Referat von Karl Dülli, Fachpsychologe für Psychotherapie FSP

Ohnmächtige Eltern 

Chur 

Brandis12.ch 

22.09.2011 

Karl Dülli-Loher

Überblick 

1. Ausgangslage und Hintergrund 

2. Verlust der Präsenz 

3. Gewaltfreie Autorität 

4. Facetten von Präsenz 

5. Aspekte gewaltfreien Widerstandes 

6. Fallbeispiel 

7. Beispiel der Forschung 

8. Literatur 

Ohnmächtige Eltern: Chur, 22.09.2011

Hintergrund I 

• Verunsicherung in der Erziehung 

– Kindheit kurz, sehr lange Jugendzeit 

– Orientierung an Peers und Medien 

– Zusatzbelastungen (Alleinerziehende) 

– Schwierige Jugendliche wollen keine Therapie 

• Eltern verlieren, Jugendliche gewinnen Macht 

• Hilflose Eltern und Lehrpersonen, 

überforderte Helfer 


Hintergrund II 

• Kleine Kinder – kleine Probleme 

• Aggressive Jugendliche 

– Niemand immer aggressiv: verschiedene 

Stimmen 

– Aber: „Attributionsfehler“ und dadurch zu 

schnelle Reaktion 

– Jugendlichen „verteufeln“ verhärtet Muster 

• Auf „vielstimmige Handlungen“ setzen 


Hintergrund III 

• Traditionelle Autorität 

– Pyramidenförmig gestaltet, oft verbunden mit 

Einsamkeit 

– Setzen auf Macht, Kontrolle und Strafe 

• Bei Misserfolgen Verschärfung der Massnahmen 

oder Resignation: «Mache doch, was du willst!» 

– Gefahr der Eskalation 

– Symmetrisch hochschaukeln 

– Komplementär: tief vs. Hoch 

– Jugendliche rüsten sich innerlich hoch 


• Neue Autorität 

Hintergrund IV 

• Setzen auf Aushalten (Ankerfunktion), Vernetzung, 

Transparenz 

• Aufgabe der Kontrolle: «Wir können dich nicht 

kontrollieren, wir tragen für uns die Verantwortung 

und als Eltern für dich, und wir werden niemals 

aufgeben» 

• «Wir»-Sprache: «Wir sind entschlossen…» 

• Kind muss sich nicht einer Autorität beugen, 

sondern schliesst sich Bedürfnissen der 

Gemeinschaft an 


Verlust der elterlichen Präsenz 

Elterliche 

Überforderung 

Probleme der 

elterlichen 

Kooperation 

Dominanz- 

orientierung 

des 

Kindes 

Schuldgefühle 

der Eltern 

Verlust 

elterlicher 

Präsenz 

Eskalations- 

dynamik 

Isolation, 

Scham, 

Rückzug 

Erziehungs- 

unsicherheit 


Verlust der Präsenz der LP? 

Überforderung 

Probleme der 

schulischen 

Kooperation 

Dominanz- 

orientierung 

des 

Kindes 

Schuldgefühle 

der LP 

Verlust 

Präsenz der 

LP 

Eskalations- 

dynamik 

Isolation, 

Scham, 

Rückzug 

Pädagogische 

Unsicherheit 


2002 2004 2010 


Bezüge 

• Historische Bezüge: 

– Tolstoi L. (1828 – 1910, Russland), Thoreau M. (1817 – 1862, 

USA) 

• Thesen des Gewaltfreien Widerstandes und des Zivilen 

Ungehorsams (civil disobedience) 

– Mahatma Gandhi (1869 – 1948) 

– Martin Luther King (1929 – 1968) Bezug auf Ghandi 

– Gene Sharp (*1928): „The politics of nonviolent action“ 

• Aktuelle Bezüge 

– Haltung von Gewaltlosigkeit, Präsenz und Betonung der 

Beziehungsangebote (Beziehung anstelle von Kampf) 


• individuelle Präsenz 

• Selbstwert in der 

Begleitungsrolle 

• Kompetenzerleben 

Facetten von Präsenz 

Erleben 

Verhalten 

Systemisch 

• Unterstützung durch Eltern 

•Allianzen mit weiteren 

Lehrpersonen 

Ohnmächtige Eltern: Chur, 22.09.2011 

• Umsetzung von 

Kompetenzen 

• körperliche Präsenz 

• Interesse am Kind 

• sorgende Präsenz 

aus: Omer u. v. Schlippe, 2004

Facetten Pädagogischer Präsenz 

• individuelle Präsenz 

• Selbstwert in der 

Lehrerinnenrolle 


Erleben 

Verhalten 

Systemisch 

• Unterstützung vom 

Kollegium, durch 

Schulleitung und 

Therapeutinnen 

• Allianzen mit Eltern 


• Umsetzung von 

Kompetenzen 

• körperliche Präsenz 

• sorgende Präsenz 

• Interesse am Kind 

aus: Omer u. v. Schlippe, 2004

Grundhaltungen 

• Wertschätzung und Respekt anderen 

Meinungen gegenüber 

• Verzicht auf Dominanz und Unterdrückung 

(nicht gewinnen müssen, eher kraftvoll 

aushalten) 

• Fokussierung auf eigene Präsenz 

• Beziehungsangebot erhalten (statt 

Machtkampf!) 

• Versöhnungsbereitschaft 


Aspekte gewaltlosen Widerstands 

• Platz der Eltern im Zentrum 

der Familie betonen 


• Empowerment 

• Keine verdeckten Anklagen 

• Ausnahmen suchen 

Erlebens- 

Aspekt 

• Kooperation mit weiteren Fachleuten 

• Soziale Netzwerke aktivieren 

• Allianzen mit Bezugspersonen des Kindes 

• Öffentlichkeit herstellen 

• Vermittler einschalten 

Verhaltens- 

Aspekt 

Systemischer 

Aspekt 

Ohnmächtige Eltern: Chur, 

22.09.2011 

• Ankündigung 

• De-Eskalation 

• Sit-In 

• Aufsuchen der Orte 

des Jugendlichen 

• Kontakte zu dessen 

Freunden 

• Versöhnungsgesten 

nach Omer u. v. Schlippe, 2004 

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Konkreter 

• Schmiede das Eisen, wenn es kalt ist: 

„Dies gefällt mir nicht – ich komme später 

darauf zurück“ 

• Öffentlichkeit und Bündnisse herstellen 

• Kritisches Verhalten benennen 

• Nicht nachgeben, klare Haltung, Sit-in 

• Wachsame Sorge beibehalten 

• Versöhnung 


Beispiel von politischem Sit in 



Konkreter in der Schule 

• Kritisches Verhalten benennen 

• Reaktionspyramide 

• Komitees verschieden 

zusammenstellen 

• Wandzeitungen 

• Nicht nachgeben, klare Haltung, Sit-in 

• Versöhnung und Wiedergutmachung 


Fallbeispiel „Andi“ 

– Verbal und z.T. physisch gewalttätig, zu Hause und in 

der Schule, Ermahnungen und Strafen nutzlos 

• Ankündigung einer anderen Haltung 

• Mobilisierung von Unterstützungspersonen 

• Mit zwei Bekannten Sit-in 

• Sit-in in der Schule; Abends Angriff auf die Eltern: Die LP, 

der SPD und die Eltern: Sit-in in Andis Zimmer 

• Sit-in in Klassenzimmer mit zuletzt total acht LP 

• Schritte der Wiedergutmachung 

• Beobachtungsbogen täglich ausfüllen und gegenzeichnen: 

Andi steht unter Beobachtung 


Therapiegruppe für Eltern, Uster 


Therapiegruppe für Eltern, Uster 

• Für Eltern mit Präsenzproblemen 

• Sechs Abende 

• Leitung Nicole Sidler, Karl Dülli-Loher 

• Schwerpunkte 

• Probleme klären 

• Ankündigung der Veränderungen 

• Versöhnungsmöglichkeiten 

• Unterstützungspersonen aktivieren 

• Sit-ins 

• Bei Bedarf Telefonrunden und Auftauchen am Ort 


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Forschung 

• Studien: 

– Weinblatt, U. & Omer, H. (2005). Non-violent 

resistance: A treatment for parents of children with 

acute behavior problems. University of Tel Aviv 

– Omer, H. & Irbauch, R. (2004). Non-violent resistance 

and school-violence: Program description and 

preliminary findings. University of Tel Aviv 

– Oleffs, B. & von Schlippe, A.: Studie mit 

Behandlungs- und Wartegruppe in: Schlippe u.a 2007 

• Kritik 

– Gemessen an Resonanz wenig Forschung 


Elternstudie zu kurzem Training 

• 73 Ke, 43 Fam., davon 9 Alleinerziehende 

– Mit lt. Ke: akute Verhaltensprobleme der Kinder 

• Verbale od. physische Gewalt, Schule schwänzen 

Grosses Mass an Hilflosigkeit bei den Ke 

– Kinder zwischen 4 und 17 Jahren 

• Ohne Medikation, keine bedeutende 

Entwicklungsstörungen 

– Pocedere: Zwei zufällig zusammengestellte 

Elterngruppen, eine davon Wartegruppe für 

einen Monat 


22.09.2011 

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Elternstudie: Design 

• Fragestellung: Wie beeinflusst das 

Programm die elterliche Hilflosigkeit? 

• Assessment vor der Behandlung 

• Wartegruppe vor der Wartezeit und vor der Bhdlg. 

• 5 wöchentliche Sitzungen zu 1 h 

• 10 Telefonische Kontakte zu 30 – 45 Min. 

• 1 Follow-up Sitzung nach einem Monat 

• Manual 


22.09.2011 

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Elternstudie: Sitzungsthemen 

• Unterbrechung der Eskalationsmuster 

• Haltung von Widerstand der Ke in und 

ausserhalb des Hauses 

• Unterstützungspersonen für Ke und Ki 

• Veröffentlichungen und Telefonrunden 

• Sit-ins zu je einer Stunde 

• Möglichkeiten der Versöhnung und der 

Wiedergutmachung 


22.09.2011 

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Elternstudie: Ergebnisse p

Elternstudie: Kritik 

• Beschränkte Aussagekraft, da nur auf 

Berichte der Eltern abgestützt 

• Einheit der Behandlung nicht 

gewährleistet, Therapeutinnen sehr 

unterschiedlich 

• Unterstützungen pro Familie 

unterschiedlich 


22.09.2011 

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Schulstudie 

• Prä-Post-Studie mit Fragebogen für Kinder und 

Lehrpersonen zu Gewalt an Schulen und Burnout 

Phänomen bei Lehrpersonen 

• Programm: Präsenz der LP und Eltern 

– Komitees: LP-LP, LP-Eltern: „1 Angriff auf 1 LP ist ein 

Angriff auf alle“ 

– Publikation des Programms: „Wir akzeptieren keine 

Gewalt, wir bleiben nicht ruhig“ 

– Sit-Ins in Schule und zu Hause 


Schulstudie: Design 

• Junior High School und High School mit 

400 Ki, 50 Le, 1 SL , 1 SPD 

• „School Violence Questionnaire“ 

(Benbenishty, R., et al., 2000) und „Burnout 

Questionnaire“ (Friedman, I., 1999) 

• Von Ki und Le ausgefüllt am Ende von zwei 

auf einander folgende SJ, vor und nach 

Einführung des Programms 


Schulstudie: Ergebnisse p>.01 

• Kinder: Reduktion der Gewalt 

• Abnahme des Wegbleibens von Schule aus Angst 

• LP: LP fühlen sich gestärkt, kompetenter 

• Abnahme des Burnout 

• Zunächst überrascht von der Menge der Gewalt, 

dann genauer hin geblickt 

• Eltern: Viel mehr involviert, aktiver 

• Ausdruck von Dankbarkeit für besseres Klima 


Kritik am Präsenzkonzept 

• Irrtum der Allgemeingültigkeit 

• Hohe Erwartungen geweckt (Illusion der 

Machbarkeit) 

• Hohe Motivation der Lehrpersonen und der 

Eltern nötig (aufwändige Umsetzung) 

• Oft fehlende Ressourcen im Umfeld 

• Psychopathologische Symptomatik des Kindes 

nicht direkt behandelt (z.B. Zwangsstörung, 

ADHS) 

• Nachhaltigkeit ist empirisch wenig belegt 


Zusammenfassend: Präsenz 

• Der Fokus liegt auf Beziehung 

• Mit wachsamer Sorge im Leben der Kinder anwesend 

sein 

• Rahmen für erneuerte und verlässliche 

Bindungsbeziehungen 

• Dadurch psychische Sicherheit der Jugendlichen stärken 

• Aus Fehlern lernen und Schwierigkeiten aushalten 

• Haltung von Versöhnung und Wertschätzung 

• Neue Autorität bezieht sich auf Vernetzung und 

Transparenz, woraus Stärke gewonnen wird 


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Literaturhinweise 

Alon, N. & Omer, H. (2006). The psychology of demonization. New Jersey: 

Lawrence Publishers. Dt.: Die Psychologie der Dämonisierung (2007) 

King, M. L. (1986). A testament of hope. San Francisco: Harper. 

Omer,H. & Nahi, A. (1997). Constructing therapeutic narratives. London: Jason 

Aronson. 

Omer, H. & Schlippe, A.v. (2002). Autorität ohne Gewalt. Göttingen: 

Vandenhoeck & Ruprecht. 

Omer, H. & Irbauch, R. (2004). Non-violent resistance and school violence. Tel- 

Aviv University. 

Omer, H. & Schlippe, A.v. (2004). Autorität durch Beziehung. Göttingen: 


Omer, H. & Schlippe, A.v. (2010). Stärke statt Macht. Göttingen: Vandenhoeck 

& Ruprecht. 

Schlippe, A.v., Grabbe, M. (2007) Werkstattbuch Elterncoaching. Göttingen: 


Sharp, G. (1973). The politics of nonviolent action. 3 Bde. Boston: Estending 

Horizons Books. 


Danke für Ihre Aufmerksamkeit 

• Karl Dülli-Loher 

• karl.duelli@schulenegg.ch 

• T: 044 578 60 00

Referat von Karl Dülli, Fachpsychologe für Psychotherapie FSP

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