehens, mehr<br />

Vermittlungszentrale als handelnde Person. „Gabi“, Gabriele<br />

Hochleitner, die Frau mit der Kamera und Regisseurin des Films.<br />

Erst allmählich wird klar, in welchem Verhältnis Gabi zu den<br />

zwei älteren Herren steht, mit denen sie gleich in der Eröffnungsszene<br />

ganz offensichtlich ein kleines, unspektakulär<br />

eingerichtetes Hotelzimmer mit Blick aufs Meer teilt und die<br />

sich vor ihr ganz ungeniert ihre Pyjamas überstreifen. Der eine<br />

ist der Vater, der andere der Onkel. Ganz gewiss kann man sich<br />

dieser Tatsache aber erst gegen Ende sein, wenn sie in einer<br />

der markantesten und gleichzeitig absurdesten Szenen des<br />

Films ihren Vater auffordert, seinem Bruder doch endlich die<br />

richtige Telefonnummer zu soufflieren, nachdem dieser nun<br />

bereits zum x-ten Mal sich entweder verwählt, oder die<br />

Nummer vergisst (seine eigene, wohlgemerkt), oder bar jeder<br />

Ahnung von diversen Auslands-Nullstellen vorneweg („0043,<br />

was soll das sein?“) immer nur beim gleichen serbischen<br />

Tonbanddienst landet.<br />

<strong>DIAGONALE</strong><br />

materialien<br />

Die schlichte Erkenntnis („Familienfilm: Aufarbeitung“) bahnt<br />

sich mit einer solchen Behutsamkeit durch den Film –<br />

von Einstellung zu Einstellung, von Ort zu Ort, von Hotelzimmer<br />

zu Hotelzimmer schleicht sie gleichsam als Verdacht herum –,<br />

dass schließlich nur noch Eines verblüfft:<br />

wie lange das Verhältnis in Schwebe gehalten werden konnte,<br />

ohne je zum Thema zu werden. Und wie wichtig gerade deshalb<br />

nicht nur die (ausgeblendete) familiäre Beziehung zwischen<br />

Regisseurin und Protagonisten für die Dramaturgie des Films<br />

ist, sondern vor allem das Moment des Offenhaltens selbst.<br />

Zwischen vager Verunsicherung und ahnungsvoller (An-)<br />

Gespanntheit. Eine Annäherung mit der (Psychoanalytiker-)<br />

Haltung der epoché – innerer Abstand bei äußerlicher Nähe,<br />

gleichschwebende Aufmerksamkeit auf die Signifikanten.<br />

Die Tatsache, dass sich Gewissheiten hier nur selten einstellen<br />

und wenn, dann ganz prinzipiell ausschließlich als Ergebnis eines<br />

genauen ‚medialen’ Spurenlesens und Kombinierens, ist die<br />

Kunst dieses Dokumentarfilms – ebenso wie das Miss- (und<br />

manchmal auch Un-)Verständnis nicht selten Resultat des<br />

Nicht-Gut-Genug-Hinhörens ist („Du heast ma überhaupt net<br />

zua.“ „Jo, freili.“). Das gilt für die beiden schon leicht schwerhörigen<br />

Brüder, die gerne oft gleichzeitig reden oder ganz<br />

eigenartig versetzt ebenso wie für uns als Zuhörer und<br />

Zuschauer, die wir ständig zur Deutung aufgefordert sind.<br />

Es gibt Szenen, da wird auf eine Weise gesprochen, die auch der<br />

gewandtesten Diskursanalyse Widerstand leistet – auf allen nur<br />

denkbaren sprachlichen und kommunikativen Ebenen: dialektale<br />

Färbung, ungewöhnliche Idiomatik, nur noch wenig bekanntes<br />

Kriegsvokabular, idiosynkratische Gestik und letztlich eine schier<br />

uninterpretierbare Pragmatik des Redeverhaltens (die natürlich<br />

viel damit zu tun hat, dass zwei Brüder über die nicht ganz<br />

unkomplizierte Vergangenheit sprechen – vielleicht zum ersten<br />

Mal überhaupt, definitiv zum ersten Mal vor der Kamera).<br />

Alles kommt einem ganz plötzlich (und trotzdem dauerhaft)<br />

fremd vor.<br />

Fernseh-Redakteure würden genau an diesen dichten, undeutlichen<br />

Stellen bewusst redundante Momente in der Erzählweise<br />

einfordern, die dem Zuschauer das Verständnis des Ort-Zeit-<br />

Gefüges und vor allem der familiären Strukturen eingängiger<br />

präsentieren. Nichts davon wird hier versucht – und das aus<br />

Prinzip. Weder wird explizit, wer mit wem wie verwandt ist<br />

(die Figuren, von denen erzählt und über die geredet wird,<br />

bleiben „der Lois“, „der Hansl“, „die Lisl“), noch gibt es Inserts,<br />

die geographische Orientierung ermöglichen würden (Die Orte<br />

bleiben das, was nach 60 Jahren und mit starkem Akzent von<br />

ihnen übrig ist.<br />

1


www.diagonale.at/materialien<br />

Erst im Abspann die Gewissheit des Aufgeschriebenen: Villa del<br />

Nevoso, Bor, KnjaÏevac). Und auch die Chronologie der Reise zu<br />

dritt im Privatauto von Slowenien nach Serbien und zurück nach<br />

Österreich wird immer wieder von Gesprächsfragmenten der<br />

beiden Brüder am heimatlichen Küchentisch unterbrochen, so<br />

dass sich letztlich auch auf der Zeitachse andere als nur rein<br />

lineare ‚Wege’ anbieten.<br />

Alles wird hier ‚von innen’ entwickelt, und dieses Innen ist der<br />

unzugängliche Kern, um den die ganze Geschichte spiralenförmig<br />

kreist. Film als private Reise in eine für eine bestimmte<br />

Generation südwest-österreichischer Lebensläufe vielleicht<br />

typische Kriegs- und Nachkriegsvergangenheit, die immer mehr<br />

als nur eine Wahrheit kennt, die Faktizität zur Sache der<br />

persönlichen Erinnerung macht und die schließlich zu widersprüchlichen<br />

Ansichten und gegenläufigen Biographien führt<br />

(die sich wiederum darauf auswirken, woran man sich erinnern<br />

kann und will, und wie man darüber erzählen kann und will).<br />

Ein Bruder rückt ein, der andere – zwei Jahre jünger und 1944<br />

erst sechzehn – bleibt zu Hause, auf dem Hof, auf der Alm.<br />

Der eine zieht (wohl mit der 188. Gebirgs-Feldausbildungsdivision)<br />

zunächst gegen italienische, dann gegen Partisanen in<br />

Istrien, der andere ist indirekt an der Auslieferung eines im elterlichen<br />

Bauernhof versteckten Deserteurs (des Liebhabers der<br />

Schwester) an die Gestapo beteiligt, die letztlich zur Erschießung<br />

der beiden Brüder Simon und Alois führt. <strong>Zwa</strong> <strong>traurige</strong> <strong>Buam</strong>,<br />

zwei heikle Szenarien, in denen es auch um den Anteil geht,<br />

den jeder persönlich an dem Ungreifbaren namens Schuld trägt.<br />

In Kriegsgefangenschaft kommen beide, als <strong>Zwa</strong>ngsarbeiter<br />

nach Jugoslawien.<br />

Was das uralte rhetorische Verfahren der Mnemotechnik als Aufsuchen<br />

bestimmter imaginärer Orte (Topoi) zur Erleichterung der<br />

freien Rede pflegte, wird hier umgeformt zur tatsächlichen Durchwanderung<br />

ehemaliger ‚Kriegs-Schauplätze’, die oft buchstäblichen<br />

Memorial-Deponien gleichkommen. Das Kriegsmuseum im heute<br />

kroatischen Karlovac mit seinen wegrostenden Panzern und<br />

Barackenruinen, in denen, erzählt Ernst, an die Tausend Soldaten<br />

unterkommen mussten, ist quasi die Quintessenz davon. Es ist<br />

auch jener Ort in der persönlichen Erinnerungskulturlandschaft,<br />

an dem sich zum zweiten Mal eine Meinungsverschiedenheit zwischen<br />

den beiden Brüdern abzeichnet. Die nämlich über den Hergang<br />

des Todes der beiden Brüder. Eine lange Szene des Ausdruckskampfes<br />

und der Erklärungsnot entfaltet sich da, ein Erzählen,<br />

das – zum Thema: Befehlsverweigerung – zwischen Rechtfertigung,<br />

Nicht-Verstehen und Verzweiflung hin und her schwankt.<br />

Die erste Verstimmung hatte es gegeben, als die ansonsten in<br />

das lustige Lied von den zwei <strong>traurige</strong>n Buben munter einstimmenden<br />

und ohnehin gern lachenden Brüder jenen Pfad abgeschritten<br />

hatten, auf dem damals alles, was nach Partisanen<br />

roch, abgefackelt wurde.<br />

Eine unschuldige Landschaft heute, Bäume, Zäune – als einziger<br />

Punkt der Sammlung und Reflexion kontemplativ und tableau-<br />

2<br />

#031<br />

artig zwischen das meist aufgeregte Reden der Männer<br />

geschnitten –, in der die eigenen schrecklichen Taten wieder<br />

aufleben. Ganz kann Ernst sie nicht an sich heranlassen<br />

(er bleibt bei Passivwendungen), und noch weniger kann er<br />

abstrahieren. Immer wieder flüchtet er zurück in die situativen<br />

(bis heute gruselnd faszinierenden) Momente des „Aber nachher<br />

ist es losgegangen, mein Lieber. Von allen Seiten sind sie eingekesselt<br />

worden“. Er weiß, wer der Verlierer war, wenn er an die<br />

Massenerschießungen denkt („Patsch, die haben da so draufgezahlt,<br />

ganz gewaltig“), weiß aber nicht, die Vorgänge in ein<br />

historisch richtiges Licht zu rücken. Das wäre zu viel des<br />

Eingeständnisses. Als Peter ausspricht, dass Titos Partisanenpolitik<br />

aus der Perspektive des besetzten Jugoslawien durchaus<br />

nachvollziehbar ist, kommt es erneut zu Irritationen. Ganz<br />

nebenbei sein Nachsetzen, – und die immer stärker aufkeimenden<br />

Verdachtsmomente: „Hast du diese Almhütte da auch angezündet?“<br />

Und als wäre es das Normalste der Welt: „Ja, freili.“<br />

Durch die zurückhaltende Nähe, die Gabriele Hochleitners<br />

Kamera-Präsenz erzeugt, wird dieser ‚Normalität’ ungeschlichtet<br />

und (auktorial) unkommentiert Platz eingeräumt. Es gibt nur<br />

noch eine Oberfläche der Sprechakte, fortgetrieben von der<br />

Topographie der Erinnerungs-Landschaft, auf der sich die<br />

Abgründe des Krieges einschreiben – als Ringen um Worte,<br />

als minimale Andeutungen, den Generaldiskurs (des Verschweigens<br />

und Zurechtredens) zumindest für das eigene Gewissen<br />

ein wenig aufzusprengen, auch wenn es nicht wirklich gelingen<br />

mag; in zufälligen Begegnungen mit Menschen, die heute in<br />

der ehemaligen Kriegslandschaft leben und durch die es zu<br />

absurden (aber im Grunde auch wieder nur normalen)<br />

Konstellationen kommt („Wer weiß, ob er bei den Partisanen<br />

dabei war, auf die wir getroffen sind.“, fragen sich die Brüder<br />

über den Menschen, mit dem man gemeinsam die letzten<br />

Kriegstage und die in der Erzählung fast komisch anmutende<br />

Kapitulation lachend und fotografierend besprochen hat); und<br />

schließlich als Spur, die bis in die Biographien des Heute hineinreicht.<br />

Ein paar Brocken Serbokroatisch sind hängen geblieben,<br />

Grundnahrungsmittel („kruh“), zotige Sprüche („majku ti<br />

jebem“), Marschparolen („’Idimo kuçi.’ Das war die Parole,<br />

uns zu halten, wir haben Leute dabei gehabt, aus Laibach,<br />

die haben genau verstanden, wir gehen doch nicht Richtung<br />

Österreich … wir gehen nicht nach Hause.“).<br />

Eine Spur auch, die zum Charakterzug wurde. Zu einer Mentalität,<br />

für die es beinahe existentiell notwendig ist, dass in dem<br />

Moment, wo es auch prekär werden könnte, gesungen wird …<br />

etwa das Lied von den „zwa <strong>traurige</strong>n <strong>Buam</strong>“.<br />

Rund um die Verdachtsmomente (dass da noch mehr ist, mehr<br />

war) hat sich nach dieser Reise allerdings endgültig ein Raum<br />

der brüchigen Harmonie etabliert. Keine erlösende Katharsis.<br />

Nur eine neuerliche Heimkehr. Das Lied bekommt einen Balkan-<br />

Touch, Spuren des (gar nicht so) Fremden.<br />

Barbara Wurm, Slavistin und Filmwissenschaftlerin, promoviert im<br />

Berliner Graduiertenkolleg "Codierung von Gewalt", arbeitet in der<br />

Auswahlkommission von Dok Leipzig und schreibt über Filme.


Hervorholung von Geschichte –<br />

Reise in die Vergangenheit des<br />

Krieges<br />

Gabriele Hochleitners Dokumentarfilm<br />

<strong>Zwa</strong> <strong>traurige</strong> <strong>Buam</strong><br />

von Dominik Kamalzadeh<br />

Wer dorthin zurückkehrt, wo er schon einmal war, trifft unweigerlich<br />

auf Erinnerungen. Im Falle der beiden Protagonisten aus<br />

Gabriele Hochleitners Dokumentarfilm <strong>Zwa</strong> <strong>traurige</strong> <strong>Buam</strong>, Peter<br />

und Ernst Hochleitner – Ersterer ist der Vater der Filmemacherin<br />

–, sind es solche, die man gemeinhin unter Verschluss hält:<br />

Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, in dem sie als junge<br />

Wehrmachtssoldaten dienten. Der Krieg brachte die beiden von<br />

einer Salzburger Alm bei Goldegg, auf der sie aufwuchsen und<br />

bis dahin lebten, nach Jugoslawien. Der Krieg bedeutete in ihren<br />

Leben eine Zäsur.<br />

Was davor war und was danach kam, und wie man sich an die<br />

beiden Zeiten erinnert – darum geht es in <strong>Zwa</strong> <strong>traurige</strong> <strong>Buam</strong>.<br />

Davor markiert im Film ein Gespräch an einem Küchentisch.<br />

Ernst und Peter sprechen zur Kamera. Da werden in Form von<br />

Anekdoten, meist zweistimmig, wie wenn die beiden gemeinsam<br />

eines ihrer Volkslieder singen, Kindheitserinnerungen ausgetauscht.<br />

Man erfährt von einem bissigen Hund, vom lustigen<br />

„Oachkoazl“-Fangen, von der Dunkelheit der Nacht und einer<br />

kaputten Sohle oder von der leichten Erregbarkeit des jüngeren<br />

Bruders Peter. Nicht hintereinander, sondern in einzelnen<br />

Episoden, die in die andere „Zeitlichkeit“ des Films eingebunden<br />

sind.<br />

Danach markiert im Film eine Reise zu jenen Orten, an denen<br />

die beiden als (gefangene) Wehrmachtssoldaten stationiert<br />

waren. Eine Reise, die weniger Stationen abklappert, die mal<br />

mehr und mal weniger signifikant für die Zeit ihres Dienstes<br />

waren, sondern die einen Raum für das Prozessuale der<br />

Erinnerung öffnet. Unterwegs kommen die Gedanken zurück,<br />

und es wird möglich, über die Vergangenheit zu sprechen.<br />

Wobei kein Mantel des Schweigens gelüftet wird, weil es auch<br />

keine Verbrechen zu verdrängen galt – nicht jeder Film, der sich<br />

mit den Kriegsjahren auseinander setzt, muss sich über Fragen<br />

von Täterschaft und Schuld legitimieren. Was jedoch nicht heißt,<br />

dass Hochleitners Ansatz keine Widersprüche freilegt:<br />

Das Ungesagte gibt es auch hier, aber es liegt mehr in<br />

erlittenem Leid. Der Film rückt zwei Brüder in den Mittelpunkt,<br />

die der Krieg geprägt hat. Er vollzieht die Reaktionen mit, die<br />

die Konfrontation mit der Vergangenheit bei ihnen bewirkt.<br />

Dabei treten auch Perspektiven hervor, die nicht in Einklang zu<br />

bringen sind.<br />

<strong>DIAGONALE</strong><br />

materialien<br />

In jüngerer Zeit haben Filme wie Anja Salomonowitz’ Das wirst<br />

du nie verstehen oder Marcus J. Carneys The End of the Neubacher<br />

Project aufgezeigt, wie sich eine neue Generation mit der<br />

NS-Vergangenheit innerhalb ihrer Familien konfrontiert. Geht es<br />

in diesen beiden Fällen überhaupt erst einmal darum, eine Form<br />

zu finden, in der ein Dialog, ein Austausch möglich wird, und<br />

wenn auch nur als Versuch – so findet sich Hochleitner mit<br />

ihrem Vater und Onkel von Beginn an auf einer anderen, weitaus<br />

offeneren Dialogebene wieder. Hochleitner sucht auch gar keine<br />

Konfrontation, sondern sie ist beobachtende Begleiterin.<br />

Das manifestiert sich schon in einer der ersten Szene, in der sie<br />

die beiden in einem Hotelzimmer filmt, irgendwo nahe der Küste<br />

der Adria. Man hat die erste Etappe hinter sich, und die neue<br />

Umgebung veranlasst vor allem dazu, sich über die Beschaffenheit<br />

der Betten auszutauschen. Es herrscht eine entspannte<br />

Atmosphäre vor, die erste Nuancen im Verhältnis der Brüder<br />

anschaulich werden lässt – und sei es nur, dass es um die<br />

„Unvernunft“ von Ernst geht, der es sich nicht nehmen lässt,<br />

noch heute, in einigermaßen hohem Alter, auf Bäume zu klettern.<br />

Die Nähe der Filmemacherin zu ihren Protagonisten steht außer<br />

Zweifel, weil hier gleich jenes unbeschwerte Miteinander von<br />

Menschen zum Ausdruck kommt, die sich schon lange kennen.<br />

Die Reise erfolgt somit gewissermaßen zu dritt. Sie orientiert<br />

sich zwar an einer Route, die die Geschichte vorgibt. Aber egal<br />

ob im Gehen durch kleine Ortschaften, Wiesen und hügelige<br />

Landschaften, ob während der Fahrt im Auto oder immer wieder<br />

in Hotelzimmern: Hochleitner geht es nicht darum, Gespräche<br />

direkt zu veranlassen (indem sie konkrete Fragen stellt), sondern<br />

darum, die dafür geeigneten Konditionen herzustellen. So sind<br />

es denn auch die beiden Brüder, die als „Fremdenführer“ ihrer<br />

eigenen Vergangenheiten die Initiative übernehmen.<br />

Die Erinnerung stellt sich ein, sobald man auf einen geeigneten<br />

Auslöser trifft. Ernst und Peter ist es durchaus ein Anliegen, sich<br />

über die Ereignisse, die Erfahrungen und die Empfindungen von<br />

damals mitzuteilen. An einer Straße durch eine Ortschaft<br />

sprechen sie darüber, wie sie von Titos Partisanen festgehalten<br />

wurden und von der Befürchtung, nicht am Leben zu bleiben –<br />

im nächsten Moment werden sie von einer streunenden Katze<br />

am Weg abgelenkt: eine frühe, markante Szene für die freie<br />

Form, mit der der Film zwischen den Zeiten wechselt.<br />

Auch die Landschaften werden zu Erinnerungsträgern, ohne dafür<br />

zunächst allzu sinnfällige Zeichen zu liefern. Auf einer Wiese<br />

vermittelt Ernst zwei Kroaten, die ungefähr in seinem Alter sind,<br />

eine Episode aus der Kriegszeit – wie die Partisanen über einen<br />

Hügel kamen und er und ein paar andere sich als letzte auf der<br />

gegenüber liegenden Seite verschanzten. Mit den Armen wild<br />

gestikulierend und die Sprache auf ein Stakkato eingeschränkt<br />

macht er sich den fremden Zuhörern verständlich, dabei wird<br />

Erinnerung nahezu als Affekt greifbar. Dieser stülpt sich gleichsam<br />

über die Umgebung und verwandelt sie für die Dauer der<br />

Erzählung in einen historischen Raum.<br />

3


www.diagonale.at/materialien<br />

Die Szene hat nichts Pathetisches an sich; hier wird die Unmittelbarkeit<br />

einer Erinnerung erfahrbar, die einer Überwältigung<br />

gleicht und die auch bruchlos ins Komische übergehen kann,<br />

sobald die Selbstwahrnehmung des Erzählers ins Spiel kommt.<br />

Aber nicht immer ist der Modus der Erinnerns so nach außen<br />

gerichtet: An einer anderen Stelle, auf einem bewaldeten Hügel,<br />

im Nebel, ist der Tonfall viel leiser und gebrochener: „Die haben<br />

so drauf gezahlt“, heißt es da über die Partisanen – und, mehr<br />

ein Murmeln, hört man noch das Wort „Blödsinn“. Hier wird die<br />

Dimensionierung, die der Film an Geschichte vornimmt, noch<br />

einmal deutlich: Die Zufälligkeit, die es benötigt, an einem<br />

bestimmten Moment als Angehöriger einer Armee einem Feind<br />

gegenüber zu stehen – sie wird hier über ein subjektives<br />

Erinnern nachvollziehbar, in das größere politischen Zusammenhänge<br />

über den Dialog der Brüder eingeschrieben werden.<br />

Dieser Ansatz lässt notwendigerweise Lücken. Das Didaktische,<br />

das einfügen und zuordnen muss, um nachvollziehbar zu<br />

werden, ist Hochleitner fremd.<br />

Ihre Methode manifestiert sich auch an einer besonders<br />

eindringlichen Stelle des Films, in dem es zwischen den Brüdern<br />

zum Disput über eine Familientragödie kommt: Das Setting<br />

verweist hier auf staatliche Erinnerungskultur, ein ausrangierter<br />

Panzer, das Wrack eines Flugzeuges ist zu sehen, dahinter die<br />

Umrisse des Lagers, in dem Ernst nach dem Ende des Krieges<br />

interniert war. Das Gespräch der Brüder führt jedoch zurück an<br />

die heimatliche Alm, ins Jahr 1944. Die SS bereitete in diesem<br />

Jahr eine Razzia in der Gegend um Goldegg vor – und schickte<br />

vorab Spitzel, um Deserteure auszukundschaften. Die beiden<br />

älteren Brüder von Peter und Ernst waren bereits aus dem Krieg<br />

zurück am Hof und wurden, offenbar, weil sie in Kontakt zu<br />

einem Deserteur standen, laut offiziellen Aussagen „auf der<br />

Flucht erschossen“. Ein Ereignis, das im Film nunmehr zu einer<br />

hitzigen Auseinandersetzung um die wahren Umstände des<br />

Geschehens führt, über das die beiden Brüder nicht den<br />

gleichen Wissensstand verfügen. Ernst war noch im Krieg und<br />

hat erst nachträglich Informationen eingeholt, während Peter<br />

das Geschehen vor Ort mitbekam: Er wurde von jenen Männern<br />

in Zivil aufgesucht, die sich später als Angehörige der SS<br />

herausstellten und die den Tod der Brüder verantworteten.<br />

Die Szene bleibt gerade aufgrund ihrer Bedeutung – sie ist von<br />

verhältnismäßig langer Dauer – in dem Sinne roh, als darin das<br />

Geschehen nicht für einen außen stehenden Betrachter<br />

rekonstruiert wird. Vielmehr gibt Hochleitner auch hier die<br />

affektive Qualität des Erinnerns wieder: einen Akt, der die Form<br />

eines Widerstreits annimmt, in dem die Protagonisten auch<br />

immer wieder aus dem Bild rücken. Es gibt kein richtiges Bild<br />

des Vergangenen, scheint diese Szene zu sagen. Hochleitner<br />

hält auch nicht objektive Distanz ein, sondern verschafft sich<br />

aus dem Off Gehör, wenn sie noch auf einmal auf dem Umstand<br />

insistiert, dass die wahren Umstände der Hinrichtung in diesem<br />

Fall wie auch in vielen anderen unter den Tisch gekehrt wurden.<br />

4<br />

#031<br />

Was sich vermitteln lässt, ist dagegen der Verlauf einer Reise,<br />

zu der auch missglückte Anrufe nach Hause gehören.<br />

Das Alltägliche dieses Trips steht in <strong>Zwa</strong> <strong>traurige</strong> <strong>Buam</strong> nicht<br />

unversöhnlich neben dem Alltäglichen von damals, das alles<br />

andere als alltäglich war. Den Endpunkt der Reise nimmt<br />

schließlich die Suche nach jenem Ort ein, in dem Ernst noch<br />

über das Ende des Krieges hinaus <strong>Zwa</strong>ngsarbeit ausüben<br />

musste. Man konsultiert eine Beamtin, ein Dolmetscher wird<br />

engagiert, Dorfbewohner und Passanten werden befragt: Als das<br />

desolate Bauwerk schließlich gefunden wird, kommt Hochleitner<br />

den vorauseilenden Männern mit der Kamera kaum nach.<br />

Im düsteren Inneren des Lagers, zu dem eine Grube gehörte,<br />

wird noch einmal die Vergangenheit durch Ernsts sichtbar<br />

erregten Schilderungen gegenwärtig. Aber noch hier, an diesem<br />

Ort der Gefangenschaft, bleibt der Film am momentanen<br />

Eindruck, an einer Hervorholung von Geschichte und nicht an<br />

ihrer Ausformulierung interessiert. Bis zum Schluss, der<br />

gleichsam die glückliche Rückkehr in die Heimat nachstellt,<br />

behält der Film diesen Gestus bei:<br />

Was auf dem Weg dokumentiert wurde, sind Ereignisse, die in<br />

der Erinnerung verborgen lagen.<br />

Dominik Kamalzadeh ist Kulturjournalist und Filmkritiker<br />

(Der Standard, taz), gelegentlich Kurator (Kinoreal) sowie Redakteur<br />

der Zeitschrift kolik.film. Lebt in Wien.<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Impressum: <strong>DIAGONALE</strong> – Forum österreichischer Film<br />

Rauhensteingasse 5/5, A-1010 Wien, Tel. +43-1-595 45 56<br />

wien@diagonale.at, www.diagonale.at Redaktion: Carla Hopfner<br />

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