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TOCOTRONIC<br />
„KEIN WILLE TRIUMPHIERT“ ODER DER VERSUCH EINES<br />
E-MAIL INTERVIEWS MIT TOCOTRONIC<br />
von Alexander Nickel-Hopfengart<br />
Am Ende war da nur noch Lärm. Beim Highfield Festival.<br />
Ohrenbetäubend frönen die Hamburger Jungs von Tocotronic<br />
der Improvisation. Sie lassen die Musik einfach laufen, reiben<br />
ihre Instrumente an den Monitorboxen und veranstalten<br />
Chaos. Ein Chaos, bei dem man meinen könnte, es charakterisiere<br />
ihre „Kapitulation“ vor der Musik. Hätte ja schließlich<br />
gepasst. Zur neuen Platte, auf der oben genanntes Wort in<br />
grünen Lettern von dem dänischen Künstler Henrik Olesen<br />
unter das „Porträt von Douglas Morgan Hall“ von Thomas<br />
Cowperthwait Eakins gepresst wurde. Aber nichts da. „Das<br />
hat sich mit der Zeit eingeschlichen und wurde immer wichtiger“,<br />
erwidert Arne Zank, seines Zeichens Schlagzeuger und<br />
Keyboarder der Band. „Unser Set ist durch die Songs sehr<br />
festgelegt, da bringt es Spaß am Ende frei zu spielen und zu<br />
sehen was kommt.“ Kapituliert haben die Jungs auch noch<br />
nie, vor nichts und niemanden. „Aber man könnte ja!“ worauf<br />
ich sie sehr gerne gefragt hätte, wovor es sich denn eigentlich<br />
lohnen würde, zu kapitulieren. Allerdings besteht dazu in<br />
unserem kurzfristig vereinbarten E-Mail Interview keine<br />
Möglichkeit. Also weiter im Text.<br />
Tocotronic existieren schon seit 14 Jahren. Spätestens seit<br />
dem 1999er Album „K.O.O.K.“ aber ist klar, dass man das,<br />
was diese Band tut, neu verhandeln muss. Die Deutlichkeit<br />
der frühen Alben, auf denen sich Wut und Sloganhaftigkeit<br />
vermischten, Tocotronic also „Alles was ich will, ist: nichts<br />
mit euch zu tun haben“ und „Ich verabscheue euch wegen<br />
eurer Kleinkunst zutiefst“ sangen, war nämlich gar nicht so<br />
deutlich und präzise gemeint, wie es sich in den Gehirnwindungen<br />
und auf den Shirts der Fans manifestierte.<br />
Stattdessen kontert die Gruppe, die in den letzten Jahren<br />
Sätze schrieb, wie „Führe mich sanft, gib mir einen Trunk-<br />
Trank“ und „Ich mag den Weg, ich mag das Ziel, Den Exzess,<br />
das Selbstexil“ meine Frage danach, ob die zunehmende Abstraktion<br />
ihrer Sprache eine Art Selbstschutz darstelle, damit,<br />
dass es mit der Abstraktion ihrer Musik eigentlich genau<br />
umgekehrt wäre: „Eigentlich haben wir das Gefühl eher deutlicher<br />
geworden zu sein. Vieles wurde früher schief wahrgenommen“.<br />
Das muss man hinnehmen. Die Musik von<br />
Tocotronic möchte eben zum Teil auch eine Stolperfalle sein.<br />
So verwendet die Band unter anderem die Textpassage „Ich<br />
bin ein Star, holt mich hier raus“ in dem neuen Stück „Aus<br />
meiner Festung“ und führt damit die Bedeutung der Worte ad<br />
absurdum, indem sie selbige auf eine gefühlsmäßige Ebene<br />
transferiert. „Solche Zeilen sollen vielleicht zum Stolpern<br />
bringen beim Zuhören und zeigen, dass alles zusammengeklaut<br />
ist“, so Arne.<br />
Zum Stolpern bringt einen auch das Booklet der Special<br />
Edition von „Kapitulation“. In das Artwork wurde ein zu kleiner<br />
Schlitz eingestanzt, was es unmöglich macht, das Booklet<br />
hinein zu stecken. Diese Übersetzung des Plattentitels auf<br />
das Endprodukt ist bemerkenswert. War aber einem Zufall<br />
geschuldet. Der zu kleine Schlitz war lediglich ein Fehler des<br />
Presswerks. Zumindest lässt er Arne aber kurz den Glauben<br />
an göttliche Fügung ins Spiel bringen: „Es war ein Fehler,<br />
aber vielleicht auch eine Botschaft einer höheren Macht. Wir<br />
wissen ja auch nicht alles“. Trotzdem sind Tocotronic schlau<br />
genug nicht über die Dinge zu reden von denen sie nichts wissen.<br />
Oder sie wollen einfach nur so wenig wie möglich von<br />
14 <strong>PARTYSAN</strong> 10/07<br />
sich Preis geben. Der Hörer soll schließlich die Möglichkeit<br />
haben, ihr Schaffen selbst zu interpretieren. So lässt sich die<br />
Band auch keine Verhandlung des fremd gestalteten<br />
Plattencovers entlocken. Es soll sich lediglich freudiges<br />
Lachen bei der Band eingestellt haben, als Henrik Olensen<br />
ihnen den Entwurf gezeigt hat. Ebenso verhält sich Arne bei<br />
meinen Fragen zur zunehmenden Allround-Verfügbarkeit der<br />
Musik durch das Internet. Entwertet es die Musik, weil sie<br />
plötzlich für jeden im Überfluss vorhanden ist? „Einerseits,<br />
aber andererseits… es verändert sich, und das kann man ja<br />
nicht schlecht finden.“ Hier verfluche ich erneut die<br />
Befragung über das Medium E-Mail, die kein Nachhaken<br />
erlaubt. Und so bleiben am Ende viele Fragen offen. Manche<br />
aber werden zumindest kurz und knapp beantwortet.<br />
ALSO LOS: FRAGE: BESTAND EIGENTLICH DIE GEFAHR, VOR<br />
DER PLATTE SELBST KAPITULIEREN ZU MÜSSEN? Antwort:<br />
TOCOTRONIC<br />
„Nein, das ging ganz gut zusammen. Die Aufnahmen waren<br />
anstrengend, aber wir waren sehr überzeugt.“ FRAGE: ÜBER-<br />
LEGT IHR EUCH EIGENTLICH VOR DEM EINSPIELEN EINER<br />
NEUEN PLATTE, IN WELCHE RICHTUNG IHR ALS BAND GEHEN<br />
MÖCHTET ODER RISKIERT IHR IM ZWEIFELSFALL AUCH MAL<br />
EUCH ZU WIEDERHOLEN, WENN ES SICH GUT ANFÜHLT?<br />
Antwort: „Es wird viel überlegt, und dann macht man immer<br />
dasselbe.“ LETZTE FRAGE: WENN DU DICH FÜR EINE<br />
LIEBLINGSTEXTPASSAGE AUF „KAPITULATION“ ENTSCHEIDEN<br />
MÜSSTEST, WELCHE WÄRE ES? Antwort: "Kein Wille triumphiert"<br />
und Schluss. Das ist sehr gelungen.“ Womit wir dann<br />
eigentlich schon am Ende dieses Artikels wären. Was sozusagen<br />
einer „Kapitulation“ vor dem geschrieben Wort gleich<br />
kommt, weil es noch so viel aufzudecken gäbe. Aber vielleicht<br />
war das ja auch von Anfang an so geplant. Von der Band oder<br />
vom Autor selbst. Liegt wohl alles im Auge des Betrachters.<br />
Der sollte nämlich sehr genau hinhören, bevor die Nadel sich<br />
am Ende der Platte langsam erhebt und der Tonarm in die<br />
Halterung zurückfährt. Da heißt es: „Alles gehört dir, eine Welt<br />
aus Papier, alles explodiert, kein Wille triumphiert“. Arne hat<br />
Recht. Wirklich gelungen. Und wirklich Schluss.<br />
Tocotronic spielen am 25.10. im Soundpark Ost in Würzburg.<br />
<strong>PARTYSAN</strong> 10/07 15