Plädoyer für eine Korpuslinguistik*
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<strong>Plädoyer</strong> <strong>für</strong> <strong>eine</strong> Korpuslinguistik 391<br />
liefert, als "Beispiele von Zergliederungen einfacher Sätze" (Paul o.J., 228) folgende<br />
Sätze:<br />
“Der Strebsame lernt. Der Fleißige schreibt das Diktat. Die Schülerin übergibt dem<br />
Lehrer den Aufsatz. Der Hauptmann kommandierte heute den Gefreiten zum<br />
Schießstand. Das scheue Reh flüchtete beim Schuß des Jägers eiligst in das dichte<br />
Unterholz. In <strong>eine</strong>m strengen Winter trieb der Hunger ein erschöpftes Rotkehlchen<br />
an das Fenster <strong>eine</strong>s thüringischen Landmannes. Der schwer Erkrankte bedarf sofort<br />
des Arztes.”<br />
Diese Sätze können auch heute noch ohne Zweifel als 'wohl geformt' angesehen<br />
werden. Doch auch hier stellt sich sofort die Frage, ob auch vor etwa 100 Jahren jemand<br />
wirklich so gesprochen hat. Etwas später wird dann <strong>eine</strong> aufschlussreiche 'Regel'<br />
formuliert:<br />
"Präge dir genau ein, auf welche Fragen die einzelnen Satzteile antworten. Wenn du<br />
in Briefen, Berichten usw. Sätze schreibst, so befleißige dich, möglichst kurze Sätze<br />
zu bilden[,] und überlege, welche Satzteile darin vorkommen." (Paul o.J., 232)<br />
Die "Fragen", auf die "die einzelnen Satzteile antworten", sind die bekannten<br />
schulgrammatischen Analysefragen 'Was wird in diesem Satze ausgesagt?', 'Wer oder<br />
was lernt?' usw. Unklar ist allerdings in der zitierten 'Regel', inwiefern der Rat,<br />
"möglichst kurze Sätze zu bilden", mit der "Zergliederung" zusammenhängt; und auch<br />
die Aufforderung, zu überlegen, "welche Satzteile" in den Sätzen derer, die "Briefe,<br />
Berichte usw." schreiben, "vorkommen, lässt offen, was diese Überlegungen zur<br />
Wohlgeformtheit der Sätze - nur darum geht es in dem vorliegenden Buch mit s<strong>eine</strong>r<br />
Auffassung vom Nutzen der Grammatik - beitragen. Dem entsprechend heißt es zu<br />
Beginn des Kapitels "Von der Satzzergliederung" aufschlussreich:<br />
"Die Zergliederung kürzerer und längerer Sätze ist außerordentlich bildend, und<br />
empfehlen wir daher, das Zergliedern fortgesetzt zu wiederholen." (Paul o.J., 227)
392 독일문학 제87집<br />
Grammatische Analysen sind also "außerordentlich bildend", und es ist ansch<strong>eine</strong>nd<br />
der Zweck des vorliegenden Buches, diese Art der Bildung zu vermitteln. Zweck des<br />
vorliegenden Buches ist es auch, zu fehlerfreiem Deutsch zu befähigen (dazu s.u.);<br />
dennoch finden wir in obigem Zitat <strong>eine</strong> Inversion nach und, was wohl zu k<strong>eine</strong>r Zeit als<br />
fehlerfreies Deutsch gegolten hat.<br />
Beide bislang erwähnten Grammatiken, so unterschiedlich sie im einzelnen sind,<br />
vermitteln in mindestens <strong>eine</strong>m Punkt ein einheitliches Bild: Sie verwenden nur<br />
Beispiele, die von den Autoren stammen, die also nie in 'natürlichen' Situationen - dazu<br />
würde ich auch die 'literarische' Situation rechnen, in der ein Autor mit <strong>eine</strong>m Text <strong>eine</strong><br />
'literarische' Textwelt konstruiert - geäußert wurden, sondern einzig zu dem Zweck<br />
gebildet worden sind, ein grammatisches Phänomen zu illustrieren. Dabei entsteht leicht<br />
der Verdacht, dass solche Autoren zirkulär vorgehen: Sie stellen ein grammatisches<br />
Phänomen fest und formulieren dazu ein illustratives Beispiel, das wiederum beweisen<br />
soll, dass es das grammatische Phänomen gibt. Ob diese Phänomene in der sprachlichen<br />
Lebenswirklichkeit der Sprecher auch verwendet werden, interessiert nicht.<br />
Und da Grammatik zuvörderst <strong>eine</strong> Bildungsaufgabe zu haben scheint, haben auch<br />
die Beispiele bildungssprachlichen Charakter. Dazu kommt auch, dass objektsprachliche<br />
Beispiele nicht nur grammatische Regeln illustrieren, sondern auch allgem<strong>eine</strong><br />
Lebensregeln vermitteln sollen:<br />
“So wie der Weihrauch das Leben <strong>eine</strong>r Kohle erfrischet, so erfrischet das Gebet<br />
die Hoffnungen des Herzens. Davon wird <strong>eine</strong>r nicht arm, daß er gerne gibt. Es<br />
wird <strong>eine</strong>r davon nicht stark, daß er gerne Wein trinkt.” (Basler 1935, 242f.)<br />
Man kann sich gut vorstellen, dass Zitate etwa aus 'naturalistischen' Schriftstellern<br />
hier k<strong>eine</strong>n Platz haben. Zudem wird oft genug auch <strong>eine</strong> fundierte literarische Bildung<br />
erwartet:
<strong>Plädoyer</strong> <strong>für</strong> <strong>eine</strong> Korpuslinguistik 393<br />
Der Fuchs sagte, die Trauben wären ihm zu sauer. (Willomitzer-Tschinkel 1930,<br />
264)<br />
Als metasprachlichen Kommentar zu diesem Beispiel finden wir:<br />
"Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit, Glaubhaftigkeit und Unglaubhaftigkeit, Eintreten<br />
<strong>für</strong> <strong>eine</strong> Meinung und Bezweifeln <strong>eine</strong>r solchen, Verneinung und Bejahung müssen<br />
sorgsam durch die verschiedenen Zeitformen der verbindenden Art auseinandergehalten<br />
werden, u. zw. entspricht der Wirklichkeit usw. die verbindende Art Gw. [=Konjunktiv<br />
Präsens bzw. Konj. I], der Nichtwirklichkeit usw. die verbindende Art Mvgh.<br />
[=Konjunktiv Präteritum bzw. Konj. II]." (Willomitzer-Tschinkel 1930, 265)<br />
Das zitierte Beispiel ist in s<strong>eine</strong>r Aussage- bzw. Illustrationskraft nur dann<br />
verständlich, wenn man die zugrunde liegende Fabel vom Fuchs mit den sauren Trauben<br />
kennt. Wenn dies nicht der Fall ist, dann ist der Zweck des Ganzen nicht erreicht, zumal<br />
Formulierung der metasprachlichen Regel alles andere als einfach ist.<br />
Diese vier - zufällig ausgewählten - Grammatikbücher aus der ersten Hälfte des 20.<br />
Jahrhunderts (die <strong>für</strong> zahlreiche weitere stehen können) informieren, meist schon auf<br />
dem Titelblatt, explizit über ihre Zielsetzung:<br />
Paul o.J.:<br />
"Deutsch wie es fehlerlos geschrieben und gesprochen wird"<br />
"Neue deutsche Sprachlehre <strong>für</strong> den Selbst-Unterricht"<br />
Willomitzer-Tschinkel 1930:<br />
"Deutsche Sprachlehre <strong>für</strong> Mittelschulen" [=Gymnasien]<br />
Basler 1935:<br />
"Eine Anleitung zum Verständnis des Aufbaus unserer Muttersprache"<br />
Jakobsson/Öhmann 1948:<br />
Lehrbuch <strong>für</strong> Deutsch Lernende in Finnland<br />
Diese vier Bücher haben also zielen also auf ganz unterschiedliche Rezipienten.
394 독일문학 제87집<br />
Dennoch demonstrieren die obigen Beispiele eindringlich den eigentlichen Zweck dieser<br />
Bücher: Sie vermitteln <strong>eine</strong> bestimmte Art von Bildung und wählen demnach auch die<br />
Stilebene aus. Ob im täglichen Leben tatsächlich jemand so schreibt oder spricht, ist in<br />
k<strong>eine</strong>r Weise das Problem. Deshalb ist es auch aus der Sicht der Verfasser solcher<br />
Grammatiken auch kein Problem, dass die meisten objektsprachlichen Beispiele von<br />
ihnen selbst stammen, einige wenige sind Zitate aus Klassikern oder erhebende<br />
Sentenzen.<br />
Mit der 'linguistischen Wende' nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich das Bild<br />
grundlegend geändert. Gehen wir gleich in die jüngste Vergangenheit. In der so<br />
genannten 'IDS-Grammatik' (Zifonun et al. 1997) beobachtet Johannes Erben <strong>eine</strong> Reihe<br />
von "papierdeutsche[n] Linguistenkonstruktionen:<br />
“Ihre Ideen sind lachsrot, isolierverglast und ungefähr 3 cm lang. Peter bekommt<br />
von s<strong>eine</strong>r Mutter das Lügen verboten. Frieder läßt Eva Matthias <strong>eine</strong>n Kuss geben.<br />
Adam läßt Eva Monika Peter Paul ein Schwein schlachten lassen lassen lassen.”<br />
(Erben 1998, 369f.)<br />
Zum letzten Beispielsatz notiert Erben (1998, 370), dass solche 'Beispiele' "eher in<br />
die Ulkzeitung <strong>eine</strong>s Seminarabschlußfestes als in ein seriöses Handbuch" gehörten. Wie<br />
dem auch sei, man fragt sich hier unwillkürlich, was überhaupt ein 'Beispiel' resp. ein<br />
'Beispielsatz' ist und was es/er leisten soll. Im herkömmlichen Sprachgebrauch ist ein<br />
Beispiel ein "beliebig herausgegriffener, typischer Einzelfall (als Erklärung <strong>für</strong> <strong>eine</strong><br />
bestimmte Erscheinung od. <strong>eine</strong>n bestimmten Einzelfall" (Duden 1999, 2, 510).<br />
Selbstkonstruierte Sätze sind aber k<strong>eine</strong> 'Beispiele' als 'beliebig herausgegriffene,<br />
typische Einzelfälle', sondern der Versuch, etwas zu beweisen, was ein Grammatiker<br />
nicht oder nicht so leicht gefunden hat, sodass er sich den Beweis <strong>für</strong> <strong>eine</strong> These selbst<br />
schafft.<br />
Zum letzten oben aufgeführten 'Beispiel' vermerken die Autoren der
<strong>Plädoyer</strong> <strong>für</strong> <strong>eine</strong> Korpuslinguistik 395<br />
IDS-Grammatik, dass uns "solche Konstruktionen fast an die Grenzen unserer<br />
Sprachkompetenz" (Zifonun et al. 1997, 725) führen. Es überrascht daher nicht, dass sich<br />
in 'echten' Texten Derartiges kaum findet, es sei denn, dass ein Sprecher/Autor bewusst<br />
solche Grenzen demonstrieren will.<br />
Derartige Fälle zeigen deutlich, dass sich die Funktion von 'Beispielen' in<br />
Grammatiken grundlegend geändert hat. Es geht nicht mehr um ein Bildungsgut, gleich<br />
welcher Art, sondern es ist die mehr oder weniger deutlich erklärte Absicht, 1. mit<br />
'Beispielen' grammatische Probleme zu kreieren, die dann vom jeweiligen Grammatiker<br />
gelöst werden, oder/und 2. die Probleme, die sich der Grammatiker selbst geschaffen hat,<br />
zu illustrieren. Es geht also die 'Theorie' voran, zuerst gibt es ein Problem, das meistens<br />
aus <strong>eine</strong>r Theorie resultiert, und dieses wird dann auch gleich gelöst. Fraglich bleibt nur,<br />
ob damit der Bau <strong>eine</strong>r Sprache beschrieben wird, was ja die vornehmste Aufgabe <strong>eine</strong>r<br />
Grammatik wäre, oder solches Vorgehen nicht eher der Selbstdarstellung <strong>eine</strong>s<br />
Grammatikers dient.<br />
Wohl auch deshalb finden sich immer wieder 'Beispielsätze', die in k<strong>eine</strong>m 'natürlich'<br />
entstandenen Text zu finden sind. Mit anderen Worten, zahlreiche Beispiele verdanken<br />
ihre Existenz nur dem Problembewusstsein des Grammatikers, in natürlichen sprachlichen<br />
Situationen würden sie nie oder höchst selten gebildet. In <strong>eine</strong>r 'Einführung' in die deutsche<br />
Gegenwartsgrammatik (Sommerfeldt/Starke/Nerius 1981 und Sommerfeldt/Starke 1992)<br />
stoßen wir u.a. auf folgende 'Beispiele':<br />
(1) die dem Jungen <strong>eine</strong>n Apfel gebende Mutter.<br />
(2) Nachdem der Angler drei Stunden geduldig gewartet hatte, fing er <strong>eine</strong>n<br />
prächtigen Fisch.<br />
(3) Jetzt ist aber genug herumgetollt!<br />
(4) Der Junge besteigt den Zug, denn er fährt nach Hause.<br />
(5) das ihm vom Vater überreichte Geschenk; das vom Lehrer dem Schüler<br />
überreichte Zeugnis<br />
(6) Die neuen Hochschullehrbücher sind schon vom Verlag herausgegeben.<br />
(7) das Bedauern der grundlosen Heftigkeit
396 독일문학 제87집<br />
(8) der auf das Geschenk gespannte Junge<br />
In all diesen Fällen handelt es sich um kontextfreie Beispiele. Und das ist das erste<br />
Problem. In der Regel sprechen wir nie kontextfrei, genau so wie wir nie nicht in <strong>eine</strong>r<br />
Situation sind. Wir sprechen auch nicht zu dem Zweck, möglichst schöne Strukturen zu<br />
generieren, sondern wir sprechen, um Bewusstseinsinhalte 'auszudrücken' und dadurch<br />
kommunizierbar zu machen. Und hier beginnt das Problem: Die Nominalgruppen (1), (5)<br />
und (7) mögen strukturell irgendwie grammatisch sein; doch es schwer vorstellbar, dass<br />
sie tatsächlich so geäußert werden. Sie bringen uns nicht "an die Grenzen unserer<br />
Sprachkompetenz", sondern in erster Linie an die Grenzen unserer<br />
'Dekodierungskompetenz'; sie sind schwer verständlich und letztlich so komplex, dass<br />
sie zwar möglich, aber kaum denkbar sind. Bei Grammatikern bestimmter theoretischer<br />
Richtungen werden solche Beispiele gerne formuliert, um dann zu zeigen, mit welchen<br />
'transformatorischen Zyklen' dies Syntagmen (noch) grammatisch sind.<br />
Bespiel (7) ist besonders eindrucksvoll, weil es ausdrucksseitig scheinbar einfach ist.<br />
Zugrunde liegt der Satz Jemand bedauert die grundlose Heftigkeit. Doch auch dieser<br />
Satz ist zumindest 'merkwürdig': Das Substantiv Heftigkeit ist als Ableitung von <strong>eine</strong>m<br />
Adjektiv ein Valenzträger, man erwartet also die Nennung der Person, die heftig war:<br />
Jemand bedauert s<strong>eine</strong> grundlose Heftigkeit. Bei transitiven Verben erfolgt die<br />
Substantivierung häufig über das Passiv: Der Baulöwe bebaut des Grundstück → die<br />
Bebauung des Grundstücks durch den Baulöwen. Dies sollte, besonders nach Meinung<br />
mancher Grammatiker, auch <strong>für</strong> (7) gelten. Das Konversionsprodukt Bedauern wird nur<br />
aktivisch verwendet Alle Aussagen, die sich auf die tatsächliche Verwendung<br />
sprachlicher Zeichen beziehen, greifen auf ein kl<strong>eine</strong>s Korpus (ungefähr 600.000<br />
Wörter) aus 10 dtv-Texten aus dem Jahre 1993 zurück; dieses Korpus steht am Lehrstuhl<br />
<strong>für</strong> deutsche Sprachwissenschaft der Universität Würzburg zur Verfügung., d.h. dass das<br />
Genitivadjunkt Als 'Adjunkt' bezeichne ich Satzgliedteile, die von der Valenz <strong>eine</strong>s<br />
Nomens determiniert sind. oder das Possessivpronomen das Subjekt des Basissatzes<br />
repräsentieren:
<strong>Plädoyer</strong> <strong>für</strong> <strong>eine</strong> Korpuslinguistik 397<br />
..., worauf der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, Gerald Ford, den<br />
Hinterbliebenen öffentlich das Bedauern der Nation zum Ausdruck brachte.<br />
(Hofmann 1993, 74)<br />
Ich holte Robert - sehr zum Bedauern von Lilli und Sepp, die ihn nicht genug<br />
loben konnten - am Freitagnachmittag ab. (Pausewang 1993, 79f.)<br />
Ich gab m<strong>eine</strong>m Bedauern Ausdruck, daß die vielversprechend begonnenen<br />
Untersuchungen mit LSD und Psilocybin an der Harvard-Universität in <strong>eine</strong>r Weise<br />
ausgeartet waren, daß ihre Fortführung im akademischen Rahmen unmöglich wurde.<br />
(Hofmann 1993, 84)<br />
Wenn kein solches Adjunkt vorhanden ist, dann ist die bedauernde Person aus dem<br />
Kontext heraus eindeutig erschließbar:<br />
Sein Ableben hatten sie mit Bedauern zur Kenntnis genommen. (Demski 1993, 335)<br />
Die Schule kam bei all diesen Verpflichtungen etwas zu kurz. Sie verließ sie ohne<br />
Bedauern und bekam sofort <strong>eine</strong> Stelle als Metzgerlehrling. (Demski 1993, 343)<br />
Aber selbst <strong>eine</strong> Ablehnung wird man leichter entgegennehmen, wenn echtes<br />
Bedauern mitklingt. (Möckel 1993, 133)<br />
(8) klingt wie die Beschreibung <strong>eine</strong>r Folter. Dies resultiert daraus, dass das Adjektiv<br />
gespannt nur prädikativ verwendet wird:<br />
An dieses System hat sich Dan schnell gewöhnt, er vergißt das Umblättern abends<br />
kaum und ist an jedem Wochenende gespannt, was ihn erwartet. (Möckel 1993, 70)<br />
Wir waren sehr gespannt, ob er die Veränderung akzeptieren würde. (Möckel 1993,<br />
168)<br />
Der Junge war unterwegs gespannt und verhalten fröhlich gewesen. (Möckel 1993,<br />
179)<br />
Der Verleger unterbrach ihn. "Nein nein", sagte er, "erzählen Sie nichts, schreiben<br />
Sie alles auf. Ich bin sehr gespannt. Sie haben verstanden, worum es geht."<br />
(Spinnen 1993, 170)<br />
In anderen Verwendungen begegnet gespannt als <strong>eine</strong> Prädikativangabe:
398 독일문학 제87집<br />
Kannten Sie ihn? fragte die Frau gespannt. (Demski 1993, 1) [← fragte die Frau;<br />
sie war gespannt]<br />
Gespannt wartete ich auf Normans Rückkehr. (Huber 1993, 7) [← ich wartete; ich<br />
war gespannt]<br />
Als ich sie ihm brachte, standen Oma und Opa am Bett, gespannt, als gäbe es<br />
<strong>eine</strong>n Krimi zu sehen. (Möckel 1993, 66) [← sie stande am Bett; sie waren<br />
gespannt]<br />
In <strong>eine</strong>m Beleg wird gespannt als adjektivisches Attribut verwendet, allerdings nicht<br />
zu <strong>eine</strong>r Personenbezeichnung:<br />
Rembrandt dagegen malte den Augenblick vor dem Wunder, <strong>eine</strong> Danae in<br />
gespannter Erwartung - wie wird er kommen? (Fink 1993, 31)<br />
Die beiden Sätze (2) und (4) verstoßen zwar nicht gegen irgendwelche<br />
grammatischen Regeln, sie muten dennoch 'merkwürdig' an, was wohl auf die<br />
kontextfreie Kombination von zwei Prädikationen zurück zu führen ist.<br />
ad (2): Dieses Satzgefüge drückt den Sachverhalt aus, dass ein Angler <strong>eine</strong>n Fisch<br />
gefangen hat. Zuvor hat der Mann längere Zeit gewartet. Und hier beginnt das Fragen:<br />
Worauf hat der Angler drei Stunden lang gewartet. Dazu kommt, dass die Handlung des<br />
Wartens vor der des Fangens stattgefunden hat; dies erfahren wir durch die Subjunktion<br />
nachdem. Zwei Handlungen stehen also zueinander im Verhältnis der zeitlichen<br />
Sukzession, wobei man darüber streiten kann, ob das Fangen <strong>eine</strong>s Fisches tatsächlich<br />
<strong>eine</strong> (intentionale) Handlung oder nicht doch einfach ein Vorgang ist. Es schiene daher -<br />
wir bleiben weiterhin kontextfrei - wohl sinnvoller, auch im Temporalsatz <strong>eine</strong>n Vorgang<br />
zu verbalisieren:<br />
(2') Nachdem der Angler drei Stunden k<strong>eine</strong>n Erfolg gehabt hatte, fing er <strong>eine</strong>n<br />
prächtigen Fisch.
<strong>Plädoyer</strong> <strong>für</strong> <strong>eine</strong> Korpuslinguistik 399<br />
ad (4): Wir haben es hier mit <strong>eine</strong>r Satzreihe zu tun, wobei der zweite Satz mit der<br />
kausalen Konjunktion denn eingeleitet wird, die hier <strong>eine</strong> Sachverhaltsbegründung<br />
ausdrückt. Im ersten Satz geht es wiederum um <strong>eine</strong> Handlung, die durch <strong>eine</strong> zweite<br />
Handlung begründet wird. Und hier sehe ich das Problem: Der zweite Satz müsste eher<br />
<strong>eine</strong> Absicht ausdrücken, die das Motiv <strong>für</strong> die Handlung des erstens Satzes darstellt:<br />
(4') Der Junge besteigt den Zug, denn er will nach Hause fahren.<br />
Es ist durchaus möglich, auch <strong>für</strong> die ursprünglichen Formulierungen von (2) und<br />
(4) sinnvolle Kontexte zu finden; doch beim Lesen der kontextfreien 'Beispiele' in den<br />
Grammatiken keimt der Verdacht, dass der jeweilige Grammatiker nur zeigen wollte,<br />
dass er <strong>eine</strong>n temporalen Nebensatz oder <strong>eine</strong>n Hauptsatz mit der Konjunktion denn<br />
bilden kann, ohne sich viel Gedanken darüber machen zu wollen, ob man tatsächlich so<br />
spricht.<br />
Der letzte Sinn selbstkonstruierter objektsprachlicher 'Beispiele' kann also nur der<br />
sein, schnell <strong>eine</strong>n Beleg da<strong>für</strong> zu finden, was man immer schon gewusst hat. In diesem<br />
Fall haben wir es nicht mit <strong>eine</strong>r Grammatik zu tun, die von der 'Parole' ausgeht und über<br />
die 'Norm' (im Sinne Eugenio Coserius) möglicherweise zum 'System' kommt, sondern<br />
beschrieben und (vielleicht auch:) erklärt werden einzig und allein das Sprachwissen und<br />
die introspektive Phantasie von Grammatikern.<br />
II. Ein möglicher Ausweg: Korpora<br />
Es scheint also - vorsichtig formuliert - nicht sehr sinnvoll zu sein, <strong>eine</strong> Grammatik<br />
und - auch dies können wir auch auf andere sprachwissenschaftliche Disziplinen<br />
ausdehnen - auf der Basis von selbstkonstruierten Beispielen, mithin auf das Basis<br />
individueller Introspektion zu schreiben. Jeder von uns macht schon die Erfahrung:<br />
Wenn man nur lange genug nachdenkt, dann wird alles möglich, dann werden die
400 독일문학 제87집<br />
absonderlichsten Konstruktionen wohlgeformte Äußerungen, wie man zahlreichen<br />
Arbeiten gerade aus der generativen Richtung (ganz gleich welcher Version) entnehmen<br />
kann.<br />
Spätestens an dieser Stelle unserer Überlegungen rächt sich die Tatsache, dass die<br />
Sprachwissenschaft - dies im Gegensatz zur Geschichtswissenschaft - es bis heute<br />
verabsäumt hat, <strong>eine</strong> spezifische Quellentheorie zu entwickeln. 'Quellen' sind, ganz<br />
allgemein formuliert, die Orte bzw. die Verfahrenweisen, an oder mit denen wir<br />
sprachliche Daten <strong>für</strong> linguistische Zwecke gewinnen können.<br />
Grundsätzlich ist es möglich, sprachliche Daten aus vier unterschiedlichen<br />
Quellentypen zu gewinnen:<br />
(1) durch Introspektion,<br />
(2) durch Informantenbefragung,<br />
(3) durch <strong>eine</strong> Belegsammlung ('Zettelkasten', ganz gleich ob manuell oder<br />
maschinenlesbar erstellt) und<br />
(4) durch ein Korpus.<br />
Diese Verfahrensweisen leisten Unterschiedliches.<br />
(1) Das Befragen der eigenen Intuition ist, wie ausführlich demonstriert,<br />
ziemlich problematisch. Schließlich wird hier das intuitive Wissen naiver Sprecher mit<br />
dem reflexiven Wissen des Linguisten gleichgesetzt.<br />
(2) Die Informantenbefragung kann zweierlei Daten erbringen: zum <strong>eine</strong>n - und<br />
hier wurde und wird sie in der Dialektologie mit großem Erfolg angewandt - kann sie<br />
überhaupt die 'Sprache' zutage fördern; zum anderen kann sie dazu dienen,<br />
herauszufinden, wie Sprecher oder Sprechergruppen bestimmte sprachliche Phänomene<br />
bewerten.
<strong>Plädoyer</strong> <strong>für</strong> <strong>eine</strong> Korpuslinguistik 401<br />
(3) Die Analyse <strong>eine</strong>r Belegsammlung, die dem herkömmlichen und<br />
hochverdienten Zettelkasten gleichkommt, kann vor allem auf interessante Einzelfälle<br />
verweisen, auch wenn ihnen im tatsächlichen Sprachgebrauch nur <strong>eine</strong> untergeordnete<br />
Rolle zukommt. Nehmen wir hier ein Beispiel: In der Hamburger Wochenzeitung 'Die<br />
Zeit' vom 22. März 2001 (S. 5) findet sich über den deutschen Grünen-Politiker Jürgen<br />
Trittin folgende Bemerkung: Einst pflegte der niedersächsische Anti-AKW-Kämpfer<br />
Trittin grünen Sofortismus, als Minister peitschte er <strong>eine</strong>n Konsens durch die Partei, den<br />
er früher nur als Treppenwitz der Atomwirtschaft abgetan haben würde. Es geht um das<br />
Wort Sofortismus; es ist <strong>eine</strong> okkasionelle Bildung, die aufgrund des Bauplans 'Basis +<br />
-ismus' und des Inhaltsmuster 'politische oder ideologische Richtung' gebildet worden ist.<br />
Zu Trittins Ideologie gehörte es - dies zumindest nach Meinung des 'Zeit'-Journalisten,<br />
dass alles, wovon er überzeugt war, sofort geschehen musste; zu Kompromissen sei er<br />
nicht bereit gewesen. Wir können also an diesem Beispiel sehr schön sehen, wozu in<br />
Deutschen die Wortbildung heran gezogen werden kann. Schlüsse auf die häufig dieser<br />
Bildung oder dieses Bildungstyps können nicht gezogen werden.<br />
(4) Ein Korpus: hierunter wird im Sinn der modernen 'Korpuslinguistik', wie sie<br />
in angelsächsischen Sprachwissenschaft schon weitaus stärker etabliert ist als in der<br />
deutschen, <strong>eine</strong> mehr oder weniger feste Sammlung von Texten verstanden, die als<br />
Ganzes immer untersucht und auch mit statistischen Methoden befragt wird. Auf diese<br />
Weise können wir sehen, was tatsächlich einmal verwendet wurde oder wird, was also<br />
nicht nur vom System her möglich ist, sondern was auf alle Fälle schon in den Bereich<br />
der Norm (wiederum im Sinn Coserius) eingetreten ist und wie häufig etwas genutzt<br />
wird, also wie stark <strong>eine</strong> bestimmte Form, ein bestimmter Ausdruck, <strong>eine</strong> bestimmte<br />
Struktur funktional belastet ist.<br />
Heute versteht man unter <strong>eine</strong>m 'Korpus' <strong>eine</strong> maschinenlesbare Zusammenstellung<br />
von Texten, in der mit EDV-Hilfe recherchiert und analysiert wird. Wichtig ist dabei<br />
natürlich zu allererst die Frage, welche Texte <strong>für</strong> ein derartiges Korpus ausgewählt<br />
werden und ob man ganze Texte oder nur <strong>eine</strong> so genannte repräsentative Auswahl aus
402 독일문학 제87집<br />
längeren Texten in ein Korpus aufnimmt.<br />
Die letzte Frage möchte ich mit <strong>eine</strong>m Beispiel aus m<strong>eine</strong>r eigenen Forschungsarbeit<br />
beantworten. Vor einigen Jahren haben wir uns in Würzburg im Rahmen des<br />
Sonderforschungsbereichs 'Wissensorganisierende und wissensvermittelnde Literatur im<br />
Mittelalter' mit der substantivischen Wortbildung in frühneuhochdeutscher<br />
Wissensliteratur beschäftigt. Auch hier stellt sich die Frage, ob wir umfangreiche<br />
Ganztexte oder auch Teile daraus in unser Korpus aufnehmen.<br />
Einer damals untersuchten Texte war die 'Summa legum' des Dr. Raymundus von<br />
Wiener Neustadt, ein juristischer Text mit etwa 60.000 Wörter vom jahre 1345, der in der<br />
wissenschaftlichen Edition 564 Druckseiten umfasst. Dieser Text ist alphabetisch nach<br />
juristischen Problemen gegliedert, 'Ehebruch' steht dann eben vor 'Mord'. Ein<br />
vergleichbarer Text, nur aus dem Bereich des kirchlichen Rechts, war die 'Rechtssumme'<br />
des Bruders Berthold, die 135.000 Wörter umfasst und im Jahre 1390 entstanden ist.<br />
Für uns hat es sich als unabdingbar erwiesen, jeweils den gesamten Text zu<br />
untersuchen und uns nicht auf vermeintlich 'repräsentative' Ausschnitte zu beschränken.<br />
Insbesondere bei den nach Themenkreisen alphabetisch geordneten Werken<br />
'Rechtssumme' und 'Summa Legum' wäre <strong>eine</strong> solche Vorgehensweise undenkbar und<br />
würde hauptsächlich bei den Präfixbildungen zu völlig realitätsfernen Ergebnissen<br />
führen: So gibt es z.B. in der 564 Seiten umfassenden 'Summa Legum' 14<br />
Präfixbildungen mit ur-, die alle auf nur 22 aufeinander<br />
folgenden Seiten (357-378) in <strong>eine</strong>m Kapitel über Erbschaften ('Von der nacherbung<br />
der absteygenden freund') zu finden sind.<br />
Aber auch bei den Suffixbildungen liegt häufig <strong>eine</strong> erstaunlich ungleichmäßige<br />
Verteilung vor, wie die folgenden Tabellen verdeutlichen. Die -ung-Suffigierungen der<br />
'Summa Legum' - es sind 1145 Belege ('Tokens') - sind in der ersten Hälfte des Buches<br />
relativ schwach vertreten:
-ung-Substantive in der 'Summa legum'<br />
1145 Belege S. 123-686 =564 S.<br />
von bis Seitenzahl<br />
123 172 50<br />
173 222 50<br />
223 272 50<br />
273 322 50<br />
323 372 50<br />
373 422 50<br />
423 472 50<br />
473 422 50<br />
423 572 50<br />
573 622 50<br />
623 672 50<br />
673 686 50<br />
Belege<br />
64<br />
71<br />
72<br />
102<br />
68<br />
124<br />
111<br />
169<br />
122<br />
95<br />
94<br />
135<br />
<strong>Plädoyer</strong> <strong>für</strong> <strong>eine</strong> Korpuslinguistik 403<br />
erwartet<br />
102<br />
102<br />
102<br />
102<br />
102<br />
102<br />
102<br />
102<br />
102<br />
102<br />
102<br />
102<br />
2 Belege/ Seite<br />
Differenz<br />
Die drei ersten Spalten geben den Seitenbereich an, in dem jeweils gesucht wurde.<br />
Die vierte Spalte nennt die Anzahl der -ung-Belege, die im entsprechenden Bereich<br />
gefunden wurden: Auf den ersten 50 Seiten also 64. Bei gleichmäßiger Verteilung<br />
müßten es jedoch 102 Belege sein, wie die vorletzte Spalte zeigt. Es gibt also - statistisch<br />
gesehen - auf den ersten 50 Seiten 38 -ung-Bildungen zuwenig, was der rechten Spalte zu<br />
entnehmen ist. Dagegen kommen im letzten Drittel der 'Summa Legum' Spitzen bis zu<br />
169 Belege auf 50 Seiten vor.<br />
Noch deutlicher ist diese Diskrepanz in der 'Summa Legum' bei<br />
Ableitungen mit -schaft:<br />
-38<br />
-31<br />
-30<br />
0<br />
-35<br />
22<br />
9<br />
67<br />
20<br />
-7<br />
-8<br />
33
404 독일문학 제87집<br />
-schaft-Substantive in der 'Summa legum'<br />
191 Belege S. 123-686 =564 S.<br />
von bis<br />
123<br />
172<br />
173<br />
222<br />
223<br />
272<br />
273<br />
322<br />
323<br />
372<br />
373<br />
422<br />
423<br />
472<br />
473<br />
422<br />
423<br />
572<br />
573<br />
622<br />
623<br />
672<br />
673<br />
686<br />
Seitenzahl<br />
50<br />
50<br />
50<br />
50<br />
50<br />
50<br />
50<br />
50<br />
50<br />
50<br />
50<br />
50<br />
Belege<br />
9<br />
21<br />
8<br />
19<br />
56<br />
33<br />
9<br />
6<br />
18<br />
11<br />
0<br />
1<br />
erwartet<br />
17<br />
17<br />
17<br />
17<br />
17<br />
17<br />
17<br />
17<br />
17<br />
17<br />
17<br />
17<br />
0 Belege/<br />
Seite<br />
Differenz<br />
Bei <strong>eine</strong>r rechnerischen Verteilung von 17 Belegen auf 50 Seiten sind auf den letzten<br />
50 nur <strong>eine</strong>, in der Mitte des Buches dagegen 56 Bildungen auf 50 Seiten zu finden.<br />
Ähnliches ließe sich auch anhand der anderen Texte unseres damaligen Korpus<br />
demonstrieren.<br />
-8<br />
4<br />
-9<br />
2<br />
39<br />
16<br />
-8<br />
-11<br />
1<br />
-6<br />
-17<br />
-16
<strong>Plädoyer</strong> <strong>für</strong> <strong>eine</strong> Korpuslinguistik 405<br />
Es zeigt sich, dass <strong>eine</strong> mathematisch-statistische Repräsentativität auch innerhalb<br />
von Texten nicht möglich ist. Genauso wenig gibt es überhaupt <strong>eine</strong><br />
mathematisch-statistische Repräsentativität im Sprachlichen überhaupt. Wohl aber gibt<br />
es <strong>eine</strong> philologische oder sprachwissenschaftliche Repräsentativität, die wir mit unseren<br />
ureigenen Methoden feststellen müssen. Lassen Sie mich das an <strong>eine</strong>m abschließenden<br />
Beispiel erklären.<br />
Seit einigen Jahren arbeiten der Lehrstuhl <strong>für</strong> deutsche Sprachwissenschaft an der<br />
Universität Würzburg und der Lehrstuhls <strong>für</strong> Germanistik an der Universität Jyväskylä<br />
an <strong>eine</strong>m völlig neuartigen kontrastiven Textkorpus Deutsch-Finnisch. Dieses Korpus<br />
soll Grundlage <strong>für</strong> vielfältige lexikologische, grammatische und textlinguistische<br />
kontrastive Untersuchungen sein. Der erste, noch relativ kl<strong>eine</strong> Teil ist ein<br />
Übersetzungskorpus, das aus folgenden Texten besteht:<br />
Deutsche Texte und deren Übersetzungen ins Finnische:<br />
Grass, Günter: Unkenrufe,<br />
Hein, Christoph: Der Tangospieler,<br />
Strauß, Botho: Niemand anderes.<br />
Finnische Texte und deren Übersetzungen ins Deutsche:<br />
Haavikko, Paavo: Fleurs mittlere Reife,<br />
Idström, Annika: Mein Bruder Sebastian,<br />
Tuuri, Antti: Winterkrieg.<br />
Man sieht, es handelt sich um Originaltexte in beiden Sprachen und deren Translate<br />
in die jeweils andere Sprache. Wir wissen heute, dass ein Text nicht von <strong>eine</strong>r Sprache in<br />
<strong>eine</strong> andere übersetzt wird, sondern dass der Weg der Übersetzung vom Ausgangstext<br />
über den Textreferenten, das jeweils vom Text Gemeinte in den Zieltext geht. Auf diese<br />
Weise haben wir immer Textpaare vor uns, die auf ein gemeinsam Gemeintes, auf <strong>eine</strong>n<br />
gemeinsamen Textreferenten zurück zu führen sind und deshalb <strong>eine</strong> ideale Basis <strong>für</strong> die
406 독일문학 제87집<br />
geplanten und teilweise auch schon durchgeführten Untersuchungen sind.<br />
Zu diesen literarischen Texten kommen einige Sachtexte, die aber in den bisherigen<br />
sprachwissenschaftlichen Untersuchungen nur <strong>eine</strong> geringe Rolle gespielt haben und<br />
auch nicht so weit gehend aufbereitet sind wie die belletristischen. Bei der bisherigen<br />
Arbeit hat sich die schon häufig geäußerte Meinung bestätigt, dass so genannte gute<br />
belletristische Literatur <strong>für</strong> ein Übersetzungskorpus sehr gut geeignet ist, weil in solcher<br />
Literatur die sprachlichen Möglichkeiten auf vielfältige Weise genutzt werden. Mit<br />
anderen Worten, auch wenn die Sprache der Belletristik, der 'schönen Literatur' mit<br />
Sicherheit nicht die Alltagssprache widerspiegelt (wobei man streiten kann, wodurch<br />
überhaupt die Alltagssprache widergespiegelt wird), hat es sich doch als günstig und<br />
hilfreich erwiesen, unser Wissen über die sprachlichen Leistungen und sprachlichen<br />
Wirkungen von so genannten guten Autoren auch <strong>für</strong> unsere sprachwissenschaftlichen<br />
Zwecke zu nutzen.<br />
Nach allgem<strong>eine</strong>m Verständnis von Korpuslinguistik gehört auch, die<br />
Möglichkeiten zu nutzen, <strong>eine</strong> Reihe von sprachlichen Möglichkeiten zu markieren und<br />
auf diese Weise bestimmte Analysen zu erleichtern. Die bekannten großen Textkorpora,<br />
die z.B. <strong>für</strong> die englische Sprache entstanden sind, versuchen vor Allem, Wortklassen<br />
und morphologische Elemente auf diese Weise zu kennzeichnen. Und gerade hier in<br />
Finnland hat man ja auch schon erfolgreich gerade auf diesem Gebiet gearbeitet. Wir<br />
sind da <strong>eine</strong>n anderen Weg gegangen. Wir haben zunächst die äußere Struktur, etwa<br />
Kapitel, Überschriften, Absätze, Einrückungen, und in der Folge die unterschiedlichen<br />
Formen der Redewiedergabe markiert. Und wir arbeiten daran, diese Möglichkeiten<br />
auszubauen.<br />
Zudem arbeiten wir nicht an der Vergrößerung des Übersetzungskorpus, sondern an<br />
der Ergänzung des Übersetzungskorpus durch ein Kontrastkorpus. Ein solches<br />
Kontrastkorpus soll nach unserem Verständnis aus Texten bestehen, die ebenfalls<br />
denselben oder <strong>eine</strong>n sehr ähnlichen Referenten haben, aber weit gehend unabhängig
408 독일문학 제87집<br />
zum Verständnis des Aufbaus unserer Muttersprache. Leipzig.<br />
Duden (1999): Duden. Das große Wörbertuch der deutschen Sprache in zehn Bänden. 3.<br />
Aufl. Mannheim / Leipzig / Wien / Zürich.<br />
Erben, Johannes (1998): Zum Ersch<strong>eine</strong>n der IDS-Grammatik. In: Sprachwissenschaft 23,<br />
367-380. Jakobsson, M. A. / Emil ÖÖhmann (1948): Saksan Kielioppi. 5. Aufl.<br />
Helsinki.<br />
Paul, Theodor (o.J.): Deutsch wie es fehlerlos geschrieben und gesprochen wird. Neue<br />
deutsche Sprachlehre <strong>für</strong> den Selbst-Unterricht. 5. Aufl. Berlin.<br />
Sommerfeldt, Karl Ernst / Günter Starke / Dieter Nerius (1981): Einführung in die<br />
Grammatik und Orthographie der deutschen Gegenwartssprache. Leipzig.<br />
Sommerfeldt, Karl Ernst / Günter Starke (1992): Einführung in die Grammatik der<br />
deutschen Gegenwartssprache. 2. Aufl. Tübingen.<br />
Willomitzer-Tschinkel (1930): Deutsche Sprachlehre <strong>für</strong> Mittelschulen. 23. Aufl. von<br />
Leopold Brandl. Wien.<br />
Zifonun, Gisela / Hoffmann, Ludger / Strecker, Bruno (1997): Grammatik der deutschen<br />
Sprache. 3 Bde. Berlin / New York (=Schriften des Instituts <strong>für</strong> deutsche Sprache<br />
7.1-3).<br />
요약<br />
말뭉치언어학을 위한 변론<br />
리히하르트 로베르트 볼프 (뷔르츠부르크 대학교)<br />
일반적으로 거의 사용되지 않는 그리고 스스로 만든 예문들을 토대로 문법을<br />
기술하는 것은 중요한 것 같지는 않다. 이것은 단지 문법학자의 언어적 지식과<br />
내성적 introspektiv 환상만을 보여줄 뿐이다. 자기 자신이 만든 예문만으로 연구<br />
를 한다면, 여러 문법책이나 변형생성문법의 많은 글들이 보여주듯이 아주 특이<br />
한 구성들이 반듯한 문장형태로 간주될 수도 있다. 그러한 문제를 해결하기 위<br />
한 하나의 방법이 말뭉치 Korpus의 이용이다. 언어학은 오늘날까지 언어학적 목