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Juli/August 2009 (PDF) - An.schläge

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digen ökonomischen und sozialen Ressourcen,<br />

um z.B. allein zu erziehen und<br />

gleichzeitig im Selbstausbau ein fortschrittliches<br />

Frauenwohnprojekt mitzuentwickeln<br />

und Genossenschafterin<br />

zu sein (in dem Falle wird Emanzipation<br />

zur Kostenfrage) oder an Planungsprozessen<br />

zu partizipieren, was in hohem<br />

Maße soziale Kompetenzen und<br />

Zeit erfordert. Identitätspolitische Zuschreibungen<br />

im Planerinnendiskurs<br />

gehen oft von der Vorstellung aus,<br />

Frauen seien die humanistisch überlegenen<br />

Planerinnen, die in der Stadt als<br />

vergrößertem Haushalt immer auch<br />

die Familie mitdenken. Oder betonen<br />

die sozialen Kompetenzen der Nutzerinnen,<br />

das unbeachtete Potenzial in<br />

den Wohnquartieren, wo gerade die<br />

weiblichen Kommunikations- und Kooperationsfähigkeiten<br />

integrativ und<br />

auch kontrollierend wirken können.<br />

Oder verweisen auf das quasi-natürliche<br />

Interesse von Frauen an nachhaltiger<br />

Stadtentwicklung und ökologischen<br />

Konzepten – gleichzeitig ein<br />

dickes Paket an Modernisierungsargumenten.<br />

Opferkonstruktion. „Gebaute Gewalt gegen<br />

Frauen: Gewalt besonders begünstigende<br />

Orte sind z.B. Räume ohne<br />

Sicht- und Rufkontakt, die kaum Orientierungsmöglichkeiten<br />

bieten, aber<br />

auch überdimensionierte Straßen,<br />

menschenleere, dunkle Unterführungen“<br />

– städtischer Raum wird zum reinen<br />

„<strong>An</strong>gst-Raum“ für Frauen deklariert<br />

und Frauen als „Subjekten der<br />

<strong>An</strong>gst“ damit ein Opfer-Status zugeschrieben.<br />

Dass neunzig Prozent aller<br />

Gewalttaten gegen Frauen weiterhin<br />

im Haus, innerhalb der familiären<br />

Strukturen, stattfinden, bleibt in diesem<br />

Diskurs unsichtbar. Im Zusammenhang<br />

mit dem Opfer Frau wird oft<br />

das Opfer Kind mitgedacht: Kinder<br />

werden zur kollektiven Folie, stilisiert<br />

zu dem gesellschaftlich und volkswirtschaftlich<br />

sanktionierten Gemeinschaftsgut,<br />

das gegen die in allen städtischen<br />

Winkeln lauernde Gefahr verteidigt<br />

werden muss (Schulweg/Bahnunterführung/<br />

Spritzen). Das<br />

Argument „Mehr Sicherheit für unsere<br />

Kinder“ vereint dann die unterschiedlichsten<br />

gesellschaftlichen Positionen<br />

von sorgenden Müttern bis zu konservativen<br />

Aktivbürgerinitiativen, um im<br />

politisch aufgeheizten Sicherheitsund<br />

Kontrolldiskurs schärfere staatliche<br />

Interventions- und Repressionsmaßnahmen<br />

zu fordern.<br />

Die Opferkonstruktion lenkt den<br />

Diskurs um auf den Entwurf von allgegenwärtigen<br />

Bedrohungsszenarien und<br />

die oft ethnifizierende Markierung gefährlicher<br />

sozialer Gruppen und verunmöglicht<br />

eine breitere Diskussion über<br />

staatliche und privatwirtschaftliche Regulierungsinteressen<br />

in Feldern wie<br />

Drogenpolitik, Sozialpolitik, Stadtentwicklung.<br />

Dadurch bleibt es bei Symptombekämpfungen<br />

und baulichen Interventionen,<br />

strukturelle Widersprüche<br />

werden nicht infrage gestellt. Ein leuchtendes<br />

Beispiel einer solchen Intervention<br />

ist die Rodung und Beleuchtung eines<br />

Parks in Düsseldorf aus Gründen<br />

der Sicherheit für Frauen, wodurch<br />

gleichzeitig ein Aufenthaltsort für DrogenbenutzerInnen<br />

und ein Cruising-Bereich<br />

zerstört wurde. Und: Jeder halbwegs<br />

clevere Investor begrüßt den<br />

Schutz von Frauen mit offenen Armen,<br />

um die verschiedenen Sicherheits- und<br />

Wachschutzkonzepte für seine Immobilie<br />

gesellschaftlich akzeptabel zu machen.<br />

Die vereinheitlichende Funktionalisierung<br />

von Frauen als „Schutzbedürftige“<br />

vernachlässigt die Tatsache, dass<br />

z.B. obdachlose Frauen, Drogenuserinnen,<br />

Migrantinnen, Wagenburgbewohnerinnen<br />

auch zur Zielscheibe von Säuberungs-<br />

und Kontrollmaßnahmen<br />

werden.<br />

Strategienmix. Mit der <strong>An</strong>nahme, dass<br />

Raum sozial hergestellt wird, über Strategien<br />

der Zuschreibung, Markierung<br />

und Konstruktion von Subjekten, und<br />

damit gleichzeitig das Soziale produziert,<br />

neue Bedeutungen hervorbringt<br />

und festschreibt, stellt sich die Frage<br />

nach den Möglichkeiten eines – individuellen<br />

oder kollektiven – Widerstands<br />

gegen diese hegemonialen Wirkungsweisen.<br />

Für einen Kampf um die Definitionsmacht<br />

über den sozialen Raum,<br />

den Zutritt in die öffentliche Sphäre<br />

und den (für einige lebenswichtigen)<br />

Zugang zur Ressource öffentlicher<br />

Der Entwurf eines universellen Planungssubjekts „Frau“ orientiert sich meist<br />

nur entlang der Geschlechterdifferenz, Fragen der Klasse und Ethnizität werden<br />

vernachlässigt. Nicht jede Frau hat den Status einer Staatsbürgerin, ist Mutter<br />

oder verfügt über die notwendigen ökonomischen und sozialen Ressourcen, um<br />

z.B. allein zu erziehen und gleichzeitig im Selbstausbau ein fortschrittliches<br />

Frauenwohnprojekt mitzuentwickeln.<br />

Raum gibt es wahrscheinlich nur eine<br />

Mixtur aus unterschiedlichsten Strategien<br />

und Taktiken.<br />

Wie kann die Bedeutung von Räumen<br />

transformiert werden, die sozialen<br />

Gruppen zugewiesen werden und<br />

deren sozialen Status immer wieder<br />

auch reproduzieren? Wie lassen sich<br />

Identitätszuschreibungen bekämpfen,<br />

zurückschicken, aktiv gegeneinander<br />

ausspielen, welche Taktiken im Gebrauch<br />

von Räumen können neue Zugangsmöglichkeiten<br />

eröffnen, wie lassen<br />

sich Raumzuweisungen unterlaufen<br />

und Alternativen artikulieren? Wie<br />

können feministische Forderungen in<br />

Stadtdiskurs und -politik eingeschleust<br />

werden, ohne in die Fallen essenzialistischer<br />

Subjektproduktionen zu treten?<br />

Wie können Bedürfnisse artikuliert<br />

und politisch wirksam gemacht<br />

werden, ohne dass sie in Definitionen<br />

umschlagen und institutionalisiert<br />

werden? Was kann „Raumgreifen" in<br />

einer Zeit bedeuten, in der die von der<br />

Frauenbewegung erkämpften institutionellen<br />

und räumlichen Zugangsmöglichkeiten<br />

und die autonomen<br />

„Freiräume" weggespart werden? Wie<br />

lassen sich verschiedene Handlungsformen<br />

entwickeln, im symbolischen<br />

Feld wie auch in der politischen, öffentlichen<br />

Sphäre? ❚<br />

raum geschlechter<br />

Dieser Text entstand 1996 anlässlich<br />

von „common?spaces –<br />

common?concerns“, einem Projekt<br />

zu Feminismus, Stadt und Neuen<br />

Ökonomien im Berliner Projektraum<br />

Klasse Zwei, konzipiert von <strong>An</strong>ke<br />

Kempkes und Katja Reichard.<br />

juli august <strong>2009</strong> an.<strong>schläge</strong> 21

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