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Chaos und Fraktale - Mathematik

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B. Hafenbrak Wintersemester 2004/05<br />

<strong>Chaos</strong> <strong>und</strong> <strong>Fraktale</strong><br />

Kap. 1 Die Verhulst-Gleichung<br />

Der belgische <strong>Mathematik</strong>er Pierre Francois Verhulst untersuchte um 1845<br />

dynamische Modelle für das Wachstum einer Bevölkerung. Ein einfaches Modell wird<br />

durch die folgende Iterationsgleichung beschrieben, die nach ihm benannte Verhulst-<br />

Gleichung.<br />

pn+1 = pn + k (1-pn) pn , n ∈ N<br />

Dabei ist pn die Bevölkerung zum Zeitpunkt n (normiert bezüglich einer gegebenen<br />

Grenze), k ist die durchschnittliche Anzahl von Kindern pro Individuum (unter der<br />

Bedingung dass pn sehr klein gegen 1 ist).<br />

A1.1 Untersuchen Sie in Gruppenarbeit mit dem Taschenrechner, wie sich die<br />

Bevölkerung entwickelt. Variieren Sie dazu bei gleichem k innerhalb der<br />

Gruppe den Anfangswert p0. Variieren Sie dann auch k. Wählen Sie k nicht zu<br />

groß (k < 3).<br />

Bequemer geht die Untersuchung mit dem Computer, bei dem die Wiederholungen<br />

schneller gelingen als mit dem Taschenrechner. Außerdem ist hier eine grafische<br />

Darstellung möglich, die einen besseren Überblick über den zeitlichen Verlauf der<br />

Bevölkerung gestattet.<br />

A1.2 Versuchen Sie die Aufgabe A1.1 mit einem Tabellenkalkulationssystem zu<br />

lösen.<br />

A1.3 Nachfolgend sehen Sie zwei Python-Programme, die dasselbe leisten sollen<br />

wie die zwei ersten Aufgaben. Versuchen Sie diese kleinen Programme zu<br />

verstehen. Untersuchen Sie jetzt vertieft die Abhängigkeit vom Parameter k<br />

mit Hilfe der Programme (diese sind im Laufwerk O abgelegt). Bei welchen<br />

Parameterwerten ändert sich das Verhalten gr<strong>und</strong>legend?<br />

1. Programm (Verhulst.py)<br />

# Verhulst<br />

k=1.2<br />

p=0.1<br />

for n in range(100):<br />

print p,<br />

p=p+k*p*(1-p)<br />

2. Programm (Verhulstgra.py), zeichnerisch<br />

# Verhulst graphisch dargestellt<br />

from Tkinter import Tk, Canvas<br />

fenster=Tk()<br />

bild=Canvas(fenster,width=900,height=400,<br />

bg="white")<br />

bild.grid()<br />

k=2.2<br />

p=0.1<br />

bild.create_line(10,200,900,200)<br />

bild.create_line(10,200,10,10)<br />

for n in range(100):<br />

p=p+k*p*(1-p)<br />

x=18+8*n<br />

y=200-int(100*p)<br />

bild.create_line(x,y,x,y,width=3)<br />

fenster.update()


B. Hafenbrak <strong>Chaos</strong> <strong>und</strong> <strong>Fraktale</strong> Kap 1 Verhulst-Gleichung WS 2004/05<br />

Das Diagramm wird noch übersichtlicher, wenn man die Punkte verbindet. Dies<br />

geschieht im folgenden Programm verhulstgra2.py<br />

# Verhulst, graphisch dargestellt, 2. Version<br />

from Tkinter import Tk, Canvas<br />

fenster=Tk()<br />

bild=Canvas(fenster,width=900,height=400, bg="white")<br />

bild.grid()<br />

k=2.5<br />

p=0.1<br />

xneu=10<br />

yneu=200-int(100*p)<br />

bild.create_line(10,200,900,200)<br />

bild.create_line(10,200,10,10)<br />

for n in range(100):<br />

xalt=xneu<br />

yalt=yneu<br />

p=p+k*p*(1-p)<br />

xneu=xalt+8<br />

yneu=200-int(100*p)<br />

bild.create_line(xalt,yalt,xneu,yneu)<br />

fenster.update()<br />

A1.4 Fassen Sie Ihre bisherigen Erkenntnisse zusammen. Wie hängt das Verhalten<br />

der Funktion p vom Parameter k ab?<br />

Um das Verhalten genauer zu beschreiben sind die folgenden Bezeichnungen<br />

hilfreich:<br />

D1.1 Es sei eine Iterationsvorschrift x n+1 = f(xn) gegeben.<br />

Die Zahl x heißt Fixpunkt dieser Iteration, wenn gilt x = f(x)<br />

Die Zahl x heißt Fixpunkt der Periode 2 wenn gilt x = f(f(x))<br />

- Die Zahl x heißt Fixpunkt der Periode 3 wenn gilt x = f(f(f(x)))<br />

Die Zahl x heißt Fixpunkt der Periode k wenn gilt x = f k (x)<br />

Ein Fixpunkt x der Periode k heißt Attraktor wenn für wachsendes n der Wert<br />

f nk (x0) gegen x konvergiert, falls x0 in der Nähe von x liegt.<br />

Ein Fixpunkt der Periode k heißt Repellor, falls er kein Attraktor ist.<br />

A1.5 Fassen Sie mit Hilfe dieser Definitionen nochmals das Verhalten zusammen.<br />

Wie viele Fixpunkte gibt es? Wo sind die Fixpunkte Attraktoren?<br />

A1.6 Versuchen Sie bei der Verhulst-Gleichung die Fixpunkte <strong>und</strong> die Fixpunkte der<br />

Periode 2 rechnerisch zu finden.<br />

Einen guten Überblick erhält man mit dem Feigenbaum-Diagramm.<br />

# Feigenbaum zu Verhulst<br />

from Tkinter import Tk, Canvas<br />

fenster=Tk()<br />

bild=Canvas(fenster,width=900,height=500, bg="white")<br />

bild.grid()<br />

def punkt(x,y):<br />

bild.create_line(x,y,x,y+1)<br />

def achsenkreuz():<br />

bild.create_line(50,400,850,400,fill="blue")<br />

bild.create_line(50,400,50,0,fill="blue")<br />

2


B. Hafenbrak <strong>Chaos</strong> <strong>und</strong> <strong>Fraktale</strong> Kap 1 Verhulst-Gleichung WS 2004/05<br />

for i in range(1,4):<br />

bild.create_line(i*250+50,385,i*250+50,415,fill="blue")<br />

for i in range(1,30):<br />

bild.create_line(i*25+50,392,i*25+50,408,fill="blue")<br />

bild.create_line(40,200,60,200, fill="blue")<br />

for i in range(1,20):<br />

bild.create_line(45,400-i*20,55,400-i*20,fill="blue")<br />

achsenkreuz()<br />

k=0<br />

while k < 3:<br />

p=0.1<br />

for n in range(800):<br />

p=p+k*p*(1-p)<br />

x=250*k+50<br />

y=400-int(200*p)<br />

if n>600:<br />

punkt(x,y)<br />

k = k + 0.004<br />

fenster.update()<br />

fenster.update()<br />

Erläuterung des Programms:<br />

Die Prozedur achsenkreuz dient zum Zeichnen des Achsenkreuzes, sie ist hier nicht<br />

wichtig. Die Abszisse dient als k-Achse, die Ordinate als p-Achse. Das Programm<br />

besteht aus zwei geschachtelten FOR-Schleifen. In der äußeren Schleife wird der<br />

Parameter k zwischen 0 <strong>und</strong> 3 variiert. Für jedes k wird in der inneren FOR-Schleife<br />

die Iteration der Verhulst-Gleichung 800-mal durchgeführt, wobei nur die letzten 200<br />

p-Werte im Diagramm aufgetragen werden.<br />

Es entsteht das folgende Bild:<br />

Interpretation des Feigenbaumdiagramms:<br />

Für k


B. Hafenbrak <strong>Chaos</strong> <strong>und</strong> <strong>Fraktale</strong> Kap 1 Verhulst-Gleichung WS 2004/05<br />

Für 2


B. Hafenbrak <strong>Chaos</strong> <strong>und</strong> <strong>Fraktale</strong> Kap 1 Verhulst-Gleichung WS 2004/05<br />

Exaktere Untersuchung der bisherigen Beobachtungen<br />

Bis jetzt haben wir nur am Computer beobachtet. Wir wollen nun soweit wie möglich<br />

die Beobachtungen durch exaktere Überlegungen stützen <strong>und</strong> teilweise erklären.<br />

Berechnung der Fixpunkte<br />

Ein Fixpunkt p ist definiert durch p = f(p), in unserem Fall also<br />

oder<br />

p = p + k (1 - p) p<br />

0 = k (1 -p) p<br />

Das Produkt auf der rechten Seite ist genau dann gleich Null, wenn einer der drei<br />

Faktoren gleich Null ist. Nehmen wir k positiv an, so erhalten wir<br />

p = 0 oder p = 1<br />

Für alle k-Werte ungleich Null gibt es also genau zwei Fixpunkte, nämlich 0 <strong>und</strong> 1.<br />

Wann handelt es sich dabei um Attraktoren bzw. Repelloren? Um das zu<br />

untersuchen, starten wir dicht neben einem Fixpunkt <strong>und</strong> untersuchen, was nach<br />

einer Iteration los ist.<br />

Wir starten in der Nähe von 0. Das drücken wir so aus:<br />

p1 =δ, wobei δ betragsmäßig sehr klein sei.<br />

Wir erhalten für das nächste Folgenglied<br />

p2 = δ + k(1 - δ) δ<br />

Für positives k ist p2 sicher weiter von 0 entfernt als p1, mithin ist 0 ein Repellor.<br />

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B. Hafenbrak <strong>Chaos</strong> <strong>und</strong> <strong>Fraktale</strong> Kap 1 Verhulst-Gleichung WS 2004/05<br />

Wir starten in der Nähe von 1. Das drücken wir so aus:<br />

p1 =1+δ, wobei δ betragsmäßig sehr klein sei.<br />

Wir erhalten für das nächste Folgenglied<br />

p2 = 1+δ + k( - δ) (1+δ)<br />

p2 = 1+δ - k δ - δ 2<br />

Da δ sehr klein sein soll, ist δ 2 vernachlässigbar, so dass ungefähr gilt<br />

p2 = 1+δ - k δ<br />

Für 0 < k 2 ist p2 weiter von der Zahl 1 entfernt als p1. Der Wert 1 ist also Repellor.<br />

(Für k=2 können diese Überlegungen keine Entscheidung bringen.)<br />

Fixpunkte der Periode 2<br />

Ein Fixpunkt der Periode 2 liegt vor, wenn gilt<br />

Nun ist<br />

pn+2 = pn<br />

pn+2 = pn+1 + k (1 - pn+1 ) pn+1<br />

= pn + k (1 - pn ) pn + k(1 - (pn + k (1 - pn ) pn ) (pn + k (1 - pn ) pn )<br />

In die obige Gleichung eingesetzt ergibt das<br />

pn + k (1 - pn ) pn + k(1 - (pn + k (1 - pn ) pn ) (pn + k (1 - pn ) pn ) = pn<br />

k (1 - pn ) pn + k(1 - (pn + k (1 - pn ) pn ) (pn + k (1 - pn ) pn ) = 0<br />

Im folgenden schreiben wir statt pn einfacher p <strong>und</strong> versuchen diese Gleichung<br />

vierter Ordnung zu lösen.<br />

k (1 - p ) p+ k(1 - (p + k (1 - p ) p ) (p + k (1 - p ) p ) = 0<br />

Dabei kommt es uns zu gute, dass wir schon zwei Lösungen kennen, nämlich 0 <strong>und</strong><br />

1 (jeder Fixpunkt ist auch Fixpunkt der Periode 2).<br />

Die Lösung 0 sieht man der Gleichung auch sofort an, da p als Faktor in den beiden<br />

Summanden der linken Seite enthalten ist. Suchen wir Lösungen ungleich 0, so<br />

dürfen wir die Gleichung durch p dividieren:<br />

k (1 - p) + k (1 - (p + k (1 - p) p) ( 1 + k (1 - p)) = 0<br />

Eine schnelle Kopfrechnung zeigt, dass auch p = 1 eine Lösung ist, also sollte es<br />

möglich sein, den Faktor (p-1) bzw. (1-p) auszuklammern. Mit diesem Ziel vor Augen<br />

formen wir die Gleichung um<br />

k (1 - p) + k (1 - p - k (1 - p) p) ( 1 + k (1 - p)) = 0<br />

k (1 - p) + k (1 - p) (1 - k p) ( 1 + k (1 - p)) = 0<br />

(1 - p)(k + k(1 - k p)(1 +k(1 - p))) = 0<br />

Suchen wir Lösungen ungleich 1, so können wir die Gleichung durch (1 - p)<br />

dividieren <strong>und</strong> erhalten eine quadratische Gleichung für p<br />

6


B. Hafenbrak <strong>Chaos</strong> <strong>und</strong> <strong>Fraktale</strong> Kap 1 Verhulst-Gleichung WS 2004/05<br />

k + k(1 - k p)(1 +k(1 - p)) = 0<br />

1 + (1 - k p)(1 +k(1 - p)) = 0 für k>0<br />

k 2 p 2 - (2k + k 2 ) p + 2 + k = 0<br />

Das ergibt die Lösungen<br />

p<br />

p<br />

1<br />

2<br />

+ k 1<br />

= + ⋅ k<br />

2k<br />

2k<br />

2 2<br />

+ k 1<br />

= − ⋅ k<br />

2k<br />

2k<br />

2 2<br />

− 4<br />

− 4<br />

Für k


B. Hafenbrak <strong>Chaos</strong> <strong>und</strong> <strong>Fraktale</strong> Kap 1 Verhulst-Gleichung WS 2004/05<br />

k = 1,8<br />

y<br />

k = 2,2<br />

y<br />

1 x<br />

8


B. Hafenbrak <strong>Chaos</strong> <strong>und</strong> <strong>Fraktale</strong> Kap 1 Verhulst-Gleichung WS 2004/05<br />

Der Startwert ist hier in der Nähe von 1, man sieht, wie der Wert 1 abstoßend wirkt<br />

<strong>und</strong> wie sich Fixpunkte der Periode 2 als attraktiv erweisen.<br />

A1.8 Berechnen Sie die beiden Fixpunkte der Periode 2 für k = 2.2 <strong>und</strong> vergleichen<br />

Sie mit dem obigen Diagramm.<br />

A 1.9 Zeichnen Sie ein entsprechendes Diagramm für k = 2,35 <strong>und</strong> berechnen Sie<br />

auch hier die beiden Fixpunkte der Periode 2.<br />

A 1.10 Suchen Sie im Feigenbaum-Diagramm einen k-Wert, bei dem Fixpunkte der<br />

Periode 4 attraktiv sind. Veranschaulichen Sie das in einem Schaubild.<br />

Die Diagramme führen uns auf eine Bedingung, mir der wir das Attraktor- bzw.<br />

Repellorverhalten untersuchen können. Der Fixpunkt ist bestimmt durch den<br />

Schnittpunkt des Schaubildes von f mir der ersten Winkelhalbierenden. Ob dieser<br />

Schnittpznkt anziehend oder abstoßend wirkt, wird durch die Steigung des<br />

Schaubildes an diesem Schnittpunkt verursacht. Denken wir uns die Umgebung des<br />

Schnittpunktes stark vergrößert dargestellt, so können wir die Kurve durch ihre<br />

Tangente ersetzen. Dadurch wird einsichtig, dass für einen Fixpunkt xF gilt:<br />

Falls |f´( xF)| 1, ist xF ein Repellor.<br />

Das sieht am unmittelbar an den beiden Diagrammtypen ein:<br />

9


B. Hafenbrak <strong>Chaos</strong> <strong>und</strong> <strong>Fraktale</strong> Kap 1 Verhulst-Gleichung WS 2004/05<br />

Rechnerisch kann man sich das folgendermaßen überlegen:<br />

Es sei xF ein Fixpunkt der Funktion f.<br />

In der nahen Umgebung von xF gilt näherungsweise<br />

f(x) - f(xF) = f´( xF)*(x - xF)<br />

f(x) - xF = f´( xF)*(x - xF)<br />

Daraus kann man die obige Behauptung schließen.<br />

Fixpunkte der Periode 2 im Diagramm<br />

Die obigen Überlegungen lassen sich auf Fixpunkte einer Periode p verallgemeinern,<br />

etwa auf Fixpunkte der Periode 2. Um diese im Diagramm zu veranschaulichen<br />

betrachten wir das Schaubild der Funktion f 2 . Dabei ist hier f 2 definiert durch<br />

f 2 (x) = f(f(x)).<br />

In unserem Beispiel der Verhulstgleichung ist<br />

F2(x) = f(f(x))<br />

= f(x) + k(1-f(x)) f(x)<br />

= x + k (1 - x) x + k (1 - (x + k (1 - x)) x ) ( x + k ( 1 - x) x )<br />

Für k = 2,3 ergibt sich z.B. folgendes Diagramm:<br />

Man erkennt die 4 Fixpunkte der Periode 2, Die Fixpunkte 0 <strong>und</strong> 1 sind Repelloren,<br />

die beiden anderen Fixpunkte der Periode 2 sind Attraktoren, wie aus der Steigung<br />

ersichtlich ist.<br />

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