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BWGZ 1|2011 DIE GEMEINDE - Gemeindetag Baden-Württemberg

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<strong>BWGZ</strong> <strong>1|2011</strong><br />

15. Januar 2011<br />

134. Jahrgang<br />

<strong>DIE</strong> <strong>GEMEINDE</strong><br />

Zeitschrift für die Städte und Gemeinden<br />

Organ des <strong>Gemeindetag</strong>s <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Bilanz und Perspektiven


<strong>DIE</strong> <strong>GEMEINDE</strong><br />

„Die Gemeinde“ (<strong>BWGZ</strong>) ist die führende<br />

Fachzeitschrift für kommunalpolitische Themen<br />

in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>. Sie erscheint mit<br />

23–24 Ausgaben im Jahr und in einer Auflage<br />

von 5.000 Exemplaren im 133. Jahrgang.<br />

„Die Gemeinde“ (<strong>BWGZ</strong>) wird in allen Rathäusern,<br />

Landratsämtern, Regierungspräsidien<br />

und Ministerien gelesen. Mandatsträger auf<br />

allen politischen Ebenen und Angehörige von<br />

politischen Institutionen gehö ren ebenso zu<br />

den Abonnenten wie Mitglieder aus Kammern<br />

und Entscheidungsträger der Wirtschaft. Und<br />

immer mehr Rechtsanwälte sehen diese Fachzeitschrift<br />

als Pflichtlektüre.<br />

Das Themenspektrum ist breit gefächert. Es<br />

deckt die ganze Bandbreite der kommunalen<br />

Wissenschaft und Praxis, das Kommunalrecht<br />

und die Kommunalpolitik sowie sämtliche kommunalpolitisch<br />

relevanten Gesellschafts- und<br />

Sachbereiche ab.<br />

Neben den Mitarbeitern aus der Geschäftsstelle<br />

des <strong>Gemeindetag</strong>s <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> sind<br />

die Autoren Wissenschaftler, Fachleute aus<br />

dem administrativen und exekutiven Bereich<br />

sowie erfahrene Praktiker aus den Städten und<br />

Gemeinden.<br />

● Abwasser<br />

● Bevölkerung<br />

● Contracting<br />

● Demografie<br />

● Ehrenamt<br />

● Finanzen<br />

● Gewerbesteuer<br />

● Haftung<br />

● Integration<br />

● Kinder<br />

● Leistungsvergleich<br />

● Mobilfunk<br />

Zeitschrift für die Städte und Gemeinden<br />

Organ des <strong>Gemeindetag</strong>s <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

● Nahversorgung<br />

● Ökokonto<br />

● Personal<br />

● Qualitätssicherung<br />

● Regulierung<br />

● Schule<br />

● Stadtentwicklung<br />

● Tageseinrichtungen<br />

● Umwelt<br />

● Vergabe<br />

● Winterdienst<br />

● Zweckverband<br />

sind nur einige von vielen Themen, die in der<br />

Zeitschrift ihren Niederschlag finden.<br />

Der <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> greift in<br />

seiner Verbandszeitschrift „Die Gemeinde“<br />

(<strong>BWGZ</strong>) aber nicht nur aktuelle Themen auf, sondern<br />

stößt die Diskussion um neue kommunalpolitisch<br />

wichtige Fragen und Entwicklungen an.<br />

Möchten Sie „Die Gemeinde“ (<strong>BWGZ</strong>) kennenlernen?<br />

Oder kennen Sie die Zeitschrift, sind aber noch<br />

nicht Abonnent/in?<br />

Wenden Sie sich bitte an uns:<br />

E-Mail: margot.tschentscher@gemeindetag-bw.de<br />

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Bei Fragen steht Ihnen Frau Tschentscher gerne<br />

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Telefon 0711/225 72-48<br />

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geht nicht automatisch in ein Jahresabonnement über.<br />

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Datum/Unterschrift<br />

<strong>BWGZ</strong> 3 |2010<br />

15. Februar 2010<br />

133. Jahrgang<br />

<strong>DIE</strong> <strong>GEMEINDE</strong><br />

Zeitschrift für die Städte und Gemeinden<br />

Organ des <strong>Gemeindetag</strong>s <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Kinderbetreuung<br />

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Organ des <strong>Gemeindetag</strong>s <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

<strong>BWGZ</strong> 21 |2009<br />

14. November 2009<br />

132. Jahrgang<br />

<strong>DIE</strong> <strong>GEMEINDE</strong><br />

Zeitschrift für die Städte und Gemeinden<br />

Organ des <strong>Gemeindetag</strong>s <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

<strong>BWGZ</strong> 22 |2009<br />

30. November 2009<br />

132. Jahrgang<br />

<strong>DIE</strong> <strong>GEMEINDE</strong><br />

Zeitschrift für die Städte und Gemeinden<br />

Radverkehr<br />

<strong>BWGZ</strong>-22_Umschlag.indd 1 23.11.2009 11:33:23 Uhr<br />

Mitgliederversammlung 2009


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Editorial 2<br />

Aus dem <strong>Gemeindetag</strong><br />

Bündnis zur Stärkung der beruflichen Ausbildung und des<br />

Fachkräftenachwuchses in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> unterzeichnet 3<br />

Pressemitteilungen<br />

Kommunen steuern auf Rekorddefizit zu –<br />

Vertrauen der Bürger in die lokale Demokratie stärken 4<br />

Lehren aus Stuttgart 21: Bürgerbeteiligung modernisieren –<br />

Planungsverfahren straffen – Wirtschaftsstandort Deutschland stärken 4<br />

Kommunale Waldbesitzer fordern: Spannungsfeld von<br />

„Wald und Wild“ in Einklang bringen 5<br />

Bilanz und Perspektiven<br />

<strong>Gemeindetag</strong>:<br />

Auch für Städte und Gemeinden noch keine<br />

nachhaltige Entspannung in Sicht – verhaltener Optimismus<br />

bei strengster Haushaltsdisziplin 6<br />

Gt-service GmbH:<br />

Maßgeschneiderte Dienstleistungen 38<br />

Florian Domansky:<br />

Die EU im Jahr 1 nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags 40<br />

Allgemeiner Teil<br />

Georg Wacker MdL:<br />

Das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit 2011<br />

und Ehrenamt in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>:<br />

Von und durch die Schule ins Ehrenamt – Ehrenamt qualifiziert 46<br />

Roland Burger und Max Reger:<br />

2011: Internationales Jahr der Wälder – eine Chance für die Kommunen 48<br />

Eva Strobel:<br />

Vom Boom in die Krise – aus der Krise in den Aufschwung 50<br />

Dr. Carmina Brenner:<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> lässt die Krise hinter sich 54<br />

Dr. Hans-Eberhard Koch:<br />

Wirtschaftsentwicklung in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – aktuelle Lage und Aussicht 57<br />

Fachtagung der Akademie Ländlicher Raum:<br />

Medizinische Versorgung im Ländlichen Raum 59<br />

Kulturdenkmale sanieren – Energie sparen 59<br />

Gemeindeporträt<br />

Sabrina Lenz:<br />

Gemeinde Muggensturm – aufstrebende Gemeinde voller Lebensqualität 60<br />

Rechtsprechung<br />

Ernennung eines Beamten im Konkurrentenstreit ist anfechtbar 62<br />

Zur Kalkulation der Gebührensätze bei der gesplitteten Abwassergebühr 63<br />

Impressum 53<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Zum Titelbild<br />

Auch in diesem Winter konnten wir<br />

uns über Schneemangel wahrlich<br />

nicht beklagen. Der Winterdienst in<br />

den Kommunen war stark gefordert<br />

und die Salzvorräte gingen teilweise<br />

wieder zu Ende. Und dann kam der<br />

große Regen – einige Städte und<br />

Gemeinden mussten Hochwasser<br />

vermelden.<br />

Fotos: irisblende.de<br />

1<br />

Foto: irisblende.de


Editorial<br />

Roger Kehle<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

ich wünsche Ihnen im Namen des <strong>Gemeindetag</strong>s ein gutes neues Jahr – mögen Ihre<br />

Wünsche in Erfüllung gehen und Sie die nötige Kraft für Ihre Vorhaben aufbringen.<br />

Das Jahr 2011 wird spannend – die Landtagswahl vom 27. März wirft ihre Schatten<br />

voraus. Es ist zu hoffen, dass Stuttgart 21 nicht das allein beherrschende Thema im<br />

Wahlkampf, aber noch viel weniger in der Wählerentscheidung sein wird. Denn bei<br />

aller Brisanz – der Landtag hat noch mehr Aufgaben und Themenfelder zu bearbeiten,<br />

von denen zahlreiche ganz besonders auch die Städte und Gemeinden berühren:<br />

Bildung und Betreuung, Schule, Arbeit und Soziales, Senioren, Integration,<br />

Erhalt der allgemeinen und Ausbau der Breitband-Infrastruktur sowie Sicherung des<br />

finanziellen Spielraums.<br />

Der <strong>Gemeindetag</strong> erwartet vom Land, dass es sich noch viel vehementer für die<br />

angemessene Finanzausstattung der Kommunen einsetzt. Denn auch wenn die<br />

Wirtschaft wieder Tritt gefasst zu haben scheint – bis von den Früchten etwas unten<br />

ankommt, vergeht noch viel Zeit, in der bereits wieder neue Aufgaben kreiert werden<br />

könnten. Insgesamt wünschen wir uns mehr Einsatz des Landes bei einer gerechten<br />

Aufgaben- und Finanzverteilung, zum Beispiel bei Fragen der Steuerpolitik<br />

des Bundes, Stichwort Gewerbesteuer, oder bei europäischen Gedankenspielen,<br />

zum Beispiel bei Fragen des Wettbewerbs oder der Privatisierung.<br />

2011 ist das „Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit zur Förderung der aktiven<br />

Bürgerschaft“ – ein Themenfeld, das den Städten und Gemeinden schon immer sehr<br />

wichtig war und das gerade dort in sehr intensiver Ausprägung und mit Unterstützung<br />

der Verwaltung schon lange gelebt wird. In vielen Kommunen beteiligen sich<br />

Bürgerinnen und Bürger in einer Vielzahl von Gesellschaftsbereichen, mit einer<br />

Vielzahl von Kompetenzen, mit viel Zeit und vor allem mit außerordentlicher Hingabe<br />

aktiv am Gemeinschaftsleben und verbessern durch ihr ehrenamtliches Engagement<br />

das soziale Miteinander und die Lebensqualität im Wohnort.<br />

Aber auch auf diesem Gebiet wirft Stuttgart 21 neue Fragen auf, denen man sich mit<br />

großer Sorgfalt und großem Bedacht widmen muss. Aktionismus oder gar Opportunismus<br />

sind gänzlich fehl am Platz. Denn ohne Frage – Teilhabe ist außerordentlich<br />

wichtig. Es dürfen allerdings Entscheidungen legitim gewählter Gremien nicht durch<br />

außerordentliche Proteste konterkariert werden. Deshalb sollte auch die kommunale<br />

Ebene – soweit nicht schon längst geschehen – die Kommunikation zur Chefsache<br />

erklären und die Bürgerschaft rechtzeitig und gut informiert mit ins Boot nehmen.<br />

Ich bin guter Dinge, dass unsere Mitgliedsstädte und Mitgliedsgemeinden diesen<br />

und allen anderen Aufgabenstellungen auch in diesem Jahr wieder – auch Dank<br />

ihres hervorragenden Personals – in bewährter Weise gerecht werden.<br />

Für den <strong>Gemeindetag</strong> steht im Herbst die Mitgliederversammlung an. Darüberhinaus<br />

werden viele weitere Veranstaltungen, Informationen, Veröffentlichungen und Seminare<br />

das breite Arbeitsspektrum unseres Verbandes in seiner vollen Breite und der nötigen<br />

Tiefe abdecken. Und wie immer wird der <strong>Gemeindetag</strong> frühzeitig Themenfelder<br />

besetzen und im politischen Raum installieren, wie dies zum Beispiel mit der E-Mobilität<br />

im vergangenen Jahr geschehen ist und in diesem Jahr seine Fortsetzung findet.<br />

Im Vertrauen auf weitere gute Kooperation und Geschlossenheit verbleibe ich mit<br />

den besten Wünschen<br />

2 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Aus dem <strong>Gemeindetag</strong><br />

Bündnis zur Stärkung der beruflichen Ausbildung und des<br />

Fachkräftenachwuchses in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> unterzeichnet<br />

Mit dem neuen Bündnis zur Stärkung der<br />

beruflichen Ausbildung und des Fachkräftenachwuchses<br />

in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> 2010 bis<br />

2014 setzen sich Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften,<br />

Arbeitsagentur und Kommunen zum<br />

Ziel, den jungen Menschen im Land eine Perspektive<br />

auf Ausbildung zu bieten. Die Wirtschaft<br />

wird Anstrengungen unternehmen, im<br />

Jahr durchschnittlich 7.600 neue Ausbildungsplätze<br />

zu schaffen.<br />

„Von der Ausbildung und Qualifizierung der<br />

jungen Generation im Land hängen die Innovationskraft<br />

und die Zukunftsfähigkeit <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong>s ab“, sagte Ministerpräsident<br />

Stefan Mappus anlässlich der Unterzeichnung<br />

des „Bündnisses zur Stärkung der beruflichen<br />

Ausbildung und des Fachkräftenachwuchses in<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> 2010 - 2014“ am Montag<br />

20. Dezember 2010 in Stuttgart.<br />

Dank gemeinsamer Anstrengungen sei das<br />

bisherige Bündnis ein Erfolg gewesen, sagte<br />

Ministerpräsident Mappus. „Das zentrale Ziel,<br />

jedem ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen<br />

Jugendlichen ein Angebot zu machen,<br />

konnte trotz der größten Wirtschaftskrise, die<br />

unser Land seit dem Zweiten Weltkrieg<br />

bewältigen musste, erreicht werden.“ Dieses<br />

zentrale Ziel werde auch im neuen Ausbildungsbündnis<br />

weiter verfolgt. Darüber hinaus gehe<br />

es darum, dem künftigen Fachkräftemangel<br />

entgegen zu wirken und die demografischen<br />

Herausforderungen zu bewältigen. Mit dem<br />

neuen Ausbildungsbündnis werde das bisherige<br />

Bündnis weiterentwickelt. Insbesondere junge<br />

Menschen mit weniger guten Startchancen<br />

würden nunmehr verstärkt ins Blickfeld gerückt.<br />

Die Ergebnisse der Enquete-Kommission „Fit<br />

fürs Leben in der Wissensgesellschaft – berufliche<br />

Schulen, Aus- und Weiterbildung“, die<br />

dem Landtag am 15. Dezember 2010 vorgelegt<br />

wurden, flössen in die weitere Arbeit des<br />

Bündnisses ein.<br />

Ausdrücklich begrüßte Ministerpräsident Stefan<br />

Mappus die Mitwirkung der Gewerkschaften<br />

am neuen Ausbildungsbündnis als Partner: „Die<br />

Gewerkschaften sind ein wichtiger und hochwillkommener<br />

Partner in dem neuen Bündnis. Es ist<br />

ein Erfolg, dass sich alle wichtigen Akteure zu<br />

diesem Ausbildungsbündnis zusammenge funden<br />

haben. Gemeinsam werden wir alles tun,<br />

um unsere formulierten Ziele in den kommenden<br />

Jahren umzusetzen.“<br />

„Wir werden die beruflichen Schulen weiter<br />

stärken und vor allem die beruflichen Gymnasien<br />

weiter ausbauen. Sie sind ein badenwürttembergisches<br />

Erfolgsmodell und leisten<br />

einen wichtigen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit<br />

im Land. Außerdem werden wir die Schülerinnen<br />

und Schüler noch intensiver bei der<br />

Berufswahl und beim Übergang in die Berufswelt<br />

begleiten und unterstützen“, sagte Kultusministerin<br />

Marion Schick. Auch durch den<br />

Ausbau der Bildungspartnerschaften werde die<br />

Berufsorientierung noch stärker in den Schulen<br />

verankert. Derzeit haben bereits zwei Drittel<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

aller weiterführenden Schulen eine Bildungspartner<br />

schaft mit einem Unternehmen.<br />

Arbeits- und Sozialministerin Monika Stolz<br />

zeigte sich bei der Unterzeichnung des Ausbildungsbündnisses<br />

darüber erfreut, dass die<br />

Bünd nispartner besondere Anstrengungen unter<br />

nehmen wollen, um Jugendlichen mit Ausbildungsrisiken<br />

Perspektiven für den Einstieg in<br />

die berufliche Ausbildung und das Berufsleben<br />

zu bieten. „In diesem Zusammenhang ist die<br />

geplante Erhöhung der Ausbildungsbeteiligung<br />

junger Migrantinnen und Migranten ein ganz<br />

besonders wichtiger Schritt.“<br />

Wirtschaftsstaatssekretär Richard Drautz betonte<br />

die Wichtigkeit der dualen Ausbildung als<br />

zentralen Faktor, damit die baden-württembergische<br />

Wirtschaft im internationalen Vergleich<br />

bestehen könne. „Das Ausbildungsbündnis<br />

wird die Attraktivität der dualen<br />

Ausbildung unter anderem mit Ausbildungsbotschaftern<br />

und einer Imagekampagne der<br />

Ausbildungspartner weiter erhöhen. Die Fortschritte<br />

werden zusammen mit den Bündnispartnern<br />

in den jährlichen Spitzengesprächen<br />

des Wirtschaftsministeriums vorgestellt.“<br />

Landrat Helmut M. Jahn, Präsident des<br />

Landkreistages, hob bei seinem Statement für<br />

die drei kommunalen Landesverbände hervor:<br />

„Die kommunalen Landesverbände sind im<br />

Juni 2007 dem Bündnis zur Stärkung der<br />

beruflichen Ausbildung mit dem Anspruch<br />

beigetreten, sich gemeinsam mit den übrigen<br />

Partnern für das zentrale Bündnisziel einzusetzen,<br />

dass alle ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen<br />

Jugendlichen ein Angebot auf<br />

Ausbildung oder Qualifizierung erhalten. Ein<br />

Ziel, dem sich die Städte, Gemeinden und<br />

Landkreise durch ihre vielfältige Betroffenheit<br />

als Schulträger, Träger der Jugendhilfe, über<br />

die Schulsozialarbeit und die Jugendberufshilfe<br />

und nicht zuletzt auch als Anstellungskörperschaften<br />

schon immer besonders verpflichtet<br />

fühlen.“<br />

„Seither sind vom Bündnis weitere wertvolle<br />

Anstöße zur Sicherung und zur Schaffung von<br />

Ausbildungsplätzen in den Kommunen ausgegangen.<br />

Ein besonderes Anliegen ist uns die<br />

Erhöhung der Ausbildungschancen für benachteiligte<br />

Jugendliche. Zur Verbesserung des<br />

Übergangs von der Schule in den Beruf sind<br />

vielerorts auf Initiative der Kommunen lokale<br />

Netzwerke für Ausbildung entstanden, in<br />

denen alle Beteiligte wie Wirtschaft, Handwerk,<br />

Agenturen für Arbeit, Schulträger, Jugendliche<br />

usw. an einem „Runden Tisch“ zusammenkommen,<br />

um rechtzeitig Anstöße für die<br />

Verbesserung der Berufsfähigkeit von Jugendlichen<br />

geben zu können“, so Beigeordneter<br />

Stingl vom <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>.<br />

Fühlen sich der Verbesserung und Sicherung<br />

von Ausbildungschancen für Jugendliche verpflichtet:<br />

Kultusministerin Marion Schick,<br />

Ministerpräsident Stefan Mappus, Sozialministerin<br />

Monika Stolz, Staatssekretär Richard<br />

Drautz (vorne v.l.n.r.) ebenso wie Joachim<br />

Möhrle, Präsident des <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>ischen<br />

Handwerkstags, Nikolaus Landgraf,<br />

Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, Franz Longin,<br />

Präsident des Landesverbandes der Freien Berufe<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, Prof. Stefan Gläser,<br />

Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des<br />

Städte tags <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, Eva Strobel<br />

,Leiterin der Regionaldirektion <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

der Bundesagentur für Arbeit, Karl<br />

Schäuble, Vizepräsident der Landesvereinigung<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>ischer Arbeitgeber verbände,<br />

Landrat Helmut M. Jahn, Präsident des<br />

Landkreistags <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, Dr. Peter<br />

Kulitz ,Präsident des <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>ischen<br />

Industrie- und Handelskammertags sowie<br />

Johannes Stingl, Beigeordneter des <strong>Gemeindetag</strong>s<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> (stehend v.l.n.r.).<br />

Quelle: Staatsministerium <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

3


Pressemitteilungen<br />

Pressemitteilungen des Deutschen Städte- und Gemeindebunds<br />

Kommunen steuern auf Rekorddefizit zu –<br />

Vertrauen der Bürger in die lokale Demokratie stärken<br />

77 Prozent der Bürger wollen Steuermehreinnahmen für Städte und Gemeinden verwenden<br />

Die deutschen Städte und Gemeinden befinden<br />

sich in der schwersten Finanzkrise seit<br />

Gründung der Bundesrepublik Deutschland.<br />

Zwischen Einnahmen und Ausgaben klafft ein<br />

Haushaltsloch von 11 Milliarden Euro. „Der<br />

wirtschaftliche Aufschwung kommt in den<br />

Kassen der Kommunen nicht an“, sagte der<br />

Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebunds,<br />

Bürgermeister Roland Schäfer auf<br />

der Bilanzpressekonferenz des DStGB heute in<br />

Berlin. Von Entwarnung für die kommunalen<br />

Haushalte könne keine Rede sein. Die Krise der<br />

Kommunalfinanzen halte unvermindert an.<br />

„Allein die Sozialausgaben belasten die kommunalen<br />

Haushalte in diesem Jahr mit über 41<br />

Milliarden Euro“, stellte Schäfer fest. Vor zehn<br />

Jahren waren es noch 26 Milliarden Euro. Diese<br />

Entwicklung drängt die Kommunen an den<br />

Rand ihrer Leistungsfähigkeit. „Die Gemeindefinanzkommission<br />

muss zügig ein Entlastungskonzept<br />

vorlegen“, forderte Schäfer. Die vom<br />

Bundesfinanzminister geäußerte Bereitschaft<br />

des Bundes, die Kosten der Grundsicherung im<br />

Alter und bei Erwerbsminderung von gegenwärtig<br />

3,9 Milliarden Euro pro Jahr vollständig<br />

zu übernehmen, sei ein positives Signal. „Die<br />

Entlastungswirkung muss aber bereits 2011<br />

einsetzen“, betonte Schäfer und wies zugleich<br />

darauf hin, dass dies nicht ausreiche. Der Bund<br />

müsse sich auch an den Kosten der Unterkunft<br />

und den Aufwendungen für die Eingliederungshilfe<br />

für Menschen mit Behinderung, die<br />

zusammen über 20 Milliarden Euro pro Jahr<br />

betragen, stärker beteiligen.<br />

Zufriedenstellend entwickelt sich auf der Einnahmenseite<br />

die Gewerbesteuer. Nach einem<br />

Einbruch um gut 20 Prozent im Jahr 2009<br />

erwartet der DStGB bereits in 2010 wieder<br />

einen leichten Zuwachs bei den Gewerbesteuereinnahmen.<br />

Das zeige, dass diese<br />

wachstumsdynamische Steuer nicht abgeschafft,<br />

sondern durch Einbeziehung der freien<br />

Berufe gestärkt werden müsse. Schäfer<br />

warnte zudem vor einer Schwächung der Gewerbesteuer:<br />

„Eine Abschaffung von Hinzurechnungen<br />

wird auf nachhaltigen Widerstand<br />

der Städte und Gemeinden stoßen.“<br />

Die Zusage des Bundesfinanzministers, dass<br />

die Gewerbesteuer erhalten und nicht geschwächt<br />

wird, müsse weiter gelten.<br />

Aufgrund der dramatischen Finanzlage der<br />

Städte und Gemeinden ist das Vertrauen der<br />

Bürger in die lokale Demokratie in großer Ge-<br />

Pressemitteilungen des Deutschen Städte- und Gemeindebunds<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

fahr. „Die Handlungs- und Funktionsfähigkeit<br />

der örtlichen Demokratie steht auf dem Spiel“,<br />

stellte Schäfer fest. Nach einer im Auftrag des<br />

DStGB durchgeführten Forsa-Umfrage ist das<br />

Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in<br />

Deutschland in die kommunale Politikebene<br />

deutlich größer als das Vertrauen zur Bundes-<br />

bzw. Landesregierung. Dieses Vertrauen dürfe<br />

aber nicht länger aufs Spiel gesetzt werden.<br />

Dazu gelte es, die Kommunen ihren Aufgaben<br />

angemessen finanziell auszustatten.<br />

Nach der Forsa-Umfrage ist die große Mehrheit<br />

der Bundesbürger – nämlich 77 Prozent<br />

– der Meinung, dass die Steuermehreinnahmen<br />

zur Verbesserung der Finanzsituation von<br />

Städten und Gemeinden verwendet werden<br />

sollten. Für Steuersenkungen spricht sich nur<br />

eine Minderheit von 18 Prozent aus.<br />

„Wir erwarten, dass durch die Regierungsparteien<br />

jetzt endlich ein Ruck geht, die Kommunen<br />

schnell und nachhaltig zu entlasten“,<br />

sagte Schäfer abschließend.<br />

Die ausführliche Bilanz 2010/2011 ist im Internet<br />

unter www.dstgb.de abrufbar.<br />

Lehren aus Stuttgart 21:<br />

Bürgerbeteiligung modernisieren – Planungsverfahren<br />

straffen – Wirtschaftsstandort Deutschland stärken<br />

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund<br />

schlägt eine Modernisierung der Bürgerbeteiligung<br />

bei Großprojekten vor. Das Schlichtungsverfahren<br />

im Rahmen von Stuttgart 21 war<br />

zwar für dieses Einzelprojekt ein Gewinn, es<br />

kann aber nicht das Ziel sein, in Zukunft bei<br />

strittigen Projekten immer nach einem Schlichter<br />

zu rufen. „Im Gegenteil, wir müssen darauf<br />

hinarbeiten, Schlichtungen möglichst zu vermeiden“,<br />

sagte der Hauptgeschäftsführer des<br />

Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Dr.<br />

Gerd Landsberg, heute in Berlin.<br />

Die Protestbewegung ist ein Anzeichen dafür,<br />

dass sich unsere Gesellschaft wandelt. Der<br />

Bürger fühlt sich nicht ausreichend eingebunden<br />

– obwohl er in Stuttgart die Möglichkeit<br />

hatte und auch genutzt hat. Immerhin hat es<br />

in Stuttgart mehr als 10.000 Einsprüche gegen<br />

das Projekt gegeben. Vor dem Hintergrund<br />

der Finanz- und Wirtschaftskrise haben<br />

die Bürger ein tiefes Misstrauen gegen Unternehmen,<br />

die Politik, aber auch gegenüber<br />

Großprojekten entwickelt. Sie sind immer weniger<br />

bereit, sich auf den so genannten Sachverstand<br />

von Externen zu verlassen. Sie wollen<br />

verstehen, was sich verändern soll und verlangen<br />

mehr Transparenz und mehr Mitsprache.<br />

Die gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligungsmöglichkeiten<br />

von Bürgerinnen und Bürgern<br />

werden in vielen Fällen nicht wahrgenommen.<br />

„Was nutzen uns die traditionellen Spielregeln<br />

noch, wenn keiner mehr danach spielen<br />

will“, erläuterte Dr. Gerd Landsberg.<br />

28. Dezember 2010<br />

Notwendig ist eine Modernisierung der Bürgerbeteiligung.<br />

Gerade große Projekte brauchen<br />

innovative Plattformen, beispielsweise<br />

Diskussionsforen im Internet. Auch die Auslegung<br />

von Planungsunterlagen könnte problemlos<br />

ins Netz verlagert werden. Dann hätten<br />

mehr Bürger einen Zugang und könnten<br />

ihre Einwände und Bedenken vorbringen.<br />

Gleichzeitig müssen derartige Projekte bundesweit<br />

mit Informationskampagnen verbunden<br />

werden. So hat z.B. die so genannte<br />

„Info-Box“ am Potsdamer Platz in Berlin über<br />

Jahre Millionen Besucher angezogen, und die<br />

virtuelle Darstellung der neuen Innenstadt<br />

von Berlin hat einen wesentlichen Beitrag geleistet,<br />

dass die immensen Baumaßnahmen<br />

und die damit verbundenen Beeinträchtigun-<br />

4 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Pressemitteilungen<br />

gen des Lebens der Bürgerinnen und Bürger<br />

in Berlin akzeptiert wurden.<br />

Die begleitende Aufklärungs- und Informationsarbeit<br />

darf nicht erst beginnen, wenn die Bagger<br />

fahren, sondern man sollte schon vor den<br />

ersten Planungen einsetzen und den gesamten<br />

Prozess begleiten. Die Kosten derartiger Informationskampagnen<br />

müssen von vornherein in<br />

die Planung von Großprojekten einkalkuliert<br />

werden. Zusätzlich sollte man den Mut haben,<br />

die Planungsunterlagen soweit wie möglich<br />

rechtzeitig offenzulegen. Sowie die Bürger das<br />

Gefühl haben, hier bestehe ein „closed shop“,<br />

würde die Akzeptanz zurückgehen.<br />

Im Zuge der Modernisierung der Bürgerbeteiligung<br />

sollte man die formellen Planungs- und<br />

Beteiligungsverfahren straffen, um so zu einer<br />

Pressemitteilung des Deutschen Städte- und Gemeindebunds<br />

Kommunale Waldbesitzer fordern:<br />

Spannungsfeld von „Wald und Wild“ in Einklang bringen<br />

Angesichts überhöhter Wildbestände und<br />

damit einhergehenden gravierenden Wildschäden<br />

am Wald in weiten Teilen Deutschlands<br />

schlagen kommunale Waldbesitzer<br />

jetzt Alarm. Sie fordern anlässlich der Bundestagung<br />

des Deutschen Kommunalwaldes<br />

am 22. November 2010 in Wernigerode<br />

eine zeitgemäße Jagd, die das Spannungsfeld<br />

„Wald und Schalenwild“ endlich in der<br />

seit über 50 Jahren in Deutschland teilweise<br />

sehr emotional geführten Wald-Wild-<br />

Diskussion in Einklang bringt.<br />

„Wald und Wild gehören zusammen. Allerdings<br />

lässt sich das erklärte Ziel, stabile, artenreiche,<br />

klimaangepasste und produktive Wälder<br />

zu erziehen, nur dann erreichen, wenn die<br />

Belange der Forstwirtschaft klaren Vorrang vor<br />

den Belangen der Jagd erhalten. Überhöhte<br />

Wildbestände und fortwährende Wildschäden<br />

gefährden jedoch eine nachhaltige naturnahe<br />

Bewirtschaftung der Wälder und führen bei<br />

den Waldeigentümern zu erheblichen finanziellen<br />

Mehraufwendungen und Mindererträgen,<br />

die häufig die Einnahmen aus der Jagdverpachtung<br />

überschreiten.<br />

Oberstes Ziel muss es daher sein, die Schalenwildbestände<br />

auf ein Maß zu regulieren, dass<br />

eine natürliche Verjüngung der Baumarten in<br />

den heimischen Wäldern ohne Schutzmaßnahmen<br />

möglich wird. Der Bejagung des<br />

Schalenwildes kommt daher bei einer naturnahen<br />

Waldwirtschaft eine Schlüsselrolle zu.<br />

Forstpartie und private Jägerschaft müssen<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Verkürzung der Planungszeit zu kommen. Für<br />

den Wirtschaftsstandort Deutschland sind viele<br />

Großprojekte unverzichtbar. Wenn wir den<br />

Umstieg zu den alternativen Energien schaffen<br />

wollen, brauchen wir allein 3.600 Kilometer<br />

neue Hochspannungsleitungen in Deutschland.<br />

Sonst wird das Projekt scheitern.<br />

Der Handlungsbedarf wird auch durch die<br />

Forsa-Umfrage des DStGB deutlich, wonach<br />

die Mehrheit der Bevölkerung zwar für den<br />

Ausbau der alternativen Energie plädiert, aber<br />

nur 61 Prozent der Bürger bereit wären, in der<br />

Nähe ihres Wohnortes neue Überlandstromleitungen<br />

zu akzeptieren. Überdurchschnittlich<br />

oft würden gerade die Norddeutschen<br />

Bedenken gegen den Bau von neuen Überleitungen<br />

haben. Hier liegt die Zustimmung nur<br />

bei 51 Prozent.<br />

hier zukünftig im Sinne von Wald und Wild an<br />

einem Strang ziehen“, so der Vorsitzender des<br />

Gemeinsamen Forstausschusses der Bundesvereinigung<br />

der kommunalen Spitzenverbände<br />

Deutscher Kommunalwald“, Verbandsdirektor<br />

Winfried Manns (Mainz).<br />

Obwohl die jagdgesetzlichen Vorgaben besagen,<br />

dass die Wilddichten durch die Ausübung<br />

der Jagd auf einem waldverträglichen<br />

Niveau gehalten werden müssen, bestehe<br />

in Deutschland vielerorts das Dilemma<br />

in der erheblichen Diskrepanz zwischen<br />

dem gesetzlichen Auftrag und seiner praktischen<br />

Erfüllung. Die Umsetzung scheitere<br />

oftmals am Widerstand einer mehrheitlich<br />

an hohen Wilddichten interessierten Jägerschaft.<br />

Im Interesse des Waldes und einer<br />

nachhaltigen Waldbewirtschaftung seien<br />

daher Defizite im Vollzug bestehender gesetzlicher<br />

Vorgaben abzubauen, aber auch<br />

Weiterentwicklungen im Jagdrecht erforderlich,<br />

erläutert Manns.<br />

So fordern die kommunalen Waldbesitzer,<br />

dass das Jagdrecht des Grundeigentümers<br />

gegenüber dem Jagdausübungsrecht der Jäger<br />

gestärkt, moderne revierübergreifende<br />

Bejagungsstrategien angewendet, die Abschussregeln<br />

für Rot-, Reh- und Schwarzwild<br />

konsequent auf den Schutz des Waldes ausgerichtet,<br />

die Jagdzeiten anhand wildbiologischer<br />

Erkenntnisse überarbeitet und die<br />

Fütterung von Schalenwild grundsätzlich<br />

verboten werden.<br />

Die Lösung lautet nicht, noch mehr Basisdemokratie<br />

in Abstimmungen, sondern mehr<br />

Transparenz. In Deutschland hat sich die repräsentative<br />

Demokratie bewährt. Im Übrigen<br />

kann eine mögliche Volksabstimmung immer<br />

nur mit „Ja“ oder „Nein“ entscheiden. Ob<br />

dann eine qualitativ gute Entscheidung herauskommt,<br />

ist in den meisten Fällen fraglich.<br />

Ziel muss ein Konsens unter Beteiligung der<br />

Bürgerinnen und Bürger sein. Insgesamt darf<br />

die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger<br />

nicht als Belästigung, sondern muss als Chance<br />

für weniger Politikverdrossenheit gesehen<br />

werden. „Wir müssen diesen Prozess aufnehmen<br />

und politisch gestalten, dann liegen darin<br />

weniger Risiken und mehr Chancen.“<br />

28. Dezember 2010<br />

Vielerorts gestalte sich darüber hinaus die Verpachtung<br />

von Jagdbezirken zunehmend<br />

schwieriger. Die Gründe hierfür sieht Manns<br />

in dem fortschreitenden Anbau von Energiepflanzen<br />

in der Landwirtschaft. In Rheinland-<br />

Pfalz gehe es dabei beispielsweise in erster<br />

Linie um den Maisanbau für Biogasanlagen.<br />

Zwar sei die Entwicklung von Landwirten zu<br />

„Energiewirten“ zu begrüßen. Allerdings löse<br />

diese Entwicklung gleichzeitig auch einen<br />

Wandel in der Landwirtschaft bzw. Landschaft<br />

aus, der in vielen Regionen mit negativen Folgenwirklungen<br />

auf die Jagdnutzung verbunden<br />

sei.<br />

Abhilfe könne dadurch geschaffen werden,<br />

dass die Länder „Energiemais“ bzw. Energiepflanzen<br />

durch Änderung ihrer Jagdgesetze<br />

den Status von „Sonderkulturen“ im Sinne<br />

des § 32 Abs. 2 Bundesjagdgesetz verschaffen.<br />

Ein gesetzlicher Anspruch auf Wildschadensersatz<br />

würde in diesem Falle nur bestehen,<br />

wenn der Landwirt selbst Schutzmaßnahmen<br />

vorgenommen habe. Darüber hinaus<br />

müssten die Gestaltungsspielräume der Vertragsparteien<br />

bei der Jagdverpachtung im<br />

Sinne des eigenverantwortlichen Handels erweitert<br />

werden. Diesem könne durch eine<br />

Verkürzung der gesetzlichen Mindestpachtdauer<br />

von bisher neun bzw. zwölf Jahren<br />

Rechnung getragen werden.<br />

22. November 2010<br />

5


Bilanz und Perspektiven<br />

Auch für Städte und Gemeinden noch keine<br />

nachhaltige Entspannung in Sicht – verhaltener<br />

Optimismus bei strengster Haushaltsdisziplin<br />

Kommunale Finanzsituation nach der November-<br />

Steuerschätzung 2010: Noch keine nachhaltige<br />

Entspannung in Sicht<br />

Die November-Steuerschätzung, die vom<br />

2. bis 4. November 2010 für den Schätzzeitraum<br />

2010 bis 2012 durchgeführt<br />

wurde, lässt auf Grund der sich wieder<br />

erholenden konjunkturellen Entwick-<br />

lung gegenüber der Mai-Steuerschätzung<br />

für den öffentlichen Gesamthaushalt<br />

Steuermehreinnahmen von 61 Mrd. Euro<br />

im Zeitraum 2010 bis 2012 erwarten.<br />

Davon entfallen auf die Kommunen in<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

diesem 3-jährigen Zeitraum 14,2 Mrd.<br />

Euro an Steuermehreinnahmen.<br />

Trotz dieser insgesamt positiven Entwicklung<br />

bleibt die Finanzsituation der<br />

Kommunen weiterhin prekär. Sie haben,<br />

auch wenn ihre Steuersubstanz<br />

wieder an Stabilität gewinnt, weiter mit<br />

negativen Finanzierungssalden zu<br />

kämpfen. Dies gilt auch für die Kommunen<br />

in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>. Deren Finanzsituation<br />

wird sich im kommenden<br />

Jahr sogar noch verschärfen.<br />

Im Vergleich zu den bundesweiten Steuerschätzergebnissen<br />

ist die Ausgangsbasis<br />

der Kommunen im Lande im Jahr 2010<br />

weit weniger günstig. Nach den aktuellen<br />

Schätzungen zum Gewerbesteueraufkommen<br />

wird für die Kommunen in <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong> in diesem Jahr keine Zunahme<br />

erwartet. Im Gegenteil: Die Steuereinbrüche<br />

im 1. und 2. Quartal 2010<br />

waren derart heftig, dass die Gewerbesteuer<br />

im 1. Halbjahr 2010 um 23,9 Prozent<br />

hinter den Vorjahreswerten zurückblieb<br />

und dies im 3. Und 4. Quartal 2010<br />

nicht mehr aufzuholen ist. Insgesamt<br />

werden die Steuereinnahmen im Jahr<br />

2010 mit zirka 9,53 Mrd. Euro um etwa<br />

300 Mio. Euro niedriger als im Vorjahr<br />

ausfallen, entgegen den Erwartungen, die<br />

die bundesweiten Zahlen der November-<br />

Steuerschätzung vermuten lassen.<br />

Auch für die Jahre 2011 und 2012 ist<br />

von einem eher verzögerten Gewerbesteuerwachstum<br />

auszugehen, denn die<br />

Gewerbesteuer reagiert auf eine sich erholende<br />

Wirtschaftsentwicklung mit<br />

Zeitverzögerung. Der Gemeindeanteil<br />

an der Einkommensteuer dürfte mit 3,9<br />

Mrd. Euro hingegen im kommenden<br />

Jahr fast an die Werte des Jahres 2010<br />

(knapp 4 Mrd. Euro) heranreichen.<br />

Die im Jahr 2009 gegenüber 2008 deutlich<br />

zurückgegangene Steuerkraft der<br />

Kommunen im Lande ist maßgebend für<br />

deren Finanzausgleichsumlage im Jahr<br />

6 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

2011 und damit für den kommunalen Input<br />

zur Finanzausgleichsmasse 2011. Der<br />

Reduktion an dieser Stelle stehen die wieder<br />

höheren Gemeinschaftsteuereinnahmen<br />

des Landes gegenüber, an denen die<br />

Kommunen bzw. die Finanzausgleichsmasse<br />

mit 23 Prozent partizipieren.<br />

Bereits für das Jahr 2010 führen die wieder<br />

erstarkten Steuereinnahmen des Landes<br />

dazu, dass die Schlüsselzuweisungen an<br />

die Kommunen nach mangelnder Steuerkraft<br />

höher ausfallen, was sich in einem<br />

von 977 auf aktuell 1.003 Euro erhöhten<br />

Grundkopfbetrag ausdrückt. Im Jahr 2011<br />

wird er sich von 862 auf 875 Euro erhöhen,<br />

in 2012 von 850 auf 880 Euro je Einwohner.<br />

Auch die Investitionspauschale<br />

fällt im Jahr 2002 mit 32 Euro je Einwohner<br />

höher aus (bisher 28 Euro). Im Vergleich<br />

zum Jahr 2010 ist das Abfallen des<br />

Grundkopfbetrags auf 875 Euro im Jahr<br />

2011 recht deutlich! Neben der infolge<br />

des kommunalen Inputs reduzierten Finanzausgleichsmasse<br />

nimmt im Jahr<br />

2011 die Zahl der Kommunen, die – zurückgehend<br />

auf ihre eingebrochene Steuerkraft<br />

in 2009 – zu den Empfängerkommunen<br />

im Finanzausgleich zu rechnen<br />

sind, zu.<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Bilanz und Perspektiven – Inhaltsverzeichnis<br />

• Kommunale Finanzsituation nach der<br />

November-Steuerschätzung 2010: Noch<br />

keine nachhaltige Entspannung in Sicht<br />

• Gemeindefinanzkommission und<br />

Reform/Abschaffung der Gewerbesteuer<br />

• Reform der Grundsteuer<br />

• Finanzbeziehungen Land/Kommunen<br />

• Erschließung neuer Finanzquellen<br />

• NKHR-BW: Produktplan, Kontenrahmen<br />

und Muster für die Haushaltswirtschaft<br />

liegen vor<br />

• Demografie und Personalentwicklung<br />

• Dienstrechtsreform<br />

• E-Government: Bürgerbüro oder<br />

Internet?<br />

• Ermächtigung für Alkoholkonsumverbote<br />

in Ortspolizeiverordnungen<br />

oder „Wenn der Schwanz mit dem<br />

Hund wedelt“<br />

• Bildung und Betreuung<br />

• <strong>Gemeindetag</strong> fordert ein flächendeckendes<br />

Konzept zur Erhaltung von Grundschulstandorten<br />

• Schulsozialarbeit muss gemeinsames<br />

Anliegen der Kommunen und des<br />

Landes sein<br />

• Ärztliche Versorgung in<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

• Integration<br />

• Jobcenter<br />

• Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz<br />

(LGVFG)<br />

• Entwurf für einen neuen Generalverkehrsplan<br />

• Elektromobilität – mobile Zukunft für<br />

Städte und Gemeinden<br />

• Bahnprojekt Stuttgart–Ulm und<br />

„Stuttgart 21“<br />

• Nachhaltigkeitsstrategie <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong> – Sachstand und<br />

vorgesehene Weiterentwicklung<br />

• Naturschutzstrategie des Landes –<br />

Noch keine wesentlichen Fortschritte<br />

• Förderung der Breitbandinfrastruktur<br />

im ländlichen Raum<br />

• Privatisierung der Vermessungsverwaltung<br />

• RIPS – Vom Umweltinformationssystem<br />

zur Geodaten-Drehscheibe<br />

• Vergaberechtsreform und Verbindlichkeit<br />

der VOB 2009<br />

• Muster für eine Feuerwehrsatzung<br />

2010<br />

• Neues Muster für eine Friedhofssatzung<br />

• Notariats- und Grundbuchreform<br />

gesetzlich umgesetzt –<br />

Umsetzung Zug um Zug bis<br />

1. Januar 2018<br />

• Erschließungsbeitrag: Gemeindeanteil<br />

von 5 Prozent für Anbaustraßen und<br />

Wohnwege ist in Ordnung<br />

• Beitragsnachveranlagung auf neuer<br />

Grundlage<br />

• Die Konzessionsabgabe Gas auf dem<br />

Weg zur Einheitsabgabe?<br />

• Wasserpreise und Konzessionsabgabe<br />

Wasser im Fokus der Landesregulierungsbehörde<br />

• Gesplittete Abwassergebühr<br />

• Die Löschwassergebühr –<br />

ein Zukunftsthema?<br />

7


Bilanz und Perspektiven<br />

Gemeindefinanzkommission und Reform/Abschaffung<br />

der Gewerbesteuer<br />

Zurückgehend auf die entsprechenden<br />

Festlegungen im Koalitionsvertrag der<br />

CDU/CSU und der FDP vom Oktober<br />

2009 hatte die Bundesregierung eine Gemeindefinanzkommission<br />

eingesetzt und<br />

dieser folgenden Arbeitsauftrag gegeben:<br />

• Die Kommission sollte erstens Vorschläge<br />

zu einer Neuordnung der Gemeindefinanzierung<br />

erarbeiten. Dabei<br />

sollte insbesondere ein Ersatz der Gewerbesteuer<br />

durch eine Zuschlagsmöglichkeit<br />

auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer<br />

sowie einen erhöhten kommunalen<br />

Umsatzsteueranteil unter Berücksichtigung<br />

der Aufkommens- und Lastenverschiebungen<br />

zwischen Bund, Ländern<br />

und Kommunen geprüft werden.<br />

• Ferner sollten Handlungsempfehlungen<br />

zur Stärkung der kommunalen<br />

Selbstverwaltung erarbeitet werden (Beteiligung<br />

der Kommunen an der Gesetzgebung<br />

des Bundes sowie insbesondere<br />

an der EU-Rechtsetzung).<br />

• Schließlich sollten Entlastungsmöglichkeiten<br />

auf der Ausgabenseite (u.a.<br />

durch die Flexibilisierung von Standards)<br />

geprüft werden.<br />

Die Gemeindefinanzkommission hatte<br />

am 4.3.2010 ihre Arbeit aufgenommen<br />

und drei Arbeitsgruppen mit der Detailarbeit<br />

beauftragt, die Arbeitsgruppe<br />

„Kommunalsteuern“ (mit entsprechenden<br />

Arbeitskreisen), die Arbeitsgruppe<br />

„Standards“ und die Arbeitsgruppe<br />

„Rechtsetzung“. Neben dem Bund und<br />

Vertretern aus einzelnen Bundesländern<br />

gehörten auch die kommunalen Spitzenverbände<br />

den Arbeitsgruppen an.<br />

Über das Ergebnis der zweiten Sitzung<br />

der Kommission, die am 8.7.2010 stattgefunden<br />

hatte, wurde im Rahmen des<br />

Gemeindefinanzberichts 2010 (<strong>BWGZ</strong><br />

15-16/2010 S. 655 ff.) ausführlich berichtet:<br />

• Es überwog mehrheitlich die Erkenntnis,<br />

dass das so genannte „Prüfmodell“<br />

oder Zuschlagsmodell (Ersatz der Gewerbesteuer<br />

und, was in der öffentli-<br />

chen Wahrnehmung leider nicht registriert<br />

wird, auch des gegenwärtigen Gemeindeanteils<br />

an der Einkommensteuer<br />

durch einen Kommunalzuschlag auf die<br />

Einkommen- und die Körperschaftsteuer<br />

und die Komplementärfinanzierung<br />

durch einen höheren Gemeindeanteil<br />

an der Umsatzsteuer) keine akzeptable<br />

Alternative zur Gewerbesteuer darstellt.<br />

Nur der Bund hielt an seinem Ziel der<br />

Abschaffung der Gewerbesteuer fest,<br />

während die kommunalen Spitzenverbände<br />

und viele Länder dies ablehnten.<br />

Der Untersuchungsauftrag für die Arbeitsgruppe<br />

„Kommunalsteuern“ in der<br />

Gemeindefinanzkommission wurde<br />

deshalb erweitert. Auch das so genannte<br />

Kommunalmodell und die Einbeziehung<br />

einzelner Bausteine des Modells<br />

der Stiftung Marktwirtschaft sollten näher<br />

untersucht werden.<br />

• Hinsichtlich der Ausgabenseite (der<br />

Kommunen) herrschte Einvernehmen,<br />

dass eine relevante Entlastung der kommunalen<br />

Haushalte nicht ohne Änderungen<br />

bei den Sozialausgaben möglich<br />

sein werde.<br />

Bezüglich einer Verbesserung der Beteiligung<br />

der Kommunen an der Gesetzgebung<br />

des Bundes oder gar auf EU-Ebene<br />

förderte die Kommissionsarbeit nichts<br />

Ernsthaftes zu Tage.<br />

Die dritte (abschließende) Sitzung der<br />

Gemeindefinanzkommission, in der die<br />

Empfehlungen verabschiedet werden<br />

sollen, war ursprünglich noch für den<br />

Herbst 2010 vorgesehen. Sie wurde<br />

einstweilen zurückgestellt.<br />

Am 3. November 2010 fand eine Besprechung<br />

zwischen Bundesfinanzminister<br />

Schäuble und den kommunalen<br />

Spitzenverbänden zum Stand<br />

und zu den möglichen Ergebnissen der<br />

Arbeit der Gemeindefinanzkommission<br />

statt:<br />

Die Kommunalen Spitzenverbände hatten<br />

hier nochmals ihre Auffassung bekräftigt,<br />

dass das von der Bundesregierung<br />

eingebrachte Prüfmodell zum Er-<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

satz der Gewerbesteuer keine tragfähige<br />

Alternative zum Ersatz der Gewerbesteuer<br />

sei.<br />

• Bundesfinanzminister Schäuble<br />

räumte ein, dass es ohne Zustimmung<br />

der Kommunen keine Veränderungen<br />

bei der Gewerbesteuer geben werde. Er<br />

wies allerdings auch darauf hin, dass die<br />

aktuelle Entwicklung in der Rechtsprechung<br />

zur Verrechnung ausländischer<br />

Verluste bzw. von Verlustvorträgen<br />

nicht nur für das Körperschaftsteuer-,<br />

sondern auch für das Gewerbesteueraufkommen<br />

bedeutsam sei.<br />

• Ein aus Sicht der Kommunen positives<br />

Ergebnis ist auch die Bereitschaft des<br />

Bundes, im Zusammenhang mit den Beratungen<br />

in der Gemeindefinanzkommission<br />

die Kommunen von Aufwendungen<br />

für soziale Leistungen zu entlasten,<br />

zum Beispiel bei der Grundsicherung<br />

im Alter (die zur Zeit 3,7 Mrd. Euro<br />

pro Jahr ausmacht) und für dauerhaft<br />

Erwerbsgeminderte. Dies nützt allen<br />

Städten, Gemeinden und Kreisen, denn<br />

die Grundsicherung wird überall mit<br />

steigender Tendenz zur finanziellen Belastung.<br />

Die Kommunen benötigen darüber<br />

hinaus aber auch eine spürbare<br />

Entlastung bei den Unterkunftskosten<br />

und den Aufwendungen für die Eingliederungshilfe<br />

für Behinderte (zusammen<br />

über 20 Mrd. Euro pro Jahr).<br />

• Der Bundesfinanzminister und die<br />

kommunalen Spitzenverbände verständigten<br />

sich ferner darauf, in der Gemeindefinanzkommission<br />

zu erörtern,<br />

den Kommunen die Möglichkeit einzuräumen,<br />

den kommunalen Anteil an<br />

der Einkommensteuer von 15 Prozent<br />

innerhalb einer Bandbreite durch kommunale<br />

Entscheidungen selbst zu verändern.<br />

Die genannten Maßnahmen sollten<br />

nun zunächst in den zuständigen Gremien<br />

(insbesondere im Koalitionsausschuss<br />

der Regierungsfraktionen bzw.<br />

in den Gremien der kommunalen Spitzenverbände)<br />

diskutiert werden, bevor<br />

sie in die dann zu terminierende nächste<br />

Sitzung der Gemeindefinanzkommission<br />

eingebracht und dort beraten<br />

werden.<br />

8 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

Mit Spannung war deshalb die Beratung<br />

im Koalitionsausschuss der Regierungsfraktionen<br />

von CDU/CSU und<br />

FDP am 18.11.2010 erwartet worden.<br />

Die Ergebnisse lauten zusammengefasst<br />

kurz wie folgt:<br />

• Die Gewerbesteuer bleibt als solche<br />

erhalten. Gegen den erklärten Willen<br />

der Kommunen solle es auf diesem Gebiet<br />

keine Veränderungen geben. Die<br />

Bundesregierung wolle im Einvernehmen<br />

mit den Kommunen und ihren<br />

Vertretern handeln. Allerdings erhielt<br />

das Bundesfinanzministerium den Auftrag,<br />

als „Maßnahme unterhalb der<br />

kompletten Abschaffung der Gewerbesteuer“<br />

zu prüfen, ob bei den Substanzsteuerelementen<br />

der Gewerbesteuer<br />

Streichungen vorgenommen und wie<br />

diese für die Gemeinden entsprechend<br />

an anderer Stelle kompensiert werden<br />

könnten.<br />

• In diesem Zusammenhang ist bedeutsam,<br />

dass der Koalitionsausschuss den<br />

weiteren Prüfauftrag das Hebesatzrecht<br />

der Kommunen bei der Einkommensteuer<br />

betreffend bestätigte, weil in der<br />

Koalition wohl Maßnahmen im einen<br />

Bereich nicht ohne Maßnahmen in dem<br />

anderen Bereich vorstellbar sind. Ob der<br />

Zuschlag auf die Einkommensteuer als<br />

Kompensation für einen Eingriff in die<br />

Gewerbesteuer zu verstehen sein soll<br />

oder den Kommunen zusätzliche Einnahmemöglichkeiten<br />

verschaffen soll,<br />

war allerdings offen gelassen worden.<br />

• Auch die Übernahme von Kosten für<br />

die Grundsicherung im Alter durch den<br />

Bund war Thema im Koalitionsausschuss.<br />

Entscheidungen oder gar ein<br />

Junktim im Zusammenhang mit der Gewerbesteuerreform<br />

soll es aber nicht gegeben<br />

haben. Im Koalitionsausschuss<br />

wurde auch beschlossen, dass untersucht<br />

werden solle, ob die Kommunen<br />

stufenweise entweder bei den Kosten<br />

der Unterkunft oder bei der Grundsicherung<br />

entlastet werden können.<br />

Insgesamt wurden die weiteren Entscheidungen<br />

zur Reform der Gemeindefinanzen<br />

auf 2011 vertagt. Bis Februar<br />

2011, so heißt es, sollen nun Lösungen<br />

gesucht und gefunden werden.<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Auch wenn im Koalitionsausschuss bekräftigt<br />

wurde, die Gewerbesteuer als<br />

solche zu erhalten, so ist damit für die<br />

Kommunen noch längst keine Entwarnung<br />

gegeben:<br />

Es ist darauf hinzuweisen, dass Veränderungen<br />

bei den so genannten „ertragsunabhängigen<br />

Elementen“ bei der<br />

Gewerbesteuer einen massiven Eingriff<br />

in die Substanz der Gewerbesteuer bedeuten<br />

würden. Mit der Unternehmensteuerreform<br />

2008 (Gesetz vom<br />

14.8.2007, BGBl. I S. 1912) wurde gerade<br />

das Ziel verfolgt, das bis dahin geltende<br />

System der Hinzurechnungen zum<br />

Gewerbeertrag bzw. entsprechender<br />

Kürzungen aufkommensneutral dergestalt<br />

zu verändern, dass die Basis der<br />

Hinzurechnungen verbreitert, dafür<br />

aber die Hinzurechnungssätze abgesenkt<br />

werden (weniger „Zuschläge“ auf<br />

eine größere Basis). Der Wegfall der bis<br />

einschließlich 2007 geltenden 50 Prozent-Hinzurechnung<br />

von Dauerschuldzinsen<br />

bei der Gewerbesteuer einschließlich<br />

bisher hinzugerechneter Mieten<br />

und Pachten sollte die Unternehmen<br />

nach dem Finanztableau zu dem Steuerreformgesetz<br />

um 995 Mio. Euro entlasten,<br />

der Ersatz durch eine 25-prozentige<br />

Hinzurechnung von Zinsen sowie den<br />

pauschalierten Finanzierungsanteile<br />

von Mieten, Pachten, Leasingraten und<br />

Lizenzen bei der Gewerbesteuer mit einem<br />

Freibetrag von 100.000 Euro mit<br />

955 Mio. Euro aufkommensneutral sein.<br />

Bereits vor dem eigentlichen Inkrafttreten<br />

des Gesetzes zum 1.1.2008 wurde<br />

mit dem Jahressteuergesetz 2008 vom<br />

20.12.2007 (BGBl. I S. 3150) der Finanzierungsanteil<br />

von Mieten und Pachten<br />

für unbewegliches Vermögen von 75<br />

auf 65 Prozent abgesenkt, mit dem<br />

Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom<br />

22.12.2009 (BGBl. I S. 3950) nochmals<br />

von 65 auf 50 Prozent.<br />

Weitere Eingriffe in das System der gewerbesteuerlichen<br />

Hinzurechnungen<br />

würden die für die Gemeinden wichtige<br />

Stabilisierungsfunktion der Gewerbesteuer<br />

gefährden und sie zu einer abhängig<br />

von der Entwicklung der Erträge<br />

stark schwankenden (volatilen) „zweiten<br />

Körperschaftsteuer“ machen. Und<br />

ob die seinerzeit angenommene Summe<br />

von knapp einer Mrd. Euro an veränderten<br />

Hinzurechnungen heute der Realität<br />

entspricht, ist zu bezweifeln. Die<br />

Kommunen lehnen eine weitere Beschneidung<br />

der gewerbesteuerlichen<br />

Hinzurechnungen rundweg ab.<br />

Dem wird entgegen gehalten, dass am<br />

Gesamtaufkommen aus der Gewerbesteuer<br />

von bundesweit zirka 31,5 Mrd.<br />

Euro (2010) die ertragsunabhängigen<br />

Bestandteile lediglich einen Anteil von<br />

zirka 1,2 Mrd. Euro haben würden und<br />

somit eine geringe Bedeutung für das<br />

Gewerbesteueraufkommen hätten.<br />

Wenn dem so ist, muss die Frage erlaubt<br />

sein, warum dann politische ein solch<br />

zähes Ringen um deren Abschaffung geführt<br />

wird. Viel eher passen da Aussagen<br />

ins Bild, die den Anteil der ertragsunabhängigen<br />

Bestandteile am Gewerbesteueraufkommen<br />

bundesweit bei 5 bis 7<br />

Mrd. Euro sehen. Belastbare Statistiken<br />

9


Bilanz und Perspektiven<br />

darüber liegen leider nicht vor. Gerade<br />

aber angesichts dieser Unsicherheit,<br />

muss mehr denn je an den Hinzurechnungen<br />

bei der Gewerbesteuer festgehalten<br />

werden, soll die Gewerbesteuer<br />

als klassische Obkjektsteuer nicht ihrer<br />

Substanz entledigt werden.<br />

Unterschiedliche Interpretationen sind<br />

bereits nach dem Abstimmungsgespräch<br />

vom 3.11.2010 zu der Frage entstanden,<br />

ob es sich bei dem Prüfauftrag das Zuschlags-<br />

bzw. Hebesatzrecht der Kommunen<br />

auf die Einkommensteuer betreffend,<br />

um einen Ersatz des bisherigen<br />

15-prozentigen Gemeindeanteils an der<br />

Lohn- und Einkommensteuer handeln<br />

soll, der mit Hilfe von Schlüsselzahlen,<br />

die anhand der Steuern auf Einkommen-Sockelbeträge<br />

(30.000 Euro bei Alleinstehenden,<br />

60.000 Euro bei Verheirateten)<br />

berechnet werden, auf die Gemeinden<br />

verteilt wird, oder ob diese<br />

1970 eingeführte Finanzierungssäule<br />

der Kommune unverändert bleibt und<br />

die Kommunen mit dem Zuschlagsrecht<br />

eine weitere (neue) Finanzierungsquelle<br />

erhalten sollen.<br />

Aus kommunaler Sicht kann es sich nur<br />

um eine neue Finanzierungsquelle neben<br />

dem weiterhin bestehenden Gemeindeanteil<br />

an der Lohn- und Einkommensteuer<br />

handeln. Würde nämlich<br />

der bisherige Gemeindeanteil an<br />

der Einkommensteuer (für die Kommunen<br />

in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> im Jahr<br />

2010 knapp 4 Mrd. Euro gegenüber ca.<br />

3,6 Mrd. Euro Gewerbesteuer netto)<br />

komplett durch ein neues Zuschlagsmodell<br />

ersetzt, wären derart erhebliche in<br />

der Summe negative verteilungspolitische<br />

Wirkungen zu erwarten, die keiner<br />

will und denen die Kommunen nicht<br />

zustimmen können:<br />

Das Steuerkraftgefälle zwischen steuerstarken<br />

und steuerschwachen Gemeinden<br />

würde vergrößert. Gemeinden mit<br />

einkommensstarken Einwohnern würden<br />

durch ein Zuschlagsrecht auf die<br />

Lohn- und Einkommensteuer durch den<br />

Wegfall der nivellierenden Wirkung der<br />

Sockelbeträge profitieren, die es beim derzeit<br />

geltenden Gemeindeanteil an der<br />

Einkommensteuer gibt. Denn die Sockelbeträge<br />

bewirken einen Ausgleich bei der<br />

Verteilung der Einkommensteuer auf die<br />

jeweiligen Gemeinden, indem die zu versteuernden<br />

Einkommen in einer Gemeinde<br />

nur bis zu einem bestimmten Höchstbetrag<br />

berücksichtigt werden. Fällt diese<br />

Wirkung weg, werden reiche Gemeinden<br />

reicher und arme Gemeinden ärmer. Diese<br />

Wirkungen haben sich in der Vergangenheit<br />

bei jeder Anpassung der Einkommen-Sockelbeträge<br />

nach oben für die Ermittlung<br />

der Schlüsselzahlen für den<br />

Einkommensteueranteil gezeigt.<br />

Dies würde im Übrigen auch die Behauptung<br />

oder Befürchtung relativieren, ein<br />

Einkommensteuerzuschlag würde Städte<br />

benachteiligen, weil sie Aufgaben für ihr<br />

Umland übernehmen (und finanzieren).<br />

Dass ein Einkommensteuerzuschlag allerdings<br />

den Wettbewerb um Einwohner<br />

zwischen den Kommunen befeuern<br />

kann, dürfte außer Frage stehen, gerade<br />

wegen der Steuerkraftunterschiede zwischen<br />

den einzelnen Kommunen. Kommunen<br />

mit Finanznot wären zu höheren<br />

Steuerzuschlägen gezwungen, würden<br />

damit aber als Wohnort an Attraktivität<br />

verlieren. Dies wäre dann die Kehrseite<br />

der im Grundsatz durchaus positiven<br />

Stärkung des örtlichen steuerfiskalischen<br />

Entscheidungsspielraums. Welche Auswirkungen<br />

sich daraus dann für den<br />

kommunalen Finanzausgleich ergeben,<br />

ist nur einer von mehreren Aspekten der<br />

(Um-)Verteilungswirkungen, die mit<br />

entsprechenden Quantifizierungen<br />

nicht nur bundesweit (dort wäre auch<br />

der Länderfinanzausgleich betroffen),<br />

sondern auch auf Landesebene zu untersuchen<br />

wären.<br />

Zwischenergebnis<br />

Der Prüfauftrag eines Zuschlags- oder<br />

Hebesatzrechts auf die Lohn- und Einkommensteuer<br />

darf den bisherigen Gemeindeanteil<br />

an der Lohn- und Einkommensteuer<br />

mit dem Verteilungsmechanismus<br />

nach Schlüsselzahlen, die<br />

auf die Steuern auf Einkommen-Sockelbeträgen<br />

gründen, nicht in Frage stellen.<br />

Es kann sich allenfalls um eine zusätzliche<br />

kommunale Finanzierungsquelle<br />

handeln. Bei der näheren Prüfung<br />

dieser neuen Steuerquelle ist allerdings<br />

ein besonderes Augenmerk auf die Administrierbarkeit<br />

zu legen.<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

Es geht um die bereits bekannten Fragestellungen:<br />

Müssen etwa die Arbeitgeber<br />

den Wohnort eines Beschäftigten berücksichtigen,<br />

wenn sie für ihn Lohnsteuer<br />

mit kommunalem Zuschlag/Hebesatz<br />

abführen? Müssen die Finanzämter<br />

hier berechnen, erheben und Steuerzuschläge<br />

verteilen, obwohl sie nichts<br />

davon haben? Hier haben die Zwischenberichte<br />

zur zweiten Sitzung der Gemeindefinanzkommission<br />

vom Juli<br />

2010 bereits die erheblichen Schwierigkeiten<br />

und den zusätzlichen Verwaltungsaufwand<br />

herausgearbeitet.<br />

Schließlich sind auch die die bundesweit<br />

bzw. auf Landesebene bzw. zwischen<br />

den Kommunen zu erwartenden<br />

verteilungspolitischen Wirkungen eines<br />

neuen Lohn- und Einkommensteuerzuschlags<br />

bzw. Hebesatzrechts eingehend<br />

zu prüfen. Es würde wenig bringen,<br />

wenn der Bund den Kommunen zur<br />

Stärkung des Bands zwischen Einwohnern/Bürgern<br />

und Gemeinde eine weitgehend<br />

selbstbestimmbare Einkommensquelle<br />

verspricht, wenn diese dann<br />

vom kommunalen Finanzausgleich – einem<br />

Rasenmäher gleich – wieder zurechtgestutzt<br />

wird.<br />

Wie der Städtetag hat auch der <strong>Gemeindetag</strong><br />

gegenüber der Presse zu den neuen<br />

Vorschlägen seine erheblich Skepsis<br />

zum Ausdruck gebracht: „Wir werden<br />

nicht gelobt, wenn wir diesem Zuschlag<br />

zustimmen“, sagt Verbandspräsident<br />

Roger Kehle. „Erst recht nicht gelobt<br />

werden wir, wenn wir den Zuschlag<br />

dann erheben.“ (Stuttgarter Zeitung<br />

vom 5.11.2010).<br />

Im Übrigen hat die Bundesvereinigung<br />

der Kommunalen Spitzenverbände das<br />

Bundesfinanzministerium dringend darum<br />

gebeten, die diversen Prüf- und Arbeitsaufträge,<br />

die im Bundesfinanzministerium<br />

und im politischen Umfeld<br />

erteilt worden sind, in der Arbeitsgruppe<br />

„Kommunalsteuern“ der Gemeindefinanzkommission<br />

zu bündeln. Denn es<br />

muss sichergestellt werden, dass die Arbeitsabläufe<br />

innerhalb der Gemeindefinanzkommission<br />

wieder transparent<br />

werden.<br />

10 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

IMK-Herbstkonferenz zur Gemeindefinanzkommission<br />

Anlässlich ihrer Herbstsitzung am 18./19. November<br />

2010 in Hamburg hat sich die Innenministerkonferenz<br />

(IMK) auch mit der Gemeindefinanzkommission<br />

beschäftigt. Die<br />

Innenminister der Länder sprechen sich für<br />

eine nachhaltige Verbesserung der Finanzsituation<br />

der Kommunen aus. Dazu müssten die<br />

Kommunen deutlich – und zwar über einen<br />

Standardabbau hinaus – im Sozialbereich entlastet<br />

werden. Das in der Kommission bislang<br />

erörterte Prüfmodell führe jedenfalls zu einer<br />

Verschlechterung der kommunalen Finanzsituation.<br />

Eine Reihe von Ländern hat sich darüber<br />

hinaus für die Gewerbesteuer ausgesprochen.<br />

I. Beschluss der IMK<br />

Nachstehend ist der Beschluss der IMK zur<br />

Gemeindefinanzkommission auszugsweise<br />

wiedergegeben:<br />

„1. Die IMK sieht angesichts der dramatischen<br />

Haushaltslage vieler Kommunen hohen Handlungsdruck,<br />

durch die Arbeiten der Gemeindefinanzkommission<br />

die Finanzsituation der<br />

Kommunen nachhaltig zu verbessern und damit<br />

die kommunalen Handlungsspielräume<br />

zu erweitern. (…)<br />

2. Die in der Kommission bislang erörterten<br />

Veränderungen der Gewerbesteuer führen zu<br />

einer Verschlechterung der kommunalen Finanzsituation.<br />

Die IMK erwartet, dass die Kommission im<br />

Bereich der Kommunalsteuern nur Änderungen<br />

vorschlägt, die für die Kommunen nachhaltige<br />

positive Wirkungen auf die Finanzsituation<br />

zeitigen.<br />

Das Grundgesetz garantiert den Kommunen<br />

eine auf die Wirtschaftskraft bezogene Steuer<br />

mit eigenem Hebesatzrecht. Die Gewerbesteuer<br />

ist die wichtigste Einnahmequelle der<br />

Gemeinden. Selbst im Rezessionsjahr 2009<br />

machte die Gewerbesteuer mit bundesweit<br />

25 Mrd. Euro (gegenüber 23,9 Mrd. Euro ESt-<br />

Anteil) knapp 40 Prozent der kommunalen<br />

Steuereinnahmen aus. Die Gewerbesteuer<br />

knüpft an den Betriebsbesitz eines Unternehmens<br />

und den Sitz der Betriebsstätte an. Sie<br />

kommt den Kommunen zugute, die sich um<br />

die Ansiedlung von Gewerbe bemühen. Die<br />

Gewerbesteuer ist das Band zwischen der örtlichen<br />

Wirtschaft und der Gemeinde; sie fördert<br />

die Bereitschaft der Gemeinde, Gewerbeflächen<br />

auszuweisen, sich um die Ansiedlung<br />

von Betrieben zu bemühen und die notwendige<br />

Infrastruktur bereitzustellen. An diesen<br />

Parametern mangelt es bislang dem Koalitionsmodell.<br />

Ob und inwieweit die beiden anderen<br />

Reformmodelle den in der Kommission<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

vereinbarten Prüfkriterien entsprechen, wird<br />

von der Arbeitsgruppe Kommunalsteuern auftragsgemäß<br />

noch zu prüfen sein.<br />

3. Die Kommunen haben nicht nur ein Einnahmen-,<br />

sondern auch und gerade ein Ausgabenproblem.<br />

Sie müssen deshalb von überzogenen<br />

Standardvorgaben in allen kommunalen<br />

Aufgabenbereichen entlastet werden.<br />

Durch Standardabbau allein lassen sich die<br />

kommunalen Haushaltsprobleme jedoch<br />

nicht lösen.<br />

Die Kommunen brauchen daneben eine Entlastung<br />

bei den Sozial- und Jugendhilfeausgaben.<br />

Die IMK erwartet deshalb von der Gemeindefinanzkommission<br />

konkrete Vorschläge<br />

zur Entlastung der Kommunen von diese<br />

belastenden Standards sowie Vorschläge für<br />

Änderungen der Bundesgesetzgebung zur<br />

Entlastung der Kommunen im sozialen Bereich.<br />

Die IMK bittet den Bundesminister des<br />

Innern, sich innerhalb der Bundesregierung<br />

dafür einzusetzen, dass die Kommunen im<br />

Bereich der Kosten der Unterkunft für Langzeitarbeitslose,<br />

der Grundsicherung, der Jugendhilfe,<br />

der Eingliederungshilfe und der<br />

Hilfe zur Pflege von den mit der Aufgabenwahrnehmung<br />

verbundenen finanziellen Aufwendungen<br />

deutlich entlastet werden.<br />

(…)<br />

4. Die IMK unterstützt Überlegungen in der<br />

Gemeindefinanzkommission, die Kostenwirksamkeit<br />

für die Kommunen bei Gesetzesvorhaben<br />

des Bundes stärker in den Blick zu nehmen<br />

und verlässlich zu berechnen.<br />

Dabei sollte insbesondere die Forderung der<br />

kommunalen Spitzenverbände nach einer<br />

länderbezogenen Kostenfolgenabschätzung<br />

aufgegriffen werden.<br />

In der vierten Sitzung der Arbeitsgruppe<br />

‚Rechtsetzung’ der Gemeindefinanzkommission<br />

am 17. September 2010 wurde vor allem<br />

das Thema einer verbesserten Gesetzesfolgenabschätzung<br />

im Bereich von Steuerrechtsänderungen<br />

und Zweckausgaben erörtert,<br />

welche die Kommunen im Besonderen belasten.<br />

Die Forderung nach einer solchen länderbezogenen<br />

Kostenfolgenabschätzung für<br />

Zweckausgaben wird vom Bund geprüft.<br />

Zwar mag die Ermittlung dieser Kostenfolgen<br />

für die Länder- und Kommunalebenen mit<br />

einem gewissen Aufwand verbunden sein.<br />

Gleichwohl kann es insbesondere für Gesetzgebungsvorhaben<br />

mit hoher finanzieller Belastung<br />

der Kommunen sinnvoll erscheinen,<br />

eine entsprechende Kostenfolgenabschätzung<br />

mit vorheriger Beteiligung der kommunalen<br />

Spitzenverbände auf Bundesebene<br />

durchzuführen.“<br />

II. Protokollnotizen<br />

zur Gewerbesteuer<br />

Nachstehend sind die Protokollnotizen zur<br />

Gewerbesteuer wiedergegeben:<br />

II.1 Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen,<br />

Sachsen-Anhalt und Thüringen<br />

„Die genannten Länder treten für den Erhalt<br />

und für die Verstetigung der Gewerbesteuer<br />

ein.“<br />

II.2. Berlin, Brandenburg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen,<br />

Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt<br />

„Die genannten Länder stellen fest, dass die<br />

Gewerbesteuer eine unverzichtbare Einnahmequelle<br />

der Kommunen ist. Sie halten es für<br />

erforderlich, die Gewerbesteuer nicht nur beizubehalten,<br />

sondern darüber hinaus ihre Weiterentwicklung<br />

insbesondere durch eine Verbreiterung<br />

der Bemessungsgrundlage zu erreichen.<br />

Die genannten Länder lehnen darüber hinaus<br />

den Vorschlag ab, den Kommunen ein Zu-<br />

und Abschlagsrecht auf die Einkommensteuer<br />

einzuräumen. Zum einen ist davon keine<br />

grundlegende Verbesserung der Finanzlage<br />

der Kommunen zu erwarten und zum anderen<br />

würden Zuschläge die Standortnachteile<br />

finanzschwacher Kommunen noch verstärken.“<br />

Und welche Haltung vertritt das CDU-FDPregierte<br />

Land <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> dazu? Keine<br />

eindeutige. In einer Pressemitteilung des<br />

Finanzministeriums vom 19.11.2010 heißt es:<br />

„Die Gewerbesteuer wird nicht kippen“, so<br />

Finanzminister Stächele ganz ausdrücklich.<br />

Allerdings müsse über die bisherige Hinzurechnung<br />

von Zinsen, Pachten und Mieten<br />

bei der Gewerbesteuer mit dem Ziel der Entlastung<br />

der mittelständischen Wirtschaft gesprochen<br />

werden. Hier sei natürlich auch die<br />

Frage zu beantworten, wie die dadurch eintretenden<br />

Steuerausfälle bei den Kommunen<br />

kompensiert werden (diese Antwort gibt Finanzminister<br />

Stächele indes nicht). Zudem<br />

bleibe ein kommunales Zuschlagsrecht bei<br />

der Einkommensteuer auf der Agenda. Dies<br />

wäre, so Stächele, eine Möglichkeit, die Haushaltspolitik<br />

von den Bürgerinnen und Bürgern<br />

projektbezogen mitgestalten zu lassen und<br />

damit könne eine stärkere Identifizierung geschaffen<br />

werden, wenn eine (zeitlich begrenzte<br />

(!)) Mehrbelastung einem elementaren<br />

Bürgeranliegen diene. Allerdings gehe es, so<br />

Stächele, zunächst darum, zu prüfen, ob und<br />

wann eine solche Steuerhoheit der Kommunen<br />

administrierbar wäre.<br />

11


Bilanz und Perspektiven<br />

Reform der Grundsteuer<br />

Seit 1996 (Reform der Erbschaftsteuer/<br />

Schenkungsteuer) bzw. 1997 (Außerkrafttreten<br />

des Vermögensteuergesetzes)<br />

nach dem Urteil des BVerfG vom<br />

22.6.1995 sind die bisherigen Einheitswerte<br />

im Wesentlichen nur noch für die<br />

Grundsteuer von Bedeutung. Seither<br />

wird vor diesem Hintergrund über eine<br />

grundlegende Reform der Grundsteuer<br />

diskutiert, mit der zum einen das Bewertungsverfahren<br />

für Zwecke der Grundsteuer,<br />

aber auch das Erhebungsverfahren<br />

vereinfacht werden soll. Die Einheitswerte<br />

nach den Wertverhältnissen<br />

zum 1.1.1964 in den alten Ländern bzw.<br />

zum 1.1.1935 in den neuen Bundesländern<br />

bzw. die dort geltende Ersatzbemessungsgrundlage<br />

stellen nach allgemeiner<br />

Übereinstimmung keine realitätsgerechte<br />

Bemessungsgrundlage für die Ermittlung<br />

der Grundsteuer mehr dar.<br />

Keiner der Reformansätze in der Finanzministerkonferenz<br />

(FMK) 2000 bzw.<br />

2004 war bisher zum Gegenstand einer<br />

Gesetzgebungsinitiative gemacht worden.<br />

Zuletzt war die Grundsteuerreform<br />

im Koalitionsvertrag für die 16. Legislaturperiode<br />

des Bundestags zur Umsetzung<br />

bis 2008 vorgesehen, geriet aber<br />

wegen der vordringlicheren Reform der<br />

Erbschaftsteuer in den Hintergrund.<br />

Anfang 2010 hat die Finanzministerkonferenz<br />

die Einsetzung einer länderoffenen<br />

Arbeitsgruppe zur Reform<br />

der Grundsteuer unter der Federführung<br />

von Nordrhein-Westfalen beschlossen.<br />

Ein wichtiger Impuls für den neuen<br />

Reform anlauf ist eine Ende 2009 vorgelegte<br />

Machbarkeitsstudie, die von norddeutschen<br />

Bundesländern erarbeitet wurde<br />

und sich für die Umstellung auf eine<br />

an den Verkehrswerten orientierte Bemessungsgrundlage<br />

für die Grundsteuer<br />

ausspricht. Allerdings gibt es hierzu<br />

innerhalb der Länder kein einheitliches<br />

Meinungsbild. Es gibt in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe<br />

sowohl Befürworter<br />

für eine Umstellung auf eine am Verkehrswert<br />

orientierte Bemessungsgrundlage als<br />

auch deutliche Sympathien für eine einfache,<br />

aber verkehrswertunabhängige Besteuerungsgrundlage.<br />

In diese laufende Reformdiskussion hinein<br />

hat nun der Bundesfinanzhof mit<br />

den am 11.8.2010 veröffentlichten Urteilen<br />

vom 30.6.2010 (II R 60/08 und<br />

II R 12/09) einen weiteren Impuls gesetzt.<br />

Er hat die über mehr als vier Jahrzehnte<br />

unveränderte Einheitsbewertung<br />

des Grundvermögens jedenfalls für<br />

Stichtage bis zum 1.1.2007 noch als verfassungsgemäß<br />

beurteilt, zusätzlich aber<br />

darauf hingewiesen, dass das weitere<br />

Unterbleiben einer allgemeinen Neubewertung<br />

des Grundvermögens für Zwecke<br />

der Grundsteuer nicht mehr verfassungskonform<br />

sei und insbesondere der<br />

Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG)<br />

verletzt werde. Die politischen Akteure<br />

haben also mit der aktuell veröffentlichten<br />

Entscheidung einen deutlichen<br />

Wink mit dem Zaunpfahl bekommen,<br />

sich auf einen Weg zu einigen und die<br />

Reformüberlegungen zeitnah in eine<br />

Gesetzesänderung münden zu lassen.<br />

Modell der vereinfachten Grundsteuer<br />

nach dem Äquivalenzprinzip<br />

Am 16.8.2010 haben die Finanzminister<br />

der Länder <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>,<br />

Bayern und Hessen ihr Eckpunktepapier<br />

für eine verkehrswertunabhängige<br />

„vereinfachte Grundsteuer nach dem<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

Äquivalenzprinzip“ vorgestellt. Es handelt<br />

sich sozusagen um den Gegenentwurf<br />

zum Verkehrswertmodell aus den<br />

norddeutschen Ländern. Beide Reformansätze<br />

stehen den Mitgliedsstädten<br />

und -gemeinden im Extranet, dem Internetangebot<br />

für die Mitglieder des<br />

<strong>Gemeindetag</strong>s, im Sonderthema<br />

„Grundsteuerreform“ zum Download<br />

zur Verfügung.<br />

Der Reformansatz der süddeutschen<br />

Bundesländer zielt darauf ab, dass die<br />

Grundsteuer-Bemessungsgrundlagen<br />

von den Städten und Gemeinden selbst<br />

verwaltet werden sollen und nicht mehr<br />

von den Finanzämtern wie bisher. Die<br />

Möglichkeit der Kommunalisierung soll<br />

jedem Land selbst überlassen werden.<br />

Zwar sollen die Wohn- und Betriebsgebäude<br />

der Land- und Forstwirte weiterhin<br />

der Grundsteuer (künftig auch mit<br />

den vereinfachten Bemessungsgrundlagen)<br />

unterliegen. Die land- und forstwirtschaftlichen<br />

Nutzungsflächen sollen<br />

allerdings künftig nicht mehr Bemessungsgrundlage<br />

für die Grundsteuer<br />

sein. Dies wäre u.a. von Vorteil für den<br />

Staatswald und umgekehrt nachteilig<br />

v.a. für viele Schwarzwald-Kommunen.<br />

Diesem Ansinnen hat der <strong>Gemeindetag</strong><br />

gegenüber dem Finanzministerium bereits<br />

widersprochen.<br />

12 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

Versteht man die Grundsteuer, wie im<br />

Eckpunktepapier von <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>,<br />

Bayern und Hessen dargestellt, als<br />

eine Art laufende Abgabe zur Finanzierung<br />

der kommunalen Infrastruktur, so<br />

ist der Gedanke einer verkehrswertunabhängigen<br />

einfach ermittelbaren Bemessungsgrundlage<br />

durchaus nachvollziehbar.<br />

Allerdings sind – wie dies auch in den<br />

Medien nach Veröffentlichung des Eckpunktepapiers<br />

seinen Niederschlag gefunden<br />

hat – die Auffassungen zum Verzicht<br />

auf jegliche Werthaltigkeit in der<br />

Bemessungsgrundlage geteilt, nicht nur<br />

mit Blick auf die Akzeptanz durch die<br />

verschiedenen Gruppen der Steuerpflichtigen,<br />

sondern auch mit dem Fokus auf<br />

die Hebesatzfestlegung in den Stadt- und<br />

Gemeinderäten. Die Ermittlung der<br />

Grundsteuer-Bemessungsgrundlagen<br />

nur mit drei Äquivalenzziffern anzugehen<br />

(2 Cent für die Grundstücksfläche<br />

[völlig losgelöst von den Bodenwertunterschieden<br />

innerhalb einer Gemeinde<br />

und zwischen den Gemeinden], 20 Cent<br />

für die nicht gewerblich genutzte Gebäude-Bruttogrundfläche<br />

und 40 Cent für<br />

die gewerblich genutzte Gebäude-Bruttogrundfläche)<br />

dürfte zum einen politisch<br />

nicht vermittelbar, zum anderen<br />

aber auch – weil zu stark pauschalierend<br />

– rechtlich angreifbar sein und sehr<br />

schnell wieder auf dem Prüfstand des<br />

Bundesverfassungsgerichts landen. Eine<br />

Verfeinerung mit Wertelementen innerhalb<br />

eines immer noch einfach zu haltenden<br />

Besteuerungsverfahrens hält<br />

auch die kommunale Praxis mehrheitlich<br />

für unumgänglich.<br />

Das Verkehrswertmodell<br />

Das Verkehrswertmodell basiert, wie erwähnt,<br />

auf einer Machbarkeitsstudie<br />

der Länder Berlin, Bremen, Niedersachsen,<br />

Sachsen und Schleswig-Holstein. In<br />

Anlehnung an die Rechtsprechung des<br />

Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsteuer<br />

geht die Studie davon aus,<br />

dass sich die Bemessungsgrundlage für<br />

die Grundsteuer am Verkehrswert orientieren<br />

müsse. Über eine automationsgestützte<br />

Bewertung soll dementsprechend<br />

versucht werden, dem Verkehrswert<br />

möglichst nahe zu kommen, denn<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

eine Bewertung aller zirka 35 Mio.<br />

Grundstücke in Deutschland aufgrund<br />

von Einzelgutachten ist ausgeschlossen!<br />

Deshalb wird in der Länderarbeitsgruppe<br />

der Finanzministerien auch die seit<br />

dem vergangenen Jahr neu geregelte Bewertung<br />

für Zwecke der Erbschaftsteuer<br />

als nicht auf die Grundsteuer übertragbar<br />

angesehen, weil es dabei jeweils um<br />

Steuerwerte im Einzelfall gehe. Für eine<br />

funktionsfähige verkehrswertorientierte<br />

Bewertung im Massenverfahren wird in<br />

der Länderarbeitsgruppe als Referenzbeispiel<br />

die in den Niederlanden seit<br />

1995 erfolgende Erhebung der Grundsteuer<br />

auf der Basis von Marktwerten<br />

angeführt (seit 2007 mit jährlichen Aktualisierungen<br />

durch die Kommunen,<br />

die allerdings freie Taxateure einsetzen).<br />

Ein weiteres Vorbild sieht die Länderarbeitsgruppe<br />

im Immobilien-Preis-Kalkulator<br />

(IPK) Niedersachsen.<br />

Das Verkehrswertmodell hält daran fest,<br />

land- und forstwirtschaftlich genutzte<br />

Grundstücke der Grundsteuer zu unterwerfen;<br />

diese Flächen sollen allerdings<br />

nicht mehr einer separaten Grundsteuer<br />

A unterliegen, sondern mit gewissen<br />

Modifikationen in die Grundsteuer B<br />

einbezogen werden.<br />

Zur Berechnung des Grundsteuerwertes<br />

nach dem Verkehrswertmodell werden<br />

folgende Daten benötigt:<br />

• Grundstücksdaten, d. h. die individuellen<br />

Daten des zu bewertenden<br />

Grundstücks (z.B. Lage, Grundstücksgröße,<br />

Wohn-/Nutzfläche, Gebäudeart,<br />

Baujahr). Weitere individuelle<br />

Merkmale, wie z.B. Ausstattung und<br />

Erhaltungszustand des Gebäudes sollen<br />

nicht berücksichtigt werden. Es<br />

werden somit immer eine durchschnittliche<br />

Ausstattung und ein<br />

durchschnittlicher Erhaltungszustand<br />

unterstellt.<br />

• Daten des Immobilienmarktes (z. B.<br />

Bodenrichtwerte, Liegenschaftszinssätze).<br />

Diese sollen aus den tatsächlichen<br />

Verkaufsfällen über vergleichende<br />

Verfahren abgeleitet werden.<br />

Organisatorisch würden die Grundstücksdaten<br />

von der Vermessungs- und<br />

Katasterverwaltung, die Immobilienmarktdaten<br />

von den Gutachterausschüssen<br />

ermittelt werden. Die Studie<br />

geht davon aus, dass die für die Wertermittlung<br />

benötigten Daten in ausreichender<br />

Qualität und der erforderlichen<br />

Flächendeckung für ganz Deutschland<br />

im Jahre 2012 vorliegen werden.<br />

Die Berechnung des Grundsteuerwertes<br />

soll über ein Rechenprogramm erfolgen,<br />

das Grundstücks- und Immobilienmarktdaten<br />

miteinander verknüpft. Die Wertermittlung<br />

für unbebaute Grundstücke<br />

13


Bilanz und Perspektiven<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

soll auf der Basis der Bodenrichtwerte erfolgen.<br />

Für die Bewertung bebauter<br />

Grundstücke soll vorwiegend bzw. soweit<br />

möglich das Vergleichswertverfahren<br />

herangezogen werden (vgl. die obenstehende<br />

Übersicht). Die Werte sollen<br />

entsprechend der Entwicklung des<br />

Grundstücksmarktes automationsgestützt<br />

jährlich fortgeschrieben werden.<br />

Als Fallbeispiel, wie die Grundsteuerwertermittlung<br />

funktionieren könnte,<br />

wird das nachfolgende mit Hilfe des niedersächsischenImmobilienpreis-Kalkulators<br />

erstellte Berechnungsbeispiel angeführt,<br />

das an der Wohnfläche des Objekts<br />

ansetzt, für die ein Vergleichsfaktor<br />

(durchschnittlicher Wert) verwendet<br />

wird, der mit Hilfe von Korrekturfaktoren<br />

an das jeweilige Grundstück angeglichen<br />

wird.<br />

Wie das massentaugliche Bewertungsverfahren<br />

aber für eine dauerhafte Anwendung<br />

im Einzelnen ausgestaltet –<br />

auch hinsichtlich der Aktualisierung<br />

der Werte – und steuergesetzlich hinreichend<br />

bestimmt (und gerichtsfest!) geregelt<br />

werden soll, ist über die skizzierten<br />

Umrisse hinaus derzeit nicht erkennbar.<br />

Eine Festlegung hinsichtlich einer möglichen<br />

Kommunalisierung des gesam -<br />

ten Grundsteuerverfahrens enthält die<br />

Machbarkeitsstudie zur verkehrswertorientierten<br />

Grundbesteuerung nicht.<br />

Die Länderarbeitsgruppe der Finanzministerien<br />

geht unter Hinweis auf die im<br />

vergangenen Jahr im Zuge der Erbschaftsteuerreform<br />

neu geregelten §§ 193 ff.<br />

BauGB und die nun vorliegende neue<br />

Immobilienwertermittlungsverordnung<br />

davon aus, „dass (von den Gutachterausschüssen)<br />

die für die Wertermittlung<br />

im Grundsteuerverfahren benötigten<br />

Daten in ausreichender Qualität und<br />

der erforderlichen Flächendeckung für<br />

ganz Deutschland im Jahr 2012 vorliegen<br />

werden.“<br />

Diese Einschätzung dürfte aber nicht nur<br />

für <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, wo die Gutachterausschüsse<br />

bei den Gemeinden angesiedelt<br />

sind, sondern verbreitet auch für<br />

die anderen Bundesländer zutreffen.<br />

14 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

Zwischen dem Einfach-Modell nach<br />

dem Äquivalenzprinzip und dem Verkehrswertmodell<br />

liegen Welten. Es<br />

bleibt nun abzuwarten, zu welchem<br />

Vorschlag die Arbeitsgruppe der Finanzministerien<br />

zur Reform der Grundsteuer<br />

schließlich gelangen wird.<br />

Nach einer ersten groben Einschätzung<br />

dürfte ein rein verkehrswertorientiertes<br />

Bewertungsmodell für Zwecke der<br />

Grundsteuer entgegen den Eindrücken,<br />

den die Machbarkeitsstudie vermittelt,<br />

in der Handhabung alles andere als einfach<br />

sein. In Betracht käme aus kommunaler<br />

Sicht eher eine Kombination aus<br />

• Verkehrswertorientierung (aktuelle<br />

Bodenwerte) bezüglich der unbebauten<br />

Grundstücke, der land- und forstwirtschaftlichen<br />

Nutzflächen sowie der<br />

Grundstücksflächen<br />

Grundstücken und<br />

bei bebauten<br />

• Gebäudesachwerten. Diese können<br />

durch Multiplikation der Wohn-/Nutzflächen<br />

bzw. der Brutto-Grundfläche<br />

oder ggf. der Kubatur des Objekts mit<br />

gesetzlich oder durch Verordnung vorzugebenden<br />

standardisierten Herstellungskosten(Normal-Herstellungskosten)<br />

ermittelt werden, ggf. mit einem<br />

Alterswertabschlag. Die standardisierten<br />

Herstellungskosten müssten nach<br />

Grundstücksarten (je Quadratmeter<br />

Fläche oder je Kubikmeter Rauminhalt)<br />

unterscheiden. Vergleichbare Vorgaben,<br />

die als Anhalt für eine gesetzliche<br />

Neuregelung für Zwecke der Grundsteuerbewertung<br />

dienen können, enthält<br />

das BewG bereits jetzt in der Anlage<br />

24 für Zwecke der Erbschaftsteuerbewertung.<br />

Die auf dieser Grundlage ermittelten<br />

Werte könnten für die Dauer eines Feststellungszeitraums<br />

(z.B. 6 Jahre) unverändert<br />

bleiben und könnten in einem<br />

grundsteuerlichen Grundlagenbescheid<br />

festgestellt werden.<br />

Eine Positionierung der kommunalen<br />

Verbände dazu gibt es bisher nicht, zumal<br />

auch nicht feststeht, wie sich die<br />

weiteren Arbeiten in der Länderarbeitsgruppe<br />

der Finanzministerien gestalten.<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Der <strong>Gemeindetag</strong> wird die Grundsteuerreform<br />

mit seinem Praktiker-Arbeitskreis<br />

„Grundsteuer“ weiter intensiv<br />

begleiten. Er wird dabei auch darauf zu<br />

Finanzbeziehungen Land / Kommunen<br />

In den vergangenen Jahren haben sich<br />

das Land und die Kommunen verschiedentlich<br />

über wesentliche Finanzfragen<br />

durch Vereinbarungen verständigt. Zuletzt<br />

war dies am 24.11.2009 im Zusammenhang<br />

mit der Umsetzung des so<br />

genannten Orientierungsplans in den<br />

Kindergärten in Bezug auf die Mitfinanzierung<br />

des Landes an der Erhöhung des<br />

dafür notwendigen Personalschlüssels<br />

der Fall. Im Gegenzug haben sich dabei<br />

Land und Kommunen auf eine weitere<br />

Fortsetzung der Kürzung des Kommunalen<br />

Finanzausgleichs um 405 Mio.<br />

Euro für das Jahr 2011 geeinigt.<br />

Entsprechend dieser Praxis hat Ministerpräsident<br />

Mappus im Juni 2010 in<br />

einem Gespräch den kommunalen Landesverbänden<br />

einen Vorschlag für einen<br />

„Pakt für Chancengerechtigkeit“ unterbreitet:<br />

Das Land übernimmt an den Grund-<br />

und Hauptschulen, beginnend ab September<br />

2010, die Einrichtung von schulpädagogischen<br />

Assistenten. Im Gegenzug<br />

sollen dafür die Kommunen die Finanzierung<br />

der Schulsozialarbeit<br />

endgültig als ihre Aufgabe übernehmen.<br />

Hintergrund dieses Angebots ist die seit<br />

Jahren andauernde Meinungsverschiedenheit<br />

zwischen Land und Kommunen<br />

über die Aufgabenträgerschaft für<br />

die Schulsozialarbeit. Das Land betrachtet<br />

die Schulsozialarbeit als einen Teil<br />

der Allgemeinen Jugendhilfe und daher<br />

allein als kommunale Aufgabe, während<br />

die Kommunen diese als schulisch bedingte<br />

Aufgabe betrachten, die vom<br />

Land zu finanzieren wäre.<br />

Das Land hatte sich hieran ursprünglich<br />

ebenfalls mit Zuschüssen beteiligt. Diese<br />

wurden jedoch mit Ablauf des Schuljahres<br />

2005/2006 ganz eingestellt und<br />

beliefen sich am Ende noch auf jährlich<br />

achten haben, dass die Verankerung<br />

der Gutachterausschüsse auf Gemeindeebene<br />

nicht erneut in Frage gestellt<br />

wird.<br />

1,1 Mio. Euro bzw. 5 Prozent des damaligen<br />

Finanzierungsbedarfs von 22,5<br />

Mio. Euro.<br />

Aktuell beträgt der kommunale Finanzierungsaufwand<br />

für die Schulsozialarbeit<br />

jährlich zirka 37,5 Mio. Euro für<br />

rund 750 Vollzeitstellen.<br />

Seitens des Landes wird der Finanzbedarf<br />

für den pädagogischen Assistenten<br />

mit rund 10 Mio. Euro jährlich beziffert.<br />

Bei einer Ausdehnung auf die Realschulen<br />

würde dieser auf rund 20 Mio. Euro<br />

pro Jahr ansteigen. Die kommunalen<br />

Landesverbände vertreten demgegenüber<br />

die Auffassung, dass bei der Schulsozialarbeit<br />

weiterhin eine Finanzierungspflicht<br />

des Landes besteht.<br />

Angesichts einer weiteren nicht geringen<br />

Zahl von Themen, die die Finanzbeziehungen<br />

Land und Kommunen betreffen<br />

und eine weitaus größere Kostenrelevanz<br />

besitzen als die Einführung<br />

des schulpädagogischen Assistenten,<br />

haben es die kommunalen Landesverbände<br />

nicht für opportun gehalten, mit<br />

dem Land lediglich eine Vereinbarung<br />

über eine finanzielle Einzelproblematik,<br />

wie sie die Einführung des schulpädagogischen<br />

Assistenten darstellt, zu treffen.<br />

Daher haben die kommunalen Landesverbände<br />

gegenüber dem Land den<br />

Wunsch und die Forderung zum Ausdruck<br />

gebracht, neben einem „Pakt für<br />

Chancengerechtigkeit“ eine Verständigung<br />

zu weiteren folgenden Fragestellungen<br />

zu finden:<br />

• Offenlegung von Überlegungen des<br />

Landes über etwaige weitere Eingriffe<br />

in den Kommunalen Finanzausgleich<br />

über das Jahr 2011 hinaus;<br />

•<br />

Unterstützung des Landes für die Erhaltung<br />

der Gewerbesteuer;<br />

15


Bilanz und Perspektiven<br />

•<br />

•<br />

landesweite Bestandsgarantie für die<br />

Grundschulstandorte;<br />

erhöhte Beteiligung des Landes an<br />

den Schülerbeförderungskosten;<br />

• Beteiligung des Landes an den durch<br />

die Einführung der Werkrealschule<br />

entstehenden Schülerbeförderungskosten<br />

sowie<br />

• Übernahme der Ganztagsschule in das<br />

Schulgesetz, nachdem in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

mehr als 1.300 Ganztagsschulen<br />

nunmehr in Betrieb sind.<br />

Die kommunalen Landesverbände wollen<br />

damit eine frühzeitige Weichenstellung<br />

in Bezug auf die Finanzbeziehungen<br />

Land und Kommunen für die Zeit nach<br />

2011 erreichen. In zwei Sitzungen auf<br />

Arbeitsebene konnte jedoch hierzu in<br />

den zentralen Fragen – wie Eingriffe des<br />

Landes in die kommunale Finanzausstattung<br />

– keine konkreten Ergebnisse erzielt<br />

werden. In einem weiteren, an 2.12.2010<br />

zwischen den Kommunalen Landesverbänden<br />

und dem Ministerpräsidenten<br />

stattgefundenen Gespräch, konnten<br />

zwar erneut keine abschließenden Ergebnisse,<br />

jedoch grundsätzliche Festlegungen<br />

für weitergehende Verhandlungen<br />

zwischen dem Land und den Kommunalen<br />

Landesverbänden in den offenen Fragestellungen<br />

vereinbart werden 1 :<br />

Die Gespräche zwischen dem Land<br />

und den Kommunen werden mit dem<br />

Ziel einer Entlastung der Kommunen<br />

fortgesetzt.<br />

Pakt zur Stärkung<br />

der Chancen gerechtigkeit<br />

Landesregierung und Kommunale Landesverbände<br />

haben auf Vorschlag von Ministerpräsident<br />

Mappus vereinbart, zu Beginn des Jahres<br />

2011 eine Entscheidung über einen Pakt zur<br />

Stärkung der Chancengerechtigkeit zu treffen.<br />

In diesen Pakt sollen sowohl die pädagogischen<br />

Assistenten und die Jugendsozialarbeit an<br />

Schulen als auch der bedarfsgerechte Ausbau<br />

der Ganztagesangebote an Grundschulen möglicherweise<br />

auf gesetzlicher Grundlage und die<br />

Schülerbeförderung einbezogen werden. Zwischen<br />

den betroffenen Ministerien und den<br />

Kommunalen Landesverbänden wird hierzu<br />

eine Arbeitsgruppe eingerichtet.<br />

Kleinkindbetreuung<br />

Der weitere bedarfsgerechte Ausbau der Betreuungsangebote<br />

für Kleinkinder hat für die<br />

Landesregierung und Kommunalen Landesverbände<br />

eine sehr hohe Priorität. Unter den<br />

Gesprächsteilnehmern bestand Konsens, dass<br />

die derzeit bis 2013 geltende Einigung zwischen<br />

den Kommunalen Landesverbänden<br />

und der Landesregierung vom Dezember 2007<br />

nach wie vor Bestand hat. Der Ministerpräsident<br />

hält eine vorzeitige Verlängerung des<br />

Paktes und dessen Fortentwicklung für möglich.<br />

Die Gespräche hierzu sollen fortgesetzt<br />

werden, sobald eine Studie des Deutschen Jugendinstituts<br />

zum zukünftigen Versorgungsbedarf<br />

in der Kleinkindbetreuung vorliegt.<br />

Erschließung neuer Finanzquellen<br />

In Zeiten leeren Gemeindekassen erinnern<br />

sich die Kommunen regelmäßig an<br />

die in den Kommunalabgabengesetzen<br />

eröffnete Möglichkeit, eigene Steuerquellen<br />

im Rahmen des so genannten<br />

Steuerfindungsrechts der Gemeinden<br />

zu erschließen. In der Vergangenheit<br />

wurde immer wieder der Versuch unternommen,<br />

eine örtliche Pferdesteuer in<br />

analoger Ausgestaltung zur Hundesteuer<br />

zu „erfinden“. Während dies kommunalabgabenrechtlich<br />

durchaus als<br />

grundsätzlich zulässige Steuer anzusehen<br />

sein wird, sind in der Vergangenheit<br />

gleichwohl Vorstöße zur Einführung<br />

der Steuer immer wieder aus kommunalpolitischen<br />

Erwägungen heraus<br />

gescheitert.<br />

In letzter Zeit sind bundesweit Tendenzen<br />

erkennbar, völlig neue Steuerquellen<br />

zu erschließen. Nachdem die Bundesregierung<br />

die Umsatzsteuer für Beherbergungsbetriebe<br />

gesenkt hat, wurden<br />

vor allem von Großstädten<br />

Erwägungen angestellt, von den Hotels<br />

eine „Bettensteuer“ in Anlehnung an<br />

die von der Stadt Weimar erhobenen<br />

Kulturabgabe einzuführen. In <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong> wurde von einigen Städten<br />

die Einführung der Steuer zwar diskutiert,<br />

letztlich aber wieder vor dem<br />

Hintergrund zahlreicher offener Rechtsfragen<br />

davon Abstand genommen.<br />

Gleiches gilt für die Erhebung einer<br />

Waffensteuer, die von der Stadt Stuttgart<br />

in die Diskussion eingebracht wur-<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

Diese ist für das Frühjahr 2011 angekündigt.<br />

In den anstehenden Gesprächen wird auch die<br />

Frage der Konnexität weiter diskutiert werden,<br />

deren Relevanz zwischen dem Land und den<br />

Kommunalen Landesverbänden unterschiedlich<br />

beurteilt wird.<br />

Regelung des FAG-Konsolidierungsbeitrag:<br />

Über eine Absenkung des FAG Konsolidierungsbetrags<br />

von 405 Mio. Euro ab 2012 soll<br />

im Zusammenhang mit den Gesprächen zur<br />

Kleinkindbetreuung beraten werden.<br />

1 Gemeinsame Presseerklärung von Landesregierung<br />

und Kommunalen Landesverbänden<br />

vom 2.12.2010.<br />

de. Vor dem Hintergrund der Vorkommnisse<br />

in Winnenden sollte die Steuer<br />

neben fiskalischen Zwecken vor allem<br />

dazu dienen, „lenkend“ auf den privaten<br />

Waffenbesitz einzuwirken, d.h. Anreize<br />

schaffen, möglichst wenige Waffen<br />

in privaten Haushalten vorzuhalten.<br />

Auch hierbei sind zahlreiche Detailfragen,<br />

z.B. bei der Abgrenzung des steuerpflichtigen<br />

Personenkreises, dem Verhältnis<br />

zum Waffengesetz und der Frage,<br />

welcher laufende Aufwand bei der Haltung<br />

einer Waffe überhaupt entsteht,<br />

z.B. bei Sammlerstücken, rechtlich<br />

höchst umstritten.<br />

Im Vergleich dazu erscheinen Bestrebungen,<br />

das Aufstellen von Funkmasten<br />

(„Handysteuer“) oder von Windkraftanlagen<br />

(„Windenergiesteuer“) als örtliche<br />

Aufwandsteuer besteuern zu wollen,<br />

völlig abwegig. Erst recht gilt dies<br />

für die ebenfalls erwogene Einführung<br />

einer „Bräunungssteuer“ (Besteuerung<br />

von Solarien).<br />

Kommunen, die sich auf das Wagnis des<br />

Erfindens neuer Steuerquellen einlassen,<br />

laufen Gefahr, dass die Zulässigkeit der<br />

Steuer in jahrelangen Prozessen durch<br />

alle Instanzen geklärt werden muss und<br />

im schlimmsten Fall die Kommune verpflichtet<br />

wird, die über Jahre hinweg eingenommenen<br />

Einnahmen an die Steuerpflichtigen<br />

(soweit sie gegen die Bescheide<br />

Rechtsmittel eingelegt haben) wieder<br />

zurückzahlen zu müssen.<br />

16 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

NKHR-BW: Produktplan, Kontenrahmen<br />

und Muster für die Haushaltswirtschaft sind fertiggestellt<br />

Mit dem Gesetz zur Reform des Gemeindehaushaltsrechts<br />

vom 4.5.2009 (GBl.<br />

S. 185) hatte der Landtag die gesetzliche<br />

Grundlage für die flächendeckende Umstellung<br />

der Gemeinden, Kreise und<br />

Verbände auf das neue Haushaltsrecht<br />

geschaffen. Letztes „kamerales“ Haushaltsjahr<br />

ist danach das Jahr 2015.<br />

Zur Konkretisierung des gesetzlichen<br />

Rahmens hat das Innenministerium in<br />

der Folge die Gemeindehaushaltsverordnung<br />

und die Gemeindekassenverordnung<br />

auf doppischer Grundlage<br />

neu erlassen (Gemeindehaushaltsverordnung<br />

vom 11.12.2009, GBl. S. 770,<br />

Gemeindekassenverordnung vom<br />

11.12.2009, GBl. S. 791).<br />

Zum Ende des Jahres 2010 wurde schließlich<br />

die VwV Produkt- und Kontenrahmen<br />

fertiggestellt, die die verbindlichen<br />

Muster für die Haushaltswirtschaft der<br />

Gemeinden, Kreise und Verbände enthält<br />

und die verbindliche (Mindest-)Tiefe<br />

für die Produktorientierung in den<br />

Haushalten vorgibt und den Kontenrahmen<br />

für Ergebnisrechnungs-, Finanzrechnungs-<br />

und Bilanzkonten vorschreibt.<br />

Sie wird in Kürze im Gemeinsamen<br />

Amtsblatt veröffentlicht.<br />

Für die flächendeckende Umstellung bis<br />

Ende 2015 ist für die Kommunen, die<br />

sich der Unterstützung der Regionalen<br />

Rechenzentren bedienen, deren Rolloutplanung<br />

elementar, um die Kunden<br />

durch den „Flaschenhals“ des Umstellzeitendes<br />

zu bekommen. Bis Ende 2011<br />

sollen nach der Rolloutplanung des<br />

DVV <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> gerade einmal<br />

59 Kunden auf den Kommunalmaster<br />

(SAP) doppisch und 21 Kunden auf<br />

die KIRP-Modellkommune doppisch<br />

umgestellt sein. Somit verbleiben für<br />

weitere vier Umstelljahre noch 994<br />

(+ X?) Anwender, die aus KIRP kameral<br />

(367 Kunden) bzw. aus SAP kameral<br />

(573 Kunden) oder gar noch aus Fiwes<br />

classic (54 Anwender) die Umstellung<br />

angehen müssen.<br />

Für die Kommunen ist dabei wichtig:<br />

Welche Lösung gibt es für die KIRP-Kun-<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

den nach Auslaufen des um zwei weitere<br />

Jahre bis 2017 verlängerten Pflegevertrags<br />

für KIRP? Wie schnell kommt der<br />

„SAP-Kommunalmaster Smart“, der v.a.<br />

den Bedürfnissen der kleineren Kommunen<br />

Rechnung tragen soll? Gibt es hier<br />

noch eine badische und eine württembergische<br />

Variante? Aber auch für die<br />

weit über 100 Anwender autonomer Finanzwesen-Verfahren<br />

gilt: Nicht alle<br />

können die Umstellung bis auf das letzte<br />

Jahr schieben. Auch hier müssen die personellen<br />

und sächlichen Ressourcen in<br />

der Umstellungsbetreuung über mehrere<br />

Jahre verteilt zum Einsatz kommen.<br />

Demografie und Personalentwicklung<br />

Durch die Wirtschaftskrise kaum vermindert<br />

machte sich der infolge der demografischen<br />

Entwicklung verschärfte<br />

Wettbewerb der Arbeitgeber am Arbeitsmarkt<br />

auch für Städte und Gemeinden<br />

2010 immer stärker bemerkbar. Der Fachkräftemangel<br />

ist ein langfristiges Strukturproblem,<br />

dem Städte und Gemeinden<br />

mehr als bisher entgegensetzen müssen.<br />

Ihre hohe Leistungsfähigkeit steht sonst<br />

mittelfristig auf dem Spiel.<br />

Dem hat bereits 2009 eine Arbeitsgruppe<br />

aus Praktikern im <strong>Gemeindetag</strong> mit<br />

einem Empfehlungspapier zu Personalentwicklung,<br />

Personalmarketing entsprochen.<br />

Kurz danach hat die Robert-<br />

Bosch-Stiftung ihre Demografie-Studie<br />

zur Personalpolitik in der öffentlichen<br />

Verwaltung veröffentlicht. Daraus will<br />

die Stiftung ein Förderprogramm entwickeln:<br />

„Die Kommunalverwaltung im Zeichen<br />

des demografischen Wandels“<br />

Ilka Weinbrenner, Projektleiterin bei der<br />

Bosch-Stiftung dazu: „Die Auswirkungen<br />

der demografischen Veränderungen<br />

führen zwangsläufig zu alternden Belegschaften<br />

in vielen Unternehmen. Be-<br />

Unabhängig von der Finanzwesen-Umstellung<br />

gibt es v.a. für die Erstellung<br />

der Eröffnungsbilanz, aber auch für die<br />

laufende Bilanzierung nach wie vor eine<br />

Fülle teilweise recht schwieriger Fragen<br />

der Bewertung und Bilanzierung.<br />

Der auf der Internetseite www.nkhrbw.de<br />

eingestellte Bilanzierungsleitfaden<br />

ist zwar eine gute Orientierung,<br />

kann aber nicht sämtliche Einzelfragen<br />

beantworten. Ein bisher allgemein unterschätztes<br />

Sonderthema ist die Umstellung<br />

der bisher kameral buchenden<br />

Zweckverbände auf das neue Haushaltsrecht.<br />

Denn hier sind auch die<br />

Verbandssatzungen mit den Umlagemaßstäben<br />

berührt, die an das neue<br />

Haushaltsrecht anzupassen sind.<br />

reits im Jahre 2020 stellt die Gruppe der<br />

50-65-Jährigen rund 40 Prozent des Arbeitskräftepotenzials<br />

in Deutschland.“<br />

Das Durchschnittsalter der rund 4,6<br />

Millionen Beschäftigten in öffentlichen<br />

Verwaltungen habe aufgrund knapper<br />

Finanzen und Einstellungsstopps bereits<br />

ein Durchschnittsalter von 44 Jahren<br />

erreicht. Auf kommunaler Ebene seien<br />

rund ein Drittel der Führungskräfte 55<br />

Jahre und älter.<br />

„Mit der Ausschreibung eines Förderprogramms<br />

will die Robert-Bosch-Stiftung<br />

gemeinsam mit dem <strong>Gemeindetag</strong><br />

Kommunen darin unterstützen, dass sie<br />

die mit den Auswirkungen des demografischen<br />

Wandels verbundenen Chancen<br />

und Herausforderungen aufgreifen“,<br />

sagte Weinbrenner. Das Programm<br />

eröffne baden-württembergischen Kommunen<br />

die Möglichkeit, für ihre Gemeindeverwaltungen<br />

Konzepte unterschiedlichster<br />

Art zu entwickeln, umzusetzen<br />

und sich dabei mit anderen Kommunen<br />

zu vernetzen. Realisierbare<br />

Konzepte für eine demografieorientierte<br />

Personalpolitik sollten öffentlich gemacht<br />

und die Umsetzung durch Fördergelder<br />

bis zu 20.000 Euro ermöglicht<br />

werden.<br />

17


Bilanz und Perspektiven<br />

Dienstrechtsreform<br />

„Spät kommt ihr – doch ihr kommt! Der<br />

weite Weg entschuldigt euer Säumen.“<br />

Der Vers aus Schillers Piccolomini muss<br />

auch für die 2006 als Musterprojekt gestartete<br />

Dienstrechtsreform der Landesregierung<br />

gelten. Zwar ist der Weg weit<br />

länger geworden als angekündigt, viele<br />

Bundesländer haben <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

überholt. Dafür sind Programm<br />

und Ehrgeiz der Reformer im Laufe der<br />

Jahre zusehends geschwunden. Was der<br />

Landtag gerade noch vor Ende der Legislaturperiode<br />

verabschiedet und kurz<br />

vor Jahresende ins Gesetzblatt gerückt<br />

hat, findet Anerkennung, teilweise aber<br />

auch Kritik von kommunaler Seite.<br />

Laufbahnrecht<br />

Der <strong>Gemeindetag</strong> begrüßt die Flexibilisierung<br />

des Laufbahnrechts. Die weitgehende<br />

Übertragung laufbahnrechtlicher<br />

Entscheidungen auf die Dienstvorgesetzten<br />

eröffnet den Städten und Gemeinden<br />

einen personalpolitischen Gestaltungsspielraum,<br />

der für ihre Wettbewerbsfähigkeit<br />

am Arbeitsmarkt immer<br />

wichtiger wird. Ferner werden dadurch<br />

aufwändige Einzelentscheidungen des<br />

Landespersonalausschusses, letztlich<br />

auch das Gremium, entbehrlich.<br />

Besoldung und Versorgung<br />

Die in den Eckpunkten der Landesregierung<br />

hervorgehobene Zielsetzung der<br />

Deregulierung und Flexibilisierung wird<br />

im Entwurf für ein neues Landesbesoldungsgesetz<br />

und seinen ergänzenden<br />

Regelungen leider kaum aufgegriffen.<br />

So bleibt es, anders als in anderen Bundesländern,<br />

bei der längst überholten<br />

Stellenobergrenzenverordnung. Immerhin<br />

wurde den Kommunen zugestanden,<br />

die Höhe der Mehrarbeitsvergütung<br />

und die Sitzungsvergütung durch<br />

Satzung selbst zu regeln. Damit können<br />

Städte und Gemeinden noch nicht voll<br />

zufrieden sein. Sie brauchen immer<br />

dringender mehr Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum<br />

in diesen Fragen.<br />

Erste Schritte sind gemacht.<br />

Bei der Regelung der Versorgungslastenteilung<br />

werden die Belange der Städte<br />

und Gemeinden bei Dienstherrenwechseln<br />

zwischen kommunalen Dienstherren<br />

nicht angemessen berücksichtigt.<br />

Der Gesetzentwurf verlangt die Zustimmung<br />

des abgebenden Dienstherrn zum<br />

Wechsel zu einem anderen Dienstherrn.<br />

Die Verknüpfung einer Versorgungslastenverteilung<br />

mit der Zustimmung des<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

Dienstherrn ist systemfremd und nicht<br />

sachgerecht. Ein Dienstherrenwechsel<br />

wird auch ohne Zustimmung vollzogen,<br />

anstelle der Versetzung dann eben im<br />

Wege der Ernennung durch einen anderen<br />

Dienstherrn. Mit Blick auf die erheblichen<br />

wirtschaftlichen Folgen, die<br />

von dieser Zustimmung abhängen, liegt<br />

hier ein beträchtliches Konfliktpotenzial<br />

zwischen den Dienstherren, das vermieden<br />

werden müsste. Ferner wird die<br />

Versorgungslastenteilung rückwirkend<br />

eingeführt. Den früheren Beschäftigungskörperschaften<br />

werden also Lasten<br />

auferlegt, die sie nicht mehr beeinflussen<br />

können.<br />

Wahlbeamte<br />

Der <strong>Gemeindetag</strong> begrüßt nachdrücklich<br />

die Fortsetzung der 1996 und insbesondere<br />

2000 begonnenen Maßnahmen<br />

zur Steigerung der Attraktivität des<br />

kommunalen Wahlamts in kleineren<br />

Städten und Gemeinden. Er hat die Landesregierung<br />

aber dringend gebeten,<br />

den Vorschlag eines Leistungsbonus als<br />

Anreiz für die Wahl in eine dritte Amtszeit<br />

erneut aufzugreifen; der Vorteil einer<br />

solchen Regelung für die betroffenen<br />

Städte und Gemeinden ist unbestritten.<br />

18 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Foto: irisblende.de


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

E-Government: Bürgerbüro oder Internet? Unternehmen informieren sich heute im<br />

Sind moderne Bürgerbüros in unseren<br />

Rathäusern eine Fehlinvestition?<br />

Dienstleistungsportale im Internet und<br />

das Projekt D115 können den Eindruck<br />

erwecken, Verwaltungsdienstleistungen<br />

würden künftig nur noch online oder<br />

telefonisch erbracht.<br />

Das Land hat in enger Kooperation mit<br />

den Kommunen ein qualitativ vorbildliches<br />

Dienstleistungsportal ins Netz<br />

gestellt: www.service-bw.de. Als übergreifendes,<br />

staatlich-kommunales Portal<br />

erschließt es die wesentlichen Internet-Dienstleistungen<br />

der Landes- und<br />

Kommunalbehörden. Die gemeinsame<br />

Erstellung und Pflege der Informationen<br />

(‚content‘) gewährleistet Qualität<br />

und Wirtschaftlichkeit. 1<br />

Hinzu kommt D115, ein Pilotprojekt,<br />

mit dem der Bund eine einheitliche Behördenrufnummer<br />

erprobt. Seit 2010<br />

auch in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, in Friedrichshafen<br />

und im Bodenseekreis. Bis<br />

Ende 2011 sollen alle Behörden der<br />

Bundesverwaltung angeschlossen sein,<br />

weitere Länder und Kommunen dafür<br />

gewonnen werden. Internet und Callcenter:<br />

zwei Zugänge zu einer einheitlichen<br />

Informationsbasis. Denn die Callcenter<br />

von D115 greifen auf gekürzte<br />

Informationen in service-bw zurück. 2<br />

Auch die Arbeit der Bürgerbüros kann<br />

durch den Zugriff auf service-bw qualitativ<br />

und wirtschaftlich verbessert werden.<br />

Auskunft, auch über Verfahren bei anderen<br />

Behörden, schnell und rechtssicher<br />

geben zu können, wird durch das Service-Portal<br />

wesentlich erleichtert. Der<br />

traditionelle und derzeit noch mit Abstand<br />

meistbegangene Weg zur Behörde<br />

muss sich der medialen Konkurrenz stellen.<br />

„Den Wettbewerb mit einem Callcenter<br />

gewinne ich allemal“, behauptet<br />

1 Stephan Jaud in Praxis des E-Government in<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, Stuttgart 2010.<br />

2 Böllhoff/Jörgens sowie Hans-Rudi Rach in Praxis<br />

des E-Government in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>,<br />

Stuttgart 2010<br />

3 Roger Kehle und Johannes Stingl in Praxis des<br />

E-Government in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

die Leiterin eines Bürgerbüros selbstbewusst.<br />

Gut, wenn sie das 2012 auch noch<br />

sagen kann. Dabei bleibt unberücksichtigt,<br />

dass die Alternativen Hingehen, Anrufen<br />

oder Surfen oft nicht ausschließlich<br />

genutzt werden. Viele Bürger oder<br />

Internet über Verwaltungsverfahren, besorgen<br />

sich die benötigten Dokumente<br />

und kommen damit ins Rathaus. Dort<br />

können ihre Anliegen schneller und einfacher<br />

erledigt werden; ganz im Sinne<br />

einer bürgerfreundlichen und wirtschaftlichen<br />

Verwaltung. 3<br />

Ermächtigung für Alkoholkonsumverbote in Ortspolizeiverordnungen<br />

oder „Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt“<br />

Durch zwei Normenkontrollurteile vom<br />

28. Juli 2009 hat der VGH <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Alkoholverbote in Ortspolizeiverordnungen<br />

für i.d.R. unzulässig erklärt.<br />

Im Falle des zeitlich und örtlich<br />

begrenzten Alkoholverbots der Stadt<br />

Freiburg im so genannten „Bermuda-<br />

Dreieck“ hat der VGH insbesondere auf<br />

eine fehlende gesetzliche Ermächtigung<br />

für solche Regelungen hingewiesen. Im<br />

Anschluss an die Veröffentlichung der<br />

Urteile hat sich das Innenministerium<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> dann in dem Sinne<br />

geäußert, dass es – soweit verfassungsrechtliche<br />

Gründe nicht entgegenstehen<br />

– eine gesetzliche Grundlage schaffen<br />

will, die es den Kommunen ermöglicht,<br />

an örtlichen Brennpunkten den<br />

öffentlichen Alkoholkonsum zu untersagen.<br />

Bislang ist allerdings, trotz verschiedener<br />

Bürgermeisterinitiativen sowie Bemühungen<br />

von <strong>Gemeindetag</strong> und Städtetag,<br />

nichts gelaufen. Nach Darstellung<br />

vieler Städte und Gemeinden haben<br />

aber der öffentliche Alkoholkonsum<br />

und die daraus resultierenden Probleme<br />

zwischenzeitlich ein Ausmaß angenommen,<br />

das nicht länger hingenommen<br />

werden kann. Aus dem dazu vorliegenden<br />

umfangreichen Schriftwechsel<br />

kann entnommen werden, dass sich das<br />

Innenministerium <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

und die CDU-Landtagsfraktion nach<br />

wie vor für eine gesetzliche Ermächtigung<br />

stark machen, der Justizminister<br />

und die FDP-Landtagsfraktion eine solche<br />

Regelung aber blockieren. Die Landesregierung<br />

argumentiert offiziell u.a.<br />

damit, dass zunächst weitere Erfahrungen<br />

zum am 1. März 2010 in Kraft getre-<br />

tenen Alkoholverkaufsverbotsgesetz<br />

abgewartet werden sollen. Eine gegen<br />

dieses Gesetz gerichtete Verfassungsbeschwerde<br />

ist vom Bundesverfassungsgericht<br />

bekanntlich nicht einmal zur Entscheidung<br />

angenommen worden.<br />

Der <strong>Gemeindetag</strong> wird sich weiterhin<br />

um eine gesetzliche Ermächtigung für<br />

Alkoholverbote (an Brennpunkten) in<br />

Ortspolizeiverordnungen, möglichst<br />

noch vor der Landtagswahl, bemühen.<br />

Im Übrigen wird auf die Besprechung<br />

der VGH-Normenkontrollurteile vom<br />

28. Juli 2009 in <strong>BWGZ</strong> 2009, ab Seite<br />

1144, hingewiesen.<br />

19<br />

Foto: irisblende.de


Bilanz und Perspektiven<br />

Bildung und Betreuung<br />

Die Geschwindigkeit bei den<br />

Gesetzesänderungen steigt –<br />

das Ausbautempo in der Kleinkindbetreuung<br />

verlangsamt sich<br />

Die zeitliche und inhaltliche Dynamik<br />

im kommunalen Handlungsfeld Kinderbetreuung<br />

sowie die Halbwertszeit<br />

der zugrundeliegenden Gesetze sind rekordverdächtig.<br />

Nach der grundlegenden<br />

Änderung des Kindertagesbetreuungsgesetztes<br />

im Jahre 2003/2004 wurde<br />

Anfang 2006 das KiTaG erneut geändert,<br />

um die bundesrechtlichen<br />

Änderungen durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz<br />

(TAG) in das Landesrecht<br />

einzufügen. Mit dem Ende 2008<br />

vom Bund verabschiedeten Kinderförderungsgesetz<br />

(KiföG) wurde dann mit<br />

Wirkung zum 1.1.2009 das Landesrecht<br />

(KiTaG) erneut novelliert, insbesondere<br />

um den Ausbau der Kleinkindbetreuung<br />

und den Rechtsanspruch ab dem<br />

1.8.2013 rechtlich abzusichern. (Weitere<br />

Ausführungen hierzu siehe <strong>BWGZ</strong><br />

Nr. 3/2010, Seite 100 ff.).<br />

Knapp 21 Monate später, konkret am<br />

6. Oktober 2010 wurde nun das Kindertagesbetreuungsgesetz<br />

im Landtag<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> nach 2. Lesung erneut<br />

novelliert. Auf der Grundlage dieses<br />

Änderungsgesetztes wird erstmals<br />

eine Verordnung über den Mindestpersonalschlüssel<br />

und die Personalfortbildung<br />

in Kindergärten und Tageseinrichtungen<br />

mit altersgemischten Gruppen<br />

(KiTaVO) erlassen.<br />

Intention dieser Verordnung ist die<br />

Umsetzung der politischen Übereinkunft<br />

vom 24.11.2009: Mit der von<br />

Land und Kommunen gemeinsam finanzierten<br />

stufenweisen Erhöhung der<br />

Personalschlüssel soll es den Einrichtungen<br />

ermöglicht werden, die Zielsetzungen<br />

des Orientierungsplans nach<br />

und nach zu realisieren. Das Jahr 2010<br />

stand daher im Bereich Bildung und<br />

Betreuung sehr im Fokus der Umsetzung<br />

dieser politischen Übereinkunft:<br />

zum einen mit der Konkretisierung im<br />

Änderungsgesetz zum KiTaG, zum anderen<br />

mit dem erstmaligen Erlass der<br />

genannten KiTaVO.<br />

Die lange Zeitdauer zur Entstehung der<br />

rechtlichen Regelungen ist Ausdruck<br />

dafür, dass es sich angesichts der Komplexität<br />

der Materie alles andere als einfach<br />

gestaltet hat, für die politische<br />

Übereinkunft die notwendigen rechtlichen<br />

Grundlagen zu schaffen. Vorgabe<br />

des Kultusministeriums hierbei war,<br />

dass die Verordnung die differenzierte<br />

bisherige Umsetzungspraxis des Kommunalverbands<br />

Jugend und Soziales –<br />

KVJS – bei der Erteilung der Betriebserlaubnis<br />

abbildet. In einem längeren<br />

Abstimmungsprozess hat man sich<br />

dann deshalb schließlich auf die Darstellung<br />

von beispielhaften Fallkonstellationen<br />

verständigt, die eine flexible<br />

Anpassung der Mindestanforderungen<br />

an die konkrete Situation der jeweiligen<br />

Einrichtung ermöglichen sollen. Die<br />

kommunalen Landesverbände, das Kultusministerium<br />

und der Kommunalverband<br />

für Jugend und Soziales <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong> wie auch die 4-Kirchen-<br />

Konferenz waren daher in den ersten<br />

zehn Monaten des Jahres 2010 intensiv<br />

mit dieser Thematik befasst.<br />

Wichtig aus Sicht des <strong>Gemeindetag</strong>s ist,<br />

dass der Orientierungsplan tatsächlich<br />

nicht verbindlich wird und es sogar eine<br />

neue Fassung ohne die verbindlichen<br />

Elemente geben wird. Dies war angesichts<br />

der Vorgeschichte keineswegs<br />

selbstverständlich und ist überwiegend<br />

auf die hartnäckige und stringente Gesprächs-<br />

und Verhandlungsführung der<br />

kommunalen Landesverbände zurückzuführen:<br />

Das Land hatte bekanntermaßen<br />

mit dem lange angekündigten Orientierungsplan<br />

für Bildung und Erziehung<br />

im Kindergarten hohe Erwartungen<br />

geweckt. Nach Abschluss der zuvor<br />

2006/2007 initiierten Erprobungsphase<br />

war vorgesehen, den gesamten Orientierungsplan<br />

ab Herbst 2009 verbindlich<br />

zur Anwendung durch die Kindergärten<br />

und Tageseinrichtungen zu erklären.<br />

<strong>Gemeindetag</strong> und Städtetag <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

hatten in Abstimmung<br />

mit der kommunalen Praxis errechnet,<br />

dass die verbindliche Umsetzung des<br />

Orientierungsplans die Kommunalhaushalte<br />

mit rund 650 Mio. Euro belasten<br />

würde.<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

Aber nicht nur die Höhe der mit der<br />

Umsetzung des Orientierungsplans verbundenen<br />

Kosten war ein schwieriger<br />

Verhandlungsprozess mit dem Land,<br />

sondern auch die Tatsache, dass die mit<br />

der Umsetzung des Orientierungsplans<br />

verbundenen finanziellen Aufwendungen<br />

nach dem seit 2008 geltenden geänderten<br />

Konnexitätsprinzip in Art. 71<br />

Abs. 3 der Landesverfassung im Falle einer<br />

Verbindlichkeitserklärung des Orientierungsplanes<br />

in Gänze vom Land zu<br />

tragen sind. Dies führte dann letztlich<br />

dazu, dass das Land von der Verbindlichkeitserklärung<br />

Abstand genommen<br />

hat und mit den nun zur Verfügung gestellten<br />

Finanzmitteln in Höhe von 200<br />

Mio. Euro (davon beträgt der Anteil des<br />

Landes 133 Mio. Euro, also rund zwei<br />

Drittel, der kommunale Anteil beläuft<br />

sich auf 67 Mio. Euro, was rund einem<br />

Drittel entspricht) „nur“ eine Erhöhung<br />

des Personalschlüssels in den Kindergartengruppen<br />

um 0,3 bzw. 0,2 Personalstellen<br />

verteilt auf 3 Jahre erfolgen<br />

kann.<br />

Wesentlich ist, dass die Erhöhung der<br />

Personalschlüssel anhand einer erstmaligen<br />

Festlegung einer Mindestbasis erfolgt,<br />

auf die sich das Land und die kommunalen<br />

Landesverbände zwischenzeitlich<br />

verständigt haben und die in der<br />

nun erstmals zu erlassenden Rechtsverordnung<br />

festgelegt werden. Dabei wurde<br />

davon ausgegangen, dass diejenigen<br />

Städte und Gemeinden, die schon jetzt<br />

eine Personalausstattung haben bzw. eine<br />

Bezuschussung, die dem künftigen<br />

Recht (der neuen KiTaVO) entspricht<br />

oder sogar darüber hinausgeht, ihre entsprechenden<br />

Leistungen in der Förderung<br />

der freien Träger voll anrechnen<br />

dürfen und es in diesen Fällen zu keiner<br />

Erhöhung des vorhandenen Personalschlüssels<br />

kommt. Diese so genannte<br />

„zwingende“ Anrechnung, die nach Ansicht<br />

von <strong>Gemeindetag</strong> und Städtetag<br />

auch Geschäftsgrundlage der politischen<br />

Übereinkunft war, findet sich in<br />

dieser Klarheit nun leider nicht im Gesetzwortlaut<br />

des §8 Abs.2 KiTaG wieder,<br />

weshalb sich <strong>Gemeindetag</strong> und Städtetag<br />

im Sommer 2010 zu einem gemeinsamen<br />

Schreiben an die Abgeordneten<br />

der CDU- und FDP/DVP-Fraktion des<br />

Landtages veranlasst sahen.<br />

20 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

Das Land sieht in dem Wortlaut des Gesetzesbeschluss<br />

vom 6.10.2010 mit der<br />

„Kann-Anrechnung“ in § 8 Abs. 2 KiTaG<br />

nun einen „Kompromiss“ zwischen den<br />

widerstreitenden Interessen der Kommunalen<br />

Seite und der Seite der freien<br />

Träger.<br />

Der Landesanteil (133 Mio. Euro) wird<br />

den Gemeinden durch eine Erhöhung<br />

der Kindergartenförderung (§ 29b FAG)<br />

erbracht. Das Land hat hierzu durch<br />

Art. 1 Nr. 10 des Haushaltbegleitgesetzes<br />

und des Gesetzes über das Landesschuldbuch<br />

vom 1. März 2010 (Gesetzblatt S.<br />

265) den in § 29b FAG (Kindergartenförderung)<br />

derzeit vorgesehenen Betrag<br />

von 386 Mio. Euro schrittweise entsprechenden<br />

genannten Stufen auf folgende<br />

Beträge erhöht: im Jahr 2010 auf 404<br />

Mio. Euro; 2011: 455 Mio. Euro; 2012:<br />

496 Mio. Euro; 2013: 529 Mio. Euro.<br />

In den genannten Beträgen sind neben<br />

den Kosten für die stufenweise Erhöhung<br />

des Mindestpersonalschlüssels<br />

auch Kosten zur weiteren Qualifizierung<br />

des pädagogischen Personals enthalten,<br />

die sich nach der politischen Übereinkunft<br />

vom 24.11.2009 auf 10 Mio. Euro<br />

pro Jahr belaufen (auf anteiligem Jahr<br />

2010: 3 Mio. Euro).<br />

Zur Erleichterung der Umsetzung der<br />

neuen Rechtsverordnung in die Praxis<br />

ist auf Vorschlag der kommunalen Landesverbände<br />

vorgesehen, gemeinsame<br />

Ausführungshinweise mit dem KVJS herauszugeben.<br />

Die Umsetzung in die Praxis<br />

mit der Verknüpfung zur Förderung<br />

der freien Träger wird ein Schwerpunkt<br />

im Jahr 2011 sein.<br />

„Singen-Bewegen-Sprechen“ – Ein<br />

bundesweit einmaliges Landesförderprogramm<br />

zur durchgängigen musikalischen<br />

Bildung im Kindergarten<br />

und der Grundschule<br />

Nach der Ankündigung in der Regierungserklärung<br />

von Ministerpräsident<br />

Mappus im März 2010 hat der Ministerrat<br />

am 11.5.2010 im Rahmen des Maßnahmenpakets<br />

für die qualitative Verbesserung<br />

im vorschulischen Bereich<br />

und an den Grundschulen die Umsetzung<br />

des Programms „Singen-Bewegen-<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Sprechen“ beschlossen. Das Programm<br />

wurde bereits von 2007 bis 2009 in 17<br />

Kindergärten als Pilotprojekt der Stiftung<br />

Kinderland erprobt. Für die Umsetzung<br />

ist ein gestufter Ausbau in Jahresschritten<br />

vorgesehen.<br />

Am 1. Oktober 2010 starteten knapp<br />

1.000 freiwillige Bildungskooperationen<br />

im vorletzten Kindergartenjahr.<br />

Insgesamt wird so rund 20.000 Kindern<br />

die Möglichkeit zu einer qualifizierten<br />

vorschulischen Musikerziehung ermöglicht<br />

werden. Ab 2011 soll sukzessiv ein<br />

weiterer Jahrgang bis zur 4. Grundschulklasse<br />

einbezogen werden. Es ist vorgesehen,<br />

dass bis zum Schuljahr 2015/16<br />

insgesamt zirka 8.000 Bildungskooperationen<br />

entstehen. Jede Kooperation ist<br />

auf eine Dauer von sechs Jahren angelegt:<br />

Zwei Jahrgänge im Kindergarten<br />

und vier Jahrgängen in der Grundschule<br />

werden eine Profilbildung bei den<br />

beteiligten Partnern sowie eine nachhaltige<br />

Qualitätsentwicklung zur Folge<br />

haben.<br />

Kernpunkt des Programms ist, dass jede<br />

Woche eine Musikpädagogische Fachkraft<br />

zusammen mit einer Erzieherin<br />

oder einem Erzieher Impulse in den Bereichen<br />

Singen, Bewegen und Sprechen<br />

setzt und damit die Entwicklung der<br />

Kinder ganzheitlich und individuell för-<br />

dert. Hierdurch wird die gesamte Persönlichkeit<br />

des einzelnen Kindes gestärkt<br />

und der Übergang in die Schule<br />

günstig beeinflusst. Projektpartner für<br />

die Kindertageseinrichtungen und die<br />

Schulen sind zum einen öffentliche<br />

(kommunale) Musikschulen oder solche,<br />

die als Träger der außerschulischen<br />

Jugendbildung anerkannt sind sowie<br />

gemeinnützige Vereine der Laienmusik.<br />

Um die Umsetzung des Förderprogramms<br />

kümmert sich die Arbeitsgemeinschaft<br />

des Landesverbands der Musikschulen<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> e.V.<br />

und des Landesmusikverbandes <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong> e.V. (Arge).<br />

Durch eine sehr kompakte Bewerbungsphase<br />

mit dem Ende der Bewerbungsfrist<br />

in den Sommerferien haben sowohl<br />

die Einreichung der Bewerbungen wie<br />

auch die Auswahl unter einem hohen<br />

Zeitdruck gestanden. Mittlerweile haben<br />

alle Standorte die Bewilligungs-<br />

bzw. Ablehnungsbescheide erhalten. So<br />

sehr das Programm inhaltlich wie auch<br />

von dem Förderbeitrag des Landes zu<br />

begrüßen ist, so sehr bleibt auch festzuhalten,<br />

dass erneut ausschließlich der<br />

(Musik-)Schulbereich in den Genuss der<br />

Landesförderung kommt; die Aufwendungen<br />

der Kindertageseinrichtungen<br />

für das zur Verfügung zu stellende Personal,<br />

die Fortbildung, Organisation<br />

21


Bilanz und Perspektiven<br />

und Koordination ist (erneut) vom Kindergartenträger<br />

bzw. der Kommune aufzubringen.<br />

Perspektivisch wird es notwendig<br />

sein, hier für eine Anpassung<br />

der Fördersystematik insoweit zu sorgen,<br />

als auch für die kommunalen<br />

Mehraufwendungen in den Genuss der<br />

Landesförderung kommen bzw. die<br />

Mehraufwendungen angemessen ausgeglichen<br />

werden.<br />

„Bildungshaus 3-10“ – 2. Tranche<br />

bringt Verdreifachung der Standorte<br />

Mit Beginn des Schuljahres 2007/08<br />

startete in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> das Modellprojekt<br />

„Bildungshaus für 3- bis<br />

10-Jährige“, das Kindern die Chance<br />

bietet, über einen Zeitraum von sieben<br />

Jahren gemeinsam zu lernen und zu<br />

spielen. Insgesamt 33 Bildungshäuser<br />

(bestehend aus 33 Grundschulen und<br />

49 Kindertageseinrichtungen) haben<br />

sich auf einen gemeinsamen intensiven<br />

Kooperationsweg begeben, der wissenschaftlich<br />

vom Zentrum für Neurowissenschaften<br />

und Lernen (ZNL) begleitet<br />

wird. Im Laufe des Kindergarten-/ Schuljahres<br />

2010/2011 wird es eine Ausdehnung<br />

um weitere 70 Standorte geben.<br />

Aufbauend auf der 1. Tranche soll in der<br />

2. Tranche im Sinne eines durchgängigen<br />

Bildungsgangs von 3-10 insbesondere<br />

der Erhalt der Strukturen als Kindergarten-(Standort)<br />

und als Grundschul-(Standort)<br />

im Fokus sein. Bei Bedarf<br />

regeln die Träger der Einrichtungen<br />

die Rahmenbedingungen in vertraglicher<br />

Form, die für eine Intensivierung<br />

des pädagogischen Verbunds Kindergarten<br />

und Grundschule förderlich bzw.<br />

notwendig sind. Während in der<br />

1. Tranche pro Klasse bzw. jahrgangsübergreifender<br />

Lerngruppe drei Lehrerwochenstunden<br />

als Förderung des Landes<br />

angerechnet werden, sind es in der<br />

2. Tranche (nur) zwei Lehrerwochenstunden<br />

je Klasse bzw. Lerngruppe. Wie<br />

in der 1. Tranche auch, sind die Mehraufwendungen<br />

der Kindertageseinrichtungen<br />

ausschließlich vom Träger bzw.<br />

unterm Strich ganz überwiegend von<br />

der Kommune zu tragen. Hier ist ebenso<br />

wie bei dem Landesförderprogramm<br />

„Singen-Bewegen-Sprechen“ eine Anpassung<br />

der Fördersystematik dringend<br />

erforderlich, da auch hier einseitig ausschließlich<br />

der Schulbereich in den Genuss<br />

der Förderung kommt und der<br />

Bereich der Kindertageseinrichtungen<br />

sozusagen leer ausgeht.<br />

In den weiteren Gesprächen mit dem<br />

Land zur Evaluation der verschiedenen<br />

Modellprojekte, gegebenenfalls innerhalb<br />

eines Gesamtkonzeptes zur Frühkindlichen<br />

Bildung, sollte hier eine Anpassung<br />

erfolgen, da sich sonst eine gewisse<br />

Schieflage in der Fördersystematik<br />

etablieren würde. Wichtig ist aber, dass<br />

die Evaluation der Begleitforschung<br />

sorgfältig in den Blick genommen wird.<br />

Um letztlich herauszufinden, unter welchen<br />

Rahmenbedingungen und mit<br />

welchem Ressourceneinsatz das Bildungshaus<br />

ein Erfolgsmodell – auch unter<br />

dem Gesichtspunkt der demografischen<br />

Entwicklung bzw. zur Sicherung<br />

von Grundschulstandorten – werden<br />

kann. Eines zeigt sich aber schon jetzt:<br />

Ein „Sparmodell“ ist das Bildungshaus<br />

sicher nicht.<br />

Für 2011 plant der <strong>Gemeindetag</strong> ein<br />

2. Expertenhearing zum Thema Bildungshaus.<br />

Im Juli 2007 fand seinerzeit das viel<br />

beachtete und seht gut besuchte 1. Expertenhearing<br />

in Bad Wurzach statt.<br />

Gesamtkonzept zur<br />

Frühkindlichen Bildung<br />

Im Rahmen eines Kongresses des Ministeriums<br />

für Jugend, Kultus und Sport<br />

zum Projekt „Schulreifes Kind“ hat die<br />

Kultusministerin Prof. Dr. Marion Schick<br />

MdL im Juni 2010 für Ende 2010 ein<br />

Gesamtkonzept Frühkindliche Bildung<br />

angekündigt. Insbesondere um die<br />

Grundprinzipien und pädagogischen<br />

Leitlinien einer durchgängigen Förderung<br />

von Kleinkindern, Kindergartenkindern<br />

bis zum Ende der Grundschulzeit<br />

soll es inhaltlich bei diesem Gesamtkonzept<br />

gehen. Eine wesentliche<br />

Rolle dabei spielen die Ergebnisse zum<br />

aktuellen Projektstatus der verschiedenen<br />

Modellprojekte (z.B. Schulreifes<br />

Kind, Einschulungsuntersuchung,<br />

Sprachförderung, Bildungshaus etc.).<br />

Weiter ist daran gedacht, eine durchgängige<br />

Fördersystematik in den entsprechenden<br />

Richtlinien und Verord-<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

nungen sowie bei der Abwicklung weiterer<br />

Modellprojekte, z.B. „Singen-Bewegen-Sprechen“<br />

zu erreichen.<br />

Darüber hinaus sollen Elemente für eine<br />

flächendeckende Umsetzung aufgezeigt<br />

werden, die im Rahmen des Konnexitätsprinzips<br />

jeweils den entsprechenden<br />

Mehraufwand mit einer Erhöhung der<br />

Mittelzuweisungen durch das Land sicherstellt.<br />

Dies gilt auch für die Umsetzung<br />

der Mindestpersonalschlüsselverordnung<br />

bzw. der Weiterentwicklung<br />

der Qualität in der Frühkindlichen Bildung<br />

bzw. in den Kindertageseinrichtungen.<br />

Insoweit wird es eine der<br />

Schwerpunktaufgaben für den <strong>Gemeindetag</strong><br />

bzw. die kommunalen Landesverbände<br />

im Jahr 2011 sein, hier die entsprechenden<br />

Berechnungen und Gespräche<br />

sowie Verhandlungen mit dem<br />

Land zu führen. Wesentlich hierbei ist,<br />

dass vor der Etablierung neuer Projekte<br />

oder einer verbindlichen Einführung in<br />

den „Echtbetrieb“ der tatsächliche Nutzen<br />

und insbesondere die verlässliche<br />

Finanzausstattung geklärt bzw. sichergestellt<br />

sind.<br />

Interkommunaler Kostenausgleich –<br />

<strong>Gemeindetag</strong> sichert Umsetzung der<br />

Pauschale durch den landeweiten<br />

Abschluss öffentlich- rechtlicher<br />

Verträge<br />

Im Laufe des Jahres 2010 wurden in<br />

sämtlichen Landkreisen öffentlich-rechtliche<br />

Verträge über den Kostenausgleich<br />

bei auswärtiger Kinderbetreuung abgeschlossen.<br />

Außerdem traten alle Stadtkreise<br />

den jeweiligen Verträgen der Landkreise<br />

bei; die Landeshauptstadt Stuttgart<br />

ist mittlerweile ebenfalls zahlreichen<br />

Verträgen der Umlandkreise beigetreten.<br />

Stand Oktober 2010 ist lediglich die Universitätsstadt<br />

Tübingen nicht bereit, sich<br />

verbindlich und mit Unterschrift vertraglich<br />

zu verpflichten, den interkommunalen<br />

Kostenausgleich nach den<br />

Empfehlungen von <strong>Gemeindetag</strong> und<br />

Städtetag abzuwickeln. Es bleibt abzuwarten,<br />

wie die Umlandgemeinden hiermit<br />

umgehen werden. Im Jahr 2011 werden<br />

die Empfehlungen zum einen fortgeschrieben,<br />

zum anderen die Platzkosten<br />

der verschiedenen Betreuungsarten<br />

der Entwicklung angepasst.<br />

22 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

Elternbeiträge – Fortschreibung des<br />

Landesrichtsatzes im Kindergarten<br />

sowie der Empfehlung<br />

für die Kinderkrippen<br />

Im Jahr 2011 werden <strong>Gemeindetag</strong> und<br />

Städtetag mit der 4-Kirchen-Konferenz<br />

erneut über die Erhöhung der Elternbeiträge<br />

und der Empfehlungen für die Betreuung<br />

in Kinderkrippen verhandeln.<br />

Ausgangslage war bisher stets, dass landesweit<br />

angestrebt wird, rund 20 Prozent<br />

der Betriebsausgaben durch Elternbeiträge<br />

zu decken. In Anbetracht der<br />

stark steigenden Kosten im Bereich<br />

(Klein-)Kinderbetreuung wird es nicht<br />

ohne eine entsprechende Anhebung für<br />

die nächsten beiden Kindergartenjahre<br />

2011/2012 und 2012/2013 gehen. Es<br />

bleibt abzuwarten, ob erstmals auch<br />

Empfehlungen über die Ganztagsbetreuung<br />

sowohl für Kleinkinder wie<br />

auch für die Kinder vom vollendeten<br />

dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt<br />

herausgegeben werden können.<br />

Vertragsmuster für den Betrieb<br />

und die Förderung<br />

kirchlicher Kindergärten<br />

Im April 2010 konnte nach schwierigen<br />

Verhandlungen das neue Muster veröffentlicht<br />

werden (Gt-info vom 20. April<br />

2010). Im Wesentlichen sind die rechtlichen<br />

Änderungen im Kindertagesbetreuungsgesetz<br />

(Ausbau der Kleinkindbetreuung<br />

und Rechtsanspruch) sowie<br />

weitere aktuelle Entwicklungen (Stichwort:<br />

Strukturwandel bei den kirchlichen<br />

Trägern – Professionalisierung –<br />

Geschäftsführungsmodelle) vertragsrechtlich<br />

abzubilden gewesen.<br />

Das Jahr 2011 wird sehr im Zeichen stehen,<br />

dort, wo es zu neuen Verträgen<br />

kommen soll, diese mit der Umsetzung<br />

der Mindestpersonalschlüsselverordnung<br />

einvernehmlich zu regeln. Es wird<br />

auf die Geschäftsstelle umfangreicher<br />

Beratungs- und Informationsbedarf zukommen,<br />

um das vom <strong>Gemeindetag</strong><br />

favorisierte „Gesamtpaket“ im Sinne einer<br />

ganzheitlichen, maßgeschneiderten,<br />

örtlichen Lösung auf den Weg bringen<br />

zu können.<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

<strong>Gemeindetag</strong> fordert ein flächendeckendes Konzept<br />

zur Erhaltung von Grundschulstandorten<br />

Die Schülerzahlprognose für die Grundschule<br />

zeigt, dass die Städte und Gemeinden<br />

auch hier vor der großen Herausforderung<br />

stehen, ihre Schulstrukturen<br />

dem Bedarf anzupassen.<br />

Für Kinder im Grundschulalter muss<br />

auch im ländlichen Raum ein altersgerecht<br />

kurzer Schulweg gewährleistet<br />

sein. Nach dem Motto „Kurze Beine –<br />

kurze Wege!“ ist es für die Kinder im<br />

Grundschulalter wichtig, dass lange<br />

Transportwege zu ihrer Schule unterbleiben.<br />

Nicht übersehen werden kann,<br />

dass die örtliche Schule zudem in vielen<br />

Kommunen die Funktion eines lokalen<br />

Kerns, um den sich die sozialen Aktivitäten<br />

bündeln, erfüllen.<br />

Ein Instrument zum Erhalt der wohnortnahen<br />

Grundschule gerade im ländlichen<br />

Raum ist die Bildung von jahrgangskombinierten<br />

Klassen. Solche haben<br />

sich in der Praxis auch aus pädagogi-<br />

Schulsozialarbeit muss gemeinsames Anliegen<br />

der Kommunen und des Landes sein<br />

Schulsozialarbeit bleibt ein wichtiges<br />

Thema in den Schulen. Eine Umfrage<br />

des Kommunalverbands Jugend und Soziales<br />

– KVJS – im September 2010 hat<br />

ergeben, dass der Bestand an Schulsozialarbeitern<br />

im Land schon vor dem tragischen<br />

Amoklauf in Winnenden und<br />

Wendlingen am Neckar kontinuierlich<br />

gestiegen ist.<br />

Landesweit sind zum 30. August 2010<br />

774 Vollstellen besetzt (2008: 646; 2006:<br />

487). Laut Umfrageergebnis werden<br />

weitere 39 Vollstellen schon in den<br />

nächsten Monaten dazukommen. Ein<br />

weiterer Anstieg der Zahl der Stellen ist<br />

unausweichlich, wenn man die weiteren<br />

Maßnahmen zum Ausbau von Gewaltprävention<br />

an Schulen, den Ausbau<br />

von Ganztagsangeboten sowie den stärkeren<br />

gemeinsamen Unterricht von behinderten<br />

und nicht behinderten Schülern<br />

betrachtet. Somit wird die Schulso-<br />

scher Sicht bewährt. Ein Mittel zum<br />

Erhalt von Grundschulstandorten wird<br />

auch im Ausbau des Bildungshauses<br />

3 – 10 gesehen werden können. Bessere<br />

Bildungsangebote können die Attraktivität<br />

von Gemeinden und Städten steigern<br />

und somit auch die weitere Entwicklung<br />

einer Gemeinde mit beeinflussen.<br />

Darüber hinaus wird es zum Erhalt kleiner<br />

Grundschulstandorte unumgänglich<br />

sein, durch interkommunale Zusammenarbeit<br />

regionale größere Einheiten<br />

zu bilden, um funktionsfähige und<br />

effektive Strukturen zu gewährleisten.<br />

Die Städte und Gemeinden benötigen<br />

eine Absicherung der Grundschulstandorte<br />

und akzeptable Einrichtungen vor<br />

Ort. Deshalb hat der <strong>Gemeindetag</strong> zusammen<br />

mit dem Städtetag das Land<br />

aufgefordert, in Abstimmung mit den<br />

Städten und Gemeinden ein flächendeckendes<br />

Konzept dafür auszuarbeiten.<br />

zialarbeit überwiegend in Schularten<br />

ohne pädagogische Assistenz eingesetzt<br />

werden müssen.<br />

Dem vom Land den Kommunen unterbreiteten<br />

Pakt über die Finanzierung von<br />

pädagogischen Assistenten in Grundschulen<br />

durch das Land einerseits und die<br />

Übernahme der Kosten für Schulsozialarbeit<br />

durch die Kommunen andererseits<br />

kann der <strong>Gemeindetag</strong> daher nicht ohne<br />

weiteres zustimmen. Vielmehr erneuern<br />

wir unsere Forderung nach einer gemeinschaftlichen<br />

Finanzierung dieser wichtigen<br />

gesellschaftlichen Aufgabe. Diese Forderung<br />

ist auch mit Blick auf die Bedeutung<br />

der Schulsozialarbeit als wichtige<br />

Schnittstelle zwischen Schule und Jugendhilfe<br />

gerechtfertigt, weil sie nicht nur zur<br />

Stärkung der Sozialkompetenz der Schülerinnen<br />

und Schüler beiträgt, sondern auch<br />

hilft, den schulischen Erziehungs- und Bildungsauftrag<br />

der Schulen zu erfüllen.<br />

23


Bilanz und Perspektiven<br />

Ärztliche Versorgung in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Der Bericht „Soziale und gesundheitliche<br />

Versorgung – wichtiger denn je, Erhalt<br />

einer flächendeckenden gesundheitlichen<br />

Versorgung“ der interministeriellen<br />

Arbeitsgruppe des Kabinettsausschusses<br />

„Ländlicher Raum“ und das<br />

von einer Arbeitsgruppe aus der Mitte<br />

des Sozial- und Gesundheitsausschusses<br />

des <strong>Gemeindetag</strong>s erarbeitete Positionspapier<br />

für Städte und Gemeinden sind<br />

Grundlage für die Bemühungen des <strong>Gemeindetag</strong>s<br />

um die Sicherung der hausärztlichen<br />

Versorgung in den Städten<br />

und Gemeinden.<br />

So wurden in der Tagung des Sozial- und<br />

Gesundheitsausschusses des <strong>Gemeindetag</strong>s<br />

am 8. Juni 2010 Frau Ministerin Dr.<br />

Stolz u.a. die Ergebnisse der gemeinsamen<br />

Untersuchungen zur Situation und<br />

zur mittelfristigen Entwicklung der ärztlichen<br />

Versorgung im Ortenau-Kreis<br />

vorgestellt. Die seitherigen Positionen/<br />

Forderungen des <strong>Gemeindetag</strong>s zur<br />

Fortentwicklung der ärztlichen Versorgung<br />

erwiesen sich dabei als richtungsweisend.<br />

Untersuchungen wie im<br />

Orten au-Kreis müssen von der Kassenärztlichen<br />

Vereinigung zügig in allen<br />

Kreisen „von Amts wegen“ durchgeführt<br />

werden, die seitherige Bedarfsplanung<br />

auf Kreisebene muss in Richtung<br />

auf eine kleinräumigere Betrachtung<br />

mit ggf. der Feststellung eines „zusätzlichen<br />

lokalen Bedarfs in nicht unterver-<br />

Foto: irisblende.de<br />

sorgten Planungsbereichen“ verändert<br />

werden. Das von Frau Ministerin Dr.<br />

Stolz bei dieser Gelegenheit angekündigte<br />

Aktionsprogramm zur Sicherung<br />

der flächendeckenden ambulanten ärztlichen<br />

Versorgung, über das u.a. Modellprojekte<br />

zur Verbesserung der ärztlichen<br />

Versorgung in Heimen, ein integriertes<br />

Notfallzentrum und Telematikprojekte<br />

gefördert werden sollen, ist<br />

mittlerweile in Vorbereitung.<br />

Die Kassenärztliche Vereinigung hat darüber<br />

hinaus die grundsätzliche Bereitschaft<br />

signalisiert, in den Kreisverbänden<br />

des <strong>Gemeindetag</strong>s über die ärztliche<br />

Versorgung zu referieren und auch allen<br />

Städten und Gemeinden Einzelgespräche<br />

zur konkreten Situation der ärztlichen<br />

Versorgung anzubieten. Mehrere<br />

derartige Konferenzen wurden bereits<br />

in verschiedenen Kreisverbänden veranstaltet,<br />

weitere sind für 2011 in Vorbereitung.<br />

Diese Kreiskonferenzen bilden<br />

den Auftakt für die vom <strong>Gemeindetag</strong><br />

maßgeblich beförderte „konzertierte<br />

Aktion“, bei der alle maßgeblichen Akteure<br />

im Gesundheitswesen gemeinsam<br />

an Lösungen arbeiten.<br />

Integration<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

Im Januar 2010 wurde den Mitgliedsstädten<br />

und -gemeinden der „Kommunale<br />

Strategieplan Integration“ zu Verfügung<br />

gestellt. Zunächst im Extranet,<br />

im Frühjahr erschien der Strategieplan<br />

schließlich auch als Druckversion.<br />

Neben statistischen Informationen<br />

zum Thema Migranten und Integration<br />

und Beispielen zu Integrationsprojekten<br />

in baden-württembergischen<br />

Städten und Gemeinden umfasst der<br />

Strategieplan auch 16 Vorschläge, wie<br />

insbesondere mittlere und kleine Städte<br />

und Gemeinden erfolgreiche Integrationspolitik<br />

umsetzen können. Ein<br />

Leitfaden zur Erstellung eines kommunalen<br />

Integrationsplans komplettiert<br />

das Strategiepapier.<br />

Inzwischen konnte der Strategieplan<br />

den wichtigsten integrationspolitischen<br />

Akteuren im Lande präsentiert werden.<br />

Er wurde im März 2010 im Landesarbeitskreis<br />

Integration (LAKI) vorgestellt<br />

und an alle LAKI-Mitgliedern versendet.<br />

Darüber hinaus hat die Geschäftsstelle<br />

den Strategieplan an alle mit Integration<br />

befassten Landesministerien, kommunalpolitische<br />

Vereinigungen der Parteien<br />

und andere verschiedene politische<br />

und gesellschaftliche Institutionen<br />

verschickt.<br />

Im Jahr 2011 plant die Geschäftsstelle<br />

des <strong>Gemeindetag</strong>s gemeinsam mit der<br />

Verwaltungsschule ein Seminar zum<br />

Thema „Kommunale Integrationspolitik“<br />

zu konzipieren. Ausgehend vom<br />

„Kommunalen Strategiepapier Integration“<br />

sollen darin Handlungsempfehlungen<br />

für kommunale Integrationspolitik<br />

besprochen, Berichte aus der Praxis<br />

vorgestellt und in Workshops die Erarbeitung<br />

von Integrationsplänen erprobt<br />

werden.<br />

Der „Kommunale Strategieplan Integration“<br />

steht allen Mitgliedsstädten und<br />

-gemeinden weiterhin im Extranet<br />

(unter Sonderthemen/Integration und<br />

Ausländerrecht) zum Download zur<br />

Verfügung und kann auch in der Druckfassung<br />

bei der Geschäftsstelle bestellt<br />

werden.<br />

24 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

Jobcenter<br />

Der <strong>Gemeindetag</strong> begrüßte in der Tagung<br />

des Landesvorstands am 17. Juni<br />

2010 in Abtsgmünd die Einigung von<br />

Bundesregierung, Bundesfraktionen<br />

von CDU/CSU, FDP und SPD sowie der<br />

Länder, durch eine Verfassungsänderung<br />

die Arbeitsgemeinschaften von<br />

Bundesagenturen und Kommunen bei<br />

der Grundsicherung für Arbeit (SGB II)<br />

in gemeinsamen Einrichtungen fortzusetzen.<br />

Die Einigung entsprach grundsätzlich<br />

den Forderungen des <strong>Gemeindetag</strong>s.<br />

Die Kommunalisierung der Langzeitarbeitslosigkeit<br />

wird nicht mehr weiter<br />

verfolgt und die Fortsetzung der gemeinsamen<br />

Aufgabenerfüllung und damit<br />

die Leistungsgewährung aus einer<br />

Hand wurden sichergestellt. Der <strong>Gemeindetag</strong><br />

begrüßte ebenso die verfassungsrechtliche<br />

Absicherung der Option,<br />

wobei bei der vor Wahrnehmung<br />

der Optionsmöglichkeit auf Ebene des<br />

Landkreises eine sorgfältige Prüfung der<br />

tatsächlichen Risiken bei der Aufgabenübernahme<br />

zu erfolgen hat.<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (LGVFG)<br />

Die Landesregierung hat am 20. Juli<br />

2010 den Entwurf eines Gesetzes über<br />

die Zuwendungen des Landes zur Verbesserung<br />

der Verkehrsverhältnisse der<br />

Gemeinden (Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz<br />

– LGVFG) angekündigt,<br />

der Anfang November im Landtag<br />

eingebracht und mit der zweiten Beratung<br />

am 15.12.2010 beschlossen wurde<br />

(Landtags-Drucksache 14/7160 vom<br />

10.11.2010 – Gesetzentwurf – und<br />

14/7257 vom 14.12.2010 – Beschlussempfehlung<br />

und Bericht des Innenausschusses).<br />

Mit dem Gesetz soll eine neue Rechtsgrundlage<br />

für die Förderung von Vorhaben<br />

des kommunalen Straßenbaus und<br />

des öffentlichen Personennahverkehrs<br />

geschaffen werden. Bislang war die Zuweisung<br />

von Bundesmitteln für diesen<br />

Zweck im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz<br />

des Bundes geregelt, das im<br />

Zuge der Föderalismusreform in Bezug<br />

auf die Landesprogramme außer Kraft<br />

getreten ist. Seit dem 1. Januar 2007 erhalten<br />

die Länder stattdessen Kompensationszahlungen<br />

nach dem Entflechtungsgesetz.<br />

Die verkehrliche Zweckbindung<br />

dieser Mittel entfällt ab dem 1.<br />

Januar 2014. Zum 31. Dezember 2019<br />

stellt der Bund die Kompensationszahlungen<br />

vollständig ein.<br />

Das Gesetz soll Planungssicherheit für<br />

Kommunen, Verkehrsunternehmen<br />

und sonstige Vorhabensträger schaffen.<br />

Der Entwurf enthält keine Befristung.<br />

Die dem Land nach dem Entflechtungsgesetz<br />

für den Verkehrsbereich zustehenden<br />

Finanzhilfen sollen ausschließlich<br />

für Investitionen zur Verbesserung<br />

der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden<br />

verwendet werden. Die Regelungen<br />

zu den förderungsfähigen Vorhaben,<br />

den Fördervoraussetzungen und dem<br />

Förderverfahren entsprechen weitgehend<br />

dem bisherigen Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz<br />

des Bundes.<br />

Einige förderungsfähige Vorhaben sollen<br />

neu aufgenommen (verkehrswichtige<br />

zwischenörtliche Straßen, verkehrswichtige<br />

Radwege, Lärmschutzmaßnahmen<br />

an innerörtlichen Straßen und<br />

Grunderneuerungen von Verkehrswegen<br />

im ÖPNV), ein Fördertatbestand<br />

soll gestrichen werden. Die vorgesehene<br />

Ausweitung der Fördertatbestände ist<br />

einerseits positiv zu werten ist, es dürften<br />

aber aufgrund der wohl unveränderten<br />

Mittelsituation kaum zusätzliche<br />

Fördermöglichkeiten bestehen.<br />

Folgende Fördertatbestände kommen<br />

neu hinzu bzw. wurden in ihrem Anwendungsbereich<br />

erweitert:<br />

- verkehrswichtige zwischenörtliche<br />

Straßen,<br />

- verkehrswichtige Radwege,<br />

- Lärmschutzmaßnahmen<br />

einschließlich Lärmsanierungen<br />

an innerört lichen Straßen und<br />

- Grunderneuerungen von Verkehrswegen<br />

im ÖPNV.<br />

Wegen des künftig auf hohem Niveau<br />

verbleibenden Investitionsbedarfs bei<br />

den Kommunen und den deshalb entstehenden<br />

Mehrbelastungen des Landes<br />

bedarf es eines klaren Signals des Landtags,<br />

dass eine ausreichende haushaltsrechtliche<br />

Ermächtigung für die in den<br />

künftigen Jahren bereitzustellenden<br />

Fördermittel geschaffen wird.<br />

Einzelheiten zu Verfahren, Höhe und<br />

Umfang der Förderung sind in einer<br />

Verwaltungsvorschrift zu regeln. Für die<br />

künftige Förderfähigkeit der Vorhaben<br />

ist es aber wesentlich, die Überlegungen<br />

für eine solche Verwaltungsvorschrift<br />

zu kennen.<br />

Der <strong>Gemeindetag</strong> hat die Schaffung einer<br />

Rechtsgrundlage für die Förderung<br />

von kommunalen Straßenbauvorhaben<br />

und Vorhaben des ÖPNV begrüßt, um<br />

im Anschluss an den Wegfall der verkehrlichen<br />

Zweckbindung den Kommunen<br />

die notwendige Planungssicherheit<br />

zu verschaffen. Er hat das Land aufgefordert,<br />

zusätzliche Fördermittel bereitzustellen,<br />

zumal durch die Ausweitung<br />

der Fördertatbestände ein zusätzlicher<br />

Bedarf an Fördermitteln besteht.<br />

25


Bilanz und Perspektiven<br />

Entwurf für einen neuen Generalverkehrsplan<br />

Der Ministerrat hatte den vom Ministerium<br />

für Umwelt, Naturschutz und Verkehr<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> erstellten<br />

Entwurf für einen neuen Generalverkehrsplan<br />

für <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> am<br />

27. Juli 2010 zur Anhörung freigegeben.<br />

Der Generalverkehrsplan aus dem<br />

Jahre 1995 soll unter dem Leitmotiv<br />

„Nachhaltige Verkehrsentwicklung –<br />

Mobilität sichern“ fortgeschrieben<br />

werden und steht für eine Verkehrspolitik<br />

unter Berücksichtigung gesellschaftlicher,<br />

ökologischer und ökonomischer<br />

Belange ohne Festlegung einer<br />

Systemhierarchie.<br />

Der Fortschreibungsentwurf setzt in<br />

denjenigen Bereichen Schwerpunkte, in<br />

denen sich seit 1995 die Rahmenbedingungen<br />

geändert haben und neue Entwicklungen<br />

eingetreten sind. Hierzu<br />

zählen beispielsweise der demografische<br />

Wandel, die Globalisierung, die Ökologisierung<br />

des Verkehrs sowie die Notwendigkeit<br />

zur Konsolidierung der öffentlichen<br />

Haushalte. Er ist in einen<br />

„Allgemeinen Teil“ und in die vier Fachkonzepte<br />

„Straßenverkehr“, „Öffentlicher<br />

Personenverkehr“, „Wirtschaftsverkehr“<br />

und „Luftverkehr“ gegliedert.<br />

Jedem Fachkonzept ist eine Kurzzusammenfassung<br />

„Verkehrswelt heute“ und<br />

„Verkehrswelt morgen“ vorangestellt.<br />

Dem Fortschreibungsentwurf liegen<br />

Prognosen und Gutachten zur Entwicklung<br />

des Verkehrs in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

sowie Erkenntnisse aus Arbeitskreisen,<br />

Werkstattgesprächen und dem im<br />

Internet angebotenen „Bürgerforum“<br />

zugrunde. Neben einer Gesamtverkehrsprognose<br />

wurden Fachgutachten zu<br />

Straßenverkehr, Schienenverkehr, Luftverkehr,<br />

Emissionen des Verkehrs und<br />

zum Potenzial der Binnenschifffahrt erstellt.<br />

Die Prognosen und Gutachten<br />

haben einen Zeithorizont bis 2025 und<br />

sind im Internet unter www.uvm.badenwuerttemberg.de<br />

abrufbar.<br />

Aus diesen Basismaterialien wurden<br />

globale Megatrends und die vom Land<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> beeinflussbaren<br />

Rahmenbedingungen herausgefiltert<br />

sowie die verkehrspolitischen Ziele und<br />

Maßnahmen des Landes entwickelt.<br />

Anders als frühere Generalverkehrspläne<br />

enthält der Entwurf keine Anlagen<br />

mehr. Vielmehr soll auf der Grundlage<br />

des fortgeschriebenen Generalverkehrsplans<br />

ein Maßnahmenplan erstellt<br />

werden, der verkehrsträgerübergreifend<br />

alle konkreten Maßnahmen<br />

enthalten soll und in kürzeren Abständen<br />

aktualisiert werden kann. „Der<br />

Maßnahmenplan wird nach Verabschiedung<br />

des Generalverkehrsplans<br />

aufgestellt. Er wird Projekte aller Verkehrsträgerbereiche<br />

enthalten.“<br />

Nach dem Generalverkehrsplan 1995<br />

sollten bis 2012 mehr als 1.450 Projekte<br />

umgesetzt werden, tatsächlich waren<br />

es aber bis Januar 2010 nur 590<br />

Projekte. Deshalb sollen nach dem von<br />

der Landesregierung Mitte Dezember<br />

2010 beschlossenen Generalverkehrsplan<br />

konkrete Maßnahmen nur noch<br />

kurzfristig in einen Maßnahmenkatalog<br />

aufgenommen werden. Die Mitglieder<br />

des <strong>Gemeindetag</strong>s haben insbesondere<br />

zu den aus ihrer örtlichen Situation<br />

notwendigen Verkehrsinfrastrukturen<br />

Stellung genommen und<br />

damit eigentlich einen Maßnahmenplan<br />

gefordert. Der <strong>Gemeindetag</strong> hat<br />

zu den einzelnen Maßnahmen keine<br />

Stellungnahme abzugeben, aber eine<br />

Beteiligung der betroffenen Städte und<br />

Gemeinden gefordert.<br />

Unabhängig davon besteht aber ein Interesse,<br />

die für die Entwicklung des Landes<br />

und damit auch des ländlichen<br />

Raums weiterhin erforderlichen Großprojekte<br />

zu diskutieren, zu planen und<br />

zeitnah umzusetzen. Der von der Landesregierung<br />

Mitte Dezember 2010 beschlossene<br />

Generalverkehrsplan kündigt<br />

ein zusätzliches Förderprogramm<br />

für die Finanzierung von Landesstraßen<br />

in kommunaler Sonderbaulast an.<br />

Ein besonderer Schwerpunkt im Landesstraßenbau<br />

soll die Substanzerhaltung,<br />

die langfristige Sicherung der<br />

Straßensubstanz sein. Dies ist ausdrücklich<br />

zu begrüßen. Ob dazu die im Generalverkehrsplan<br />

genannten 80 Mio.<br />

Euro ausreichen, muss auf der Grund-<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

lage einer Bedarfsermittlung entschieden<br />

werden. Ein ausreichender Lärmschutz<br />

ist beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur,<br />

also sowohl beim Straßenbau<br />

als auch beim Schienen- und<br />

Luftverkehr, zu berücksichtigen. Auf<br />

die örtliche Situation und die Meinungsbildung<br />

der Städte und Gemeinden<br />

ist Rücksicht zu nehmen.<br />

Bei der Weiterentwicklung der kommunalen<br />

Straßeninfrastruktur verweist der<br />

Generalverkehrsplan nur pauschal auf<br />

ein neues Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes<br />

(LGVFG), zu dem<br />

der <strong>Gemeindetag</strong> Stellung genommen<br />

hat. Der Inhalt des dem Landtag seit<br />

10.11.2010 vorliegenden Entwurf des<br />

LGVFG ist im Generalverkehrsplan<br />

nicht dargestellt.<br />

Die E-Mobilität wird unter dem Thema<br />

„Reduktion von Luftschadstoffen und<br />

Treibhausgasen“ mit abgehandelt. Dort<br />

ist zur Förderung der Elektromobilität<br />

ein Modellprojekt vorgesehen. Dieses<br />

Modellprojekt ist zu begrüßen, seine inhaltliche<br />

Ausgestaltung ist zu kurz. Das<br />

reicht aber bei der Bedeutung der E-Mobilität<br />

für die Zukunftsentwicklung im<br />

Lande und für die Gemeinden nicht<br />

aus. Die E-Mobilität muss einen eigenständigen<br />

Abschnitt erhalten, der sich<br />

umfassender (im Sinne eines Masterplans)<br />

äußert.<br />

Zur Maut heißt es: „Das Land strebt einen<br />

Systemwechsel von der Haushaltsfinanzierung<br />

zur Nutzerfinanzierung<br />

an. Mit der Einführung der Lkw-Maut<br />

auf Autobahnen für Lkw über 12 Tonnen<br />

zulässigem Gesamtgewicht im Jahr<br />

2005 wurde ein erster notwendiger<br />

Schritt in Richtung Nutzerfinanzierung<br />

vollzogen. Ihm soll nun die Ausdehung<br />

der Lkw-Maut auf vierstreifige Bundesstraßen<br />

folgen. Konsequent wäre in einem<br />

weiterem Schritt die Einführung<br />

einer Pkw-Maut.“ Eine Pkw-Maut wirkt<br />

sich nicht nur auf die Entwicklung im<br />

ländlichen Raum, aber hier wegen der<br />

Entfernungen besonders aus. Eine detaillierte<br />

Meinungsbildung wird in den<br />

Gremien des <strong>Gemeindetag</strong>s folgen. Der<br />

<strong>Gemeindetag</strong> hat der Aussage, dass die<br />

Einführung einer Pkw-Maut folgerichtig<br />

sei, widersprochen.<br />

26 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

Elektromobilität – mobile Zukunft für Städte und Gemeinden Stadtwerken und anderen Versorgungs-<br />

In der Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene<br />

ist die Elektromobilität als<br />

zentrales Thema zukünftiger Mobilität<br />

festgelegt. Das ehrgeizige Ziel: Bis zum<br />

Jahr 2020 sollen eine Million Elektro-<br />

Kraftfahrzeuge auf den Straßen unterwegs<br />

sein. Die EU hat die Elektromobilität<br />

in ihrem Grünbuch zum Stadtverkehr<br />

ebenfalls als entscheidendes Zukunftsthema<br />

gesehen. Die Wirtschaft<br />

will massiv in die Entwicklung und Vermarktung<br />

von E-Mobilen investieren.<br />

Der Erfolg der Elektrofahrzeuge hängt<br />

maßgeblich von den Städten und Gemeinden<br />

und deren effektiver Unterstützung<br />

ab. In der Elektromobilität liegen<br />

Chancen, aber auch Herausforderungen<br />

für die Städte und Gemeinden.<br />

Diese sind an einer effektiven Förderung<br />

nachhaltiger Verkehrsträger interessiert,<br />

und hierzu werden in Zukunft nicht<br />

nur, aber auch elektrisch angetriebene<br />

Fahrzeuge gehören.<br />

Die EnBW hat im Zuge der Initiative<br />

„Modellregion Elektromobilität Stuttgart“<br />

die Federführung für ein Forschungsprojekt<br />

im Teilbereich „E-Bike“<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

übernommen. Von Juli 2010 bis Ende<br />

2011 werden bis zu 700 E-Bikes ausgeliefert<br />

und rund 100 öffentliche Ökostrom-<br />

Ladestationen installiert. Ziel ist es, das<br />

Mobilitätsverhalten der Testfahrer zu<br />

erforschen und neue Erkenntnisse darüber<br />

zu gewinnen, wie sich eine landesweite<br />

Infrastruktur für E-Mobilität umsetzen<br />

lässt.<br />

Dieses EnBW-Forschungsprojekt wurde<br />

bei einer gemeinsamen Auftaktveranstaltung<br />

im Rahmen der Tagung des<br />

Landesvorstands am 15. September<br />

2010 in Raststatt mit der Initiative „<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

E-mobil“ und 300 E-<br />

Bikes für kleinere und mittlere Städte<br />

praktisch auf ganz <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

ausgedehnt.<br />

Die EnBW E-Bike-Initiative ist eine auch<br />

für kleinere und mittlere Städte und Gemeinden<br />

gut geeignete Möglichkeit, um<br />

vor Ort in das Thema „Elektromobilität“<br />

einzusteigen, Infrastruktur aufzubauen<br />

und das Thema im öffentlichen Raum zu<br />

verankern. Der <strong>Gemeindetag</strong> unterstützt<br />

ebenso entsprechende Initiativen von<br />

unternehmen, die sich gemeinsam mit<br />

Städten und Gemeinden auf den „e-mobilen<br />

Weg“ machen wollen.<br />

Bahnprojekt Stuttgart–Ulm<br />

und „Stuttgart 21“<br />

Die kontrovers ausgetragenen und von<br />

Demonstrationen in Stuttgart begleiteten<br />

öffentlichen Diskussionen um das<br />

Bahnprojekt Stuttgart–Ulm machten<br />

Überlegungen notwendig, wie sich der<br />

<strong>Gemeindetag</strong> sowohl in der Sache als<br />

auch im weiteren Verfahren gemeinsam<br />

mit dem Städtetag und dem Landkreistag<br />

positioniert.<br />

So beschlossen der Vorstand des Städtetags<br />

und das Präsidium des <strong>Gemeindetag</strong>s<br />

in ihrer gemeinsamen Sitzung am<br />

7. September 2010, die Mitgliedsstädte<br />

und -gemeinden über das Bahnprojekt<br />

Stuttgart–Ulm zu informieren. Ein entsprechendes<br />

Informationsschreiben mit<br />

einer Darstellung des Projekts, seiner<br />

Kosten, dem Stand der Diskussion und<br />

der Darstellung der politischen Entscheidungsprozesse<br />

wurde am 20. September<br />

2010 an alle Mitgliedsstädte und<br />

-gemeinden verschickt.<br />

Der Landesvorstand des <strong>Gemeindetag</strong>s,<br />

der sich in der Tagung am 14. September<br />

2010 ohne Gegenstimme für das Projekt<br />

aussprach, forderte in seinem Beschluss<br />

die Projektbeteiligten des Bahnprojekts<br />

auf, eine wirksame Kommunikationsstrategie<br />

zu entwickeln, die zu einer breiten<br />

Kommunikation des Projekts in alle<br />

Regionen <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>s führt,<br />

den landesweiten Dialog fördert und die<br />

Fakten besser zugänglich macht. In diesem<br />

Zusammenhang befürworteten die<br />

Mitglieder des Landesvorstands auch Informationsveranstaltungen<br />

auf Ebene<br />

der Kreisverbände des <strong>Gemeindetag</strong>s.<br />

Mittlerweilen haben im Rahmen von<br />

Sitzungen der Kreisverbände des <strong>Gemeindetag</strong>s<br />

zahlreiche Informationsveranstaltungen<br />

zum Bahnprojekt stattgefunden.<br />

Ziel ist es, die Akzeptanz für<br />

das landesweit bedeutende Infrastrukturprojekt<br />

zu erhöhen.<br />

27


Bilanz und Perspektiven<br />

Nachhaltigkeitsstrategie <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> –<br />

Sachstand und vorgesehene Weiterentwicklung<br />

Seit dem offiziellen Start der Nachhaltigkeitsstrategie<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> am<br />

3. März 2007 sind zwischenzeitlich 21<br />

Projekte abgeschlossen worden. 14 Projekte<br />

laufen noch, davon sind sieben<br />

durch Entscheidung der Nachhaltigkeitskonferenz<br />

vom 16. Juni 2010 angenommen<br />

worden. Nach wie vor beteiligen<br />

sich zirka 250 gesellschaftliche Institutionen<br />

an der Nachhaltigkeitsstrategie.<br />

Ein besonderes Anliegen der Nachhaltigkeitsstrategie<br />

ist es, Jugendliche verstärkt<br />

in die Aktivitäten einzubeziehen.<br />

Um begonnene Aktivitäten fortzuführen<br />

und weiterentwickeln zu können,<br />

hat die Nachhaltigkeitskonferenz beschlossen,<br />

für den Themenbereich „Jugend“<br />

350.000 Euro zur Verfügung zu<br />

stellen. Im Übrigen soll auch der nächste<br />

Nachhaltigkeitskongress zum Thema<br />

Jugend stattfinden.<br />

Als Ausfluss aus der Nachhaltigkeitsstrategie<br />

hat sich auch eine Wirtschaftsinitiative<br />

Nachhaltigkeit gegründet und<br />

ihre Arbeit zwischenzeitlich intensiviert.<br />

Auch die in der Nachhaltigkeitskonferenz<br />

vom März 2009 auf den Weg<br />

gebrachte Nachhaltigkeitsprüfung von<br />

Kabinettsvorlagen und Regelungen des<br />

Landes ist inzwischen rechtlich vollzogen.<br />

Auf die Verwaltungsvorschrift der<br />

Landesregierung und der Ministerien<br />

zur Erarbeitung von Regelungen vom<br />

27. Juli 2010 (GABl. Seite 277) wird insoweit<br />

hingewiesen. Sie ist am 1. Januar<br />

2011 in Kraft getreten.<br />

An dem ebenfalls am 16. Juni 2010 im<br />

Anschluss an die Nachhaltigkeitskonferenz<br />

veranstalteten Nachhaltigkeitskongress<br />

haben mehr als 500 Personen teilgenommen.<br />

Im Mittelpunkt des Kongresses<br />

stand die Verknüpfung der<br />

Nachhaltigkeitsstrategie <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

mit Lokale Agenda 21-Aktivitäten,<br />

Bürgerschaftlichem Engagement<br />

und Ehrenamt vor Ort.<br />

Darüber hinaus ist eine Weiterentwicklung<br />

der Nachhaltigkeitsstrategie geplant.<br />

Insoweit ist im Anschluss an die<br />

Nachhaltigkeitskonferenz 2010 keine<br />

Aufforderung an die Akteure mehr ergangen,<br />

weitere Projekte einzureichen.<br />

Die Nachhaltigkeitskonferenz hat vielmehr<br />

durch Beschluss festgestellt, dass<br />

sie in der Stärkung des Vorgehens in Initiativen<br />

sowie der Zielgruppenansprachen<br />

einen zentralen Beitrag zur Weiterentwicklung<br />

der Nachhaltigkeitsstrategie<br />

sieht. In diesem Rahmen könnten<br />

die gemeinsam mit den gesellschaftlichen<br />

Gruppen verfolgten Ziele mit situationsangepassten<br />

Instrumenten verfolgt<br />

werden.<br />

Die Nachhaltigkeitskonferenz hat deshalb<br />

das Staatsministerium und die Geschäftsstelle<br />

der Nachhaltigkeitsstrategie<br />

gebeten, einen Vorschlag zur Weiterentwicklung<br />

der Nachhaltigkeitsstrategie<br />

zu erarbeiten, der die Möglichkeit<br />

eröffnet, auch längerfristig angelegte<br />

strategische und thematisch stärker spe-<br />

Naturschutzstrategie des Landes –<br />

Noch keine wesentlichen Fortschritte<br />

Im Rahmen des Projektstarts zur Erarbeitung<br />

der Naturschutzstrategie am<br />

18. Mai 2009 wurden vier Facharbeitsgruppen<br />

gebildet:<br />

- Facharbeitsgruppe 1: Kulturlandschaft/Landnutzung/Landschaftspflege<br />

- Facharbeitsgruppe 2: Erhaltung<br />

der biologischen Vielfalt<br />

- Facharbeitsgruppe 3: Kommunikation,<br />

Öffentlichkeitsarbeit und Bildung<br />

- Facharbeitsgruppe 4: Strukturen<br />

und Kooperationen.<br />

Bereits Anfang 2010 war die Arbeitsphase<br />

der Facharbeitsgruppen abgeschlossen.<br />

Diese haben ihre Empfehlungen<br />

vorgelegt, die dann auch in Gt-info Nr.<br />

81/2010 vom 5. Februar 2010 veröffentlich<br />

worden sind. Die Facharbeitsgruppenberichte<br />

sollen allerdings nur als<br />

Grundlagenmaterial für ein entsprechendes<br />

Strategiepapier des Ministeriums<br />

dienen. Bis Redaktionsschluss für<br />

diesen Beitrag ist der <strong>Gemeindetag</strong> allerdings<br />

weder zum Entwurf eines solchen<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

zifizierte Themenprozesse zu verfolgen<br />

und dabei die bewährten Instrumente<br />

der konkreten Problemlösung (Projektgruppenarbeit)<br />

weiterentwickelt.<br />

Eine Zusammenfassung von Konferenz<br />

und Kongress sowie der aktuelle Sachstand<br />

bei der Nachhaltigkeitsstrategie<br />

sind auf der Website www.jetzt-das-morgen-gestalten.de<br />

zu finden.<br />

Papiers, geschweige denn eines Schlussberichts<br />

offiziell angehört worden. Ursächlich<br />

für diese Verzögerungen dürften<br />

die Umressortierung des Naturschutzes<br />

vom MLR zum UVM, die Neufassung<br />

des Bundesnaturschutzgesetzes<br />

(in Kraft getreten zum 1. März 2010)<br />

und die Tatsache sein, dass das UVM die<br />

Themenbereiche jetzt weiter gefasst hat<br />

(Wasserwirtschaft, Straßen und Verkehr<br />

sollen noch mitberücksichtigt werden).<br />

Der <strong>Gemeindetag</strong> wird weiterhin an seiner<br />

im zuständigen Fachausschuss beschlossenen<br />

Position festhalten, dass<br />

insbesondere zur Umsetzung von NA-<br />

TURA-2000-Maßnahmen notwendige<br />

finanzielle und personelle Ressourcen<br />

bereitgestellt werden müssen. Darüber<br />

hinaus erhebt er weiter, gemeinsam mit<br />

den beiden anderen kommunalen Landesverbänden,<br />

die Forderung auf Unterstützung<br />

durch bewährte Instrumente,<br />

wie z.B. Landschaftserhaltungsverbände,<br />

aber mit möglichst flächendeckender<br />

Ausdehnung.<br />

28 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Foto: irisblende.de


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

Förderung der Breitbandinfrastruktur<br />

im ländlichen Raum<br />

Die Sonderlinie „Breitbandinfrastruktur<br />

Ländlicher Raum“ 2011 wurde Mitte<br />

September mit einer Antragsfrist bis<br />

4.11.2010 ausgeschrieben. Mit dieser<br />

Bekanntmachung ist <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

das erste Bundesland mit einer<br />

NGA-Förderung (Next Generation Access,<br />

Hochgeschwindigkeitsnetze).<br />

Bei der Förderung wird unterschieden<br />

zwischen einer breitbandigen Grundversorgung<br />

der Bevölkerung und von<br />

gewerblichen Anschlüssen von mindestens<br />

1 Megabit pro Sekunde (MBit/s)<br />

beim Herunterladen und einem Ausbau<br />

von Glasfaserstrukturen bei einem<br />

nachgewiesenen erhöhten gewerblichen<br />

Bedarf von mindestens 25 MBit/s<br />

beim Herunterladen. Nur im Rahmen<br />

von Glasfasernetzen ist eine Förderung<br />

des Leitungsausbaus bis zur Grundstücksgrenze<br />

der betroffenen Betriebe<br />

förderfähig. Voraussetzung hierfür ist<br />

ein nachgewiesener symmetrischer<br />

Mindestbedarf von 25 MBit/s. Zuwendungsempfänger<br />

sind die Gemeinden<br />

für kommunale Vorhaben in ländlich<br />

geprägten Orten.<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Foto: irisblende.de<br />

Fördertatbestände sind<br />

Vorhaben mit innovativem<br />

bzw. vorbildhaftem<br />

Charakter, Glasfasernetze<br />

bei einem erhöhten<br />

Bedarf ab 25 MBit/s symmetrisch,<br />

Leerrohre mit<br />

Glasfasereinzug von 144<br />

Fasern bei erhöhtem Bedarf<br />

ab 25 MBit/s asymmetrisch,<br />

Leerrohre ohne<br />

Glasfasereinzug zur<br />

Grundversorgung sowie<br />

die Gewährung von Zuwendungen<br />

der Gemeinden<br />

an Netzbetreiber.<br />

Voraussetzung einer Förderung<br />

ist immer, dass<br />

kein Breitbandanbieter<br />

beihilfefrei zur Versorgung<br />

des zu versorgenden<br />

Gebietes bereit ist. In<br />

einer Marktanalyse ist<br />

die unzureichende Breitbandversorgung<br />

nachzuweisen und für<br />

die beabsichtige Versorgung ist eine Gemeindekonzeption<br />

vorzulegen.<br />

Die Höhe der Zuwendung der Förderung<br />

beträgt bei Modellprojekten 50<br />

Prozent der zuwendungsfähigen Ausgaben.<br />

Bei der Leerrohrverlegung mit und<br />

ohne Glasfasereinzug ist Maßstab für<br />

die Fördersätze der laufende Meter (Euro-Betrag).<br />

Neu ist die Einbindung der<br />

Breitbandförderung in die ELR-Förderung<br />

mit ihrer Priorisierung innerhalb<br />

der Gemeinde und das gestaffelte Verfahren<br />

des ELR. Mit der Entscheidung<br />

über die Förderanträge ist im Februar zu<br />

rechnen.<br />

Grundlage der Ausschreibung für die<br />

Glasfaserinfrastruktur sind die Vorgaben<br />

der EU über die Breitbandleitlinie<br />

vom September 2009 (in der erstmals<br />

die beihilferechtlichen Kriterien für die<br />

Förderung von Glasfasernetzen und damit<br />

von Hochgeschwindigkeitsnetzen<br />

beschrieben werden) und der Notifizierung<br />

der Bundesrahmenregelung Leerrohre<br />

durch die EU-Kommission vom<br />

Juli 2010. Das Sonderförderprogramm<br />

hat im Jahre 2010 zu einer hohen Zahl<br />

von Anträgen durch die Gemeinden geführt,<br />

wodurch die Fördermittel zur<br />

Mitte des Jahres 2010 ausgeschöpft wurden.<br />

Durch die Bereitstellung von Fördermitteln<br />

konnte dann im Herbst 2010<br />

ein weiterer Antragstermin geschaffen<br />

werden.<br />

Ziel des <strong>Gemeindetag</strong>s ist die Verstetigung<br />

der Förderung in den nächsten<br />

Jahren und die Unterstützung innovativer<br />

Verlegearten wie Glasfaser im Abwasserkanal<br />

und Microtrenching. Für<br />

die weitere Entwicklung wird sich zeigen,<br />

ob die bisherigen Förderrichtlinien<br />

auf der Basis des ELR weitergeführt werden<br />

oder eine eigenständige Förderung<br />

über neue und damit durch die EU zu<br />

notifizierenden Richtlinien mit einer<br />

erweiterten Gebietskulisse – aber auf der<br />

Grundlage der EU-Vorgaben – kommt.<br />

Nach der Versteigerung der Digitalen<br />

Dividende gibt es hohe Erwartungen,<br />

durch die neue Technik LTE (Long Term<br />

Evolution) höhere Bandbreiten in den<br />

ländlichen Raum zu bringen. Die immer<br />

wieder genannten Bandbreiten von 100<br />

MBit/s werden kaum beim letzten Nutzer<br />

ankommen, er darf allenfalls mit<br />

etwas über 5 MBit/s rechnen.<br />

29


Bilanz und Perspektiven<br />

Privatisierung der<br />

Vermessungsverwaltung<br />

Die Landesregierung hält an ihrer Absicht<br />

einer sofortigen weitgehenden Privatisierung<br />

der Vermessungsverwaltung<br />

fest. Der <strong>Gemeindetag</strong> ist grundsätzlich<br />

offen für eine weitere Privatisierung von<br />

Vermessungsaufgaben. Er lehnt die von<br />

der Landesregierung geplante sofortige<br />

Privatisierung der Vermessungsverwaltung<br />

aber ab.<br />

Die Landratsämter haben nach Feststellung<br />

der Landesregierung zwischen<br />

2005 und 2009 rund 30 Prozent des Vermessungspersonals<br />

abgebaut. Dieser<br />

Abbauprozess muss kontinuierlich fortgesetzt<br />

werden; er kann nicht beliebig<br />

beschleunigt werden. Eine sofortige Privatisierung<br />

wesentlicher Aufgaben der<br />

Vermessungsämter wird den Druck auf<br />

die Kreisumlage, die unsere Städte und<br />

Gemeinden ohnehin stark belastet,<br />

deutlich erhöhen. Der <strong>Gemeindetag</strong> besteht<br />

auf der Einhaltung der Geschäftsgrundlagen<br />

der Verwaltungsreform<br />

2004. Das gilt insbesondere für die damals<br />

erklärte Absicht der Landesregierung,<br />

eine Privatisierung von Vermessungsaufgaben<br />

proportional zur Fluktuation<br />

des entsprechenden Fachpersonals<br />

zu betreiben.<br />

Auf jeden Fall bleiben ländliche Landkreise<br />

stärker betroffen als solche im<br />

Ballungsraum. Aufgrund der nicht zuletzt<br />

an Bodenwerten orientierten Verteilung<br />

der öffentlich bestellten Vermessungsingenieure<br />

(ÖbV) ist oft bereits<br />

eine Privatisierungsquote von 80 Pro-<br />

Foto: irisblende.de<br />

zent erreicht; im ländlichen Raum erscheint<br />

eine so hohe Quote auch langfristig<br />

kaum erreichbar. Eine flächendeckende<br />

Versorgung muss sichergestellt<br />

werden, bevor weitere Privatisierungs-<br />

RIPS – Vom Umweltinformationssystem<br />

zur Geodaten-Drehscheibe<br />

Land und Kommunen kommen mit<br />

dem Projekt RIPS auf dem Weg von einer<br />

Umwelt-Datenbank zu einer umfassenden,<br />

multifunktionalen ‚Geodaten-<br />

Drehscheibe‘ voran. Der <strong>Gemeindetag</strong><br />

hat dieses Projekt konstruktiv begleitet<br />

und befürwortet die Vorentwürfe in der<br />

Grundtendenz. Nach einer Verwaltungsvereinbarung<br />

sollen kreisangehörige<br />

Städte und Gemeinden in ihrer Verwaltung<br />

vorhandene geografische Daten<br />

zur gemeinsamen Nutzung zur Verfügung<br />

stellen. Im Gegenzug können sie<br />

die im System vorhandenen Geodaten<br />

aus anderen Quellen nutzen.<br />

Der Beitritt erfolgt freiwillig. Kosten der<br />

Bereitstellung von Geodaten werden<br />

den Städten und Gemeinden nicht erstattet,<br />

denn jedes Mitglied – so der<br />

Grundgedanke – trägt seine Kosten<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

schritte unternommen werden. Die<br />

Landesregierung will das dadurch erreichen,<br />

dass ÖbV auch in an ihren Sitz<br />

angrenzenden Landkreisen tätig werden<br />

müssen.<br />

selbst. Über den Beitritt wird in Abwägung<br />

der zu erwartenden Kosten und<br />

des Nutzens zu entscheiden sein. Die<br />

Vorteile, die sich für Städte und Gemeinden<br />

aus dem Aufbau der Geodateninfrastruktur<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

ergeben können erheblich sein:<br />

• eine Beschleunigung und qualitativen<br />

Verbesserung von Planungen<br />

und Verwaltungsentscheidungen,<br />

insbesondere auch in Akutfällen,<br />

• eine Reduzierung oder Begrenzung von<br />

Planungs- und Verwaltungskosten,<br />

• eine Verbesserung der Zusammenarbeit<br />

zwischen staatlichen und kommunalen<br />

Behörden.<br />

Es ist beabsichtigt, die rechtlichen Voraussetzungen<br />

noch in der laufenden<br />

Legislaturperiode zu schaffen.<br />

30 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

Vergaberechtsreform und Verbindlichkeit der VOB 2009<br />

Mit der Änderung Vergabeverordnung<br />

vom 7.6.2010, die am 11.6.2010 in Kraft<br />

getreten ist, ist die Vergaberechtsreform<br />

zu einem – vorläufigen – Endpunkt gekommen.<br />

Nach der Änderung des Kartellvergaberechts<br />

im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen,<br />

die seit<br />

24.4.2009 in Kraft ist , wurden nun die<br />

neu gefassten Vergabe- und Vertragsordnungen<br />

für Vergaben ab den EU-rechtlichen<br />

Schwellenwerten eingeführt. Mit<br />

dem Inkrafttreten der Vergabeverordnung<br />

gelten für die Vergaben ab den EUrechtlichen<br />

Schwellenwerten der 2. Abschnitt<br />

der VOB/A 2009, der 2. Abschnitt<br />

der VOL/A 2009 und die VOF 2009. Mit<br />

der novellierten Vergabeverordnung soll<br />

das Vergaberecht vereinfacht, der Regelungsumfang<br />

reduziert, die Transparenz<br />

der Verfahren erhöht und die beiden Vergabe-<br />

und Vertragsordnungen VOB/A<br />

und VOL/A angeglichen werden.<br />

Verbindlichkeit der VOB 2009<br />

Die VOB 2009 ist seit 1.10.2010 verbindlich<br />

anzuwenden (siehe Hinweis in<br />

Gt-INFO vom 20.10.2010; s.a. GABl.<br />

10/2010, S. 325 und 11/2010, S. 409).<br />

Das Finanzministerium hat dies mit<br />

Schreiben vom 7.10.2010 unter Übersendung<br />

der Änderung der Vergabe<br />

VwV mitgeteilt. Zu den wesentlichen<br />

Änderungen durch die VOB 2009 gehört<br />

die Einführung von Wertgrenzen für die<br />

drei Vergabearten. Für <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

wurde in der Vergabe VwV – in Abweichung<br />

von der VOB 2009 für die<br />

Freihändige Vergabe von Bauleistungen<br />

– eine Wertgrenze von 20.000 Euro (ohne<br />

Umsatzsteuer) aufgenommen. Die<br />

Geltung der Vw Beschleunigung öA<br />

mit seinen seit Anfang 2009 geltenden<br />

höheren Wertgrenzen (1 Mio. Euro bei<br />

der Beschränkten Ausschreibung und<br />

100.000 Euro bei der Freihändigen Vergabe)<br />

wurde um ein Jahr bis Ende 2011<br />

verlängert (s. Gt-INFO 944/2010 vom<br />

20.12.2010). Auf Bundesebene haben<br />

die kommunalen Spitzenverbände<br />

ebenfalls eine Verlängerung der Geltung<br />

der höheren Wertgrenzen gefordert.<br />

Das vom Hauptausschuss des Deutschen<br />

Vergabe- und Vertragsausschuss (DVA)<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

verfolgte Ziel, die Verfahrensabläufe zu<br />

verschlanken und zu vereinfachen, wurde<br />

aus kommunaler Sicht verfehlt. Die<br />

Position der Städte und Gemeinden als<br />

öffentliche Auftraggeber wurde in wichtigen<br />

Punkten verschlechtert. So werden<br />

Schwellenwerte für die Beschränkte<br />

Ausschreibung und die Freihändigen<br />

Vergaben einführt. Bei Aufträgen unter<br />

250.000 Euro sollen keine Sicherheitsleistungen<br />

mehr gefordert werden. Für<br />

Beschränkte Ausschreibungen wird eine<br />

Vorabtransparenz (ex-ante) eingeführt,<br />

ähnlich auch für durchgeführte Vergaben<br />

(ex-post-Transparenz). Bei fehlenden<br />

Nachweisen ist der öffentliche Auftraggeber<br />

verpflichtet (also kein Ermessen),<br />

diese nachzufordern (bei der neuen<br />

VOL 2009 ist dies ein Fall einer<br />

Ermessensentscheidung).<br />

Erst wenn diese Erklärungen oder Nachweise<br />

nicht innerhalb der Frist von 6<br />

Tagen vorgelegt werden, ist das Angebot<br />

auszuschließen. Während nach bisheriger<br />

Geltung der VOB 2006 Angebote mit<br />

fehlenden Preisen auszuschließen waren,<br />

gilt nach der neuen VOB 2009, dass<br />

ein solcher Ausschluss nicht mehr möglich<br />

ist bei einem Angebot, bei dem lediglich<br />

in einer einzelnen unwesentlichen<br />

Position die Angabe des Preises<br />

fehlt und durch die Außerachtlassung<br />

dieser Position der Wettbewerb und die<br />

Wertungsreihenfolge nicht beeinträchtigt<br />

werden. Leider hat die VOB 2009<br />

nicht geregelt, wie dieser dann fehlende<br />

Preis ermittelt wird, der schließlich im<br />

Bauvertrag verbindlich vereinbart werden<br />

muss. Die kommunale Praxis sieht<br />

solche Formulierungen als Einstieg in<br />

Manipulationsmöglichkeiten.<br />

Grundstücksgeschäfte der öffentlichen<br />

Hand sind, wie der EuGH mit seiner<br />

grundlegenden Entscheidungen vom<br />

25.3.2010 entschieden und damit die<br />

Rechtsprechung des OLG Düsseldorf<br />

korrigiert hat, regelmäßig nicht mehr<br />

ausschreibungspflichtig.<br />

Den Gemeinden ist die VOL/A 2009 –<br />

wie bisher – zur Anwendung empfohlen;<br />

die VOL gehört damit nicht zu den<br />

verbindlichen Vergabegrundsätzen für<br />

Unterschwellenvergaben; anders die<br />

VOB. Die VOL ist von allen Behörden<br />

und Betrieben des Landes sowie den<br />

landesunmittelbaren juristischen Personen<br />

des öffentlichen Rechts, die § 55<br />

LHO zu beachten haben, anzuwenden.<br />

Näheres regelt die Verwaltungsvorschrift<br />

vom 14.6.2010.<br />

Für die Leistungen im Sinne der VOL/A<br />

2009 müssen die Gemeinden jedoch das<br />

Gemeindehaushaltsrecht beachten, das<br />

in § 31 GemHVO für die Gemeinden<br />

Folgendes vorgibt: Grundsatz der öffentlichen<br />

Ausschreibung und beschränkte<br />

Ausschreibung oder freihändige<br />

Vergabe nur wegen der Natur des<br />

Geschäfts oder wegen besonderer Umstände.<br />

Über die inhaltlichen Änderungen<br />

der VOL/A 2009 und der VOL/A EG<br />

2009 wurde in <strong>BWGZ</strong> 14/2010, S. 583,<br />

585 berichtet.<br />

Im Dreiklang der Vergabe- und Vertragsordnungen<br />

ist auch die VOF, die Ende<br />

2009 im Bundesanzeiger veröffentlicht<br />

wurde, über die Änderung der Vergabeverordnung<br />

verbindlich geworden.<br />

Für Sektorenauftraggeber (Trinkwasser-,<br />

Energieversorgung und Verkehr) ist<br />

die SektVO verbindlich, die nicht zwischen<br />

Bauleistungen, sonstigen Leistungen<br />

oder freiberuflichen Leistungen unterscheidet.<br />

Bemerkenswert ist dabei,<br />

dass die Verdingungsregelungen für Sektorenauftraggeber<br />

nicht mehr über die<br />

Verdingungsausschüsse laufenden, sondern<br />

dass das Bundeswirtschaftsministerium<br />

direkt die SektVO erlassen hat.<br />

Nach der Reform ist vor der Reform:<br />

Der Koalitionsvertrag vom 26.10.2009<br />

hat für das Jahr 2010 einen Gesetzentwurf<br />

für den Rechtsschutz bei Vergaben<br />

im Unterschwellenbereich angekündigt.<br />

Es ist abzuwarten, ob dies zu einer<br />

gesetzlichen Regelung führt, die das<br />

Vergabeverfahren verzögert und noch<br />

mehr verrechtlicht und damit zum Gegenteil<br />

von Entbürokratisierung führt.<br />

Ziel des Vergabeverfahrens muss es weiterhin<br />

sein, eine wirtschaftliche Beschaffung<br />

durch die öffentliche Hand<br />

sicherzustellen. Eine Zusammenfassung<br />

zur aktuellen Situation enthält Gt-INFO<br />

947/2010 vom 20.12.2010.<br />

31


Bilanz und Perspektiven<br />

Muster für eine Feuerwehrsatzung 2010<br />

Die Novelle zum Feuerwehrgesetz ist am<br />

19. November 2009 in Kraft getreten,<br />

das Feuerwehrgesetz wurde am 9. April<br />

2010 – mit teilweise veränderter Paragraphennummer<br />

– neu bekannt gemacht.<br />

Die Rechtsänderungen machten<br />

ein neues Muster für eine Feuerwehrsatzung<br />

erforderlich (Feuerwehrorganisationssatzung).<br />

Das Muster für eine Feuerwehrorganisationssatzung<br />

schöpft die Ermächtigung<br />

des Feuerwehrgesetzes aus und wiederholt<br />

teilweise wörtlich oder auch inhaltlich<br />

die Vorschriften des Feuerwehrgesetzes.<br />

Im Hinblick auf die bessere Lesbarkeit<br />

und die Zusammenfassung in<br />

einer Satzung wurde die Praxis des Musters<br />

1988 beibehalten. Das schließt<br />

selbstverständlich eine Zweiteilung in<br />

eigenständige Satzungsregelung und<br />

Text des Feuerwehrgesetzes nicht aus.<br />

Mit der Novelle neu eingeführt wurde<br />

der Begriff der Einsatzabteilung, der an<br />

die Stelle der bisherigen „aktiven Abteilung“<br />

trat. Eine Aufnahme in die Feuerwehr<br />

ist bereits ab dem 17. Lebensjahr<br />

möglich, eine Teilnahme an Einsätzen<br />

jedoch erst ab dem 18. Lebensjahr. Ein<br />

Probejahr wurde eingeführt. Bei einem<br />

wichtigen Grund kann der ehrenamtliche<br />

Feuerwehrdienst beendet werden;<br />

Beispiele nennt das Feuerwehrgesetz<br />

mit fortgesetzter Nachlässigkeit im<br />

Dienst, schweren Verstößen gegen die<br />

Dienstpflichten.<br />

Das in mehreren Besprechungen mit<br />

Vertretern des Innenministeriums und<br />

des Landesfeuerwehrverbands überarbeitete<br />

und neu gefasste Muster für eine<br />

freiwillige Feuerwehr wurde in der<br />

<strong>BWGZ</strong> 17/2010 veröffentlicht. Das Muster<br />

ersetzt das bisherige Muster aus dem<br />

Jahre 1988, das ebenfalls in Zusammenarbeit<br />

mit dem Innenministerium und<br />

dem Landesfeuerwehrverband erstellt<br />

wurde. Der über 22 Jahre beinahe unveränderte<br />

Bestand zeigt, wie sich das<br />

bisherige Muster bewährt hat und in der<br />

Praxis akzeptiert wurde.<br />

Das Muster regelt entsprechend den<br />

Vorgaben des Feuerwehrgesetzes die Or-<br />

ganisation der Gemeindefeuerwehr und<br />

deren Gliederung und Verwaltung. Neu<br />

sind Aussagen zum Übungsdienst für<br />

Angehörige der Musikabteilung; deren<br />

Gleichstellung mit den Angehörigen einer<br />

Einsatzabteilung beim aktiven<br />

Wahlrecht und bei staatlichen Ehrungen<br />

setzen die Teilnahme an einer feuerwehrspezifischen<br />

Grundausbildung<br />

sowie regelmäßigen Übungsdienst voraus,<br />

außerdem haben sie für Einsätze<br />

zur Verfügung zu stehen.<br />

Wie bisher sind die Rechte und Pflichten<br />

der Angehörigen der Gemeindefeuerwehr<br />

zu regeln. Neu ist die Ermächtigung<br />

im Feuerwehrgesetz, wonach bei<br />

vorzeitigem Ausscheiden eines Feuerwehr-<br />

oder Abteilungskommandanten<br />

oder eines Stellvertreters die Amtszeit<br />

für den Nachfolger verkürzt werden<br />

kann. Wie bisher regelt das Muster, dass<br />

die Einsatzabteilungen der Freiwilligen<br />

Feuerwehr aus ihrer Mitte Abteilungsausschüsse<br />

wählen können. Für den<br />

Feuerwehrausschuss und die Abteilungsausschüsse<br />

sind Wahlverfahren,<br />

Zusammensetzung und die Mitgliedschaft<br />

weiterer Angehöriger zu regeln.<br />

Die Satzungsregeln für das Sondervermögen<br />

für die Kameradschaftspflege<br />

und die Bildung dieses Sondervermögens<br />

bleiben unverändert; Sonderver-<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

mögen kann nun nicht mehr nur für<br />

Einsatzabteilungen, sondern auch für<br />

die Jugendfeuerwehr gebildet werden.<br />

Die Dienstpflichten, Aufnahme und Beendigung<br />

des Feuerwehrdienstes für<br />

Fachberater (Personen mit besonderen<br />

Fähigkeiten und Kenntnissen) können<br />

im Einzelfall abweichend von den sonst<br />

geltenden Regeln bestimmt werden; das<br />

Muster enthält dazu keine weiteren Anforderungen.<br />

Abweichungen können<br />

daher im Einzelfall erfolgen.<br />

Zu den weiteren Satzungsermächtigungen<br />

im Feuerwehrgesetz – § 12 Heranziehung<br />

zum Dienst in der Gemeindefeuerwehr,<br />

§ 16 Entschädigung (der<br />

Feuerwehrangehörigen für Auslagen<br />

und Verdienstausfall) und § 34 Abs. 5 S.<br />

5 Kostenersatz (für Feuerwehreinsätze)<br />

– enthält das Muster für eine Feuerwehrorganisationssatzung<br />

keine Aussagen.<br />

Die Überlandhilfepflicht als solche<br />

blieb unverändert. Einsätze bei Kfz-<br />

Unfällen sind – seit Inkrafttreten der<br />

Novelle am 19. November 2009 – insgesamt<br />

(auch bei Pflichtaufgaben wie<br />

Menschenrettung und Brandbekämpfung)<br />

kostenpflichtig, Sonderlöschmittel<br />

(„Alles außer Wasser“) sind bei Einsätzen<br />

im gewerblichen Bereich erstattungspflichtig.<br />

Besonders bedeutsam ist für die Kalkulation<br />

der Feuerwehr-Einsatzkosten, dass<br />

diese Berechnung nach betriebswirtschaftlichen<br />

Grundsätzen, also nach einem<br />

umfassenden Ansatz und unter Berücksichtigung<br />

aller entstehenden Aufwendungen,<br />

erfolgen kann. Damit können<br />

die Gemeinden die so genannten<br />

Vorhaltekosten auf der Grundlage der im<br />

gewerblichen Bereich üblichen Nutzungszeiten<br />

berechnen (sog. Handwerkerklausel).<br />

Durch Satzung können<br />

Pauschsätze festgelegt werden.<br />

32 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Foto: irisblende.de


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

Neues Muster für<br />

eine Friedhofssatzung 2010<br />

Das bisherige Muster für eine Friedhofssatzung<br />

stammt aus dem Jahre 2003<br />

und wurde im Jahre 2009 wegen der Folgen<br />

des Normenscreenings nach der<br />

EU-Dienstleistungsrichtlinie, der Novelle<br />

zum Bestattungsgesetz 2009 und der<br />

Novelle zum Kommunalabgabengesetz<br />

geändert. Diese Rechtsänderungen sind<br />

der Grund für die Veröffentlichung einer<br />

konsolidierten Fassung des Musters<br />

für eine Friedhofssatzung. Die Erläuterungen<br />

zum Muster wurden aktualisiert,<br />

soweit sie die genannten drei Themenbereiche<br />

für die Änderungen des Musters<br />

betreffen.<br />

Neu aufgenommen wurden Erläuterungen,<br />

die sich aus den Fragestellungen der<br />

Gemeinden an die Geschäftsstelle ergeben<br />

haben. Außerdem wurde die Rechtsprechung<br />

zum Friedhofs- und Bestattungsrecht<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> der vergangenen<br />

Jahre ebenso ausgewertet wie<br />

die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte<br />

anderer Bundesländer.<br />

Ob wegen der aktuellen Diskussion um<br />

Grabsteine aus Kinderarbeit (genauer:<br />

keine Grabsteine aus ausbeuterischer<br />

Kinderarbeit) eine weitere Änderung des<br />

Musters für eine Friedhofssatzung ansteht<br />

oder nur eine Empfehlung außerhalb<br />

des Satzungstextes, bleibt abzuwarten.<br />

Denkbar ist eine Änderung des Bestattungsgesetzes,<br />

um eine eindeutige<br />

Rechtsgrundlage für eine Satzungsregelung<br />

zu schaffen. Ergänzende Hinweisen<br />

gab es wegen aktueller Entwicklungen<br />

im Friedhofswesen: Urnenbeisetzungen<br />

im Wurzelbereich von Bäumen,<br />

gärtnerbetreute Grabfelder, technische<br />

Regeln für die Fundamentierung von<br />

Grabmalen.<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Notariats- und Grundbuchreform gesetzlich umgesetzt –<br />

Umsetzung Zug um Zug bis 1. Januar 2018<br />

Der Landtag von <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

hat in seiner Sitzung vom 28. Juli 2010<br />

den Gesetzentwurf zur Notariats- und<br />

Grundbuchamtsreform beschlossen<br />

(GBl. Seite 555). Wesentliche Grundzüge<br />

der Reform sind der flächendeckende<br />

Wechsel vom Amtsnotariat hin zum<br />

freiberuflichen Notariat (so genanntes<br />

Nur-Notariat) und die Konzentration<br />

des Grundbuchwesens auf 11 Amtsgerichtsstandorte.<br />

Insoweit wird es nach<br />

der vollständigen Umsetzung der Reform<br />

keine Grundbuchämter bei den<br />

Gemeinden mehr geben.<br />

Beschlossen worden ist der Gesetzentwurf<br />

auf der Basis von Landtagsdrucksache<br />

14/6250 vom 21. April 2010 (mit wenigen<br />

redaktionellen, aber keinen inhaltlichen<br />

Änderungen). Der <strong>Gemeindetag</strong> hatte zu<br />

dem Gesetzentwurf mit Schreiben vom<br />

11. März 2010 Stellung bezogen (siehe<br />

Darstellung in Gt-info Nr. 223/2010 vom<br />

6. April 2010). Im Rahmen der Verabschiedung<br />

des Gesetzespakets ist auch das<br />

so genannte 6-Euro-Gesetz (neuer § 21 a<br />

Landesjustizkostengesetz) mit beschlossen<br />

worden. Eine Erhöhung dieser „Digitalisierungsprämie“<br />

zugunsten der Gemeinden<br />

(z.B. auf 8 oder 10 Euro), wie<br />

vom <strong>Gemeindetag</strong> vorgeschlagen, ist dabei<br />

leider nicht erfolgt.<br />

Für die Eingliederungsplanung hinsichtlich<br />

der Grundbuchämter im badi-<br />

schen Rechtsgebiet gibt es gegenwärtig<br />

nach wie vor folgenden Sachstand:<br />

Im März 2010 hat das Justizministerium<br />

bekanntlich bei allen grundbuchführenden<br />

Kommunen im badischen<br />

Rechtsgebiet eine Umfrage zu den<br />

Wunschterminen hinsichtlich der<br />

Grundbucheingliederung durchgeführt.<br />

Nahezu alle angeschriebenen<br />

Städte und Gemeinden haben geantwortet.<br />

Bis Ende 2010 sollte das Justizministerium<br />

die Antworten auswerten und<br />

(unter Beteiligung von <strong>Gemeindetag</strong><br />

und Städtetag) einen Eingliederungsplan<br />

für die Jahre 2012 bis 2017 aufstellen.<br />

Aus diesem werden sich die Eingliederungstermine<br />

für alle staatlichen<br />

und kommunalen Grundbuchämter<br />

ergeben. Für 2012 bis 2014 voraussichtlich<br />

monatsgenau, für 2015 bis 2017<br />

zunächst jahresscharf. Die Eingliederung<br />

soll an den Standorten der grundbuchführenden<br />

Amtsgerichte Achern,<br />

Emmendingen, Tauberbischofsheim<br />

und Villingen-Schwenningen Anfang<br />

des Jahres 2012 beginnen, in Maulbronn<br />

bautechnisch bedingt voraussichtlich<br />

Anfang 2013. Nach einer Mitteilung<br />

des Justizministeriums vom<br />

13.12.2010 wird die Aufstellung des<br />

Eingliederungszeitplans noch etwas<br />

Zeit in Anspruch nehmen.<br />

33


Bilanz und Perspektiven<br />

Erschließungsbeitrag: Gemeindeanteil von 5 Prozent<br />

für Anbaustraßen und Wohnwege ist in Ordnung<br />

Mit der Übernahme des Erschließungsbeitragsrecht<br />

in das Landesrecht durch<br />

das Kommunalabgabengesetz 2005<br />

wurde auch die Mindesthöhe des Anteils,<br />

den die Gemeinde an den beitragsfähigen<br />

Kosten zu tragen hat, von 10<br />

auf 5 Prozent abgesenkt. In der Literatur<br />

wurde hierzu die Auffassung vertreten,<br />

die Gemeinden könnten den Eigenanteil<br />

für Anbaustraßen und Wohnwege<br />

nicht einfach auf 5 Prozent festlegen.<br />

Vielmehr habe der Gemeinderat eine<br />

auf das gesamte Gemeindegebiet bezogene<br />

Abwägungsentscheidung zu treffen,<br />

in welchem Umfang eine Inanspruchnahme<br />

der Erschließungsanlagen<br />

durch die Allgemeinheit einerseits und<br />

durch die Beitragsschuldner andererseits<br />

zu erwarten sei, was ggf. sogar eine<br />

Differenzierung des Gemeindeanteils<br />

für Anbaustraßen nach deren Verkehrsbedeutung<br />

erforderlich mache; sogar<br />

die Notwendigkeit, beim Gemeindeanteil<br />

nach Straßenteileinrichtungen<br />

(Fahrbahn, Gehweg, …) zu differenzieren,<br />

wurde erörtert.<br />

Das VG Stuttgart hat in der Folge in einigen<br />

Entscheidungen die pauschale<br />

Festlegung des Gemeindeanteils für Anbaustraßen<br />

mit 5 Prozent beanstandet.<br />

Der Landesgesetzgeber hat auf diese<br />

Entwicklung reagiert und mit dem Gesetz<br />

zur Reform des Gemeindehaushaltsrechts<br />

vom 4.5.2009 den Gemeindeanteil<br />

für Anbaustraßen und Wohnwege<br />

zwingend auf 5 Prozent festgelegt<br />

(vgl. dazu Gössl/Reif in <strong>BWGZ</strong> 2009<br />

S. 852 ff.). In der Zwischenzeit hat sich<br />

auch der VGH Mannheim mit den den<br />

Eigenanteil für Anbaustraßen betreffenden<br />

Rechtsfragen beschäftigt. Er hat<br />

zum einen die gesetzgeberische Entscheidung,<br />

den Gemeindeanteil für Anbaustraßen<br />

und Wohnwege zwingend<br />

auf 5 Prozent festzulegen, als rechtmäßig<br />

eingestuft (Urteil vom 11.3.2010,<br />

<strong>BWGZ</strong> 2010 S. 477).<br />

In einer weiteren Entscheidung vom<br />

30.6.2010 (<strong>BWGZ</strong> 2010 S. 765) hat er<br />

schließlich die vom <strong>Gemeindetag</strong> bereits<br />

im Zusammenhang mit der Herausgabe<br />

des Musters einer Erschließungsbeitragssatzung<br />

2005 (<strong>BWGZ</strong> 17/2005 S. 610)<br />

vertretene Auffassung bestätigt, wonach<br />

der Gemeindeanteil für Anbaustraßen<br />

nach § 23 Abs. 1 KAG 2005 unabhängig<br />

von der Verkehrsbedeutung auf 5 Prozent<br />

festgelegt werden konnte.<br />

Rückblickend betrachtet hätte es somit<br />

der Gesetzesänderung durch den Landtag<br />

im Jahr 2009 nicht bedurft. Immerhin<br />

ist nun klar: Der Gemeindeanteil für<br />

Anbaustraßen und Wohnwege beträgt<br />

nunmehr gesetzlich zwingend 5 Prozent;<br />

einen höheren Gemeindeanteil zu übernehmen<br />

ist der Gemeinde verwehrt. Die<br />

Angabe des Gemeindeanteils für Anbaustraßen<br />

und Wohnwege in der Satzung<br />

hat nur nachrichtlichen Charakter. Städte<br />

und Gemeinden, die in einer vor dem<br />

9.5.2009 (dem Inkrafttreten des Gesetzes<br />

zur Reform des Gemeindehaushalts-<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

rechts) beschlossenen Erschließungsbeitragssatzung<br />

den Gemeindeanteil für<br />

Anbaustraßen und Wohnwege pauschal<br />

auf 5 Prozent festgelegt hatten, brauchen<br />

deswegen ihre Erschließungsbeitragssatzung<br />

nicht zu ändern.<br />

Für die Erschließungsanlagen i.S. des<br />

§ 33 Satz 1 Nrn. 3 bis 7 KAG, für die die<br />

Gemeinde anders als für Anbaustraßen<br />

und Wohnwege keine Beitragserhebungspflicht<br />

hat (§ 20 Abs. 2 KAG 2005),<br />

sondern ein Erhebungsermessen (§ 20<br />

Abs. 3 KAG 2005), hat sich durch die<br />

Änderung des § 23 KAG durch das Gesetz<br />

vom 4.5.2009 nichts geändert. Hier<br />

bleibt es nach wie vor dabei, dass der<br />

Gemeindeanteil mindestens 5 Prozent<br />

beträgt und die Gemeinde einen höheren<br />

Gemeindeanteil übernehmen kann,<br />

was eine Abwägungsentscheidung bezüglich<br />

des Gemeindeanteils erfordert,<br />

in der die Vorteilslage für die Anlieger<br />

aus der Inanspruchnahmemöglichkeit<br />

der Anlage und die Vorteilslage für die<br />

Allgemeinheit gegenüberzustellen und<br />

abzuwägen sind.<br />

34 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Foto: irisblende.de


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

Beitragsnachveranlagung auf neuer Grundlage<br />

Während beim Erschließungsbeitrag<br />

der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragsentstehung<br />

uneingeschränkt Anwendung<br />

findet, liegt es bei den Anschlussbeiträgen<br />

im Ermessen des Satzungsgebers,<br />

ob Vorteilsänderungen,<br />

die nach Entstehung der erstmaligen<br />

Beitragspflicht eintreten, zum Anlass<br />

genommen werden, um die Grundstücke<br />

erneut zu einem Beitrag heranzuziehen,<br />

vorausgesetzt, den Grundstücken<br />

werden durch die Einrichtung neue<br />

(d.h. höhere) Vorteile geboten.<br />

Der VGH <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> hat nunmehr<br />

für die Abgrenzung der Erstveranlagung<br />

von einer späteren Nachveranlagung<br />

klare Regeln aufgestellt (siehe<br />

<strong>BWGZ</strong> 2010 S. 362 ff). Danach ist die<br />

Erstveranlagung bei Grundstücken, die<br />

nach einem flächenbezogenen Maßstab<br />

veranlagt werden, erst dann abgeschlossen,<br />

wenn die Gesamtfläche des Grundstücks<br />

dem Beitragsbescheid zugrunde<br />

gelegt worden ist. Wird nur eine (parzellenscharf<br />

abgegrenzte) Teilfläche veranlagt,<br />

wird die spätere Veranlagung der<br />

zunächst nicht berücksichtigten Fläche<br />

noch der Erstveranlagung zugerechnet,<br />

so dass keine Nachveranlagung im eigentlichen<br />

Sinne vorliegt.<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Von einer „echten“ Nachveranlagung<br />

kann deshalb nur dann ausgegangen<br />

werden, wenn der Zuerwerb von Grundstücksflächen,<br />

die Neubildung eines<br />

Grundstücks aus Teilflächen oder die<br />

Erhöhung der zulässigen Grundstücksnutzung<br />

zum Anlass genommen werden<br />

sollen, um ein Grundstück erneut<br />

zu einem Beitrag heranzuziehen.<br />

Änderungen ergeben sich auch bei der<br />

gemäß § 31 Abs. 1 KAG abzugrenzenden<br />

Grundstücksteilfläche. Als „tatsächlich<br />

angeschlossen“ werden nach der neuen<br />

Rechtsprechung auch die mit der Wohnnutzung<br />

als akzessorische Flächen zu<br />

betrachtenden Grundstücksflächen,<br />

z.B. Hausgärten, angesehen. Dadurch<br />

erhöht sich bei Außenbereichsgrundstücken<br />

die der Beitragsbemessung zugrunde<br />

zu legende Fläche nicht unerheblich.<br />

Dafür werden die gemäß § 28<br />

KAG stundungsberechtigten Flächen<br />

von den nicht begünstigten Flächen<br />

nicht mehr nach baurechtlichen Kriterien,<br />

sondern nur noch nach tatsächlichem<br />

Nutzungsumfang abgegrenzt. Im<br />

Normalfall erhöht sich damit der stundungsbegünstigte<br />

Flächenanteil.<br />

Die Konzessionsabgabe Gas auf dem Weg zur Einheitsabgabe?<br />

Für die Konzessionsabgabe Gas fehlt eine<br />

dem Strombereich vergleichbare Regelung<br />

wie in § 2 Abs. 7 KAV. Diese beinhaltet<br />

eine Fiktion zur konzessionsabgabenrechtlichen<br />

Abgrenzung von Tarif-<br />

und Sondervertragslieferungen bei<br />

Strom, unabhängig von der vertraglichen<br />

Gestaltung des Lieferverhältnisses.<br />

Den Lieferanten ist es damit nicht möglich,<br />

ganz im Gegensatz zu Gas, über die<br />

vertragliche Gestaltung zulasten der<br />

Konzessionsabgabe einen Preis-, Kosten-<br />

oder Wettbewerbsvorteil für sich zu<br />

generieren. Dabei geht es bei Gas – nicht<br />

mehr und weniger – um die Frage, ob für<br />

eine Kilowattstunde Gasbezug eine<br />

Konzessionsabgabe von 0,22 ct/kWh (in<br />

Gemeinden bis 25.000 Einwohnern)<br />

oder lediglich 0,03 ct/kWh an Abgabe<br />

an die Kommune bezahlt wird.<br />

Durch den zunehmenden Wettbewerb<br />

im Gasbereich und die Auffassung der<br />

Bundeskartellbehörde, dass eine Bemessung<br />

der Gas-Konzessionsabgabe nach<br />

der Mengenabgrenzung des so genannten<br />

Grundversorgers gegenüber Durchleitern<br />

in ein Versorgungsnetz wettbewerbsbehindernd<br />

ist und diese regelmäßig<br />

einen Sonderlieferantenstatus innehaben,<br />

geht die Gas-Konzessionsabgabe<br />

bundesweit auf Talfahrt. Die Konzessionsabgaben<br />

für Tariflieferungen gehen<br />

ständig weiter zurück, indem insbeson-<br />

dere auch die Stadtwerke aus Wettbewerbsgründen<br />

ihre Abnahmemengen<br />

für die Einräumung des Sondervertragsstatus<br />

absenken. Die Folge hieraus ist,<br />

dass sich das Aufkommen aus der Konzessionsgabe<br />

Gas immer mehr auf 0,03<br />

ct/kWh zulasten des Aufkommens aus<br />

der Tarifkonzessionsabgabe einpendelt.<br />

Seit Jahren erinnern der <strong>Gemeindetag</strong><br />

und der Städtetag die Politik an ihr Versprechen<br />

im Rahmen der Novellierung<br />

des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG)<br />

im Jahre 2005, wonach es dabei zu keinen<br />

Einbußen beim Konzessionsabgabenaufkommen<br />

kommen wird und fordern<br />

auch über die kommunalen Spitzenverbände<br />

eine dem Strombereich<br />

vergleichbare Regelung in der Konzessionsabgabenverordnung,<br />

um die konzessionsabgabenrechtlichenGestaltungsmöglichkeiten<br />

auszuschließen. Ein erneuter<br />

Anlauf ist dazu 2010 erfolgt.<br />

Das baden-württembergische Wirtschaftsministerium<br />

möchte nun 2011<br />

die anstehende erneute Novellierung<br />

des Energiewirtschaftsrechts zum Anlass<br />

nehmen, die Sicherung des Gas-Konzessionsabgabenaufkommens<br />

mit einzubringen.<br />

Dazu soll in Zusammenwirken<br />

mit dem <strong>Gemeindetag</strong> und dem Städtetag<br />

eine Umfrage durch das Wirtschaftsministerium<br />

für die Zurverfügungstellung<br />

von belastbaren Zahlen zur Entwicklung<br />

des Gas-Konzessionsabgabenaufkommens<br />

erfolgen.<br />

35<br />

Foto: irisblende.de


Bilanz und Perspektiven<br />

Wasserpreise und Konzessionsabgabe Wasser im Fokus<br />

der Landesregulierungsbehörde<br />

Die BGH-Entscheidung vom 2. Februar<br />

2010 1 im Preismissbrauchsverfahren der<br />

hessischen Landeskartellbehörde gegen<br />

die Wetzlarer enwag 2 war für die Landeskartellbehörde<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

wohl zugleich auch die Aufforderung,<br />

sich dem Thema Preismissbrauchsaufsicht<br />

in der Wasserversorgung wieder<br />

verstärkt zu widmen. Erste Bestrebungen<br />

dazu gab es bereits 2005, die aufgrund<br />

der in den letzten Jahren durchzuführende<br />

Netzentgeltregulierung in<br />

den Bereichen Strom und Gas und wohl<br />

auch um den Ausgang des jetzt entschiedenen<br />

hessischen Verfahrens abzuwarten,<br />

auf Eis gelegt wurden.<br />

Aus kommunaler Sicht wird das so genannte<br />

enwag-Urteil, das nur für privatrechtlich<br />

organisierte Wasserversorgungsunternehmen<br />

maßgeblich ist,<br />

überaus kritisch beurteilt, stellt es doch<br />

all die Unternehmen unter einen gewissen<br />

Generalverdacht, überhöhte Preise<br />

zu verlangen, die einen überdurchschnittlichen<br />

Wasserbezugspreis erheben.<br />

Durch die zugleich vom BGH bestätigte<br />

Anwendbarkeit des Grundsatzes<br />

der Beweislastumkehr durch Übertragung<br />

der Maßstäbe des Energiekartellrechts<br />

auf die Wasserversorgung wurde<br />

die Situation für diese Unternehmen<br />

noch verschärft. Diesen ist es dadurch<br />

auferlegt, gegenüber der Preisaufsichtsbehörde<br />

bzw. den Gerichten den Nachweis<br />

für die Begründetheit höherer Wasserlieferpreise<br />

gegenüber Vergleichsunternehmen<br />

zu erbringen, was in der<br />

Praxis, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt<br />

möglich sein dürfte.<br />

Diese Problematik, wie auch die politische<br />

Dimension des Themas, sind wohl<br />

auch der Landeskartellbehörde <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong> bewusst. Dementsprechend<br />

favorisiert die Landeskartellbehörde<br />

für die kartellrechtliche Preismissbrauchsaufsicht<br />

in der Wasserversorgung<br />

in Abweichung vom<br />

enwag-Urteil eine Wasserpreisprüfung<br />

nach dem Prinzip der Kostenprüfung,<br />

die sich an den Grundsätzen für die Regulierung<br />

der Netznutzungsentgelte für<br />

Strom und Gas orientiert 3 . Auf dieser<br />

Grundlage betreibt die Landeskartellbehörde<br />

gegenüber drei privatrechtlich<br />

organisierten Wasserversorgungsunternehmen<br />

im Land derzeit ein Preisprüfungsverfahren.<br />

Darüber hinaus wird<br />

aus Reihen der Landeskartellbehörde 4 ,<br />

unabhängig ihrer Rechtsform, eine flächendeckende<br />

Anwendung der kartellrechtlichen<br />

Preismissbrauchsaufsicht<br />

auf alle Wasserversorgungsunternehmen<br />

im Land gefordert. Von den rund<br />

1.300 Wasserversorgungsunternehmen<br />

im Land sind lediglich 79 bzw. rund 6<br />

Prozent privatrechtlich organisiert und<br />

unterliegen der Preisaufsicht der Landeskartellbehörde.<br />

Dies hat die Landeskartellbehörde <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>,<br />

nach bundesweiter<br />

Abstimmung, aber nicht davon abgehalten,<br />

eine flächendeckende landesweite<br />

Erhebung der Wasserpreise in <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong> im August 2010 auf den<br />

Weg zu bringen. Begründet wurde dies<br />

u.a. damit, dass in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Wasserversorgungsunternehmen in<br />

Städten über 25.000 Einwohner zu hohe<br />

Konzessionsabgabensätze bei der Bemessung<br />

der Wasserkonzessionsabgabe zugrunde<br />

legen würden (sog. „Schwellenwertproblematik“),<br />

indem nicht die Einwohnerzahl<br />

vom 17. Mai 1939, sondern<br />

die der Volkszählung von 1987 zugrunde<br />

gelegt werden, was in der Vergangenheit<br />

allenfalls geduldet wurde. Aufgrund dieses<br />

Umstands würden von den betreffenden<br />

Wasserversorgungsunternehmen<br />

missbräuchlich zu hohe Wasserpreise<br />

bzw. Wassergebühren von den Wasserabnehmern<br />

erhoben. Die betreffenden Unternehmen<br />

wurden aufgefordert, ab dem<br />

1. Januar 2011 nur noch die niedrigeren<br />

Sätze anzuwenden.<br />

Dieser Auffassung wurde schon 2005<br />

durch den <strong>Gemeindetag</strong> und den Städtetag<br />

heftig widersprochen. In zwei Landtagsdrucksachen<br />

hat 1989 das Wirtschaftsministerium<br />

die Anwendung der<br />

Ergebnisse der Einwohnerzahlen 5 aus der<br />

Volkszählung 1987 für neu abzuschließende<br />

Stromkonzessionsverträge auf der<br />

Grundlage der KAE für maßgeblich erklärt.<br />

Nachdem damals die KAE auch die<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

Grundlage für die Bemessung der Konzessionsabgabe<br />

für Strom, Gas und Wasser<br />

war und diese seit 1992 ausschließlich<br />

noch für Wasser weiter gilt, kann<br />

nichts anderes gelten.<br />

Ohnehin wurde bereits in den Jahrzehnten<br />

zuvor im Rahmen der Körperschaftsteuerrichtlinien,<br />

in Abstimmung mit<br />

dem Bundeswirtschaftsministerium, die<br />

Anwendung der nach 1939 stattgefundenen<br />

Volkszählungen, wie z.B. 1946 und<br />

1950, für die Bemessung der Konzessionsabgabensätze<br />

für Strom, Gas und<br />

Wasser für anwendbar erklärt. Zudem<br />

hatte in der Vergangenheit das Wirtschaftsministerium<br />

im Rahmen von § 11<br />

der KAE regelmäßig Befreiungen von den<br />

Vorgaben der Einwohnerzahlen des Jahres<br />

1939 als Maßstab bei der Berechnung<br />

der Wasser-KA erteilt. Das Vorgehen der<br />

Landeskartellbehörde entbehrt aus Sicht<br />

von <strong>Gemeindetag</strong> und Städtetag daher<br />

jeglicher Grundlage.<br />

Auch handelt es sich bei diesem Thema<br />

um keine Bagatelle für die davon laut<br />

Landeskartellbehörde betroffenen 25<br />

bis 30 Städte. Allein für die Stadt Stuttgart<br />

würden daraus jährliche Mindereinnahmen<br />

von 2 Mio. Euro, für die<br />

Stadt Pforzheim von 400.000 Euro resultieren.<br />

Fußnoten<br />

1 Az. KVR 66/08.<br />

2 enwag energie- und wassergesellschaft mbh.<br />

3 Vgl. Prof. Dr. Willi Weiblen, Ministerialdirigent<br />

im Wirtschaftsministerium <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>,<br />

„Auswirkungen des BGH-Urteils zum Wasserkartellrecht<br />

in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>“, <strong>BWGZ</strong><br />

2010 S. 455 ff.<br />

4 Vgl. Prof. Dr. Willi Weiblen, Ministerialdirigent im<br />

Wirtschaftsministerium <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>,<br />

„Auswirkungen des BGH-Urteils zum Wasserkartellrecht<br />

in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>“, <strong>BWGZ</strong> 2010<br />

S. 457 „Gebühren oder Preise“. Unklar ist, ob es<br />

sich dabei nur um die Meinung des Autors oder<br />

die offizielle Haltung des Wirtschaftsministeriums<br />

handelt. In einem Gespräch am 24.10.2010 mit<br />

Herrn Minister Pfister u.a. zur Wasserpreisprüfung<br />

wurde von Prof. Dr. Weiblen erklärt, es gäbe<br />

keine Absicht/Forderung der LkartB, die<br />

Maßstäbe des Kartellrechts und die Wasserpreisaufsicht<br />

auch auf den Gebührenbereich der<br />

Wasserversorgung ausdehnen zu wollen.<br />

5 LT-Drs. 10/1391 vom 30.3.89 und 10/2099 vom<br />

6.9.89.<br />

6 § 14 Abs. 1 FAG.<br />

36 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

Beide Kommunalverbände haben sich<br />

daher im abgelaufenen Jahr erneut vehement<br />

gegen die Haltung der Landeskartellbehörde<br />

gestellt. Auf politischem<br />

Wege konnte erreicht werden, dass das<br />

Wirtschaftsministerium, dass die bisherige<br />

Praxis der „Duldung“ der Anwendung<br />

der Einwohnerzahlen des Jahres<br />

1987 für die Bemessung der Konzessionsabgabe<br />

für die Wasserversorgung<br />

durch das Wirtschaftsministerium noch<br />

bis Ende 2011 fortgesetzt wird.<br />

Das Wirtschaftsministerium ist bis dahin<br />

bestrebt, eine Änderung der KAE<br />

und damit der Bestimmungen für die<br />

Bemessung der Konzessionsabgabe für<br />

die Wasserversorgung auf Bundesebene<br />

zu erreichen. Dabei soll angestrebt werden,<br />

die Einwohnerzahlen aus der Zensusbefragung<br />

(„Volkszählung“) 2011 in<br />

eine aktualisierte Fassung der Regelungen<br />

für die Konzessionsabgabe Wasser<br />

zu übernehmen.<br />

Eine harte Gegenposition haben <strong>Gemeindetag</strong><br />

und Städtetag im vergangenen<br />

Jahr gegenüber der Auffassung der<br />

Landeskartellbehörde auch beim Thema<br />

der Preisaufsicht eingenommen. Für<br />

die öffentlich-rechtlichen Unternehmen<br />

gelten hier ausschließlich das KAG<br />

und die dazu ergangene vielfältige<br />

Rechtsprechung 6 . Das Gebührenrecht<br />

ist somit keineswegs, wie es die Kartellbehörden<br />

in ihren Forderungen zur<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Foto: irisblende.de<br />

Übertragung der Preisaufsicht an sie<br />

auch für den öffentlich-rechtlichen Sektor<br />

der Öffentlichkeit glauben machen<br />

möchten, ein rechtsfreier Raum für die<br />

Gestaltung der Wasserpreise. Die Wasserversorgungsgebühren<br />

im öffentlichrechtlichen<br />

Sektor unterliegen einer<br />

mehrfachen Kontrolle: einer demokratischen,<br />

durch die Beschlussfassung in<br />

den Gemeinderäten auf der Grundlage<br />

von Kalkulationen, der Kontrolle durch<br />

die Rechtsaufsichtsbehörden wie Landratsämter<br />

und Regierungspräsidien sowie<br />

durch die Verwaltungsgerichte.<br />

Eine Preisaufsicht auf der Grundlage des<br />

Vergleichsmarktprinzips bzw. eine Kostenprüfung,<br />

wie von den Kartellbehörden<br />

gefordert, würden zudem einen<br />

massiven Eingriff in das kommunale<br />

Selbstverwaltungsrecht nach Art. 28 GG<br />

darstellen, in der in die Daseinsvorsorge<br />

und die Entscheidungskompetenz der<br />

demokratisch gewählten und legitimierten<br />

Gemeinderäte in Bezug auf Versorgungssicherheit,<br />

Qualität und ortsnahe<br />

Wasserversorgung eingegriffen werden<br />

Gesplittete Abwassergebühr<br />

Mit Urteil vom 11.3.2010 (<strong>BWGZ</strong> 2010<br />

S. 469) hat der Verwaltungsgerichtshof<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> festgestellt, dass<br />

die Abwassergebühren künftig getrennt<br />

für die Niederschlagswasserbeseitigung<br />

und die Schmutzwasserbeseitigung zu<br />

erheben sind. Dass bei der Abwasserbeseitigung<br />

in Zukunft die Gebühren nicht<br />

mehr ausschließlich nach dem Frischwassermaßstab<br />

bemessen werden dürfen,<br />

war schon deshalb absehbar, weil in<br />

den meisten anderen Bundesländern<br />

von der Rechtsprechung schon seit Längerem<br />

differenzierte Abwassergebühren<br />

gefordert werden. Überraschend war,<br />

dass auch bei kleineren Kommunen das<br />

Vorhandensein einer so genannten homogenen<br />

Siedlungsstruktur in aller Regel<br />

verneint worden ist.<br />

Damit sind künftig – bis auf ganz wenige<br />

Ausnahmen – alle Städte und Gemeinden<br />

in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> verpflichtet,<br />

die Abwassergebührenbemessung auf ei-<br />

würde. Solchen Bestrebungen wird der<br />

<strong>Gemeindetag</strong> weiterhin entschieden<br />

entgegentreten.<br />

Am Beispiel von Nordrhein-Westfalen<br />

und Rheinland-Pfalz sprechen sich <strong>Gemeindetag</strong><br />

und Städtetag für einen weiteren<br />

Ausbau des bereits in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

etablierten verbändeübergreifenden<br />

Benchmarking in der Wasserversorgung<br />

aus.<br />

Unterstützung findet die Haltung der<br />

kommunalen Verbände im so genannten<br />

LWA-Positionspapier (Bund/Länder-<br />

Arbeitsgemeinschaft Wasser) „Wasserwirtschaftliche<br />

Grundsätze der Wasserversorgung<br />

und ihr Einfluss auf deren<br />

Kosten“ zu den Folgen des BGH-Beschlusses.<br />

Dieses sieht die öffentliche<br />

Wasserversorgung uneingeschränkt als<br />

Aufgabe der Daseinsvorsorge mit Selbstverwaltungsgarantie.<br />

Dabei darf sich die<br />

staatliche Aufsicht primär auf die Fragestellung<br />

verengen, ob die Aufgabenträger<br />

ihrer Versorgungsaufgabe zweckmäßig<br />

und wirtschaftlich wahrnehmen.<br />

nen so genannten gesplitteten Gebührenmaßstab<br />

umzustellen. Da diese Umstellung<br />

mit aufwendigen Flächenerhebungen<br />

verbunden ist (die an die öffentliche<br />

Kanalisation angeschlossenen<br />

Grundstücksflächen müssen erfasst und<br />

– je nach Ausgestaltung der örtlichen<br />

Satzung – mit einem Abflussbeiwert umgerechnet<br />

werden), dürften nur wenige<br />

Kommunen eine Umstellung des Gebührenmaßstabs<br />

im Laufe des Jahres<br />

2010 durchgeführt haben. Die weit überwiegende<br />

Mehrheit der Gemeinden wird<br />

frühestens im Jahr 2011 die neue Gebührensatzung<br />

mit geändertem Maßstab beschließen<br />

können.<br />

Das vom <strong>Gemeindetag</strong> bereits im Jahr<br />

2001 (<strong>BWGZ</strong> 2001 S. 834) veröffentlichte<br />

Muster einer Gebührensatzung für<br />

gesplittete Abwassergebühren wurde<br />

zwischenzeitlich aktualisiert und an die<br />

in der Praxis anzutreffenden Gebührensatzungen<br />

angepasst. Während das ur-<br />

37


Bilanz und Perspektiven<br />

sprüngliche Satzungsmuster lediglich<br />

zwischen befestigten und unbefestigten<br />

(angeschlossenen) Flächen unterscheidet,<br />

wird nunmehr zwischen schwach,<br />

mittel und stark befestigten Flächen mit<br />

so genannten Abflussbeiwerten von 0,3,<br />

0,6 und 0,9 unterschieden. Daneben<br />

enthält die Satzung Sonderregelungen<br />

für Versickerungsanlagen und Zisternen.<br />

Erfreulich ist, dass zwischenzeitlich<br />

von der Rechtsprechung (VGH Ba-<br />

Die Löschwassergebühr – ein Zukunftsthema?<br />

Landauf landab sind die Kämmereien damit<br />

beschäftigt, die Rechtsprechung des<br />

VGH zur gesplitteten Abwassergebühr so<br />

schnell wie möglich umzusetzen. Für<br />

viele Verwaltungen und einen großen<br />

Teil der Gemeinderäte stellt sich dabei<br />

auch die Frage nach der Rechtfertigung<br />

des damit verbundenen erheblichen<br />

Aufwands und der Kosten für ein Stück<br />

mehr an Einzelfallgerechtigkeit. Aber<br />

immerhin gibt es in diesem Zusammenhang<br />

auch ökologische Effekte, die mit<br />

einer verstärkten Entsiegelung von Oberflächen<br />

und einer Vermeidung einer weiteren<br />

Oberflächenversiegelung verbunden<br />

sind und daher eine gesplittete Abwassergebühr<br />

rechtfertigen können.<br />

Im Zusammenhang mit der kartellrechtlichen<br />

Preismissbrauchsprüfung wird<br />

durch die Kartellbehörden die Berechti-<br />

den-<strong>Württemberg</strong>, Beschluss vom<br />

20.9.2010, 2 S 136/10) auch das in der<br />

<strong>BWGZ</strong> 20001 S. 844 veröffentlichte Modell<br />

für die Kalkulation der getrennten<br />

Gebührensätze akzeptiert wurde. Es<br />

liegt somit im Ermessen jeder Gemeinde,<br />

ob sie die Kosten für die Schmutz-<br />

und Niederschlagswasserbeseitigung<br />

nach Pauschalwerten oder individuell<br />

anhand einer erweiterten Kostenstellenrechnung<br />

aufteilen möchte.<br />

gung infrage gestellt, die Kosten für die<br />

allgemeine Löschwasserversorgung im<br />

Rahmen der öffentlichen Wasserversorgung<br />

dem Wasserkunden über den Wasserpreis<br />

mit in Rechnung zu stellen. Die<br />

Konsequenz hieraus ist, dass ein nicht<br />

unerheblicher Kostenanteil des Wasserversorgungsnetzes<br />

nicht mehr über den<br />

Wasserpreis mitfinanziert werden dürfte.<br />

Eine jahrzehntelange Praxis wird damit<br />

auf einmal als preismissbräuchlich gebrandmarkt.<br />

Was vordergründig im vermeintlichen<br />

Interesse der Wasserkunden<br />

an möglichst niedrigen Wasserpreisen<br />

durch die Kartellbehörden verkauft wird,<br />

geht entweder zulasten des Gewinns des<br />

Versorgungsunternehmens oder aber,<br />

was regelmäßig der Fall sein dürfte, zulasten<br />

allgemeiner Steuermittel. Es handelt<br />

sich also dabei um nicht mehr als eine<br />

besondere Art von Verschiebebahnhof.<br />

Gt-service GmbH des <strong>Gemeindetag</strong>s <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

Demgegenüber gelten nach § 6 KAE<br />

i.V.m. § 12 A/KAE als verbilligte Sachleistungen<br />

nicht unentgeltliche oder<br />

verbilligte Wasserlieferungen für Feuerlösch-,<br />

Feuerlöschübungszwecke […]<br />

sowie die verbilligte oder kostenlose<br />

Einrichtung und Unterhaltung von Anlagen<br />

für Löschwasserversorgung und<br />

Feuerschutz durch eine Wasserversorgung.<br />

Die Kostentragung für die Löschwasserversorgung<br />

ist somit eine zulässige<br />

konzessionsvertragliche Nebenleistung,<br />

die als betrieblicher Aufwand, wie<br />

die Konzessionsabgabe selbst, auch<br />

preisrechtlich anzuerkennen ist.<br />

Auch nach dem LAWA-Papier (Bund/<br />

Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser) gehört<br />

die Sicherstellung einer ausreichenden<br />

Wassermenge mit ausreichendem<br />

Druck im Bedarfsfall für die Löschwasserversorgung<br />

in den Siedlungsgebieten<br />

zur Sicherstellung der öffentlichen<br />

Trinkwasserversorgung.<br />

Der <strong>Gemeindetag</strong> wird sich dafür einsetzen,<br />

dass politisch den Bestrebungen,<br />

die Kosten der Löschwasserversorgung<br />

den Unternehmen bzw. den Kommunen<br />

direkt anzulasten, Einhalt geboten<br />

wird. Am Ende stände keine Entlastung,<br />

sondern die Frage nach der Einführung<br />

einer weiteren Gebühr und mehr Bürokratie.<br />

Gerade aber diese will die Politik<br />

in vielen Sonntagsreden vermeiden und<br />

abbauen.<br />

Maßgeschneiderte Dienstleistungen stellen Städte und Gemeinden nicht nur vor<br />

Ausschreibungen von<br />

Feuerwehrfahrzeugen<br />

Die Unterstützung bei der Durchführung einer<br />

europaweiten Ausschreibung gemeindlicher<br />

Feuerwehrfahrzeuge ist eine Dienstleistung,<br />

die bereits seit vielen Jahren von Städten<br />

und Gemeinden nachfragt wird. Im Jahr 2010<br />

wurden von der Gt-service erneut Feuerwehrfahrzeuge<br />

im europaweiten Vergabeverfahren<br />

ausgeschrieben. Fundierte Kenntnisse im Bereich<br />

europaweiter Ausschreibungen auf der<br />

einen und feuerwehrspezifische Fachkompetenz<br />

auf der anderen Seite, bilden eine optimale<br />

Kombination, um gute Beschaffungsergebnisse<br />

für die teilnehmenden Gemeinden<br />

erzielen zu können.<br />

Betreuungskonzeptionen<br />

Der Ausbau der Kleinkindbetreuung und auch<br />

die Veränderungen im Kindergartenbereich<br />

Az. 036.15<br />

finanzielle, sondern auch vor planerische Herausforderungen.<br />

Die Gt-service unterstützt<br />

daher seit zwei Jahren Städte und Gemeinden<br />

bei der Erarbeitung von Betreuungskonzeptionen.<br />

Die Konzeptionen sollen eine wertvolle<br />

Hilfestellung und Unterstützung für die kommunalpolitischen<br />

Weichenstellungen in den<br />

wichtigen Zukunftsfragen der Kindertagesbetreuung<br />

sein. Die Beratungsleistung umfasst<br />

neben der Auswertung einer ausführlichen<br />

38 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

Bestandserhebung der Betreuungsangebote<br />

und von statistischen Daten insbesondere eine<br />

mittelfristige Bedarfsplanung. Die Bedarfe<br />

an Betreuung für Kinder im Alter von Geburt<br />

bis unter drei Jahren und der ab dem Jahr<br />

2013 bestehende gesetzliche Anspruch auf<br />

Betreuung ab dem ersten Lebensjahr stehen<br />

im Fokus der Betreuungskonzeption. Konkrete<br />

Handlungsempfehlungen für Kommunen<br />

werden erarbeitet und im Entscheidungsgremium<br />

durch die Gt-service vorgestellt.<br />

EDV-Ausstattungen für Schulen<br />

Die Gt-service bietet als weiteren Service die<br />

Ausschreibung der EDV-Ausstattung für Schulen<br />

an. Mit dem modular aufgebauten Serviceangebot<br />

zur Umsetzung der Multimedia-<br />

Empfehlung des Landes und der pädagogischen<br />

Musterlösungen werden Städte und<br />

Gemeinden seit dem Jahr 2009 bei der Auswahl<br />

von wirtschaftlichen Lösungen bei der<br />

EDV-Ausstattung ihrer Schulen unterstützt.<br />

Beschaffung von Schulmobiliar<br />

Mit der Dienstleistung zur Beschaffung von<br />

Schulmobiliar unterstützt die Gt-service Städte<br />

und Gemeinden seit mittlerweile fünf Jahren<br />

bei Planungs- und Ausschreibungsverfahren<br />

für die Einrichtung und Ausstattung aller<br />

Fachgebiete an allgemeinbildenden Schulen<br />

– wirtschaftliche Lösungen können hierdurch<br />

erzielt werden.<br />

Betriebs- und<br />

Organisationshandbuch für<br />

die Abwasserentsorgung<br />

Seit 2008 bietet die Gt-service ein Betriebs-<br />

und Organisationshandbuch für die Wasserversorgung<br />

(BOH Wasser) an. Wasserversorgungsunternehmen<br />

haben für den ordnungsgemäßen<br />

Betrieb ihrer Anlagen Sorge zu tragen<br />

und müssen darum eine funktionierende<br />

betriebliche Organisation schaffen und diese<br />

auch dokumentieren. Durch ein Betriebs- und<br />

Organisationshandbuch wird diesen Anforderungen<br />

Rechnung getragen. Gleiches gilt für<br />

die Abwasserbeseitigung. Nachdem die<br />

Nachfrage nach dem BOH Wasser sehr groß<br />

ist und das Handbuch bereits rund einhundermal<br />

verkauft wurde, hat sich die Gt-service<br />

dazu entschlossen nun auch ein Betriebs- und<br />

Organisationshandbuch für die Abwasserbeseitigung<br />

anzubieten. Nähere Informationen<br />

erfolgen in Kürze über Gt-info.<br />

1. Bündelausschreibung Gas<br />

Erstmals wurde 2010 der kommunale Erdgasbedarf<br />

europaweit ausgeschrieben. Hieran<br />

beteiligen sich rund 100 Städte, Gemeinden,<br />

Landkreise, Zweckverbände und kommunale<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Unternehmen in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>. Ausgeschrieben<br />

wurden rund 1.600 Abnahmestellen<br />

mit einem Gesamtjahresbedarf von insgesamt<br />

rund 280 Gigawattstunden. Die Ausschreibung<br />

war in insgesamt 28 Lose aufgeteilt.<br />

Der Lieferzeitraum beträgt 2 Jahre. Bei<br />

der 1. Bündelausschreibung Gas 2011 bis<br />

2012 haben 13 Bieter ein Angebot abgegeben.<br />

Die Anzahl der abgegebenen Angebote<br />

deutet auf einen stark überdurchschnittlichen<br />

Wettbewerb hin. Die erzielten Preise für die<br />

Erdgaslieferung liegen allesamt im unteren<br />

Bereich der marktüblichen Preise und sind –<br />

gemessen an der Marktsituation – als wirtschaftlich,<br />

in einigen Fällen zudem als sehr<br />

günstig zu bewerten.<br />

1. Bündelausschreibung<br />

„Wartung und Instandhaltung<br />

von Straßenbeleuchtungs-<br />

anlagen“<br />

In den nächsten Jahren werden 257 Straßenbeleuchtungsverträge,<br />

die in den 90er-Jahren<br />

zwischen der <strong>Baden</strong>werk AG und ihren Konzessionsvertragsgemeinden<br />

geschlossen wurden<br />

sukzessive enden.<br />

Bereits zum 31.12.2010 werden 100 Verträge<br />

hiervon, nahezu die Hälfte, auslaufen. Die<br />

letzten Verträge laufen Ende 2014 aus. Die<br />

Anlagen werden dann, entsprechend der auf<br />

einem Mustervertrag der <strong>Baden</strong>werk AG beruhenden<br />

einheitlichen Regelungen ohne Bezahlung<br />

eines Kaufpreises, in das Eigentum<br />

der Kommunen übergehen. Ab dem Zeitpunkt<br />

des Eigentumsübergangs müssen die<br />

Städte und Gemeinden den Betrieb und die<br />

Instandhaltung der Straßenbeleuchtung sicherstellen.<br />

Vor diesem Hintergrund hat sich die Gt-service<br />

GmbH dazu entschlossen, eine 1. Bündelausschreibung<br />

„Betrieb und Instandhaltung<br />

von Straßenbeleuchtungsanlagen“<br />

durchzuführen.<br />

Ende 2010 konnten interessierte Städte und<br />

Gemeinden die Gt-service GmbH beauftragen,<br />

den Betrieb und die Instandhaltung –<br />

hierzu zählen Inspektion, Wartung und Instandsetzung<br />

– der Straßenbeleuchtungsanlagen<br />

für eine feste Vertragslaufzeit von acht<br />

Jahren im Offenen Verfahren europaweit auszuschreiben.<br />

Neben den festen Leistungsbestandteilen Betrieb<br />

und Instandhaltung sind auch optionale<br />

Leistungen wie Standsicherheitsprüfungen<br />

sowie Leuchtenanstriche ausgeschrieben<br />

worden.<br />

Das Vergabeverfahren läuft derzeit noch.<br />

Nach Beendigung des Verfahrens wird über<br />

die Gt-info weiter informiert.<br />

Strombündelausschreibung<br />

2010 wiederum erfolgreich<br />

durchgeführt<br />

Wie in den vorangegangenen Jahren konnte<br />

die Dienstleistungsgesellschaft des <strong>Gemeindetag</strong>s<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, die Gt-service<br />

GmbH, auch 2010 erneut eine landesweite<br />

gemeinsame Strombündelausschreibung für<br />

225 Städte, Gemeinden, Landkreise, Zweckverbände<br />

und kommunale Unternehmen<br />

durchführen und erfolgreich abschließen.<br />

Bei den Teilnehmern handelte es sich überwiegend<br />

um die Verbandsstädte und -gemeinden<br />

des Neckarelektrizitätsverbands<br />

(NEV). Entsprechend fand die Bündelausschreibung<br />

2010 wie bereits 2003, 2005 und<br />

2007 wieder in erster Linie im Auftrag und in<br />

Kooperation mit dem NEV statt. Knapp 10<br />

Prozent der Teilnehmer beteiligten sich erstmals<br />

an der Bündelausschreibung.<br />

Die Gesamtleistung wurde in insgesamt 12<br />

Lose aufgeteilt. Auf dieser Basis kamen Fachlose<br />

für Sondervertrags-, Tarif-, Wärmestrom-<br />

und Straßenbeleuchtungsabnahmestellen<br />

sowie für Ökostrom für rund 11.100 Abnahmestellen<br />

mit einem Gesamtstrombedarf von<br />

rund 238 Gigawattstunden pro Jahr und einem<br />

Vergabewert von über 40 Millionen Euro<br />

pro Jahr zur Ausschreibung. Von den Teilnehmern<br />

wurde in der diesjährigen Ausschreibung<br />

vermehrt Ökostrom nachgefragt (ca. 65<br />

GWh).<br />

Die Stromlieferung wurde für einen Lieferzeitraum<br />

von zwei Jahren (1.1.2011 bis<br />

31.12.2012) ausgeschrieben. Die Ausschreibung<br />

erfolgte in Form einer strukturierten<br />

Beschaffung mit 4 Beschaffungsstichtagen.<br />

Die durchschnittliche Kostensteigerung gegenüber<br />

der letzten Ausschreibung im Jahr<br />

2007 betrug rund 1,8 Prozent. Hervorzuheben<br />

ist, dass sich die Kosten der Ökostromlose<br />

mit Neuanlagenquote kaum von den Normalstrom-Losen<br />

unterscheiden. Insgesamt kann<br />

man die erzielten Energiepreise für die Stromlieferung<br />

– gemessen an der Marktsituation<br />

und den gestellten vertraglichen Anforderungen<br />

– als wirtschaftlich und teilweise sogar als<br />

günstig bewerten.<br />

Az. 036.21<br />

39


Bilanz und Perspektiven<br />

Florian Domansky *<br />

Jahresbericht aus dem Europabüro der baden-württembergischen Kommunen<br />

Die EU im Jahr 1 nach Inkrafttreten<br />

des Lissabon-Vertrags<br />

Aus Sicht des Europabüros der badenwürttembergischen<br />

Kommunen stand<br />

das Jahr 2010 voll und ganz im Zeichen<br />

des Inkrafttretens des kommunalfreundlichen<br />

Lissabon-Vertrags zum 1. Dezember<br />

2009, mit dem nunmehr der örtliche<br />

Selbstverwaltungsgedanke als Ausfluss<br />

nationaler – insbesondere süddeutscher<br />

– Identität erstmalig auch im<br />

europäischen Primärrecht verankert<br />

und damit für die Zukunft eine andere<br />

Wahrnehmung der kommunalen Ebene<br />

im Europäischen Mehrebenensystem zu<br />

erwarten ist.<br />

Mit Blick auf diese bevorstehende EU-<br />

Vertragsänderung zu kommunalen<br />

Gunsten und vor dem Hintergrund der<br />

erfolgten Neukonstituierung des Europäischen<br />

Parlaments stellte daher –<br />

wenn auch unter besonderen Vorzeichen<br />

– der Austausch mit den badenwürttembergischenEuropaabgeordneten<br />

auch im Jahreswechsel 2009/2010<br />

ein zentrales Anliegen der kommunalen<br />

Landesverbände dar.<br />

Institutionalisierung der Hintergrundgespräche<br />

schafft Mehrwert<br />

für gegenseitiges Verständnis<br />

Zu den Teilnehmenden am Hintergrundgespräch<br />

Ende November 2009 in Kehl<br />

am Rhein, das wie üblich organisatorisch<br />

und inhaltlich vom Europabüro vorbereitet<br />

wurde, zählten von baden-württembergischer<br />

Kommunalseite neben<br />

dem Landrat des Rhein-Neckarkreises,<br />

Dr. Jürgen Schütz, und dem Leonberger<br />

Oberbürgermeister Bernhard Schuler in<br />

ihrer Rolle als Präsident bzw. Vize-Präsident<br />

von Landkreistag und Städtetag<br />

auch <strong>Gemeindetag</strong>spräsident Roger Kehle<br />

sowie der Hauptgeschäftsführer des<br />

Landkreistags, Professor Eberhard<br />

Trumpp, das geschäftsführende Vorstandsmitglied<br />

des Städtetags, Oberbürgermeister<br />

a.D. Professor Stefan Gläser,<br />

und der Oberbürgermeister der Gastgeberstadt<br />

Kehl, Dr. Günther Petry.<br />

Dabei drehte sich der Meinungsaustausch<br />

zuvorderst um kommunale<br />

Schwerpunkte für die neue Legislaturperiode<br />

2009 bis 2014 aus Sicht der einzelnen<br />

EP-Fraktionen wie auch die künftig<br />

noch bessere kommunale Mitwirkung<br />

an der europäischen Willensbildung im<br />

Lichte des Lissabon-Vertrags. Regionalen<br />

Medienvertretern von Presse und<br />

Rundfunk konnten die kommunalen<br />

Positionen hierzu in einem vorgelagerten<br />

Gespräch an der örtlichen Hochschule<br />

für öffentliche Verwaltung dargelegt<br />

werden.<br />

Neue EU-<br />

Daseinsvorsorgekompetenz:<br />

Kommunen hinterfragen<br />

Handlungsnotwendigkeit<br />

Einer der zentralen Schwerpunkte war<br />

dabei der neue Art. 14 AEUV, der nunmehr<br />

eine EU-Rahmengesetzgebungskompetenz<br />

im kommunalsensiblen Bereich<br />

der Daseinsvorsorge vorsieht. In<br />

diesem Zusammenhang erteilte <strong>Gemeindetag</strong>spräsident<br />

Kehle einer starren<br />

Definitionsvorgabe des Begriffs der<br />

Daseinsvorsorge von Seiten der EU eine<br />

deutliche Absage. So sei für ihn gerade<br />

dieser Bereich von einer so enormen<br />

Dynamik geprägt, dass eine Definitionshoheit<br />

ausschließlich bei der unmittelbar<br />

betroffenen, nämlich der kommunalen<br />

Ebene liegen dürfe. Als Beispiel<br />

führte er dabei die Breitbandversorgung<br />

des ländlichen Raums ins Feld, die vor<br />

Jahren noch niemand dem Bereich der<br />

Daseinsvorsorge zugeordnet habe.<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

Vor diesem Hintergrund forderten die<br />

Kommunalvertreter eine grundsätzlich<br />

bessere Einbindung in die europäischen<br />

Willensbildungsprozesse in einem frühen<br />

Stadium, um damit dem Geist des<br />

durch den Lissabonner Vertrag erstmalig<br />

primärrechtlich verankerten kommunalen<br />

Selbstverwaltungsgedanken<br />

auch in der Verfassungswirklichkeit ausreichend<br />

Rechnung zu tragen. Weiterhin<br />

wurden die kommunalen Forderungen<br />

im Zuge des Inkrafttretens des Vertrags<br />

von Lissabon in komprimierter<br />

Form durch einen so genannten „Kehler<br />

Appell“ unterstrichen.<br />

10 Jahre Bürogemeinschaft:<br />

Jubiläum im Zeichen des<br />

Lissabonner Vertrags<br />

Seine Fortsetzung fand dieser kommunal-europäische<br />

Dialog im Zuge des<br />

10-jährigen Bestehens der Brüsseler Bürogemeinschaft<br />

der Europabüros der<br />

baden-württembergischen, bayerischen<br />

und sächsischen Kommunen im März<br />

2010. Aus diesem Anlass hatte die kommunale<br />

Bürogemeinschaft zusammen<br />

mit ihren insgesamt zehn Trägerverbänden<br />

zu einer großen Konferenz in den<br />

Brüsseler Ausschuss der Regionen (AdR),<br />

der auch als Mitveranstalter agierte, geladen.<br />

Dem Konferenzmotto „Europäischer<br />

Kurswechsel – mehr kommunale Mitbestimmung<br />

durch den Lissabon-Vertrag“<br />

waren dabei nahezu 200 Teilnehmer,<br />

darunter knapp 100 kommunale Mandatsträger<br />

und Verbandsvertreter aus<br />

* Florian Domansky ist Leiter des Europabüros<br />

der baden-württembergischen Kommunen<br />

in Brüssel.<br />

40 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

den drei Bundesländern, gefolgt. Zur<br />

baden-württembergischen Delegation<br />

zählte auch <strong>Gemeindetag</strong>spräsident Roger<br />

Kehle. Erklärtes Ziel war es, Wege<br />

und Möglichkeiten zu diskutieren, wie<br />

die kommunalfreundlichen Elemente<br />

des Lissabon-Vertrags zeitnah in die europäische<br />

Verfassungswirklichkeit überführt<br />

werden können.<br />

AdR auf gutem Weg zum Fernziel<br />

„Organstatus“ – Kommunen<br />

müssen sich für Europa öffnen<br />

Für den Landrat des württembergischen<br />

Hohenlohekreises, Helmut M. Jahn,<br />

Präsident des Landkreistags <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong> sowie Mitglied des Präsidiums<br />

des Deutschen Landkreistags und<br />

des Ausschusses der Regionen, sei man<br />

im Europäischen Parlament doch oftmals<br />

noch weit entfernt von den Bürgern.<br />

Dies gelte aber für andere EU-Institutionen<br />

in Brüssel und die Bundesregierung<br />

in gleicher Weise. So seien gerade<br />

die Kommunen das Scharnier für die<br />

zielgerichtete Vermittlung von Europa<br />

beim Bürger.<br />

Der Lissabon-Vertrag gebe nunmehr<br />

der kommunalen Ebene die notwendigen<br />

Instrumente an die Hand, von den<br />

EU-Institutionen tatsächlich gelebte<br />

Subsidiarität einzufordern. Hinsichtlich<br />

des strukturierten Dialogs des AdR<br />

mit der Kommission mahnte er zudem<br />

an, diesen noch weiter zu intensivieren.<br />

Hierzu müsste jedoch in einem<br />

frühzeitigen Stadium das vor Ort vorhandene<br />

Fachwissen abgerufen werden<br />

können. Dies setze aber wiederum auch<br />

eine noch offenere Haltung gegenüber<br />

Europa in den eigenen Verwaltungsreihen<br />

voraus.<br />

Weiterhin sei überlegenswert, in den<br />

Generaldirektionen der Kommission<br />

Dienstellen einzurichten, die sich explizit<br />

um kommunale Belange kümmerten.<br />

Den AdR sah Jahn insgesamt auf<br />

einem guten Weg in der Entwicklung<br />

hin zum Fernziel „Organstatus“. Als einen<br />

wichtigen Meilenstein hierfür bezeichnete<br />

er das neu errungene Klagerecht<br />

bei Subsidiaritätsverstößen, das<br />

durchaus ein „Schwert zum Drohen“<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

darstelle, auch wenn es aus seiner Sicht<br />

nur in Extremfällen zur Anwendung<br />

kommen werde.<br />

<strong>Gemeindetag</strong>spräsident Kehle<br />

betont in Brüssel die kommunale<br />

Rolle als Kraftfeld der Demokratie<br />

Die Notwendigkeit der steten Dialogbereitschaft<br />

der kommunalen Ebene in Sachen<br />

Europa und eine entsprechende<br />

Präsenz griff auch der Präsident des <strong>Gemeindetag</strong>s<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, Roger<br />

Kehle, in seinem Schlusswort auf. So unterstrich<br />

er, welche Bedeutung dem Einbringen<br />

der kommunalen Anliegen direkt<br />

vor Ort in Brüssel zukomme. Gerade<br />

die Kommunen seien das Kraftfeld einer<br />

jeden Demokratie und dort sei Politik<br />

erst konkret erlebbar. Auf diese kommunale<br />

Kompetenz müsse Europa bauen.<br />

Folglich bleibe die Schaffung eines Ausschusses<br />

für kommunale Fragen im EU-<br />

Parlament ein zentrales Anliegen, damit<br />

sich der kommunale Dialog auch parlamentsintern<br />

weiter verstetigen könne.<br />

Seinen würdigen Abschluss fand das<br />

Bürogemeinschaftsjubiläum am selben<br />

Abend im Rahmen eines feierlichen<br />

Empfangs in den kommunalen Hallen<br />

des historischen Brüsseler Rathauses<br />

am Grand Place, zu dem als Redner u.a.<br />

die <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>er Rainer Wieland,<br />

Vize-Präsident des Europäischen<br />

Parlaments, und Günther H. Oettinger,<br />

EU-Kommissar für Energie, Grußworte<br />

sprachen.<br />

Als eine erste Erkenntnis aus dem nunmehr<br />

angestoßenen Prozess bleibt festzuhalten,<br />

dass der kommunale Weg<br />

trotz der bereits erreichten Errungenschaft<br />

vor allem aufgrund der unterschiedlichen<br />

Verfassungstraditionen in<br />

den Mitgliedstaaten steinig bleiben<br />

wird. Damit war auch die Marschroute<br />

für das restliche Arbeitsjahr der Bürogemeinschaft<br />

für ein noch intensiveres<br />

Rühren der Werbetrommel durch aktive<br />

Vor-Ort-Präsenz im Sinne einer starken<br />

kommunalen Selbstverwaltung vorgezeichnet.<br />

Bilanz und Perspektiven<br />

Das AdR-Weißbuch<br />

zum Mehrebenen-Regieren 2010<br />

einer der Arbeitsschwerpunkte<br />

des Europabüros<br />

Vor dem Hintergrund, dass jedoch das<br />

politische System der EU bis in die Gegenwart<br />

hinein der notwendigen Beachtung<br />

des kommunalen Selbstverwaltungsgedankens<br />

in nur unzureichendem<br />

Maße Rechnung trägt, hatte der<br />

Brüsseler Ausschuss der Regionen bereits<br />

im Sommer 2009 ein so genanntes<br />

Weißbuch zum Europäischen Mehrebenen-Regieren<br />

verabschiedet.<br />

Inhaltlich wirbt das klar strukturierte<br />

Weißbuch für ein Umdenken in der Zusammenarbeit<br />

der verschiedenen Politik-<br />

und Verwaltungsebenen innerhalb<br />

der EU. So setzt es sich mit der grundlegenden<br />

kommunalbedeutsamen Thematik<br />

des Mehrebenen-Regierens<br />

(„Multi-Level-Governance“) im politischen<br />

System der EU auseinander. Dabei<br />

steht es für ein klares Umdenken in der<br />

Zusammenarbeit der verschiedenen Politik-<br />

und Verwaltungsebenen innerhalb<br />

der EU. Durch zahlreiche sehr konkrete<br />

Vorschläge verleiht es den langjährigen<br />

Forderungen der kommunalen Ebene<br />

Nachdruck, stärker in die Entscheidungsfindung<br />

auf europäischer Ebene<br />

einbezogen zu werden. Gleichzeitig<br />

warnt das Weißbuch vor einer übersteigerten<br />

Vereinheitlichung auf Kosten der<br />

regionalen und vor allem lokalen Vielfalt<br />

Europas.<br />

Im Nachgang zur offiziellen Verabschiedung<br />

des Weißbuchs durch das AdR-<br />

Plenum waren sodann die kommunalen<br />

Akteure aufgerufen, sich mit ihren Positionen<br />

zum Weißbuch einzubringen.<br />

Insgesamt zeigt die Auswertung der insgesamt<br />

147 Konsultationsbeiträge, dass<br />

diese neben einigen internationalen Organisationen<br />

und EU-Institutionen<br />

überwiegend von kommunalen und regionalen<br />

Akteuren selbst stammen, so<br />

auch von der Brüsseler Europabürogemeinschaft<br />

der baden-württembergischen,<br />

bayerischen und sächsischen<br />

Kommunen.<br />

�<br />

41


Bilanz und Perspektiven<br />

Bürogemeinschaft als „good<br />

practice“-Beispiel für kommunale<br />

EU-Kommunikation erwähnt<br />

Über alle Beiträge hinweg konstatiert<br />

der Auswertungsbericht, dass trotz der<br />

Unterschiede im politischen System der<br />

einzelnen Mitgliedstaaten die grundsätzlichen<br />

Ziele und der Ansatz des<br />

Weißbuchs umfänglich mitgetragen<br />

werden. Folglich verweist der Bericht<br />

auch auf die Herausforderung, eine politische<br />

und administrative Kultur des<br />

Mehrebenen-Regierens in Europa herauszubilden.<br />

So identifiziert der Bericht<br />

die Notwendigkeit einer aktiven Kommunikationspolitik,<br />

um das Bewusstsein<br />

für das Konzept des Mehrebenen-<br />

Regierens bei lokalen Mandatsträgern<br />

und in den Kommunalverwaltungen<br />

weiter zu vertiefen.<br />

An dieser Stelle verweist der Bericht explizit<br />

u.a. auf die Vorbildfunktion der<br />

Brüsseler Bürogemeinschaft in diesem<br />

Bereich, stellt diese doch durch ihre aktive<br />

Rolle im Europäischen Gesetzgebungsverfahren<br />

und bei der EU-Fördermittelberatung<br />

für die nahezu 4.000<br />

Mitgliedsgemeinden, -städte, -landkreise<br />

und -bezirke mit mehr als 27 Mio.<br />

Einwohnern ihrer zehn Trägerverbände<br />

seit nunmehr zehn Jahren selbst ein gelebtes<br />

Beispiel Europäischen Mehrebenen-Regierens<br />

dar.<br />

Bezug genommen wurde vor diesem<br />

Hintergrund auch auf den möglichen<br />

Beitrag eines künftigen Förderprogramms<br />

für kommunale Mandatsträger<br />

für den grenzüberschreitenden Erfahrungsaustausch,<br />

um die Europafähigkeit<br />

der kommunalen Ebene weiter zu<br />

stärken.<br />

EU-Förderpolitik:<br />

Kontinuierliche Beratung,<br />

aber auch Blick nach vorne<br />

Neben dem Ausblick auf künftige Fördermöglichkeiten<br />

stand auch das Bewerben<br />

von EU-Fördermöglichkeiten im laufenden<br />

Jahr auf der Tätigkeitsliste des Europabüros,<br />

nachdem die aktuelle EU-Förderperiode<br />

2007 bis 2013 sich nunmehr<br />

bereits seiner Halbzeit nähert.<br />

Das Europabüro der baden-württembergischen<br />

Kommunen stand dabei den<br />

Mitgliedsstädten und -gemeinden des<br />

<strong>Gemeindetag</strong>s <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

auch im Jahr 2010 als kompetenter Ansprechpartner<br />

zur Verfügung und konnte<br />

durch individuelle Beratung zu kommunalrelevanten<br />

EU-Fördermitteln erfolgreich<br />

zur Beantragung und Bewilligung<br />

beitragen.<br />

Die Beratung des Europabüros der baden-württembergischen<br />

Kommunen zu<br />

EU-Fördermitteln basierte, wie in den<br />

Jahren zuvor, auf den folgenden drei<br />

Säulen:<br />

• Im Förderratgeber, der von allen<br />

Städten und Gemeinden kostenfrei<br />

über das Extranet des <strong>Gemeindetag</strong>s<br />

abgerufen werden kann, bietet das<br />

Europabüro eine Übersicht über alle<br />

kommunalrelevanten EU-Förderprogramme.<br />

• In der wöchentlichen Informationsschrift<br />

„Brüssel Aktuell“ informiert<br />

das Europabüro über aktuelle Ausschreibungen<br />

im Rahmen der EU-<br />

Förderprogramme. „Brüssel Aktuell“<br />

steht ebenfalls allen <strong>Gemeindetag</strong>smitgliedern<br />

kostenfrei als elektronischer<br />

Dienst zur Verfügung.<br />

• Darüber hinaus besteht für jede Mitgliedskommune<br />

die Möglichkeit der<br />

direkten Kontaktaufnahme mit dem<br />

Europabüro der baden-württembergischen<br />

Kommunen. Das Europabüro<br />

prüft dann für jeden konkreten<br />

Einzelfall, ob eine EU-Förderung in<br />

Frage kommt und informiert über die<br />

Einzelheiten der Fördermittelbeantragung.<br />

Abzeichnende Entwicklungen in<br />

der Kohäsionspolitik nach 2013<br />

Wie im Gespräch der Spitzen der kommunalen<br />

Landesverbände mit Vertretern<br />

der Generaldirektion Regionalpolitik<br />

im Rahmen des bereits erwähnten<br />

10-jährigen Bürogemeinschaftsjubiläums<br />

in der Brüsseler Landesvertretung<br />

deutlich wurde, befinden sich die Diskussionen<br />

um die Kohäsionspolitik<br />

nach 2013 bereits in einem vorgeschrittenen<br />

Stadium im Brüsseler Raum.<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

So lag dem Europabüro bereits zum Jahreswechsel<br />

2009/2010 der Entwurf einer<br />

Kommissionsmitteilung zur Reform des<br />

EU-Haushalts vor. Dieser wurde zwar<br />

nicht vom alten Kommissarskollegium<br />

förmlich beschlossen; seine inhaltliche<br />

Brisanz hatte aber in Brüsseler Kreisen<br />

für nachhaltigen Diskussionsbedarf in<br />

den ersten Monaten des Jahres 2010 gesorgt.<br />

So deutete der inoffizielle Entwurf<br />

mögliche Weichenstellungen an, z.B.<br />

eine deutliche Re-Fokussierung auf einzelne<br />

Kernprioritäten. Dies war mit<br />

Blick auf die EU-weite Vielfalt an verschiedenen<br />

lokalen Bedürfnissen aus<br />

kommunaler Sicht kritisch zu sehen, zumal<br />

damit dem neuen Vertragsziel des<br />

Territorialen Zusammenhalts durch den<br />

Lissabon-Vertrag, das eher für einen<br />

ortsbasierten Ansatz steht, nicht entsprechend<br />

Rechnung getragen wird.<br />

Kommunalkritische EU-<br />

Kohäsionspläne der Kommission<br />

Konträr hierzu verhielt sich aus kommunaler<br />

Sicht zudem der Grundgedanke des<br />

Entwurfs, in der Zukunft stärker einen<br />

sektoralen Ansatz der EU-Förderung zu<br />

wählen. So steht hier zu befürchten, dass<br />

dadurch Förderprogramme für Projektgrößen<br />

mit entsprechend hohen Mittelvolumina<br />

erstellt würden, in denen sich<br />

die lokale Ebene – insbesondere kleine<br />

Kommunen – allein schon mit Blick auf<br />

ihre Verwaltungskapazitäten nicht mehr<br />

beteiligen könnten. Gleichzeitig steht<br />

ein rein sektoraler Ansatz der Überzeugung<br />

entgegen, dass grundlegende Herausforderungen<br />

einer Europäischen Gesellschaft<br />

heute nur noch disziplinübergreifend<br />

angegangen werden können,<br />

zumal die EU-Regionalpolitik über die<br />

Strukturfondsförderung ohnehin den<br />

bislang einzigen Mechanismus darstellt,<br />

der auch unterstaatliche Akteure entsprechend<br />

einbindet.<br />

Damit würde die Verankerung des kommunalen<br />

Selbstverwaltungsrechts im<br />

Lissabon-Vertrag konterkariert werden.<br />

Gerade die Einbindung der lokalen Ebene<br />

und die Sichtbarkeit der Auswirkungen<br />

von EU-Fördermitteln für den Bürger,<br />

auch in wohlhabenden Regionen,<br />

dienen der Verankerung des Europäi-<br />

42 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

schen Gedankens vor Ort. Folglich war<br />

aus baden-württembergischer Kommunalsicht<br />

kritisch zu sehen, dass der Entwurf<br />

stärker auf den Gedanken der ausschließlichen<br />

Fokussierung auf die wirtschaftlich<br />

rückständigsten Regionen der<br />

EU abzielte.<br />

Ausschuss der Regionen<br />

positioniert sich zu Gunsten<br />

der Kommunen<br />

In Rahmen seiner Plenartagung im April<br />

2010 in Brüssel hatte sich daher der Ausschuss<br />

der Regionen in seiner Prospektivstellungnahme<br />

zur „Zukunft der Kohäsionspolitik“<br />

der EU nach dem Jahr<br />

2013 zum Wohle der Kommunen positioniert.<br />

Gegenstand der Stellungnahme<br />

sind die Herausforderungen, die<br />

Prinzipien, die Architektur und das Umsetzungssystem<br />

der künftigen Kohäsionspolitik<br />

sowie die Rolle der lokalen<br />

und regionalen Gebietskörperschaften.<br />

Die Stellungnahme spricht sich dafür<br />

aus, an einer ehrgeizigen Kohäsionspolitik<br />

als zentralem Bestandteil des europäischen<br />

Integrationsmodells festzuhalten.<br />

Die Mitglieder des AdR stellten klar,<br />

dass diese Politik weiterhin allen Regionen<br />

zugute kommen müsse, wobei sich<br />

der größte Teil der Mittel auf die bedürftigsten<br />

Mitgliedstaaten und Regionen<br />

konzentrieren sollte. Das Ziel „Regionale<br />

Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“<br />

(Ziel 2) müsse aber weiterhin alle<br />

übrigen Regionen der EU unterstützen.<br />

Der AdR betont darüber hinaus, dass<br />

sich der subsidiäre Ansatz der Kohäsionspolitik<br />

und das Prinzip der Mehrebenenverwaltung<br />

bewährt hätten. Diese<br />

müssten durch eine weitere Stärkung<br />

der Rolle der lokalen und regionalen<br />

Gebietskörperschaften in allen Phasen<br />

der Programmierung, Umsetzung und<br />

Evaluierung weiter ausgebaut werden.<br />

Europaabgeordnete nehmen<br />

ebenfalls kommunalfreundlich<br />

Stellung zur EU-Kohäsionspolitik<br />

Von Seiten des Europäischen Parlaments<br />

hatte der dortige Ausschuss für Regionalpolitik<br />

bereits im November 2009<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

eine informelle Arbeitsgruppe zur Zukunft<br />

der EU-Kohäsionspolitik eingesetzt.<br />

Mit dieser wird ein doppeltes Ziel<br />

verfolgt. Einerseits sollte die Arbeit der<br />

von der Kommission eingesetzten,<br />

hochrangigen Expertengruppe begleitet<br />

werden. Andererseits sollte die Arbeitsgruppe<br />

Empfehlungen für den Ausschuss<br />

zu den für die Entscheidung über<br />

die zukünftige Kohäsionspolitik wichtigen<br />

Themen vorbereiten.<br />

Im Oktober 2010 hatten die Europaabgeordneten<br />

nunmehr erwartungsgemäß<br />

das von der Arbeitsgruppe erarbeitete<br />

Positionspapier verabschiedet. Dieses<br />

besteht aus einer – ausdrücklich nicht<br />

abschließenden – Liste von 15 Punkten<br />

zur Zukunft der EU-Kohäsionspolitik<br />

nach 2013, über die Konsens in den<br />

Fraktionen besteht. So unterstreicht das<br />

Papier eingangs die Bedeutung der Regionalpolitik<br />

als eine Politik für das gesamte<br />

Unionsgebiet und für alle Regionen.<br />

Sie habe sich für den Europäischen<br />

Integrationsprozess als wesentlich erwiesen.<br />

Es handele sich bei ihr um eine<br />

Politik mit europäischem Mehrwert, die<br />

Modernisierung und nachhaltiges<br />

Wachstum unterstütze und ebenso den<br />

Europäischen Solidaritätsgedanken unterstreiche.<br />

Die wichtigsten Punkte lauten:<br />

• Die Kohäsionspolitik ist unabdingbar<br />

für den Erfolg der Europa 2020-Strategie<br />

/ eine Renationalisierung ist zurückzuweisen;<br />

• Beibehaltung der aktuellen Ziele / BIP<br />

weiterhin Hauptkriterium für die<br />

Einteilung;<br />

• Votum für den Verbleib des Europäischen<br />

Sozialfonds in der Kohäsionspolitik;<br />

• Förderung polyzentrischer Entwicklung<br />

/ Stärkung der urbanen Dimension;<br />

• Mehrebenenregieren als ein Schlüsselprinzip<br />

anerkennen;<br />

• Vereinfachung des Antragssystem gefordert<br />

/ stärkere Nutzung anderer<br />

Finanzinstrumente.<br />

EU 2020: Jahr 2010 als Geburtsjahr<br />

für neue EU-Strategie<br />

der kommenden Dekade<br />

Neben der zukünftigen Kohäsionspolitik<br />

als eines der kommunalbedeutsamsten<br />

EU-Politikfelder bildet die bereits<br />

erwähnte Europa 2020-Strategie den<br />

übergeordneten EU-Handlungsrahmen<br />

für die kommende Dekade im Nachgang<br />

zur Lissabon-Strategie aus dem Jahr<br />

2000, die das Europabüro bereits im Jahr<br />

ihrer Verabschiedung 2010 maßgeblich<br />

beschäftigte.<br />

Die im Frühjahr 2010 verabschiedete<br />

Strategie, die auf intelligentes, nachhaltiges<br />

sowie integratives Wachstum abzielt,<br />

konkretisiert sich durch fünf, bis<br />

2020 zu verwirklichende Kernziele:<br />

• 75 Prozent der Bevölkerung im Alter<br />

von 20 bis 64 Jahren sollen in Arbeit<br />

stehen;<br />

• 3 Prozent des EU-BIP sollen für Forschung<br />

und Entwicklung aufgewendet<br />

werden;<br />

• 20-20-20-Klimaschutz-/Energieziele<br />

sollen erreicht werden (einschließlich<br />

einer Erhöhung des Emissionsreduktionsziels<br />

auf 30 Prozent, falls<br />

entsprechenden Voraussetzungen erfüllt<br />

sind);<br />

• Anteil der Schulabbrecher soll auf<br />

unter 10 Prozent abgesenkt werden<br />

und mindestens 40 Prozent der jüngeren<br />

Generation sollen einen Hochschulabschluss<br />

haben;<br />

• Zahl armutsgefährdeter Personen soll<br />

um 20 Millionen sinken.<br />

Während die ersten beiden Ziele aus<br />

Lissabon-Zeiten herrühren – und damals<br />

bereits im noch weniger ambitionierten<br />

Umfang nicht erreicht werden<br />

konnten – und das Klimaschutzziel den<br />

jüngeren Entwicklungen im globalen<br />

Kontext geschuldet ist, kommt den beiden<br />

letztgenannten Zielen durchaus<br />

Neuigkeitscharakter zu, die weit in die<br />

originären Zuständigkeitsbereiche der<br />

Kommunen hineinreichen. Deutlich<br />

wird daher bereits an dieser Stelle, dass<br />

eine tatsächliche Verwirklichung auf<br />

EU-Ebene unabdingbar mit der erfolgreichen<br />

Einbeziehung von lokalen Ansätzen<br />

in den kommunalen Handlungs-<br />

43


Bilanz und Perspektiven<br />

feldern „Wirtschaft und Beschäftigung“,<br />

„Klima- und Energie“ sowie „Bildung<br />

und Integration“ verknüpft ist.<br />

Zahlreiche EU-Rechtsgebiete<br />

bestimmen Europabüro-Agenda –<br />

Vergaberecht erneut im Fokus<br />

Darüber hinaus hatte sich das Europabüro<br />

im abgelaufenen Jahr auch wieder<br />

mit zahlreichen EU-Rechtsgebieten auseinanderzusetzen.<br />

Wie auch schon in<br />

den Vorjahren ist hierbei vorneweg das<br />

EU-Vergaberecht und seine extensive<br />

Auslegung auf die Interkommunale Zusammenarbeit<br />

zu nennen. So hatte in<br />

jüngerer Zeit der Europäische Gerichtshof<br />

einige äußerst kommunalrelevante<br />

Urteile zum Spannungsverhältnis zwischen<br />

dem EU-Vergaberecht und der<br />

Interkommunalen Zusammenarbeit gefällt,<br />

die in Teilen auch bereits Erörterungsgegenstand<br />

in der <strong>BWGZ</strong> waren 1 .<br />

2010 hatte diese Rechtsprechungstrendwende<br />

nunmehr auch ihren parlamentarischen<br />

Niederschlag auf EU-Ebene<br />

gefunden. So wurde vergangenen Mai<br />

der Initiativbericht „Neue Entwicklungen<br />

im öffentlichen Beschaffungswesen“<br />

der baden-württembergischen Abgeordneten<br />

Heide Rühle (Grüne/FEA)<br />

mit großer Mehrheit verabschiedet. Der<br />

Text zeichnet dabei ein realistisches Bild<br />

über die Problematiken in einem Rechtsgebiet,<br />

das die kommunale EU-Agenda<br />

– gerade im Hinblick auf die Interkommunale<br />

Zusammenarbeit – wie kaum<br />

ein weiteres in den vergangenen Jahren<br />

dominiert hat.<br />

Mit Blick auf den Rühle-Bericht ist dabei<br />

geradezu bemerkenswert, wie die Europaabgeordneten<br />

ganz im Geiste ihrer<br />

1 Zum sog. „Stadtreinigung Hamburg“-Urteil vgl.<br />

ausführlich Portz, Keine Ausschreibung kommunaler<br />

Kooperation, in: <strong>BWGZ</strong> 18/2009. Das Urteil<br />

selbst kann unter Eingabe des Aktenzeichen<br />

C-480/06 unter http:// curia.europa.eu/jurisp/<br />

cgi-bin/from.pl?lang=de auf Deutsch online eingesehen<br />

werden.<br />

durch den Lissabon-Vertrag gestärkten<br />

Rolle geschickt die Gunst der Stunde in<br />

der Übergangszeit zwischen der Barroso-I-<br />

und der Barroso-II-Kommission zu<br />

nutzen wussten, um die politische<br />

Agenda mit ihren kommunalrelevanten<br />

Themen zu besetzen. Damit trotzten die<br />

Parlamentarier der Kommission das Initiativrecht,<br />

das letzterer – auch nach<br />

dem Lissabon-Vertrag – de iure noch zusteht,<br />

de facto ab und verstetigten einen<br />

sich bereits in der jüngeren Vergangenheit<br />

immer deutlicher abzeichnenden<br />

Trend der inter-institutionellen Kompetenzverschiebung.<br />

Bewertung des Rühle-Berichts<br />

aus kommunaler Sicht<br />

Erfreulich zu bewerten ist die Klarheit,<br />

mit der der Rühle-Bericht die nunmehr<br />

in Teilen erfolgte Rechtssicherheit dokumentiert.<br />

Ungeachtet dessen verweist<br />

er allerdings folgerichtig auch auf das<br />

Urteil „Datenzentrale <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>“<br />

vom 15. Oktober 2009. Dieses<br />

weist nicht nur unmittelbaren kommunalen<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>-Bezug auf,<br />

sondern muss in der zeitlichen Abfolge<br />

auch nach der „Stadtreinigung<br />

Hamburg“-Entscheidung eingeordnet<br />

werden. Damit haben die Luxemburger<br />

Richter den zuvor wiedereröffneten<br />

Handlungsspielraum für die generelle<br />

Vergaberechtsfreiheit von öffentlichöffentlichen<br />

Kooperationen erneut in<br />

restriktiverer Weise eingeengt.<br />

Ungeachtet der Frage nach der Schlüssigkeit<br />

der EuGH-Argumentation bzgl.<br />

des Rechtschutzinteresses und der<br />

Dringlichkeit wurde einem Hauptknackpunkt<br />

des Verfahrens aus kommunaler<br />

Sicht leider kaum Beachtung zuteil.<br />

So wurde – gerade im Lichte der<br />

jüngst eingeleiteten Rechtsprechungstrendwende<br />

zum Verhältnis „Vergaberecht<br />

und öffentlich-öffentliche Einrichtungen“<br />

– einmal mehr die Chance<br />

vertan, vehementer den besonderen<br />

Charakter der interkommunalen Kooperation<br />

auf Grundlage einer öffentlichen<br />

Organisationshoheit und die daraus<br />

resultierende Unanwendbarkeit des<br />

Vergaberechts in den Argumentationsvordergrund<br />

zu stellen.<br />

Bewertung des Urteils<br />

„Datenzentrale <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong>“<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

Mit Blick auf die durch den Rühle-Bericht<br />

erstmalig parlamentarisch dokumentierten<br />

Ausnahmekriterien hätten<br />

in diesem Zusammenhang weitere Anschlussfragen<br />

durchaus ihre Beantwortung<br />

verdient. So wäre zumindest zu<br />

prüfen gewesen, inwieweit es sich bezüglich<br />

der Kraftfahrzeugzulassungssoftware<br />

um „eine Zusammenarbeit von<br />

Gebietskörperschaften bei der Wahrnehmung<br />

einer ihnen allen obliegenden<br />

öffentlichen Aufgabe“ handelt.<br />

Dass Kommunen im Hinblick auf die<br />

öffentliche Zweckbestimmung entlang<br />

den gemeindewirtschaftsrechtlichen<br />

Vorgaben anerkanntermaßen ein eigener<br />

Beurteilungsspielraum zukommt,<br />

ist sicherlich unbestritten. Wenig zu beanstanden<br />

ist auch das in den vorausgegangenen<br />

EuGH-Urteilen bereits zumindest<br />

unterschwellig angeklungene<br />

„Nähe“- oder „Örtlichkeitsprinzip“,<br />

handelt es sich in diesem Fall doch auf<br />

Seiten des baden-württembergischen<br />

Kooperationspartners um eine von<br />

Kommunen und Land gemeinsam beherrschte<br />

und auf Seiten des bayerischen<br />

Kooperationspartners gar um eine<br />

vollständig kommunal getragene<br />

Anstalt des öffentlichen Rechts, also ein<br />

lediglich nachbarbundeslandsübergreifendes<br />

und nicht etwa deutschland-<br />

oder gar europaweit öffentlich-öffentliches<br />

Zusammenwirken.<br />

Unter deutlich größeren Prüfungsvorbehalt<br />

hätte im Gegensatz hierzu allerdings<br />

das ebenfalls bereits in den letzten<br />

Urteilen aufgestellte Unterkriterium der<br />

gegenseitigen Verpflichtung (sog. Reziprozität)<br />

gestellt werden müssen. Wurde<br />

z.B. der Kooperationscharakter im<br />

Fall „Stadtreinigung Hamburg“ noch<br />

durch ein „wechselseitiges do ut des“,<br />

u.a. in Form von Beistandpflichten im<br />

Notfall, unterstrichen, überwiegt im<br />

vorliegenden Fall augenscheinlich der<br />

einseitig erfolgte Beauftragungscharakter<br />

nach dem – dem Vergaberecht typischer<br />

Weise immanenten – Grundsatz<br />

„Leistung gegen Entgelt“. Wenig förderlich<br />

für eine Vergaberechtsfreiheit hätte<br />

44 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Bilanz und Perspektiven<br />

sich vor diesem Hintergrund wohl auch<br />

die Tatsache ausgewirkt, dass es sich um<br />

eine lediglich einmalige Beschaffung<br />

gehandelt hatte, und nicht um eine auf<br />

Dauer angelegte Kooperation.<br />

Ungeachtet einer nachträglichen Verneinung<br />

der Vergaberechtsfreiheit –<br />

auch im Lichte der jüngsten Rechtsprechung<br />

– ist es im Interesse öffentlicher<br />

Einrichtungen äußerst bedauerlich, dass<br />

auch die Bundesregierung selbst – wie<br />

der EuGH in der Rand-Nr. 52 des Urteils<br />

entsprechend betont – die Anwendung<br />

des EU-Vergaberechts auf den zugrunde<br />

liegenden Sachverhalt nicht zumindest<br />

dem Grundsatz nach stärker in Frage gestellt<br />

hatte. Es drängt sich somit einmal<br />

mehr der Eindruck auf, dass der Bundesebene<br />

wenig an der Interessenswahrung<br />

für ihre Kommunen bezüglich der interkommunalen<br />

Zusammenarbeit auf europäischer<br />

Ebene liegt. Vor diesem Hintergrund<br />

erscheint es gerade für das<br />

neue Jahr um so wichtiger für die kommunale<br />

Ebene, den engen Schulterschluss<br />

mit anderen wichtigen Akteuren<br />

im politischen System der EU zu suchen,<br />

allen voran den Mitgliedern des Europäischen<br />

Parlaments.<br />

„Kommunale Entgeltumwandlung“<br />

und „Einheimischen-Modelle“<br />

weitere wichtige EU-Themen<br />

Der Schulterschluss mit den Europaabgeordneten<br />

wird aus lokaler Sicht auch für<br />

das Jahr 2011 notwendig sein, vollzogen<br />

sich doch auch in weiteren Bereichen<br />

kommunalbedeutsame Entwicklungen.<br />

So gab zum einen der Europäische Gerichtshof<br />

in seinem Urteil vom 15. Juli<br />

2010 in Teilen der Klage der Europäischen<br />

Kommission bezüglich der so genannten<br />

Kommunalen Entgeltumwandlung statt.<br />

Diese hatte in ihrer Klageschrift mit Blick<br />

auf die nicht erfolgte EU-weite Ausschreibung<br />

im Wesentlichen die Vereinbarkeit<br />

der Vergaberichtlinien mit der getroffenen<br />

Vorentscheidung über kommunale<br />

Rahmenvereinbarungen bezüglich der<br />

betrieblichen Altersvorsorge in Form der<br />

so genannten Entgeltumwandlung zugunsten<br />

bestimmter Versorgungsträger<br />

durch eine Vielzahl bundesdeutscher<br />

Großstädte beanstandet.<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Entgegen der Empfehlung von Generalanwältin<br />

Verica Trstenjak (SLO) in ihren<br />

Schlussanträgen vom April 2010, die Klage<br />

insgesamt als unbegründet abzuweisen,<br />

sehen die Luxemburger Richter den<br />

Kommissionsnachweis hinsichtlich der<br />

Schwellenwertüberschreitung – zumindest<br />

dem Grunde nach – als erbracht an.<br />

Bisherige bewährte Kooperation<br />

mit kommunalen Versorgungsträgern<br />

in Frage gestellt<br />

Durch das nunmehr ergangene Urteil<br />

des EuGH dürfte insbesondere für größere<br />

Kommunen mit einer Belegschaft<br />

oberhalb der genannten Beschäftigtenzahlen<br />

ein Umdenken im Hinblick auf<br />

eine künftig EU-rechtskonforme Vergabepraxis<br />

in diesem Bereich angezeigt<br />

sein. Dabei sei aber gerade auch für kleinere<br />

Kommunen mit niedrigerer Beschäftigtenzahl<br />

darauf hingewiesen,<br />

dass sich mit Blick auf das grundsätzliche<br />

Bejahen der Anwendbarkeit des EU-<br />

Vergaberechts auf tarifvertragsrechtliche<br />

Rahmenvereinbarungen bezüglich<br />

der kommunalen Entgeltumwandlung<br />

auch unterhalb der Schwellenwerte bereits<br />

ein allgemeines Transparenzgebot<br />

und Diskriminierungsverbot aus dem<br />

EU-Primärrecht ergibt.<br />

Unter dem Gesichtspunkt der Rückwirkung<br />

stellt das Urteil des EuGH darüber<br />

hinaus den Richtlinienverstoß fest, ohne<br />

eine Aussage dazu zu treffen, ob und<br />

ggf. wie aus dieser Feststellung Schlussfolgerungen<br />

für bereits bestehende Vereinbarungen<br />

zu ziehen sind. So liegt zur<br />

Frage einer hieraus möglicherweise resultierenden<br />

etwaigen Kündigungspflicht<br />

seitens der kommunalen Arbeitgeber<br />

bis dato noch keine höchstrichterliche<br />

Rechtsprechung vor.<br />

Bleibt Kommissionsvorwurf<br />

der kommunalen Diskriminierung<br />

bestehen?<br />

Zum anderen hatte die EU-Kommission<br />

in Bezug auf die so genannten Einheimischen-Modelle<br />

am 24. Juni 2010 beschlossen,<br />

die zweite Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens<br />

nach Art. 258<br />

AEUV mit einem Aufforderungsschreiben<br />

in Form einer mit Gründen versehenen<br />

Stellungnahme an die Bundesrepublik<br />

Deutschland zu richten. Sie ist der<br />

Auffassung, dass die Modelle einiger<br />

deutscher Gemeinden, die den Ortsansässigen<br />

beim Grundstückserwerb günstigere<br />

Preise ermöglichen, EU-Bürger<br />

aus anderen Mitgliedstaaten diskriminieren.<br />

Da die Kommunen einheimischen<br />

Bürgern Baugrundstücke zu Preisen<br />

anböten, die niedriger seien als die<br />

von Gebietsfremden für vergleichbare<br />

Grundstücke verlangten Preise, lägen<br />

nicht nur Verstöße gegen das allgemeine<br />

Diskriminierungsverbot aus Gründen<br />

der Staatsangehörigkeit nach Artikel<br />

18 AEUV vor, sondern auch gegen<br />

mehrere Grundfreiheiten. So wurden<br />

Verstöße gegen die Artikel 21, 45 (Personenverkehrsfreiheit<br />

und Arbeitnehmerfreizügigkeit),<br />

49 (Niederlassungsfreiheit)<br />

und 63 AEUV (Kapitalverkehrsfreiheit)<br />

gerügt.<br />

Die Kommission führte zur Begründung<br />

an, dass EU-Bürger, die sich aus<br />

familiären oder beruflichen Gründen<br />

in einer dieser Gemeinden niederlassen<br />

möchten, gegenüber Ortsansässigen<br />

benachteiligt würden, da sie für ein<br />

vergleichbares Eigenheim mehr zahlen<br />

müssten als Einheimische. Die EU-Bürger<br />

würden aber, sobald sie sich niedergelassen<br />

haben, in gleicher Weise am<br />

Wirtschaftsleben teilnehmen wie die<br />

Einheimischen, die bereits länger dort<br />

wohnhaft seien. Daher sei die von den<br />

betreffenden Gemeinden praktizierte<br />

Diskriminierung nicht zu rechtfertigen.<br />

Mit Blick auf ihre unmittelbare<br />

Auswirkung auf die Kommunallandschaft<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>s werden<br />

somit beide Verfahren das Europabüro<br />

auch im nunmehr angelaufenen Jahr<br />

2011 intensiv beschäftigen.<br />

Az. 009.10; 036.91<br />

45


Allgemeiner Teil<br />

Georg Wacker MdL *<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

Das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit 2011<br />

und Ehrenamt in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>:<br />

Von und durch die Schule ins Ehrenamt –<br />

Ehrenamt qualifiziert<br />

Die Europäische Union hat das Jahr 2011 zum „Europäischen Jahr der Freiwilligentätigkeit“<br />

ausgerufen. In allen Mitgliedsstaaten sollen dazu Aktionen stattfinden. Dabei sollen<br />

Freiwilligentätigkeiten Honorierung und Anerkennung erfahren und für den Wert und die<br />

Bedeutung von ehrenamtlichem Engagement sensibilisiert werden. Übereinstimmend wird in der<br />

Fachliteratur dargestellt, dass Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement integriert, bildet und<br />

vernetzt. Ehrenamtliche Tätigkeit kann deshalb auch als Indikator für Integration gewertet werden.<br />

In <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> engagieren sich<br />

bereits gut 41 Prozent der Bürgerinnen<br />

und Bürger freiwillig im sozialen, kulturellen,<br />

kirchlichen, sportlichen oder politischen<br />

Bereich. Damit belegen wir einen<br />

Spitzenplatz bundesweit. Die schulische<br />

Beteiligung ist häufig prägend für<br />

die spätere Beteiligung von jungen<br />

Menschen in der Gesellschaft. Viele<br />

schulische Maßnahmen wie das Bildungshaus,<br />

in dem die Arbeit von Kindergärten<br />

und Grundschulen auf pädagogischer<br />

Ebene verzahnt wird, bereiten<br />

den Weg für ein besseres soziales Miteinander,<br />

für mehr Rücksichtnahme und<br />

mehr Beteiligung. Die Schule kann dazu<br />

beitragen, dass Kinder und Jugendliche<br />

für die Probleme hilfsbedürftiger Menschen<br />

sensibilisiert werden – und sich<br />

schließlich für diese Menschen und deren<br />

Interessen einsetzen.<br />

Schule bereitet Schülerinnen<br />

und Schüler auf ein Engagement<br />

im Freizeitbereich vor<br />

In der Grundschule gibt es beispielsweise<br />

Projekte zum sozialen Lernen oder Streitschlichterprogramme<br />

wie das Programm<br />

„Faustlos“, das seit Jahren erfolgreich<br />

läuft. In den weiterführenden Schulen<br />

wird diese Zielrichtung fortgeführt: In<br />

Hauptschule und Werkrealschule, in Realschule<br />

und Gymnasium gibt es Programme<br />

für Schülermentoren. Die Schülerinnen<br />

und Schüler bilden sich weiter,<br />

um Verantwortung zu übernehmen.<br />

Ausbildungsbereiche im Mentorenprogramm<br />

sind vielseitig und gehen über<br />

den Bereich Sport, Musik, Soziale Verantwortung,<br />

Verkehrserziehung, Natur- und<br />

Umweltschutz bis hin zu Bildende Kunst,<br />

Medien und Suchtprävention. Die ersten<br />

Schülermentorinnen und -mentoren<br />

wurde im Schuljahr 1994/1995 ausgebildet.<br />

Mittlerweile gibt es in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

fast 30.000.<br />

Schulartübergreifende Projekte und generationenübergreifendes<br />

Engagement<br />

bringen besonders prägende Erfahrungen.<br />

Sie ermöglichen intensive Einblicke<br />

in Sorgen und Nöte, aber auch in<br />

Interessen und Fähigkeiten von anderen<br />

Menschen. Engagierte Schülerinnen<br />

und Schüler lernen mit Interesse und<br />

Durchhaltevermögen eine Aufgabe für<br />

andere wahrzunehmen. Sie knüpfen<br />

neue Kontakte. Sie können Ängste und<br />

Vorurteile abbauen – gerade auch, wenn<br />

sie sich in einer anderen Schulart engagieren.<br />

Am Beispiel der Hausaufgabenhilfe<br />

werden im Austausch zwischen<br />

Schülern des Gymnasiums und der<br />

Werk realschule gemeinsam Lernprozesse<br />

in Gang gesetzt. In einigen Landkreisen<br />

gibt es Kooperationen zwischen der<br />

Werkrealschule oder der Hauptschule<br />

und der Gemeindeverwaltung, z.B. bei<br />

Seniorennachmittagen, in Senioren-PC-<br />

Kursen und anderem mehr.<br />

Ein anderes Beispiel ist das „Themenorientierte<br />

Projekt Soziales Engagement“<br />

(TOP SE) an den Realschulen. Auch dieses<br />

Projekt stärkt die Verbindung zwischen<br />

der Lebenswelt Jugendlicher einerseits<br />

und dem haupt- und ehrenamtlichen<br />

sozialen Engagement in unserer<br />

* Georg Wacker MdL ist Staatssekretär im<br />

Ministerium für Kultus, Jugend und Sport<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> und<br />

Ehrenamtsbeauftragter der Landesregierung.<br />

46 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Allgemeiner Teil<br />

Gesellschaft andererseits: Ein Jahr lang<br />

arbeiten alle Schülerinnen und Schüler<br />

einer Klassenstufe sowohl in innerschulischen<br />

wie in außerschulischen sozialen<br />

Bereichen, zum Beispiel während<br />

eines Sozialpraktikums. Das Projekt<br />

wird anschließend präsentiert und benotet.<br />

Das soziale Engagement wird entsprechend<br />

gewürdigt.<br />

Viele Gymnasien haben ein schuleigenes<br />

Sozialcurriculum entwickelt, das<br />

zum Beispiel Sozialpraktika vorsieht.<br />

Diese Praktika beeinflussen vielfach die<br />

Berufsentscheidung der jungen Menschen.<br />

Und sie führen häufig zu einer<br />

ehrenamtlichem Tätigkeit in genau diesem<br />

Bereich.<br />

So legt die Schule das Fundament für<br />

späteres Engagement im Freizeitbereich<br />

oder für Beteiligung und freiwillige Aktivität<br />

etwa in Vereinen, kirchlichen Engagements<br />

oder einzelnen Projekten.<br />

Außerschulische Partner<br />

aus der Gesellschaft sind wichtig<br />

für spätere Freiwilligenarbeit<br />

Aus pädagogischer Sicht haben außerschulische<br />

Partner einen wichtigen Auftrag:<br />

Sie ergänzen die schulischen Angebote,<br />

wovon alle Seiten profitieren. Wir<br />

erleben eine klassische Win-Win-Situation.<br />

Mit dem Ausbau der geplanten<br />

Ganztagsschulen sind wir auf dem besten<br />

Weg, eine noch stärkere Vernetzung<br />

von Schule, Nachmittagsbetreuung und<br />

außerschulischen Angeboten zu erreichen.<br />

Wir ermutigen die Schulen, über<br />

den eigenen Tellerrand hinauszublicken<br />

und sich für die Gesellschaft zu öffnen,<br />

um pädagogische Konzepte in Zusammenarbeit<br />

mit außerschulischen Partnern<br />

zu entwickeln.<br />

Viele Schulen haben bereits seit vielen<br />

Jahren lebendige Kontakte mit Vereinen,<br />

Kirchen, Unternehmen und anderen<br />

Partnern aus der Gesellschaft. Die<br />

Landesregierung unterstützt und fördert<br />

diese Zusammenarbeit durch entsprechende<br />

Programme wie das Jugendbegleiter-Programm.<br />

Denn die Kooperationen<br />

führen zu einer umfassenderen,<br />

ganzheitlicheren Pädagogik an den<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Schulen, haben spürbare positive Auswirkungen<br />

auf die schulischen Leistungen<br />

und auf das gesellschaftliche Leben<br />

in allen Bereichen.<br />

Jugendliche in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

sind ehrenamtlich aktiv<br />

In keinem anderen Land der Bundesrepublik<br />

Deutschland sind so viele junge<br />

Leute ehrenamtlich aktiv wie in <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong>. Das zeigt auch die Landesauswertung<br />

des Zweiten Freiwilligensurveys.<br />

Viele Beispiele vor Ort unterstreichen,<br />

dass <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

außerordentlich reich an Menschen ist,<br />

die sich uneigennützig für andere einsetzen.<br />

Bezogen auf das Jugendengagement<br />

gibt es hier zahlreiche Programme<br />

und Projekte. Viele davon laufen seit<br />

Jahren erfolgreich und haben Tausenden<br />

von jungen Menschen die Möglichkeit<br />

zur Teilhabe an und zur aktiven<br />

Mitgestaltung der Gemeinschaft gegeben.<br />

Über 290.000 Jugendliche besitzen<br />

einen Qualipass, in dem ehrenamtlich<br />

aktive junge Menschen ihre außerschulisch<br />

erworbenen Qualifikationen dokumentieren.<br />

Neben dem bereits erwähnten Programm<br />

für Schülermentoren engagieren<br />

sich Mädchen und Jungen jedes Jahr<br />

wieder neu beim Projekt „Mitmachen<br />

Ehrensache“. Fast 8.000 Schülerinnen<br />

und Schüler aus rund 480 Schulen, die<br />

sich im letzten Jahr an der Aktion beteiligt<br />

haben, stellten über 154.000 Euro<br />

für einen guten Zweck zur Verfügung. In<br />

diesem Jahr setzen Schülerinnen und<br />

Schüler bereits zum zehnten Mal ihre<br />

Arbeitskraft, ihre Freizeit und die erarbeiteten<br />

Erlöse bereitwillig ein, um sozial<br />

benachteiligte oder ausgegrenzte<br />

Menschen zu unterstützen.<br />

Das Engagement Jugendlicher hat einen<br />

wichtigen Stellenwert in der Gesellschaft.<br />

Umfragen belegen aber auch,<br />

dass Menschen, die sich bereits in der<br />

Jugend engagieren, ihr Leben lang freiwillig<br />

aktiv bleiben.<br />

Die Ergebnisse des Freiwilligensurveys<br />

zeigen eindeutig ein hohes Potenzial für<br />

die Zukunft: Jeder dritte Deutsche über 14<br />

Jahren übt freiwillig oder ehrenamtlich<br />

eine Tätigkeit aus. Zusätzlich zu den heute<br />

bereits engagierten Jugendlichen ist<br />

etwa jeder zweite Jugendliche bereit,<br />

künftig eine freiwillige Tätigkeit zu übernehmen.<br />

Egal, ob wir uns den in Vereinen<br />

organisierten Sport, die Musik, das Theaterspiel,<br />

kirchliche und soziale Projekte<br />

oder Aktivitäten in Umwelt- und Natur-<br />

oder Tierschutzvereinen anschauen – sie<br />

haben eines gemeinsam: Sie alle fördern<br />

soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit,<br />

Ausdauer, Fleiß, Selbstdisziplin und Verantwortungsbewusstsein.<br />

Die im Ehrenamt<br />

gesammelten Erfahrungen und die<br />

daraus erlernbare Einstellung brauchen<br />

wir für eine zukunftsfähige Gesellschaft,<br />

die Werte wie Solidarität, Gemeinschaft<br />

und Toleranz auch wirklich lebt.<br />

Auch die Landesregierung tut das ihre,<br />

um das Ehrenamt in allen gesellschaftlichen<br />

Bereichen zu erleichtern und mit<br />

ideellen, organisatorischen und finanziellen<br />

Förderungsmaßnahmen zu unterstützen.<br />

Zum Beispiel wird mit den zweimal<br />

jährlich stattfindenden Regionalkonferenzen<br />

der Dialog mit den Bürgerinnen<br />

und Bürgern intensiviert. Zugleich<br />

dienen sie der Information über die bestehenden<br />

Förder- und Unterstützungsinstrumente<br />

des Landes im Bereich des<br />

Ehrenamts. Ebenso arbeiten wir an einer<br />

Verbesserung der Rahmenbedingungen<br />

und am Abbau bürokratischer Hürden.<br />

Das betrachte ich als wichtige Daueraufgabe<br />

– gerade im „Europäischen Jahr der<br />

Freiwilligentätigkeit“.<br />

Az. 401.53<br />

47


Allgemeiner Teil<br />

Roland Burger und Max Reger *<br />

2011: Internationales Jahr der Wälder –<br />

eine Chance für die Kommunen<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2011 zum Internationalen Jahr der Wälder erklärt.<br />

So soll weltweit das Bewusstsein für die Bedeutung und den nachhaltigen Umgang mit Wäldern<br />

aller Art gefördert werden. Dies trifft im Waldland <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> den Nerv der Zeit.<br />

Mit einem Flächenanteil von 38 Prozent ist der Wald ein wichtiger Bestandteil der gesellschaftlichen<br />

und politischen Wahrnehmung. Den Kommunen als größter Eigentumsgruppe bietet sich<br />

die Chance, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass wirtschaftliche und soziale Aspekte des Waldes<br />

miteinander im Einklang stehen.<br />

In den weltweit knapp 400 Millionen<br />

Quadratkilometer Wald leben nach<br />

Schätzungen der Weltbank rund zwei<br />

Drittel der landbewohnenden Lebewesen<br />

der Erde. An der Nutzung der Wälder<br />

hängt der Lebensunterhalt von<br />

mehr als 1,6 Milliarden Menschen, und<br />

das Handelsvolumen mit Waldprodukten<br />

wird international mit 270 Milliarden<br />

Dollar bewertet. Angesichts dieser<br />

Zahlen sind die Schätzungen der Vereinten<br />

Nationen erschreckend: Danach<br />

gehen jedes Jahr etwa 130.000 Quadratkilometer<br />

Wald – dies entspricht etwa<br />

einem Drittel der Fläche Deutschlands<br />

– durch Siedlungsbau, Landwirtschaft<br />

oder nicht nachhaltige Holznutzung<br />

verloren.<br />

Globale Bedeutung der Wälder<br />

Das Jahr 2011 zum Internationalen Jahr<br />

der Wälder auszurufen, zeigt die Absicht,<br />

der Weltbevölkerung die gewaltige<br />

ökologische, soziale und wirtschaftliche<br />

Bedeutung des Waldes für die Zukunft<br />

unseres Planeten bewusst zu machen.<br />

Unter dem Motto „Wälder für<br />

Menschen“ werden im nächsten Jahr<br />

vom Waldforum der Vereinten Nationen<br />

(UNFF) zahlreiche internationale<br />

Aktionen koordiniert.<br />

In Deutschland hat das Bundesministerium<br />

für Ernährung, Landwirtschaft<br />

und Verbraucherschutz (BMELV) mit einem<br />

eigens eingerichteten Kampagnenbüro<br />

die Federführung für die nationale<br />

Waldkampagne übernommen. Schirmherren<br />

sind Bundespräsident Christian<br />

Wulff und in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> Ministerpräsident<br />

Stefan Mappus.<br />

Waldwirtschaft<br />

in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Als Waldland mit langer Schutz- und<br />

Nutzungstradition ist <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

in besonderer Weise dazu aufgefordert,<br />

einen Beitrag zum Jahr der Wälder<br />

zu leisten. Anders als im internationalen<br />

Kontext geht es bei uns nicht um<br />

das Thema Entwaldung. Der Wald erfüllt<br />

längst nachhaltig vielfältige und<br />

unverzichtbare Funktionen:<br />

• Holz ist der wichtigste<br />

nachwachsende Rohstoff<br />

Produkte und Leistungen des Waldes<br />

garantieren Lebensqualität und Zukunftsfähigkeit<br />

im 21. Jahrhundert. Die<br />

Fähigkeit von Wäldern, Kohlendioxid<br />

in Form von Biomasse zu speichern, ist<br />

die Stärke des Waldes im Kampf gegen<br />

den Klimawandel. Deutschland hat bereits<br />

die höchsten Holzvorräte europaweit.<br />

Hier kann nur durch stoffliche<br />

* Roland Burger ist Präsident der Forstkammer<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> und Bürgermeister der<br />

Stadt Buchen.<br />

Max Reger ist Landesforstpräsident und<br />

Leiter der Geschäftsführung Landesbetrieb<br />

Forst <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> (ForstBW).<br />

48 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Allgemeiner Teil<br />

Holznutzung, vor allem als Baustoff,<br />

weiteres Kohlendioxid gespeichert werden.<br />

Nach dem Prinzip der Kaskadennutzung<br />

kann Holz dann aber auch<br />

energetisch genutzt werden, was wiederum<br />

Kohlendioxid-Freisetzungen aus<br />

fossilen Energieträgern vermeidet. Holz<br />

aus nachhaltiger Waldbewirtschaftung<br />

ist deshalb ein unverzichtbarer Baustoff,<br />

Werkstoff und Energieträger, der maßgeblich<br />

zur sicheren Rohstoffversorgung<br />

von Industrie und Bevölkerung aus heimischen<br />

Quellen beiträgt.<br />

• Unser Wald ist wichtig<br />

für uns Menschen<br />

Heimische Wälder sichern durch ihre<br />

Bewirtschaftung Arbeitsplätze und Einkommen<br />

in ländlichen Räumen, sie filtern<br />

Wasser, sorgen für saubere Luft,<br />

schützen vor Erosion, mindern Lärm<br />

und bieten vielfältige Rückzugsräume<br />

für seltene und gefährdete Tier- und<br />

Pflanzenarten. Wälder sind außerdem<br />

Raum für gesunde Erholung, Bewegung,<br />

Naturerleben und Umweltbildung. Täglich<br />

suchen hier über zwei Millionen<br />

Menschen Entspannung. Vor allem die<br />

stadtnahen Kommunalwälder müssen<br />

dabei hohen und finanziell aufwändigen<br />

Ansprüchen an die Walderschließung<br />

und Infrastruktur genügen.<br />

• Nachhaltige Waldwirtschaft<br />

arbeitet im Einklang mit der Natur<br />

Waldnutzung, Naturschutz und Erholungsfunktion<br />

stehen nicht im Widerspruch<br />

zueinander. Waldinventuren belegen:<br />

Die Wälder in Deutschland haben<br />

sich mit steigenden Holzvorräten, mehr<br />

Vielfalt und Naturnähe sowie einer hohen<br />

Attraktivität für die Bevölkerung<br />

sehr positiv entwickelt. In unseren kommunalen<br />

Wäldern garantiert das Fachpersonal<br />

der Kommunen und von Forst-<br />

BW die naturnahe Waldbewirtschaftung,<br />

die Mensch, Natur, Klima und Holzwirtschaft<br />

gleichermaßen berücksichtigt.<br />

Allerdings wird die wirtschaftliche Nutzung<br />

des Waldes, im Hinblick auf die<br />

Freizeit- und Erholungsnutzung vielfach<br />

als Störfaktor kritisiert. Vor allem<br />

für den Einsatz moderner Holzerntemaschinen<br />

besteht bei der Bevölkerung<br />

ohne beruflichen Bezug zum Wald oft<br />

kein Verständnis.<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Gründe dafür sind das fehlende Bewusstsein<br />

vieler Menschen über die Herkunft<br />

des Holzes und seine Bedeutung<br />

im täglichen Leben. Der Effekt wird von<br />

der Wissenschaft als „Schlachthausparadox“<br />

beschrieben: Sowohl der Wald<br />

als auch der Werkstoff Holz werden allgemein<br />

positiv bewertet, allerdings wird<br />

kein Bezug zwischen beiden hergestellt.<br />

Das Baumfällen wird tendenziell negativ<br />

bewertet, es wird nicht wahrgenommen,<br />

dass das Holz aus dem heimischen<br />

Wald stammt und durch nachhaltige<br />

Forstwirtschaft produziert wird.<br />

In entsprechenden Umfragen fällt auf,<br />

dass ein großer Teil der Bürger zum Begriff<br />

und zur Notwendigkeit von Forstwirtschaft<br />

überhaupt keine Assoziationen<br />

hat. Die Forstwirtschaft scheint<br />

ausgeblendet und wird als „gegenstandsloser“<br />

Faktor in baden-<strong>Württemberg</strong>ischen<br />

Wäldern immer weniger akzeptiert.<br />

Kommunikationsoffensive<br />

für den Wald<br />

Das Jahr der Wälder 2011 bietet die einzigartige<br />

Gelegenheit, diese Verständnislücke<br />

zu schließen. Dabei soll nicht<br />

nur Akzeptanz für die Bewirtschaftung<br />

der Wälder geschaffen, sondern auch<br />

der Bezug zu allen anderen Nutzungsarten<br />

und Waldfunktionen hergestellt<br />

werden. Es gilt zu vermitteln, dass eine<br />

nachhaltige, naturnahe und regionale<br />

Waldbewirtschaftung und Holznutzung<br />

wirtschaftliche, soziale, klimapolitische<br />

und Naturschutzinteressen vereint.<br />

Der Landesbetrieb ForstBW hat das<br />

Kampagnendach der Bundesregierung<br />

weiter entwickelt, so dass sich waldbesitzende<br />

Städte und Gemeinden, Forst-<br />

behörden vor Ort ebenso wie alle anderen<br />

Waldbesitzarten, Verbände und die<br />

Holz verarbeitende Wirtschaft darunter<br />

wiederfinden können. Es sind viele Angebote<br />

geplant, die sowohl Walderlebnis<br />

als auch Wissensvermittlung über<br />

den Wald und seine nachhaltige Bewirtschaftung<br />

ermöglichen.<br />

Insbesondere bei den zwei landesweit<br />

geplanten Aktionen Holzverwendungshinweise<br />

und Holzbänke sind<br />

alle Holzerzeuger und -verwerter herzlich<br />

eingeladen und aufgefordert mitzuwirken.<br />

Nur durch das Engagement aller<br />

Waldbesitzer und der mit dem Wald verbundenen<br />

Organisationen kann die gebührende<br />

Aufmerksamkeit für den Wald<br />

erreicht, können Menschen informiert<br />

und begeistert werden.<br />

Auf www.wald2011.de bzw. www.forstbw.<br />

de stehen detaillierte Informationen zur<br />

Waldkampagne 2011 zur Verfügung. Interessenten<br />

für eine der beiden Aktionen<br />

können sich auch an die Unteren<br />

Forstbehörden bei den Landratsämtern<br />

wenden.<br />

Az. 854.0<br />

Ein Teil der forstlichen Kommunikationsmisere<br />

ist es, nicht „unmittelbar“ Möbel und Papier<br />

zu verkaufen. Um diese Informationslücke<br />

zum Endprodukt zu überbrücken, werden<br />

Rundholzpolter im Wald mit Hinweisen zur<br />

späteren Holzverwendung versehen.<br />

49


Allgemeiner Teil<br />

Eva Strobel *<br />

Vom Boom in die Krise –<br />

aus der Krise in den Aufschwung<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

Das Ausland spricht vom „deutschen Jobwunder“. Als führendes Exportland hat die Wirtschaftskrise<br />

die baden-württembergischen Unternehmen zwar hart getroffen, der Arbeitsmarkt zeigte sich<br />

allerdings robuster als erwartet. Mittlerweile hat die konjunkturelle Erholung Tritt gefasst. <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong> ist vom Boom in die Krise gestürzt und geht jetzt in einen Aufschwung hinein.<br />

Mehrere Faktoren haben zu dieser Stabilität<br />

des Arbeitsmarktes beigetragen:<br />

Zum einen zeigten sich Unternehmen<br />

und Arbeitnehmer flexibel. Arbeitszeitkonten<br />

und Kurzarbeit haben Beschäftigung<br />

gesichert. Die Unternehmen waren<br />

in der Lage, an ihren Stammbelegschaften<br />

festzuhalten, sie sogar während<br />

der freien Zeit weiterzubilden. Bislang<br />

wurden fast 53.000 Beschäftigte während<br />

der Kurzarbeit qualifiziert. Die Arbeitgeber<br />

wissen, dass Fachkräfte der<br />

wichtigste Wettbewerbsvorteil sind, den<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> als Hochtechnologieland<br />

zu bieten hat. Doch qualifizierte<br />

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />

sind nicht unbegrenzt verfügbar. Die Situation<br />

auf dem Arbeitsmarkt dreht sich<br />

wieder: Unternehmen suchen aktiv<br />

nach Fachkräften.<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> hat zwar einen<br />

überdurchschnittlich hohen Anteil an<br />

hoch qualifizierten Beschäftigten, aber<br />

auch einen überdurchschnittlichen Beschäftigungsanteil<br />

an gering qualifizierten<br />

Menschen. Die Wirtschaftskrise hat<br />

den Strukturwandel der Wirtschaft im<br />

Südwesten teilweise noch beschleunigt:<br />

Im Verarbeitenden Gewerbe sind Arbeitsplätze<br />

verloren gegangen, zumeist<br />

von gering Qualifizierten. Im Dienstleistungsbereich<br />

– zum Beispiel im Gesundheits-<br />

und Sozialwesen, bei Erziehung<br />

und Unterreicht sowie im Gastgewerbe<br />

– sind auch im Abschwung noch<br />

Menschen eingestellt worden. Außerdem<br />

hat sich die Arbeitskräftenachfrage<br />

zugunsten hoch Qualifizierter weiter<br />

verschoben.<br />

Wenn <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> seine führende<br />

Position als Hochtechnologiestandort<br />

halten will, braucht das Land<br />

die dazu nötigen Fachkräfte. Gleichzeitig<br />

muss es gelingen, die Arbeitslosigkeit<br />

von gering Qualifizierten zu verhindern.<br />

Der Aufschwung ist kein Selbstläufer.<br />

Es braucht Ausbildung, Weiterbildung<br />

und Qualifizierung auf allen<br />

Ebenen. Agenturen und Jobcenter leisten<br />

ihren Beitrag, die Fachkräftelücke<br />

im Südwesten zumindest zu verkleinern.<br />

Sie arbeiten mit den Menschen,<br />

die hier im Land leben, und beraten Betriebe,<br />

die hier wirtschaften. Im einzelnen<br />

geht es darum, Jugendlichen den<br />

Übergang in die Arbeitswelt zu erleichtern,<br />

Frauen stärker und Ältere länger zu<br />

beschäftigen, Migranten besser an Bildung<br />

und Arbeit teilhaben zu lassen,<br />

gering Qualifizierte weiterzubilden und<br />

Menschen mit Leistungseinschränkungen<br />

an die Arbeitswelt heranzuführen.<br />

Agentur begleitet Übergang<br />

von Schule in Beruf<br />

Schon die erste Schwelle beim Übergang<br />

von Schule in Berufsausbildung wird für<br />

manche Jugendliche zu einem schwierigen<br />

Hindernis. Deshalb gehen die Beraterinnen<br />

und Berater der Arbeitsagenturen<br />

in die Schulen. Prävention statt Reparatur<br />

ist der Anspruch. Zusammen<br />

mit Lehrern und Eltern machen sie Jugendliche<br />

fitter in der Berufswahl, bieten<br />

Hilfen und managen Übergänge<br />

entlang der Biografie der Menschen. Sie<br />

begleiten die wichtigen Lebensphasen<br />

Schule, Ausbildung, Weiterbildung sowie<br />

Familienzeit.<br />

Jugendliche, die beim Start ins Berufsleben<br />

Probleme haben, bedürfen besonderer<br />

Hilfen. Im Rahmen eines durch<br />

die Regionaldirektion <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

geförderten Programms werden an<br />

über 100 Schulen im Land mehr als<br />

3.000 Schülerinnen und Schüler in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

bei der Berufswahl<br />

von Berufseinstiegsbegleitern individuell<br />

beraten und unterstützt. Viele der<br />

Berufseinstiegsbegleiter sind Sozialpädagogen,<br />

die förderungsbedürftigen Jugendlichen<br />

beim Erreichen eines Schul-<br />

* Eva Strobel ist Vorsitzende der<br />

Geschäftsführung der Regionaldirektion<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> der Bundesagentur<br />

für Arbeit.<br />

50 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Allgemeiner Teil<br />

abschlusses und bei der Suche nach einem<br />

Ausbildungsplatz helfen. Sie halten<br />

engen Kontakt zu Lehrern, Schulsozialarbeitern,<br />

Eltern und Beratern der Agenturen<br />

für Arbeit.<br />

Mangel an Weiterbildung<br />

verhindert Anpassung<br />

Gerade der Mangel an Weiterbildung<br />

verhindert, dass die Anpassung an Veränderungen<br />

im Betrieb und am Arbeitsmarkt<br />

besser gelingt. Weiterbildung tut<br />

not und leidet not. Während die Erstausbildung<br />

dank des dualen Systems in<br />

Deutschland einen hohen Stellenwert<br />

hat, ist die Kultur der Weiterbildung nur<br />

schwach entwickelt. Die Arbeitsagenturen<br />

konnten in den vergangen Monaten<br />

zu einem Wandel in den Unternehmen<br />

beitragen: Qualifizierung während Kurzarbeit<br />

kam erst schleppend in Gang,<br />

nahm aber dann Fahrt auf. Mit den Erfahrungen<br />

bleiben die Agenturen auch<br />

nach der Krise an dem Thema Qualifizierung<br />

dran.<br />

Ein gutes Beispiel ist das Modellprojekt<br />

Qualifizierungsberatung für kleine und<br />

mittelständische Unternehmen, das in<br />

insgesamt fünf Regionen in Deutschland<br />

läuft. In Zusammenarbeit mit den<br />

Arbeitgebern durchleuchten Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter der Arbeitsagenturen<br />

Betriebe im Hinblick auf Altersstruktur<br />

und Qualifikation der Belegschaft.<br />

Ziel dabei ist es, den jeweiligen<br />

Weiterbildungsbedarf individuell für<br />

das Unternehmen zu bestimmen und<br />

entsprechende Weiterbildungskonzepte<br />

zu planen.<br />

Das mit Abstand größte Arbeitsmarktrisiko<br />

tragen jedoch gering qualifizierte<br />

und ältere Arbeitnehmer – dennoch ist<br />

ihre Beteiligung an Weiterbildung gering.<br />

Die Bundesagentur für Arbeit wirkt<br />

diesem Risiko unter anderem mit den<br />

zwei Programmen „Weiterbildung Geringqualifizierter<br />

und Beschäftigter in<br />

Unternehmen“ (WeGebAU) und „Initiative<br />

zur Flankierung des Strukturwandels“<br />

(IFlaS) entgegen.<br />

Im Rahmen des WeGebAU-Programms<br />

können Beschäftigte, die gering quali-<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Zahlen, Daten, Fakten<br />

Das Jahr 2010 ist in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> besser<br />

verlaufen als erwartet. Die Erholung der Wirtschaft<br />

beeinflusst den Arbeitsmarkt positiv. Seit<br />

Jahresbeginn ist die Arbeitslosigkeit rückläufig,<br />

die Zahl der offenen Stellen steigt seit Monaten,<br />

die Zeitarbeit zieht im Vergleich zum Vorjahr<br />

kräftig an und Betriebe melden von Monat zu<br />

Monat weniger Kurzarbeit. All dies sind untrügliche<br />

Anzeichen dafür, dass sich die Auslastung<br />

in den Unternehmen nachhaltig verbessert hat.<br />

Die Zahl der Arbeitslosen lag 2009 im Durchschnitt<br />

bei 285.000. Für das aktuelle Jahr werden<br />

durchschnittlich 275.100 arbeitslose Menschen<br />

erwartet, das sind rund 3,5 Prozent weniger.<br />

Im November 2010 waren 241.100 Menschen<br />

arbeitslos. Das sind fast 40.000 (minus 14<br />

Prozent) weniger als im November 2009. Bezogen<br />

auf alle zivilen Erwerbspersonen lag die<br />

Quote im November bei 4,3 Prozent, dem niedrigsten<br />

Stand seit Dezember 2008. Im Jahresdurchschnitt<br />

wird die Arbeitslosenquote 2010<br />

unter die Fünf-Prozent-Marke fallen. Vor einem<br />

Jahr lag die Quote noch bei 5,1 Prozent.<br />

In der Arbeitslosenversicherung – also im Rechtskreis<br />

des Sozialgesetzbuches III (SGB III) – ist die<br />

Zahl der Arbeitslosen deutlich gesunken: Im November<br />

2010 waren nur noch 102.600, das sind<br />

34.000 weniger als noch im November 2009.<br />

Der Rückgang liegt somit bei minus 24,9 Prozent.<br />

Für die Bundesagentur bedeutet das neben<br />

Mehreinnahmen auch geringere Kosten die<br />

für die Arbeitslosigkeit aufgebracht werden<br />

müssen. Die Ausgaben, die die Bundesagentur<br />

für Arbeit für Arbeitslosengeld I als Versicherungsleistung<br />

ausbezahlt hat, beliefen sich von<br />

Januar bis November 2009 auf 2,19 Milliarden<br />

Euro. Im gleichen Zeitraum 2010 sind diese Ausgaben<br />

jedoch auf 1,83 Milliarden Euro gesunken<br />

(minus 16,84 Prozent).<br />

Eine Verbesserung ist auch bei den Langzeitarbeitslosen<br />

im Rechtskreis des Sozialgesetzbuches<br />

II (SGB II) zu verbuchen. So gehörten im November<br />

2010 138.500 Menschen der Grundsicherung<br />

an. Im November 2009 waren es noch<br />

143.600. Im Vergleich sind das 5.200 Arbeitslose<br />

oder 3,6 Prozent weniger als vor einem Jahr. Binnen<br />

eines Jahres sind somit auch die Kosten für<br />

das Arbeitslosengeld II von 1,08 Milliarden Euro<br />

auf 1,04 Milliarden Euro gesunken. Das entspricht<br />

somit einem Minus von 3,22 Prozent.<br />

Die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt<br />

spiegelt sich auch bei den gemeldeten Stellen<br />

wider. So hat die Arbeitskräftenachfrage im November<br />

2010 weiter zugelegt. Die Zahl der gemeldeten<br />

Stellen lag bei 61.200, das ist im Vergleich<br />

zum Vorjahresmonat ein Plus von 22.400<br />

Stellen oder 57,6 Prozent. Seit Jahresbeginn gingen<br />

bei den Agenturen 64.600 Stellen mehr ein<br />

als im Vorjahreszeitraum (plus 35,2 Prozent)<br />

und 30.100 mehr ab (plus 15,5 Prozent).<br />

Die Krise hat sich auf den Ausbildungsstellenmarkt<br />

im Jahr 2010 nicht so stark ausgewirkt wie<br />

befürchtet. So konnten junge Frauen und Männer<br />

am stärksten von der konjunkturellen Erholung<br />

profitierten. Dennoch zeichnen sich Konjunkturverlauf<br />

und Strukturwandel auch am<br />

Ausbildungsstellenmarkt ab. Zum Stichtag Ende<br />

September waren von den 69.000 Jugendlichen,<br />

die über die Arbeitsagenturen nach einem<br />

Ausbildungsplatz gesucht haben, noch 520 ohne<br />

Ausbildungsplatz oder möglichen Alternativen.<br />

Im Vergleich zum Vorjahr ist mehr Jugendlichen<br />

der Einstieg in ein Ausbildungsverhältnis<br />

gelungen. Von den knapp 69.000 gemeldeten<br />

Bewerbern gingen 46,7 Prozent in eine Ausbildung<br />

(Vorjahr: 42,7 Prozent).<br />

Bei den Agenturen und den Jobcentern sind momentan<br />

10.600 junge Frauen und Männer gemeldet,<br />

die weiterhin von den Agenturen betreut werden<br />

wollen. Sie haben zwar eine Alternative, aber<br />

der Wunsch bleibt, eine Ausbildung im erstrebten<br />

Beruf machen zu können.<br />

Auch ist die Arbeitslosigkeit junger Menschen<br />

unter 25 Jahren deutlich gesunken. Im November<br />

2010 waren 18.800 Jugendliche arbeitslos<br />

gemeldet. Das sind knapp 30 Prozent weniger als<br />

noch im November 2009. Dieser Rückgang ist<br />

neben der Konjunktur auch den intensiven Bemühungen<br />

der Arbeitsagenturen und Jobcenter<br />

zu verdanken. Die Jugendarbeitslosenquote lag<br />

im November 2010 mit 2,8 Prozent erstmals seit<br />

Juni 2008 unter der Marke von drei Prozent.<br />

Anders sieht die Situation bei älteren Arbeitslosen<br />

aus: In der Gruppe der über 50-Jährigen stieg die<br />

Arbeitslosigkeit im Vergleich zu November 2009<br />

um 1.400 oder 1,8 Prozent an. Besonders betroffen<br />

sind davon die 55- bis 65-Jährigen. Im Vergleich<br />

zum Vorjahr sind hier 8,9 Prozent mehr arbeitslos<br />

gemeldet. Künftig wird es noch wichtiger<br />

sein, Ältere länger in Beschäftigung zu halten. Die<br />

Arbeitsagenturen unterstützen Unternehmen mit<br />

Weiterbildungsangeboten für ältere Beschäftigte.<br />

Die Kurzarbeit im Land ist weiter rückläufig:<br />

Nach aktueller Hochrechnung gab es im August<br />

in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> noch etwa 32.200 Kurzarbeiter<br />

in 4.000 Betrieben. Im Vergleich zu August<br />

2009 ist das ein Rückgang der Kurzarbeiterzahl<br />

um 84,5 Prozent. Die Zahl der eingehenden<br />

Anzeigen zeigt, dass viele Betriebe wieder ausgelastet<br />

sind. Von Januar bis Oktober haben etwa<br />

5.000 Betriebe für 71.600 Beschäftigte Kurzarbeit<br />

angezeigt. Vor einem Jahr waren es im<br />

gleichen Zeitraum 22.200 Betriebe für 602.000<br />

Beschäftigte. Für November werden Anzeigen<br />

für weitere 6.500 Personen erwartet.<br />

Für das Jahr 2010 erwartet die Regionaldirektion<br />

im Jahresschnitt 3,88 Millionen sozialversicherungspflichtig<br />

Beschäftigte, das entspricht einer<br />

Zunahme gegenüber dem vorigen Jahr um 0,04<br />

Prozent. Der jetzige Aufschwung entfaltet über<br />

das Jahresende hinaus Dynamik. Im kommenden<br />

Jahr werden weniger <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>er<br />

arbeitslos und mehr in Beschäftigung sein.<br />

51


Allgemeiner Teil<br />

fiziert sind oder das 45. Lebensjahr<br />

vollendet haben, gefördert werden.<br />

Von den Agenturen für Arbeit können<br />

die Weiterbildungskosten übernommen<br />

werden, unter bestimmten Voraussetzungen<br />

kann dem Arbeitgeber<br />

ein Zuschuss zum Arbeitsentgelt gezahlt<br />

werden.<br />

Das Programm IFlaS wendet sich an Arbeitslose<br />

und von Arbeitslosigkeit unmittelbar<br />

bedrohte Arbeitnehmer, die<br />

entweder über keinen Berufsabschluss<br />

verfügen oder deren Abschluss durch<br />

längere ungelernte Tätigkeit entwertet<br />

ist. Es können die Kosten für betriebliche<br />

Umschulungen in anerkannten<br />

Ausbildungsberufen oder Weiterbildungen,<br />

die zu einer anerkannten Teilqualifikation<br />

führen, übernommen werden.<br />

Integration in Ausbildung<br />

und Beruf<br />

Die Agenturen unterstützen die Integration<br />

von Migranten und Ausländern in<br />

Ausbildung und Beruf. Dieser Personenkreis<br />

ist in besonderem Maß von Arbeitslosigkeit<br />

betroffen, da die Menschen<br />

– neben Defiziten in Deutsch –<br />

oftmals keine abgeschlossene Berufsausbildung<br />

vorweisen können. Die<br />

Agenturen fördern Sprachkurse und<br />

Qualifizierungsmaßnahmen, und sie<br />

setzen sich zudem für die Anerkennung<br />

von ausländischen Abschlüssen ein.<br />

Unterstützung für arbeitslose<br />

Alleinerziehende<br />

Arbeitsagenturen unterstützen arbeitslose<br />

Alleinerziehende auf dem Weg in<br />

die Arbeit. In <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> sind<br />

rund 23.000 arbeitslose Alleinerziehende<br />

bei Agenturen und Jobcentern gemeldet,<br />

zum größten Teil sind es Frauen.<br />

Etwa 80 Prozent dieser alleinerziehenden<br />

Frauen können ihren Lebensunterhalt<br />

nicht gänzlich selbst verdienen<br />

und beziehen Leistungen aus der Grundsicherung.<br />

Den Alleinerziehenden steht<br />

das gesamte Angebot an Integrationsmaßnahmen<br />

zur Verfügung, zudem haben<br />

die meisten Grundsicherungsstellen<br />

spezielle Projekte aufgelegt.<br />

Im Kern geht es bei der Unterstützung<br />

um persönliche Orientierungshilfe und<br />

berufliche Weiterbildung, z.B. in Teilzeit<br />

und mit Kinderbetreuung.<br />

Arbeitsmarktmonitor<br />

Bedingt durch den demografischen<br />

Wandel müssen sich Akteure am regionalen<br />

Arbeitsmarkt wie Unternehmen,<br />

Gewerkschaften, Kammern, Verbände,<br />

Politik, Kommunen und Agenturen in<br />

Zukunft mit komplexen Problem- und<br />

Fragestellungen beschäftigen. Um vor<br />

Ort passende Arbeitsmarktstrategien<br />

entwickeln zu können, hat die Bundesagentur<br />

für Arbeit den Arbeitsmarktmo-<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

nitor entwickelt. Er bringt Menschen<br />

und Wissen zusammen.<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> ist auf einem guten<br />

Weg, die Fachkräftelücke im Land<br />

zu verkleinern mit Menschen, die hier<br />

leben. Die neue Plattform des Arbeitsmarktmonitors<br />

hilft die regionale Lage<br />

verständlich und sichtbar zu machen<br />

und ermöglicht eine gemeinsame Sicht<br />

auf die Dinge. So können in den örtlichen<br />

Netzwerken richtige Strategien<br />

gemeinsam erarbeitet und umgesetzt<br />

werden.<br />

Der Plattform liegt eine Datenbank zugrunde,<br />

die mit einer Vielzahl von Daten<br />

gefüttert ist. Er bildet ab, wie hoch<br />

das Risiko in einer Region ist, die Arbeit<br />

zu verlieren (Beschäftigungsrisiko) und<br />

wie gut oder schlecht die Region strukturell<br />

aufgestellt ist (zum Beispiel soziale<br />

Lage, Schulabbrecherquote, Bildungsschnitt).<br />

Auf diese Weise entsteht ein<br />

differenziertes Bild, das hilft, die Arbeitswelt<br />

vor Ort besser zu verstehen.<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> ist das erste Bundesland,<br />

in dem zusammen mit der Landesregierung<br />

diese neue Plattform in<br />

den Regionen vorgestellt worden ist.<br />

Impulsgeber für das Land waren hier die<br />

Arbeitsagenturen, die auch die Fachkräfteinitiative<br />

der Ministerin von der<br />

Leyen unterstützen. Die Arbeitsagenturen<br />

können einen maßgeblichen Beitrag<br />

dazu leisten, die in den Regionen festgestellte<br />

Fachkräftelücke mit konkret verabredeten<br />

Programmen der Partner u.a.<br />

der Kommunen zu verkleinern.<br />

Weichenstellung<br />

für die Grundsicherung<br />

2011 ist das Jahr der Weichenstellung<br />

für die Grundsicherung. Die durch das<br />

Verfassungsgericht ausgelöste Neuorganisation<br />

in der Grundsicherung ist ein<br />

Thema, das uns das ganze Jahr 2010<br />

über begleitet hat und das uns in 2011<br />

weiter beschäftigen wird. Um gute Arbeit<br />

leisten zu können, braucht es klare<br />

und funktionierende Strukturen.<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> hat eine heterogene<br />

Organisation der Grundsicherung:<br />

52 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Allgemeiner Teil | Impressum<br />

Die bisherigen 5 zugelassenen Kommunalen<br />

Träger führen die Option fort, 12<br />

der 39 Kommunalparlamente wollen<br />

die Grundsicherung in eigener Verantwortung<br />

durchführen. Das sind mehr<br />

Plätze als in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> zur<br />

Verfügung stehen. Das Land wird im<br />

Frühjahr 2011 über die Zulassung weiterer<br />

Träger entscheiden. Zwischen einem<br />

Fünftel bis zu einem Drittel der<br />

erwerbsfähigen Hilfebedürftigen werden<br />

in die Verantwortung der Kommunen<br />

gehen; Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

der Agenturen werden zur<br />

Kommune als neuen Arbeitgeber wechseln.<br />

Für Arbeitsagenturen ist wichtig,<br />

ihr Know-how in den Prozess einzubringen,<br />

um die künftige Struktur erfolgreich<br />

zu machen.<br />

Kommunen und Arbeitsagenturen bereiten<br />

sich zudem auf eine weitere Neuerung<br />

vor: Zum Jahresbeginn will die<br />

Bundesregierung das Bildungspaket für<br />

Arbeitslose insgesamt - Vorjahresveränderung in Prozent<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Zeitreihe 2009-2010<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

-10<br />

-20<br />

-30<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Kinder eingeführt haben. Die Agenturen<br />

haben Transparenz darüber hergestellt,<br />

welche Angebote in den Bereichen<br />

Nachhilfe, Kultur, Sport und Mittagessen<br />

zur Verfügung stehen. In einem<br />

zweiten Schritt nehmen die Agenturen<br />

Gespräche mit den Leistungsanbietern<br />

auf. Im Jahr 2011 wird es in jedem Jobcenter<br />

Ansprechpartner für das Bildungspaket<br />

geben.<br />

Die Herausforderungen der stärksten<br />

Wirtschaftskrise seit Bestehen <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong>s scheinen gemeistert. Die<br />

Herausforderungen des Strukturwandels<br />

sind nicht minder groß. Nur gemeinsam<br />

– im Netzwerk aller Arbeitsmarktakteure<br />

– lassen sich diese Herausforderungen<br />

annehmen. Die Arbeitsagenturen<br />

und Jobcenter sehen sich als<br />

Motor dieser Netzwerkarbeit.<br />

Az. 799.20<br />

Jan 09 Feb 09 Mrz 09 Apr 09 Mai 09 Jun 09 Jul 09 Aug 09 Sep 09 Okt 09 Nov 09 Dez 09 Jan 10 Feb 10 Mrz 10 Apr 10 Mai 10 Jun 10 Jul 10 Aug 10 Sep 10 Okt 10 Nov 10 Dez 10<br />

Arbeitslose im Rechtskreis SGB III Vorjahresveränderung in Prozent<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Zeitreihe 2009-2010<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

-10<br />

-20<br />

-30<br />

Rechtskreis SGB II<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

-10<br />

-20<br />

-30<br />

Jan 09 Feb 09 Mrz 09 Apr 09 Mai 09 Jun 09 Jul 09 Aug 09 Sep 09 Okt 09 Nov 09 Dez 09 Jan 10 Feb 10 Mrz 10 Apr 10 Mai 10 Jun 10 Jul 10 Aug 10 Sep 10 Okt 10 Nov 10 Dez 10<br />

Jan 09 Feb 09 Mrz 09 Apr 09 Mai 09 Jun 09 Jul 09 Aug 09 Sep 09 Okt 09 Nov 09 Dez 09 Jan 10 Feb 10 Mrz 10 Apr 10 Mai 10 Jun 10 Jul 10 Aug 10 Sep 10 Okt 10 Nov 10 Dez 10<br />

Impressum<br />

Die Gemeinde (<strong>BWGZ</strong>):<br />

Zeitschrift für die Städte und Gemeinden,<br />

Stadträte, Gemeinderäte und Ortschaftsräte;<br />

Organ des <strong>Gemeindetag</strong>s <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

(Herausgeber – Eigenverlag)<br />

Verantwortlich für den Herausgeber:<br />

Roger Kehle, Präsident<br />

Verlags- und Schriftleitung/Redaktion:<br />

Silke Gerboth-Sahm<br />

E-Mail: silke.gerboth-sahm@gemeindetag-bw.de<br />

Silke Gerboth-Sahm<br />

Redaktion<br />

Margot Tschentscher<br />

Vertrieb<br />

Anschrift:<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Panoramastraße 33, 70174 Stuttgart<br />

Tel. 0711 22572-0, Fax 0711 22572-47<br />

E- Mail: zentrale@gemeindetag-bw.de<br />

Internet: http://www.gemeindetag-bw.de<br />

Die Gemeinde (<strong>BWGZ</strong>)<br />

erscheint zweimal monatlich.<br />

Bezugspreise (ohne MWSt.):<br />

– für Mitgliedsstädte und Mitgliedsgemeinden:<br />

Jahresabonnement 125 Euro<br />

– für sonstige Bezieher:<br />

Jahresabonnement 145 Euro<br />

– für Stadt-, Gemeinde- und Ortschaftsräte,<br />

Studenten und öffentliche Bibliotheken:<br />

Jahresabonnement 80 Euro<br />

Bei Mehrfachabnahme Sonderrabatte möglich.<br />

Alle Preise einschl. Versand- und Zustellgebühren.<br />

Einzelhefte kosten 8 Euro einschl. MWSt. und<br />

können nur gegen Vorauskasse bezogen werden<br />

(Kto.-Nr. 13 66 901, Landesbank<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, BLZ 600 501 01).<br />

Bestellungen: Schriftlich an den <strong>Gemeindetag</strong>.<br />

Abbestellungen: Schriftlich an die Geschäftsstelle<br />

des <strong>Gemeindetag</strong>s vier Wochen vor Halbjahresende,<br />

Abbestellungen werden nur zum<br />

30. Juni und zum 31. Dezember wirksam.<br />

Nachdrucke und Kopien: Nur mit ausdrücklicher<br />

Genehmigung des <strong>Gemeindetag</strong>s<br />

(dies gilt nicht für Mitgliedsstädte und Mitgliedsgemeinden);<br />

Quellenangabe erforderlich.<br />

Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht in<br />

jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder.<br />

Für die inhaltliche Richtigkeit von Fremdbeiträgen<br />

ist der jeweilige Verfasser verantwortlich.<br />

Für unverlangt eingesandte Manuskripte und<br />

Bildmaterial übernimmt der Herausgeber keine<br />

Verantwortung. Die Redaktion behält sich<br />

Kürzungen und Überarbeitung vor.<br />

Anzeigenverwaltung: Das Medienquartier<br />

Gretelweg 1a, 76199 Karlsruhe<br />

Tel. 0721/1450 80 42, Fax 0711/257 35 56<br />

E- Mail: bwgz@das-medienquartier.de<br />

Die Anzeigenverwaltung ist für Anzeigen und<br />

Hinweise im Anzeigenteil verantwortlich.<br />

Druck: Gaiser Print Media GmbH,<br />

73527 Schwäbisch Gmünd<br />

53


Allgemeiner Teil<br />

Dr. Carmina Brenner *<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> lässt die Krise hinter sich<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

Statistiker schließen Landwirtschaftszählung ab und bereiten das Großprojekt Zensus 2011 vor<br />

Nachdem das erste Jahr nach der großen Krise 2009 hinter uns liegt, lassen die wichtigsten<br />

konjunkturellen Kennzahlen aufatmen. Gesamtdeutschland wie auch <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> sind<br />

erstaunlich schnell und schwungvoll aus der Rezession des Jahres 2009 herausgekommen.<br />

Nachdem für die ersten drei Quartale<br />

des abgelaufenen Jahres vorläufige Werte<br />

für das baden-württembergische Bruttoinlandsprodukt<br />

(BIP) vorliegen, ist für<br />

das gesamte Jahr nach jetzigem Stand: 30.11.10 Berechnungsstand<br />

mit einem preisbereinigten<br />

BIP-Anstieg von 4,75 Prozent zu rechnen.<br />

Der Anstieg der Wirtschaftsleistung<br />

belebte auch die Nachfrage nach<br />

Arbeitskräften: Die Anzahl der Arbeitslosen<br />

ist in den Monaten Januar bis November<br />

2010 um durchschnittlich 3,2<br />

Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum<br />

zurückgegangen. Die Erwerbstätigenzahl<br />

ist 2010 schätzungsweise um<br />

0,5 Prozent gestiegen. Das entspricht<br />

einem Plus von rund 30.000 Erwerbstätigen<br />

für ganz <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>. Für<br />

2011 rechnen wir mit einem weiteren<br />

* Dr. Carmina Brenner ist Präsidentin<br />

des Statistischen Landesamts <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong>.<br />

Anstieg der Erwerbstätigenzahlen von<br />

etwa einem Dreiviertelprozent.<br />

Die konjunkturelle Boomphase, in der<br />

sich die baden-württembergische Wirtschaft<br />

seit der zweiten Jahreshälfte 2010<br />

befindet, dürfte noch bis in das Jahr<br />

2011 hinein tragen. Vorboten einer zyklischen<br />

Abschwächung sind allerdings<br />

schon jetzt erkennbar, wie ein Blick auf<br />

den Gesamtkonjunkturindikator zeigt.<br />

So erwarten wir für das Jahr 2011 mit<br />

einem BIP-Anstieg von 2,5 Prozent eine<br />

gedämpfte, aber fortgesetzte Erholung.<br />

Nach jetzigem Prognosestand hätte die<br />

Wirtschaftsleistung damit 2011 schon<br />

wieder das Niveau des Jahres 2008 erreicht.<br />

Wer hätte diese Entwicklung<br />

noch vor einem Jahr als realistisch angesehen?<br />

Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung seit 1998<br />

Verschiedene Effekte wirkten günstig<br />

zusammen, die überraschten oder kaum<br />

zu quantifizieren waren. Zunächst ist<br />

hier die zügige Erholung des Welthandels<br />

zu nennen, von der die exportorientierte<br />

baden-württembergische Industrie<br />

nun ebenso profitiert, wie sie<br />

Erwerbstätige in Tsd.<br />

zuvor unter dem Einbruch der ausländischen<br />

Nachfrage gelitten hat. Nachdem<br />

die weltweiten Exporte im Jahr 2009 um<br />

23 Prozent zurückgingen, nahmen diese<br />

in den ersten drei Quartalen 2010 gegenüber<br />

dem Vorjahreszeitraum schon<br />

wieder um 24 Prozent zu. Das rasche<br />

Wiedererstarken des Welthandels ist<br />

zum einen darauf zurückzuführen, dass<br />

die vergangene Wirtschaftskrise in erster<br />

Linie eine Krise der Industrieländer<br />

war. Diese hat, anders als vielfach befürchtet,<br />

das Wachstum in den Schwel-<br />

Bruttoinlandsprodukt Erwerbstätige<br />

Jahr Veränderung in % gegenüber Vorjahr<br />

Jahr Mikrozensus Veränd. (%) ETR<br />

1994 4744,2 5030,<br />

1995 4735,2 -0,2 5031,<br />

1996 4764,4 0,6 5046,<br />

1997 4769,4 0,1 5069,<br />

1998 2,5 1,4 1998 4794,5 0,5 5140,<br />

1999 2,7 1,4 1999 4842,8 1,0 5211,<br />

2000 3,7 2,7 2000 4909,5 1,4 5352,<br />

2001 2,7 1,4 2001 4976,8 1,4 5428,<br />

2002 -1,3 -0,1 2002 5018,5 0,8 5424,<br />

2003 -0,3 -0,8 2003 4984,0 -0,7 5381,<br />

2004 0,7 0,2 2004 4944,9 -0,8 5395,<br />

2005 0,2 0,1 2005 5092,6 3,0 5402,<br />

2006 5,2 0,6 2006 5174,4 1,6 5432,<br />

2007 2,9 1,6 2007 5300,5 2,4 5520,2<br />

2008 0,9 1,5 2008 5372,2 1,4 5603,1<br />

2009 -7,4 -0,6 2009 5571,5<br />

2010 4 3/4 1/2 2010<br />

2011 2 1/2 3/4 2011<br />

%<br />

+ 6,0<br />

+ 4,0<br />

+ 2,0<br />

+ 0,0<br />

– 2,0<br />

– 4,0<br />

– 6,0<br />

– 8,0<br />

03<br />

03<br />

54 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

04<br />

Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung<br />

in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> seit 1998<br />

Veränderungsrate jeweils gegenüber Vorjahr in Prozent<br />

03<br />

-01<br />

00<br />

01 00<br />

Veränderungsrate des preisbereinigten BIP Veränderungsrate der Anzahl der Erwerbstätigen<br />

1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011<br />

05<br />

03<br />

01<br />

-07<br />

Eigene<br />

Schätzung<br />

4 �<br />

© Statistisches Landesamt <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> 2010<br />

2 �


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Allgemeiner Teil<br />

Wertetabelle für SB Hofnachfolge:<br />

Hofnachfolgesituation 1999 2010<br />

ja 16 15<br />

nein 11 24<br />

ungewiss 26 29 0,426470588<br />

Frage stellt sich derzeit nicht; 47 32<br />

Anteile in %<br />

47<br />

1999<br />

16<br />

Hofnachfolgesituation in landwirtschaftlichen Einzelunternehmen<br />

in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> 1999 und 2010<br />

26<br />

*) Für 2010 vorläufiges Ergebnis der Landwirtschaftszählung<br />

11<br />

lenländern kaum beeinträchtigt. Zum<br />

anderen haben massive weltweite Konjunkturprogramme<br />

sowie Maßnahmen<br />

zur Stabilisierung des Finanzsektors segensreich<br />

gewirkt.<br />

Wenn der stärkste ursprüngliche Impuls<br />

für die gesamtwirtschaftliche Erholung<br />

auch in der Auslandsnachfrage liegen<br />

dürfte, so ist der Funke inzwischen auf<br />

die Binnennachfrage übergesprungen.<br />

Im Verarbeitenden Gewerbe ist bei den<br />

Inlandsumsätzen ungefähr seit September<br />

2009 eine recht stetige trendmäßige<br />

monatliche Steigerung festzustellen,<br />

während die Auslandsumsätze seit Jahresmitte<br />

2010 eher auf der Stelle treten.<br />

Bislang spiegeln sich die erfreulichen<br />

Arbeitsmarktzahlen allerdings nicht in<br />

der Konsumgüternachfrage wider: Seit<br />

Sommer 2009 stagnieren die Inlandsumsätze<br />

der Konsumgüterhersteller. Getragen<br />

wird die Binnenkonjunktur in erster<br />

Linie von der Nachfrage nach Investitions-<br />

und Vorleistungsgütern. Insgesamt<br />

bleibt festzuhalten, dass sich die<br />

baden-württembergische Konjunktur<br />

auf einen soliden zweiten Pfeiler stützen<br />

kann. Wir gehen davon aus, dass dieser<br />

auch dann noch tragen dürfte, wenn<br />

sich außenwirtschaftliche Risiken erneut<br />

bemerkbar machen sollten. Die<br />

Beobachtung und Analyse der Wirtschaft<br />

ist ein Schwerpunkt des Statistischen<br />

Landesamtes.<br />

Die Landwirtschaft macht Inventur<br />

Im Frühjahr 2010, über zehn Jahre nach<br />

der letzten Landwirtschaftszählung, begann<br />

wieder eine große und umfassen-<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

32<br />

2010<br />

29<br />

15<br />

24<br />

Ist eine Person vorhanden, die den<br />

Betrieb zu gegebener Zeit<br />

übernehmen wird?<br />

ja<br />

nein<br />

ungewiss<br />

Betriebsinhaber<br />

45 Jahre und älter<br />

Frage stellt sich derzeit nicht;<br />

Betriebsinhaber jünger als 45 Jahre<br />

de Inventur in der Landwirtschaft, die<br />

Landwirtschaftszählung 2010. Mehr als<br />

50.000 land- und forstwirtschaftliche<br />

Betriebe im Land hatten hierfür vom<br />

Statistischen Landesamt einen umfangreichen<br />

Fragebogen, mit dem vielfältige<br />

Daten zur Agrarstruktur erhoben wurden,<br />

erhalten. Die Landwirtschaftszählung<br />

2010 ist die nationale Variante einer<br />

umfassenden Agrarstrukturerhebung,<br />

die zeitgleich in allen Mitgliedstaaten<br />

der EU durchgeführt wurde.<br />

Wie bei früheren Landwirtschaftszählungen<br />

wurden auch diesmal die Erfassungsgrenzen<br />

deutlich angehoben sowie<br />

methodische Veränderungen vorgenommen.<br />

Aus diesem Grund sind Vergleiche<br />

mit Vorerhebungen nicht überall<br />

und teilweise nur mit Einschränkungen<br />

möglich. Aus den vorab aufbereiteten<br />

Angaben repräsentativ ausgewählter Betriebe<br />

konnte nun, knapp ein Jahr nach<br />

dem Versand der ersten Erhebungsbögen,<br />

eine erste und vorläufige Bestandsaufnahme<br />

zur Situation der Landwirtschaft<br />

im Land gezogen werden. Endgültige<br />

Ergebnisse zu allen erfragten<br />

Themenbereichen (z.B. Arbeitskräfteausstattung<br />

der Betriebe, Ökolandbau<br />

oder Bodenbearbeitungs- und Viehhaltungsverfahren<br />

etc.) sowie Angaben für<br />

die Kreise und Gemeinden <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>s<br />

auf der Grundlage aller erhobenen<br />

Daten werden im Lauf des Jahres<br />

2011 vorliegen.<br />

Als erstes Fazit der Landwirtschaftszählung<br />

2010 lässt sich festhalten: Der<br />

Strukturwandel setzt sich fort. Die Zahl<br />

der Betriebe geht weiter zurück und die<br />

verbleibenden Betriebe werden immer<br />

größer. Im Vergleich mit der letzten<br />

Wertetabelle für Schaubild landw. Betriebe:<br />

1999 75.850 61.070 143758369 23,5<br />

2010 44.967<br />

Betriebe<br />

80.000<br />

70.000<br />

60.000<br />

50.000<br />

40.000<br />

30.000<br />

20.000<br />

10.000<br />

0<br />

Landwirtschaftliche Betriebe in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> 1999 und 2010<br />

75.850<br />

61.070<br />

~ -16.000 Betriebe; -26,4%; -2,4% p.a.<br />

45.000<br />

1999 2010<br />

alte Erfassungsgrenze neue Erfassungsgrenze<br />

Landwirtschaftszählung 1999 zeigt sich,<br />

dass die Zahl der landwirtschaftlichen<br />

Betriebe in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> innerhalb<br />

von elf Jahren beachtlich um rund<br />

ein Viertel (- 26,4 Prozent) zurück gegangen<br />

ist. Nach derzeitigem Stand gibt<br />

es in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> noch rund<br />

45.000 landwirtschaftliche Betriebe. Die<br />

durchschnittliche Größe eines Betriebes<br />

beläuft sich im Jahr 2010 auf knapp 32<br />

Hektar landwirtschaftlich genutzte Fläche<br />

(ha LF). Gegenüber der durchschnittlichen<br />

Größe vergleichbar abgegrenzter<br />

Betriebe im Jahr 1999 (24 ha LF)<br />

entspricht dies einer Zunahme um immerhin<br />

ein Drittel.<br />

Im Rahmen der Landwirtschaftszählung<br />

2010 wurden ebenso wie im Jahr 1999<br />

Schnell informiert unter<br />

www.statistik-bw.de<br />

Das Statistische Landesamt <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

ist einer der größten Informationsdienstleister<br />

in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>.<br />

Das Amt mit Sitz in Stuttgart-Heslach beschäftigt<br />

derzeit rund 630 Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter. Es hat den gesetzlichen<br />

Auftrag, objektiv, neutral und wissenschaftlich<br />

unabhängig über die Wirtschafts-<br />

und Gesellschaftsentwicklung in<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> zu informieren. Dazu<br />

werden rund 280 Statistiken erhoben, aufbereitet<br />

und veröffentlicht. Unter der Internet-Adresse<br />

www.statistik-bw.de steht<br />

ein Großteil der Informationen für alle kostenfrei<br />

zur Verfügung. Dazu können Zahlen<br />

und Fakten für jede einzelne Gemeinde<br />

abgerufen werden. Rund 11 Millionen betrug<br />

die Zahl der Online-Seitenabrufe im<br />

Jahr 2009. Zum Vergleich: Die Zahl der<br />

Einwohner im Südwesten liegt derzeit bei<br />

gut 10,7 Millionen.<br />

55


Allgemeiner Teil<br />

die Inhaber von landwirtschaftlichen<br />

Betrieben der Rechtsform Einzelunternehmen<br />

ab einem Alter von 45 Jahren<br />

und mehr zur Einschätzung der Hofnachfolgesituation<br />

befragt. Zwar antwortete<br />

in beiden Jahren die größte<br />

Gruppe mit „ungewiss“, die stärkste<br />

Veränderung ist jedoch bei den Betrieben<br />

ohne gesicherte Hofnachfolge zu<br />

verzeichnen. War im Jahr 1999 nur etwa<br />

jeder fünfte ältere Betriebsinhaber ohne<br />

Hofnachfolger(-in), trifft dies aktuell<br />

schon auf mehr als jeden dritten Betrieb<br />

zu. Bezogen auf alle landwirtschaftlichen<br />

Familieneinzelunternehmen gibt<br />

es im Jahr 2010 in fast einem Viertel von<br />

ihnen keine Person, die den Betrieb zu<br />

gegebener Zeit fortführen wird. Weitgehend<br />

unbeeindruckt zeigt sich allein die<br />

Quote der Betriebe mit gesicherter Hofnachfolge,<br />

die in beiden Jahren annähernd<br />

gleich hoch ist.<br />

Der Zensus 2011 kommt<br />

Im Jahr 2011 wird es in allen Mitgliedstaaten<br />

der Europäischen Union einen<br />

Zensus, eine Volks-, Gebäude- und Wohnungszählung,<br />

geben. Mit dem Zensus<br />

wird ermittelt, wie viele Menschen in<br />

einer Gemeinde und einem Land leben,<br />

wie sie wohnen und arbeiten. Vieles hat<br />

sich seit der letzten Volkszählung von<br />

1987 verändert. Die derzeitigen Bevölkerungszahlen<br />

sind vermutlich deutlich<br />

überhöht, um wie viel genau, das wissen<br />

wir erst nach dem Zensus 2011.<br />

Der Zensus findet in Deutschland zum<br />

Stichtag 9. Mai 2011 erstmals in registergestützter<br />

Form statt. Soweit wie<br />

möglich wird auf vorhandene Daten<br />

aus Verwaltungsregistern zurückgegriffen.<br />

Zur Sicherung der Qualität der Angaben<br />

aus den Registern und zur Gewinnung<br />

von Daten, die nicht in Registern<br />

vorliegen, werden bundesweit<br />

knapp 10 Prozent der Bevölkerung persönlich<br />

befragt. Außerdem gibt es eine<br />

postalische Erhebung bei allen Eigentümern<br />

von Gebäuden und Wohnungen.<br />

Im Unterschied zur Volkszählung<br />

1987 werden also nicht mehr alle Menschen<br />

befragt; das senkt die Kosten und<br />

dient der Entlastung. Insgesamt wird<br />

nur noch etwa ein Drittel der Bevölkerung<br />

direkt befragt.<br />

Welche Aufgaben<br />

haben die Gemeinden?<br />

Im Landesgesetz zum Zensus 2011 ist<br />

festgelegt, dass in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

in allen Gemeinden mit mindestens<br />

30.000 Einwohnerinnen und Einwohnern<br />

und bei den Landkreisen Erhebungsstellen<br />

eingerichtet werden, die<br />

von anderen Verwaltungsstellen getrennt<br />

sind. Zudem ist dort die Finanzzuweisung<br />

an die Erhebungsstellen geregelt.<br />

Die 88 Erhebungsstellen im Land<br />

sind vor allem für die Durchführung der<br />

Haushaltsstichprobe und die Erhebung<br />

in Wohnheimen und Gemeinschaftsunterkünften<br />

wie Studenten- oder Altenwohnheimen<br />

zuständig.<br />

Erwerbstätige in Tsd.<br />

Jahr Mikrozensus Veränd. (%) ETR Veränd. (%)<br />

1994 4744,2 5030,2<br />

1995 4735,2 -0,2 5031,7 0,0<br />

1996 4764,4 0,6 5046,7 0,3<br />

1997 4769,4 0,1 5069,8 0,5<br />

1998 4794,5 0,5 5140,2 1,4<br />

1999 4842,8 1,0 5211,5 1,4<br />

2000 4909,5 1,4 5352,0 2,7<br />

2001 4976,8 1,4 5428,3 1,4<br />

2002 5018,5 0,8 5424,6 -0,1<br />

2003 4984,0 -0,7 5381,8 -0,8<br />

2004 4944,9 -0,8 5395,1 0,2<br />

2005 5092,6 3,0 5402,2 0,1<br />

2006 5174,4 1,6 5432,1 0,6<br />

2007 5300,5 2,4 5520,2 1,6<br />

2008 5372,2 1,4 5603,1 1,5<br />

2009<br />

2010<br />

2011<br />

5571,5 -0,6<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

Neu: »Statistik kommunal«<br />

Bereits in vierter Auflage aktualisiert erscheint<br />

jetzt die Reihe »Statistik kommunal«<br />

des Statistischen Landesamtes. Die<br />

24-seitige Broschüre ist für jede Gemeinde<br />

erhältlich und bietet mit den wichtigsten<br />

gemeinderelevanten Daten z.B. zur Bevölkerung,<br />

Beschäftigung, dem Verkehr oder<br />

den öffentlichen Finanzen einen kompakten<br />

und repräsentativen Überblick. Neben<br />

den Tabellen und farbigen Grafiken wird<br />

jedes der zehn Kapitel von einem kurzen<br />

allgemein verständlichen Text begleitet.<br />

Zwei Tabellen zu Beginn der Broschüre geben<br />

einen schnellen Überblick zu den Eckdaten<br />

der Gemeinde im Vergleich zum<br />

Kreis bzw. dem Land.<br />

Bestellung: Gerade für die kleineren Gemeinden<br />

bietet die Broschüre »Statistik<br />

kommunal« einen schnellen Überblick. Alternativ<br />

zur Printveröffentlichung kann eine<br />

CD-ROM erworben werden. Diese enthält<br />

außer der Printveröffentlichung eine<br />

weitere pdf-Datei, die direkt in das Internetangebot<br />

der Gemeinde eingestellt werden<br />

kann.<br />

http://www.statistik-bw.de/<br />

Veroeffentl/8035yy001.asp<br />

Alle Gemeinden müssen im Rahmen<br />

des Zensus 2011 Daten aus Registern<br />

(drei Datenlieferungen aus den Melderegistern,<br />

eine mit Angaben zu den<br />

kommunalen Bediensteten) liefern sowie<br />

das Statistische Landesamt bei der<br />

Klärung von Zweifelsfällen und die Erhebungsstellen<br />

bei der Gewinnung von<br />

Erhebungsbeauftragten unterstützen.<br />

Welche Ergebnisse<br />

bekommen die Gemeinden?<br />

Achtzehn Monate nach dem Stichtag<br />

erhalten die Gemeinden die aktuellen<br />

amtlichen Einwohnerzahlen. Zudem<br />

wird es Übersichtstabellen geben, die<br />

die wesentlichen Ergebnisse in übersichtlicher<br />

Form für jede Gemeinde enthalten.<br />

Herzstück der Veröffentlichung<br />

der Zensus-Ergebnisse im Internet ist<br />

die Auswertungsdatenbank. Sie ermöglicht<br />

den flexiblen und komfortablen<br />

Zugriff auf ein breites Spektrum an Ergebnissen.<br />

Az. 065.04<br />

56 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

ts- und Beschäftigungsentwicklung<br />

aden-<strong>Württemberg</strong> seit 1998<br />

rate jeweils gegenüber Vorjahr in Prozent


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Allgemeiner Teil<br />

Dr. Hans-Eberhard Koch *<br />

Wirtschaftsentwicklung in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> –<br />

aktuelle Lage und Aussicht<br />

Die baden-württembergische Wirtschaft arbeitet sich mit großer Stärke aus der Krise heraus.<br />

Motor dieser Entwicklung ist die exportorientierte Industrie, die vom nach wie vor günstigen Klima<br />

der Weltwirtschaft profitiert. Privater Konsum und Investitionen der Unternehmen entwickeln sich<br />

inzwischen positiv. So gewinnt der Aufschwung an Breite. Allerdings steigen die Risiken, wie etwa<br />

Überhitzungstendenzen in einigen Schwellenländern, die Wachstumsschwäche in den USA<br />

und Haushaltsnotlagen wichtiger Industrieländer. Die globale Finanzkrise ist noch nicht vorüber.<br />

Kurzfristig hängt die weitere wirtschaftliche<br />

Entwicklung stark von der Konjunktur<br />

in den Schwellenländern ab.<br />

Hier ist aus Sicht der Industrie mit einer<br />

Dämpfung, aber nicht mit einem Einbruch<br />

zu rechnen. Mittel- und langfristig<br />

besteht Handlungsbedarf insbesondere<br />

beim Erhalt und Ausbau einer leistungsfähigen<br />

Infrastruktur, der konsequenten<br />

Konsolidierung der öffentlichen<br />

Haushalte und der Sicherung des Fachkräfteangebots<br />

der Industrie.<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> ist als Wirtschaftsstandort<br />

durch eine hohe wirtschaftliche<br />

und technologische Leistungsfähigkeit<br />

gekennzeichnet. Ursächlich für<br />

diese positive Ausgangssituation sind<br />

neben der Exportorientierung des Landes<br />

etwa der starke Automobil- und<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Fahrzeugbau sowie der hervorragende<br />

Forschungsstandort <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

– mit 4,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />

liegen die F&E-Ausgaben<br />

des Landes mit deutlichem Abstand an<br />

der internationalen Spitze.<br />

Einen weiteren Faktor stellt die mittelständische<br />

Wirtschaft dar, mit ihren<br />

Stärken insbesondere im Maschinen-<br />

und Anlagenbau, in der Automobilindustrie,<br />

aber auch in der Elektrotechnik<br />

und in weiteren industriellen Branchen<br />

mit zahlreichen mittelgroßen Weltmarktführern<br />

mit global wettbewerbsfähigen<br />

Speziallösungen.<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> ist – wie auch<br />

Deutschland – ein Industrieland. Gemeinsam<br />

mit den industrienahen<br />

Dienstleistungen bildet die Industrie<br />

den Wachstums- und Innovationskern.<br />

Das lebendige Miteinander von Mittelstand<br />

und Großindustrie in <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong>, das von familiengeführten<br />

handwerksnahen Betrieben über<br />

familiengeführte Konzerne bis hin zu<br />

den Großeinheiten der chemischen,<br />

fahrzeugtechnischen oder informationstechnischen<br />

Industrie reicht, ist im<br />

globalen Zusammenhang vorteilhaft.<br />

Im Hinblick auf die langfristigen Entwicklungsperspektiven<br />

ist zu erwarten,<br />

dass gerade <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> wegen<br />

seiner differenzierten und leistungsfähigen<br />

Struktur aus Industrie und industrienahen<br />

Dienstleistungen und seiner<br />

darauf aufbauenden Problemlösungs-<br />

kompetenz erhebliche Chancen im<br />

sich beschleunigenden globalen Wettbewerb<br />

hat.<br />

Alles in allem zeigte sich die baden-württembergische<br />

wie auch die deutsche<br />

Wirtschaft im Frühherbst 2010 in einer<br />

robusten Verfassung. Der fortgesetzte<br />

konjunkturelle Erholungsprozess stellt<br />

das Ergebnis einer ganzen Reihe richtiger<br />

Entscheidungen dar. Steuersenkungen<br />

für Unternehmen, Flexibilisierung der<br />

Arbeitszeit, Ausbau der Kurzarbeit und<br />

die Konjunkturpakete der Bundesregierung<br />

haben sich bewährt. Zudem hat<br />

sich das Festhalten der Unternehmen an<br />

ihren Stammbelegschaften als vorausschauend<br />

erwiesen und die Bereitschaft<br />

der Arbeitnehmer zu Zugeständnissen<br />

war beispielhaft. So konnte die Krise<br />

schneller als erwartet in diesem Jahr bewältigt<br />

werden. Umsätze und Auftragseingänge<br />

der Industrie stiegen so schnell,<br />

dass ein Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts<br />

von gut 4 Prozent in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

im Jahr 2010 realistisch<br />

erscheint, was noch über dem Bund<br />

liegen würde.<br />

Auch die wirtschaftlichen Perspektiven<br />

für die kommenden Monate sind durchaus<br />

günstig, obgleich das gesamtwirtschaftliche<br />

Expansionstempo bei Weitem<br />

nicht an die von Sondereffekten<br />

beeinflusste außergewöhnliche Dyna-<br />

* Dr. Hans-Eberhard Koch ist Präsident<br />

des Landesverbandes der <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong>ischen Industrie e.V. – LVI.<br />

57


Allgemeiner Teil<br />

mik im Frühjahr 2010 heranreichen<br />

wird. Dafür dürfte sich die Wachstumsbasis<br />

verbreitern. Einerseits wird sich<br />

zwar die Nachfrage aus der Weltwirtschaft<br />

etwas abschwächen, andererseits<br />

dürften die Auftriebskräfte aus dem Inland,<br />

Konsum und Investition, stärker<br />

werden. So sorgen die erfreuliche Entwicklung<br />

auf dem Arbeitsmarkt und die<br />

Aussicht auf Verdienstzuwächse für<br />

günstige Einkommensperspektiven bei<br />

den Haushalten. Dies wird dem privaten<br />

Konsum zugute kommen. Ferner erreicht<br />

die Kapazitätsauslastung in immer mehr<br />

Unternehmen Normalniveau, was Investitionen<br />

in zusätzliche Anlagen dringlicher<br />

werden lässt. Das allmähliche Auslaufen<br />

der fiskalpolitischen Stimuli sollte<br />

die baden-württembergische wie auch<br />

die deutsche Wirtschaft daher ohne größeren<br />

Verlust im konjunkturellen<br />

Grundtempo verkraften.<br />

Nicht aus den Augen verloren werden<br />

dürfen jedoch die Risiken, die die Nachhaltigkeit<br />

des Aufschwungs gefährden<br />

könnten. So dürfte es etwa problematisch<br />

werden, Sparbemühungen in hoch<br />

defizitären Ländern mit Wachstum zu<br />

kombinieren. Auch Überhitzungstendenzen<br />

in den Schwellenländern sowie<br />

eine dauerhafte Wachstumsschwäche in<br />

den Vereinigten Staaten könnten den<br />

Schwung der globalen Entwicklung<br />

bremsen.<br />

Rückschläge bei der Stabilisierung des<br />

Finanzsektors sind bisher ausgeblieben<br />

und die Umsetzung von Beschlüssen<br />

und Maßnahmen zur verbesserten Regulierung<br />

der Finanzmärkte schreitet voran.<br />

Finanzierungsengpässe bestehen vereinzelt,<br />

eine Kreditklemme konnte jedoch<br />

abgewehrt werden. Die anziehende<br />

Investitionstätigkeit sowie die Erhöhung<br />

des privaten Konsums dürfen als gestiegenes<br />

Vertrauen in die künftige Entwicklung<br />

gewertet werden. Unter Berücksichtigung<br />

der Chancen und Risiken der<br />

wirtschaftlichen Entwicklung erscheint<br />

derzeit eine fortgesetzte Erholung bei<br />

leicht gebremster Dynamik am wahrscheinlichsten.<br />

Vor diesem Hintergrund<br />

kann für das Jahr 2011in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

mit einem Wirtschaftswachstum<br />

in der Größenordnung von mindestens<br />

2,5 Prozent gerechnet werden.<br />

Innovationsstandort <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong> langfristig stärken<br />

Der internationale Wettbewerb um Investitionen,<br />

Talente und Technologien<br />

verschärft sich kontinuierlich. Gerade<br />

rohstoffarme Regionen müssen sich<br />

durch Innovationsfähigkeit einen Wettbewerbsvorsprung<br />

erarbeiten. Daher<br />

müssen die Innovationsbereitschaft der<br />

Unternehmen gestärkt und Hemmnisse<br />

abgebaut werden. Einen wichtigen Beitrag<br />

könnte die Einführung der steuerlichen<br />

Forschungsförderung leisten.<br />

Zudem sollte der drohende Fachkräftemangel,<br />

sowohl im akademischen als<br />

auch im nicht-akademischen Bereich,<br />

durch verschiedene Maßnahmen bekämpft<br />

werden. Für Unternehmen gestaltet<br />

sich die Suche nach qualifizierten<br />

Arbeitnehmern schwieriger, die Zahl<br />

der Bewerber sinkt. Daher sollten jetzt<br />

Maßnahmen eingeleitet werden, welche<br />

die Arbeitsmarktlücke langfristig<br />

minimieren könnten, darunter die Steigerung<br />

der Erwerbsbeteiligung von<br />

Frauen und älteren Arbeitnehmern, der<br />

Verbleib ausländischer Absolventen<br />

deutscher Hochschulen, die Senkung<br />

der Einkommensgrenze für die Zuwanderung<br />

aus Nicht-EU-Staaten oder die<br />

Einführung eines Punktsystems für die<br />

Zuwanderung.<br />

Innovationen erfordern Investitionen<br />

in die Infrastrukturen und sie erfordern<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

Anreize für private Investoren. Gleichzeitig<br />

ist jedoch die Konsolidierung der<br />

öffentlichen Haushalte ein primäres politisches<br />

Ziel, dem sich nicht zuletzt die<br />

baden-württembergische Landesregierung<br />

verschrieben hat. Bund wie Land<br />

werden gefordert sein, eine geeignete<br />

Kombination aus Investitionsanreizen,<br />

eigenen Investitionen und den dringend<br />

notwendigen Maßnahmen zur<br />

Haushaltskonsolidierung zu finden.<br />

Der LVI unterstützt das Vorhaben der<br />

Landesregierung, die Mehreinnahmen,<br />

die die aktuelle Steuerschätzung in Aussicht<br />

stellt, in allererster Linie zur Senkung<br />

der Neuverschuldung zu verwenden.<br />

Auch haben wir gemeinsam mit<br />

dem Bund der Steuerzahler <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong> Einsparvorschläge in die<br />

politische Diskussion eingebracht, um<br />

zu einer Konkretisierung beizutragen,<br />

die die Landesregierung in diesen Tagen<br />

mit ihren Einsparplänen ebenfalls in<br />

Angriff genommen hat.<br />

Ein weiterer Ansatz zur Entlastung des<br />

Landeshaushalts liegt unverändert beim<br />

Länderfinanzausgleich, dessen falsches<br />

Anreizsystem der LVI seit vielen Jahren<br />

moniert. <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> ist das einzige<br />

Bundesland, das seit Beginn des Finanzausgleichs<br />

vor 60 Jahren bezahlt,<br />

ohne je selbst Leistungen empfangen zu<br />

haben. Die gemeinsame Klage mit Bayern<br />

und Hessen ist überfällig, um den Haus-<br />

58 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Allgemeiner Teil<br />

halt zu entlasten und sich selbst wieder<br />

etwas mehr Spielraum für Innovations-<br />

und Investitionsanreize zu verschaffen.<br />

Neben zusätzlichem Spielraum geht es<br />

in hohem Maße um Verlässlichkeit. Dies<br />

trifft beispielsweise auf Mittel für die<br />

Verkehrsinfrastruktur zu, die keine stetige<br />

Planung erlauben; es betrifft aber<br />

auch und gerade die Kommunen, einen<br />

enorm wichtigen Partner der Industrie,<br />

deren wichtigste Einnahmequelle, die<br />

Gewerbesteuer, konjunkturabhängig<br />

und damit volatil ist. Sie wird den finanziellen<br />

Bedürfnissen der Gemeinden<br />

nicht gerecht und stellt im internationalen<br />

Steuerwettbewerb einen deutschen<br />

Sonderweg dar. Die Gewerbesteuer<br />

ist Hemmschuh für sämtliche Modernisierungen<br />

des Unternehmenssteuerrechts.<br />

Für die Kommunalfinanzierung<br />

muss ein transparentes und zuverlässiges<br />

Fundament geschaffen werden, das<br />

zugleich eine gute Ausgangsbasis für ein<br />

systemgerechtes und modernes Unternehmenssteuerrecht<br />

bietet.<br />

Stuttgart 21 als Signalprojekt<br />

Wenn <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> weiterhin ein<br />

attraktiver Investitions- und Innovationsstandort<br />

bleiben will, muss es gelingen,<br />

nicht nur die entsprechenden infrastrukturellen<br />

Rahmenbedingungen zu schaffen,<br />

sondern auch verlässliche politische<br />

Rahmenbedingungen und Rechtssicherheit<br />

zu bieten. Die Tendenz, Großprojekte<br />

zu bekämpfen, aufzuhalten oder zu torpedieren,<br />

spricht nicht für die Zukunftsfähigkeit<br />

unseres Standorts. Das Signal, das<br />

wir derzeit in Sachen Innovationsfähigkeit<br />

und -bereitschaft aussenden, ist verheerend.<br />

Unseren Ingenieuren wird nicht<br />

zugetraut, einen ambitionierten Tunnelbau<br />

und dessen Risiken zu bewältigen.<br />

Politische Entscheidungen werden nach<br />

Jahren in Frage gestellt, auf dieser Basis<br />

bereits getroffene Investitionsentscheidungen<br />

privater Unternehmer sind im<br />

Kern gefährdet, die Weiterentwicklung<br />

der Verkehrsinfrastruktur soll auf die lange<br />

Bank geschoben werden. Es ist daher<br />

durchaus nachvollziehbar, wenn ausländische<br />

Investoren oder qualifizierte Bewerber<br />

zögern, zu uns zu kommen.<br />

Az. 790.1<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Fachtagung der Akademie Ländlicher Raum:<br />

„Medizinische Versorgung im Ländlichen Raum“<br />

am 7.2.2011 im Stauferklinikum Mutlangen<br />

Die Versorgung mit ortsnahen medizinischen<br />

Dienstleistungen ist ein entscheidender Standortfaktor<br />

für die Städte und Gemeinden im<br />

Ländlichen Raum. Im Hinblick auf die aktuellen<br />

und künftigen Rahmenbedingungen des Gesundheitssystems<br />

sowie die medizinische und<br />

die demografische Entwicklung rückt dieses<br />

Thema zunehmend in den Fokus der Politik. Es<br />

gilt, rechtzeitig Strategien zu entwickeln, mit<br />

denen auch in der Zukunft eine flächendeckende<br />

medizinische Versorgung auf unserem anerkannt<br />

hohen Niveau gewährleistet werden<br />

kann. Modellprojekte, Nachwuchsförderung<br />

und Telemedizin gehören ebenso dazu wie zusätzliche<br />

Schwerpunkte, die das neue Zehn-<br />

Punkte-Aktionsprogramm „Landärzte“ setzt.<br />

Passgenaue Lösungen, die mit allen Beteiligten<br />

vor Ort entwickelt und umgesetzt werden, sind<br />

das Mittel der Wahl. Im Rahmen der Fachtagung<br />

werden innovative Lösungsansätze vorgestellt<br />

und diskutiert. Sie sind entscheidend für<br />

die Zukunftsfähigkeit unserer ländlichen Räume.<br />

Zum gemeinsamen Dialog über diese wichtigen<br />

Fragen wird herzlich eingeladen.<br />

Auszug aus dem Programm<br />

„Kulturdenkmale sanieren – Energie sparen“<br />

• Medizinische Versorgung als Herausforderung<br />

für den Ländlichen Raum<br />

• Flächendeckende medizinische Versorgung<br />

sichern: Das Zehn-Punkt-Aktionsprogramm<br />

„Landärzte”<br />

• Städte und Gemeinden: Partner bei der medizinischen<br />

Versorgung<br />

• Regionale Kooperation als beispielhafter Lösungsweg:<br />

Das Engagement des Ostalbkreises<br />

zur ärztlichen Versorgung im Ländlichen<br />

Raum<br />

• Medizinische Versorgung im Ländlichen<br />

Raum sicherstellen: Welche Konzepte wirken?<br />

• Hausärzte für das Land: Modellprojekt „Verbundweiterbildung<br />

plus”<br />

• Telemedizin-Projekte im Ostalbkreis.<br />

Es wird kein Tagungsbeitrag erhoben.<br />

Anmeldungen online unter<br />

http://www.laendlicher-raum.de<br />

oder per E-Mail unter Tagung@lel.bwl.de<br />

Broschüre des Wirtschaftsministeriums <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

„Kulturdenkmale sanieren – Energie sparen“ ist<br />

der Titel einer Broschüre, die das Wirtschaftsministerium<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> als Oberste<br />

Denkmalschutzbehörde neu herausgegeben<br />

hat. Sie bietet Behörden und Energieagenturen,<br />

vor allem aber Eigentümern von Baudenkmalen<br />

und allen Interessierten Hilfestellung,<br />

wenn es darum geht, Baudenkmale in geeigneter<br />

Weise energetisch und nachhaltig zu sanieren.<br />

Neben praktischen Tipps zur Erstellung<br />

von Gebäude-Energiekonzepten werden Ansprechpartner<br />

und Fördermöglichkeiten für<br />

Denkmaleigentümer genannt.<br />

Bessere Energieeffizienz und die vermehrte<br />

Nutzung erneuerbarer Energien fordern auch<br />

den Denkmalschutz heraus. Baudenkmale sollen<br />

vor vermeidbaren Veränderungen geschützt<br />

werden, um sie als authentische Zeugnisse<br />

ihrer Zeit zu erhalten. Dabei ist die wirtschaftliche<br />

und energiebewusste Instandsetzung<br />

eine gute Voraussetzung, um<br />

Baudenkmale langfristig zu erhalten. Dabei<br />

sind Denkmalschutz und Energieeffizienz kein<br />

Gegensatz. Gefragt sind auf die einzelnen Baudenkmale<br />

abgestimmte, ganzheitliche Energiekonzepte.<br />

Jedes Baudenkmal ist ein Einzelstück<br />

mit einer baulichen Entwicklungsgeschichte,<br />

die auch in energetischer Hinsicht<br />

spezielle Anforderungen stellt.<br />

Die Broschüre gibt Hinweise auf Möglichkeiten<br />

der Dämmung und der Errichtung von Solar-<br />

oder Photovoltaik-Anlagen und geht auch auf<br />

die besondere Situation ein, wenn ein Gebäude<br />

innerhalb einer Gesamtanlage oder im Umgebungsbereich<br />

eingetragener Denkmale<br />

liegt. Wichtig ist es, rechtzeitig neben den<br />

Denkmalschutzbehörden auch qualifizierte Architektinnen<br />

und Architekten, Bauphysikerinnen<br />

und Bauphysiker und Energieberaterinnen<br />

und -berater zu Rate zu ziehen. Die Erfahrung<br />

zeigt, dass ein aufeinander abgestimmtes,<br />

partnerschaftliches Vorgehen letztlich auch eine<br />

Versicherung gegen unliebsame Überraschungen<br />

im Genehmigungsverfahren oder<br />

während der Baumaßnahme ist.<br />

Die Broschüre kann kostenlos beim Wirtschaftsministerium<br />

angefordert werden:<br />

http://www.wm.baden-wuerttemberg.de/<br />

sixcms/detail.php?bestellid=239757&todo=<br />

bestellung&id=165591&katid=&subkatid=<br />

&time=1287900373<br />

Quelle: Wirtschaftsministerium <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Pressemittelung vom 22.10.2010<br />

59


Gemeindeportät<br />

Sabrina Lenz *<br />

Gemeinde Muggensturm –<br />

aufstrebende Gemeinde voller Lebensqualität<br />

Muggensturm liegt in der Rheinebene, zentral zwischen Karlsruhe und <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong>, zirka<br />

vier Kilometer entfernt von der A 5 Karlsruhe-Basel. Die Gemeinde Muggensturm hat eine<br />

Gesamteinwohnerzahl von rund 6.200 auf einer Gesamtgemarkungsfläche von 1.156 Hektar.<br />

Als Ursprung des Ortes Muggensturm<br />

gilt die Siedlung „Eichelbach“. Die damalige<br />

Ortskirche, die Margarethenkapelle<br />

aus dem 13. Jahrhundert, ist heute<br />

noch das historisch bedeutungsvollste<br />

Bauwerk Muggensturms. Erstmals offiziell<br />

erwähnt wurde die Gemeinde in<br />

einem Schriftstück von Papst Cölestin<br />

III. am 18. Mai 1193.<br />

Es gibt verschiedene Deutungen, wie der<br />

interessante Name „Muggensturm“ zustande<br />

kam. Eine davon handelt von der<br />

Geschichte, als die Belagerer der seinerzeit<br />

vorhandenen Burganlage von den<br />

Einwohnern des Ortes mit Bienenkörben<br />

beworfen wurden. Von den Bienen angegriffen<br />

flüchteten die Belagerer mit dem<br />

Hilferuf „Die Mucken stürmen!“<br />

Bis heute hat sich der Ort zu einer attraktiven<br />

und modernen Gemeinde entwickelt.<br />

Trotz Wahrung des dörflichen Charakters<br />

wurde mit dem stetigen Ausbau<br />

der Infrastruktur und zeitgemäßen Wohn-<br />

und Industriegebieten ein modernes<br />

Ortsbild geschaffen. Wichtige Ziele dabei<br />

waren und sind Erhalt und Wiederbelebung<br />

des ursprünglichen Ortsbildes, verkehrsberuhigende<br />

Maßnahmen sowie<br />

Landschafts- und Naturschutz.<br />

Natur<br />

Schutz von Natur und Landschaft ist in<br />

und um den Ort von sehr großer Bedeutung.<br />

Förmlich festgestellte Natur- und<br />

Landschaftsschutzgebiete bieten in vielen<br />

Bereichen der Gemarkung Raum für<br />

Entwicklung der Ökologie.<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

Das 1982 ausgewiesene Naturschutzgebiet<br />

„Federbachbruch“ zwischen Muggensturm<br />

und Malsch hat außergewöhnliche<br />

Bedeutung. Es wurde Heimat<br />

für eine mannigfaltige Anzahl von seltenen<br />

Pflanzen- und gefährdeten Tierarten.<br />

So wurden bei einer wissenschaftlichen<br />

Untersuchung 72 Vogelarten, darunter<br />

41 Brutvogelarten, in diesem Gebiet<br />

gezählt. Auch als Heimat für<br />

Insekten und Amphibien ist dieses Gebiet<br />

landesweit von herausragender Bedeutung.<br />

Familienfreundlichkeit<br />

Familienfreundlichkeit ist eines unserer<br />

größten Anliegen. Dazu gehören Angebote<br />

für alle Generationen. Auf Kinder-,<br />

Jugend- und Seniorenarbeit wird größten<br />

Wert gelegt. Zwei Kindergärten im<br />

Ort bieten genügend Plätze für Kinder<br />

ab 2 Jahren; mit dem Bau einer Kinderkrippe<br />

im Jahr 2011 soll dieses Angebot<br />

noch weiter ausgebaut werden.<br />

Mit der Albert-Schweitzer-Schule verfügt<br />

Muggensturm über eine Grund-<br />

und Hauptschule mit Werkrealschule,<br />

die im Jahr 2010 erweitert wurde, so<br />

dass den Schülerinnen und Schülern ein<br />

angenehmes und den heutigen Anforderungen<br />

entsprechendes Lernumfeld<br />

angeboten werden kann. Durch die<br />

neugeschaffene Mensa bietet die Albert-<br />

Schweitzer-Schule alle Vorzüge einer<br />

Ganztagsbetreuung.<br />

* Sabrina Lenz ist Assistentin von<br />

Bürgermeister Dietmar Späth und<br />

u.a. zuständig für die Presse- und<br />

Öffentlichkeitsarbeit.<br />

60 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Gemeindeportät<br />

Den älteren sowie behinderten Mitbürgern<br />

bietet die vorhandene betreute<br />

Wohnanlage „Haus Margaretha“ mit integrierter<br />

Sozialstation bei Bedarf eine<br />

neue Heimat.<br />

2010 – ein goldenes Jahr für<br />

Muggensturm!<br />

Neben der großartigen Auszeichnung<br />

mit der Goldmedaille beim bundesweiten<br />

Ortsverschönerungswettbwerb „Entente<br />

Florale – unsere Stadt blüht auf“<br />

wurde Muggensturm auch als spendenbereiteste<br />

Gemeinde <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>s<br />

im Rahmen der Initiative „Wir<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

helfen Afrika“ mit dem goldenen Big-<br />

Shoe geehrt.<br />

Entente Florale<br />

Unter den nur 15 zugelassenen Städte<br />

und Gemeinden aus ganz Deutschland<br />

war Muggensturm die einzige Gemeinde<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>s. Sie hat an vier<br />

Wettbewerben teilgenommen – mit vier<br />

Erfolgen! Nach den Bronzemedaillen in<br />

den Jahren 2001, 2003 und 2006 erhielten<br />

im Jahr 2010 viele Muggensturmer<br />

Bürger, die Mitglieder des Obst- und<br />

Gartenbauvereins, der Kreativ Kreis, die<br />

Mitarbeiter des Bauhofs sowie der Gemeindeverwaltung<br />

als Dank für das gro-<br />

Die Delegation aus Muggensturm freut sich über den Gewinn des „Goldenen BigShoes“<br />

ßes Engagement als höchste Auszeichnung<br />

die Goldmedaille.<br />

Außerdem wurde Muggensturm der<br />

Sonderpreis des Bundesministeriums<br />

für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz<br />

für „besonders gelungene<br />

Garten- und Parkgestaltung mit<br />

standorttypischen Pflanzen“ zugeteilt.<br />

Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch<br />

zeigte sich anlässlich eines Besuchs in<br />

Muggensturm von der enormen Weiterentwicklung<br />

des Ortes in den vergangenen<br />

Jahren beeindruckt. „Hier ist zu sehen,<br />

wie sehr sich die Bürger mit dem<br />

Ort identifizieren.“<br />

Seit dem ersten Wettbewerb im Jahr 2000<br />

haben sich 250 Städte und Gemeinden<br />

an der „Entente Florale“ beteiligt. Dabei<br />

die Goldmedaille zu erhalten, ist für jeden<br />

Teilnehmer ein außergewöhnlicher<br />

Erfolg. Muggensturm reiht sich damit in<br />

die Reihe der Städte Heilbronn und Bad<br />

Säckingen ein, die in den vergangenen<br />

Jahren ebenfalls eine Goldauszeichnung<br />

erringen konnten.<br />

Hintergrund des Wettbewerbes ist nicht<br />

zuletzt, Entwicklungskonzepte für Gemeinden<br />

voran zu treiben, erklärte<br />

Staatssekretärin Gurr-Hirsch, die zudem<br />

den zuerkannten Sonderpreis für die Renaturierung<br />

des Federbaches und des<br />

Naturschutzgebietes Federbachbruch<br />

würdigte. Nach eigenem Bekunden er-<br />

61


Gemeindeportät | Rechtsprechung<br />

kennt sie einen allgemeinen, gesellschaftlichen<br />

Trend, der immer mehr zu<br />

„Natur, Heimat und Familie“ gehe.<br />

Wir helfen Afrika<br />

Unter dem Motto „Wir helfen Afrika“<br />

haben sich anlässlich der Fußball-WM<br />

2010 in Südafrika 32 Städte und Gemeinden<br />

aus <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> mit<br />

den 32 an der Weltmeisterschaft teilnehmenden<br />

Fußballnationalteams sowie<br />

prominenten Unterstützern unter<br />

der Schirmherrschaft des ehemaligen<br />

Ministerpräsidenten von <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

und jetzigen EU-Kommissars<br />

Günther Oettinger zusammengeschlos-<br />

Rechtsprechung<br />

sen. Ziel der Aktion war es, dass jede<br />

Stadtinitiative mindestens 8.000 Euro<br />

sammelt, um mit diesem Geld lebensnotwendige<br />

Operationen bei Kindern in<br />

Afrika zu finanzieren.<br />

Um die Aktion auch für die Bürger der<br />

Städte und Gemeinden noch interessanter<br />

zu gestalten, gab es einen internen<br />

Wettbewerb, wonach die Gemeinde,<br />

die die meisten Spenden pro Kopf<br />

Einwohner sammelt, mit dem goldenen<br />

BigShoe, dem Markenzeichen der Initiative,<br />

ausgezeichnet wurde.<br />

Hierbei ist es Muggensturm als eine der<br />

kleinsten Gemeinden, neben großen<br />

Städten wie Stuttgart, Karlsruhe, Pforz-<br />

Ernennung eines Beamten im Konkurrentenstreit ist anfechtbar<br />

Die Beförderung eines Richters oder Beamten in ein höheres Amt<br />

kann von einem unterlegenen Mitbewerber vor den Verwaltungsgerichten<br />

mit Erfolg angefochten werden, wenn der Dienstherr den<br />

ausgewählten Bewerber unter Verletzung des Grundrechts des Mitbewerbers<br />

auf wirkungsvollen Rechtsschutz ernannt hat. Nach einem<br />

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4.11.2010 stehe dem der<br />

Grundsatz der Ämterstabilität nicht entgegen. Die Klage habe Erfolg,<br />

wenn die Bewerberauswahl Rechte des Mitbewerbers verletzt (Az. 2 C<br />

16.09).<br />

Sachverhalt<br />

In dem zu entscheidenden Verfahren hatten sich der Kläger als Präsident<br />

eines Landgerichts und der Beigeladene als damaliger Präsident<br />

des Landessozialgerichts um das höher eingestufte Amt des Präsidenten<br />

des Oberlandesgerichts beworben. Der Justizminister entschied<br />

sich für den Beigeladenen. Der Antrag des Klägers, dem Beklagten die<br />

Ernennung des Beigeladenen zum Präsidenten des OLG durch einst-<br />

Die Schulkinder<br />

in Kongo<br />

freuen sich<br />

über neue Bänke.<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

heim und Freiburg, gelungen, mit fast 8<br />

Euro pro Kopf Einwohner die höchste<br />

Spendensumme zu erzielen. Auch in der<br />

Gegenüberstellung der Gesamtspendensummen<br />

konnte Muggensturm mit<br />

48.818,53 Euro den 4. Rang nach Tuttlingen,<br />

Lindau und Bad Waldsee erzielen<br />

und kann sich damit auch im direkten<br />

Vergleich durchaus sehen lassen.<br />

Mit großer Freude konnte diese besondere<br />

Auszeichnung am 29. Oktober<br />

2010 in Tuttlingen von EU-Kommissar<br />

Günther Oettinger in Empfang genommen<br />

werden.<br />

Insgesamt flossen 13.000 Euro der Spendensumme<br />

dem Verein „Wir helfen Afrika“<br />

für die Operationen und medizinischen<br />

Behandlungen von Kindern in<br />

Afrika zu. Die übersteigenden Spenden<br />

erhalten die Afrikamissionare „Weiße<br />

Väter“, deren vorbildliche Arbeit im<br />

Kongo bereits seit vielen Jahren durch<br />

die Gemeinde Muggensturm unterstützt<br />

wird. Mit diesem Geld werden neben<br />

dem Wiederaufbau von Schulen und<br />

dem Druck von Schulbüchern auch ein<br />

Behindertenheim für Kinder und Jugendliche<br />

sowie die Unterernährtenstation<br />

des Provinzkrankenhauses Bukavu<br />

in Kongo unterstützt.<br />

weilige Anordnung zu untersagen, blieb in beiden verwaltungsgerichtlichen<br />

Instanzen erfolglos. Der Kläger hatte dem Beklagten mitgeteilt,<br />

er werde bei nachteiligem Ausgang des Verfahrens das Bundesverfassungsgericht<br />

anrufen. Unmittelbar nach Eingang der Entscheidung<br />

des Oberverwaltungsgerichts im Justizministerium händigte der<br />

Justizminister dem Beigeladenen die Ernennungsurkunde aus.<br />

Grundsatz der Ämterstabilität muss zurückstehen<br />

Das BVerwG hat jetzt der in den Vorinstanzen erfolglosen Klage stattgegeben.<br />

Es hat die Ernennung des Beigeladenen mit Wirkung ab Zustellung<br />

des Urteils aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, das<br />

Amt des Präsidenten des OLG aufgrund eines neuen Auswahlverfahrens<br />

zu vergeben. Ernenne der Dienstherr den ausgewählten Bewerber,<br />

bevor unterlegene Bewerber die Möglichkeiten der gerichtlichen Nachprüfung<br />

ausgeschöpft haben, so verletze er deren Grundrecht auf wirkungsvollen<br />

Rechtsschutz, heißt es in der Begründung des Urteils. Bei<br />

derartiger Rechtsschutzvereitelung könnten die Rechte der unterlege-<br />

62 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011 Rechtsprechung<br />

nen Bewerber auf gerichtliche Nachprüfung der Bewerberauswahl nur<br />

durch eine Klage gegen die Ernennung gewahrt werden. Daher müsse<br />

in Fällen dieser Art der Grundsatz der Ämterstabilität, nach dem die<br />

Vergabe eines Amtes rechtsbeständig ist, zurückstehen.<br />

Recht auf sachgerechte Entscheidung verletzt<br />

Die hier getroffene Auswahlentscheidung des Beklagten habe das<br />

grundrechtlich gewährleistete Recht des Klägers auf eine sachgerechte,<br />

allein an Leistungsgesichtspunkten orientierte Entscheidung über<br />

seine Bewerbung verletzt. Insbesondere habe der Beklagte die Auswahl<br />

des Beigeladenen auf nicht tragfähige Erkenntnisse gestützt. Er<br />

habe dem Beigeladenen nicht bereits aufgrund statistischer Angaben<br />

über die Arbeitsergebnisse der Sozialgerichtsbarkeit des Landes in<br />

dessen Amtszeit und aufgrund der Eindrücke des Justizministers bei<br />

den Tagungen der Oberpräsidenten den Vorzug geben dürfen.<br />

Zur Kalkulation der Gebührensätze bei der gesplitteten Abwassergebühr<br />

Leitsätze<br />

1. Bei der Erhebung von Gebühren für die öffentliche Abwasserbeseitigung<br />

sind nach § 17 Abs. 3 KAG die anteiligen Kosten,<br />

die auf die Entwässerung von öffentlichen Straßen, Wegen und<br />

Plätzen entfallen, von den Kosten nach § 14 Abs. 1 S. 1 KAG<br />

abzuziehen. Bei der vorzugwürdigen kostenorientierten Betrachtung<br />

sind dazu die Kosten für diejenigen Anlageteile, die<br />

sowohl der Grundstücksentwässerung als auch der Straßenentwässerung<br />

dienen, in dem Verhältnis aufzuteilen, in dem die<br />

(fiktiven) Kosten selbständiger Entwässerungsanlagen für den<br />

jeweiligen Zweck zueinander stehen. Eine exakte Berechnung<br />

dieses Verhältnisses ist jedenfalls mit einem vertretbaren Verwaltungsaufwand<br />

nicht möglich. Die betreffenden Kostenanteile<br />

dürfen daher geschätzt werden. Bei dieser Schätzung, die<br />

unter Rückgriff auf allgemeine Erfahrungswerte erfolgen kann,<br />

ist der Gemeinde ein mit den damit verbundenen Unsicherheiten<br />

entsprechender Spielraum einzuräumen, der nur dann<br />

überschritten ist, wenn bei der Schätzung wesentliche Umstände<br />

unberücksichtigt geblieben sind oder die Schätzung auf<br />

sach- oder wirklichkeitsfremden Überlegungen beruht.<br />

2. Die Erhebung von Gebühren für die Beseitigung von Schmutzwasser<br />

einerseits und von Niederschlagswasser andererseits erfordert<br />

eine Aufteilung der Kosten der Abwasserbeseitigung auf die beiden<br />

Teilleistungsbereiche. Bei denjenigen Teileinrichtungen, die<br />

der Beseitigung sowohl des Schmutzwassers als auch des Niederschlagswassers<br />

dienen, ist eine rechnerisch exakte Aufteilung mit<br />

einem vertretbaren Verwaltungsaufwand ebenfalls nicht möglich.<br />

Die betreffenden Kostenanteile dürfen daher ebenfalls mit<br />

Hilfe allgemeiner Erfahrungswerte geschätzt werden.<br />

3. Die Gemeinde kann sich dabei an den in der Literatur (Gössl/<br />

Höret/Schoch, <strong>BWGZ</strong> 2001, 820 ff., 844 ff.) genannten Empfehlungen<br />

orientieren, nach denen sich bei einer Gegenüberstellung<br />

der nach der kostenorientierten Methode ermittelten Herstellungskosten<br />

für die Kanalisation im Mittel ein Verhältnis<br />

von 60 zu 40 und bei den Herstellungskosten der Kläranlage ein<br />

Verhältnis von 90 zu 10 zwischen den auf die Beseitigung des<br />

Schmutzwassers und den auf die Beseitigung des Niederschlagswassers<br />

entfallenden Kosten ergibt.<br />

VGH <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, Beschluss vom 20.9.2010 – 2 S 136/10<br />

<strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Das BVerwG hat die neue Rechtsprechung, wonach Ernennungen<br />

nicht mehr ohne jede Ausnahme rechtsbeständig sind, bereits im<br />

vorliegenden Fall angewandt. Das Vertrauen des Beigeladenen in die<br />

Rechtsbeständigkeit seiner Ernennung sei nach Abwägung der gegenläufigen<br />

Interessen nicht schutzwürdig. Zwar habe der Beigeladene<br />

aufgrund des rechtswidrigen Verhaltens des Beklagten erhebliche<br />

Nachteile zu tragen. Seinen Anspruch auf amtsangemessene Beschäftigung<br />

könne der Beklagte nicht mehr erfüllen, weil die einzige Stelle<br />

des Präsidenten des LSG bereits anderweitig besetzt sei. Jedoch sei der<br />

Beklagte aufgrund seiner Fürsorgepflicht gehalten, die Folgen für den<br />

Beigeladenen so weit wie möglich auszugleichen. Er könne den Beigeladenen<br />

mit dessen Zustimmung in ein anderes gleichwertiges Amt<br />

versetzen. Der Beigeladene könne sich erneut um das Amt des Präsidenten<br />

des OLG bewerben.<br />

<strong>BWGZ</strong> Nr. 1 vom 15.1.2011 Az. 050.19<br />

Sachverhalt<br />

Die vom Kläger erhobene Klage richtet sich gegen die Abwassergebührenbescheide<br />

der Beklagten, mit denen der Kläger für die Jahre 2004<br />

bis 2006 zu Abwassergebühren herangezogen wurde. Das Verwaltungsgericht<br />

hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt,<br />

die angefochtenen Bescheide fänden ihre Rechtsgrundlage in<br />

der Abwassersatzung vom 15.12.2008, die rückwirkend in Kraft gesetzt<br />

worden sei. Der Kläger macht nunmehr u.a. geltend, dass die<br />

Beklagte in ihren Kalkulationen den Straßenentwässerungsanteil unzutreffend<br />

bestimmt habe und die Aufteilung der danach verbleibenden<br />

Kosten auf die Beseitigung des Schmutzwassers einerseits und die<br />

Beseitigung des Niederschlagswassers andererseits sachwidrig vorgenommen<br />

worden sei.<br />

Aus den Gründen<br />

Bei der Erhebung von Gebühren für die öffentliche Abwasserbeseitigung<br />

sind nach § 17 Abs. 3 KAG die anteiligen Kosten, die auf die<br />

Entwässerung von öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen entfallen,<br />

von den Kosten nach § 14 Abs. 1 S. 1 KAG abzuziehen. Die entsprechenden<br />

Kostenanteile sind deshalb bei der Kalkulation dieser<br />

Gebühren nicht zu berücksichtigen.<br />

Bei der vorzugwürdigen – wenn auch nach der Rechtsprechung des<br />

Senats nicht zwingenden – kostenorientierten Betrachtung sind dazu<br />

die Kosten für diejenigen Anlageteile, die sowohl der Grundstücksentwässerung<br />

als auch der Straßenentwässerung dienen, in dem Verhältnis<br />

aufzuteilen, in dem die (fiktiven) Kosten selbständiger Entwässerungsanlagen<br />

für den jeweiligen Zweck zueinander stehen. Eine exakte<br />

Berechnung dieses Verhältnisses ist jedenfalls mit einem vertretbaren<br />

Verwaltungsaufwand nicht möglich. Die betreffenden<br />

Kostenanteile dürfen daher geschätzt werden.<br />

Bei dieser Schätzung, die unter Rückgriff auf allgemeine Erfahrungswerte<br />

erfolgen kann (VGH <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, Urteil vom 7.10.2004<br />

– 2 S 2806/02 – VBlBW 2005, 239), ist der Gemeinde ein mit den damit<br />

verbundenen Unsicherheiten entsprechender Spielraum einzuräumen,<br />

der nur dann überschritten ist, wenn bei der Schätzung wesentliche<br />

Umstände unberücksichtigt geblieben sind oder die Schätzung<br />

auf sach- oder wirklichkeitsfremden Überlegungen beruht (OVG<br />

Niedersachsen, Urteil vom 24.10.2007 – 2 LB 34/06 – juris; Urteil vom<br />

63


Rechtsprechung<br />

17.1.2001 – 2 L 9/00 – NordÖR 2001, 307 m.w.N.; ähnlich OVG<br />

Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.2.2003 – 9 A 2355/00 – NVwZ-RR<br />

2004, 68).<br />

Diesen Spielraum hat die Beklagte bei der Festlegung der auf die Straßenentwässerung<br />

entfallenden Kostenanteile nicht überschritten. In<br />

den Kalkulationen der Beklagten wird bei der Aufteilung der Kosten<br />

zunächst zwischen den Kanalisationseinrichtungen einerseits und<br />

den Einrichtungen zur Abwasserreinigung (Kläranlage) andererseits<br />

und bei den Kanalisationseinrichtungen weiter zwischen Mischwasser-<br />

und Niederschlagswasserkanälen unterschieden. Die auf die (reinen)<br />

Niederschlagswasserkanäle entfallenden Kosten (kalkulatorische<br />

Kosten und Betriebskosten im eigentlichen Sinn) werden je zur Hälfte<br />

der Straßenentwässerung und der Niederschlagswasserbeseitigung<br />

der Grundstücke zugeordnet. Bei den Mischwasserkanälen wird der<br />

auf die Straßenentwässerung entfallende Anteil an den Kosten dagegen<br />

auf 25 Prozent festgelegt. Bei der Kläranlage wird der Anteil mit<br />

5 Prozent angenommen.<br />

Dieses Vorgehen ist nicht zu beanstanden. Die Aufteilung der auf die<br />

(reinen) Niederschlagswasserkanäle entfallenden Kosten im Verhältnis<br />

50 zu 50 entspricht allgemeinen Erfahrungswerten (vgl. u.a. OVG<br />

Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.10.2007 – 2 LB 34/06 – juris; Faiß,<br />

Kommunalabgabenrecht in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, § 17 Rn. 4). Der<br />

Rückgriff auf diese Erfahrungswerte steht allerdings unter dem Vorbehalt,<br />

dass die Verhältnisse im Gebiet der jeweiligen Gemeinde nicht<br />

durch Besonderheiten gekennzeichnet sind, die zu einer von diesen<br />

Werten abweichenden Beurteilung zwingen. Dass sich im Fall der<br />

Beklagten die maßgebenden Verhältnisse von den durchschnittlichen<br />

Verhältnissen in anderen Gemeinden wesentlich unterschieden, wird<br />

vom Kläger jedoch nicht geltend gemacht. Hierfür ist auch sonst<br />

nichts zu erkennen.<br />

Was die kalkulatorischen Kosten für die Mischwasserkanäle und die<br />

Kläranlage betrifft, ist die Beklagte bei der Festlegung des auf die Straßenentwässerung<br />

entfallenden Anteils einem von der VEDEWA entwickelten<br />

und in der Rechtsprechung des Senats gebilligten Berechnungsmodell<br />

(vgl. Schoch/Kaiser/Zerres, Straßenentwässerungskostenanteil<br />

bei der Abwassergebühr, <strong>BWGZ</strong> 1998, 747, 748) gefolgt,<br />

wonach der Anteil der Straßenentwässerung an den auf die Mischwasserkanalisation<br />

entfallenden kalkulatorischen Kosten regelmäßig mit<br />

25 Prozent und der Anteil der Straßenentwässerung an den auf die<br />

Kläranlage entfallenden kalkulatorischen Kosten mit 5 Prozent veranschlagt<br />

werden kann. Die Umstände des Einzelfalls können auch insoweit<br />

eine hiervon abweichende Aufteilung der Kosten erfordern.<br />

Für das Vorliegen solcher Umstände kann jedoch dem Vorbringen des<br />

Klägers ebenfalls nichts entnommen werden.<br />

Die Beklagte hat die gleiche Aufteilung auch hinsichtlich der Betriebskosten<br />

vorgenommen, während das Berechnungsmodell der<br />

VEDEWA insoweit differenziert und den Anteil der Straßenentwässerung<br />

an den auf die Mischwasserkanalisation entfallenden Betriebskosten<br />

auf nur 13,5 Prozent und den Anteil der Straßenentwässerung<br />

an den auf die Kläranlage entfallenden Betriebskosten auf<br />

nur 1,2 Prozent veranschlagt. Ob und inwieweit diese Differenzierung<br />

zwingend ist, kann dahinstehen, da die Beklagte mit ihrem<br />

Verzicht auf eine solche Unterscheidung den Straßenentwässerungskostenanteil<br />

allenfalls zu hoch angesetzt hat. Auf die Rechtmäßigkeit<br />

der Gebührenkalkulationen und der auf diesen beruhenden<br />

Satzungen hat dies keinen Einfluss.<br />

Die Erhebung von Gebühren für die Beseitigung von Schmutzwasser<br />

einerseits und Niederschlagswasser andererseits erfordert getrennte<br />

Gebührenkalkulationen, um die den unterschiedlichen Gebührenmaßstäben<br />

entsprechenden Gebührensätze zu ermitteln. Dazu bedarf<br />

es einer Aufteilung der Kosten der Abwasserbeseitigung auf die beiden<br />

Teilleistungsbereiche (Schulte/Wiesemann in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht,<br />

Stand Mai 2010, § 6 Rn. 211). Soweit die der Abwasser-<br />

<strong>BWGZ</strong> 1 | 2011<br />

beseitigung zugehörigen Einrichtungen ausschließlich der Schmutzwasser-<br />

oder ausschließlich der Niederschlagswasserbeseitigung dienen,<br />

wie dies beispielsweise bei reinen Schmutzwasser- oder reinen<br />

Niederschlagswasserkanälen der Fall ist, sind mit dieser Aufteilung<br />

keine besonderen Probleme verbunden. Schwieriger ist die Aufteilung<br />

bei denjenigen Teileinrichtungen, die – wie bspw. ein Mischwasserkanal<br />

– der Beseitigung sowohl des Schmutzwassers als auch des Niederschlagswassers<br />

dienen. Eine rechnerisch exakte Aufteilung ist auch<br />

insoweit jedenfalls mit einem vertretbaren Verwaltungsaufwand<br />

nicht möglich. Die betreffenden Kostenanteile dürfen daher ebenfalls<br />

mit Hilfe allgemeiner Erfahrungswerte geschätzt werden.<br />

Die in den Kalkulationen der Beklagten vorgenommene Aufteilung<br />

der nach dem Abzug des Straßenentwässerungskostenanteils verbleibenden<br />

Kosten beruht auf einer solchen Schätzung, bei der die auf die<br />

Mischwasserkanäle entfallenden Kosten zu 60 Prozent der Beseitigung<br />

des Schmutzwassers und zu 40 Prozent der Beseitigung des<br />

Niederschlagswassers zugeordnet wurden. Ausgehend von einem<br />

Straßenentwässerungskostenanteil von 25 Prozent ergeben sich daraus<br />

auf die Gesamtkosten der Abwasserbeseitigung bezogene Anteile<br />

von 45 Prozent für die Schmutzwasser- und 30 Prozent für die Niederschlagswasserbeseitigung.<br />

Die Kosten der Kläranlage wurden dagegen<br />

im Verhältnis 89,5 zu 10,5 auf die Beseitigung des Schmutzwassers<br />

und die Beseitigung des Niederschlagswassers aufgeteilt.<br />

Die verantwortliche Mitarbeiterin der von der Beklagten mit der<br />

Erstellung der Gebührenkalkulation beauftragten Firma hat dazu in<br />

der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt,<br />

dass diese Werte sich in ihrer langjährigen Praxis und der Kalkulation<br />

für etwa 70 Gemeinden als Mittelwerte herausgebildet hätten.<br />

Zusammen mit ihrer Antragserwiderung hat die Beklagte ferner eine<br />

von der gleichen Firma erstellte Übersicht über in mehr als 100<br />

Gemeinden vorgenommene Berechnungen der anteiligen Kosten<br />

der Straßenentwässerung, der Schmutzwasserbeseitigung und der<br />

Niederschlagswasserbeseitigung bei einem Mischwasserkanal vorgelegt,<br />

wonach diese Anteile im Mittel 25,4 Prozent, 44,9 Prozent bzw.<br />

29,6 Prozent betragen.<br />

Dafür, dass die Beklagte mit der von ihr für richtig gehaltenen Aufteilung<br />

die Grenzen des ihr zustehenden Schätzungsspielraums überschritten<br />

hätte, sieht der Senat ebenfalls keine Anhaltspunkte. In der<br />

Literatur (Gössl/Höret/Schoch, Die neuen Methoden der Regenwasserbewirtschaftung<br />

und ihre Bedeutung für den Betrieb und die Finanzierung<br />

der öffentlichen Abwasserbeseitigung, <strong>BWGZ</strong> 2001, 820<br />

ff., 844 ff.) kann bei einer Gegenüberstellung der nach der kostenorientierten<br />

Methode ermittelten Herstellungskosten für die Kanalisation<br />

im Mittel von einem Verhältnis von 60 zu 40 zwischen den auf die<br />

Beseitigung des Schmutzwassers und den auf die Beseitigung des Niederschlagswassers<br />

entfallenden Kosten ausgegangen werden.<br />

Für die Betriebskosten wird, sofern spezielle Untersuchungen fehlen,<br />

eine Aufteilung im Verhältnis 50 zu 50 empfohlen. Für die Verteilung<br />

der Kosten der Kläranlage (kalkulatorische Kosten und Betriebskosten)<br />

wird ein Mittelwert von 90 zu 10 genannt. Die von der Beklagten<br />

vorgenommene Aufteilung entspricht diesen Werten oder weicht von<br />

ihnen nur unwesentlich ab. Da es sich um bloße Mittelwerte handelt,<br />

können allerdings auch insoweit besondere, von den durchschnittlichen<br />

Verhältnissen abweichende Umstände eine abweichende Aufteilung<br />

erforderlich machen. Umstände dieser Art werden jedoch<br />

vom Kläger wiederum nicht genannt.<br />

<strong>BWGZ</strong> Nr. 1 vom 15.1.2011 Az. 700.31<br />

64 <strong>Gemeindetag</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>


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