Juli/August 2009 (PDF) - An.schläge
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Wohnen in Rosa<br />
Alternative und veränderte Lebensentwürfe bringen auch eine Vielzahl an neuen Wohnformen hervor.<br />
Feministische Wohnprojekte geben den <strong>An</strong>stoß zur Auseinandersetzung mit (Wohn-)Raum, Macht und<br />
Geschlecht. Eine Spurensuche von <strong>An</strong>drea Heinz und Fiona Sara Schmidt.<br />
Herr B. fühlt sich diskriminiert.<br />
Er hatte bei der Wohnbauvereinigung<br />
der Gewerkschaft für<br />
Privatangestellte (GPA) für eine<br />
geförderte Wohnung in einer<br />
<strong>An</strong>lage im 22. Wiener Gemeindebezirk<br />
angefragt. Und war laut eigener Aussage<br />
mit der Begründung abgewiesen<br />
worden, Mietverträge würden ausschließlich<br />
an Frauen vergeben. Bei der<br />
Wohnanlage in der <strong>An</strong>ton-Sattler-Gasse<br />
handelt es sich um das Frauenwohnprojekt<br />
[ro*sa] Donaustadt. Herr F. hat<br />
Beschwerde bei der Gleichbehandlungskomission<br />
eingelegt. 1<br />
Überkommene Raumhierarchien. Der Traum<br />
vom Einfamilienhaus als dem Wohnmodell<br />
für mittelständische, heterosexuelle<br />
Kleinfamilien in „Suburbia“ hat noch<br />
lange nicht ausgedient, sondern wird<br />
ständig medial reproduziert. Er hat aber<br />
seinen normativen Schrecken verloren.<br />
Die feministischen und linken WGs der<br />
1970er Jahre sind zwar längst renoviert,<br />
haben aber dazu beigetragen, dass es<br />
nicht mehr nur einige wenige Möglichkeiten<br />
gibt, Wohnen und Leben zu gestalten.<br />
Durch die demografische Entwicklung<br />
wird es in den westlichen Industriestaaten<br />
zukünftig insgesamt weniger<br />
und ältere Menschen geben, die heterogene,<br />
individualistische Lebensstile<br />
pflegen. Immer mehr Haushalte sind<br />
sogenannte Woman-Headed-Households.<br />
Und als solche, gleich ob es sich<br />
um allein lebende, allein erziehende<br />
oder in Gemeinschaft lebende Frauen<br />
handelt, besonders armutsgefährdet. 2<br />
Mit dem Aufbrechen der traditionellen<br />
Kleinfamilien-Haushalte kommen auch<br />
noch weitere, nur vermeintlich banalere<br />
Probleme hinzu. Denn die verfügbaren<br />
Wohnungen orientieren sich an den Bedürfnissen<br />
herkömmlicher Familienkonstellationen.<br />
Sie sind immer noch zu<br />
einem großen Teil von Männern geplant,<br />
gebaut und gehen in den Besitz<br />
von Männern über. Den Frauen bleibt<br />
die Rolle der „Frau des Hauses“ – und<br />
das hat mehr mit Haus-Haltung als mit<br />
-Gestaltung zu tun. Den alternativen<br />
Wohnformen stehen kaum adäquate<br />
Wohnräume gegenüber: Sie sind zu<br />
groß, zu klein, zu teuer. Und wie selbst<br />
ein großes schwedisches Möbelhaus<br />
bereits erkannt hat:Wohnen bedeutet<br />
noch lange nicht leben.<br />
Das Dekonstruieren von geschlechterspezifischer<br />
Hierarchisierung<br />
im Privaten war eines der Hauptanliegen<br />
der Zweiten Frauenbewegung und<br />
brachte auch innenarchitektonisch<br />
zahlreiche Veränderungen: Die oft kleine,<br />
abgeschiedene Küche hat sich in einen<br />
gemeinsamen Bereich von Küche,<br />
Flur und Wohnzimmer verwandelt und<br />
ist heute auch Ausdruck von gewandelten<br />
Beziehungen zwischen den Ge-<br />
schlechtern und zu Kindern. Das große<br />
Wohnzimmer wird weniger repräsentativ,<br />
sondern variabel genutzt, in ehemaligen<br />
engen Elternschlafzimmern und<br />
Kinderzimmern im hinteren Teil der<br />
Wohnung oder im Dachgeschoss wird<br />
heute auch meditiert oder gearbeitet.<br />
Wände verschwinden bei denen, die es<br />
sich leisten können.<br />
Partizipative Planung. Diverse Frauenwohnprojekte<br />
bieten nicht nur Räume<br />
zum Wohnen, sondern eben auch zum<br />
Leben. Zwei davon sind die [ro*sa]-Projekte<br />
in Wien. Die Idee kam von der Architektin<br />
Sabine Pollak, die auch die<br />
Wohnanlage in der Donaustadt entworfen<br />
hat. Bereits in der Planungsphase<br />
wurde Wert darauf gelegt, dass die<br />
späteren Bewohnerinnen ihre Wünsche<br />
und Bedürfnisse einbringen konnten.<br />
Den alternativen Wohnformen stehen kaum adäquate Wohnräume gegenüber: Sie<br />
sind zu gross, zu klein, zu teuer. Und wie selbst ein grosses schwedisches Möbelhaus<br />
bereits erkannt hat: Wohnen bedeutet noch lange nicht leben.<br />
Die <strong>An</strong>lage Kalypso mit 41 Wohnungen<br />
und einem Büro liegt im Stadtteil Kabelwerk<br />
in Meidling und wird Mitte <strong>August</strong><br />
bezugsfertig sein. 3 Die zweite <strong>An</strong>lage<br />
in Donaustadt wird diesen Winter<br />
fertiggestellt und bietet 38 Mietwohnungen<br />
und ein Büro. 4<br />
„Es schafft Raum für Frauen, Frauen<br />
entscheiden und führen das Wort, die<br />
Macht- und Besitzverhältnisse liegen in<br />
Hand der Frauen, Frauen sollen die Planung<br />
mitbestimmen“, fasst Sabine<br />
Pollak die Ziele zusammen. 5 Gerade die<br />
Tatsache, dass Wohnraum traditionell<br />
geschlechter raum<br />
1 Der Standard, 20.4.<strong>2009</strong><br />
2 Ruth Becker: Lebens- und Wohnformen:<br />
Dynamische Entwicklung mit<br />
Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis.<br />
In: Handbuch Frauen- und<br />
Geschlechterforschung. Theorie,<br />
Methoden, Empirie. Hg. Von Ruth<br />
Becker und Beate Kortendiek.<br />
Wiebaden 2004.<br />
3 www.frauenwohnprojekt.info<br />
4 www.frauenwohnprojekt.org; in<br />
beiden Projekten sind noch Wohnungen<br />
frei<br />
5 Siehe an.<strong>schläge</strong> 04/2003<br />
juli august <strong>2009</strong> an.<strong>schläge</strong> 17