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Paper - Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK)

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Philipp Rückheim (GSL der Universität Luzern, philipp.rueckheim@gmail.com); Beitrag <strong>für</strong> das 45.<br />

Kolloquium der <strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Friedens</strong>- <strong>und</strong> <strong>Konfliktforschung</strong>, zum Thema: Frieden<br />

mit/ohne Grenzen (Panel: Konflikteskalation <strong>und</strong> die Dynamiken von Grenzziehungen – Theoretische<br />

Perspektiven, Moderation Prof. Dr. Thorsten Bonacker, 01.03.2013).<br />

Titel: Zur Bedeutsamkeit des Konflikts durch Thema <strong>und</strong> Publikum: Wie Zivilcourage <strong>und</strong><br />

Videoüberwachung Konflikte verschärfen<br />

Zusammenfassung: Welche Grenzen sind <strong>für</strong> folgenreiche Konflikte entscheidend? Dieser Beitrag<br />

vertritt die systemtheoretische These, dass dies nicht zwingend davon abhängt, ob es um politische<br />

Grenzen, Unterdrückung, ökonomische Ungleichheit oder Gewalt geht. Systemtheoretisch wird ein<br />

Konflikt dann bedeutsam, wenn es gelingt, dass er <strong>für</strong> Abwesende des Konfliktgeschehens als relevant<br />

erscheint. Dies verweist auf das Thema <strong>und</strong> die Beobachtung des Konflikts. Konfliktsoziologisch wird<br />

gefordert, bei bedeutsamen Konflikten weniger auf die Streitenden <strong>und</strong> ihre Gründe zu achten, als<br />

vielmehr auf ihre Streitthemen <strong>und</strong> deren Publikum. Der Beitrag grenzt zunächst die<br />

systemtheoretische These ab (1.) <strong>und</strong> erläutert eine Implikation seines Konfliktbegriffs (2.).<br />

Entscheidend ist, die Beobachtung des Konflikts durch ein Publikum als motivierenden Faktor des<br />

Konfliktgeschehens darzulegen (3.). Einmischung kann nicht nur Konflikte entscheiden, sondern auch<br />

aus Mücken Elefanten machen. Dies wird an Moral als Konfliktthema <strong>und</strong> der Beobachtung durch<br />

Videoüberwachung verdeutlicht (4.). Videoüberwachung kann Einmischen motivieren <strong>und</strong> aus<br />

Bagatellen folgenreiche Konflikte generieren, wenn ein couragiertes Selbst seine (moralische)<br />

Gesamtbeurteilung riskiert sieht. Der Beitrag wählt Moral, um zu betonen, dass die Bedeutsamkeit<br />

eines Konflikts nicht zwingend von politischen oder religiösen Grenzzuschreibungen abhängt, sondern<br />

vom Konfliktthema <strong>und</strong> der Beobachtbarkeit des Konfliktgeschehens. Hiermit verknüpft sich eine<br />

allgemeinere These, die sich auch an der Ausdifferenzierung des modernen Sports studieren lässt (5.).<br />

Konflikte dennoch auf Weltkarten zu visualisieren, hat meist weniger mit dem tatsächlichen Konflikt<br />

als vielmehr mit einer einfachen Erschließung des Konfliktgeschehens zu tun. Zugespitzt: Nicht die<br />

Streitenden <strong>und</strong> ihre Interessen allein, sondern auch das Publikum entscheiden über Anfang,<br />

Eskalation, Ende <strong>und</strong> Folgen eines Konflikts.<br />

Person: Philipp Rückheim absolviert seinen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften an der Zeppelin<br />

Universität <strong>und</strong> wechselt zum Master in ‚Weltgesellschaft <strong>und</strong> Weltpolitik‘ an die Universität Luzern.<br />

Seit 2012 ist er an der dortigen Graduierten Schule Doktorand <strong>und</strong> wird betreut von Prof. Dr. Rudolf<br />

Stichweh (Universität Bonn). Dissertationsthema ist ein Beitrag zur <strong>Konfliktforschung</strong>, der auf Niklas<br />

Luhmanns Problematisierungen eben dieser reagiert. Es geht darum, Konflikte als eine Form der<br />

Kommunikation zu verstehen <strong>und</strong> ihre Ausdifferenzierung vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Weltgesellschaft<br />

zu betrachten. Der folgende Beitrag dient dem Autor als Ausgangspunkt <strong>für</strong> die Frage nach der<br />

Ausdifferenzierung eines Konfliktsystems.


Zur Bedeutsamkeit des Konflikts durch Thema <strong>und</strong> Publikum<br />

Zur Bedeutsamkeit des Konflikts durch Thema <strong>und</strong> Publikum: Wie<br />

Zivilcourage <strong>und</strong> Videoüberwachung Konflikte verschärfen<br />

1. Grenzen folgenreicher Konflikte: Interaktion/Gesellschaft statt<br />

Nationalstaaten<br />

Die Beschreibung des Kolloquiums legt es nahe Frieden <strong>und</strong> Konflikt vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />

nationalstaatlicher Grenzen zu diskutieren. Ich zitiere: „Die größte Aufmerksamkeit hinsichtlich des<br />

<strong>Friedens</strong> verdienen politische Grenzen.“ 1 Auch ein 2011 (Grätz <strong>und</strong> Knopp) erschienenes<br />

Herausgeberband namens ‚Konfliktkulturen‘ betont bis auf zwei Ausnahmen, die entscheidende Rolle<br />

politischer Grenzziehungen <strong>für</strong> die Erzeugung <strong>und</strong> Lösung von Konflikten. 2<br />

Mein Eindruck ist, dass hier implizit ein nationalstaatengeb<strong>und</strong>ener Gesellschaftsbegriff unterstellt<br />

wird. Wie in Immanuel Kants (1784: vierter Satz) Idee wird ein angeblich angeborener „Antagonism“<br />

des Menschen Bezugspunkt <strong>für</strong> politische Ordnungsinitiativen. Politik <strong>und</strong> Recht sichern diesem<br />

Antagonism seine Entwicklung. Soziologisch-systemtheoretisch leuchtet nun einerseits die Rolle der<br />

Politik <strong>und</strong> ihrer legitimen Gewalt ein, ermöglicht sie doch Konflikte, wenn nicht sofort mit dem<br />

Einsatz physischer Gewalt gerechnet werden muss. Dies hat Niklas Luhmann nicht nur der Politik,<br />

sondern auch der Durchsetzung subjektiver Rechte zugeschrieben <strong>und</strong> der Entstehung sich ad hoc<br />

mobilisierender, sozialer Bewegungen (Luhmann, 1984: Kap. 9: X). Doch andererseits weisen<br />

soziologische Theorien des Konflikts daraufhin, dass die Bedeutsamkeit eines Konflikts nicht von<br />

politischen Faktoren allein abhängt.<br />

Bevor ich zu meinem Forschungsinteresse überleite, lassen Sie mich drei konfliktsoziologische<br />

Kronzeugen zitieren. Randall Collins hat unter dem bezeichnenden Titel ‚Conflict Sociology‘<br />

erläutert, dass der Gr<strong>und</strong> <strong>für</strong> Konflikt in Nutzenmaximierung einzelner liegt, was vor allem dann zum<br />

Konflikt führt, wenn Zwang empf<strong>und</strong>en wird. Ich zitiere Collins: „being coerced is an intrinsically<br />

unpleasant experience, and hence … calls forth conflict“ (Collins, 1975: 59). Ähnlich formulierte auch<br />

Ralf Dahrendorf seinen Ausgangspunkt, wo es heißt: „Wir setzen voraus, daß Konflikt allgegenwärtig<br />

ist, weil Zwang allgegenwärtig ist, wo immer Menschen sich soziale Verbände schaffen. In einem<br />

formalen Sinn ist es stets die Gr<strong>und</strong>lage des Zwanges, um die es in sozialen Konflikten geht.“<br />

(Dahrendorf, 1967: 262) Auch der sich dazu unterscheidende Axel Honneth formuliert, Konflikte<br />

nehmen, ich zitiere: „statt von vorgegebenen Interessenlagen [nehmen Konflikte] von moralischen<br />

Unrechtsempfindungen [ihren] […] Ausgang“ (Honneth, 1992: 259; Paul, 2007).<br />

Ich möchte Ihnen hier nun eine Alternative vorstellen, die Konfliktauslöser weder auf empf<strong>und</strong>enen<br />

Zwang oder Interessensgegensätzen, noch auf Unrechtsempfindungen oder Anerkennungsverfall<br />

festlegt, sondern Gesellschaft <strong>und</strong> damit auch Konflikt, als Kommunikation begreift. Ich meine damit<br />

Niklas Luhmanns (1984: Kap. 9) Ausarbeitungen. Die Rezeption scheint sich auf Fragen des<br />

Terrorismus <strong>und</strong> Kriegs sowie auf Politik <strong>und</strong> Recht zu konzentrieren. 3 Luhmanns These ist aber<br />

allgemeiner <strong>und</strong> besagt, dass Konflikt nur eine Form der Kommunikation sein kann, also nicht auf<br />

Bewusstsein oder Empfindung basiert. Auch führen gegensätzliche Interessen, politische<br />

1<br />

Zitiert aus dem: Call for Panels & <strong>Paper</strong>s <strong>für</strong> das 45. Kolloquium der <strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Friedens</strong>- <strong>und</strong><br />

<strong>Konfliktforschung</strong> (erster Absatz, dritter Satz). Dieser Bemerkung folgt eine Betonung territorialer Kontrolle,<br />

Normen <strong>und</strong> der Ambivalenz staatlicher Grenzen.<br />

2<br />

Weder Beobachtung, noch Moral oder Zeit scheinen eine vergleichbare Aufmerksamkeit zu verdienen.<br />

3<br />

Eine Einführung findet sich bei Thorsten Bonacker (2008), der aber einige Beiträge angefügt werden könnten<br />

(so z.B. zum Konflikt als Prozess: Messmer, 2003; zum Zusammenhang von Beobachtung <strong>und</strong> Handlung:<br />

Simon, 2004; zur Betroffenheit <strong>und</strong> Vorsorge psychischer Systeme: Türk, 2011).<br />

2<br />

Beitrag von Philipp Rückheim zum 45.<strong>AFK</strong>-Kolloquium, 2013


Zur Bedeutsamkeit des Konflikts durch Thema <strong>und</strong> Publikum<br />

Unterdrückung oder ökonomische Ungleichheit nicht zwingend zum Konflikt. Auslöser <strong>für</strong> Konflikte<br />

ist stattdessen, ganz banal <strong>und</strong> allgemein, ein mitgeteiltes, verstandenes Nein, das als Antwort einer<br />

vorherigen Kommunikation verstanden wird. Sein Konfliktbegriff lautet, ich zitiere: „Von Konflikt<br />

wollen wir immer dann sprechen, wenn einer Kommunikation widersprochen wird.“ (Luhmann, 1984:<br />

530)<br />

Da es dem Kolloquium um Fragen des <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong> hier um Konflikteskalation geht, interessiert<br />

mich, wie Niklas Luhmann, den Unterschied zwischen alltäglich anfallenden Neins, die „meist rasch<br />

bereinigte Bagatellen“ sind <strong>und</strong> folgenreichen Konfliktsystemen konstruiert (ebd.: 534). Ich möchte<br />

Ihnen vorschlagen, dass es auch hierbei um Grenzen geht, doch nicht nur um Grenzen zwischen oder<br />

innerhalb von Nationalstaaten, sondern um die von Anwesenheit <strong>und</strong> Abwesenheit, von Interaktion<br />

<strong>und</strong> Gesellschaft (Luhmann, 2009). Nur Konflikte, die relevant <strong>für</strong> Abwesende scheinen, werden zum<br />

ernsthaften Konfliktsystem, die dann andere Konflikte auslösen <strong>und</strong> sich so fortsetzen. Die<br />

entscheidende Frage ist, wie diese Relevanz entsteht <strong>und</strong> Luhmann antwortet darauf, mit dem Verweis<br />

auf das Konfliktthema. Anstelle davon auszugehen, dass Bedrohungen des <strong>Friedens</strong> <strong>und</strong><br />

Konflikteskalation in territorialstaatlichen Grenzen ihren Anlass finden, provoziert Luhmann damit,<br />

dass zumindest <strong>für</strong> die Moderne, folgenreiche Konfliktsysteme überall entstehen können, mitunter<br />

ganz unabhängig von politischen Grenzziehungen, ökonomischen Ungleichheiten oder Zwängen.<br />

Entscheidend ist nur, dass ein Konflikt auch <strong>für</strong> Abwesende relevant ist <strong>und</strong> das hängt mit seinem<br />

Thema zusammen. Es muss sich um ein Thema handeln, an dem sich durch Gründe, Motive,<br />

Interessen usw. Beiträge anhängen, ordnen <strong>und</strong> ablehnen lassen. Ich möchte Ihnen diese These nun<br />

illustrieren. Vergleichbar zum modernen Sport (Guttmann, 1978; Werron, 2010a), ist die Beobachtung<br />

eines Konflikts der Brandstifter <strong>und</strong> nicht das direkte Konfliktgeschehen (als Gegenmeinung siehe<br />

Werron, 2010b). Wenn das stimmen sollte, ließe sich von der Konfliktsoziologie fordern, ihre<br />

Aufmerksamkeit weniger auf die Konfliktparteien zu richten, wie etwa das Recht, die Massenmedien,<br />

Therapie oder andere an Opfer-Täter-Adressen orientierte Beobachter, als vielmehr auf ihr Thema <strong>und</strong><br />

Publikum. Kurz: Nicht die Konfliktparteien entscheiden über Krieg oder Frieden, sondern ihr<br />

Konfliktthema <strong>und</strong> das durch dieses Thema rekrutierte, abwesende Publikum.<br />

2. Konfliktbegriff: Kommunizierter Widerspruch <strong>und</strong> Vereinfachung<br />

Bevor ich zur Frage komme, wovon der Unterschied zwischen Bagatellen <strong>und</strong> folgenreiche<br />

Konfliktsysteme laut der Systemtheorie sensu Luhmann abhängt, scheint eine Bemerkung zum hier<br />

benutzten Konfliktbegriff erforderlich. Luhmann nennt Konflikte kommunizierte Widersprüche.<br />

Damit ist bereits einiges festgelegt. Als eine Form der Kommunikation, die das Nein anstelle des Ja<br />

benutzt, ist ein Konflikt nicht direkt beobachtbar. Damit Kommunikation beobachtbar wird, um selbst<br />

anschließbar zu werden, benötigt sie eine Zurechnung auf Adressen <strong>und</strong> Handlungen, die die ihr zu<br />

Gr<strong>und</strong>e liegenden Selektionen von Mitteilung, Information <strong>und</strong> Verstehen asymmetrisiert <strong>und</strong> den<br />

Mitteilungsaspekt betont (Luhmann, 1984: 227).<br />

Man kann die Schwierigkeiten Konflikte beobachtbar zu machen an den diversen Konfliktindizes<br />

erschließen, die häufig Weltkarten <strong>und</strong> Rankings – mit Verweis auf Territorialstaaten – nutzen, um<br />

anhand verschiedener Kennzahlen Frieden <strong>und</strong> Konflikt zu rekonstruieren. 4 Diese komplexen Indizes<br />

erlauben zwar einerseits eine einfache, anhand von vergleichbaren Zahlenwerten zugängliche<br />

Beurteilung. Andererseits zeigen sie aber, dass ein Konflikt nicht nur die Mitteilung eines Neins<br />

meint, sondern von anderen Umständen, die in diesem Falle, einzelne Nationalstaaten, ihre innen- <strong>und</strong><br />

außenpolitischen Beziehungen, Budgetverteilung, Rechtslage usw. betreffen, abhängen.<br />

4<br />

Siehe z.B. den Global Peace Index 2012, der 23 Indikatoren nutzt, um Nationalstaaten (!) danach zu bewerten<br />

<strong>und</strong> tabellarisch zu vergleichen, wie friedlich sie sind: http://economicsandpeace.org/ (04.02.2013).<br />

3<br />

Beitrag von Philipp Rückheim zum 45.<strong>AFK</strong>-Kolloquium, 2013


Zur Bedeutsamkeit des Konflikts durch Thema <strong>und</strong> Publikum<br />

Diese situativen Faktoren des Neins lassen sich nicht nur <strong>für</strong> Staaten, sondern auch <strong>für</strong> Organisationen<br />

erkennen. Das <strong>für</strong> seine Konfliktvermeidung möglicherweise zu Unrecht berühmte China bietet hier<strong>für</strong><br />

interessante Einsichten. 5 Eine sozialpsychologische Befragung von 85 Managern chinesischer<br />

Staatsunternehmen zeigte, dass diese zumeist Konflikte vermieden <strong>und</strong> widersprüchliche Erwartungen<br />

befolgten (‚conforming‘), hingegen aber in einem Drittel der Fälle Ablehnungen erst dann mitteilten,<br />

wenn sie sich der Unterstützung Dritter sicher waren (Tjosvold <strong>und</strong> Sun, 2002). Auch experimentelle<br />

Studien, wie die im Band Equivocal Communication (Bavelas et al., 1990) versammelten, zeigen wie<br />

dieses Organisationsbeispiel, dass ein Nein meist nur dann mitgeteilt <strong>und</strong> einem Konflikt nur dann<br />

auftrieb gegeben wird, wenn die Situation dazu einlädt. Dieselbe Erkenntnis geht vom sogenannten<br />

bystander-effect aus (Manning et al., 2007), auf den ich zurückkommen werde. Ein Konflikt entsteht<br />

also nicht willkürlich! Konflikte nur anhand von Handlungen zu beschreiben, mag <strong>für</strong> die<br />

Selbstsimplifikation des Konfliktgeschehens <strong>und</strong> <strong>für</strong> Fremdbeobachtungen durch das Recht oder<br />

soziale Bewegungen wichtig sein, wäre aber <strong>für</strong> eine wissenschaftliche Fremdbeschreibung eine<br />

unnötige Reduktion des tatsächlichen Geschehens. 6 Dass ‚politische Grenzen‘ häufig als Bezugspunkt<br />

<strong>für</strong> die Frage nach Frieden <strong>und</strong> Konflikt dienen, mag damit zusammenhängen, dass weder Konflikt<br />

noch Frieden direkt beobachtbar sind. Diese fehlende Direktheit des Konflikts macht komplexe<br />

Vereinfachungen wie Indizes notwendig, die wiederum der Vergleichbarkeit wegen an ‚politische<br />

Grenzen‘ orientiert werden.<br />

Die systemtheoretische These, wonach Konflikte als Kommunikationen nicht willkürlich entstehen,<br />

hängt mit dem Gr<strong>und</strong>begriff Kommunikation zusammen, wozu es bei Luhmann heißt, dass die<br />

Kommunikation sich „von hinten her ermöglicht, gegenläufig zum Zeitablauf des Prozesses.“<br />

(Luhmann, 1984: 198) Für uns heißt dies, dass „das Neuanfangen von Konflikten … in einem zwar<br />

nicht zwingenden, aber hochwahrscheinlichen Zusammenhang steht mit den Reproduktionschancen<br />

des Konflikts.“ (ebd.: 538) Darum lässt sich eine zu erfolgreiche Konfliktlösung auch skeptisch<br />

beurteilen, fallen damit doch Möglichkeiten weg, Nein zu sagen. Andere Neinsagebereitschaften<br />

bleiben aus, ohne aber, dass irgendjemand in der heutigen, hochkomplexen Gesellschaft wissen<br />

könnte, wozu man in Zukunft noch alles Nein sagen sollte. Diese Rückwärtsgewandtheit der<br />

Erwartungen der Konfliktkommunikation, führt direkt in meine These, dass die Bedeutsamkeit eines<br />

Konflikts von seiner Relevanz <strong>für</strong> Abwesende abhänge.<br />

3. Zur Beobachtung von Konflikten: Die Relevanz Abwesender<br />

Abstrakt besehen besagt die These, dass das Beobachten von Konfliktgeschehen durch Abwesende<br />

<strong>und</strong> das Beobachten dieses Beobachtens durch die im Konflikt verwickelten Anwesenden, den<br />

Konflikt verschärfen. 7 Die Schädigungshandlung allein entscheidet nicht über die Bedeutsamkeit eines<br />

Konflikts, sondern die Beobachtung, geäußerte Erwartung <strong>und</strong> Zurechnung solcher Schädigungen.<br />

5<br />

Das in China Konfliktvermeidung wichtig sei, zumindest aus Sicht von Fremdbeschreibungen, wie<br />

Reiseberichte (Wickert, 1988), lässt sich ebenso finden, wie das Gegenteil, wonach die chinesische Philosophie<br />

auch Streit nahe legt (siehe Shi Ming in Grätz <strong>und</strong> Knopp, 2011: 119-124) <strong>und</strong> die Organisationsforschung dies<br />

berücksichtigen sollte (Lin, 2010).<br />

6<br />

„Als Ausgangspunkt ist festzuhalten, daß Kommunikation nicht als Handlung <strong>und</strong> der Kommunikationsprozeß<br />

nicht als Kette von Handlungen begriffen werden kann. Die Kommunikation bezieht mehr selektive Ereignisse<br />

in ihre Einheit ein als nur den Akt der Mitteilung. Man kann den Kommunikationsprozeß deshalb nicht voll<br />

erfassen, wenn man nicht mehr sieht als die Mitteilungen, von denen eine die andere auslöst. In die<br />

Kommunikation geht immer auch die Selektivität des Mitgeteilten, der Information, <strong>und</strong> die Selektivität des<br />

Verstehens ein, <strong>und</strong> gerade die Differenzen, die diese Einheit ermöglichen, machen das Wesen der<br />

Kommunikation aus.“ (Luhmann, 1984: 225f.)<br />

7<br />

Beobachtung setzt sich aus Obacht <strong>und</strong> Achtung zusammen.<br />

4<br />

Beitrag von Philipp Rückheim zum 45.<strong>AFK</strong>-Kolloquium, 2013


Zur Bedeutsamkeit des Konflikts durch Thema <strong>und</strong> Publikum<br />

Ich möchte Ihnen hierzu zwei soziologische Thesen vorstellen. Noch einmal Axel Honneth, der zwar<br />

meinte, bei sozialen Kämpfen ginge es um „Unrechtsempfindungen“ (1992: 259), also psychische<br />

Operationen, der aber auch die Rolle einer sogenannten „kollektiven Semantik“ anführt. Konflikte<br />

hängen von der - ich zitiere: „Existenz einer kollektiven Semantik [ab], […] die die persönlichen<br />

Enttäuschungserfahrungen als etwas zu interpretieren erlaubt, wovon nicht nur das individuelle Ich,<br />

sondern ein Kreis von vielen anderen Subjekten ebenfalls betroffen ist.“ (Honneth, 1992: 262) Bei<br />

Luhmann findet man eine ähnliche Formulierung, dort heißt es: „Wenn in interaktionellen Konflikten<br />

… Anzeichen einer die Interaktion überschreitenden gesellschaftlichen Relevanz auftauchen, ist die<br />

Wahrscheinlichkeit höher, daß der Konflikt verbreitet, vertieft, perpetuiert wird.“ (Luhmann, 1984:<br />

535) Beide betonen, dass es auf das Thema des Konflikts ankommt <strong>und</strong> darauf, andere, die im<br />

Konfliktgeschehen nicht direkt involviert sind als Beobachter zu rekrutieren. Der Konflikt muss<br />

Anzeichen aufweisen, dass er nicht nur <strong>für</strong> die Anwesenden Relevanz hat <strong>und</strong> mit dem Ende ihrer<br />

gemeinsamen Interaktion erlischt. Den Anwesenden muss deutlich werden, dass von dieser Interaktion<br />

eine Relevanz ausgeht, die die Grenze dieser einzelnen Interaktion übergreift. Kurz: Es geht um die<br />

Berücksichtigung Abwesender <strong>und</strong> speziell, um deren Beobachtung des Konfliktgeschehens.<br />

Lassen Sie mich diese Formulierung mit kursorischen Beispielen stützen. Ein frühes Indiz habe ich bei<br />

Tacitus gef<strong>und</strong>en, wo dieser die Kämpfe nicht nur einschränkende, sondern auch motivierende Rolle<br />

der Frauen <strong>und</strong> Kinder betont: „Sie [die Frauen <strong>und</strong> Kinder der Kämpfer] sind <strong>für</strong> jeden die heiligsten<br />

Zeugen, sie die größten Lobspender … ja sie bringen den Kämpfenden Stärkung <strong>und</strong> Ermutigung.“<br />

(Tacitus, 1968: 15 VII) Das motivierende Publikum der Kämpfenden sind bereits damals nicht nur die<br />

Obrigkeit, Feldherren <strong>und</strong> Gegner, sondern auch die Beobachtungen, die von Frauen <strong>und</strong> Kinder der<br />

Kämpfenden ausgehen. Vielleicht verknüpfen sich damit Hinweise, auf die konfliktfördernde Stellung<br />

der Frau, die ihr unter dem Namen Xanthippe in der griechischen Antike sowie an manchen Stellen<br />

der Bibel zugeschrieben wird. 8 Hamed Abdel-Samad (in Grätz <strong>und</strong> Knopp, 2011: 85f.) weist<br />

beispielsweise daraufhin, dass „das Wort <strong>für</strong> Verwirrung im Arabischen, ‚Fitna‘ […], auch das Wort<br />

<strong>für</strong> Spaltung <strong>und</strong> Verführung durch eine Frau“ meine. Was die Rolle der Frau in Konflikten auch sei,<br />

zumindest <strong>für</strong> verbale Konflikte bei Tischgesprächen von Familien haben Vuchinich et al. (1988:<br />

1998) festgestellt, dass Töchter <strong>und</strong> Mütter wesentlich öfter intervenieren, als Väter <strong>und</strong> Söhne – was<br />

vermuten lässt, dass sie von den Streitenden als Beobachter berücksichtigt werden.<br />

Ein anderes Beispiel lässt sich im Zitat sehen: „Vier feindselige Zeitungen sind mehr zu <strong>für</strong>chten als<br />

tausend Bajonette“ (das Napoleon zugeschrieben wird). In der modernen Politik sind zahlreiche<br />

Strategien bekannt, die darauf zielen, Widerspruch motivierende Themen dem Publikum, der<br />

öffentlichen Meinung also, erst gar nicht vorzustellen <strong>und</strong> damit ablenkende Konflikte vorzubeugen. 9<br />

Aber auch Mahatma Gandhis Ablehnung zur Intervention der Internationalen Gemeinschaft im<br />

Pakistan-Indien-Konflikt um Kaschmir ist ein Indiz <strong>für</strong> das Wissen, um die ambivalente Relevanz<br />

Abwesender (der Beitrag von Faisal Devji in Grätz <strong>und</strong> Knopp, 2011: insbesondere S. 24f.). Laut<br />

Faisal Devij war Gandhi der Ansicht, dass eine entscheidende Schlacht zwischen den Feinden besser<br />

wäre, als eine ‚künstliche‘, durch die Interventionsmächte ermöglichte, Aufblähung der Kräfte. Traut<br />

man Devijs Interpretation, hat die Intervention Dritter zu ‚Stellvertreterkriegen‘ in Afghanistan <strong>und</strong><br />

Terrorismus, also zu einem ‚Schrecken ohne Ende‘ geführt.<br />

Ganz ähnlich ambivalent hat auch eine Studie mit dem bezeichnenden Titel, ‚Wo der Spaß aufhört...<br />

Jugendliche <strong>und</strong> ihre Perspektive auf Konflikte in Sozialen Netzwerkdiensten‘ bezüglich der<br />

Intervention Dritter geurteilt (Wagner et al., 2012). Auch Jugendliche bewerten die Beobachtung <strong>und</strong><br />

8<br />

„Es ist besser wohnen im Winkel auf dem Dach, denn bei einem zänkischen Weibe in einem Haus<br />

beisammen.“ (Spruch 21.9, unter: http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/sprueche/21/#9, 04.02.2013)<br />

9<br />

Hinweise finden sich im Knebeln (Holmes, 1988) wie im ‚blame avoidance‘ demokratischer – <strong>und</strong> somit durch<br />

Streit bzw. Opposition gekennzeichneter – Politik (zur Übersicht siehe Weaver, 1986: 385).<br />

5<br />

Beitrag von Philipp Rückheim zum 45.<strong>AFK</strong>-Kolloquium, 2013


Zur Bedeutsamkeit des Konflikts durch Thema <strong>und</strong> Publikum<br />

Einmischung Dritter als Konflikteskalation. Einerseits werden manche Konflikte gerade darum Online<br />

ausgetragen, da sich eine breitere Öffentlichkeit rekrutieren ließe (Wagner et al., 2012: 40). 10<br />

Andererseits wird aber auch die Gefahr gesehen, dass intervenierende Dritte etwas missverstehen <strong>und</strong><br />

unnötig aufblasen. 11 Leider beschränkt sich diese Studie auf Schüler in München, die sich im Leben<br />

unter Unbekannten in Großstädten (Weber, 2007) auch aus dem Weg gehen können <strong>und</strong> nicht, wie in<br />

ländlichen Schulen, damit rechnen müssen, sich im Verein, Bus oder Club wiederzusehen. Um Ihnen<br />

aber die konflikteskalierende Bewertung einer einmischenden, vom direkten Geschehen abwesenden,<br />

Öffentlichkeit zu verdeutlichen, zitiere ich einen Hauptschüler aus München: „Ja, die mischen sich<br />

dann ein, dann gibt’s so n großes Trara <strong>und</strong> dann machen die aus ner Mücke n Elefanten“ (Wagner et<br />

al., 2012: 40).<br />

Ich hoffe an diesen kursorischen Beispielen gezeigt zu haben, dass die Beobachtung eines Konflikts,<br />

v.a. durch Dritte <strong>und</strong> deren potentielle Intervention, aus verschiedenen Perspektiven durchaus<br />

konfliktfördernd bewertet wird. Hierzu lassen sich auch Gegenmeinungen finden, die z.B. restriktive<br />

Verfahren des Rechts danach bewerten, welche Möglichkeiten es bereitstellt, Konflikte mehr oder<br />

weniger friedlich zu erzeugen <strong>und</strong> zu bearbeiten (Messmer, 2005), doch hängt eine solche Bewertung<br />

wohl vom Standpunkt <strong>und</strong> dem Zeitpunkt der Beurteilung ab. Anders als z.B. von Tobias Werron<br />

(2010b) am Unterschied direkter Konflikte <strong>und</strong> indirekter Konkurrenz dargelegt <strong>und</strong> von<br />

Eskalationsmodellen der Konfliktsoziologie unterstellt (Messmer, 2003; Collins, 1975), können<br />

Konflikte durchaus ohne Einsatz physischer Gewalt <strong>und</strong> Zwang existentiell bedeutsam werden, wie<br />

man es an Konflikten in Online-Netzwerken von Schüler sehen kann (Manipulieren oder Löschen<br />

eines Accounts). Die Bedeutsamkeit hängt mit dem Thema des Konflikts <strong>und</strong> der Beobachtbarkeit<br />

zusammen <strong>und</strong> nicht mit der einzelnen, konkreten Verhaltensweise der Streitenden.<br />

Diese These lässt sich spezifizieren. Honneth <strong>und</strong> Luhmann haben beide darauf hingewiesen, dass ein<br />

Konflikt weder ausschließlich an Interessen noch nur durch politische Themen seine Bedeutsamkeit<br />

gewinnt. Die Karriere eines Konflikts hängt davon ab, ob er <strong>für</strong> vom gegenwärtigen<br />

Konfliktgeschehen Abwesende – da<strong>für</strong> oder dagegen, dass ist bekanntlich egal – Unterstützung<br />

rekrutieren kann. 12 Sie hängt ganz alltäglich davon ab, dass der Konflikt einem als relevant erachteten<br />

Thema zuzurechnen ist. Das Konfliktthema ermöglicht Beiträge zu generieren, die wiederum<br />

abgelehnt werden können <strong>und</strong> den Konflikt damit weiter ausdifferenzieren. Auch <strong>für</strong> ablehnende<br />

Kommunikation gilt, dass ein Zusammenhang zwischen Medien der Verbreitung von Kommunikation<br />

<strong>und</strong> der Möglichkeit, ein Thema durch Beiträge auszudifferenzieren, besteht (Luhmann, 1984: 212f.,<br />

224, 1998: 468f.). Die oben beschriebene Ambivalenz gegenüber Dritter, bezeichnet kursorisch, dass<br />

dieser Unterschied von Interaktion <strong>und</strong> Relevanz dieser Interaktion <strong>für</strong> Abwesende (Gesellschaft), von<br />

den Konfliktparteien gesehen wird.<br />

10<br />

Die Begründung der Gewalteindämmung scheint anhand berühmter Suizid-Fälle auszufallen. Doch die Form<br />

der Online-Gewalt kennt nicht nur Offline-Suizid, sondern, wie die Studie zeigt, auch die Melde-Funktion, die<br />

zwar schützen aber auch zum Online-Tod führen kann. Letztere wenn sie darauf zielt, Accounts <strong>und</strong> ihre<br />

Handlungen (Pinnwand, Fotos, Fre<strong>und</strong>schaften, Mitgliedschaften, Applikationen) auszuradieren <strong>und</strong> die dahinter<br />

liegende Adresse ohne Geschichte zurückzulassen. Ganz ähnlich beschreibt James Baldwin (1998: 125) dies als<br />

eine Folge der Sklaverei.<br />

11<br />

Eine interessante, leider aber nicht weiter erläuterte Feststellung der Studie lautet: „Andererseits besteht <strong>für</strong> die<br />

Jugendlichen auch die Option, einen Konflikt gezielt aus der Öffentlichkeit herauszunehmen <strong>und</strong> in private<br />

Räume zu verlagern. Von den Befragten wird dies als deeskalierende Handlungsstrategie benannt“ (Wagner et<br />

al., 2012: 41 Herv. P.R.).<br />

12<br />

Neben einer ‚kollektiven Semantik‘ (Honneth, 1992), die Luhmann (1984: 536) eine „Semantik der<br />

‚Diskriminierung‘“ nennt, führen beide Autoren Moral <strong>und</strong> Luhmann auch „Spezialorganisationen“ wie<br />

Gewerkschaften <strong>und</strong> NGOs, Verweise auf Politik <strong>und</strong> Recht an.<br />

6<br />

Beitrag von Philipp Rückheim zum 45.<strong>AFK</strong>-Kolloquium, 2013


Zur Bedeutsamkeit des Konflikts durch Thema <strong>und</strong> Publikum<br />

4. Zur Moral: Konfliktverschärfung durch Videoüberwachung<br />

In Differenz zur Suggestion der Ausschreibung des Kolloquiums, die politische Grenzen als besonders<br />

wichtig wertet, habe ich zur Verdeutlichung meiner These, dass dies zu spezifisch <strong>und</strong> einfach ist,<br />

Videoüberwachung als abschließendes Beispiel gewählt. Ich möchte Ihnen illustrieren, dass man mit<br />

der These, die Folgen eines Konflikts hängen nicht primär vom Konfliktgeschehen, sondern von<br />

dessen Beobachtung durch (noch) Abwesende ab, Erkenntnisse bezüglich Überwachung, Zivilcourage<br />

<strong>und</strong> Intervention bekommt. Primär geht es mir hier nicht um die Konflikteindämmung durch<br />

Videoüberwachung, sondern um eine Erklärung <strong>für</strong> die ihr zugeschriebene Konfliktverschärfung.<br />

Blickt man in die Debatten, die um Videoüberwachung öffentlicher Räume geführt werden, hat man<br />

den Eindruck, Videoüberwachung bindet die Beobachteten. Datenschutz <strong>und</strong> Stigmatisierung<br />

einerseits, Sicherheit <strong>und</strong> Kosten andererseits, sind die entsprechenden Stichwörter. Mich interessiert<br />

dieser unterstellte Bindungseffekt <strong>und</strong> ich denke, eine Alternative zu geläufigen Begründungen,<br />

warum Videoüberwachung Kriminalität erhöhe, anführen zu können (am Beispiel des Hansaplatzes in<br />

Hamburg siehe Imke Schmincke in Grätz <strong>und</strong> Knopp, 2011: 51). Eine Metaanalyse zu den Effekten<br />

solcher Überwachung kommt zum Ergebnis, dass zwar Parkhäuser weniger Diebstahl zu verzeichnen<br />

haben, sich dies hingegen von Gewalt auf öffentlichen Plätzen <strong>und</strong> Transport nicht eindeutig<br />

nachweisen lässt (Welsh <strong>und</strong> Farrington, 2008: 14f.). Im Gegenteil, kann Videoüberwachung<br />

insbesondere Gewaltkriminalität steigern <strong>und</strong> dies nicht nur, weil sie diese verlagert (Verlagerung),<br />

sondern auch durch ein überzogenes Vertrauen in die Überwachung (Unbekümmertheit) <strong>und</strong> dadurch,<br />

dass mehr Fälle berichtet werden (Registrierung). 13 Diesen drei Gründen möchte ich einen weiteren<br />

Anfügen, der das Konfliktthema Moral bzw. Zivilcourage mit dem Sich-beobachtet-Wissen bzw.<br />

Verbreitungsmedien der Kommunikation verknüpft. Mir geht es darum, zu zeigen, dass Überwachung,<br />

ob durch Videokameras an Gebäuden oder in ubiquitär verfügbaren Mobiltelefonen auch ein<br />

Konfliktauslöser <strong>und</strong> -Verstärker sein kann.<br />

Wie man von terroristischen Weltereignissen weiß, sind ihr Ziel <strong>und</strong> ihre Umsetzung nicht willkürlich.<br />

Sie hängen maßgeblich davon ab, dass sie einer weltweiten Beobachtung zugänglich sind, deren<br />

Erwartungen sie verunsichern (Stichweh, 2006: 283f.). Doch nicht nur der Terrorismus bietet<br />

Beispiele da<strong>für</strong>, dass die Präsenz von Videoaufzeichnung dazu führen kann, Konflikte überhaupt erst<br />

zu motivieren. Auch das sogenannte ‚Happy Slapping‘ oder ‚Cyber-Bullying‘ bieten Möglichkeiten,<br />

Gewalteinsatz <strong>und</strong> Konflikte nicht Anwesenden mitzuteilen <strong>und</strong> gerade darum Konflikte zu<br />

motovieren. Man muss dies nicht psychologisch anhand einer Kompensation <strong>für</strong> einen<br />

Anerkennungsverfall erklären, der als Folge von Sozialisation <strong>und</strong> Erziehung Gewalteinsatz als letzte<br />

Chance sieht (Paul, 2007; Anhut, 2008; Sponsel, 2001). 14 Es reicht der Hinweis auf<br />

Verbreitungsmedien, die eine ‚technisch separierte Beobachtung‘ zulassen, die sich von den situativen<br />

Anforderungen des Konfliktgeschehens entbinden kann (Luhmann, 1984: 409). Hier kommt der<br />

systemtheoretisch interessante Aspekt einer unterstellten Videoüberwachung <strong>und</strong> ihrer<br />

Bindungswirkung zu tragen.<br />

13<br />

„CCTV could also cause crime to increase. For example, it could give potential victims a false sense of<br />

security and make them more vulnerable because they relax their vigilance or stop taking precautions, such as<br />

walking in groups at night and not wearing expensive jewelry. It may encourage increased reporting of crimes to<br />

the police and increased recording of crimes by the police. CCTV may also cause crime to be displaced to other<br />

locations, times, or victims.“ (Welsh <strong>und</strong> Farrington, 2008: 4)<br />

14<br />

Bei Paul heißt es: „Die zeitgenössische Schamlosigkeit ist Ausdruck uneingestandener, verhüllter <strong>und</strong><br />

tabuisierter Scham; als solche jedoch steigert sie die Gewalt, ist deren Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> nicht ihre Schranke. … In der<br />

Konsequenz verhallt der Ruf nach Anerkennung, der wesentlich zur Scham gehört, in leeren Räumen. Und um<br />

die ausbleibende Anerkennung zu kompensieren, kommt es zu inszenierten Schamlosigkeiten <strong>und</strong> gewaltsamem<br />

Handeln.“ (Paul, 2007: 95)<br />

7<br />

Beitrag von Philipp Rückheim zum 45.<strong>AFK</strong>-Kolloquium, 2013


Zur Bedeutsamkeit des Konflikts durch Thema <strong>und</strong> Publikum<br />

Einerseits ist zu attestieren, wie Rudolf Stichweh anhand soziologischer Beschreibungen zeigt, dass<br />

die Moderne von ihren Personen eine gewisse Indifferenz abverlangt. Es geht darum, wie Stichweh<br />

schreibt, „sich nicht auf alle diese Anderen bezogen zu fühlen. Psychische Störungen, in denen genau<br />

dies nicht gelingt <strong>und</strong> es zu einer Überflutung des Selbst kommt, machen die Unselbstverständlichkeit<br />

dieser Leistung deutlich, wie sie gleichzeitig auch darauf hindeuten, daß diese Leistung heute normativ<br />

erwartet wird.“ (Stichweh, 2010: 171f.; <strong>für</strong> Beispiele siehe Milgram, 1970) Gerade die Aufrufe zur<br />

Zivilcourage zeigen aber, dass es Konfliktthemen gibt, die ein Intervenieren nahe legen (z.B. bei einer<br />

moralisch bewerteten Diskriminierung). Ich möchte die These vertreten, dass zwar einerseits Konflikte<br />

durch Videoüberwachung eingeschränkt werden können, wenn z.B. ein Autodiebstahl im Parkhaus<br />

aufgr<strong>und</strong> dieser unterbleibt (Welsh <strong>und</strong> Farrington, 2008). Auch das Vertrauen in Videoüberwachung,<br />

in spezialisierte Rollen wie ‚neighborhood watch‘ oder den Streitenden eine „bürgerliche Gesittetheit<br />

in der Form einer minimal wohlwollenden Intention“ zu unterstellen (Stichweh, 2010: 170) kann<br />

motivieren, nicht einzugreifen <strong>und</strong> dem Streitgeschehen damit keine interaktionsübergreifende<br />

Relevanz zuzusprechen. Die sozialpsychologische Forschung hat unter dem Begriff bystander-effect<br />

situative Faktoren, die <strong>für</strong> das Nicht-Helfen verantwortlich sind, beschrieben (zum Überblick Emrich,<br />

1998). 15 Andererseits, scheint aber gerade die „technische Separierung der Beobachtung“ (Luhmann,<br />

1984: 409) auch dazu zu veranlassen, sich nicht nur auf Andere zu verlassen, sondern selbst zu<br />

intervenieren – <strong>und</strong> dies v.a. dann, wenn nur wenige andere Anwesend sind oder diese auch eingreifen<br />

<strong>und</strong> man nicht in Eile ist, sondern z.B. auf seine Bahn wartet (interessant zum Zeitdruck Darley <strong>und</strong><br />

Batson, 1973). Aus einer Pöbelei kann so schnell ein gewaltsamer, mitunter tödlich verlaufender<br />

Konflikt werden (Totschlag, Löschen eines Accounts), der dann Proteste, Gesetzesänderungen <strong>und</strong><br />

andere Maßnahmen auslösen kann. Die anfänglichen Streitparteien hätten vielleicht eine schnell<br />

bereinigte Bagatelle gehabt, eine Mücke. Das Einmischen anderer, verschärft den Konflikt.<br />

Die Einmischung ist von der Annahme motiviert, beobachtet zu werden. Das technisch separierte<br />

Beobachten, durch die Berichterstattung der Massenmedien, lässt die sich potentiell Einmischenden<br />

entweder couragiert erscheinen <strong>und</strong> Achtung erlangen oder aber beim Wegschauen, zu Missachtung<br />

führen. Wolfram Heuer hat in Interviews mit widerspenstigen DDR-Bürgern erkannt, dass diese mit<br />

der Zeit, regelrecht nach „interaktiven Konfliktstoffen“ suchen <strong>und</strong> Konflikte mitunter selbst<br />

„herbeiführen“. 16 Auch hier ist es die Erwartung, dass das Konfliktgeschehen eine Relevanz hat, die<br />

über das gegenwärtige Konfliktgeschehen hinaus weist, die dazu führt, dass der Konflikt an<br />

Bedeutung gewinnt. Systemtheoretisch lässt sich daran ein Bindungseffekt vom antizipierten<br />

Beobachtet werden erschließen, der als Bindungseffekt auf die Sozialdimension von Sinn <strong>und</strong> damit<br />

auf Moral verweist.<br />

Wie oben erläutert, ist Moral einer der Mechanismen, der Konflikte aufwertet. Wie die Scham, verteilt<br />

Moral Achtung <strong>und</strong> Missachtung nicht nur auf Einzelaspekte, sondern auf die gesamte Person (Paul,<br />

2007) 17 . Diese „funktional diffus[e]“ Gesamtbeurteilung der Moral lädt zum öffentlichen Streit ein<br />

15 Dieses Vertrauen scheint mit der Gr<strong>und</strong> <strong>für</strong> die geringe Interventionsbereitschaft im Fall ‚Kitty Genovese‘ von<br />

1964 ebenso zu sein (interessant hierzu Manning et al., 2007), wie in der ignorierten Vergewaltigung in einer<br />

Hamburger S-Bahn (Kleine-Brockhoff, 1997).<br />

16 „Couragierte Menschen werden mit zunehmender Erfahrung Experten <strong>für</strong> das Aufspüren von interaktiven<br />

Konfliktstoffen, die sie persönlich sehr berühren. […] Es sind immer wieder ähnliche Konstellationen, in denen<br />

sich die Akteure zu abweichenden <strong>und</strong> mutigen Handeln herausgeforderter sehen, oder die sie gelegentlich auch<br />

unbewußt herbeiführen.“ Auch nach der Wiedervereinigung würde die „Mehrheit der Befragten […] der<br />

Bevölkerung [weiterhin] Vorwürfe“ machen (Heuer, 1998: 155f.), Neinsagebereitschaften also verstärken <strong>und</strong><br />

motivieren.<br />

17 „Die Scham sanktioniert die gesamte Person; […] Die Schuld hingegen bezieht sich auf ein bestimmtes Tun“<br />

(Paul, 2007: 91).<br />

Beitrag von Philipp Rückheim zum 45.<strong>AFK</strong>-Kolloquium, 2013<br />

8


Zur Bedeutsamkeit des Konflikts durch Thema <strong>und</strong> Publikum<br />

(Luhmann, 1984: 317). 18 Meine These ist, dass das in Rechnung stellen, von einer ‚technisch<br />

separierten‘ Beobachtung aus einer Bagatelle über Einmischung einen Konflikt generieren kann. Als<br />

Kommunikation orientiert sich auch der Konflikt an Erwartungen, also gegenläufig zur Zeit des<br />

Kommunikationsprozesses (siehe oben 2.). Zu dieser Orientierung gehören die Wahrscheinlichkeit<br />

einer Aufzeichnung <strong>und</strong> deren Folgen <strong>für</strong> eine diffuse Gesamtbeurteilung der eigenen oder einer<br />

anderen Person. Durch Videoaufzeichnung werden massenmedial verwertbare Sequenzen erhalten, die<br />

eine spätere Beobachtung ermöglichen, vom gegenwärtigen Handlungsgeschehen aber antizipiert<br />

werden <strong>und</strong> Einmischung motiviert. So kann aus einer Mücke ein folgenreicher Elefant werden. Das<br />

dies geschieht, lässt sich an terroristische Weltereignisse sehen <strong>und</strong> kann erklären, warum<br />

Gewaltkriminalität trotz Videoüberwachung nicht zwingend abnimmt. 19 Eine Zunahme von<br />

Verbrechen trotz fest installierter oder mobil verfügbarer Videoaufzeichnung ist mit dieser Theorie,<br />

nicht nur auf Verlagerung, Unbekümmertheit oder Registrierung zurückzuführen (Greveler, 2012;<br />

Welsh <strong>und</strong> Farrington, 2008).<br />

Bedenkt man die Bindungswirkung ‚technisch separierter Beobachtung‘, die zu einem späteren<br />

Zeitpunkt, zu moralischen Urteilen führen kann, die dann die gesamte Person betreffen, lässt sich ein<br />

weiterer Gr<strong>und</strong> in der Einmischung couragierter BürgerInnen erkennen. Wolfram Heuers (1998: 155)<br />

Ergebnisse zeigen, dass das Handeln der Zivilcourage, wenn überhaupt, dann nicht aus<br />

gemeinschaftlichen, sondern aus partikulären Motiven heraus entsteht, denen es darum geht, eine<br />

verunsicherte „Ich-Identität wiederherzustellen“ (vgl. zum Terrorismus als Umgang mit Kontingenz<br />

Japp, 2007: 176f.). Die „Ich-Selektion“ (Luhmann, 1984: 373) wird damit konfrontiert, entweder<br />

später als indifferent oder couragiert zu erscheinen. Je nachdem, wie diese Frage entschieden wird<br />

oder welche Möglichkeiten bereitstehen, diese Bewertung von vornherein abzuschieben (Telefonieren,<br />

Eile, Vertrauen auf Gesittetheit <strong>und</strong> auf Überwachung), legt dies ein entsprechendes öffentliches<br />

Verhalten nahe. Einerseits mag Videoaufzeichnung helfen Verbrechen <strong>und</strong> Konflikte einzudämmen,<br />

andererseits provoziert sie diese.<br />

5. Schlussbemerkung: Publikum <strong>und</strong> folgenreiche Konfliktsysteme<br />

Ich hoffe Sie mit der These überrascht zu haben, dass das abwesende Publikum eines<br />

Konfliktgeschehens mehr Beachtung von der <strong>Konfliktforschung</strong> verdienen sollte, als die Gründe der<br />

Streitparteien oder der Prozess des Konfliktgeschehens. Wichtige Anschlussfragen wären darum:<br />

- Wie kann das hochintegrative Konfliktgeschehen überhaupt ignoriert oder beobachtet werden<br />

<strong>und</strong> variiert dies historisch, technisch <strong>und</strong> an Konfliktthemen;<br />

- lassen sich Werte <strong>für</strong> das Konflikterleben identifizieren (z.B. Unterhaltung, Abschreckung);<br />

- welche Funktion kommt dem Erleben <strong>und</strong> Beobachten <strong>für</strong> die Streitenden, ihr Streitthema <strong>und</strong><br />

dessen Regulierung zu <strong>und</strong> wie beschreiben diese Streitenden ihr Publikum;<br />

- verändert die Beobachtung das Konfliktgeschehen <strong>und</strong> wirkt dies auf das Publikum zurück?<br />

Tobias Werron (2010a: 64-71) hat in seiner Dissertation zur Entstehung des modernen Sports gezeigt,<br />

wie nicht nur Wettkampfbetrieb <strong>und</strong> Regeln, sondern auch die technisch ermöglichte Inklusion des<br />

Publikums dazu geführt hat (ebd.: 255f.), sportliche Leistungen global zu vergleichen. Das Publikum,<br />

so Werrons innovative These, ist neben Wettkampfbetrieb <strong>und</strong> Regeln einer der Mechanismen, der<br />

18<br />

„Auch Moral […] wirk[t] konfliktfördernd, indem sie in Aussicht stell[t], daß man mit der eigenen Position<br />

auf der richtigen Seite liegt <strong>und</strong> die Gegenseite der öffentlichen Ablehnung […] aussetzen kann.“ (ebd.: 535)<br />

19<br />

Insgesamt konnte in Stadtzentren ein Kriminalitätsrückgang von 7% <strong>und</strong> in Parkhäusern von 51% verzeichnet<br />

werden. Interessant ist, dass es zu einer Zunahme von ‚violent crimes‘ im Stadtzentrum Cambridges, im<br />

Vergleich zu dessen Kontrollgruppe kam (siehe Welsh <strong>und</strong> Farrington, 2008: 14, 16f.). Für einen Einzelfall,<br />

siehe die Intervention eines couragierten Bürgers (Diehl <strong>und</strong> Langer, 2009).<br />

9<br />

Beitrag von Philipp Rückheim zum 45.<strong>AFK</strong>-Kolloquium, 2013


Zur Bedeutsamkeit des Konflikts durch Thema <strong>und</strong> Publikum<br />

dazu führt, dass sportliche Leistungen, über das lokale Wettkampfgeschehen hinaus, global<br />

aufeinander bezogen, bewertet, verglichen, projektiert <strong>und</strong> damit schließlich motiviert werden. Für<br />

mich stellt sich hier die Frage, ob dies auch von der Ausdifferenzierung folgenreicher Konfliktsysteme<br />

zu behaupten ist. Konfliktthemen scheinen ein Publikum zu rekrutieren, das Schädigungen zuschreibt,<br />

Gründe unterstellt <strong>und</strong> Reaktionen projektiert. Dadurch stattet das Publikum, das Konfliktgeschehen<br />

mit interaktionsübergreifende Relevanz aus. Vielleicht ließe sich sagen, dass es bei den Möglichkeiten<br />

der Beobachtung ebenso Verschiebungen gibt, wie bei den Konfliktthemen. War <strong>für</strong> nationalstaatliche<br />

Gesellschaftssysteme der Verweis auf Politik wichtig, um einen Konflikt als relevant erscheinen zu<br />

lassen, mag das in der primär funktional differenzierten Weltgesellschaft nicht zwingend der Fall zu<br />

sein. Nicht nur die Beobachtung lässt sich durch Medien der Kommunikation, internationalen<br />

Tourismus, globale Rankings <strong>und</strong> vielen anderen Strukturen global orientieren, sondern es ist –<br />

zumindest systemtheoretisch – zu attestieren, dass die moderne Gesellschaft, die Politik als ein<br />

Funktionssystem neben andere verordnet. Jedes dieser Funktionssysteme kann Konflikte auslösen,<br />

sofern darauf spezialisierte ‚Parasiten‘, ob Supertheorien oder investigativer Journalismus,<br />

Widersprüche konstituieren <strong>und</strong> mitteilen (Stichweh, 2005: 61). Auf Ebene eines Einzelnen, kann<br />

gerade Moral, die eine Person in all ihren Hinsichten bewertet, ein folgenreiches Konfliktthema<br />

werden <strong>und</strong> nicht nur Unterdrückung, ökonomische Ungleichheit, F<strong>und</strong>amentalismus oder<br />

Diskriminierung. Konflikte generieren durch ihre Themen Beiträge <strong>und</strong> damit Fortsetzbarkeit.<br />

Ich hoffe auch gezeigt zu haben, dass ein Vertrauen auf Konflikte als Reinigungskräfte, riskant ist.<br />

Konflikte entbrennen nicht an den – <strong>für</strong> wen auch immer – wichtigsten Stellen, sondern hängen von<br />

der Inklusion eines Publikums ab. Vielleicht lässt sich auch von folgenreichen Konflikten sagen, dass<br />

sie nicht gleichverteilt, hier <strong>und</strong> dort, überraschend entstehen, sondern extremverteilt (hierzu allgemein<br />

Barabási <strong>und</strong> Albert, 1999). Nur wenige Themen – z.B. Fremdheit, Ungleichheit, Legitimität,<br />

Unterdrückung, Ökologie, Anerkennung – erlangen rasant gesellschaftliche Relevanz. Die meisten<br />

anderen Ablehnungen verhallen – zum Beispiel eine abgewiesene Liebeserklärung – oder, wie in<br />

Organisationen typisch, dürfen nur äußerst restriktiv geäußert werden – mit Folgen <strong>für</strong> Beratung <strong>und</strong><br />

psychische Systeme (früher Rückenleiden, heute Burn-Out). Auf Hinweise hierzu <strong>und</strong> zur Rolle des<br />

Publikums, bin ich sehr gespannt.<br />

Ende<br />

Philipp Rückheim, GSL Universität Luzern, Februar 2013<br />

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