Daher gibt es für ambitionierte Wissenschaftler in der Regel nur eine Alternative: Sie müssen diese Entwicklung selbst in die Hand nehmen und ihr akademisches Umfeld verlassen. Wie steinig dieser Weg ist, hat Harpreet Singh erlebt. „<strong>Wir</strong> haben ab dem Jahr 2000 über eine Unternehmensgründung Immuntherapie <strong>gegen</strong> <strong>Krebs</strong> – vier Wege, ein Ziel. <strong>Antisense</strong> <strong>Pharma</strong>, Ganymed, Micromet und Immatics rücken dem <strong>Krebs</strong> auf unterschiedliche Art und Weise zu Leibe. Gut möglich, dass alle vier Konzepte am Ende zu einem Medikament führen. Denn bei etwa 200 verschiedenen <strong>Krebs</strong>arten und Tumoren, die je nach genetischer Ausstattung unterschiedlich auf bestimmte Medikamente reagieren, ist Raum für viele Ansätze und möglicherweise auch Kombinationstherapien. // <strong>Antisense</strong> <strong>Pharma</strong> versucht, mit dem <strong>Wir</strong>kstoff Trabedersen die Bildung des sogenannten TGF-beta2 zu verhindern. „Das ist ein Stoff, der in gesunden Zellen eines Erwachsenen nichts zu suchen hat“, erklärt Firmenchef Karl-Hermann Schlingensiepen. „Wenn TGF-beta2 beim Erwachsenen von <strong>Krebs</strong>zellen gebildet wird, verhindert es die Erkennung der durch Zellentartung fremd gewordenen Tumorzellen und sorgt zusätzlich für das explosionsartige Wachstum sowie die Ausbreitung von Tumoren durch die gefürchteten Metastasen.“ Trabedersen macht den Bauplan des TGF-beta2 unlesbar, so dass die Erkennung von Tumorzellen wieder möglich wird. „Dann kann das Immunsystem wieder seine Arbeit machen. <strong>Wir</strong> wissen heute, dass es im Prinzip in der Lage ist, jede einzelne <strong>Krebs</strong>zelle im Körper aufzuspüren und zu zerstören.“ // Immatics Biotechnologies sucht tumorspezifische Oberflächenstrukturen und bildet diese Strukturen – sogenannte tumorassoziierte Peptide – in Form von kurzen Eiweißbruchstücken künstlich nach und kombiniert sie zu einem Impfstoff, der <strong>Krebs</strong>patienten verabreicht wird. „Der Patient erhält den Peptid-Cocktail zusammen mit einem Hilfsstoff in die Haut gespritzt“, sagt Singh. „Dort trifft die Mischung auf einen bestimmten Typ von Abwehrzellen. Diese nehmen die Peptide auf und erzeugen ein Signal, das eine zweite Gruppe von Immunzellen, die T-Zellen, aktiviert und in sogenannte Killerzellen verwandelt.“ Die Killerzellen machen sich dann auf, um nach dem Peptid-Motiv zu suchen. Zellen, die zu diesem „immunologischen Steckbrief“ passen, werden abgetötet. Gleichzeitig wandert der Steckbrief in das Immungedächtnis, so dass auch Jahre nach der Impfung noch Schutz bestehen kann. „Der how to earn it BIOTECH-FORSCHUNG nachgedacht und waren damals der Ansicht, dass unser Konzept wesentlich tragfähiger war als das vieler anderer Unternehmen, die zu dieser Zeit den sogenannten Neuen Markt bevölkerten. Doch dann platzte die Börsen-Blase und es war fast unmöglich, Kapital einzuwerben.“ > Vorteil unseres Ansatzes ist, dass wir nicht nur genau wissen, welche Oberflächenstrukturen der <strong>Krebs</strong>zelle wir angreifen, sondern dass wir auch gleich mehrere Strukturen des Tumors gleichzeitig angehen. Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass die <strong>Krebs</strong>zelle der Immunantwort entgeht“, so Singh. // Ganymed <strong>Pharma</strong>ceuticals sucht ebenfalls nach charakteristischen Strukturen, die nur auf der Oberfläche von <strong>Krebs</strong>zellen vorkommen. Da<strong>gegen</strong> entwickelt das Unternehmen Antikörper, die dem Patienten verabreicht werden. Diese spüren die passenden Gegenstücke im Körper auf, verbinden sich mit ihnen und geben damit das Startsignal zu deren Zerstörung. „Nur wenn man wirklich zu 100 Prozent krebsspezifische Strukturen gefunden hat, kann man den Antikörper so potent machen und so hoch dosieren, wie es sinnvoll ist“, erläutert Özlem Türeci, Gründerin der Ganymed <strong>Pharma</strong>ceuticals AG, die Strategie. „Ohne diese Information müsste sozusagen mit angezogener Handbremse gefahren werden, weil die volle Zerstörungskraft der Antikörper sich dann unausweichlich auch <strong>gegen</strong> normale Zellen richten würde. Solche krebsspezifischen Strukturen zu finden, gleicht der Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen. Aber wir haben gezeigt, dass wir das können.“ // Micromet entwickelt einen völlig neuen Typus von Antikörpern. „Unsere sogenannten BiTE-Antikörper“, erläutert Dr. Patrick Baeuerle, Forschungsvorstand des in München gegründeten Biotechnologie-Unternehmens, „binden sich nicht nur an eine bestimmte, charakteristische Oberflächenstruktur auf Tumorzellen, sondern auch an eine zweite Struktur auf T-Zellen, den stärksten Immunzellen in unserem Körper. Sie sind also bi-spezifisch, daher der Name BiTE, der für ‚bispezifische, T-Zellenengagierende Antikörper‘ steht. Durch diese Eigenschaft führen BiTE- Antikörper die für <strong>Krebs</strong>zellen tödlichen T-Zellen aktiv an den Tumor heran und veranlassen sie, die Tumorzellen effektiv zu zerstören. Danach können die T-Zellen sich gleich die nächste <strong>Krebs</strong>zelle vornehmen. <strong>Wir</strong> benötigen hierfür nur geringste Mengen des Medikaments.“ 04.10 pw 21
RIEDEL GLASS WORKS how to earn it Patrick Baeuerle, Forschungsvorstand von Micromet. Das in München ansässige deutsch-amerikanische Unternehmen beschäftigt in München und Bethesda (USA) 120 Mitarbeiter. 30 pw 04.08