2011-04-15 JAZZ Pieronczyk spielt Komeda - Noglik-Text
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<strong>15</strong>.<strong>04</strong>.<strong>2011</strong> / 21:00 / Polnisches Institut / Markt 10 / Eintritt frei<br />
Adam Pierończyk: „<strong>Komeda</strong> – The Innocent Sorcerer“<br />
Musik von Krzysztof <strong>Komeda</strong>, neu beleuchtet, neu zum Klingen, zum Funkeln gebracht.<br />
Leichtfüßig, mitunter fast tanzend, befreit vom Platz im Museum, der diesem<br />
Komponisten durchaus auch gebührt. Das ist ein anderer <strong>Komeda</strong>, als der den wir<br />
kennen – nicht weniger tiefgründig, nicht minder bewegend. Adam Pierończyk hat die<br />
Lektion begriffen: Nur der, der es vermeidet, <strong>Komeda</strong> zu imitieren, kann ihm nahe<br />
kommen. „The Innocent Sorcerer“ reiht sich ein in die große Geschichte des polnischen<br />
Jazz, die mit <strong>Komeda</strong> in den fünfziger Jahren aus den Katakomben an das Tageslicht<br />
drang, die Meisterwerke wie „Astigmatic“ hervorgebracht hat und die – <strong>Komeda</strong><br />
erinnernd – zu Widmungen von Rang führte. Tomasz Stanko, einst an der Seite von<br />
<strong>Komeda</strong>, <strong>spielt</strong>e 1970, ein Jahr nach dem frühen, tragischen Tod des Pianisten,<br />
Komponisten und Bandleaders, die Platte „Music for K“ ein. Mit seinem Projekt „Litania“<br />
ist Stanko Ende der neunziger Jahre auf die Themen <strong>Komeda</strong>s zurückgekommen.<br />
Adam Pierończyk, Jahrgang 1970, musste einen anderen Zugang zur Musik von<br />
<strong>Komeda</strong> finden. Nach einer Vielzahl von Platten mit eigenen Kompositionen fühlte er<br />
sich reif zu dieser Hommage, die nicht nur von der Atmosphäre der Kompositionen<br />
Krzysztof <strong>Komeda</strong>s illuminiert wird, sondern auch die Erfahrungen des Saxophonisten<br />
und Bandleaders spiegelt. Wie immer bei einer gelungenen Hommage, entsteht auch<br />
hier ein Doppelportrait: ein Bild des Porträtierten und eins des Zeichnenden.<br />
Wenn es Wörter gibt, die die Musik von Krzysztof <strong>Komeda</strong> zu beschreiben vermögen,<br />
dann sind es diese: Magie und Imagination. Das hat gewiss auch damit zu tun, dass der<br />
Jazzpianist, Komponist und Bandeader dem Film so eng verbunden war. Und damit,<br />
dass er als ein innovativer Filmkomponist von Weltrang die Bilder nicht illustriert,<br />
sondern musikalisch ergänzt hat. Jedes seiner Stücke schafft eine andere Atmosphäre.<br />
Vom Jazz imprägniert und sich über alle Regeln hinwegsetzend, prägnant und zugleich<br />
Raum für die Phantasie der Betrachter und der Zuhörer lassend.<br />
Es gibt Idole, die im Laufe der Geschichte verblassen. Die Präsenz von <strong>Komeda</strong><br />
scheint, mehr als vier Jahrzehnte nach seinem Tod, eher stärker zu werden. Nicht nur<br />
in Polen gilt er als Kultfigur. In New York entstand ein „<strong>Komeda</strong> Project“. Das junge<br />
polnisch-dänische Quintett „Kattorna“ bezieht sich bereits mit seinem Namen auf eine<br />
Komposition von <strong>Komeda</strong>. Allenthalben Widmungen und Ehrerbietungen für einen<br />
Musiker, der dem Jazz eine europäische Dimension erschlossen und ihm mit seinem<br />
Schaffen eine poetische Gestalt gegeben hat.<br />
Adam Pierończyk nähert sich <strong>Komeda</strong>, indem er ihn von seiner Substanz zu begreifen<br />
versucht, nicht über die klangliche Angleichung. Fundamental der Verzicht auf jenes<br />
Instrument, das sich zuerst mit <strong>Komeda</strong> assoziiert: das Piano. Mit der klassischen<br />
Gitarre kommt eine luftige Stimmung ins Spiel. Nylonsaiten statt Stahl, Percussion<br />
mehr noch als Schlagzeug. Dazu zwei amerikanische Freigeister, einer am Bass und<br />
einer, der sich in einer zweiten Flugspur neben Adam Pierończyk bewegt. Echos von<br />
Coltrane, Harmonien von Bill Evans, Latin-Leichtigkeit, eigenes Befinden und die<br />
Themen von <strong>Komeda</strong>, Earcatcher mit Tiefgang. Wenn Tomasz Stankos Hommage-<br />
Projekte an <strong>Komeda</strong> – bei denen gelegentlich auch Adam Pierończyk mitgewirkt hat (!)
<strong>15</strong>.<strong>04</strong>.<strong>2011</strong> / 21:00 / Polnisches Institut / Markt 10 / Eintritt frei<br />
– an die Originale in phantasievollen Klangversionen erinnern, so nähert sich die Musik<br />
dieses Albums den Kompositionen <strong>Komeda</strong>s vergleichsweise von außen, entdeckt sie<br />
neu, umkreist sie, re-arrangiert und aktualisiert sie.<br />
Der Titel „<strong>Komeda</strong> – The Innocent Sorcerer“ bezieht sich auf einen Film von Andrzej<br />
Wajda aus dem Jahr 1960, der das Milieu einer jungen Bohème in Warschau einfängt<br />
und in dem Roman Polanski und Krzysztof <strong>Komeda</strong> in den Rollen von Schauspielern zu<br />
erleben sind, gewiss zu einem Teil auch sich selbst spielend. „Niewinni czarodzieje“ –<br />
„The Innocent Sorcerers“ zeigt den Ausbruch einer westlich orientierten Generation aus<br />
der Nachkriegszeit. Der Titel des Films wurde als Überschrift für ein Festival gewählt,<br />
veranstaltet vom Museum des Warschauer Aufstandes, und eben jene Zeit<br />
thematisierend – eine Phase des intellektuellen Aufbegehrens in Literatur, Film,<br />
Fotografie, Musik und bildender Kunst, das Streben nach Freiheit unter den Vorzeichen<br />
des Kalten Krieges und der kommunistischen Diktatur. Es ist dies eine Welt der<br />
Schwarzweißfilme, der Debatten bis zum Morgengrauen, des existentiellen Eintauchens<br />
in die Tiefen der Kunst.<br />
Adam Pierończyk gelingt es, sich diese Welt, die er nur aus Erzählungen kennt, zu<br />
imaginieren, in sie einzutauchen. Das Staccato der Schreibmaschine in tiefer Nacht ist<br />
ebenso präsent wie die Weite der masurischen Seenplatte oder das jugendliche<br />
Herumtollen, aus dem bald bitterer Ernst werden kann. Dabei entwickeln die<br />
vielschichtigen Klangbilder, getränkt mit den Essenzen der Musik von <strong>Komeda</strong>, ein<br />
Eigenleben. Sie bedürfen nicht mehr des Verweises auf die Quellen. Dennoch erscheint<br />
es interessant, dass “Wicker Basket” von <strong>Komeda</strong> 1965 für einen Zeichentrickfilm von<br />
Mirosław Kijowicz komponiert wurde. „Kattorna“ entstand für den gleichnamigen Film<br />
des dänischen Regisseurs Henning Carlsen und findet sich auch auf <strong>Komeda</strong>s<br />
herausragendem Album „Astigmatic“. „Sleep Safe and Warm“, eine der bekanntesten<br />
Kompositionen <strong>Komeda</strong>s, ist Teil der Filmmusik für Roman Polanskis „Rosemary’s<br />
Baby“. „Crazy Girl“, eine Widmung <strong>Komeda</strong>s an seine Frau Zofia, erlebte seine<br />
Uraufführung beim Festival Jazz Jamboree 1961 in Warschau und wurde ein Jahr<br />
später auch in den Soundtrack von Polanskis „Das Messer im Wasser“ integriert. „After<br />
The Catastrophe“ komponierte <strong>Komeda</strong> für die Jazz- &Lyrik-Platte „Meine süße<br />
europäische Heimat“, benannt nach einem Gedicht von Czesław Miłosz. „Roman II“,<br />
eine der frühesten Kompositionen <strong>Komeda</strong>s, entstand 1958 in Krakau.<br />
Adam Pierończyk hat von <strong>Komeda</strong> gelernt, dass man mit Klängen wie mit Farben oder<br />
Licht umgehen kann. Tomasz Stanko bezeichnete Krzysztof <strong>Komeda</strong> als „seinen ersten<br />
Guru“, der ihm Richtungen aufzeigte, so wie Pablo Picasso und Miles Davis Wege<br />
gewiesen haben. <strong>Komeda</strong> bleibt der große Zauberer und seine Musik zugleich auch ein<br />
Band der Generationen im Jazz.<br />
Bert <strong>Noglik</strong>