Die traurige Parodie des Unterlegenen*
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<strong>Die</strong> <strong>traurige</strong> <strong>Parodie</strong> <strong>des</strong> Unterlegenen 273<br />
Antisemitismus ist heutzutage ein unerträglicher Vorwurf, den niemand auf sich sitzen<br />
lassen kann.” 11 Antisemitismuskarte funktioniert im Grunde wie die rote Karte im Sport,<br />
bei der ein Spieler aus dem Spiel geworfen wird, und bedeutet für ihn “die perfekte<br />
Verunmöglichung <strong>des</strong> Daseins” 12 in Deutschland. Im Rückblick auf die damalige<br />
gesellschaftliche Lage scheint uns, dass Walser dieser Vorwurf tiefer getroffen und<br />
verletzt hat, als Ranicki die Rede von Walser. 13<br />
II. Der Doppelgänger-Roman wie die Doppelgänger-Rede<br />
<strong>Die</strong> Brandmarke, die der unrechte Antisemitismusverdacht bei Walser hinterließ, ist<br />
nicht verschwunden. Vier Jahre später, kaum als Walser seinen Roman Tod eines<br />
Kritikers als die Vorabdrucksmanuskript Frank Schirrmacher geschickt hatte, wurde er<br />
erneut mit Antisemitismusvorwürfen belastet.<br />
Frank Schirrmacher, der in Paulskirche für den Preisträger die Laudatio gesprochen<br />
hatte, denunzierte dieses Mal in einem offenen Brief; dieser Roman sei “nichts anderes<br />
als Mordphantasie”. Es gehe “nicht um die Ermordung <strong>des</strong> Kritikers als Kritiker”,<br />
sondern “um den Mord an einem Juden.” Das “Repertoire antisemitischer Klischees” sei<br />
“unübersehbar”. 14 Er verlangte <strong>des</strong>halb sogar, der Suhrkamp Verlag soll diesen Roman<br />
nicht veröffentlichen. <strong>Die</strong>ter Borchmeyer kommentiert verblüfft, das sei “fast justiziabler<br />
Vorwurf”. 15<br />
41/42, München 2000. S. 19-43.<br />
11 Joachim Kaiser: “Logisch nicht zu halten”, interviewt von Moritz Schwarz, in: Der Streit um<br />
Martin Walser, Beiträge und Interviews von Eckhard Henscheid, Joachim Kaiser, Heimo<br />
Schwilk, Martin Walser, Günter Zehm u.a., Edition Junge Freiheit Verlag, Berlin 2002,<br />
(unten Streit) S. 55.<br />
12 Ralf Oldenberg: S. 206.<br />
13 Reich-Ranicki hat in seinem Buch Mein Leben geäußert: “Ich will nicht verheimlichen,<br />
daß mich Walsers Rede tief getroffen und verletzt hat.” Aber nun die Frage: was hat er<br />
dadurch verloren? Vgl.: Marcel Reich-Ranicki: a.a.O., S. 550.<br />
14 Frank Schirrmacher: F. A. Z. (29. 05 2002).<br />
15 <strong>Die</strong>ter Borchmeyer: a.a.O., in: Ernstfall, S. 49.