DIE GEMEINDE
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Postvertriebsstück DPAG, Entgelt bezahlt, E 7351 · Gemeindetag Baden-Württemberg · Panoramastraße 33, 70174 Stuttgart<br />
<strong>DIE</strong> <strong>GEMEINDE</strong><br />
Zeitschrift für die Städte und Gemeinden<br />
132. Jahrgang<br />
Organ des Gemeindetags Baden-Württemberg<br />
15. Januar 2009<br />
BWGZ 1/2009
NEUES KOMMUNALES<br />
HAUSHALTS- UND RECHNUNGSWESEN<br />
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STR (vor 2004 Kanzlei Harald Schmitz in Herbrechtingen)<br />
ist seit Jahrzehnten im Bereich<br />
der kommunalen Beratung erfolgreich tätig.<br />
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bei der Vorbereitung sowie der Umsetzung<br />
der anspruchsvollen Umstellung vom kameralen<br />
Haushalt zur doppelten Buchführung<br />
von dieser langjährigen Erfahrung aus der<br />
Zusammenarbeit mit ö�entlichen Auftraggebern<br />
pro�tieren. STR ist bereits in Projekten<br />
von Kommunen zur Einführung des Neuen<br />
Kommunalen Haushalts- und Rechnungswesens<br />
beratend tätig.<br />
Gerne sind wir Ihnen auch bei der Umsetzung<br />
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Schwerpunkte der Beratungsleistungen<br />
- Inventurvorbereitung/Inventarisierung<br />
- Vermögensbewertung<br />
- Haushaltsgliederung und Produktplanerstellung<br />
- Organisation des Rechnungswesens<br />
- Erstellung der Eröffnungsbilanz und der<br />
laufenden Jahresabschlüsse sowie der<br />
Konzernabschlüsse<br />
- Budgetierung, Kennzahlenentwicklung<br />
und Haushaltsplanerstellung<br />
- Inhouse-Schulungen/Mitarbeiterqualifizierung<br />
Erschöpft?<br />
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Wir suchen nach versteckten Krankheitsursachen<br />
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Beilagenhinweis<br />
Dieser Ausgabe liegt ein Flyer<br />
der Firma Schmitz Treubert Rosenberger bei.<br />
Wir bitten um Beachtung.<br />
Sie bestimmen die Bausteine<br />
- Erstellung von Inventurhilfsmitteln/Bilanzierungs-<br />
und Bewertungsrichtlinien<br />
- Erfassung und Bewertung von Vermögen<br />
und Schulden<br />
- Aufbau der Finanz-, Anlagen-, Debitoren-<br />
und Kreditorenbuchhaltung<br />
- Unterstützung beim Aufbau einer aussagefähigen<br />
Kosten- und Leistungsrechnung<br />
- Erstellung der Eröffnungsbilanz mit Sensitivitätsanalysen<br />
der Bilanzierungs- und Bewertungsspielräume,<br />
um die Auswirkungen<br />
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Einzelfragen<br />
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BWGZ 1/2009 I NHALTSVERZEICHNIS<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Editorial 2<br />
Bilanz und Perspektiven<br />
Kommunale Bilanz 2008 und Perspektiven 2009:<br />
Steter Einsatz zeitigt Erfolge – Anspannung im neuen Jahr 4<br />
Gt-service Dienstleistungsgesellschaft des Gemeindetags<br />
Baden-Württemberg: Europaweit aktiv 31<br />
Florian Domansky:<br />
Europabüro: Personeller Wandel – thematische Kontinuität 32<br />
Allgemeiner Teil<br />
Peter Schneider:<br />
Sparkassen – Stabilitätsanker des Finanzsystems und der Wirtschaft 38<br />
Dr. Carmina Brenner:<br />
Gibt es eine „Renaissance der Städte“ in Baden-Württemberg? 41<br />
Eva Strobel:<br />
Beschäftigung hat Vorrang 45<br />
Dr. Dieter Hundt:<br />
Das Jahr 2009 trägt die Überschrift Unsicherheit 48<br />
Dr. Günter Baumann:<br />
Die wirtschaftliche Lage ist besser als die Stimmung 50<br />
Joachim Möhrle:<br />
Handwerk als Partner der Kommunen 52<br />
Gemeindeporträt<br />
Wilfried Heupel:<br />
An Mönchweiler führt kein Weg vorbei 54<br />
Rechtsprechung<br />
Verkündung einer Landschaftsschutzgebietsverordnung<br />
durch ein gemeindliches Amtsblatt –<br />
Bedeutung für die Bekanntmachung von Satzungen 57<br />
Alle bevorteilten Personen sind zum Fremdenverkehrsbeitrag<br />
heranzuziehen 60<br />
Bücher und Zeitschriften 64<br />
Die Gemeinde (BWGZ):<br />
Zeitschrift für die Städte und Gemeinden, Stadträte,<br />
Gemeinderäte und Ortschaftsräte;<br />
Organ des Gemeindetags Baden-Württemberg<br />
(Herausgeber – Eigenverlag)<br />
Verantwortlich für den Herausgeber:<br />
Roger Kehle, Präsident<br />
Verlags- und Schriftleitung/Redaktion:<br />
Silke Gerboth-Sahm<br />
E-Mail: silke.gerboth-sahm@gemeindetag-bw.de<br />
Anschrift:<br />
Gemeindetag Baden-Württemberg<br />
Panoramastraße 33, 70174 Stuttgart<br />
Tel. 0711 22572-0, Fax 0711 22572-47<br />
E- Mail: zentrale@gemeindetag-bw.de<br />
Internet: http://www.gemeindetag-bw.de<br />
Die Gemeinde (BWGZ)<br />
erscheint zweimal monatlich.<br />
Bezugspreise (ohne MWSt.):<br />
– für Mitgliedsstädte und Mitgliedsgemeinden:<br />
Jahresabonnement 115 Euro<br />
– für sonstige Bezieher:<br />
Jahresabonnement 135 Euro<br />
– für Stadt-, Gemeinde- und Ortschaftsräte,<br />
Studenten und öffentliche Bibliotheken:<br />
Jahresabonnement 80 Euro<br />
Bei Mehrfachabnahme Sonderrabatte möglich.<br />
Alle Preise einschl. Versand- und Zustellgebühren.<br />
Einzelhefte kosten 8 Euro einschl. MWSt. und<br />
können nur gegen Vorauskasse bezogen werden<br />
(Kto.-Nr. 13 66 901, Landesbank<br />
Baden-Württemberg, BLZ 600 501 01).<br />
Bestellungen: Schriftlich an den Gemeindetag.<br />
Abbestellungen: Schriftlich an die Geschäftsstelle<br />
des Gemeindetags vier Wochen vor Halbjahresende,<br />
Abbestellungen werden nur zum<br />
30. Juni und zum 31. Dezember wirksam.<br />
Nachdrucke und Kopien: Nur mit ausdrücklicher<br />
Genehmigung des Gemeindetags<br />
(dies gilt nicht für Mitgliedsstädte und Mitgliedsgemeinden);<br />
Quellenangabe erforderlich.<br />
Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht in<br />
jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder.<br />
Für die inhaltliche Richtigkeit von Fremdbeiträgen<br />
ist der jeweilige Verfasser verantwortlich.<br />
Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bildmaterial<br />
übernimmt der Herausgeber keine Verantwortung.<br />
Die Redaktion behält sich Kürzungen und<br />
Überarbeitung vor.<br />
Anzeigenverwaltung: Das Medienquartier<br />
Spitzwegstraße 20, 70192 Stuttgart<br />
Tel. 0711 91263506, Fax 0711 9358924<br />
E- Mail: bwgz@das-medienquartier.de<br />
Die Anzeigenverwaltung ist für Anzeigen und<br />
Hinweise im Anzeigenteil verantwortlich.<br />
Druck: Gaiser Print Media GmbH,<br />
73527 Schwäbisch Gmünd<br />
Zum Titelbild:<br />
Ein Mönch – Namensgeber für die<br />
Gemeinde Mönchweiler im<br />
Schwarzwald-Baar-Kreis. Die vor<br />
750 Jahren erstmals urkundlich<br />
erwähnte Gemeinde macht nicht nur<br />
als gefragter Wohnort und<br />
Wirtschaftstandort von sich reden,<br />
sondern nimmt eine herausragende<br />
Vorreiterrolle in der kommunalen<br />
Medienlandschaft ein.<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 1
E DITORIAL BWGZ 1/2009<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
ich hoffe und wünsche, Sie konnten sich über die Feiertage erholen und Kraft sammeln für die schwierigen und<br />
anspruchsvollen Aufgaben, die vor Ihnen stehen.<br />
Ein Jahr wirtschaftlicher Sorgen<br />
Schauen wir kurz zurück zum Jahresanfang 2008, so müssen wir feststellen, dass ein guter Start noch lange<br />
keine Garantie für einen guten Verlauf darstellt. Denn dem Optimismus der ersten Monate folgte eine eiskalte<br />
Ernüchterung.<br />
Die Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg werden im Rahmen ihrer Möglichkeiten die geeigneten Maßnahmen<br />
ergreifen, um ihrer gesamtwirtschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden.<br />
Es gilt gerade jetzt, mit Augenmaß und Vorsicht zu investieren, anstatt in Aktionismus zu verfallen. Falsch wäre,<br />
solche Maßnahmen zu realisieren, die sich auf lange Sicht als nicht zukunftsfähig erweisen. Deshalb unterstützen<br />
wir dem Grunde nach das geplante Vorziehen von Investitionsmaßnahmen im Rahmen des Kommunalen<br />
Investitionsfonds.<br />
Jahr der demokratischen Jubiläen<br />
Aber das neue Jahr bringt noch viel mehr mit sich. 2009 ist ein Jahr der demokratischen Jubiläen:<br />
Vor 90 Jahren entstand die Weimarer Republik als demokratischer Bundesstaat.<br />
Vor 60 Jahren brachte das Grundgesetz uns eine der fortschrittlichsten Verfassungen.<br />
Vor 60 Jahren entstand mit dem Europarat die älteste originär politische Organisation Europas.<br />
Vor 30 Jahren wurde das Europäisches Parlament zum ersten Mal gewählt – es ist die einzige direkt gewählte,<br />
supranationale Institution weltweit.<br />
Vor 20 Jahren erlebten wir die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten als Triumph des friedvollen<br />
Widerstands.<br />
Wir können uns – trotz aller Schwierigkeiten – glücklich schätzen, in diesem Land und in dieser politischen Sicherheit<br />
leben zu dürfen. Das ist für Millionen von Menschen in anderen Ländern keine Selbstverständlichkeit.<br />
2 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 E DITORIAL<br />
Wahljahr 2009<br />
In diesem Jahr erlebt die Demokratie einen Höhepunkt wie seit Jahren nicht.<br />
Am 23. Mai erfolgt die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung.<br />
Europawahl und Kommunalwahl finden am 7. Juni statt.<br />
Bundestagswahl ist am 27. September.<br />
Die Kandidatenkür ist in vollem Gang, auf allen Ebenen nimmt der Wahlkampf allmählich Fahrt auf.<br />
In den Städten und Gemeinden in Baden-Württemberg laufen die Vorbereitungen zur Durchführung der beiden Wahltermine<br />
inzwischen auf vollen Touren. Für die Bürgerinnen und Bürger kaum sichtbar – müssen die Verwaltungen<br />
diesen Wahlmarathon langfristig vorbereiten und dann einen reibungslosen Ablauf sicherstellen. Die verantwortlichen<br />
Damen und Herren in den Städten und Gemeinden wissen, wovon die Rede ist. Es ist wünschenswert, dass für diese<br />
großartige Leistung in der Öffentlichkeit eine entsprechende Anerkennung gezollt werden würde.<br />
Der Gemeindetag Baden-Württemberg und seine Verwaltungsschule werden Sie das ganze Jahr über in bewährter Weise<br />
mit Informationen und Schulungen bei dieser verantwortungsvollen Aufgabe unterstützen.<br />
Gemeinderatswahlen<br />
In den Städten und Gemeinden müssen mehr als 20.000 Männer und Frauen in das Amt eines Gemeinderats oder<br />
Ortschaftsrats gewählt werden. Verantwortungsbewusste Menschen sind bereit, einen erklecklichen Teil ihrer Freizeit<br />
in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen.<br />
Es ist keine Selbstverständlichkeit, eine solche Aufgabe zu übernehmen und alle, die sich zur Wahl stellen, verdienen<br />
unseren uneingeschränkten Respekt. Nicht zuletzt deshalb ist es auch die Pflicht der wahlberechtigten Bürgerinnen<br />
und Bürger, diese Möglichkeit der demokratischen Einflussnahme wahrzunehmen.<br />
Sehr geehrte Damen und Herren, das Jahr 2009 wird schwierig. Das lässt sich nicht schönreden. Aber die Städte<br />
und Gemeinden in Baden-Württemberg sind hervorragend aufgestellt.<br />
Voll Vertrauen in Ihre Leistungsfähigkeit wünsche ich Ihnen allen im Namen des Gemeindetags Baden-Württemberg<br />
ein erfolgreiches Jahr 2009.<br />
Roger Kehle<br />
Präsident<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 3
B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN BWGZ 1/2009<br />
Kommunale Bilanz 2008 und Perspektiven 2009<br />
Kommunale Bilanz 2008 und Perspektiven 2009:<br />
Steter Einsatz zeitigt Erfolge – Anspannung im neuen Jahr<br />
Verfassungsänderung in Sachen Konnexität –<br />
Landtag löst Zusage ein<br />
Durch das am 30.4.2008 beschlossene Gesetz<br />
zur Änderung der Verfassung des Landes<br />
Baden-Württemberg und durch das Gesetz<br />
zur Stärkung des Konnexitätsprinzips,<br />
welches in Artikel 1 das Gesetz zu einem<br />
Konsultationsverfahren zur Kostenfolgenabschätzung<br />
nach Artikel 71 Abs. 3 der Verfassung<br />
des Landes Baden-Württemberg<br />
(Konnexitätsausführungsgesetz – KonnexAG)<br />
und in Artikel 2 die Änderung des Gesetzes<br />
über den Staatsgerichtshof beinhaltet,<br />
hat der Landesgesetzgeber nach langem und<br />
zähem Ringen den jahrzehntelangen Forderungen<br />
der kommunalen Seite nach einer<br />
Stärkung des Konnexitätsprinzips und einem<br />
damit verbundenen verstärkten Schutz<br />
der kommunalen Ebene vor einseitigen Aufgabenübertragungen<br />
ohne ausreichenden<br />
Mehrkostenausgleich Rechnung getragen.<br />
Formal wurde damit der kommunalen<br />
Ebene ein Stück mehr an Augenhöhe eingeräumt,<br />
was die Übertragung von Aufgaben<br />
an die Kommunen durch den Gesetzgeber<br />
und deren Finanzierung anbelangt,<br />
als dies in der Vergangenheit der Fall war.<br />
Wenn auch dieser politische Erfolg nur im<br />
Zusammenwirken aller drei kommunaler<br />
Landesverbände erzielt werden konnte, so<br />
war es letztlich der jahrelangen Beharrlichkeit<br />
und der Ausdauer des Gemeindetags,<br />
namentlich dem früheren Hauptgeschäftsführer<br />
Prof. Dr. O. Steger, zu verdanken,<br />
dass dies erreicht werden konnte.<br />
Nach der vorgenommenen Verfassungsänderung<br />
erstreckt sich nunmehr das Konnexitätsprinzip<br />
in der Landesverfassung –<br />
der Grundsatz, wer bestellt bezahlt – auf<br />
vom Land veranlasste nachträgliche Änderungen<br />
landesrechtlich übertragener<br />
Aufgaben, die Übertragung neuer bisher<br />
vom Land noch nicht wahrgenommener<br />
Aufgaben sowie auf eigene Anforderungen<br />
des Landes an die Erfüllung bestehender<br />
Aufgaben. Mit dem Gesetz zu einem<br />
Konsultationsverfahren zur Kostenfolge-<br />
abschätzung nach Artikel 71 Abs. 3 der<br />
Landesverfassung hat das Land einer weiteren<br />
langjährigen kommunalen Forderung<br />
nunmehr auch Rechnung getragen, bereits<br />
im Vorfeld eines Gesetzgebungsverfahren<br />
die durch ein Gesetz ausgelösten materiellen<br />
Belastungen der kommunalen Ebene<br />
zu ermitteln und diese mit in den Gesetzgebungsprozess<br />
einzubeziehen.<br />
Durch eine Änderung des Gesetzes über den<br />
Staatsgerichtshof fand noch eine weitere<br />
Stärkung der rechtlichen Stellung der kommunalen<br />
Landesverbände Baden-Württembergs<br />
in Fragen der Konnexität statt. Diesen<br />
ist es nunmehr möglich, Klagen von Gemeinden<br />
oder Gemeindeverbänden gegen<br />
die Verletzung des Konnexitätsprinzips vor<br />
dem Staatsgerichtshof beizutreten und diese<br />
direkt mit unterstützen zu können.<br />
2009 – Ein Jahr der Wahlen<br />
Das Innenministerium Baden-Württemberg<br />
hat den 7. Juni 2009 als Wahltag für die nächsten<br />
Kommunalwahlen in Baden-Württemberg<br />
bestimmt. Auch die Europawahl in Deutschland<br />
wird an diesem Sonntag stattfinden.<br />
Mit Blick auf den Wahltermin 7. Juni 2009<br />
hatte die Landesregierung bereits im März<br />
2008 die Pfingstferien 2009 um eine Woche<br />
vorverlegt. Sie dauern nunmehr vom<br />
25. Mai 2009 bis 6. Juni 2009 können damit<br />
nicht mit dem Wahltermin kollidieren.<br />
Der Gemeindetag hatte diese Maßnahme<br />
eingefordert, nachdem es sich bereits Anfang<br />
des Jahres 2008 gezeigt hatte, dass<br />
der 7. Juni 2009 als Wahltermin anvisiert<br />
wird. Die Pfingstferien 2009 enden allerdings<br />
erst am Samstag vor dem Wahltag.<br />
Es darf nicht verkannt werden, dass sich<br />
deshalb die Mobilisierung von Wahlhelfern<br />
in den Städten und Gemeinden trotzdem<br />
schwierig gestalten könnte.<br />
Nach nunmehr sechs Monaten konkreter<br />
Erfahrung mit der erfolgten Verfassungsänderung<br />
muss von kommunaler Seite jedoch<br />
festgestellt werden, dass die zur Stärkung<br />
des Konnzexitätsprinzips vorgenommenen<br />
verfassungsrechtlichen und gesetzlichen<br />
Änderungen noch nicht in dem<br />
vorgegebenen und erwarteten Umfang in<br />
die Gesetzgebungsverfahren der jüngsten<br />
Zeit Eingang gefunden hat.<br />
So findet das Konsultationsverfahren zur<br />
Kostenfolgenabschätzung bisher allenfalls<br />
nur eine geringe Berücksichtigung in den<br />
Gesetzentwürfen der zuständigen Ressorts.<br />
Dem gilt es 2009 seitens der kommunalen<br />
Landesverbände in verstärktem<br />
Maße entgegenzuwirken, damit das Konsultationsverfahren<br />
zur Kostenfolgenabschätzung<br />
– wie vom Gesetzgeber bewusst<br />
auch gewollt – zum Standard eines jeden<br />
Gesetzgebungsverfahrens des Landes mit<br />
kommunaler Betroffenheit gehört.<br />
Die gleichzeitige Durchführung der Kommunalwahlen<br />
mit der Europawahl wird für<br />
die Städte und Gemeinden und ihre Wahlhelferinnen<br />
und Wahlhelfer wieder eine<br />
große Herausforderung sein. In Abwägung<br />
der Vor- und Nachteile eines gemeinsamen<br />
Wahltermins und insbesondere unter Berücksichtigung,<br />
dass im Herbst 2009 die<br />
Bundestagswahl ebenfalls ansteht, hat sich<br />
der Gemeindetag einer Zusammenlegung<br />
der Kommunalwahl mit der Europawahl<br />
im Jahr 2009 nicht widersetzt. Den Wählerinnen<br />
und Wählern wäre es schwer vermittelbar<br />
gewesen, dreimal in einem Jahr<br />
an die Urne gerufen zu werden.<br />
Am 7. Juni 2009 werden zirka 20.000<br />
kommunale Mandatsträger in Städten, Gemeinden<br />
und Landkreisen gewählt werden<br />
müssen. Es ist zu hoffen, dass es den Parteien<br />
und Wählervereinigungen gelingen<br />
wird, eine große Zahl von Kandidatinnen<br />
4 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN<br />
und Kandidaten für die Kommunalwahlen<br />
zu gewinnen. In Anbetracht der allgemeinen<br />
Situation müssen bei der Kandidatensuche<br />
sicher größere Anstrengungen unternommen<br />
werden. Trotzdem: Mehr denn<br />
je sind die Bürgerinnen und Bürger aufgerufen,<br />
die Entwicklungen in ihren Kommunen<br />
mit zu gestalten.<br />
Der Gemeindetag bemüht sich nachhaltig,<br />
die Entscheidungsfreiräume für ehrenamtlich<br />
Tätige in den Organen der Städte und<br />
Gemeinden trotz schwieriger Zeiten zu erhalten.<br />
Dazu gehört die kontinuierliche<br />
und nachhaltige verbandspolitische Arbeit<br />
im Interesse unserer 1.062 Mitgliedsstädte<br />
und Mitgliedsgemeinden. Zudem legt der<br />
Gemeindetag starke Prioritäten auf den<br />
Beratungs- und Informationsservice für<br />
die Mitglieder und zum anderen wird die<br />
Verwaltungsschule wie seither nach der<br />
Kommunalwahl ein intensives und umfangreiches<br />
Seminarangebot für die neu<br />
gewählten Gemeinderätinnen und Gemeinderäte,<br />
Ortschaftsrätinnen und Ortschaftsräte<br />
anbieten, um ihnen den Einstieg<br />
zu erleichtern.<br />
Zu den Kommunalwahlen 2009 werden<br />
rund 7,7 Mio. Wahlberechtigte für die<br />
Gemeinderatswahlen und 6,4 Mio. für<br />
die Kreistagswahlen zur Wahlurne gerufen<br />
werden. Mit dem Beitritt von Rumänien<br />
und Bulgarien zu der Europäische<br />
Union zum 1. Januar 2007 werden bei<br />
den nächsten Kommunalwahlen 2009<br />
auch die rund 4.500 bulgarischen und<br />
knapp 16.000 rumänischen Mitbürger in<br />
Baden-Württemberg die Möglichkeit bekommen,<br />
die Politik an ihrem Wohnort<br />
mitzubestimmen.<br />
Seitdem in Deutschland bei Wahlen eine<br />
zunehmende Wahlenthaltung zu beobachten<br />
ist, erfährt die Wahlbeteiligungsquote<br />
immer mehr eine besondere Aufmerksamkeit.<br />
Bei den Gemeinderatswahlen im Jahre<br />
2004 lag die durchschnittliche Wahlbeteiligung<br />
bei 52 Prozent; sie ist damit gegenüber<br />
dem Wahljahr 1999 um 1 Prozent<br />
erneut gesunken. Zur Erhöhung der Wahlbeteiligung<br />
sind bereits verschiedene Aktionen<br />
auf Landes- und Bundesebene angelaufen.<br />
Vertreter des Gemeindetags wirken<br />
daran mit. Man wird hierbei darauf<br />
bedacht sein müssen, dass das Eigengewicht<br />
der kommunalen Wahlen sowie die<br />
Notwendigkeit örtlich sorgfältig abzustimmender<br />
Informationsbedürfnisse dabei<br />
ausreichend Berücksichtigung finden. Insbesondere<br />
sollten Bund und Land Aktionen<br />
unterlassen, die zulasten der finanziellen<br />
und organisatorischen Ressourcen der<br />
Städte und Gemeinden gehen können und<br />
den Erfolg durch entgegen gesetzte Maßnahmen<br />
konterkarieren.<br />
Bilanz und Perspektiven:<br />
Verfassungsänderung in Sachen<br />
Konnexität – Landtag löst Zusage ein<br />
2009 – Ein Jahr der Wahlen<br />
Kommunale Haushalte im Strudel<br />
der globalen Wirtschaftskrise<br />
Kommunaler Finanzausgleich<br />
auf dem Prüfstand<br />
Reform des kommunalen Haushaltsrechts<br />
kommt in den Landtag<br />
Grundsteuererlass wegen wesentlicher<br />
Ertragsminderung – doch keine Gesetzesänderung<br />
zur Begrenzung des Grundsteuererlasses<br />
Finanzrechtsstreit EVS 1992 beendet –<br />
alles bleibt wie es war<br />
Neue Gewerbesteuerzerlegung für Windkraftanlagen<br />
– Anlass, den gewerbesteuerlichen<br />
Zerlegungsmaßstab auch<br />
für andere Wirtschaftszweige zu überdenken?<br />
Neue Verteilungsschlüssel für den<br />
Gemeindeanteil an der Einkommensteuer<br />
und an der Umsatzsteuer ab 2009<br />
Neuregelung der gemeindlichen Eigenbeteiligung<br />
im Erschließungsbeitragsrecht<br />
Jahressteuergesetz 2009 und Betriebe<br />
gewerblicher Art – Gesetzliche Festschreibung<br />
der bisherigen Verwaltungspraxis<br />
zum steuerlichen Querverbund<br />
Umsatzbesteuerung von Wasserhausanschlüssen<br />
– Ermäßigter Mehrwertsteuersatz<br />
oder Regelsteuersatz – das ist hier<br />
die Frage<br />
Ausbau der Ganztagesschulen in Baden-<br />
Württemberg in Fahrt<br />
Förderung von Betreuungsangeboten durch<br />
das Land muss unbefristet weiter gelten<br />
Ausbau und Finanzierung von Krippen<br />
und Kindertagesbetreuungseinrichtungen –<br />
kommunale Bildungslandschaften entwickeln<br />
und gestalten<br />
Umsetzung des Krippeninvestitionsprogramms<br />
des Bundes<br />
Neuausgestaltung der Betriebskostenförderung<br />
Kleinkindbetreuung und Kindergartenförderung<br />
ab 2009<br />
Neues Beratungsfeld des Gemeindetags<br />
und der Gt-service im Bereich Beratung<br />
bei der Erstellung örtlicher Bildungs- und<br />
Betreuungskonzeptionen<br />
Die Rahmenbedingungen für die Durchführung<br />
der Kommunalwahlen und der<br />
Europawahl 2009 sind gesetzt: Der Landtag<br />
hat am 5.11.2008 ein Gesetz zur Änderung<br />
des Kommunalwahlrechts beschlossen.<br />
Die Kommunalwahlordnung wurde<br />
ebenfalls entsprechend angepasst.<br />
Support für pädagogische Computernetze<br />
an Schulen<br />
Pflegestützpunkte<br />
Gemeindenetzwerk Bürgerschaftliches<br />
Engagement<br />
Nachhaltigkeitsstrategie Baden-Württemberg<br />
– Projekte schreiten langsam voran<br />
Flächeninanspruchnahme<br />
Änderung der Landesbauordnung Baden-<br />
Württemberg<br />
Landeswohnraumförderungs gesetzes:<br />
Satzung über die Höhe der zulässigen<br />
Miete ist kein Beitrag zum Bürokratieabbau<br />
Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes<br />
zur Änderung des Feuerwehrgesetzes –<br />
Erweiterung des Kostenersatzes<br />
Fortschreibung des Generalverkehrsplans<br />
Baden-Württemberg<br />
Radverkehr – Handlungsfelder aus dem<br />
Runden Tisch Radverkehr<br />
Ländlicher Raum<br />
Breitbandinitiative Ländlicher Raum<br />
Kommunaler Klimaschutz<br />
Wettbewerbsfähige Kommunalverwaltung<br />
setzt auf Personalentwicklung<br />
Dienstrechtsreform: Sie kommt. Sie kommt<br />
nicht. Sie kommt?<br />
Kilometergeld endlich erhöht<br />
Notariats- und Grundbuchreform – Ziele<br />
des Landes außerordentlich ehrgeizig<br />
Gründung eines Landesforstbetriebs<br />
gemäß § 26 LHO<br />
Fortentwicklung des Tourismuskonzepts<br />
Baden-Württemberg<br />
Zensus 2011 – Was hat das mit der<br />
amtlichen Einwohnerzahl zu tun?<br />
Vorbereitungen sind im Gange<br />
Abschaffung des Widerspruchsverfahrens<br />
– Pilotversuch wird nun doch nicht durchgeführt<br />
Änderung des Bestattungsgesetzes<br />
Messe im neuen Gewand<br />
Neue KIBW online<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 5
B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN BWGZ 1/2009<br />
Die gesetzlichen Änderungen berühren<br />
hauptsächlich Bürgermeisterwahlen.<br />
Künftig entfällt der Stimmzettelumschlag<br />
bei der Wahl des Bürgermeisters für die<br />
Urnenwahl. Das entspricht einer Gemeindetagsforderung.<br />
Die Abschaffung der<br />
Stimmzettelumschläge bringt Zeitersparnisse<br />
und weitere Erleichterungen für die<br />
Wahlvorstände bei der Auszählung.<br />
Stimmzettelumschläge sind jedoch weiterhin<br />
bei der Briefwahl zur Wahrung des<br />
Wahlgeheimnisses zwingend erforderlich.<br />
Bei den Gemeinderats-, Ortschaftsrats-<br />
und Kreistagswahlen sowie bei der Wahl<br />
der Mitglieder der Regionalversammlung<br />
des Verbands Region Stuttgart sind nach<br />
wie vor Stimmzettelumschläge vorgeschrieben.<br />
Im Gegensatz zum Einheitsstimmzettel<br />
bei der Bürgermeisterwahl<br />
werden bei diesen Wahlen Einzelstimm-<br />
Kommunale Haushalte im Strudel<br />
der globalen Wirtschaftskrise<br />
Nachdem die im Jahr 1999 beschlossene<br />
und in den Folgejahren stufenweise umgesetzte<br />
Steuerentlastung für Private und<br />
Unternehmen, begleitet von einem rückläufigen<br />
Wirtschaftswachstum, für einen<br />
kontinuierlichen Rückgang der Steuereinnahmen<br />
gesorgt hatte, ist im Jahr 2004 eine<br />
Trendwende eingetreten und sind die<br />
Steuereinnahmen seither wieder stetig angewachsen.<br />
Insbesondere in den Jahren<br />
2006 und 2007 ist auf breiter Front in den<br />
Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen<br />
eine finanzielle Gesundung eingetreten.<br />
Durch die positive wirtschaftliche Entwicklung,<br />
aber auch durch die seit Ende<br />
2005 in Kraft gesetzten Änderungen der<br />
steuerrechtlichen Rahmenbedingungen<br />
(vgl. die Darstellung im Gemeindefinanzbericht<br />
2008, BWGZ 15-16/2008<br />
S. 536 ff.), stiegen nach Jahren des Rückgangs<br />
alle für die öffentlichen Haushalte<br />
maßgeblichen Steuereinnahmen zum<br />
Teil im zweistelligen Prozentbereich an,<br />
während auf der Ausgabenseite die durch<br />
Bund, Länder und Kommunen in den vorausgegangenen<br />
wirtschaftlich mageren<br />
Jahren in die Wege geleiteten Konsolidierungsmaßnahmen<br />
ihre positiven Wirkungen<br />
in niedrigen Steigerungsraten<br />
entfalteten.<br />
zettel verwendet, die einen Stimmzettelumschlag<br />
erfordern, zumal sie dem Wähler<br />
vorab zugesandt werden.<br />
Die Kommunalwahlordnung wurde den<br />
Änderungen im Parlamentswahlrecht des<br />
Bundes angepasst, damit die gemeinsame<br />
Durchführung der Kommunalwahlen mit<br />
der Europawahl sinnvoll und wirtschaftlich<br />
organisiert und abgewickelt werden<br />
kann. Dafür hat sich der Gemeindetag eingesetzt.<br />
Allerdings ist eine Harmonisierung<br />
der Vorschriften wegen der unterschiedlichen<br />
Wahlsysteme nicht lupenrein<br />
durchführbar. Dem Gemeindetag ist es ein<br />
Anliegen, dass Regelungen des Parlamentswahlrechts,<br />
die für die Kommunalwahlen<br />
Einschränkungen bzw. Erschwernisse<br />
zur Folge gehabt hätten, ohne dass<br />
deren Übernahme zwingend erschien,<br />
nicht übernommen wurden.<br />
Mussten die kommunalen Haushalte Baden-Württembergs<br />
für das Haushaltsjahr<br />
2005 noch einen Finanzierungssaldo von<br />
minus 195 Mio. Euro hinnehmen, konnten<br />
diese bereits im nachfolgenden Jahr 2006<br />
mit 947 Mio. Euro mehr als nur ein deutliches<br />
Plus verzeichnen. Bedingt durch das<br />
anhaltende starke Wachstum der deutschen<br />
Wirtschaft erreichte 2007 der kommunale<br />
Finanzierungssaldo Baden-Württembergs<br />
mit 2.144 Mio. Euro einen absoluten<br />
Höchststand. In gleicher Weise hat sich<br />
auch die Finanzlage von Bund und Länder<br />
verbessert. So gelang es dem Land, sein<br />
Ziel, keine neuen Schulden mehr aufzunehmen,<br />
2007 deutlich früher als nach<br />
dem Koalitionsvertrag angestrebt zu erreichen<br />
und zugleich auch noch Rücklagen<br />
anzusammeln.<br />
Trotz der zum 1.1.2008 in Kraft getretenen<br />
Unternehmensteuerreform sprudelten<br />
auch im Haushaltsjahr 2008 die Steuereinnahmen<br />
für die öffentlichen Haushalte zunächst<br />
kräftig weiter, auch wenn sich bereits<br />
zu Jahresbeginn eine konjunkturelle<br />
Abkühlung in den Prognosen zur wirtschaftlichen<br />
Entwicklung abzuzeichnen<br />
begann. In der Mai-Steuerschätzung 2008<br />
wie auch in dem vom Innenministerium<br />
mit Datum vom 21.7.2007 herausgegebenen<br />
Haushaltserlass für die Haushalts-<br />
planung des Jahres 2009 und der mittelfristigen<br />
Planung für die Jahre bis 2012<br />
fand dies in nochmals deutlich verbesserten<br />
Einnahmeerwartungen auch seinen<br />
positiven Niederschlag.<br />
Die Haushalte der baden-württembergischen<br />
Kommunen schienen danach auch<br />
im kommenden Haushaltsjahr und in den<br />
folgenden Jahren auf einem stabilen Fundament<br />
zu stehen. Ein weiterer Anstieg der<br />
Beschäftigungszahlen im laufenden Jahr<br />
schien dies zu untermauern.<br />
Dies galt bis zum 15.9.2008, dem so genannten<br />
„Schwarzen Montag“, als die USamerikanische<br />
Großbank Lehman Brothers<br />
infolge der bereits schon seit Juni<br />
2007 in den Vereinigten Staaten grassierenden<br />
Immobilienkrise Insolvenz anmelden<br />
musste und am Tag darauf der amerikanische<br />
Versicherungsriese AIG in akute<br />
Kapitalnot geriet. Die in den USA ausgelöste<br />
Immobilienkrise entwickelte sich<br />
durch eine weltweite Verbriefung amerikanischer<br />
Hypotheken zu einer Finanzkrise<br />
globalen Ausmaßes, die auch deutsche<br />
Banken in den Strudel der Insolvenz hineinzuziehen<br />
drohte und die Blase des<br />
stark durch spekulative Transaktionen geprägten<br />
Markts für Derivate mit zum Platzen<br />
brachte.<br />
Zur Rettung und Stabilisierung des weltweiten<br />
Finanzsystems mussten binnen<br />
kürzester Frist die Regierungen aller wichtigen<br />
Volkswirtschaften Rettungsschirme<br />
für ihren Bankensektor in Bezug auf die<br />
Bereitstellung von Liquidität und Bürgschaften<br />
für die Aufrechterhaltung des Interbankenhandels<br />
aufspannen. Allein die<br />
Bundesregierung schnürte ein Sicherungspaket<br />
in einem Umfang von 500 Mrd. Euro<br />
und gab zugleich ein Bürgschaftsversprechen<br />
zur Sicherung der bestehenden<br />
Spareinlagen ab.<br />
All dies konnte nicht verhindern, dass die<br />
Finanzmarktkrise auch auf die Realwirtschaft<br />
übergesprungen ist. Die Automobilindustrie<br />
sieht sich weltweit mit einem<br />
Nachfrageeinbruch in einem bisher nicht<br />
gekannten Ausmaß konfrontiert. Produktionsstopps,<br />
Zwangsurlaub und Stellenbau<br />
sind die Folge. Aber auch viele andere<br />
Branchen spüren die Folgen der Finanzmarktkrise.<br />
Auftragsrückgänge von 20<br />
und mehr Prozent sind an der Tagesordnung.<br />
Die Finanzmarktkrise hat sich in nur<br />
6 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN<br />
wenigen Wochen zu einer Weltwirtschaftskrise<br />
ausgeweitet, die in ihrem Ausmaß<br />
immer mehr Züge der Weltwirtschaftskrise<br />
von 1929 bis 1932 annimmt.<br />
Von der Bundesregierung wurden im September<br />
2008 Prognosen über einen Rückgang<br />
des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für<br />
2009 um 0,8 Prozent kategorisch als<br />
Schwarzmalerei abgetan und noch Mitte<br />
Oktober eine Wachstumserwartung von 0,2<br />
Prozent für das kommende Jahr verkündet.<br />
In der Zwischenzeit haben der IWF<br />
(6.11.2008) und die Bundesbank<br />
(5.12.2008) ihre Prognosen ebenfalls auf<br />
-0,8 Prozent mehr als deutlich nach unten<br />
korrigiert und gehen von einer Rezession<br />
der deutschen Wirtschaft im Jahr 2009 aus.<br />
Die OECD kommt mit ihrer Prognose eines<br />
Rückgangs um 0,9 Prozent (25.11.2008)<br />
nahezu zum gleichen Ergebnis.<br />
Das wahre Ausmaß der eingetretenen<br />
Wirtschaftskrise scheint damit aber bei<br />
weitem noch nicht umschrieben zu sein.<br />
Der wirtschaftliche Abschwung gewinnt<br />
scheinbar noch immer an Fahrt. So werden<br />
die Prognosen für die Entwicklung des<br />
BIP im Jahr 2009 immer düsterer: das RWI<br />
rechnet für 2009 (10.12.2008) mit einem<br />
noch gravierenderen Rückgang der Wirtschaftsleistung<br />
um 2,0, das Ifo-Institut<br />
(11.12.2008) sogar um 2,2 Prozent. Ein<br />
noch stärkerer Rückgang wird zwischenzeitlich<br />
als nicht mehr für ausgeschlossen<br />
angesehen. Das so scheinbar wirtschaft-<br />
lich gute Jahr 2008 hat sich an seinem Ende<br />
zu einem Krisenjahr unbekannten Ausmaßes<br />
entwickelt.<br />
Die unausbleibliche Folge werden 2009<br />
der Verlust von Arbeitsplätzen und rückläufige<br />
Steuereinnahmen sein.<br />
Um dem entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung<br />
bereits am 5.11.2008 ein milliardenschweres<br />
Konjunkturpaket mit 15<br />
Maßnahmen auf den Weg gebracht, durch<br />
das in den kommenden zwei Jahren u.a.<br />
Investitionen von bis zu 50 Mrd. Euro ausgelöst<br />
werden sollen. Für Bund, Ländern<br />
und Kommunen summieren sich die Kosten<br />
für dieses Paket bis 2011 auf rund 23<br />
Mrd. Euro. Von Interesse für die Kommunen<br />
sind in dem Konjunkturpaket folgende<br />
Maßnahmen:<br />
Infrastrukturförderung für strukturschwache<br />
Kommunen<br />
Aufstockung des CO 2-Gebäudesanierungsprogramms<br />
Aufstockung des Bundeszuschusses<br />
für Maßnahmen zur Verbesserung<br />
der regionalen Wirtschaftsstruktur<br />
(GRW-Mittel)<br />
Daneben sieht sich das Land mit in der<br />
Pflicht, dieses Maßnahmenpaket mit<br />
einem eigenen Investitionspaket zu unterstützen.<br />
Gerade die baden-württembergische<br />
Wirtschaft ist durch ihre überaus<br />
starke Präsenz auf den Weltmärkten durch<br />
die Globalität dieser Wirtschaftskrise in<br />
besonderem Maße von deren Auswirkungen<br />
negativ betroffen. Am 9.12.2008<br />
hat der Koalitionsausschuss der Landesregierung<br />
Eckpunkte für ein 18-monatiges<br />
Landes-Konjunkturpaket mit folgenden<br />
drei Schwerpunkten beschlossen:<br />
350 Mio. Euro zusätzliche Investitionen<br />
des Landes in den Bereichen<br />
Hochbau, Straßenbau und energetische<br />
Gebäudesanierung anstelle des<br />
in dieser Höhe vorgesehenen Schuldenabbaus;<br />
Erhöhung der Landesbürgschaften<br />
von 150 Mio. Euro auf 500 Mio. Euro<br />
zur Stützung von in finanzielle Notlage<br />
geratenen im Land ansässigen Unternehmen;<br />
Aufstockung der im Kommunalen<br />
Investitionsfonds (KIF) zur Verfügung<br />
stehenden Mittel im Jahr 2009<br />
um 200 Mio. Euro und im Jahr 2010<br />
um 100 Mio. Euro, insgesamt 300<br />
Mio. Euro.<br />
Die Refinanzierung der Aufstockung der<br />
KIF-Mittel sollte nach den Vorstellungen<br />
des Landes in den Jahren 2011 bis 2013 voll<br />
zulasten der den Kommunen als freie Mittel<br />
zur Verfügung stehenden Kommunalen Investitionspauschale<br />
(KIP) stattfinden.<br />
Letzteres haben die Kommunalen Landesverbände<br />
abgelehnt. Zum einen, weil in<br />
den Jahren 2011 und danach bei einem längeren<br />
Anhalten der Krise aus heutiger<br />
Sicht auch mit einem Einbrechen der<br />
Leistungen des Kommunalen Finanzausgleichs<br />
zu rechnen ist. Eine zusätzliche<br />
Kürzung der KIP würde diese Entwicklung<br />
nur verschärfen. Zum anderen würden<br />
die Kommunen neben den von ihnen<br />
ohnehin aufzubringenden Eigenanteilen,<br />
die regelmäßig mehr als 50 Prozent der<br />
Investitionssumme betragen, auch die Finanzierung<br />
der vorgezogenen Fördermittel<br />
im KIF in vollem Umfang selbst finanzieren<br />
müssen.<br />
Dieser Teil des Investitionspakets des<br />
Landes ginge somit voll zulasten der kommunalen<br />
Haushalte und würde seine Bezeichnung<br />
ad absurdum führen. Die kommunalen<br />
Landesverbände haben deshalb<br />
gegenüber dem Land zwar grundsätzlich<br />
ihre Bereitschaft erklärt, sich an den vom<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 7
B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN BWGZ 1/2009<br />
Verteilung der im Zusammenhang<br />
mit dem Landeskonjunkturprogramm<br />
2009<br />
stattfindenden Aufstockung des<br />
Kommunalen Investitionsfonds<br />
nach Förderbereichen<br />
Förderbereich Programm-<br />
aufstockung<br />
Schulen<br />
Sportstättenbau<br />
Krankenhäuser<br />
Abwasserbeseitigung<br />
Stadtsanierung<br />
Entwicklungsprogramm<br />
Ländlicher Raum<br />
Altlastensanierung<br />
Ausgleichstock<br />
Tourismus<br />
zusammen<br />
70 Mio. Euro<br />
40 Mio. Euro<br />
70 Mio. Euro<br />
20 Mio. Euro<br />
25 Mio. Euro<br />
25 Mio. Euro<br />
5 Mio. Euro<br />
40 Mio. Euro<br />
5. Mio. Euro<br />
300 Mio. Euro*<br />
* einschließlich der im Haushaltsentwurf des Landes 2009<br />
vorgesehenen KIF-Aufstockung um 25 Mio. Euro<br />
Land geplanten zusätzlichen Investitionsfördermaßnahmen<br />
im angesprochenen<br />
Umfang zu beteiligen, das Land aber zugleich<br />
aufgefordert, für den 150 Mio. Euro<br />
übersteigenden Betrag eigenes Geld mit<br />
einzubringen.<br />
Um die Umsetzung der vorgesehenen Fördermaßnahmen<br />
(siehe Kasten) in einzelnen<br />
Bereichen zu beschleunigen und den<br />
Anreiz zur Realisierung von Investitionsmaßnahmen<br />
wie z.B. im Bereich des<br />
Schulhausbaus zu erhöhen, wurde von den<br />
kommunalen Landesverbänden zudem eine<br />
Erhöhung der in der Vergangenheit abgesenkten<br />
Fördersätze, eine Erweiterung<br />
des Förderumfangs in Bezug auf den Bau<br />
von Sporthallen im Rahmen der Ganztagesbetreuung<br />
und energetische Sanierungsmaßnahmen<br />
sowie die regelmäßige<br />
Erteilung von Unbedenklichkeitsbescheinigungen<br />
im Falle des vorzeitigen Baubeginns<br />
gefordert. Bei Redaktionsschluss<br />
war noch offen, was das Land bereit ist,<br />
hiervon umsetzen und selbst an Mitteln<br />
beizusteuern. Das Landesinvestitionspa-<br />
ket und seine Umsetzung wird daher ein<br />
Schwerpunktthema zum Jahresbeginn<br />
2009 für den Gemeindetag bleiben.<br />
Seit Mitte Dezember 2008 verdichten sich<br />
zudem die Anzeichen, dass seitens des<br />
Bundes zum Jahresbeginn 2009 ein weiteres<br />
Konjunkturpaket zur Stützung der<br />
deutschen Wirtschaft aufgelegt werden<br />
wird. Die Palette möglicher Maßnahmen<br />
reicht über Steuersenkungsprogramme<br />
großen Stils bis hin zur Ausgabe von Konsumschecks<br />
an alle Bürgerinnen und Bürger.<br />
Die damit zu erzielenden Wirkungen<br />
werden je nach Standpunkt sehr unterschiedlich<br />
durch die Politik und die Wirtschaftswissenschaften<br />
bewertet. Den meisten<br />
Vorschlägen ist gemein, dass die öffentlichen<br />
Haushalte durch ihr Ausgabenverhalten<br />
die Konjunktur entsprechend der<br />
Keynes’schen Lehre stimulieren sollen.<br />
Wenig Raum scheint dabei in der Diskussion<br />
um die richtigen Maßnahmen die Frage<br />
einzunehmen, durch welche Maßnahmen<br />
es am besten gelingt, zugleich auch<br />
privates Vermögen zur konjunkturellen<br />
Stützung zu aktivieren, anstatt durch Steuersenkungen<br />
primär die Sparquote noch<br />
weiter zu erhöhen.<br />
Unter diesen Gesichtspunkten drängt sich<br />
als eine mögliche Maßnahme eine zeitlich<br />
eng befristete deutliche Absenkung des<br />
Mehrwertsteuersatzes auf. Diese Maßnahme<br />
hätte auch den Vorteil, dass sie auch<br />
direkt der Automobilindustrie zugute käme,<br />
während die bisher beschlossenen und<br />
geplanten Investitionsfördermaßnahmen<br />
zunächst überwiegend dem Bausektor zugute<br />
kommen und in dieser Branche sogar<br />
die Gefahr einer durch verstärkte staatliche<br />
Investitionsmaßnahmen ausgelösten<br />
Sonderkonjunktur (Preisüberhitzung) besteht,<br />
was den Erfolg des Konjunkturprogramms<br />
gefährden könnte.<br />
Wie dem auch sei, für die Kommunen<br />
stellt sich angesichts der für das neue<br />
Haushaltsjahr alles andere als beruhigenden<br />
Prognosen die Frage, ob sie nicht<br />
ihre eigenen Haushalte „winterfest“ machen<br />
sollen, um gegenüber weiteren möglichen<br />
negativen finanziellen Entwicklungen<br />
infolge der Wirtschaftskrise gewappnet<br />
zu sein. Es ist davon auszugehen,<br />
dass mit der Steuerschätzung im Mai 2009<br />
die Einnahmeerwartungen der öffentlichen<br />
Haushalte erheblich nach unten korrigiert<br />
werden. Die Prognose der November-<br />
Steuerschätzung 2008 für das Jahr 2009<br />
musste bereits nach wenigen Tagen als<br />
überholt angesehen werden.<br />
Auch bei den Städten und Gemeinden kam<br />
es in den letzten Wochen des Jahres 2008<br />
zu einer bisher nicht da gewesenen Anpassung<br />
der Gewerbesteuervorauszahlungen<br />
nach unten und entsprechenden Gewerbesteuerrückerstattungen<br />
durchschnittlich in<br />
einem Umfang von 20 bis 30 Prozent des<br />
Gesamtaufkommens. Manche Städte und<br />
Gemeinden büßten zum Jahresende 2008<br />
innerhalb weniger Tage ein Drittel oder<br />
mehr ihres Jahressteueraufkommens ein.<br />
Anderseits liegen die Prognosen für 2009<br />
für das Aufkommen beim Gemeindeanteil<br />
an der Einkommensteuer und den Grundkopfbetrag<br />
für die Bemessung der Schlüsselzuweisungen<br />
nach der mangelnden<br />
Steuerkraft noch immer deutlich über den<br />
Werten für 2008 bzw. 2007, so dass bis auf<br />
die Entwicklung der Gewerbesteuereinnahmen<br />
die Einnahmenseite der kommunalen<br />
Haushalte für das Haushaltsjahr<br />
2009 als noch relativ stabil zu bewerten ist.<br />
Weiter konnte in den vergangenen guten<br />
Jahren vielfach Zukunftsvorsorge betrieben<br />
und finanzieller Handlungsspielraum<br />
wiedergewonnen werden.<br />
Diesen gilt es in Hinblick auf die allgemeine<br />
konjunkturelle Lage im Sinne von § 77<br />
Abs. 2 GemO sowie die sich durch Bundes-<br />
und Landesprogramme zur Investitionsförderung<br />
ergebenden Möglichkeiten zu<br />
nutzen, ohne dabei aber die Leistungsfähigkeit<br />
der einzelnen Kommune außer<br />
Acht zu lassen. Daher gilt es verstärkt<br />
Maßnahmen anzugehen, die wie energetische<br />
Sanierungsmaßnahmen nachhaltig<br />
die Wirtschaftlichkeit erhöhen oder ohnehin<br />
anstehenden Maßnahmen (insbesondere<br />
der bisher zurückgestellten Instandhaltung<br />
und Erneuerung) vorzeitig zu realisieren.<br />
Es gilt 2009 in besondere Weise,<br />
nicht nur die Risiken der Krise, sondern<br />
auch ihre Chancen zu erkennen und zu<br />
nutzen. Damit verbindet sich auch die Erwartung,<br />
dass es im Zusammenspiel aller<br />
Konjunktur stützenden Maßnahmen gelingt,<br />
bereits 2009 die Talsohle der Krise<br />
zu durchschreiten und auf den Wachstumspfad<br />
zurückzukehren.<br />
8 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN<br />
Kommunaler Finanzausgleich auf dem Prüfstand<br />
Im Koalitionsvertrag der Landesregierung<br />
ist für die laufende Legislaturperiode unter<br />
anderem vereinbart worden, gutachterlich<br />
in einer Kommission mit Vertretern der<br />
kommunalen Seite und des Landes zu untersuchen,<br />
ob die Ausgleichswirkung des<br />
Kommunalen Finanzausgleichs zwischen<br />
den Kommunen hinsichtlich der Ausgaben-<br />
und Aufgabenentwicklung noch zu<br />
gerechten Ergebnissen führt.<br />
Übersetzt handelt es sich dabei schlicht um<br />
die Fragestellung, ob das Spannungsverhältnis<br />
zur Ermittlung der Bedarfsmesszahl<br />
nach § 7 FAG zwischen der kleinsten<br />
Gemeindegrößengruppe von unter 3.000<br />
Einwohner bis zur größten Gemeindegrößengruppe<br />
im Kommunalen Finanzausgleich<br />
von über 500.000 Einwohner, das<br />
derzeit 100:186 beträgt, den aktuellen Gegebenheiten<br />
entspricht. Dahinter steht die<br />
politische Forderung, das Spannungsverhältnis<br />
für die größte Gemeindegrößengruppe<br />
zu erhöhen.<br />
Der Gemeindetag hat demgegenüber die<br />
Forderung zur Prüfung und Einführung<br />
einer Flächenkomponente im Kommunalen<br />
Finanzausgleich Baden-Württembergs<br />
erhoben, um den allgemeinen Finanzbedarf<br />
von Flächengemeinden im Kommunalen<br />
Finanzausgleich ebenfalls angemessen<br />
zu berücksichtigen. In Absprache mit<br />
den kommunalen Landesverbänden hat<br />
das Finanzministerium zur Überprüfung<br />
der Ausgleichswirkung des Kommunalen<br />
Finanzausgleichs eine Bedarfsuntersuchung<br />
anhand der Entwicklung der bereinigten<br />
Nettoausgaben der Gemeinden in<br />
Baden-Württemberg für den Zeitraum<br />
1994 bis 2005 im Laufe des Jahres 2008<br />
durchgeführt. Zur Gewährleistung der<br />
Vergleichbarkeit des kreisangehörigen Bereichs<br />
mit den Stadtkreisen wurden im<br />
kreisangehörigen Bereich die Ausgaben<br />
für die durchschnittliche Kreisumlage hinzugerechnet<br />
und bei den Stadtkreisen<br />
demgegenüber die Einnahmen aus reinen<br />
Kreisaufgaben in Abzug gebracht.<br />
Bis auf die Gemeindegrößengruppen<br />
200.000 bis unter 500.000 Einwohner sowie<br />
500.000 Einwohner und mehr spiegelt<br />
der Durchschnitt der Entwicklung der Jahre<br />
1994 bis 2005 in den anderen sechs Gemeindegrößengruppen<br />
das bisher im FAG<br />
geltende Spannungsverhältnis wider. Da-<br />
gegen verzeichnet die Gemeindegrößengruppen<br />
200.000 bis unter 500.000 Einwohner<br />
mit einem Durchschnittswert mit<br />
161 gegenüber dem geltenden Spannungsverhältnis<br />
von 179 eine unterdurchschnittliche<br />
Entwicklung, die eine Reduzierung<br />
des Spannungsverhältnisses für diese Gemeindegrößengruppe<br />
nahelegen würde. In<br />
der Gemeindegrößengruppe 500.000 Einwohner<br />
und mehr, in der lediglich die Landeshauptstadt<br />
Stuttgart vertreten ist, ergibt<br />
sich ein Durchschnittswert von 195 gegenüber<br />
186 und rechnerisch gesehen auch ein<br />
entsprechender Anpassungsbedarf.<br />
Dennoch kam die Gemeinsame Finanzkommission<br />
in einer ersten Beratung zur<br />
Bewertung der Ergebnisse der stattgefundenen<br />
Untersuchung zum Schluss, sich für<br />
eine Beibehaltung des bisherigen Spannungsverhältnisses<br />
auszusprechen. Zum<br />
einen verzeichnet die Gemeindegrößengruppe<br />
200.000 bis unter 500.000 Einwohner<br />
mit 2.056 Euro pro Einwohner im Jahr<br />
2005 den höchsten durchschnittlichen<br />
Schuldenstand pro Einwohner aller Gemeindegrößengruppen<br />
und hat hieraus einen<br />
überdurchschnittlichen Konsolidierungsbedarf,<br />
zum anderen findet in der<br />
Gemeindegrößengruppe 500.000 Einwohner<br />
und mehr keine Nivellierung der Entwicklung<br />
der Nettoausgabe durch das Fehlen<br />
weiterer Städte in dieser Gemeindegrößengruppe<br />
statt. Es kann somit davon<br />
ausgegangen werden, dass das bisher im<br />
Kommunalen Finanzausgleich geltende<br />
Spannungsverhältnis auch in den nächsten<br />
Jahren unverändert bleiben wird.<br />
Noch nicht geklärt ist dagegen die Frage,<br />
ob entsprechend dem Vorstoß des Gemeindetags<br />
in der Zukunft eine Flächenkomponente<br />
im Kommunalen Finanzausgleich<br />
Berücksichtigung finden wird. Die Entwicklung<br />
der Nettoausgaben als Indikator<br />
für den in den Finanzausgleichssystemen<br />
zu berücksichtigenden Bedarf wird in der<br />
Finanzwissenschaft nicht unkritisch gesehen.<br />
So führen höhere Einnahmen erfahrungsgemäß<br />
auch zu entsprechend höheren<br />
Ausgaben.<br />
In diesem Zusammenhang ist als ein weiteres<br />
Ergebnis der durchgeführten Untersuchung<br />
der Nettoausgaben festzuhalten,<br />
dass der Kopfbetrag, der im Kommunalen<br />
Finanzausgleich unberücksichtigten kommunalen<br />
Steuereinnahmen mit der Einwohnerzahl<br />
zunimmt. Im Durchschnitt<br />
betrug dieser in den Jahren 1998 bis 2005<br />
in der Gemeindegrößengruppe weniger als<br />
3.000 Einwohner 64 Euro pro Einwohner.<br />
Dieser Betrag erhöht sich sukzessive bis<br />
zur Gemeindegrößengruppe 500.000 Einwohner<br />
und mehr auf 363 Euro pro Einwohner,<br />
was einem „Gegenspannungsverhältnis“<br />
bei den im Kommunalen Finanzausgleich<br />
unberücksichtigten Einnahmen<br />
von 100 zu 567 entspräche.<br />
Städten und Gemeinden mit einer großen<br />
Ausdehnung und geringen Siedlungsdich-<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 9
B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN BWGZ 1/2009<br />
te sehen sich zudem in der Regel einer<br />
durchschnittlich höheren Kostenbelastung<br />
ausgesetzt als die Verdichtungsräume größerer<br />
Städte, um die notwendige Infrastruktur<br />
für die dort lebende Bevölkerung<br />
schaffen und erhalten zu können. Um dies<br />
im Kommunalen Finanzausgleich bei der<br />
Verteilung der Schlüsselmasse adäquat zu<br />
berücksichtigen, hat die Geschäftsstelle<br />
des Gemeindetags einen Modellvorschlag<br />
für die Einführung einer Flächenkomponente<br />
auf der Grundlage einer ergänzenden<br />
Bedarfsmesszahl zur bestehenden Bedarfsmesszahl,<br />
bezogen auf das Verhältnis<br />
Fläche pro Einwohner, erarbeitet. Das vom<br />
Gemeindetag vorgeschlagene Modell verknüpft<br />
die nach dem geltenden FAG zu<br />
ermittelnde Bedarfsmesszahl mit einer<br />
neuen flächenbezogenen Bedarfsmesszahl<br />
und gewichtet diese im einem Verhältnis<br />
von 100:10 zu einer kombinierten Bedarfsmesszahl.<br />
Dabei wird für die flächenbezogene<br />
Bedarfsmesszahl eine Fläche<br />
von bis zu 3.000 Quadratmetern pro Einwohner<br />
mit dem Faktor 100 und darüber<br />
hinaus in Stufen bis über 30.000 Quadratmetern<br />
pro Einwohner und mehr mit einem<br />
Faktor von bis zu 130 berücksichtigt.<br />
Die damit verbundenen Umschichtungen<br />
kämen primär den Städten und Gemeinden<br />
unter 20.000 Einwohner zugute.<br />
In den weiteren Beratungen bleibt es nun<br />
abzuwarten, inwieweit das erarbeitete Modell<br />
der Berücksichtigung einer Flächenkomponente<br />
im Kommunalen Finanzausgleich<br />
Realisierungschancen hat. Die Berücksichtigung<br />
einer Flächenkomponente<br />
im Kommunalen Finanzausgleich ist nicht<br />
nur ein baden-württembergisches Thema.<br />
Auch in Nordrhein-Westfalen beschäftigt<br />
man sich unter der Überschrift „Große Fläche<br />
darf kein Nachteil sein“ mit der Fragestellung<br />
der Berücksichtigung der besonderen<br />
finanziellen Belastungen von Städten<br />
und Gemeinden im ländlichen Raum<br />
im Rahmen des Kommunalen Finanzausgleichs.<br />
Einvernehmlich ad acta gelegt wurde dagegen<br />
eine etwaige Anhebung der Anrechnungshebesätze,<br />
nachdem der Landkreistag<br />
seinen bereits dazu gestellten Antrag<br />
zurückgezogen hat.<br />
Reform des kommunalen Haushaltsrechts<br />
kommt in den Landtag<br />
Nach wie vor ein Brennpunkt in Bilanz<br />
und Perspektiven ist die Reform des kommunalen<br />
Haushaltsrechts. Über den Reformprozess<br />
wurde wiederholt und intensiv<br />
berichtet (vgl. BWGZ 1/1008 S. 11).<br />
Die Berichterstattung in den letztjährigen<br />
Perspektiven (ebd.) endete mit der Ankündigung,<br />
das Innenministerium werde nun<br />
den Gesetzentwurf in die Verbändeanhörung<br />
geben.<br />
Dies ist erfolgt. Die daran anknüpfende<br />
ursprüngliche Zielvorstellung, noch in der<br />
zweiten Hälfte des Jahres 2008 das Gesetz<br />
im Landtag zu beschließen, damit es zum<br />
1.1.2009 in Kraft treten könne, blieb allerdings<br />
nur auf dem Papier stehen, denn der<br />
Reformprozess verzögerte sich erneut.<br />
Der Gemeindetag hat nach Vorberatung in<br />
seinen Gremien zum Gesetzentwurf zur<br />
Reform des kommunalen Haushaltsrechts<br />
mit Schreiben vom 5.5.2008 gegenüber<br />
dem Innenministerium Stellung genommen,<br />
Städtetag und Landkreistag Baden-<br />
Württemberg mit Schreiben vom<br />
13.5.2008. Städtetag und Landkreistag haben<br />
die Forderungen des Gemeindetags<br />
bis auf wenige Ausnahmen inhaltsgleich<br />
übernommen.<br />
Im August 2008 hatte das Innenministerium<br />
die Auswertung der Anhörung zum Gesetzentwurf<br />
abgeschlossen und den Regierungsfraktionen<br />
die Ergebnisse sowie die<br />
Bewertung durch das Innenministerium<br />
mit einem fortgeschriebenen Gesetzentwurf<br />
Anfang September übermittelt. Denn<br />
ohne „grünes Licht“ aus den Regierungsfraktionen<br />
beschließt die Landesregierung<br />
nicht förmlich über den Gesetzentwurf und<br />
wird das förmliche Gesetzgebungsverfahren<br />
im Landtag nicht eingeleitet.<br />
Das Innenministerium hat zwar einige<br />
der Forderungen und Anregungen der<br />
Kommunen in den fortgeschriebenen<br />
Gesetzentwurf übernommen. In den für<br />
die Gemeinden und Städte wesentlichen<br />
Eckpunkten ist es aber nicht auf<br />
die Forderungen des Gemeindetags und<br />
die inhaltsgleichen Änderungsvorschläge<br />
von Städtetag und Landkreistag<br />
eingegangen und hatte dies so auch<br />
gegenüber den Regierungsfraktionen<br />
vertreten.<br />
Dabei geht es um folgende Aspekte:<br />
die Frage des Haushaltsausgleichs mit<br />
angemessener Orientierung nicht nur<br />
an der Ergebnissicht, sondern auch an<br />
der Zahlungssicht, und der Verzicht auf<br />
ein gesetzlich vorgesehenes Haushaltsstrukturkonzept;<br />
damit verbunden je nach Ausgestaltung<br />
der Ausgleichsanforderungen ggf. um<br />
das Erfordernis einer Sonderregelung<br />
für Umlagefinanzierer;<br />
den Verzicht auf die Wahlmöglichkeit<br />
der Vermögenstrennung<br />
den Verzicht auf das Erfordernis der<br />
Aufstellung eines konsolidierten Gesamtabschlusses.<br />
Der Gemeindetag hatte gegenüber den Abgeordneten<br />
in den Regierungsfraktionen<br />
seine Position erneut wie folgt verdeutlicht.<br />
Haushaltsausgleich<br />
Der gesetzlichen Verankerung eines Haushaltsstrukturkonzepts<br />
bedürfe es nicht.<br />
§ 77 GemO mit dem Auftrag, die finanzielle<br />
Leistungsfähigkeit zur dauerhaften<br />
Aufgabenerfüllung zu sichern, beinhalte<br />
nicht nur für die Gemeinde selbst, sondern<br />
auch für die Kommunalaufsicht eine ausreichende<br />
Ermächtigungsgrundlage, ein<br />
Haushaltsstruktur- bzw. -konsolidierungskonzept<br />
aufzustellen bzw. verlangen zu<br />
können.<br />
Für die Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit<br />
komme es nicht nur auf das<br />
– durch nicht zahlungswirksame Vorgänge<br />
wesentlich mit beeinflusste – Verhältnis<br />
von Aufwendungen und Erträgen (Ergebnis),<br />
sondern auch auf die Zahlungssicht<br />
an. Deshalb müsse den Städten und Gemeinden<br />
bei einem nicht ausgeglichenen<br />
ordentlichen Ergebnis Entscheidungs- und<br />
Handlungsspielraum verbleiben.<br />
Dem diene das von den kommunalen Verbänden<br />
vorgeschlagene Ausgleichskonzept,<br />
das auch die Zahlungssicht angemessen<br />
berücksichtige. Dem Gesetzgeber<br />
müsse bei der Neuregelung bewusst sein,<br />
dass es nicht nur einzelne Städte und Gemeinden<br />
seien, die durch die Umstellung<br />
des Haushaltsrechts statt mit einer bisher<br />
10 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN<br />
noch positiven Zuführung an den Vermögenshaushalt<br />
künftig mit negativen ordentlichen<br />
Ergebnissen umzugehen hätten,<br />
sondern dies die Mehrheit aller Städte und<br />
Gemeinden im Lande betreffe.<br />
Solange das Land nicht einmal bereit sei,<br />
das Landeshaushaltsrecht gleichermaßen<br />
zu reformieren und über den Bundesrat<br />
bezüglich einer Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes<br />
entsprechend initiativ<br />
zu werden, seien für die Städte und GemeindenHaushaltsausgleichsanforderungen,<br />
die für das Land nicht gleichermaßen<br />
gelten, inakzeptabel.<br />
Mit dem vom Gemeindetag, aber auch von<br />
den beiden anderen kommunalen Landesverbänden<br />
vorgeschlagenen Ausgleichskonzept<br />
sei auch gewährleistet, dass einheitliche<br />
haushaltsrechtliche Vorschriften<br />
sowohl für die Städte und Gemeinden<br />
als auch für die Landkreise und<br />
andere Umlagefinanzierer gelten könnten.<br />
Denn dadurch bestünde auch der Entscheidungsspielraum,<br />
die Umlagebemessung<br />
an der Zahlungssicht (Liquidität)<br />
auszurichten und nicht zahlungswirksame<br />
Aufwendungen nicht zwingend in die Umlagebemessung<br />
einzubeziehen.<br />
Als besonderen Aspekt, der die Frage des<br />
Haushaltsausgleichs wesentlich mitbestimme,<br />
hat der Gemeindetag die Ergebniswirksamkeit<br />
(und Umlagewirksamkeit)<br />
der Zuführungen zu Pensionsrückstellun-<br />
gen neben der Belastung der Ergebnishaushalte<br />
durch die Versorgungsumlage<br />
oder – anders ausgedrückt – das Zusammenspiel<br />
der durch solidarische Zukunftsvorsorge<br />
in der gesetzlich vorgesehenen<br />
Risiko- und Umlagegemeinschaft im Kommunalen<br />
Versorgungsverband zur individuellen<br />
Verpflichtung der einzelnen Kommune,<br />
die Zuführungen zu Pensionsrückstellungen<br />
ggf. sogar zahlungswirksam erwirtschaften<br />
zu müssen, angesprochen.<br />
Beispiel:<br />
Versorgungsumlage: 3,0 Mio. Euro<br />
Zuführung<br />
zur Pensionsrückstellung 1,8 Mio. Euro.<br />
Daraus Belastung<br />
des Ergebnishaushalts 4,8 Mio. Euro.<br />
Davon zahlungswirksam 3,0 Mio. Euro.<br />
Wenn im Ergebnishaushalt nur 3 Mio. Euro<br />
erwirtschaftet würden, so würde das<br />
Eigenkapital um 1,8 Mio. Euro geschmälert.<br />
Wenn im Ergebnishaushalt hingegen<br />
4,8 Mio. Euro erwirtschaftet würden, so<br />
wäre das Eigenkapital unverändert, hingegen<br />
würde mehr Liquidität als benötigt<br />
zufließen.<br />
Die Ausweisung der Pensionsrückstellungen<br />
könnte, wie die Landkreise nunmehr feststel-<br />
len, teilweise sogar zu einer Überschuldung<br />
in den Eröffnungsbilanzen führen.<br />
Der Gemeindetag hatte sich bisher immer<br />
dafür ausgesprochen, dass auch die Pensionsrückstellungen<br />
in den kommunalen<br />
Bilanzen auszuweisen seien, dass hingegen<br />
bezüglich der Erwirtschaftung der<br />
(noch) nicht zahlungswirksamen Rückstellungszuführungen<br />
mit Blick auf die<br />
Umlagegestaltung des Kommunalen Versorgungsverbands,<br />
die bereits zukunftsorientiert<br />
eine Erhöhung der Umlagesätze<br />
vorsehe, es der einzelnen Gemeinde freistehen<br />
müsse, darüber zu entscheiden, in<br />
welchem Umfang dies erfolgen solle.<br />
Auch bei „doppelter Buchführung“ müsse<br />
für dieselbe Verpflichtung nicht „doppelt“<br />
(bei der Gemeinde und beim Versorgungsverband)<br />
Vorsorge getroffen werden.<br />
Für das Gesetzgebungsverfahren wird deshalb<br />
von zentraler Bedeutung sein, was<br />
aus den jüngst entwickelten Überlegungen<br />
wird, die Pensionsrückstellungen der Städte,<br />
Gemeinden und Kreise sowie der anderen<br />
Pflichtmitglieder zentral nur beim<br />
Kommunalen Versorgungsverband, nicht<br />
aber in den Kommunal- und Kreishaushalten<br />
und -bilanzen auszuweisen und dies<br />
ggf. durch eine Änderung des Gesetzes<br />
über den Kommunalen Versorgungsverband<br />
abzusichern. Diese Rechtsänderung<br />
sollte ebenfalls Bestandteil des NKHR-<br />
Gesetzes sein.<br />
Gesamtabschluss<br />
Was die Befreiung von der Aufstellung<br />
eines Gesamtabschlusses bzw. von der<br />
Aufnahme ausgelagerter Bereiche in<br />
den Gesamtabschluss angehe, so würden<br />
die Regelungen des Gesetzentwurfs die<br />
kommunalen Belange nach wie vor nur<br />
unzureichend berücksichtigen und könnten<br />
nach Auffassung des Gemeindetags<br />
auch kleinere Gemeinden, die ihre Abwasserbeseitigung<br />
oder die Wasserversorgung<br />
in einen Eigenbetrieb ausgelagert haben,<br />
dazu nötigen, mit erheblichem Aufwand<br />
einen Gesamtabschluss aufzustellen. Die<br />
im Haushaltsrecht verankerte Verpflichtung,<br />
in einem Beteiligungsbericht die<br />
ausgelagerten Aufgabenbereiche darzustellen,<br />
sei, so der Gemeindetag, als Steuerungsinstrument<br />
und Informationsgrundlage<br />
ausreichend. Unabhängig von der<br />
grundsätzlich anzustrebenden Freiwilligkeit<br />
der Aufstellung eines Gesamtab-<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 11
B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN BWGZ 1/2009<br />
schlusses seien entgegen der Auffassung<br />
des Innenministeriums die Fristen für die<br />
Aufstellung und die Beschlussfassung<br />
über den Gesamtabschluss – wie von den<br />
kommunalen Verbänden vorgeschlagen –<br />
zu verlängern.<br />
Vermögensspaltung<br />
Auch die Forderung der kommunalen Landesverbände,<br />
im Gesetz auf die Option,<br />
das Vermögen in realisierbares und in<br />
Verwaltungsvermögen zu separieren<br />
und entsprechend ausweisen zu können,<br />
zu verzichten, sei mit Blick auf die Vergleichbarkeit<br />
der Städte, Gemeinden und<br />
Kreise im Lande, aber auch für eine darüber<br />
hinausgehende bundesweite Vergleichbarkeit<br />
nach wie vor berechtigt.<br />
Anfang November fand dazu erneut ein<br />
Gespräch mit Abgeordneten der Regierungsfraktionen<br />
statt. Es gelang bei diesem<br />
Gespräch, den Forderungen des Gemeindetags<br />
Geltung zu verschaffen und<br />
das Innenministerium zu einer Abkehr von<br />
bisher vertretenen Positionen zu bewegen.<br />
Die wesentlichen Ergebnisse:<br />
Zum Haushaltsausgleich: Es soll im<br />
Gesetz und in der Verordnung auf eine<br />
ausdrückliche Regelung zur Aufstellung<br />
von Haushaltsstrukturkonzepten<br />
verzichtet werden. In der Gesetzesbegründung<br />
soll verdeutlicht werden, dass<br />
die Kommunalaufsicht – gestützt u.a.<br />
auch auf § 77 GemO – ggf. die Aufstellung<br />
eines Haushaltsstrukturkonzepts<br />
verlangen kann. Es bleibt beim Grundsatz,<br />
dass das ordentliche Ergebnis ausgeglichen<br />
werden soll. Wenig hilfreich<br />
war hier aus Sicht des Gemeindetags<br />
der überraschend vom Städtetag (ohne<br />
vorherige Abstimmung) eingebrachte<br />
Änderungsvorschlag, in der gesetzlichen<br />
Regelung zum Haushaltsausgleich<br />
auf eine Aussage zu einer Mindesthöhe<br />
des Zahlungsmittelüberschusses aus<br />
laufender Verwaltungstätigkeit zu verzichten.<br />
Gleichwohl bestand in dem<br />
Gespräch mit den Abgeordneten zwischen<br />
allen Teilnehmern Konsens, dass<br />
bei einem unausgeglichenem ordentlichen<br />
Ergebnis auch die Zahlungssicht<br />
(Liquidität, Deckung des Finanzbedarfs)<br />
eine Rolle bei der Beurteilung<br />
der dauernden Leistungsfähigkeit und<br />
Genehmigungsfähigkeit der Haushalte<br />
spielt. Im Zusammenhang mit dem<br />
Soll-Grundsatz des Ausgleichs des ordentlichen<br />
Ergebnisses soll in der Gesetzesbegründung<br />
zu § 77 GemO verdeutlicht<br />
werden, dass es zur Beurteilung<br />
der Haushalte und Bilanzen der<br />
Entwicklung geeigneter Kennzahlen<br />
bedürfe.<br />
Mit dem Verzicht auf Regelungen zum<br />
Haushaltsstrukturkonzept im Gesetz<br />
fällt auch die bisher damit verbundene<br />
„Übergangsfrist“ bis 2031 weg.<br />
Ist ein Ausgleich des ordentlichen Ergebnisses<br />
nicht einmal unter Heranziehung<br />
des Sonderergebnisses (d.h. konkret<br />
Gewinnen aus Vermögensveräußerung)<br />
oder von Rücklagen möglich,<br />
kann ein Fehlbetrag in die drei folgenden<br />
Haushaltsjahre vorgetragen werden.<br />
Ein danach verbleibender Fehlbetrag<br />
ist mit dem Basiskapital zu verrechnen.<br />
D.h. es soll keinen Fehlbetragsvortrag<br />
„auf ewig“ geben.<br />
Allerdings darf das Basiskapital nicht<br />
negativ werden. Bei einem angenommen<br />
Start in das neue Haushaltsrecht im<br />
Jahr 2016 wäre ein Fehlbetragsvortrag<br />
bis 2019 möglich. In der bis zum Ende<br />
des Umstellungszeitraums vorgesehenen<br />
Evaluierung der Haushaltsrechtsreform<br />
soll geprüft werden, ob danach ein<br />
Haushaltsstrukturkonzept und die Voraussetzungen<br />
gesetzlich vorgeschrieben<br />
werden sollen.<br />
Die Möglichkeit, das Vermögen in realisierbares<br />
und Verwaltungsvermögen<br />
zu trennen, (mit der Folge, dass<br />
realisierbares Vermögen, z.B. Baulandreserven,<br />
regelmäßig neu – i.d.R. höher<br />
– zu bewerten wäre) soll auch nach der<br />
einhelligen Vorstellung der Abgeordneten<br />
gestrichen werden.<br />
Ebenso sprachen sich dieAbgeordneten<br />
einhellig gegen Sonderregelungen für<br />
Umlagefinanzierer wie insbesondere<br />
die Kreise aus. Anerkannt wurde aber,<br />
dass auch bei der Bemessung der Umlage<br />
der Kreise die Liquiditätssicht eine<br />
Rolle spiele und es keinen Automatismus<br />
gebe, sämtliche nicht zahlungswirksamen<br />
Aufwendungen über die<br />
Umlage zu decken. Der Gemeindetag<br />
hat in diesem Zusammenhang das Zusammenspiel<br />
von Pensionsrückstellungen<br />
und Versorgungsumlage und die<br />
Bedeutung für die Frage des Haushalts-<br />
ausgleichs aufgegriffen. Es bestand<br />
zwischen und mit den Abgeordneten<br />
Konsens hinsichtlich des gesetzlich abzusichernden<br />
Ziels, dass die Pensionsrückstellungen<br />
zentral für alle Städte,<br />
Gemeinden und Kreise beim kommunalen<br />
Versorgungsverband ausgewiesen<br />
und die kommunalen Haushalte<br />
„nur“ mit der Versorgungsumlage belastet<br />
werden.<br />
Zum Gesamtabschluss (Konsolidierung<br />
mit ausgelagerten Einheiten):<br />
Die Abgeordneten erkannten die Fragwürdigkeit<br />
und mangelnde Aussagekraft<br />
konsolidierter Abschlüsse für kleinere<br />
Gemeinden. Gleichwohl sprachen<br />
sich die Abgeordneten nach kontroverser<br />
Diskussion mehrheitlich gegen den<br />
Vorschlag der kommunalen Landesverbände<br />
aus, Städte und Gemeinden unter<br />
20.000 Einwohner von der Pflicht zur<br />
Aufstellung eines Gesamtabschlusses<br />
freizustellen, und erteilten vielmehr<br />
dem Innenministerium den Auftrag,<br />
durch Verordnung eine geeignete Freistellungsregelung<br />
für kleinere Kommunen<br />
zu treffen und dort den Begriff „von<br />
untergeordneter Bedeutung“ als Ausschlusskriterium<br />
für die Konsolidierung<br />
zu präzisieren. Auch insoweit verspricht<br />
die noch ausstehende Anhörung zur Gemeindehaushaltsverordnung<br />
spannend<br />
zu werden.<br />
Die Ergebnisse dieses Gesprächs mit den<br />
Abgeordneten am 4.11.2008 bilden nun<br />
die Arbeitsgrundlage des Innenministeriums<br />
für die Erstellung der Kabinettsvorlage<br />
zur Haushaltsrechtsreform. Das Innenministerium<br />
hat den kommunalen Landesverbänden<br />
am 23.12.2008 den überarbeitenden<br />
Gesetzentwurf übermittelt. Es ist<br />
nun in den nächsten Wochen die Beschlussfassung<br />
in der Landesregierung<br />
über den Gesetzentwurf zu erwarten. Das<br />
Gesetzgebungsverfahren im Landtag soll<br />
noch vor der Sommerpause 2009 abgeschlossen<br />
werden. Voraussichtlich wird<br />
das Gesetz rückwirkend zum 1.1.2009 in<br />
Kraft gesetzt, so dass es beim bisher anvisierten<br />
Umstellungszeitraum für die Gemeinden,<br />
Städte und Kreise bis Ende 2015<br />
bleiben kann.<br />
12 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN<br />
Grundsteuererlass wegen wesentlicher Ertragsminderung –<br />
Gesetzesänderung zur Begrenzung des Grundsteuererlasses<br />
Nach der jüngsten höchstrichterlichen<br />
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs,<br />
der sich das Bundesverwaltungsgericht<br />
anschloss (bzw. anschließen musste),<br />
kommt ein Erlass der Grundsteuer wegen<br />
wesentlicher Ertragsminderung nach<br />
§ 33 GrStG nicht nur bei atypischen und<br />
vorübergehenden Ertragsminderungen<br />
in Betracht, sondern auch bei strukturell<br />
bedingten Ertragsminderungen nicht<br />
nur vorübergehender Natur.<br />
Das Bundesverwaltungsgericht musste<br />
sich – wohl oder übel – der Sichtweise des<br />
Bundesfinanzhofs anschließen (vgl. BFH,<br />
Beschluss vom 13.9.2006, II R 5/05, BSt-<br />
Bl. II 2006 S. 921, Beschluss vom<br />
26.2.2007, II R 5/05, BStBl. II 2007 S.<br />
469, Urteil vom 24.10.2007 II R 5/05, BSt-<br />
Bl. II 2008 S. 384, Urteil vom 24.10.2007,<br />
II R 6/05, BFH/NV 2008 S. 407, Urteil<br />
vom 24.10.2007, II R 4/05, BFH/NF 2008<br />
S. 405; BVerwG, Beschluss vom 24.4.2007,<br />
GmS-OGB 1.07, ZKF 2007 S. 211, Urteil<br />
vom 25.6.2008, 9 C 8.07, BWGZ 2008<br />
S. 816). Als Folge der geänderten Rechtsprechung<br />
schnellte die Zahl der Erlassanträge<br />
in den gemeindlichen Steuerämtern<br />
sprunghaft in die Höhe.<br />
Betroffen sind insbesondere Städte und<br />
Gemeinden mit hohem strukturellem Leerstand:<br />
Zum einen ergeben sich Steuerausfälle,<br />
zum anderen ist ein erheblicher Verwaltungsmehraufwand<br />
mit der Bearbeitung<br />
der deutlich höheren Zahl an Erlassanträgen<br />
verbunden. Auch die Städte und<br />
Gemeinden in Baden-Württemberg sind<br />
mit einer höheren Zahl von Erlassanträgen<br />
konfrontiert worden.<br />
Sowohl der Gemeindetag als auch die<br />
Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände<br />
haben sich deshalb für eine<br />
vollständige Streichung des § 33 GrStG<br />
eingesetzt. Eine entsprechende Gesetzesinitiative<br />
der Länder Berlin und Bremen,<br />
die auf die vollständige Streichung des<br />
§ 33 GrStG zielte, fand im Bundesrat allerdings<br />
keine mehrheitliche Unterstützung.<br />
Statt dessen hat der Bundesrat am<br />
19.9.2008 im Zusammenhang mit seiner<br />
Stellungnahme zum Jahressteuergesetz<br />
2009 den Kompromissvorschlag des Landes<br />
Sachsen übernommen (Bundesratsdrucksache<br />
545/08) und eine entsprechen-<br />
de gesetzliche Neuregelung vorgeschlagen,<br />
die bereits für das Jahr 2008 wirksam<br />
werden sollte. Diese sieht vor, dass ein<br />
Grundsteuererlass künftig erst bei einer<br />
Minderung des Rohertrages von 50 Prozent<br />
möglich sein soll (bisher 20 Prozent).<br />
Bei einer Ertragsminderung von mehr als<br />
50 Prozent sind 25 Prozent der Grundsteuer<br />
zu erlassen, bei einer Ertragsminderung<br />
von 100 Prozent soll der Erlass 50 Prozent<br />
betragen. Die kommunalen Spitzenverbände<br />
haben diese Initiative als Schritt in<br />
die richtige Richtung unterstützt.<br />
Die Bundesregierung hat den Vorschlag<br />
des Bundesrats hingegen abgelehnt, weil<br />
die Hauptursache für die entstehenden<br />
Probleme in dem überkommenen Bewertungsverfahren<br />
zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage<br />
lägen und überdies die<br />
Rückwirkung für 2008 verfassungsrechtlich<br />
bedenklich sei (Bundestagsdrucksache<br />
16/10494). Der Bundestag hat sich<br />
dem allerdings nicht angeschlossen (Gesetzesbeschluss<br />
zum Jahressteuergesetz<br />
2009 vom 28.11.2008, BR-Drs. 896/08<br />
vom 28.11.2008), so dass die einschränkende<br />
Neuregelung zum Grundsteuererlass<br />
mit der am 19.12.2008 erfolgten Zustimmung<br />
des Bundesrats zum Jahresteuergesetz<br />
2009 wirksam werden konnte<br />
(Jahressteuergesetz 2009 vom 19.12.2008,<br />
BGBl. I S. 2794, 2844).<br />
Aus kommunaler Sicht hat der Erlasstatbestand<br />
des § 33 GrStG – auch nach der Entschärfung<br />
durch das JStG 2009 – einen<br />
„Webfehler“. Er berücksichtigt nämlich<br />
nicht ausreichend die Verantwortung und<br />
das wirtschaftliches Risiko, dass der vermietende/verpachtende/selbstnutzende<br />
Grundstückseigentümer für seinen Grundbesitz<br />
und dessen Nutzung hat. § 33 lädt<br />
dazu ein, dieses Risiko – wenn auch auf den<br />
Steuerbetrag begrenzt – bei der Gemeinde<br />
„abzuladen“. Ein Korrektiv, wie es für die<br />
Land- und Forstwirtschaft und die eigengewerbliche<br />
Nutzung im Gesetz steht, nämlich<br />
die Unbilligkeit nach den wirtschaftlichen<br />
Verhältnissen des Betriebs, fehlt bei<br />
den anderen Erlasstatbeständen.<br />
Ferner ist mit der Grundsteuer als Objektsteuer<br />
und der i.d.R. langjährigen Bindung/<br />
Beziehung zwischen Schuldner und Objekt<br />
schwierig zu vereinbaren, dass es für den<br />
Erlass und dessen Voraussetzungen nur auf<br />
die Verhältnisse im Erlasszeitraum ankommen<br />
soll (so allerdings die Rechtsprechung<br />
des BVerwG). Anders ist dies z.B. für die<br />
dauernde Unrentierlichkeit i.S. des § 32<br />
GrStG geregelt. So tun sich die Gemeinden<br />
deshalb schwer damit, wenn ein Eigentümer<br />
mit der Gebäudesubstanz in den früheren<br />
Jahren wenig pfleglich umgeht, einen<br />
Erlass zu gewähren, wenn im konkreten<br />
Jahr wegen schlechter Bausubstanz keine<br />
Vermietung/Verpachtung erfolgen konnte.<br />
Strittig ist dann auch, ob für die Zeit einer<br />
angesonnenen Renovierung ein Grundsteuererlass<br />
gewährt werden soll. Auch unternehmerische<br />
Fehlentscheidungen in früheren<br />
Jahren in Bezug auf den Grundbesitz<br />
sind streng genommen auszublenden.<br />
Sowohl die unzureichende Berücksichtigung<br />
der Dauerhaftigkeit des Grundbesitzes<br />
als auch die mögliche Verlagerung eines<br />
wirtschaftlichen Risikos auf den Steuergläubiger<br />
sind die Hauptkritikpunkte zu<br />
§ 33 GrStG aus kommunaler Sicht. Sie führen<br />
in der Praxis auch zu einem pro Erlassfall<br />
sehr hohen Aufwand für die Bearbeitung<br />
(auch bei den Steuerpflichtigen selbst)<br />
und inhaltlichen Schwierigkeiten (wie weit<br />
geht der Nachweis der Vermietungsbemühungen,<br />
wie kommt die Gemeinde an die<br />
„normale“ Miete bei Leerstand oder Grundstücken<br />
im Sachwertverfahren, ist einem<br />
Eigentümer die Vermietung zu niedrigeren<br />
Konditionen zuzumuten und wie und wie<br />
weit sind persönliche Entscheidungen des<br />
Vermieters bei der Mieterauswahl hinsichtlich<br />
der Vermietungsbemühungen zu würdigen<br />
usw).<br />
Die Rechtsänderung durch das JStG 2009<br />
legt nun zumindest die Messlatte für die<br />
Grundstückseigentümer höher. Nur am<br />
Rande soll noch bemerkt werden, das trotz<br />
der höchstrichterlichen Entscheidungen<br />
des Bundesfinanzhofs und des Bundesverwaltungsgerichts<br />
die Frage im Raum steht,<br />
ob ein Grundsteuererlass nur bei atypischen<br />
oder auch bei typischen Leerständen bzw.<br />
Ertragsminderungen in Betracht kommen<br />
soll. Insbesondere das OVG Münster spricht<br />
sich deutlich dafür aus, die Grundsteuer nur<br />
bei atypischen Leerständen oder Ertragsminderungen,<br />
die vom Schuldner nicht zu<br />
vetreteten sind, zu erlassen (vgl. OVG<br />
Münster, Urteil vom 16.1.2008, 14 A<br />
461/07, KSt 2008 S. 216; ebenso im Urteil<br />
vom 18.6.2008, 14 A 1185/07 und Urteil<br />
vom 26.8.2008, 14 A 2509/07).<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 13
B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN BWGZ 1/2009<br />
Finanzrechtsstreit EVS 1992 beendet –<br />
alles bleibt wie es war<br />
In dem schon seit 1996 laufenden Rechtsstreit<br />
hatte das Finanzgericht Baden-Württemberg,<br />
nachdem das Verfahren zuvor<br />
sogar schon beim Bundesfinanzhof anhängig<br />
war und dann wieder an das Finanzgericht<br />
zurückverwiesen wurde, mit Urteil<br />
vom 6.11.2006 ganz entgegen der im – gegenstandslos<br />
gewordenen – Gerichtsbescheid<br />
vom 7.9.2005 vertretenen Auffassung<br />
entschieden und den Antrag einer<br />
baden-württembergischen Gemeinde auf<br />
Änderung der Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrags<br />
1992 der EVS AG zurückgewiesen.<br />
Der vom Finanzamt angewandte<br />
Zerlegungsmaßstab (50 v.H. nach<br />
Arbeitnehmern, die in der Gemeinde wohnen,<br />
30 v.H. nach Stromeinnahmen und 20<br />
v.H. nach dem Anlagevermögen) sei, so<br />
das Finanzgericht, auch noch für das Jahr<br />
1992 zu billigen gewesen.<br />
Der Bundesfinanzhof hat die Beschwerde<br />
gegen die Nichtzulassung der Revision gegen<br />
dieses Urteil mit Beschluss vom<br />
23.7.2008 als unbegründet zurückgewiesen.<br />
Damit bleibt es beim Urteil des Finanzgerichts<br />
Baden-Württemberg vom 6.11.2006,<br />
mit dem das Finanzgericht den vom Finanzamt<br />
angewandten Zerlegungsschlüssel für<br />
den Erhebungszeitraum 1992 bestätigt hat.<br />
Zurückgehend auf einen Antrag des Landes<br />
Schleswig-Holstein im Bundesrat wurde<br />
im Jahressteuergesetz 2009 (vom<br />
19.12.2008, BGBl. I S. 2794) für Windkraftanlagen<br />
ein geänderter Zerlegungsmaßstab<br />
aufgenommen. Danach wird der<br />
Steuermessbetrag von Windkraftanlagenbetreibern<br />
künftig zu drei Zehnteln nach<br />
Arbeitslöhnen und zu sieben Zehnteln nach<br />
örtlichem Sachanlagevermögen (Steuerbilanzwerte)<br />
zerlegt. Die Neuregelung wurde<br />
damit begründet, dass sich die Nichtberücksichtigung<br />
der Standortgemeinden der<br />
Windkraftanlagen hemmend auf die Bereitschaft<br />
der Gemeinden auswirken könne,<br />
zum einen Flächen als Eignungsgebiete<br />
entsprechender Anlagen auszuweisen und<br />
des weiteren die mit dem Bau und Betrieb<br />
einhergehenden Beeinträchtigungen und<br />
Damit fand nicht nur ein langjähriger Finanzrechtsstreit<br />
ein Ende, sondern es<br />
konnte auch die befürchtete nachträgliche<br />
Umverteilung des Gewerbesteueraufkommens<br />
unter den 532 betroffenen Städten<br />
und Gemeinden vermieden werden, die<br />
mit gewerbesteuerlichen Erstattungs- und<br />
Nachzahlungszinsen noch verstärkt worden<br />
wäre.<br />
Wie der Gemeindetag auf der Basis des<br />
Gerichtsbescheids des Finanzgerichts ermittelt<br />
hat, hätten 453 der insgesamt 532<br />
Städte und Gemeinden Gewerbesteuer für<br />
zurückerstatten müssen, die umgekehrt<br />
nur 66 Kommunen als Steuerzuwachs zugute<br />
gekommen wäre; 80 Prozent der<br />
Mehreinnahmen wären auf nur vier Städte<br />
entfallen. Für manch kleinere Gemeinde<br />
im Oberschwäbischen wäre die nachträgliche<br />
Gewerbesteuerumverteilung (-rückzahlung)<br />
finanziell so bedeutsam gewesen,<br />
dass ihre Haushalts- und Investitionsplanung<br />
für die nächsten Jahre Makulatur gewesen<br />
wäre. Für das Unternehmen selbst<br />
hätte die Umverteilung zu einer höheren<br />
Gewerbesteuerzahllast geführt. Für die<br />
Folgejahre 1993 ff. hätten vergleichbare<br />
Konsequenzen in der Gewerbesteuerzerlegung<br />
gezogen werden müssen.<br />
Neue Gewerbesteuerzerlegung für Windkraftanlagen –<br />
Anlass, den gewerbesteuerlichen Zerlegungsmaßstab<br />
auch für andere Wirtschaftszweige zu überdenken?<br />
Auswirkungen auf das Ortsbild und Landschaftsbild<br />
hinzunehmen.<br />
Aus umweltpolitischen Gründen sei es geboten,<br />
die Standortgemeinden der Windkraftanlagen<br />
in angemessener Weise am<br />
Gewerbesteueraufkommen zu beteiligen.<br />
Mit der jeweils anteiligen Anwendung des<br />
Zerlegungsmaßstabs „Arbeitslöhne“ und<br />
des Zerlegungsmaßstabs „Steuerbilanzwert<br />
des Sachanlagevermögens“ werde<br />
den Belangen der Gemeinde des Geschäftssitzes<br />
und der Standortgemeinden<br />
der Windkraftanlagen ausgewogen Rechnung<br />
getragen.<br />
Auch in Baden-Württemberg gibt es eine<br />
Reihe von Fällen, in denen aus dem Vorhandensein<br />
von Windkraftanlagen man-<br />
gels zuordenbarer Arbeitslöhne keine Gewerbesteuerzerlegungsanteile<br />
erwachsen,<br />
wie von Mitgliedskommunen berichtet<br />
wird. Die nun vom Bundesgesetzgeber beschlossene<br />
Rechtsänderung ist deshalb ein<br />
Schritt in die richtige Richtung, wenn auch<br />
mit dem Ansatz der Steuerbilanzwerte<br />
(Abschreibung!) nur zeitlich begrenzt ein<br />
Zerlegungsanteil geschaffen wird.<br />
Die „mit heißer Nadel gestrickte“ Rechtsänderung<br />
dürfte schon sehr schnell Anwendungsfragen<br />
aufwerfen, insbesondere<br />
wenn bei Versorgungsbetrieben die Windenergieerzeugung<br />
nur von nachrangiger<br />
Bedeutung ist. Bezieht sich der neue Zerlegungsschlüssel<br />
dann nur auf einen Messbetragsanteil<br />
der Windkraftanlagen, und<br />
wie wird dieser ermittelt? Was geschieht in<br />
Fällen einer gewerbesteuerlichen Organschaft,<br />
in die auch Windkraftanlagen einbezogen<br />
sind? Sind die für mehrgemeindliche<br />
Betriebsstätten in Versorgungsunternehmen<br />
in der Praxis angewandten Zerlegungsschlüssel<br />
berührt?<br />
Allerdings sind Windkraftanlagen beileibe<br />
nicht die einzigen Betriebsstätten, bei denen<br />
solche Fragestellungen auftauchen.<br />
Ein anderes Beispiel wären Photovoltaikanlagen.<br />
Ein weiteres Beispiel von vielen<br />
sind u.a. die Kreissparkassen. Filialen<br />
werden durch Automaten ersetzt, denen<br />
keine Arbeitslöhne zugeordnet werden,<br />
das Gewerbesteueraufkommen konzentriert<br />
sich an wenigen Standorten. Ein anderes<br />
Beispiel sind die Kabelnetz- und<br />
Breitbandbetreiber (TV- und DSL-Angebot<br />
über dieselbe Leitung). Auch bei Mobilfunk-Basisstationen<br />
und -antennenanlagen<br />
gibt es ähnliche Aspekte.<br />
Hier hat sich die Finanzverwaltung einfach<br />
dadurch den Fragen der Gewerbesteuerzerlegung<br />
entzogen, dass sie Mobilfunk-Basisstationen<br />
nicht einmal als Betriebsstätten<br />
ansieht, was mit dem Betriebsstättenbegriff<br />
in § 12 AO allerdings<br />
nicht zu vereinbaren ist. Selbstverständlich<br />
liegt hier eine Betriebsstätte vor. Das<br />
Problem liegt in den faktisch nicht zuordenbaren<br />
Arbeitslöhnen. Auch bei den<br />
Versorgungs- und Verkehrsunternehmen<br />
gibt es vergleichbare Fälle.<br />
Beispielsweise hatten sich die Finanzministerien<br />
im Jahr 1999 hinsichtlich der<br />
Deutschen Bahn AG seinerzeit dahingehend<br />
festgelegt, es liege beim Unterneh-<br />
14 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN<br />
Foto: irisblende.de<br />
men Bahn keine mehrgemeindliche Betriebsstätte<br />
vor, so dass auch hier eine<br />
Konzentration des Steueraufkommens<br />
(sofern Steuer überhaupt anfällt) an wenigen<br />
Standorten erfolgt, während die mit<br />
Bahnstrecken, Haltepunkten und Stationen<br />
„versorgten“ Gemeinden leer ausgehen.<br />
Die Beispiele machen andererseits<br />
auch deutlich, dass Betriebsstätten (ohne<br />
Arbeitslöhne) für die Gemeinden ganz unterschiedlich<br />
„belastend“ sein können bzw.<br />
als „Belastung“ empfunden werden.<br />
Aus den genannten Gründen ist die nun<br />
vom Gesetzgeber durchgeführte isolierte<br />
Regelung des Zerlegungsschlüssels für<br />
Windkraftanlagen steuersystematisch<br />
nicht ganz unproblematisch, weil andere<br />
(wesentliche bzw. wesentlichere) Wirtschaftsbereiche,<br />
in denen Betriebsstätten<br />
in einer Gemeinde unterhalten werden,<br />
hierin aber keine Beschäftigung von Arbeitnehmern<br />
stattfindet, keine gleichartige<br />
Sonderregelung erfahren.<br />
Schließlich ist auch der neue Faktor „Steuerbilanzwerte“<br />
nicht völlig problemfrei.<br />
Denn mit der Abschreibung und dem<br />
Rückgang des Restbuchwertes in der Bilanz<br />
wird auch der Gewerbesteuerzerlegungsanteil<br />
rückläufig sein und möglicherweise<br />
auf Dauer gegen Null tendieren,<br />
wenn Windkraftanlagenstandorten keine<br />
Arbeitslöhne zuzuordnen sind. Faktisch<br />
gibt es somit für die Standortkommune nur<br />
eine interimsmäßige Beteiligung am Ge-<br />
werbesteueraufkommen des Unternehmens.<br />
Und gerade wenn die Gewinnerwartungen<br />
am höchsten sind – bei abgeschriebenen<br />
Anlagen – besteht überhaupt kein<br />
Anspruch mehr. Auf der anderen Seite bilden<br />
aber auch die Brutto-Anschaffungskosten<br />
die aus einer Betriebsstätte erwachsenden<br />
Gemeindelasten auf Dauer nicht<br />
unbedingt sachgerecht ab.<br />
Der Gesetzgeber sollte die Neuregelung zu<br />
Windkraftanlagen zum Anlass bzw. als Arbeitsauftrag<br />
annehmen, auch für vergleichbare<br />
Gewerbebetriebe, evtl. sogar Wirt-<br />
schaftszweige (Versorgung, Verkehr, Telekommunikation),<br />
bei denen eine Zerlegung<br />
ausschließlich nach Arbeitslöhnen mit<br />
Blick auf vorhandene „lastenintensive“ Betriebsanlagen<br />
ohne zugeordnete Arbeitslöhne<br />
zu nicht immer befriedigenden Ergebnissen<br />
führt, zu untersuchen, ob bzw. inwieweit<br />
nicht eine Abkehr vom bisherigen gesetzlichen<br />
Regelzerlegungsmaßstab der<br />
Arbeitslöhne, der die technisch-wirtschaftliche<br />
Weiterentwicklung der letzten Jahrzehnte<br />
nicht mehr angemessen abbildet,<br />
stattzufinden hat, und hierfür neue Zerlegungskriterien<br />
gesetzlich vorzugeben.<br />
Neue Verteilungsschlüssel für den Gemeindeanteil an der<br />
Einkommensteuer und an der Umsatzsteuer ab 2009<br />
Sowohl für den Gemeindeanteil an der<br />
Einkommensteuer als auch für den Gemeindeanteil<br />
an der Umsatzsteuer gibt es<br />
für die Jahre 2009 bis 2011 neue Schlüs-<br />
Seit dem 1.10.2005 ist das Erschließungsbeitragsrecht<br />
Landesrecht, und die Gemeinden<br />
haben innerhalb des landesgesetzlich<br />
vorgegebenen Rahmens gestützt<br />
auf die §§ 2, 34 KAG ihre Erschließungsbeitragssatzungen<br />
zu erlassen und dabei<br />
auch die Höhe des Gemeindeanteils festzulegen<br />
(§ 34 Nr. 4 KAG). Mit der Übernahme<br />
des Erschließungsbeitragsrechts in<br />
Landesrecht durch das KAG 2005 wurde<br />
u.a. der Mindest-Gemeindeanteil in § 23<br />
Abs. 1 KAG auf 5 v.H. reduziert.<br />
Hierzu wird die Auffassung vertreten, die<br />
Gemeinde dürfe insbesondere für Anbaustraßen<br />
nicht ohne weiteres den gesetzlichen<br />
Mindestprozentanteil in der Satzung<br />
verankern, da die Gemeinde zu einer Abwägung<br />
des Anliegernutzens und des Vorteils<br />
für die Allgemeinheit verpflichtet sei.<br />
Sie müssten bei Anbaustraßen die Höhe<br />
des Gemeindeanteils staffeln nach Straßentypen<br />
und ihrer Verkehrsbedeutung<br />
und innerhalb dieser ggf. nach Teileinrichtungen<br />
(vgl. Driehaus, Erschließungsbeitragsrecht<br />
in Baden-Württemberg, 1. Aufl.<br />
2005, § 8 Rdnr. 2.; Driehaus, Erschließungs-<br />
und Ausbaubeiträge, 8. Aufl. 2007,<br />
selzahlen zu deren Verteilung auf die Städte<br />
und Gemeinden (Berichterstattung im<br />
Gemeindefinanzbericht 2008, BWGZ<br />
15-16/2008, S. 562, wird verwiesen).<br />
Neuregelung der gemeindlichen Eigenbeteiligung<br />
im Erschließungsbeitragsrecht<br />
§ 16 Rdnr. 7; ebenso ders. in NVwZ 2005<br />
S. 1136 ff., 1137).<br />
Demgegenüber hat der Gemeindetag in<br />
den Erläuterungen zum Muster einer Erschließungsbeitragssatzung<br />
zum Ausdruck<br />
gebracht, dass mit Blick auf die vom Landesgesetzgeber<br />
bezweckte finanzielle Entlastung<br />
der Kommunen eine Differenzierung<br />
wie vorstehend beschrieben zwar<br />
zulässig, aber nicht geboten sei, d.h. der<br />
Gemeindeanteil für die Anbaustraßen (und<br />
Wohnwege) mit Blick auf deren Erschließungsfunktion<br />
auf einheitlich 5 v.H.<br />
festgelegt werden könne. Die vom Landesgesetzgeber<br />
v.a. hinsichtlich des unterschiedlichen<br />
Erschließungsvorteils vorgenommene<br />
Zweiteilung der Erschließungsanlagen<br />
in solche mit Erhebungspflicht<br />
und in solche mit Beitragserhebungsmöglichkeit<br />
sei auch Leitlinie für eine Differenzierung<br />
hinsichtlich des Gemeindeanteils<br />
in der Erschließungsbeitragssatzung<br />
(vgl. dazu BWGZ 17/2005 S. 610 – Ziffer<br />
2.6.1 mit weiteren Hinweisen).<br />
Inzwischen spielt aber in ersten bereits vor<br />
Gericht anhängigen Streitverfahren zum<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 15
B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN BWGZ 1/2009<br />
neuen Erschließungsbeitragsrecht die pauschale<br />
Festlegung des Gemeindeanteils<br />
mit 5 v.H. für Anbaustraßen in der Erschließungsbeitragssatzung<br />
eine Rolle.<br />
Mit Beschluss vom 13.6.2008 (2 K 90/08)<br />
sowie in zwei parallel ergangenen Entscheidungen<br />
(Az. 2 K 91/08 und 2 K 92/08)<br />
hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die<br />
Erschließungsbeitragssatzung einer Mitgliedsstadt<br />
hinsichtlich der pauschalen<br />
Festlegung des Gemeindeanteils auf 5 v.H.<br />
beanstandet.<br />
Vor diesem Hintergrund ist darauf hinzuweisen,<br />
dass mit dem Gesetz zur Reform<br />
des Gemeindehaushaltsrechts, das 2009<br />
beschlossen werden soll, in Art. 10 auch<br />
eine Änderung des § 23 KAG mit dem Ziel<br />
vorgenommen worden soll, den Gemeinden<br />
die Anwendung eines Gemeindeanteils<br />
von 5 v.H. auf Anbaustraßen zu ermöglichen,<br />
und zwar dahingehend, dass<br />
der Gemeindeanteil für Anbaustraßen und<br />
Wohnwege gesetzlich bei 5 Prozent festgeschrieben<br />
wird und für die übrigen Arten<br />
von Erschließungsanlagen ein höherer Eigenanteil<br />
in der Satzung übernommen<br />
werden kann. In der Gesetzesbegründung<br />
dazu wird ausdrücklich ausgeführt, dass<br />
mit der Neuregelung des Erschließungsbeitragsrechts<br />
als Landesrecht keine Verpflichtung<br />
beabsichtigt war, in der Erschließungsbeitragssatzung<br />
die Höhe des<br />
Gemeindeanteils nach Straßentypen und<br />
innerhalb dieser nach Teileinrichtungen zu<br />
staffeln.<br />
Jahressteuergesetz 2009 und Betriebe gewerblicher Art –<br />
Gesetzliche Festschreibung der bisherigen<br />
Verwaltungspraxis zum steuerlichen Querverbund<br />
Mit den nun im Jahressteuergesetz 2009<br />
enthaltenen Neuregelungen zum steuerlichen<br />
Querverbund kommt der Bundesgesetzgeber<br />
der insbesondere vom Deutschen<br />
Städte- und Gemeindebund vertretenen<br />
Forderung der Kommunen nach,<br />
den steuerlichen Querverbund gesetzlich<br />
abzusichern. Auslöser war das Urteil des<br />
Bundesfinanzhofs vom 22.8.2007, durch<br />
das die bisherige Verwaltungspraxis zur<br />
Besteuerung von wirtschaftlichen Tätigkeiten<br />
der öffentlichen Hand, bei denen<br />
es aus Gründen der Daseinsvorsorge zu<br />
Dauerverlusten kommt, in Frage gestellt<br />
wurde.<br />
Eine solche Ergebnisverrechnung im Rahmen<br />
von Eigengesellschaften und auch in<br />
Betrieben gewerblicher Art ist für juristische<br />
Personen des öffentlichen Rechts<br />
vielfach ein wichtiger Gesichtspunkt bei<br />
der Finanzierung insbesondere der<br />
Leistungen der Daseinsvorsorge. Die Bereithaltung<br />
derartiger Leistungen fällt in<br />
den Aufgabenbereich der öffentlichen<br />
Hand und es besteht eine faktische Erwartungshaltung<br />
seitens des Bürgers, dass<br />
solche Leistungen angeboten werden. Vor<br />
diesem Hintergrund ist es daher gerechtfertigt,<br />
an den bisherigen Verwaltungsgrundsätzen<br />
bei der steuerlichen Behand-<br />
lung dauerdefizitärer Tätigkeiten der öffentlichen<br />
Hand mittels Betrieben gewerblicher<br />
Art oder Eigengesellschaften<br />
festzuhalten. Praktisch heißt das, dass es<br />
weiterhin zulässig sein soll, die Ergebnisse<br />
aus defizitären Bereichen (z.B. öffentlicher<br />
Personennahverkehr) mit den<br />
Ergebnissen aus gewinnträchtigen Bereichen<br />
(z.B. Energieversorgung) zu verrechnen.<br />
Im Entwurf des Jahressteuergesetzes 2009<br />
war ursprünglich eine Neuregelung des<br />
§ 4 Abs. 6 KStG vorgesehen, mit der auf<br />
das streitanfällige und administrativ aufwändige<br />
Merkmal der wechselseitig engen<br />
technisch-wirtschaftlichen Verflechtung<br />
verzichtet werden sollte. Ebenfalls vorgesehen<br />
war eine Sonderregelung für öffentliche<br />
Bäderbetriebe, die die uneinge-<br />
16 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN<br />
schränkte Einbeziehung dieser Betriebe in<br />
den Querverbund ermöglicht hätte.<br />
Diese Formulierungen wurden wieder abgeändert;<br />
die Änderungen kehrten insbesondere<br />
wieder zu dem Verbundmerkmal<br />
der „technisch-wirtschaftlichen Verflechtung“<br />
zurück und verzichteten darauf, dass<br />
öffentliche Bäder in Abweichung von den<br />
bisherigen Verwaltungsgrundsätzen ohne<br />
Beachtung des Merkmals mit anderen Tätigkeiten<br />
zusammengefasst werden können.<br />
Durch die Regelungen im Jahressteuergesetz<br />
2009 wurde nun der Status quo des<br />
steuerlichen Querverbunds gesetzlich verankert.<br />
Umsatzbesteuerung von Wasserhausanschlüssen –<br />
Ermäßigter Mehrwertsteuersatz oder Regelsteuersatz –<br />
das war hier die Frage<br />
Das Bundesfinanzministerium (BMF) vertrat<br />
bisher die Auffassung, dass Zahlungen<br />
an ein Wasserversorgungsunternehmen für<br />
das Legen von Wasserleitungen einschließlich<br />
der Hausanschlüsse Entgelt für die<br />
umsatzsteuerpflichtige Leistung „Verschaffung<br />
der Möglichkeit zum Anschluss<br />
an das Versorgungsnetz“ ist und somit als<br />
eine von der eigentlichen Wasserlieferung<br />
unabhängige, selbständige Hauptleistung<br />
anzusehen ist, die damit dem allgemeinen<br />
Umsatzsteuersatz unterliegt.<br />
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat<br />
mit Urteil vom 3. April 2008 (AZ:<br />
C-442/05) auf ein Vorabentscheidungsersuchen<br />
des Bundesfinanzhofs (BFH) hin<br />
entschieden, dass unter „Lieferung von<br />
Wasser“ im Sinne der Sechsten Mehrwertsteuer-Richtlinie<br />
auch das Legen eines<br />
Hausanschlusses zu verstehen ist und die<br />
Mitgliedstaaten hierfür unter Beachtung<br />
des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität<br />
einen ermäßigten Steuersatz ansetzen<br />
können.<br />
Während des gesamten Verfahrens war<br />
nicht abzusehen, ob sich der BFH der Auffassung<br />
der Finanzverwaltung und damit<br />
der Besteuerung mit dem Regelsteuersatz<br />
anschließt oder nicht.<br />
Mit Urteil vom 8. Oktober 2008 – V R<br />
61/03 – hat der Bundesfinanzhof entschieden,<br />
dass das Legen eines Hausanschlusses<br />
durch ein Wasserversorgungsunternehmen<br />
gegen gesondert berechnetes Entgelt unter<br />
den Begriff „Lieferung von Wasser“ fällt<br />
und mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz<br />
zu versteuern ist, wenn die Leistung<br />
„Hausanschluss“ an den späteren Wasserbezieher<br />
erbracht wird. Durch die Entscheidung<br />
des BFH ist Rechtsklarheit für<br />
die Fälle eingetreten, bei denen Identität<br />
von Anschlussnehmer und Wasserbezieher<br />
besteht.<br />
Jedoch wirft die Entscheidung auch eine<br />
Reihe von Folgefragen auf, die mit dem<br />
Bundesfinanzministerium noch geklärt<br />
werden müssen.<br />
Ausbau der Ganztagsschulen in Baden-Württemberg<br />
in Fahrt<br />
Im April 2008 hat die Landesregierung in<br />
der zweiten Antragsrunde des Landesprogramms<br />
zum Ausbau von Ganztagsschule<br />
„weitere“ 221 Ganztagsschulen die Genehmigung<br />
ausgesprochen. Damit stieg<br />
die Zahl der öffentlichen und privaten<br />
Ganztagsschulen zum Schuljahr 2008/09<br />
von 837 auf 1.058. Insbesondere bei den<br />
Grundschulen und Hauptschulen stieg die<br />
Zahl der Ganztagsschulen seit 2002<br />
sprunghaft in die Höhe. 2002: 17 Grundschulen,<br />
131 Hauptschulen; 2007: 140<br />
Grundschulen, 294 Hauptschulen. Die tatsächliche<br />
Zahl der Ganztagsschulen dürfte<br />
noch höher sein. Es gibt zahlreiche Schule<br />
mit einem offenen Ganztagsangebot, die<br />
keinen Genehmigungsantrag einreichten<br />
und damit nicht unter das Ganztagsschulprogramm<br />
mit den zusätzlichen Lehrerstunden<br />
fallen.<br />
Das vom Land erklärte Ziel, bis zum Jahr<br />
2015 40 Prozent der Schulen (ca. 1.600)<br />
auf Ganztagsbetrieb umzustellen, ist damit<br />
realistisch in die Nähe gerückt. In Bezug<br />
auf die Hauptschulen und Gymnasien<br />
könnte sich der Trend durch die Qualitätsoffensive<br />
Bildung des Landes sogar noch<br />
etwas verstärken. Danach soll jede zweizügige<br />
Hauptschule im Land auf Antrag<br />
und, wenn ein sinnvolles Konzept vorliegt,<br />
als Ganztagsschule genehmigt werden.<br />
Damit greift das Land eine Gemeindetagsforderung<br />
auf, die bereits im Rahmen der<br />
Weinheimer Erklärung zur Weiterentwicklung<br />
der Schulen vom 18. Juli 2007 / 15.<br />
Juli 2008 aufgestellt und dem Land vorgetragen<br />
wurde. Der Gemeindetag erwartet<br />
jedoch darüber hinaus, dass auch kleinere<br />
Hauptschulen, insbesondere im ländlichen<br />
Raum, die Perspektive für eine Ganztagsschule<br />
bekommen müssen.<br />
Bei Gymnasien heißt das Motto künftig<br />
„Wer will, darf Ganztagsschule werden“.<br />
Genehmigungsvoraussetzungen sind ein<br />
entsprechendes pädagogisches Konzept<br />
sowie die notwendigen räumlichen Voraussetzungen.<br />
Damit könnte das Gymnasium<br />
die erste Schulart mit flächendeckendem<br />
Ganztagsangebot werden. Von 377<br />
Gymnasien sind momentan lediglich 84<br />
Schulen im Ganztagsbetrieb. Die Hauptlast<br />
des Ausbaus wird damit bei den Kommunen<br />
liegen.<br />
Diese weitere Entwicklung zeigt, dass es<br />
höchste Zeit ist, die Ganztagsschule im<br />
Schulgesetz zu regeln. Die Verwerfungen<br />
zwischen Land und Kommunen beim Betrieb<br />
schulischer Ganztagsangebote rühren<br />
zu einem großen Teil von der fehlenden<br />
gesetzlichen Verankerung. Der Gemeindetag<br />
strebt an, dies innerhalb der laufenden<br />
Legislaturperiode des Landtags zu ändern,<br />
um für Schulen und für Schulträger die<br />
dringendst benötigte Rechtssicherheit<br />
beim Schulbetrieb von Ganztagsschulen<br />
zu gewinnen. Nicht müde wird der Gemeindetag,<br />
nachdrücklich eine ausreichende<br />
Ausstattung der Schulen mit Lehrkräften<br />
und anderen pädagogischen Fachpersonal<br />
einzufordern; schließlich ist dies<br />
unabdingbare Voraussetzung für eine qualitätvolle<br />
Entwicklung der Ganztagsschulen<br />
in Baden-Württemberg.<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 17
B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN BWGZ 1/2009<br />
Förderung von Betreuungsangeboten durch das Land<br />
muss unbefristet weiter gelten<br />
Der Gemeindetag begrüßt, dass die Förderung<br />
von kommunalen Betreuungsangeboten<br />
an Ganztagsschulen (Verlässliche<br />
Grundschule, flexible Betreuungsangebote<br />
am Nachmittag) unbefristet beibehalten<br />
wird. Diese Zusage des Landes erfolgte<br />
jüngst im Rahmen der Qualitätsoffensive<br />
Bildung. Nachdem das Land diese Förderungen<br />
zunächst nur für gebundene Ganztagsschule<br />
gewähren wollte, ist dies als<br />
wichtiger Erfolg der Bemühungen des Gemeindetags<br />
für seine Mitgliedsstädte und<br />
Ausbau und Finanzierung von Krippen und<br />
Kindertageseinrichtungen – kommunale<br />
Bildungslandschaften entwickeln und gestalten<br />
Ausgehend von dem so genannten „Krippenkompromiss“<br />
zwischen der Landesregierung<br />
und den kommunalen Landesverbänden<br />
am 21.12.2007 (siehe Bilanz<br />
und Perspektiven BWGZ 1/2008) stand<br />
das Jahr 2008 nun ganz im Zeichen der<br />
Umsetzung der dort getroffenen Vereinbarung<br />
mit den dabei festgelegten Grundsätzen.<br />
Hervorzuheben ist hierbei insbesondere<br />
die Verständigung über den neuen<br />
Fördergrundsatz in der Kleinkindbetreuung<br />
„Das Geld folgt den Kindern“. Weiterer<br />
wesentlicher Punkt ist die jährlich ab<br />
2009 aufsteigende höhere Landesbeteiligung<br />
an den Betriebskosten für die Kleinkindbetreuung<br />
mit einer Landesbeteiligung<br />
in Höhe von 165 Mio. Euro ab dem<br />
Jahr 2014.<br />
Die Landesbeteiligung steigt somit von<br />
derzeit rund 10 Prozent an den (brutto)Betriebsausgaben<br />
auf dann etwa 33 Prozent<br />
der (Netto-)Betriebsausgaben bezogen auf<br />
das Jahr 2014. Diese deutliche Erhöhung<br />
der Betriebskostenbeteiligung muss jedoch<br />
auch im Lichte der fehlenden Landesbeteiligung<br />
bei der Investitionsförderung<br />
gesehen sowie daran gemessen werden,<br />
dass nach Abzug der Bundes- und<br />
Landesbeteiligung nach wie vor ein erheblicher<br />
ungedeckter Aufwand in Höhe von<br />
336 Mio. Euro verbleibt, der überwiegend<br />
von den Kommunen zu tragen sein wird<br />
und damit deutlich über dem politisch vereinbarten<br />
„Drittel“ liegt. (Ein Drittel Bund,<br />
ein Drittel Land, ein Drittel Kommunen)<br />
-gemeinden zu verbuchen. An dieser Stelle<br />
muss jedoch erneut betont werden, dass<br />
die Förderung für Betreuungsangebote an<br />
Schulen für den Gemeindetag grundsätzlich<br />
nicht verhandelbar ist. Die Zuwendungen<br />
des Landes müssen auch für Halbtagsschulen<br />
aufrechterhalten bleiben.<br />
Ebenso unnachgiebig fordert der Gemeindetag<br />
nach wie vor die Übernahme der Aufsichtsführung<br />
beim Schulmittagessen durch<br />
die Schulen gemäß § 41 Schulgesetz ein.<br />
Nicht nur diese finanziellen Dimensionen<br />
im Ausbau und der Finanzierung der<br />
Kleinkindbetreuung, sondern insbesondere<br />
auch die bevorstehende Umsetzung verschiedenster<br />
Modellprojekte der Landesregierung<br />
im Kindergartenbereich (Orientierungsplan<br />
Bildung und Erziehung,<br />
Schulreifes Kind, Neukonzeption der Ein-<br />
schulungsuntersuchung, verpflichtende<br />
Einführung einer Sprachstandsdiagnose<br />
etc.), werden nicht nur die inhaltliche Arbeit<br />
sowie den Ablauf in den Kindertageseinrichtungen<br />
verändern, sondern voraussichtlich<br />
ohne darauf abgestimmte Anpassungen<br />
der Rahmenbedingungen nicht<br />
ohne Weiteres in den so genannten Echtbetrieb<br />
gehen können.<br />
Um hier frühzeitig öffentlich Aufmerksamkeit<br />
für das Thema zu platzieren und<br />
mit allen beteiligten Akteuren (Kirchen,<br />
Trägerverbände, Landesregierung) über<br />
diese komplexe Thematik mit ebenfalls<br />
erheblichen finanziellen Auswirkungen<br />
ins Gespräch zu kommen, hat der Gemeindetag<br />
am 31.1.2008 seine Jahrespressekonferenz<br />
ganz unter das Thema Herausforderungen<br />
für die Kommunen in Sachen<br />
Bildung und Betreuung in den Mittelpunkt<br />
gestellt. Die modellhaften Annahmen und<br />
die differenzierte Betrachtung der Modellprojekte<br />
samt ihrer Auswirkungen fand ein<br />
breites Echo nicht nur in der Presse, sondern<br />
auch in der Fachwelt, was unter anderem<br />
daran abzulesen ist, dass die Schwerpunktausgabe<br />
„Vorschulische Bildung und<br />
Betreuung“ der BWGZ 3/2008 vom<br />
15.2.2008 in der Fachpublikation „Kita-<br />
Aktuell“ nachgedruckt wurde.<br />
18 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN<br />
Umsetzung des Krippeninvestitionsprogramms<br />
des Bundes<br />
Im Gemeinsamen Amtsblatt (GABl.) vom<br />
31.3.2008 wurde die Verwaltungsvorschrift<br />
des Ministeriums für Arbeit und<br />
Soziales zur Umsetzung des Investitionsprogramms<br />
des Bundes „Kinderbetreuungsfinanzierung<br />
2008 – 2013 (VwV-Investitionen<br />
Kleinkindbetreuung) am<br />
11.3.2008 veröffentlicht. Einige wesentliche<br />
Punkte, die der Gemeindetag im<br />
Vorfeld in die politische Diskussion eingebracht<br />
hatte, wurden aufgenommen<br />
wie z.B. die Ausgestaltung der Förderung<br />
in Form von Festbeträgen nach festzulegenden<br />
Kategorien sowie eine pragmatische<br />
Ausgestaltung der vorzulegenden<br />
Bedarfsbestätigungen durch die Standortgemeinden.<br />
Neuausgestaltung der Betriebskostenförderung<br />
Kleinkindbetreuung und Kindergartenförderung ab 2009<br />
Das erste Halbjahr 2008 stand in der Folge<br />
des bereits genannten „Krippenkompromisses“<br />
vom 21.12.2007 ganz im Zeichen<br />
der Diskussionen rund um die Frage, ob<br />
sich die Landesregierung wie auch die Regierungsfraktionen<br />
der Forderung des Gemeindetags<br />
bzw. der kommunalen Landesverbände<br />
nach der Umsetzung im Wege der<br />
so genannten FAG-Lösung anschließen<br />
würden oder ob ein ebenfalls im Raum stehendes<br />
Förderprogramm des Landes für die<br />
Betriebskostenförderung in der Kleinkindbetreuung<br />
zum Tragen kommen würde.<br />
Mit dem Eckpunktepapier der Landesregierung<br />
vom 15.7.2008 wurde dann der Weg<br />
gewissermaßen frei gemacht für eine FAG-<br />
Lösung der ab 2009 erfolgenden höheren<br />
Landesbeteiligung und der neu einsetzenden<br />
Bundesbeteiligung an den Betriebskosten<br />
für die unter 3-jährigen Kinder.<br />
Wesentliche Neuerung stellt dabei dar, dass<br />
als Maßstab für die FAG-Zuweisungen vom<br />
Land an die Kommunen die Zahl der Kinder<br />
in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege<br />
im Vorjahr betreuten Kinder unter<br />
3 Jahren gemäß der Kinder- und Jugendhilfestatistik<br />
des Statistischen Landesamtes<br />
vorgesehen ist. Dieser Maßstab soll darüber<br />
hinaus gewichtet werden und zwar je belegtem<br />
Betreuungsplatz, differenziert nach Betreuungsart<br />
und -umfang.<br />
Außerdem hat der Gemeindetag sich dafür<br />
eingesetzt, für den gesamten Programmzeitraum<br />
Antragstermine festzulegen, um<br />
das so genannte Windhundverfahren abzufedern.<br />
Für den Programmstart 2008 ist<br />
dies gelungen, ab 2009 wird es leider keine<br />
Antragstermin mehr geben. Die endgültige<br />
Version der Verwaltungsvorschrift wurde<br />
nicht mehr mit den kommunalen Landesverbänden<br />
abgestimmt, so dass exakt<br />
die Fragen aus der Praxis, die im Vorfeld<br />
insbesondere auch vom Gemeindetag an<br />
das Land herangetragen wurden, dann im<br />
Nachhinein mit Hinweisen des Ministeriums<br />
für Arbeit und Soziales vom 21.8.2008<br />
nachgeschoben wurden. Trotz der Hinweise<br />
besteht noch Klärungsbedarf.<br />
Die Differenzierung soll mit der Festlegung<br />
bestimmter Faktoren erfolgen: Für<br />
die Halbtagsbetreuung (bis zu 5 Stunden<br />
täglich) ist der Faktor 0,5, für die verlängerte<br />
Öffnungszeit und den Regelkindergarten<br />
(5 – 7 Stunden täglich) der Faktor<br />
0,7 und für die Ganztagsbetreuung (über 7<br />
Stunden täglich) der Faktor 1,0 vorgesehen.<br />
Diese neu in § 29c FAG vorgesehene<br />
Regelung ist mit den kommunalen Landesverbänden<br />
abgestimmt und wird vom<br />
Gemeindetag voll mitgetragen. Die Geschäftsstelle<br />
war in den vorausgehenden<br />
Besprechungen stets vertreten und hat die<br />
kommunalen Interessen mit Nachdruck<br />
vertreten.<br />
Für die Zukunft bedeutet diese Ausgestaltung<br />
perspektivisch gesehen, dass die Statistik<br />
über die belegten Plätze großes Gewicht<br />
erhält (unabhängig davon, ob es sich<br />
um Plätze in kommunalen, kirchlichen<br />
oder in sonstiger freier Trägerschaft befindlichen<br />
Kindergärten handelt), weshalb<br />
hier eine sorgfältige Abstimmung bzw. ein<br />
reibungsloser Informationsfluss sichergestellt<br />
werden sollte.<br />
Im bereits genannten Eckpunktepapier der<br />
Landesregierung vom 15.7.2008 ist als<br />
weiterer wesentlicher künftiger Regelungsbereich<br />
die Frage aufgeworfen worden,<br />
ob der neue Grundsatz „Das Geld<br />
folgt den Kindern“ – wenn er für den<br />
Kleinkindbereich als richtiger Modus angesehen<br />
wird – dann nicht auch übertragen<br />
zu sein müsste auf den Kindergartenbereich.<br />
Hierzu war das Finanzministerium<br />
aufgerufen, differenzierte Modellberechnungen<br />
über die Auswirkungen auf die<br />
Städte und Gemeinden aufzustellen.<br />
Die ersten Ergebnisse sahen so aus, dass<br />
dies bei 511 Städten und Gemeinden zu<br />
(zum Teil deutlichen) Verlusten geführt hätte,<br />
wenn die 394 Mio. Euro (bzw. ab 2009<br />
386 Mio. Euro) ab 1.1.2009 zu 100 Prozent<br />
nach dem Grundsatz „Das Geld folgt den<br />
Kindern“ verteilt worden wären.<br />
Der Gemeindetag Baden-Württemberg hat<br />
sofort und eindeutig Position bezogen und<br />
gegenüber der Landesregierung unmissverständlich<br />
zum Ausdruck gebracht, dass<br />
diese hohe Anzahl an möglichen „Verlierern“<br />
keinesfalls akzeptabel sei. Doch der<br />
Gemeindetag hat es nicht bei der reinen<br />
Ablehnung belassen, vielmehr hat er die<br />
Initiative ergriffen und gemeinsam mit<br />
dem Städtetag nach einer abfedernden<br />
Übergangslösung gesucht, die auch rasch<br />
gefunden wurde.<br />
Mit gemeinsamen Schreiben vom 3.9.2008<br />
haben Gemeindetag und Städtetag der<br />
Landesregierung und den Regierungsfraktionen<br />
einen Vorschlag unterbreitet, der ab<br />
2009 eine Übergangsregelung dergestalt<br />
vorsieht, dass im Kindergartenbereich die<br />
Förderung aus dem Kommunalen Finanzausgleich<br />
zu 50 Prozent auf der Basis der<br />
Förderung des Jahres 2002 und zu 50 Prozent<br />
nach dem neuen Maßstab, d.h. nach<br />
der Zahl der betreuten Kinder, in der<br />
Standortgemeinde verteilt wird. Letztgenannter<br />
Maßstab steigt jährlich an<br />
(2010: 60 Prozent; 2011: 70 Prozent; 2012:<br />
80 Prozent; 2013: 100 Prozent); so dass ab<br />
2013 das Motto „Das Geld folgt den Kindern“<br />
in Gänze auch in der Kindergartenförderung<br />
Anwendung finden soll.<br />
Dieser Lösungsvorschlag wurde voll und<br />
ganz von der Landesregierung übernommen<br />
und findet sich in dem aktuell vorliegenden<br />
Gesetzentwurf zur Änderung des<br />
Kindertagesbetreuungsgesetzes (KiTaG)<br />
und des Finanzausgleichsgesetzes (FAG)<br />
für Baden-Württemberg vom 18.9.2008.<br />
Damit hat der Gemeindetag erfolgreich die<br />
Interessen der Mitgliedsstädte und -gemeinden<br />
gegenüber der Landesregierung<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 19
B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN BWGZ 1/2009<br />
vertreten und eine ebenso richtige wie<br />
wichtige Weichenstellung in der Finanzzuweisung<br />
für die Kindergartenförderung für<br />
seine Mitgliedsstädte und -gemeinden erreichen<br />
können.<br />
Die weiteren wesentlichen Punkte aus dem<br />
Eckpunktepapier der Landesregierung und<br />
ihre Umsetzung in das zu novellierende<br />
KiTaG und FAG finden sich in dem aktuell<br />
bestehenden Gesetzentwurf, zu dem der<br />
Gemeindetag differenziert mit Schreiben<br />
vom 14.10.2008 Stellung genommen hat.<br />
Die 1. Lesung im Landtag ist für Dezember<br />
2008 vorgesehen, so dass die tatsächliche<br />
Ausgestaltung der umfangreichen Novelle<br />
bei Verfassung dieses Beitrags noch<br />
nicht feststanden. Dies gilt insbesondere<br />
für die Regelung des gemeindeübergreifenden<br />
Kostenausgleichs, wie auch die<br />
vom Gemeindetag abgelehnte Genehmigungspflicht<br />
der Bedarfsplanung.<br />
Beim gemeindeübergreifenden Kostenausgleich<br />
sieht der aktuelle Gesetzentwurf vor,<br />
dass dies frei zwischen Standort- und<br />
Wohnsitzgemeinde ausgehandelt werden<br />
soll und soweit dies nicht zielführend erfolgen<br />
kann, 75 Prozent der tatsächlich anfallenden<br />
Betriebsausgaben (Spitzabrechnung)<br />
erstattet werden müssen. Der hierfür<br />
absehbare hohe Verwaltungsaufwand, wie<br />
auch das nicht zu unterschätzende Konfliktpotenzial<br />
zwischen den Kommunen<br />
haben den Gemeindetag erneut veranlasst,<br />
gemeinsam mit dem Städtetag nach Lösungsansätzen<br />
nicht nur zu suchen, sondern<br />
diese auch abgestimmt zeitnah der<br />
Landesregierung und den Regierungsfraktionen<br />
zu unterbreiten. Mit Schreiben vom<br />
14.10.2008 haben Gemeindetag und Städtetag<br />
erneut gemeinsam Position bezogen<br />
mit der Festlegung von Pauschalbeträgen<br />
(differenziert nach Betreuungsart und -umfang),<br />
die im Wege einer Rechtsverordnung<br />
klare transparente und verlässliche Ausgleichszahlungen<br />
ermöglichen.<br />
Die konsequente Vertretung der kommunalen<br />
Interessen scheint auch hier auf positivem<br />
Wege dergestalt zu sein, dass die<br />
vorgeschlagene Lösung mit Pauschalbeträgen,<br />
entweder in eine Rahmenvereinbarung<br />
einzuspeisen, oder als Empfehlungen<br />
von Gemeindetag und Städtetag (gesetzlich<br />
oder untergesetzlich) vorzusehen. Der<br />
gesamte Themenbereich hat die Geschäftsstelle<br />
im ablaufenden Jahr 2008 überdurchschnittlich<br />
in Anspruch genommen.<br />
Neues Beratungsfeld des Gemeindetags<br />
und der Gt-service im Bereich Beratung bei der Erstellung<br />
örtlicher Bildungs- und Betreuungskonzeptionen<br />
Aus den vielen Rückmeldungen gegenüber<br />
der Geschäftsstelle hat sich im vergangenen<br />
Jahr ebenfalls abgezeichnet,<br />
dass die ungeheure Dynamik im Ausbau<br />
der Kleinkindbetreuung wie auch die Veränderungen<br />
im Kindergartenbereich Städte<br />
und Gemeinden nicht nur vor finanzielle,<br />
sondern auch vor planerische Herausforderungen<br />
stellen, in denen zunehmend<br />
Beratungsbedarf über das übliche Maß hinaus<br />
besteht.<br />
Insoweit hat sich der Gemeindetag Baden-<br />
Württemberg entschlossen, hier ein neues<br />
(kostenpflichtiges) Beratungsangebot aufzubauen,<br />
um im direkten Kontakt mit den<br />
Städten und Gemeinden, die einen entsprechenden<br />
Auftrag erteilen, Unterstüt-<br />
Support für pädagogische Computernetze an Schulen<br />
Seit 2002 koordiniert das Landesmedienzentrum<br />
(LMZ) im Rahmen des Projektes<br />
„Support Netz“ der Medienoffensive Schule<br />
II des Kultusministeriums den Aufbau<br />
von Unterstützungsangeboten für schulische,<br />
pädagogische Computernetze. Dazu<br />
gehört die Entwicklung der Musterlösung<br />
für schulische Computernetze, der Aufbau<br />
der dazugehörigen Hotline für die Schulen,<br />
die Einrichtung dezentraler Beratungsstellen<br />
für Schulen und Schulträger an den<br />
Kreismedienzentren und das Konzept zur<br />
Medienentwicklungsplanung in Baden-<br />
Württemberg. Das durch das Kultusministerium<br />
unterstütze Projekt „Support Netz“<br />
ist zum 31.7.2008 ausgelaufen.<br />
Die kommunalen Landesverbände haben<br />
die Entwicklung des Unterstützungssystems<br />
von Beginn an inhaltlich begleitet<br />
und mitgetragen. Es ist inzwischen unbestritten,<br />
dass standardisierte, ganzheitliche<br />
und auf die schulischen Bedürfnisse zugeschnittene<br />
Lösungen einen effizienteren<br />
und praxisbezogenen Support ermöglichen.<br />
Gleichzeitig tragen sie dazu bei,<br />
Kosten bei der Installation, im laufenden<br />
Betrieb und bei der Wartung einzusparen.<br />
Der Unterricht mit Medien wird so einfacher<br />
und sicherer.<br />
zung zu geben für die Erstellung örtlicher<br />
Bildungs- und Betreuungskonzeptionen.<br />
Nach der Überzeugung des Gemeindetags<br />
wird es auf Dauer nur gelingen, diese<br />
wichtigen kommunalpolitischen Themen<br />
frühzeitig in die richtige Richtung zu lenken,<br />
wenn mit fundierten Aussagen zur<br />
Bedarfsplanung, zu strukturellen Weiterentwicklungen<br />
unter Berücksichtigung der<br />
Inhalte und der Qualität ein zukunftsfähiges<br />
Konzept im Gemeinderat der jeweiligen<br />
Stadt/Gemeinde beraten und beschlossen<br />
werden kann. Es liegen bereits zahlreiche<br />
Interessensbekundungen vor und es<br />
befinden sich erste Aufträge in der Abwicklung.<br />
Dies wird eine wesentliche Aufgabe<br />
für das Jahr 2009 und folgende darstellen.<br />
Rund 80 Prozent der allgemein bildenden<br />
Schulen und über die Hälfte der beruflichen<br />
Schulen in Baden-Württemberg setzen<br />
inzwischen die Musterlösungen des<br />
LMZ ein, mehr als 1.800 Schulen sind bereits<br />
bei der LMZ-Hotline angemeldet.<br />
Der Gemeindetag und die beiden anderen<br />
kommunalen Landesverbände haben deshalb<br />
entschieden, die Finanzierung und<br />
Fortführung dieses Support-Angebots<br />
über eine Vorwegentnahme aus dem FAG<br />
mit zu finanzieren. Rund 1,3 Mio. Euro<br />
werden dafür jährlich bereitgestellt.<br />
Gleichzeitig ist es allerdings unumgänglich,<br />
dass ab 1.1.2009 auch die Nutzer,<br />
also die Schulträger, deren Schulen die<br />
Dienstleistungen in Anspruch nehmen,<br />
einen Beitrag für den Erhalt dieses Unterstützungssystems<br />
leisten. Durch die o.g.<br />
Sockelfinanzierung über den FAG ist es<br />
gelungen, ein für Schulen und Schulträger<br />
finanziell und inhaltlich sehr attraktives<br />
Angebot zu gestalten. Weitere Informationen<br />
werden über www.support-netz.<br />
de publiziert. Über die neue Finanzierungsvereinbarung<br />
zwischen Land und<br />
Kommunen ist die Unterstützungsleistung<br />
des LMZ an die Schulen weiterhin<br />
gesichert.<br />
20 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN<br />
Pflegestützpunkte<br />
Seit 1.7.2008 ist das so genannte Pflege-<br />
Weiterentwicklungsgesetz (PflWG) – besser<br />
bekannt als Reform der Pflegeversicherung<br />
– in Kraft getreten. Dieses Bundesgesetz<br />
normiert zahlreiche Änderungen für<br />
Kostenträger und Leistungserbringer sowie<br />
die Ausweitung von Leistungen der<br />
Pflegeversicherung, beispielsweise für demenzkranke<br />
Menschen.<br />
Im Zentrum aus kommunaler Sicht steht<br />
jedoch der vorgeseheneAufbau von Pflegestützpunkten<br />
zur wohnortnahen und insbesondere<br />
auch neutralen Beratung für Angehörige<br />
im Vor- und Umfeld von Pflegebedürftigkeit<br />
(Caremanagement). Außerdem<br />
soll im Pflegstützpunkt auch der im Pflege-<br />
Weiterentwicklungsgesetz verankerte neue<br />
(Rechts-) Anspruch auf Pflegeberatung<br />
(Casemanagement) umgesetzt werden.<br />
Zur Umsetzung in Baden-Württemberg<br />
haben im Laufe des Jahres 2008 einige Ge-<br />
Gemeindenetzwerk Bürgerschaftliches Engagement<br />
Das Gemeindenetzwerk Bürgerschaftliches<br />
Engagement hat seit dem 1.5.2008<br />
eine neue Fachberatung, die mit der Leitung<br />
durch Herrn Prof. Paul-Stefan Roß<br />
von der Berufsakademie Stuttgart bereits<br />
seit vielen Jahren mit dem Gemeindenetzwerk<br />
verbunden ist. Mit dem ifaS-Team<br />
der BA Stuttgart, Frau Janine Bliestle und<br />
spräche zwischen kommunalen Landesverbänden,<br />
dem Land und den Pflegekassen<br />
stattgefunden.<br />
Wegen der begrenzten Anschubfinanzierung<br />
durch den Bund, die Zuständigkeit<br />
der Pflegekassen und der bereits zahlreich<br />
vorhandenen Strukturen in diesem Bereich,<br />
gibt es noch einige zu klärende<br />
Punkte, beispielsweise über die Anzahl<br />
bzw. die Standorte(-Entscheidungen) von<br />
Pflegestützpunkten.<br />
Unter Moderation des Sozialministeriums<br />
gibt es mittlerweile konsensfähige Grundsatzpositionen<br />
zwischen kommunalen<br />
Landesverbänden und Pflegekassen, die<br />
geeignet sein können, eine landesweite<br />
Rahmenvereinbarung zu verhandeln bzw.<br />
abzuschließen. Die Vertretung der kommunalen<br />
Interessen in diesem Bereich<br />
wird ein weiterer Schwerpunkt für die Geschäftsstelle<br />
im Jahr 2009 sein.<br />
Nachhaltigkeitsstrategie Baden-Württemberg –<br />
Projekte schreiten langsam voran<br />
Die Nachhaltigkeitsstrategie Baden-Württemberg<br />
wurde am 3. März 2007 offiziell<br />
gestartet. In einer Vielzahl von Workshops,<br />
Sitzungen von Arbeitsgruppen, Projektgruppen,<br />
Koordinierungsgruppen usw.<br />
wurde mittlerweile ein Zielkatalog erarbeitet,<br />
der bei der Nachhaltigkeitskonferenz<br />
unter Vorsitz des Ministerpräsidenten<br />
am 12. März 2008 beschlossen wurde.<br />
Der Zielkatalog „Ziele nachhaltiger Entwicklung<br />
für Baden-Württemberg“ wurde<br />
im Dialog mit den gesellschaftlichen Akteuren<br />
erarbeitet. Er umfasst insgesamt 80<br />
Oberziele, die als Orientierungsrahmen<br />
Frau Neele Koch, konnte sofort durchgestartet<br />
werden.<br />
Am 9.7.2008 fand die Jahrestagung 2008<br />
mit dem Thema „Kommunale Bildungslandschaften“<br />
in Gerlingen statt. Mittlerweile<br />
hat das Netzwerk 99 Mitglieder. Für<br />
2009 ist das Schwerpunktthema Ländlicher<br />
Raum und Demografie vorgesehen.<br />
für die Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie<br />
und die Ausrichtung der<br />
konkreten Projektarbeiten dienen sollen.<br />
Die Nachhaltigkeitsstrategie Baden-Württemberg<br />
erstreckt sich bekanntlich auf<br />
sechs Themenfelder, denen jeweils zwei<br />
bis vier Einzelprojekte zugeordnet sind.<br />
Auf die Darstellung in BWGZ 2008, S. 7,<br />
wird hingewiesen. In der Nachhaltigkeitskonferenz<br />
vom März 2008 sind zu den 15<br />
Startprojekten (Einzelprojekten) noch drei<br />
neue Projekte beschlossen worden. Es<br />
handelt sich dabei um „Wissen und Nachhaltigkeit“,<br />
Förderung der Erziehungs-<br />
kompetenz von Eltern in Migrantenfamilien“<br />
und „Forum für eine nachhaltige Biogaserzeugung<br />
in Baden-Württemberg“.<br />
Die Ministerien und die beteiligten gesellschaftlichen<br />
Gruppen können weitere<br />
Neuprojekte vorschlagen, über die dann in<br />
der Nachhaltigkeitskonferenz im Frühjahr<br />
2009 entschieden wird.<br />
Darüber hinaus wurde in der Nachhaltigkeitskonferenz<br />
beschlossen, für eine Verknüpfung<br />
der Nachhaltigkeitsstrategie des<br />
Landes mit der Lokalen Agenda 21 auf<br />
Gemeindeebene durch die Geschäftsstelle<br />
der Nachhaltigkeitsstrategie (UM) Konzepte<br />
ausarbeiten zu lassen. Ein diesbezügliches<br />
Gespräch zwischen kommunalen<br />
Landesverbänden und UM hat zwischenzeitlich<br />
stattgefunden. Ziel einer<br />
solchen Verknüpfung soll sein, die Stärken<br />
wechselseitig zu nutzen um dadurch Synergien<br />
zu erzielen.<br />
Die kommunalen Landesverbände haben<br />
zur Nachhaltigkeitskonferenz im März<br />
2008 folgenden gemeinsamen Antrag eingebracht:<br />
„Das Papier ‚Ziele nachhaltiger Entwicklung<br />
in Baden-Württemberg’ wird als erster<br />
Schritt begrüßt. Es muss ergänzt werden<br />
durch die Benennung von konkreten Maßnahmen,<br />
die Festlegung von Prioritäten und<br />
die Ermittlung des Finanzierungsbedarfs.<br />
Die einzelnen Ziele sowie die daraus resultierenden<br />
Maßnahmen müssen miteinander<br />
verknüpft werden, um die Komplexität<br />
und Wechselwirkungen sowie<br />
‚Konfliktfelder’ darzustellen, die daran<br />
mitwirkenden Akteure aufzuzeigen und<br />
‚Netzwerke’ zu ermöglichen.<br />
Grundsätzlich wird anerkannt, dass das<br />
Land zusätzlich zu den Mitteln der Ressorts<br />
einen Finanzierungsbeitrag für die<br />
Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie<br />
zur Verfügung stellt. Nur eine Konzentration<br />
dieser Mittel aus dem Impulsprogramm<br />
auf sehr wenige, aber ausgewiesene<br />
umwelt- und gesellschaftspolitische<br />
Schwerpunktprogramme ist zielführend<br />
und für eine landesweite Nachhaltigkeitsstrategie<br />
sinnvoll, die auch noch nach<br />
2011 weiterwirken soll.<br />
Beispielhafte Schwerpunktthemen in diesem<br />
Sinne sind Klimaschutz, Lärmminderung<br />
und Förderung der Innenentwicklung<br />
sowie das Bürgerschaftliche Engagement<br />
mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit der<br />
Städte und Gemeinden.<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 21
B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN BWGZ 1/2009<br />
Eine Bewertung der Ziele und deren Priorisierung<br />
wird zeigen, dass das Impulsprogramm<br />
von 10 Mio. Euro von 2008 bis<br />
2011 nicht ausreichen wird, um Schwerpunkte<br />
der Nachhaltigkeitsstrategie Baden-Württemberg<br />
umzusetzen. Insoweit<br />
wird an das Land appelliert, für die jetzt<br />
noch konkreter zu beschreibenden Maßnahmen<br />
entsprechend deren Priorität weitere<br />
Landesmittel bereitzustellen.<br />
Um eine Fehlsteuerung zu vermeiden, sollen<br />
die Mittel aus dem Impulsprogramm<br />
nicht nach dem ‚Windhundprinzip’ vergeben<br />
werden.“<br />
Flächeninanspruchnahme<br />
Die Diskussion um den „Flächen- und<br />
Landschaftsverbrauch“ bzw. die „Flächeninanspruchnahme“<br />
gehört mittlerweile zu<br />
den Dauerbrennern in der umweltpolitischen<br />
Diskussion.<br />
Als Träger der Bauleitplanung werden<br />
Städte und Gemeinden von der Landespolitik<br />
und von den Umweltverbänden als<br />
zentrale Akteure angesehen, wenn es vor<br />
dem Hintergrund stagnierender oder gar<br />
rückläufiger Einwohnerzahlen darum geht,<br />
durch kommunale Bodenpolitik die Flächeninanspruchnahme<br />
in die gewünschte<br />
Richtung zu lenken. Städte und Gemeinden<br />
bekennen sich entsprechend dem Leitbild<br />
der „kompakten Kommune“ zu einem<br />
verantwortungsbewussten Umgang mit<br />
der Flächeninanspruchnahme für Siedlung,<br />
Wirtschaft, Verkehr. Die verstärkte<br />
Aktivierung innerörtlicher Potenziale als<br />
eine der möglichen Strategien zur Reduzierung<br />
der Flächeninanspruchnahme wird<br />
vor Ort bereits betrieben. Die konkrete Befassung<br />
mit der örtlichen Situation zeigt in<br />
vielen Fällen jedoch auch, dass eine einfache<br />
und schnelle Aktivierung von brachliegenden<br />
innerörtlichen Flächen häufig<br />
nicht ohne weiteres möglich ist. Städte und<br />
Gemeinden bedürfen bei dieser schwierigen<br />
Aufgabe der Unterstützung durch das<br />
Land.<br />
Jeder Gemeinde und jeder Stadt muss die<br />
Möglichkeit eingeräumt werden, auf der<br />
Grundlage eines strategischen Gesamtkonzepts<br />
die notwendigen örtlichen Entwicklungsvorstellungen<br />
einschließlich der<br />
Flächenentwicklung zu formulieren und<br />
darzustellen. Für die Umsetzung dieser<br />
Das Startprojekt Kommunaler Klimaschutz,<br />
„Zukunftsfähige Energieversorgung<br />
und Energienutzung“ hat inzwischen<br />
u.a. zu dem Ergebnis geführt, dass den Gemeinden<br />
ein „Basiskonzept Klimaschutz<br />
in Kommunen“, in dem es im Wesentlichen<br />
um Kommunales Energiemanagement<br />
geht, sowie ein Leitfaden zur Straßenbeleuchtung<br />
(energetische Optimierung)<br />
zur Verfügung gestellt wird. Darüber<br />
hinaus soll für 2009 ein Förderprogramm<br />
für energiesparende Straßenbeleuchtung<br />
(über voraussichtlich 1 Mio. Euro) aufgelegt<br />
werden.<br />
strategische Entwicklungskonzepte brauchen<br />
Städte und Gemeinden Spielräume.<br />
An Stelle einer dirigistischen Steuerung<br />
der Flächeninanspruchnahme durch den<br />
Gesetzgeber oder über Regionalpläne sollte<br />
ein strategisches Gesamtkonzept der<br />
Stadt oder Gemeinde einschließlich der<br />
Flächenkomponente nach sorgfältiger Abwägung<br />
mit den regionalplanerischen Belangen<br />
auch Eingang in den jeweiligen<br />
Regionalplan finden.Auf Ebene der Städte<br />
und Gemeinden sollte – abhängig und orientiert<br />
am Bedarf der jeweiligen Gemeinde<br />
– ein in quantitativer wie qualitativer<br />
Weise hochwertiges Flächenmanagementsystem,<br />
dessen Inhalte in regelmäßigen<br />
Abständen fortgeschrieben werden, der<br />
Ausgangspunkt für die Festlegung des<br />
künftigen Flächenbedarfs sein.<br />
Der Gemeindetag hat im Herbst ein eigenes<br />
Strategiepapier zur „Reduzierung der<br />
Flächeninanspruchnahme“ herausgegeben.<br />
Dieses Strategiepapier enthält neben<br />
Forderungen an das Land auch zahlreiche<br />
Handlungsempfehlungen für Städte und<br />
Gemeinden wie z.B. die Empfehlung, bei<br />
allen Städten und Gemeinden qualitativ<br />
und quantitativ hochwertige Flächenmanagementsysteme<br />
einzuführen.<br />
Nachdem die Flächenstatistik 2007 im<br />
Vergleich zu 2006 wieder einen Anstieg<br />
der täglichen Flächeninanspruchnahme<br />
auf 10,3 Hektar ergab, wird dieses für die<br />
Entwicklungschancen von Städten und<br />
Gemeinden entscheidende Thema sicherlich<br />
auch die kommenden Jahre im Focus<br />
der Politik bleiben.<br />
Änderung der Landesbauordnung Baden-Württemberg<br />
Das Wirtschaftsministerium hat am<br />
7.10.2008 das Anhörungsverfahren für<br />
den Gesetzentwurf zur Novellierung der<br />
Landesbauordnung eingeleitet. Der Gesetzentwurf<br />
beinhaltet im wesentlichen<br />
folgende Punkte:<br />
Im Abstandsflächenrecht soll der nicht<br />
nachbarschützende Teil der Abstandsfläche<br />
wegfallen (§ 5 Abs. 7 LBO) und das<br />
Brandschutzkonzept der Musterbauordnung<br />
übernommen werden. Der Katalog<br />
der verfahrensfreien Vorhaben beispielsweise<br />
bei landwirtschaftlichen Aufschüttungen<br />
im Außenbereich und der zulässigen<br />
Größe von Werbeanlagen wird erweitert<br />
und eine Genehmigungspflicht für<br />
Solaranlagen im Außenbereich, die eine<br />
Höhe von mehr als 3 Meter und eine Gesamtlänge<br />
von mehr als 9 Meter aufweisen<br />
(Anhang zu § 50 Abs. 1 LBO), wird eingeführt.<br />
Als drittes Verfahren soll neben dem<br />
Kenntnisgabeverfahren und dem normalen<br />
Baugenehmigungsverfahren ein vereinfachtes<br />
Genehmigungsverfahren ange-<br />
boten werden. Ferner kann die Gemeinde<br />
künftig über die Angrenzer hinaus die<br />
Nachbarn anhören mit der Rechtswirkung<br />
der materiellen Präklusion (§ 55). Das gemeindliche<br />
Einvernehmen soll durch die<br />
Baurechtsbehörde ersetzt werden können,<br />
wenn die Gemeinde das Einvernehmen offensichtlich<br />
rechtswidrig versagt.<br />
Im Baugenehmigungsverfahren sollen die<br />
Fristen verkürzt werden (§ 54 Abs. 3 LBO),<br />
indem die Frist für die Anhörung der Fachbehörden<br />
(auch der Gemeinden) auf einen<br />
Monat reduziert und nach dieser Zeit auch<br />
ein nach Landesrecht erforderliches Einvernehmen<br />
als erteilt gilt. Der Gemeindetag<br />
hat in seiner Stellungnahme insbesondere<br />
die Einführung des vereinfachten<br />
Baugenehmigungsverfahrens nicht befürwortet<br />
und die Verkürzung der Frist für die<br />
Anhörung im Genehmigungsverfahrens<br />
abgelehnt.<br />
22 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN<br />
Landeswohnraumförderungs gesetzes: Satzung über<br />
die Höhe der zulässigen Miete ist kein Beitrag<br />
zum Bürokratieabbau<br />
Das Landeswohnraumförderungsgesetz<br />
verlangt in § 32 Abs. 3 eine gemeindliche<br />
Satzung wegen der Kostenmiete; die Gemeinden<br />
haben wegen der öffentlich geförderten<br />
Wohnungen in der Gemeinde<br />
eine Satzung über zulässige Höhe der Miete<br />
zu erlassen. Der Gemeindetag hatte bereits<br />
in der Anhörung zu Gesetzentwurf<br />
gefordert, die schon damals vorgesehene<br />
Satzungsregelung zu streichen. Dies eine<br />
unnötige bürokratische Vorgabe. Dies ist<br />
leider nicht geschehen, weshalb nun die<br />
Gemeinden im Hinblick auf die Umsetzung<br />
der Kostenmiete eine Satzung zu erlassen<br />
haben. Die Geschäftsstelle hat den<br />
Mitgliedern umfangreiches Hinweise zum<br />
Erlass einer Satzung zur Begrenzung der<br />
Miethöhe bei geförderten Wohnungen<br />
nach § 32 LWoFG und die Rahmenkonzeption<br />
einer Satzung zur Verfügung gestellt,<br />
die für die Formulierung des Satzungstextes<br />
der einzelnen Gemeinde als<br />
Orientierungshilfe dienen mag. Die Ausgestaltung<br />
einer gemeindlichen Satzung<br />
muss in aller Regel den spezifischen Gegebenheiten<br />
des konkreten örtlichen<br />
Wohnungsbestandes aber auch kommunalpolitischen<br />
Überlegungen Rechnung<br />
tragen muss. Angesichts dessen kann es<br />
– wie das Wirtschaftsministerium auf<br />
ausdrückliche Nachfrage leider festgestellt<br />
hat – für diese Satzungen in wichtigen<br />
inhaltlichen Punkten kein allgemein<br />
gültiges Muster geben.<br />
Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung<br />
des Feuerwehrgesetzes – Erweiterung des Kostenersatzes<br />
Der Ministerrat hat Anfang Dezember<br />
2008 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung<br />
des Feuerwehrgesetzes beschlossen,<br />
der dem Gemeindetag mit Begründung<br />
mit der Frist für eine Stellungnahme<br />
bis Ende März 2009 zuging. Die Gremien<br />
des Gemeindetags werden voraussichtlich<br />
im Februar 2009 über den Gesetzentwurf<br />
beraten. Die Novelle hat nach der Begründung<br />
im Wesentlichen folgenden Inhalt:<br />
Dauerhafte Sicherung des Personalbestands<br />
der Gemeindefeuerwehren,<br />
Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der<br />
Gemeindefeuerwehren durch verstärkte<br />
kommunale Zusammenarbeit sowie Vereinfachung<br />
und Erweiterung der kostenersatzpflichtigen<br />
Tatbestände für Feuerwehreinsätze,<br />
insbesondere auch auf Einsätze<br />
bei Kfz-Unfällen.<br />
Aus dem Gesetzentwurf ergeben sich folgende<br />
Detailänderungen: Neu eingeführt<br />
wird der Begriff der Einsatzabteilung, der<br />
an die Stelle der bisherigen „aktiven Abteilung“<br />
tritt. Für die Angehörigen der Musikabteilung<br />
werden die Rechte und Pflichten<br />
geregelt. Auf die Ermächtigung für das Innenministerium<br />
zum Erlass von Verwaltungsvorschriften<br />
zur Sollstärke, zur Gliederung<br />
und zu den Dienstgraden wird verzichtet.<br />
Eine Aufnahme in die Feuerwehr<br />
ist bereits ab dem 17. Lebensjahr möglich,<br />
eine Teilnahme an Einsätzen jedoch erst ab<br />
dem 18. Lebensjahr. Außerdem wird ein<br />
Probejahr eingeführt. Die Überlandpflicht<br />
als solche bleibt unverändert. Geändert<br />
wird jedoch die Kostenersatzvorschrift für<br />
die Überlandhilfe. Kann die Gemeinde des<br />
Einsatzortes für Einsätze keinen Kostenersatz<br />
nach § 36 verlangen, ist die Überlandhilfe<br />
mit Löschfahrzeugen kostenfrei. Die<br />
Gemeinden können Vereinbarungen zu<br />
Foto: irisblende.de<br />
den Kosten der Überlandhilfe für die Einsätze<br />
abschließen, die nach § 36 unentgeltlich<br />
sind.<br />
Die – für die Novelle wohl wichtigste –<br />
Vorschrift über den Ersatz der Feuerwehreinsatzkosten<br />
wird zwar wesentlich<br />
umgestellt, behält aber die grundsätzliche<br />
Kostenfreiheit für Pflichtaufgaben und<br />
grundsätzliche Kostenpflicht für Kannaufgaben<br />
bei.<br />
Gegenüber der derzeitigen Rechtslage ergeben<br />
sich jedoch bei der Kostenersatzpflicht<br />
folgende Änderungen: Einsätze bei<br />
Kfz-Unfällen sind künftig insgesamt kostenpflichtig,<br />
also auch bei Pflichtaufgaben,<br />
Sonderlöschmittel („Alles außer Wasser“)<br />
sind bei Einsätzen im gewerblichen Bereich<br />
erstattungspflichtig, außerdem sind<br />
Fehlalarme nun erstattungspflichtig, wenn<br />
kein Schadenfeuer vorliegt. Das Gesetz<br />
sagt ausdrücklich, dass eine Satzung für<br />
die Regelung des Kostenersatzes möglich<br />
ist (so bereits die Rechtsprechung).<br />
Bei der Kalkulation müssen die Gemeinden<br />
nicht von den Jahresstunden ausgehen<br />
(wie dies einige Urteile aus anderen Bundesländern<br />
und ein Vergleichsbeschluss<br />
des VG Stuttgart entschieden haben), also<br />
nicht von 8.760 Stunden. Die Gemeinden<br />
können die Vorhaltekosten auf der Grundlage<br />
der im gewerblichen Bereich üblichen<br />
Nutzungszeiten berechnen. Für das Erhebungsverfahren<br />
soll das KAG entsprechende<br />
Anwendung finden.<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 23
B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN BWGZ 1/2009<br />
Fortschreibung des Generalverkehrsplans<br />
Baden-Württemberg<br />
Die Landesregierung hat im Generalverkehrsplan<br />
Baden-Württemberg (GVP) die<br />
Grundlagen und Ziele ihrer Verkehrspolitik<br />
festgelegt. Der aktuelle GVP wurde<br />
1995 beschlossen und umfasst den Planungszeitraum<br />
bis 2010. Die Koalitionsvereinbarung<br />
sieht eine Fortschreibung in<br />
der laufenden Legislaturperiode vor. Die<br />
förmliche Anhörung zur Fortschreibung<br />
des GVP bis in das Jahr 2025 findet voraussichtlich<br />
2009 statt, Anmerkungen und<br />
Anregungen sind unter http://www.innenministerium.baden-wuerttemberg.de/de/<br />
Generalverkehrsplan/96451.html Bürgerbeteiligung<br />
vorab möglich. Städte und Gemeinden<br />
sollten von dieser Möglichkeit<br />
ebenfalls regen Gebrauch machen.<br />
Das Innenministerium hat in einer ersten<br />
Auftaktveranstaltung am 25. April 2008<br />
das Verfahren zur Fortschreibung des GVP<br />
eingeleitet. Der Gemeindetag hat sich<br />
frühzeitig mit einer eigenen Stellungnahme<br />
an der vorgezogenen Anhörung beteiligt,<br />
die neben einer Reihe von Einzelvorschlägen<br />
folgende Schwerpunkte enthält:<br />
Die Sicherstellung der Mobilität in allen<br />
Teilen des Landes hat für den Gemeindetag<br />
Baden-Württemberg hohe Priorität.<br />
Dies gilt insbesondere auch für den ländlichen<br />
Raum. Hier leben 35 Prozent der Gesamtbevölkerung,<br />
die aufgrund der sich<br />
verändernden Struktur- und Arbeitsbedingungen<br />
immer stärker auf das Einpendeln<br />
in die Wirtschaftszentren angewiesen sind.<br />
Für diese Menschen bedarf es guter Straßen<br />
und eines besser ausgebauten ÖPNV.<br />
Gerade der ÖPNV wird angesichts der immer<br />
weiter steigenden Treibstoffpreise,<br />
aber auch unter Umweltgesichtspunkten in<br />
der Zukunft massiv an Bedeutung gewinnen<br />
und gewinnen müssen.<br />
Außerdem zeichnen sich schon heute die<br />
ersten Folgen des demografischen Wandels<br />
ab: Auf der einen Seite leben immer mehr<br />
alte Menschen in unseren Gesellschaft und<br />
haben besondere Mobilitätsbedürfnisse, auf<br />
der anderen Seite geht die Zahl der Jungen<br />
und damit auch der Schüler zurück. Bewährte<br />
Muster in der Verkehrsplanung<br />
könnten daher bald überholt sein oder sind<br />
es schon, so dass neue Wege und Konzepte<br />
gefunden werden müssen. Dafür brauchen<br />
die Kommunen Unterstützung. Die Mittel-<br />
knappheit in den Haushalten des Landes<br />
und des Bundes führt aber vielmehr schon<br />
jetzt zu Reduzierungen im ÖPNV und zu<br />
erheblichen Defiziten im Straßenbau.<br />
Diese Entwicklung muss aufgehalten werden,<br />
wenn nicht das Gleichgewicht zwischen<br />
Metropolen und ländlichem Raum<br />
und damit das Gleichgewicht im ganzen<br />
Land gestört werden soll. Auch die Wirtschaft<br />
braucht gute Verkehrsanbindungen,<br />
diese dürfen aber nicht nur in den Zentren<br />
gegeben sein, sondern müssen auch in den<br />
ländlichen Raum hineinreichen. Es gilt<br />
festzuhalten, dass es von größter Wichtigkeit<br />
ist, gesunde und erfolgreiche Unternehmen<br />
im ländlichen Raum zu halten und<br />
neu zu gewinnen. Die Förderung der Metropolregionen<br />
darf nicht dazu führen, dass<br />
der ländliche Raum unter Investitionseinbußen<br />
im Verkehrsbereich zu leiden hat.<br />
Zusätzliche Investitionen und Fördermittel<br />
des Landes in Straßenbau und ÖPNV<br />
sind unerlässlich, deren gerechte Verteilung<br />
zwischen den Metropolen und dem<br />
ländlichen Raum ist dem Gemeindetag<br />
Baden-Württemberg ein zentrales Anliegen<br />
bei der Fortschreibung des Generalverkehrsplanes.<br />
Im Jahr 2009 ist der Gemeindetag gemeinsam<br />
mit Städten und Gemeinden erneut<br />
aufgerufen, sich auf der Grundlage des bis<br />
dahin ausgearbeiteten GVP-Entwurfs im<br />
förmlichen Verfahren zur Fortschreibung<br />
mit einer detaillierten Stellungnahme zu<br />
beteiligen.<br />
Radverkehr – Handlungsfelder aus der Arbeitsgruppe<br />
Runder Tisch Radverkehr<br />
Der seit Ende 2006 aus Vertretern der<br />
Wirtschaft, der Gesellschaft und der Verwaltung<br />
bestehende Runde Tisch Radverkehr<br />
hat Anfang März 2008 Handlungsempfehlungen<br />
zur Förderung des Radverkehrs<br />
in Baden-Württemberg verabschiedet,<br />
mit denen er Baden-Württemberg „auf<br />
den Weg zum Fahrradland Nr. 1“ bringen<br />
will. Die Handlungsempfehlungen sollen<br />
allen Beteiligten wichtige Hinweise für die<br />
Weiterentwicklung Baden-Württembergs<br />
als Fahrradland geben und die Bedeutung<br />
des Themas Radverkehr für die Mobilität,<br />
die Umwelt und den Tourismus im Land<br />
unterstreichen.<br />
Die Handlungsempfehlungen haben als<br />
Schwerpunkt das Fahrradmanagement in<br />
Baden-Württemberg. Der Runde Tisch<br />
schlägt die Gründung eines Landesbündnisses<br />
„ProRad“ vor, dessen Mitglieder<br />
aus Politik, Verwaltung, Verbänden und<br />
Unternehmen sich für eine Verbesserung<br />
des Fahrradklimas und für eine engagierte<br />
Förderung des Radverkehrs einsetzen<br />
sollen.<br />
Dieses Bündnis soll Parlament, Regierung<br />
und Verwaltung begleiten und sich dafür<br />
einsetzen, dass die Ziele beim Radverkehr<br />
erreicht werden. Ein landesweit tätiger<br />
Fahrradmanager soll die Aktivitäten der<br />
Beteiligten koordinieren, für einen syste-<br />
matischen Informationsaustausch und die<br />
Einhaltung, Weiterentwicklung und Kommunikation<br />
fahrradfreundlicher Standards<br />
sorgen.<br />
Ein neues Internetportal „FahrRad in Baden-Württemberg“<br />
soll allen Interessierten<br />
Informationen rund um das Thema Fahrrad<br />
bieten. Die Einrichtung eines Fahrradmanagements<br />
ist bundesweit einmalig. Im<br />
„Runden Tisch Radverkehr“ wird auch eine<br />
„Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher<br />
Kommunen“ diskutiert. Dieser Zusammenschluss<br />
aller – also die am Radverkehr<br />
interessierten Landkreisen, Städten<br />
und Gemeinden – soll ein Forum für Erfahrungsaustausch<br />
sein, kommunale Radverkehrsproblem<br />
lösen und neue Impulse<br />
gibt vor Ort geben. Die Gründungsversammlung<br />
ist für Mitte Januar 2009 terminiert.<br />
Die Handlungsempfehlungen sind im Internet<br />
unter www.im.baden-wuerttemberg.<br />
de abrufbar. Die Umsetzung der Handlungsempfehlungen<br />
dürfte sich für alle<br />
Beteiligten als sehr anspruchsvoll erweisen,<br />
zumal wichtige Finanzierungsfragen<br />
z.B. beim Radwegebau noch nicht abschließend<br />
geklärt sind.<br />
24 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN<br />
Ländlicher Raum<br />
Der Gemeindetag hat in der BWGZ vom<br />
15. Oktober 2007 (Nr. 19/2007) zu den<br />
Herausforderungen und Chancen des ländlichen<br />
Raumes ein viel beachtetes Grundlagenpapier<br />
mit dem Titel „Ländliche<br />
Städte und Gemeinden – ein starkes Stück<br />
Heimat“ herausgegeben. In der Folge hat<br />
sich der Gemeindetag auf den verschiedensten<br />
Politikfeldern – von Bildung,<br />
Breitband über Flächeninanspruchnahme,<br />
Finanzausgleich bis hin zur Zukunftsfähigkeit<br />
von Verwaltungsstrukturen – erfolgreich<br />
für die Belange des ländlichen<br />
Raumes eingesetzt, ohne dabei die Erfordernisse<br />
der Gesamtheit seiner Mitgliedsstädte<br />
und -gemeinden aus dem Blick zu<br />
verlieren.<br />
Um die Politik für ländlich geprägte Städte<br />
und Gemeinden fortzuentwickeln, hat<br />
das Land im Jahr im Jahr 2007 einen Kabinettsausschuss<br />
„Ländlicher Raum“ gebildet,<br />
und es wurde beim Ministerium<br />
Ländlicher Raum (MLR) eine interministerielle<br />
Arbeitsgruppe „Interkommunale<br />
Zusammenarbeit“ mit spezieller Ausrichtung<br />
auf ländliche Städte und Gemeinden<br />
eingerichtet. Ein konkretes Ergebnis aus<br />
der Arbeit der interministeriellen Arbeitsgruppe<br />
ist das für 2009 geplante gemeinsame<br />
Internetportal „Interkommunale Zu-<br />
Breitbandinitiative Ländlicher Raum<br />
Aus der Erkenntnis, dass die Breitbandversorgung<br />
ein wichtiger Standortfaktor<br />
nicht nur für die Gemeinden im ländlichen<br />
Raum ist, hat sich der Gemeindetag beim<br />
Land stets für ein Breitband-Förderprogramm<br />
eingesetzt. So hat das Kabinett<br />
Mitte Dezember 2007 eine entsprechende<br />
Breitbandinitiative Ländlicher Raum beschlossen.<br />
Mit der Breitbandinitiative verfolgt<br />
das Land das Ziel, eine flächendeckende<br />
Versorgung der ländlichen Räume<br />
mit Breitbandinfrastruktur zu erreichen.<br />
Im Rahmen des „Impulsprogramms Baden-Württemberg“<br />
stellt das Land 20 Mio.<br />
Euro für Modellprojekte zur Verfügung,<br />
die vom Bund im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe<br />
„Verbesserung der Agrarstruktur<br />
und des Küstenschutzes“ (GAK)<br />
im Zeitraum von 2008 – 2010 um bundesweit<br />
jährlich 10. Mio. Euro zweckgebun-<br />
sammenarbeit“, mit dessen umfangreichem<br />
Informationsangebot die Zusammenarbeit<br />
von Städten und Gemeinden<br />
unterstützt werden soll.<br />
Gemeinsam mit dem MLR und der Akademie<br />
Ländlicher Raum soll die koordinierte<br />
Politik für ländliche Städte und Gemeinden<br />
durch eine gemeinsame Veranstaltungsreihe<br />
unterstützt werden, die mit dem<br />
Kommunalforum „Ländliche Räume in<br />
Baden-Württemberg: Aktuelle Handlungsfelder<br />
für Land und Kommunen“ am<br />
8. Dezember 2008 in Rottenburg am Neckar<br />
u.a. mit Ansprachen von Minister Peter<br />
Hauk und Präsident Roger Kehle ihren<br />
Auftakt fand. Für 2009 ist die Fortsetzung<br />
der Veranstaltungsreihe mit themenspezifischen<br />
Workshops der Verwaltungsschule<br />
des Gemeindetags zur Erarbeitung von<br />
Lösungsansätzen für einzelne Politikfelder<br />
wie beispielsweise Breitband, Nahversorgung,<br />
Arbeit und Wirtschaft, Mobilität/<br />
ÖPNV, Gesundheit, Bildung und interkommunale<br />
Zusammenarbeit geplant.<br />
Diese Workshops können bei der Verwaltungsschule<br />
gebucht werden. Der Gemeindetag<br />
geht davon aus, dass mit den moderierten<br />
Workshops hilfreiche Lösungsansätze<br />
für die Kommunalpolitik erarbeitet<br />
werden können.<br />
den für die Breitbandversorgung ländlicher<br />
Räume ergänzt werden.<br />
In BWGZ 14/2008 vom 31. Juli 2008, Seiten<br />
501 bis 517 wurden alle Einzelheiten<br />
der Breitbandinitiative einschließlich der<br />
europarechtlichen Vorgaben ausführlich<br />
dargestellt. Die Breitbandinitiative wird<br />
sicherlich wichtige Anstöße für eine verbesserte<br />
Breitbandversorgung ländlicher<br />
Städte und Gemeinden geben.<br />
Mitte Dezember 2008 hat das Ministerium<br />
für Ernährung und Ländlichen Raum das<br />
Jahresprogramm 2009 der Sonderlinie<br />
„Breitbandinfrastruktur Ländlicher Raum“<br />
ausgeschrieben; die erste Antragsfrist ist<br />
der 27.2.2009 (der Gemeindetag hat seine<br />
Mitglieder noch 2008 über sein Gt-info<br />
auf die Veröffentlichung im Staatsanzeiger<br />
hingewiesen). Damit wird die bereits im<br />
vergangenen Jahr begonnene Förderung<br />
fortgesetzt. Wie schon bisher werden über<br />
die Breitbandinitiative Maßnahmen der<br />
Gemeinden für Modellprojekte, Breitbandtrassen<br />
und Zuwendungen an Netzbetreiber<br />
gefördert. Geändert haben sich in<br />
den Förderbedingungen u.a. die maßgebenden<br />
Bandbreiten (max. 40 MB bei Gewerbebetrieben).<br />
Die EU-beihilferechtlichen Vorgaben sind<br />
als zwingendes Recht zu beachten; sie<br />
werden im „Leitfaden für Kommunen“ beschrieben<br />
(siehe Anlage zur Bekanntmachung)<br />
und zwar nach den von der EU<br />
notifizierten Eckpunkten für die Verwendung<br />
öffentlicher Mittel zur flächendeckenden<br />
Versorgung des Ländlichen<br />
Raums mit Breitbandanschlüssen in<br />
Baden-Württemberg (Staatliche Beihilfe<br />
Nr. 570/2007 – Deutschland).<br />
Gemeinden dürfen eine Beihilfe (Subvention,<br />
Finanzbetrag) an einen Breitband-<br />
Infrastrukturbetreiber nur gewähren (und<br />
nur zusagen bzw. vereinbaren), wenn die<br />
in diesem Leitfaden genannten Schritte<br />
sowie die dort genannten Bedingungen<br />
(ggf. mit Ausschreibung der gemeindlichen<br />
Leistung bzw. Garantie) eingehalten<br />
und dokumentiert sind.<br />
Im Rahmen des „Impulsprogramms Baden-Württemberg“<br />
stehen für die Jahre<br />
2008 und 2009 jeweils 10 Mio. Euro Landesmittel<br />
für die Förderung der Breitbandversorgung<br />
zur Verfügung. Des Weiteren<br />
stehen für den Zeitraum von 2008 bis 2010<br />
jährlich knapp 1 Mio. Euro Bundesmittel<br />
landesweit für den Breitbandausbau bereit<br />
(GAK-Mittel). Der Gemeindetag hat eine<br />
Weiterführung der Förderung über 2009<br />
gefordert. Es bleibt abzuwarten, ob durch<br />
die aktuelle diskutierten Investitionsprogramme<br />
(Bund und Land) mehr Fördermittel<br />
bereit gestellt werden.<br />
Baden-Württemberg hat ein umfassendes<br />
und auch bundesweit beispielhaftes Konzept<br />
und breit angelegte Initiativen, die<br />
den Gemeinden nicht nur im ländlichen<br />
Raum die Chance auf einen Zugang zur<br />
zukunftsfähigen Breitband-Infrastrukturen<br />
ermöglichen.<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 25
B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN BWGZ 1/2009<br />
Kommunaler Klimaschutz<br />
Städte und Gemeinden sind von den zu<br />
erwartenden Klimaänderungen in vielfacher<br />
Hinsicht unmittelbar betroffen. Zum<br />
einen sind in vielen Bereichen Anpassungen<br />
an die bereits absehbaren unvermeidbaren<br />
Folgen des Treibhauseffektes erforderlich,<br />
zum anderen tragen die Städte und<br />
Gemeinden bereits aktiv dazu bei, den Klimawandel<br />
durch eine Reduktion von<br />
Treibhausgasemissionen abzumildern.<br />
Darüber hinaus leisten Städte und Gemeinden<br />
freiwillige Beiträge im Rahmen<br />
ihrer Planungshoheit. Sie setzen zum einen<br />
Anreize zu klimafreundlichem Verhalten<br />
ihrer Bürger und der Privatwirtschaft,<br />
etwa in Form von Beratungsangeboten<br />
und betreiben aktiven Klimaschutz. So haben<br />
viele Städte und Gemeinden schon vor<br />
Jahren begonnen, sich freiwillig Klimaschutzziele<br />
zu setzen, Aktionsprogramme<br />
auszuarbeiten und sie Schritt für Schritt zu<br />
realisieren.<br />
Herzstück des Klimaschutzes ist das Bemühen,<br />
den Ausstoß des Klimagases Kohlendioxid<br />
zu verringern. Nach dem Grundsatz<br />
„Global denken, lokal handeln“<br />
kommt den Städten und Gemeinden als<br />
bürgernächste Ebene eine besondere Ausgestaltung<br />
bei der Verankerung des Klimaschutzes<br />
durch kommunale Handlungskonzepte<br />
zu. Der Gemeindetag hat hierzu<br />
im Jahr 2008 entsprechende Handlungs-<br />
empfehlungen erarbeitet, die sich auf die<br />
Bereiche energiesparende Siedlungsentwicklung,<br />
Mobilität und Verkehr, Energiemanagement<br />
in kommunalen Liegenschaften,<br />
Dämmung und CO 2-mindernde<br />
Sanierung von Gebäuden, Förderung regenerativer<br />
Energien, CO 2-arme Energieerzeugung,<br />
umweltfreundliche Beschaffung,<br />
Beratung der Bürger sowie der privaten<br />
Wirtschaft und Netzwerk Nachhaltige<br />
Bürgerkommune erstrecken.<br />
Wettbewerbsfähige Kommunalverwaltung<br />
setzt auf Personalentwicklung<br />
Der Wettbewerb der Arbeitgeber am Arbeitsmarkt<br />
wird härter. Städte und Gemeinden<br />
müssen mehr dafür tun, als Arbeitgeber<br />
attraktiv zu bleiben. Gelingt ihnen<br />
das nicht, wird der hohe Leistungsstandard<br />
der baden-württembergischen<br />
Kommunalverwaltung nicht zu halten<br />
sein. Es kommt darauf an, Instrumente des<br />
Personalmarketing und der Personalentwicklung<br />
gezielt einzusetzen.<br />
Seit 2000 gibt es in Baden-Württemberg<br />
mehr über 60-Jährige als unter 20-Jährige.<br />
Diese Zäsur deutet darauf hin, dass der demografische<br />
Wandel vor allem den Arbeitsmarkt<br />
umwälzen wird. Das Arbeitskräfteangebot<br />
geht zurück. Trotz steigender<br />
Frauenerwerbsquote, Verlängerung<br />
der Lebensarbeitszeit und Zuwanderung<br />
macht sich bereits ein Fachkräftemangel<br />
bemerkbar. Der Wettbewerb um die jungen,<br />
gut ausgebildeten und motivierten<br />
Kräfte nimmt zu. Der Altersdurchschnitt<br />
der Erwerbsbevölkerung, also der vor allem<br />
im Berufsleben stehenden Jahrgänge,<br />
steigt. Der Innovationsdruck steigt weiter,<br />
das Defizit an akademisch ausgebildetem<br />
Nachwuchs bleibt.<br />
Die Frage, wie ist der öffentliche Dienst<br />
und vor allem die Kommunalverwaltung<br />
in diesem Wettbewerb positioniert, stellt<br />
sich zunehmend kritisch.<br />
Die Leistungskraft der Kommunalverwaltung<br />
hängt immer mehr davon ab, ob es<br />
gelingt<br />
In verschiedenen Handlungssektoren sind<br />
die kommunalen Einsparpotenziale sicherlich<br />
noch nicht optimal erschlossen, da<br />
zum einen die kommunale Finanzkraft<br />
nicht ausreicht, um alle wünschenswerten<br />
Maßnahmen durchzuführen, und zum anderen<br />
der kommunale Einfluss auf wichtige<br />
Verbrauchssektoren nicht durchgängig<br />
besteht.<br />
Der kommunale Klimaschutz bleibt eine<br />
nicht nur für die Zukunftsfähigkeit von<br />
Städten und Gemeinden entscheidende<br />
Gestaltungsaufgabe.<br />
gut ausgebildeten und motivierten Nachwuchs<br />
zu gewinnen und zu halten,<br />
Erfahrung und Motivation älterer Mitarbeiter<br />
zu erhalten und sie an technischen<br />
und sozialen Innovationen maßgeblich<br />
zu beteiligen.<br />
Auf Dauer wird das nur gelingen, wenn in<br />
der Kommunalverwaltung ein Problembewusstsein<br />
entsteht und Instrumente des<br />
Personalmarketing und der Personalentwicklung<br />
eingesetzt werden.<br />
Der Gemeindetag setzt einen Arbeitsschwerpunkt<br />
auf diese Themen. Eine Bestandsaufnahme<br />
zeigt, dass sich erst wenige<br />
Mitgliedsstädte und -gemeinden intensiv<br />
mit dem Problem auseinandersetzen.<br />
Eine Projektgruppe arbeitet an Empfehlungen<br />
für Kommunalverwaltungen unterschiedlicher<br />
Größenordnungen.<br />
26 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN<br />
Dienstrechtsreform: Sie kommt. Sie kommt nicht.<br />
Sie kommt?<br />
Wenige Tage nachdem der Bundestag die<br />
Kompetenzen zwischen Bund und Ländern<br />
neu geordnet hatte (Föderalismusreform<br />
I), hat der Gemeindetag seine Position<br />
für eine landesrechtliche Reform des<br />
öffentlichen Dienstrechts formuliert<br />
(BWGZ 14/2007, Seite 535). Bald darauf,<br />
im Dezember 2006, hatte Ministerpräsident<br />
Oettinger angekündigt, eine grundlegende<br />
Dienstrechtsreform werde 2008 in<br />
Kraft treten. Dass dieses ehrgeizige Ziel<br />
zumindest in zeitlicher Hinsicht nicht haltbar<br />
sein würde, zeichnete sich im Laufe<br />
des Jahres 2008 ab.<br />
In der Halbzeitbilanz der Landesregierung<br />
vom September 2008 funkte die von manchen<br />
schon totgesagte Dienstrechtsreform<br />
wieder Lebenszeichen: Finanzminister<br />
Kilometergeld endlich erhöht<br />
Die Wegstreckenentschädigung für Dienstfahrten<br />
mit dem privaten Pkw wird endlich<br />
erhöht. Ab 1. Januar 2009 wird der Satz je<br />
Kilometer von 22 auf 25 Cent, für anerkannte<br />
Fahrzeuge von 30 auf 35 Cent erhöht.<br />
Der Schlechtwegezuschlag wird von<br />
3 auf 5 Cent erhöht. Das Finanzministerium<br />
anerkennt damit den wesentlichen Anstieg<br />
der Kraftfahrzeugkosten.<br />
Stächele hielt an dem Vorhaben fest, die<br />
Pensionsaltersgrenze für baden-württembergische<br />
Beamte schneller auf 67 Jahre<br />
anzuheben als andere. Ministerpräsident<br />
Oettinger kündigte an, die Dienstrechtsreform<br />
werde im Frühjahr 2009 im Landtag<br />
beschlossen. Dem Gemeindetag ist bislang<br />
aber weder das angekündigte Eckpunktepapier<br />
der Landesregierung bekannt, noch<br />
wurde er zu Gesetzentwürfen gehört.<br />
Zum Reformpaket gehören neben der umstrittenen<br />
Anhebung des Pensionsalters auch<br />
eine weitere Öffnung des Laufbahnrechts,<br />
die Einführung obligatorischer Leistungsprämien<br />
und eine Anpassung der Wahlbeamtenbesoldung.<br />
Wie es damit weiter geht?<br />
Darauf wurden bei Redaktionsschluss noch<br />
immer Wetten abgeschlossen.<br />
Der Gemeindetag hatte über Jahre hinweg<br />
mehrfach eine Anpassung der Entschädigung<br />
gefordert. Zuletzt waren Städte und<br />
Gemeinden zunehmend gezwungen,<br />
Dienstfahrzeuge zu beschaffen, weil Beschäftigte<br />
nicht mehr bereit waren, ihr<br />
Fahrzeug zu den bisher geltenden Sätzen<br />
zur Verfügung zu stellen.<br />
Notariats- und Grundbuchreform – Ziele des Landes<br />
außerordentlich ehrgeizig<br />
Anfang April 2008 hat sich die Landesregierung<br />
und die sie tragenden Fraktionen auf<br />
elf Grundbuch führende Amtsgerichte festgelegt.<br />
Ende Juli hat dann der Ministerrat<br />
endgültig die Strukturreform des Grundbuchwesens<br />
in Baden-Württemberg beschlossen.<br />
Auf Gt-INFO Nr. 615/08 vom<br />
5. August 2008 wird insoweit hingewiesen.<br />
Insbesondere die vom Land vorgesehene<br />
Konzentration des Grundbuchwesens auf<br />
nur elf Amtsgerichte ist ein sehr ehrgeiziges<br />
Ziel. Bislang gibt es in Baden-Württemberg<br />
zirka 660 kommunale und elf<br />
staatliche Grundbuchämter. Diese Konzentration<br />
wird nach Meinung des Gemeindetags<br />
nur dann funktionieren, wenn<br />
das Bundesrecht, wie vom Land beantragt,<br />
so geändert wird, dass alle Kommunen, die<br />
dies wünschen, Grundbucheinsichtsstellen<br />
einrichten dürfen.<br />
Das Problem, dass auch künftig für verschiedene<br />
Rechts- bzw. Grundbuchgeschäfte<br />
noch Grundakten benötigt werden<br />
und dafür u.U. lange Anfahrtswege nötig<br />
werden, lässt sich gleichwohl nicht vollständig<br />
„aus der Welt schaffen“. Hier werden<br />
Verbesserungen nur möglich sein,<br />
wenn man auch die Grundakten weitestgehend<br />
digitalisiert. Gemeindetag und Städtetag<br />
haben dies von Anfang an in Besprechungen<br />
zur Einführung des elektronischen<br />
Grundbuchs gefordert. Diese Forde-<br />
rung ist vom Justizministerium anfangs<br />
wegen des hohen Aufwands zurückgewiesen<br />
worden. Zwischenzeitlich hat man<br />
aber dort umgedacht und will die Wirtschaftlichkeit<br />
einer solchen Digitalisierung<br />
prüfen. Dafür notwendige Änderungen<br />
beim Bundesrecht sind im Laufen.<br />
Selbst wenn die notwendigen Rechtsänderungen<br />
zugunsten kommunaler Grundbucheinsichtsstellen<br />
und die rechtzeitige<br />
Digitalisierung der Grundakten (anlassbezogen<br />
oder systematisch für alle Grundakten)<br />
gelingen sollten, bestehen erhebliche<br />
Zweifel, ob eine Bürgernähe erreicht werden<br />
kann, wie sie jetzt noch, bei der dezentralen<br />
Grundbuchamtsstruktur, besteht.<br />
Zum Vergleich: Im Nachbarland Bayern<br />
verfügt jedes der 73 Amtsgerichte über ein<br />
Grundbuchamt. In Baden-Württemberg<br />
existieren 108 Amtsgerichte, aber nur 11<br />
sollen ein Grundbuchamt erhalten. Legt<br />
man die zweifellos größere Landesfläche<br />
von Bayern zu Grunde, so müsste aber immer<br />
noch jedes 2. oder 3. Amtsgericht in<br />
Baden-Württemberg ein Grundbuchamt<br />
erhalten, damit vergleichbare Anfahrtswege<br />
wie in Bayern erreicht werden.<br />
Nach dem Ministerratsbeschluss vom 22.<br />
Juli 2008 hat das Justizministerium Projektgruppen<br />
zur Umsetzung der Strukturreform<br />
im Grundbuchwesen eingerichtet.<br />
Gemeindetag Baden-Württemberg und<br />
Städtetag Baden-Württemberg sind in der<br />
Projektgruppe „Eingliederung“ vertreten.<br />
Zwei Projektgruppensitzungen mit Beteiligung<br />
der kommunalen Landesverbände,<br />
bei denen es aber vorrangig um das Projektmanagement<br />
für den gesamten Eingliederungsprozess<br />
im badischen und im<br />
württembergischen Rechtsgebiet ging, haben<br />
zwischenzeitlich stattgefunden (siehe<br />
hierzu Gt-INFO Nr. 739/08 vom 20. September<br />
2008).<br />
In einem weiteren Gespräch, nur zwischen<br />
Justizministerium, Gemeindetag und Städtetag,<br />
sind gemeindespezifische Fachfragen,<br />
einschließlich des Inhalts zweier noch durchzuführender<br />
Umfragen besprochen worden.<br />
Der Ministerrat hat sich in seinem Beschluss<br />
auch grundsätzlich für die Gewährung<br />
einer zusätzlichen Entschädigung in<br />
Höhe von 6 Euro pro digitalisiertem<br />
Grundbuch ausgesprochen. Die Umsetzung<br />
ist jedoch landesrechtlich (Gesetz!)<br />
noch nicht erfolgt. Nach der Beschlusslage<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 27
B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN BWGZ 1/2009<br />
des Ministerrats ist das Justizministerium<br />
damit beauftragt, die Wirtschaftlichkeit<br />
eines Anreizmodells, das diese Entschädigung<br />
vorsieht, erst zu prüfen.<br />
Nur für den Fall, dass sich eine ausreichende<br />
Zahl von Kommunen bereit erklärt, im<br />
Hinblick auf die in Aussicht gestellte Entschädigung<br />
zusätzliche Grundbücher zu<br />
erfassen, soll ein entsprechendes Gesetzesvorhaben<br />
auf den Weg gebracht werden.<br />
Insoweit wird hier in den nächsten<br />
Wochen eine Umfrage bei den Städten und<br />
Gemeinden erfolgen. Selbst wenn die Umfrage<br />
dazu führt, dass das Gesetz erlassen<br />
wird, soll nach Angaben des Justizministerium<br />
die Auszahlung dieser zusätzlichen<br />
Entschädigungsleistung erst für den Zeitpunkt<br />
der Aufhebung und Eingliederung<br />
des jeweiligen kommunalen Grundbuchamts<br />
in das zuständige Grundbuch führende<br />
Amtsgericht erfolgen. Im Übrigen sollen<br />
dann die 6 Euro auch denjenigen Kommunen<br />
zu Gute kommen, die bereits in das<br />
elektronische Grundbuch investiert und<br />
ihren Grundbuchbestand ganz oder teilweise<br />
digitalisiert haben.<br />
Mit der zweiten Umfrage, die ebenfalls für<br />
die nächste Zeit geplant ist, soll ermittelt<br />
werden, welche Städte/Gemeinden ihr<br />
Grundbuchamt zu einem bestimmten Zeitpunkt<br />
an das zuständige Amtsgericht abgegeben<br />
wollen.<br />
Gründung eines Landesforstbetriebes gemäß § 26 LHO<br />
Als Ergebnis der Evaluation der Verwaltungsreform<br />
wird das Land für den Bereich<br />
des Staatsforstes einen fiskalischen<br />
Landesbetrieb nach § 26 LHO einrichten.<br />
Die ursprüngliche Absicht der Landesregierung,<br />
für den Forstbereich eine eigenständige<br />
Einrichtung in Form einer Anstalt<br />
des öffentlichen Rechts oder in anderer<br />
Rechtsform zu gründen, wird damit nicht<br />
weiterverfolgt. Gleichzeitig trägt die geplante<br />
Neuorganisation der Staatsforstverwaltung<br />
der Forderung des Gemeindetags<br />
Rechnung, eine Optimierung der Forstverwaltung<br />
im Rahmen der derzeitigen Strukturen<br />
anzustreben, weshalb der Gemeindetag<br />
diese Entscheidung ausdrücklich begrüßt.<br />
Fortentwicklung des Tourismuskonzepts<br />
Baden-Württemberg<br />
Vom Wirtschaftsministerium wurde die<br />
Fortschreibung des Tourismuskonzepts<br />
Baden-Württemberg initiiert. Das neue<br />
Konzept soll die Weichen für die weitere<br />
erfolgreiche Tourismusentwicklung in<br />
Baden-Württemberg stellen, insbesondere<br />
sollen die touristischen Akteure des Landes<br />
einen Orientierungsrahmen erhalten,<br />
um auf veränderte Rahmenbedingungen<br />
zeitgemäß reagieren zu können. Der Gemeindetag<br />
begrüßt die damit einhergehende<br />
Entwicklung von marktgerechten touristischen<br />
Strategien und Vorgehensweise,<br />
Es wird nunmehr darauf zu achten sein,<br />
dass auch innerhalb der neuen Organisationsform<br />
weiterhin die Aufgaben des forstlichen<br />
Revierdienstes, der forsttechnischen<br />
Betriebsleitung und der Wirtschaftsverwaltung,<br />
soweit sie für den Kommunalwald<br />
auf die unteren Forstbehörden übertragen<br />
worden sind, weiterhin in der bisherigen<br />
qualitätsvollen Art und Weise erfüllt<br />
werden können. Um auf den unteren Ebenen<br />
weiterhin die notwendige Flexibilität<br />
sicherzustellen, ist entscheidend, dass der<br />
Landesbetrieb sich darauf beschränkt, auf<br />
mittlerer und oberer Ebene die Forstaufgaben<br />
zusammenzufassen, so dass weiterhin<br />
auf Kreisebene das Einheitsforstamt, wie<br />
es sich in der Vergangenheit bestens bewährt<br />
hat, fortbestehen kann.<br />
weil der Gemeindetag von der Neuausrichtung<br />
des Tourismuskonzepts erwartet,<br />
dass damit die Voraussetzungen geschaffen<br />
werden, damit sich der für Baden-<br />
Württemberg außerordentliche Wirtschaftsfaktor<br />
„Tourismus“ weiterhin im<br />
nationalen und internationalen Wettbewerb<br />
erfolgreich behaupten kann.<br />
Der Entwurf der Neukonzeption sieht insbesondere<br />
den Aus- und Aufbau von touristischen<br />
Markenlandschaften vor. Dieses<br />
Ziel kann nach Auffassung des Gemeinde-<br />
Foto: irisblende.de<br />
tages nur dann erfolgreich realisiert werden,<br />
wenn innerhalb der Regionen die Kooperationen<br />
weiter ausgebaut und vertieft<br />
werden.<br />
Da das neue Tourismuskonzept auch die<br />
Grundlage für die künftige Förderpolitik<br />
des Landes darstellen wird, muss gefordert<br />
werden, dass keine einseitige Ausrichtung<br />
der Förderung auf wenige Schwerpunktprojekte<br />
erfolgen darf. Grundsätzlich positiv<br />
steht der Gemeindetag der Schaffung<br />
von finanziellen Anreizen für eine intensivere<br />
Kooperation auch auf kommunaler<br />
Ebene gegenüber. Die Kooperation darf<br />
aber nur ein Aspekt sein, der die Förderpolitik<br />
beeinflusst. Auch künftig müssen die<br />
vielfältigen touristischen Aktivitäten weiter<br />
ausgebaut werden. Vor allem für die<br />
Fortentwicklung des ländlichen Raumes<br />
stellt der Tourismus eine wichtige Säule<br />
dar. Dabei werden vor dem Hintergrund<br />
der demografischen Entwicklung und des<br />
zu erwartenden Klimawandels auch neue<br />
Wege zu beschreiten sein.<br />
28 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN<br />
Zensus 2011 –<br />
Was hat das mit der amtlichen Einwohnerzahl zu tun?<br />
Vorbereitungen sind im Gange<br />
Im Jahr 2011 wird eine europaweite Volks-<br />
und Wohnungszählung durchgeführt. Sie<br />
wird sich ganz wesentlich von den traditionellen<br />
Zählungen unterscheiden. Nach<br />
dem Zensusvorbereitungsgesetz vom Dezember<br />
2007 wird der überwiegende Teil<br />
der Angaben für die amtliche Statistik aus<br />
vorhandenen Registern, vor allem aus den<br />
Melderegistern sowie aus Dateien der<br />
Bundesagentur für Arbeit, übermittelt. Die<br />
Mehrheit der Bevölkerung wird beim Zensus<br />
2011 keine Auskunft zu leisten haben.<br />
Im Ergebnis dient dieser Zensus hauptsächlich<br />
der Feststellung der amtlichen<br />
Einwohnerzahlen für Bund, Länder und<br />
Kommunen. Nach Untersuchungen geht<br />
man davon aus, dass die seit der letzten<br />
Volkszählung fortgeschriebene Einwohnerzahl<br />
Deutschlands (2007: 82,2 Mio.<br />
Menschen) im Zensusjahr 2011 um mindestens<br />
1,3 Mio. überhöht sein wird („Karteileichen“!).<br />
Die Brisanz wird damit deutlich:<br />
Es sind letztendlich die Zensusergebnisse,<br />
auf deren Basis die amtlichen Einwohnerzahlen<br />
neu bestimmt und korrigiert<br />
werden. Städte und Gemeinden müssen<br />
deshalb ein besonderes Auge auf die Vollständigkeit<br />
und Aktualität ihrer Meldedaten<br />
richten. Die Möglichkeiten der so genannten<br />
Ertüchtigung der Melderegister<br />
nach den Vorschriften des Melderechts<br />
sind entsprechend zu nutzen. Ein Abgleich<br />
des Melderegisters ist jedoch nach wie vor<br />
gesetzlich ausgeschlossen.<br />
Mit Hilfe der Meldedaten aus den Städten<br />
und Gemeinden befindet sich derzeit beim<br />
Statistischen Landesamt ein Anschriften-<br />
und Gebäuderegister im Aufbau, das als<br />
Auswahlgrundlage für eine Haushaltsstichprobe<br />
und damit auch zur Aufdeckung<br />
von Registerfehlern dienen soll.<br />
Die Hauptdurchführungsphase des Zensus<br />
liegt im Jahre 2011. Spätestens dann müssen<br />
auch kommunale Erhebungsstellen<br />
eingerichtet werden. Sie sollen in erster<br />
Linie die bereits erwähnte Stichprobenerhebung<br />
organisieren und durchführen sowie<br />
Anlaufstelle für Auskunftspflichtige<br />
sein. Einzelheiten zur notwendigen Zahl<br />
von kommunalen Erhebungsstellen, ihre<br />
Einrichtung und Aufgaben werden in einem<br />
Landesgesetz zu regeln sein. Dabei<br />
müssen die Vorgaben des Zensusanordnungsgesetzes<br />
des Bundes berücksichtigt<br />
werden, das voraussichtlich im I. Quartal<br />
2009 verabschiedet wird.<br />
Der Gemeindetag hat in enger Abstimmung<br />
mit den anderen kommunalen Verbänden<br />
auf Landes- und Bundesebene sowie<br />
dem Land zum vorliegenden Bundesgesetzentwurf<br />
Stellung genommen. Kritikpunkte<br />
sind insbesondere die fachlichen<br />
Festlegungen der Erhebungsmethodik sowie<br />
die fehlende finanzielle Beteiligung<br />
des Bundes an den Kosten der Durchfüh-<br />
rung des Zensus. Die bisherigen Signale<br />
aus Berlin können jedoch die Beteiligten<br />
diesbezüglich nicht zufrieden stimmen.<br />
Die Kostenerstattung für die Aufwendungen<br />
der Städte und Gemeinden werden<br />
entsprechend des Konnexitätsprinzips in<br />
dem erwähnten Landesgesetz zu regeln<br />
sein. Der Gemeindetag wird „am Ball“<br />
bleiben.<br />
Initiiert hat der Gemeindetag auch eine<br />
Änderung im Melderecht, welche den<br />
Kommunen die Ermittlung von bislang<br />
nicht in den Melderegistern enthaltenen<br />
Personen ermöglichen soll. Sowohl das<br />
Land Baden-Württemberg als auch der<br />
Deutsche Städte- und Gemeindebund haben<br />
dieses Anliegen mit aufgegriffen.<br />
Abschaffung des Widerspruchsverfahrens –<br />
Pilotversuch wird nun doch nicht durchgeführt<br />
Nach einem Auftrag der Strukturkommission<br />
für Aufgabenkritik und Haushalt sollte<br />
das Innenministerium zusammen mit<br />
dem Justizministerium einen Vorschlag<br />
für die Ausgestaltung eines zweijährigen<br />
Modellversuchs zur Abschaffung des Widerspruchsverfahrens<br />
in einem Verwaltungsgerichtsbezirk<br />
ausarbeiten. Innen-<br />
und Justizministerium haben sich daraufhin<br />
über die Eckpunkte des Modellversuchs<br />
verständigt. Auf die Darstellung in<br />
BWGZ 2008, 28 wird hingewiesen.<br />
Eine (freiwillige) Beteiligung der kreisangehörigen<br />
Städte und Gemeinden im<br />
Bereich des „Modellbezirks“ (Verwaltungsgerichtsbezirk<br />
Sigmaringen / Regierungsbezirk<br />
Tübingen) und des „Kontrollbezirks“<br />
(Verwaltungsgerichtsbezirk<br />
Karlsruhe / Regierungsbezirk Karlsruhe)<br />
war vorgesehen und hätte für diese im Versuchszeitraum<br />
zu einem erhöhten organisatorischen<br />
Aufwand (statistische Erhebungen<br />
/ Dokumentationen usw.) geführt.<br />
Der Gemeindetag hat sich zu diesem Projekt<br />
sehr zurückhaltend geäußert und insbesondere<br />
auf die Befriedungsfunktion<br />
von Widerspruchsverfahren hingewiesen.<br />
Zwischenzeitlich hat die Strukturkommission<br />
für Aufgabenkritik und Haushalt am<br />
3.4.2008 entschieden, den Pilotversuch<br />
zur Abschaffung des Widerspruchsverfahrens<br />
in einem Verwaltungsgerichtsbezirk<br />
in Baden-Württemberg nicht durchzuführen.<br />
Gleichzeitig wurde ein aus zwei Teilen<br />
bestehender Arbeitsauftrag erteilt. Mit<br />
diesem Auftrag wird das Innenministerium<br />
in Abstimmung mit den Ressorts und<br />
unter Einbeziehung der Erfahrungen anderer<br />
Länder (Bayern, Hessen, Nordrhein-<br />
Westfalen, Niedersachsen und Brandenburg)<br />
gebeten, darzustellen,<br />
in welchen Rechtsgebieten das Widerspruchsverfahren<br />
wegen seiner Befriedungswirkung<br />
beibehalten werden soll<br />
– zumindest als Option gegenüber dem<br />
sofortigen Klageverfahren – bzw.<br />
in welchen Rechtsgebieten auf ein Widerspruchsverfahren<br />
mangels Befriedungsfunktion<br />
verzichtet werden kann.<br />
Sobald dem Gemeindetag Ergebnisse aus<br />
dem Auftrag des Innenministeriums vorliegen,<br />
wird er seine Mitgliedsstädte und<br />
-gemeinden zeitnah informieren.<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 29
B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN BWGZ 1/2009<br />
Änderung des Bestattungsgesetzes<br />
Das Sozialministerium Baden-Württemberg<br />
hat am 6.10.2008 das Anhörungsverfahren<br />
zur Änderung des Bestattungsgesetzes<br />
eingeleitet. Der Anhörungsentwurf<br />
sieht verschiedene für die Gemeinden als<br />
Träger der Gemeindefriedhöfe und als zuständige<br />
Behörde bedeutsame Änderungen<br />
vor.<br />
Zu den Angehörigen im Sinne des § 21<br />
Abs. 1 Nr. 1 gehören nun auch Lebenspartner<br />
im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes.<br />
Dies hat für die Gemeinden Bedeutung,<br />
wenn es um die Bestattungssorgepflicht<br />
des § 31 und die Zuständigkeit der<br />
Gemeinde für die Anordnung der Bestattung<br />
bzw. Geltendmachung der Bestattungskosten<br />
in diesen Fällen geht.<br />
Klargestellt werden soll, dass zur Bestattungspflicht<br />
von Leichen auch alle totgeborenen<br />
Kinder und in der Geburt verstorbenen<br />
Leibesfrüchte mit einem Gewicht<br />
von mindestens 500 Gramm zu zählen<br />
sind. Eingeführt werden soll ein Bestattungsrecht<br />
für Fehlgeburten sowie für aus<br />
Schwangerschaftsabbrüchen stammende<br />
Leibesfrüchte (Ungeborene) – § 30. Die<br />
Totenfürsorge soll den Eltern obliegen und<br />
führt zu einem Rechtsanspruch auf die Bestattung<br />
der Fehlgeburt bzw. des ungebo-<br />
renen Lebens. Eine Bestattungspflicht<br />
wird aber nicht eingeführt.<br />
Für die Gemeinden als Träger der Gemeindefriedhöfe<br />
bedeutet dies, dass die örtlichen<br />
Satzungen einschließlich der Gebührenregelungen<br />
dies berücksichtigen müssen.<br />
Festgelegt werden soll, dass Leichen nur in<br />
Särgen erdbestattet werden dürfen, also eine<br />
unbedingte Sargpflicht besteht (§ 39). In<br />
den Fällen, in denen die Religionszugehörigkeit<br />
eine Bestattung ohne Sarg vorsieht,<br />
enthält der Anhörungsentwurf die Regelung,<br />
dass der Deckel des Sarges bei der<br />
Bestattung abgenommen und neben den<br />
Sarg in das Grab gelegt wird.<br />
Der Gemeindetag hat in seiner Stellungnahme<br />
u.a. die Erweiterung des Begriffs<br />
des Angehörigen bei der Totenfürsorgepflicht<br />
auf die Lebenspartner und den Bestattungsanspruch<br />
bei Fehlgeburten befürwortet,<br />
wobei bei Letzterem die Umsetzungsfolgen<br />
wie Änderung der örtlichen<br />
Friedhofssatzung und Gebührenpflicht für<br />
die Bestattung zu beachten sind. Weiterhin<br />
wurden die Beibehaltung der Sargpflicht<br />
und der Transport des offenen Sargs zur<br />
Grabstätte als sachgerechte Regelungen<br />
im Gesetzentwurf angesehen.<br />
„Zukunft Kommune 2008“ – Messe im neuen Gewand<br />
Die „Zukunft Kommune“ fand erstmals<br />
auf dem Gelände der Neuen Messe Stuttgart<br />
statt. Es konnte den Besuchern ein<br />
breiteres Angebot mit mehr Ausstellern<br />
geboten werden. Ein vielfältiges Programm<br />
begleitete die Messe: der Bürgermeistertag<br />
mit über 400 Teilnehmern und<br />
Herrn Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter<br />
Hundt als Gastredner, Fachtagungen für<br />
Bauamtsleiter, Kämmerer und Hauptamtsleiter,<br />
Ausstellervorträge und Fachvorträge.<br />
Die Akademie Ländlicher Raum, der<br />
Gemeindetag und die Medien- und Filmgesellschaft<br />
(MFG) Baden-Württemberg<br />
nutzten die Messe für die Preisverleihung<br />
des „InternetDorfs 2008“ gemeinsam mit<br />
Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch.<br />
2.415 Besucher und 211 Aussteller zeigten,<br />
dass sich die Messe als wichtige Informationsplattform<br />
etabliert hat. Ein breites Spek-<br />
trum konnte in der Ausstellung geboten<br />
werden: moderne Bestattungsformen, neues<br />
Haushaltsrecht, Bodenbeläge, Feuerwehrausstattung,<br />
Sportgeräte, Bibliothekswesen,<br />
Banken, Versicherungen, Breitbandverkabelung<br />
und vieles mehr. Es fanden sich Aussteller<br />
rund um alle kommunale Zuständigkeiten.<br />
Besuchermagnet und zentraler Treffpunkt<br />
für die Messebesucher war auch der<br />
Stand des Gemeindetags.<br />
Nach den positiven Erfahrungen in 2008<br />
laufen derzeit schon wieder die Vorbereitungen,<br />
um 2010 erneut eine Kommunalmesse<br />
mit diesem Charakter anbieten zu<br />
können. Die Messe soll im zweijährigen<br />
Turnus im Wechsel mit der Mitgliederversammlung<br />
stattfinden und hat sich zum<br />
Ziel gesetzt, die bereits recht hohen Erwartungen<br />
der Aussteller und Besucher noch<br />
zu übertreffen.<br />
Neue KIBW online<br />
Der Gemeindetag stand vor der Entscheidung,<br />
die KIBW online selbst auf technisch<br />
neue – moderne und zukunftssichere<br />
– Beine zu stellen oder einen Kooperationspartner<br />
zu suchen. Nach Beratung im<br />
Präsidium und Landesvorstand wurde eine<br />
Kooperation mit dem C.H. Beck Verlag<br />
beschlossen und seither technisch umgesetzt.<br />
Nach vollständiger Neuprogrammierung<br />
wurde die KIBW online im Herbst<br />
2008 auf der Beck’schen Plattform freigeschaltet.<br />
Für eine Übergangsphase steht<br />
die neue neben der alten KIBW online im<br />
Internet zur Verfügung. Alle Abonnenten<br />
wurden angeschrieben und informiert.<br />
Folgenden Mehrwert bietet die Neuprogrammierung:<br />
Es sind nun auch alle Tabellen und wichtige<br />
Grafiken enthalten. Seither stand nur<br />
der reine Text eines Artikels zur Verfügung,<br />
was oft zu einem Informationsverlust in der<br />
Online-Variante geführt hat.<br />
Die BWGZ- und Gt-info-Ausgaben<br />
sind in Anlehnung an das Heft abgebildet.<br />
Es sind also beispielsweise Seitenumbrüche<br />
abgebildet. Somit kann die Suche optimiert<br />
werden und es können Artikel auch<br />
wissenschaftlich korrekt zitiert werden.<br />
Seiter waren die Artikel einzeln abgebildet,<br />
unabhängig von der tatsächlichen Abbildung<br />
im Heft, die Seitenzahlen waren<br />
nur genannt.<br />
Die Beck’sche Plattform entspricht aktuellem<br />
Internetstandard und wird laufend<br />
weiterentwickelt.<br />
Auf der Beck’schen Plattform ist eine<br />
individuelle Nutzerverwaltung möglich.<br />
Diese kann von jedem Abonnenten gestaltet<br />
werden. Pro Abonnent gibt es einen<br />
Hauptzugang – hierfür gilt der seitherige<br />
Benutzername und das seitherige Passwort.<br />
Darunter können namensgebundene<br />
Nutzer angelegt werden, dies ermöglicht<br />
z.B. auch einen Zugang von außerhalb der<br />
Verwaltung, also eine externe Nutzung<br />
von unterwegs.<br />
Mit dem C.H. Beck Verlag wurde ein<br />
Rahmenvertrag geschlossen, der den Mitgliedsstädten<br />
und -gemeinden einen vergünstigten<br />
Zugang zu der Praxis der Kommunalverwaltung<br />
ermöglicht. Damit gibt<br />
es eine Datenbank mit einem umfangreichen<br />
Angebot, die die Arbeit in der Kommunalverwaltung<br />
optimal unterstützen<br />
kann.<br />
Az. 036.1<br />
30 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN<br />
Gt-service Dienstleistungsgesellschaft des Gemeindetags<br />
Baden-Württemberg: Europaweit aktiv!<br />
Die Gt-service Dienstleistungsgesellschaft<br />
hat ihren Aufgabenschwerpunkt in Dienst-<br />
und Serviceleistungen, die sie für Städte,<br />
Gemeinden, rechtlich unselbstständige<br />
und selbstständige Einrichtungen und für<br />
kommunale Zweckverbände durchführt.<br />
Die Gt-service hat sich seit ihrer Gründung<br />
darauf spezialisiert, u.a. europaweite Ausschreibungen<br />
für den Strombedarf und für<br />
Feuerwehrfahrzeuge fachlich fundiert umzusetzen.<br />
Ausschreibung Gas<br />
Im Oktober 2008 haben zwei Städte die Gtservice<br />
beauftragt, ihren Gasbedarf gemeinsam<br />
europaweit auszuschreiben. Für 2009<br />
bietet die Gt-service einzelnen Städten und<br />
Gemeinden und räumlich beieinander liegenden<br />
Städten und Gemeinden, die sich<br />
für eine Ausschreibung zusammenschließen,<br />
an, eine europaweite Ausschreibung<br />
ihres Gasbedarfs durchzuführen. Eine Bündelausschreibung<br />
für den Gasbedarf scheint<br />
im Moment wenig sinnvoll zu sein. Die Liberalisierung<br />
des Gasmarktes ist nach Einschätzung<br />
der Gt-service dafür noch nicht<br />
weit genug fortgeschritten.<br />
Wasserversorgung<br />
Neben diesen Dienstleistungen bietet die<br />
Gt-service auch den Vertrieb eines Betriebs-<br />
und Organisationshandbuches<br />
(BOH) an und unterstützt seit 2008 die Gemeinden<br />
beim Stichprobenverfahren für<br />
die Kaltwasserzähler, um die Eichdauer zu<br />
verlängern und um damit Kosten zu sparen.<br />
Bereits im ersten Jahr konnten durch<br />
die Gt-service 36 Betriebs- und Organisationshandbücher<br />
in Baden-Württemberg<br />
vertrieben werden.<br />
EDV-Ausstattung Schulen<br />
Zunehmend Beratungsbedarf haben die<br />
Kommunen auch bei der EDV-Ausstattung<br />
ihrer Schulen. Eine Umfrage im Sommer<br />
2008 hat ergeben, dass die Gt-service<br />
durchaus auch als Ansprechpartner für<br />
Schulträger interessant ist, die Unterstützung<br />
bei der Erstellung eines Leistungsverzeichnisses<br />
und der darin mündenden<br />
Ausschreibung benötigen. Die Gt-service<br />
ist dabei, diese Dienstleistung zu konkretisieren,<br />
um interessierten Städten und Gemeinden<br />
eine entsprechende Dienstleistung<br />
anbieten zu können.<br />
Bündelausschreibung Strom<br />
225 Städte, Gemeinden, Landkreise und<br />
kommunale Eigengesellschaften haben<br />
sich mit einem Gesamtstrombedarf von<br />
rund 265 GWh und rund 11.400 Abnahmestellen<br />
an der aktuellen Bündelausschreibung<br />
beteiligt. Trotz der schwierigen<br />
Marktlage mit allgemein steigenden<br />
Strompreisen hat die europaweite Ausschreibung<br />
zu einem zufriedenstellenden<br />
Ergebnis geführt.<br />
Für das Jahr 2009 hat die Gt-service keine<br />
Bündelausschreibung für den kommunalen<br />
Strombedarf geplant, nachdem die Lieferzeiträume<br />
für die bislang abwechselnd<br />
stattgefundenen beiden Bündelausschreibungen<br />
von zwei auf drei Jahren verlängert<br />
wurden. Sollte sich eine ausreichende<br />
Anzahl von Städten, Gemeinden oder<br />
kommunalen Einrichtungen für eine Teilnahme<br />
an einer Strom-Bündelausschreibung<br />
für einen Zeitraum von zwei oder<br />
drei Jahren ab 1. Januar 2010 interessieren,<br />
wäre die Gt-service bereit, auch 2009 eine<br />
kleine Bündelausschreibung für den<br />
Strombedarf durchzuführen.<br />
Gerichtlicher Erfolg bei der<br />
Netzentgeltabsenkung 2006<br />
Dass das Leistungsspektrum der Gt-service<br />
im Rahmen einer Bündelausschreibung<br />
weitaus mehr umfasst als die Durchführung<br />
eines rechtssicheren Vergabeverfahrens,<br />
konnten die Teilnehmer an der<br />
3. Bündelausschreibung Strom für den<br />
Lieferzeitraum 2005 – 2006 im Zusammenhang<br />
mit der zum 1.9.2006 durch die<br />
Bundesnetzagentur im Netzgebiet der EnBW<br />
Regional AG erfolgten Absenkung der<br />
Netznutzungsentgelte im vergangenen<br />
Jahr feststellen. Entgegen der klaren Zielsetzung,<br />
dass eine Veränderung der Höhe<br />
des Netzentgelts während des Lieferzeitraums<br />
weder zu einem wirtschaftlichen<br />
Vor-, noch zum Nachteil des jeweiligen<br />
Stromlieferanten werden soll, wenn eine<br />
vertraglich festgelegte Erheblichkeitsschwelle<br />
unter Berücksichtigung der<br />
Netzentgelte eines Jahreszeitraums überschritten<br />
ist, verweigerte die LichtBlick –<br />
die Zukunft der Energie GmbH & Co. KG,<br />
die in der betreffenden Ausschreibung insbesondere<br />
den Zuschlag für Tarifabnahmestellen<br />
als günstigster Bieter erhalten<br />
hatte, die Weitergabe dieser Absenkung<br />
mit der Begründung, dass durch die erfolgte<br />
Absenkung die vereinbarte Erheblichkeitsschwelle<br />
bezogen auf das Gesamtvolumen<br />
der Netzentgelte über den gesamten<br />
Lieferzeitraum nicht überschritten sei.<br />
Aus diesem Grund hat die Gt-service<br />
GmbH für drei Ausschreibungsteilnehmer<br />
Musterverfahren vor dem Landgericht<br />
Stuttgart – Kammer für Handelssachen –<br />
zur Wahrung der Rechte der Teilnehmer<br />
der 3. Bündelausschreibung und zur Klärung<br />
der streitigen Frage bezüglich der<br />
korrekten Berechnung der Erheblichkeitsschwelle<br />
und Verpflichtung zur Weitergabe<br />
der abgesenkten Netzentgelte an diese<br />
eingeleitet und durchgeführt. Mit Urteil<br />
vom 5.11.2008 hat das Landgericht die<br />
Rechtsauffassung der Gt-service GmbH<br />
vollumfänglich bestätigt und die Licht-<br />
Blick – die Zukunft der Energie GmbH &<br />
Co. KG zur Weitergabe der abgesenkten<br />
Netznutzungsentgelte an die drei klagenden<br />
Kommunen verurteilt. Die ergangenen<br />
Urteile entfalten zwar keine direkte<br />
Rechtswirkung für die übrigen Teilnehmer<br />
der 3. Bündelausschreibung, sie bestätigen<br />
aber die Ansprüche der Teilnehmer auf<br />
Rückerstattung der zu viel in Rechnung<br />
gestellter und bezahlter Netzentgelte.<br />
Durch dieses Verfahren wurde auch deutlich,<br />
dass die Wahrnehmung der Interessen<br />
der Teilnehmer an einer Bündelausschreibung<br />
durch die Gt-service auch über den<br />
Zeitpunkt der Zuschlagserteilung hinaus,<br />
über die gesamte Vertragslaufzeit hinweg,<br />
stattfindet. In der Regel geschieht dies auf<br />
dem Verhandlungswege, ohne dass dafür<br />
– wie im Fall der LichtBlick – der Rechtsweg<br />
bestritten werden muss.<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 31<br />
Az. 036.21
B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN BWGZ 1/2009<br />
Jahresbericht aus dem Europabüro der baden-württembergischen Kommunen in Brüssel<br />
Europabüro: Personeller Wandel – thematische Kontinuität<br />
Von Florian Domansky *<br />
Das Jahr 2008 lieferte aus Sicht des Europabüros der<br />
baden-württembergischen Kommunen den Beweis dafür, dass<br />
sich zwei scheinbar diametral gegenüberstehende Faktoren<br />
nicht unbedingt ausschließen müssen: Kontinuität und Wandel.<br />
So nahm Florian Domansky zum 1. März<br />
2008 offiziell seine Tätigkeit als neuer Leiter<br />
des Brüsseler Büros auf, nachdem sein<br />
Vorgänger, David Linse als Europakoordinator<br />
auf die kommunale Ebene vor Ort in<br />
Baden-Württemberg zurückgekehrt war.<br />
Damit stand den Mitgliedern des Gemeindetags<br />
nach nur kurzer Überbrückungsphase,<br />
in der sich einmal mehr die synergetische<br />
Organisationsform der Bürogemeinschaft<br />
zusammen mit den bayerischen und<br />
sächsischen Kommunalverbände bewährt<br />
hatte, nahezu nahtlos ein unmittelbarer Ansprechpartner<br />
für alle kommunalrelevanten<br />
Europa-Themen zur Verfügung.<br />
Inhaltlich zeichneten sich die Arbeitschwerpunkte<br />
im Vergleich zu den<br />
Vorjahren – wenn auch mit Entwicklungsnuancen<br />
– vor allem durch thematische<br />
Konstanz aus:<br />
Wege der EU-Förderung für Mitglieder<br />
des Gemeindetags in der neuen Programmperiode<br />
2007 – 2013,<br />
die anhaltende Einschränkung der örtlichen<br />
Selbstverwaltung durch unangemessene<br />
Auswüchse des EU-Wettbewerbsrechts,<br />
insbesondere im Spannungsfeld<br />
zwischen europäischen Vergaberecht und<br />
der interkommunalen Zusammenarbeit im<br />
Bereich der Daseinsvorsorge sowie<br />
Beteiligungsformen der kommunalen<br />
Ebene an Europäischen Entscheidungsprozessen<br />
zum einen und die Vermittlerfunktion<br />
von Städten und Gemeinden zwischen<br />
den Bürgerinnen und Bürgern Baden-Württembergs<br />
und der europäischen<br />
Ebene zum anderen.<br />
* Der Autor ist Leiter des Europabüros der badenwürttembergischen<br />
Kommunen in Brüssel.<br />
Kontinuierlicher Gedankenaustausch<br />
mit EU-Abgeordneten<br />
Getreu seiner Aufgabenstellung, nicht nur<br />
Horchposten der Kommunen in Brüssel zu<br />
sein, sondern stets auch als deren Sprachrohr<br />
zu fungieren, bildete den Auftakt im<br />
Jahr 2008 das traditionelle fraktionsübergreifende<br />
Frühjahrsgespräch der Spitzen<br />
der baden-württembergischen Kommunalverbände<br />
mit den elf EU-Parlamentariern<br />
aus Baden-Württemberg, das zum wiederholten<br />
Male direkt in Brüssel stattfand.<br />
Während die inhaltliche und organisatorische<br />
Vorbereitung durch das Europabüro<br />
vorgenommen wurde, zeichnete für Begrüßung<br />
und Gesprächsmoderation Präsident<br />
Roger Kehle verantwortlich; lag die<br />
Federführung für Europaangelegenheiten<br />
innerhalb der baden-württembergischen<br />
Kommunalverbände doch für 2008 beim<br />
Gemeindetag.<br />
Gesprächsgegenstand war neben der kommunalproblematischenEU-Rechtssetzungskompetenz<br />
für den Bereich der Daseinsvorsorge<br />
innerhalb des Lissabon-Vertrags<br />
u.a. auch die überinterpretierende<br />
Rechtsprechung des OLG Düsseldorf auf<br />
Kommunale Anliegen<br />
direkt platzieren –<br />
Präsident Roger Kehle<br />
(Gemeindetag) und<br />
Dr. Jürgen Schü tz im<br />
Gespräch mit der<br />
EU-Abgeordneten<br />
Elisabeth Jeggle (v.r.)<br />
Basis eines EuGH-Urteils bezüglich der<br />
Pflicht zur europaweiten Ausschreibung<br />
von städtebaulichen Verträgen und die hieraus<br />
resultierende Rechtunsicherheit und<br />
Einschränkung von kommunaler Planungshoheit.<br />
Ein anderes, überaus kommunalrelevantes<br />
Themengebiet, nämlich die künftige Ausrichtung<br />
der EU-Kohäsionspolitik und damit<br />
verbundenen EU-Fördermittelverteilung<br />
nach Ablauf der gegenwärtigen mittelfristigen<br />
EU-Finanzplanung ab 2014<br />
stand im Mittelpunkt eines anderen hochrangigen<br />
Hintergrundgesprächs Anfang<br />
Juli 2008, zu dem der baden-württembergische<br />
Landwirtschaftsminister Peter<br />
Hauk in die Brüsseler Landesvertretung<br />
geladen hatte. Neben dem Landesgruppenvorsitzenden<br />
der baden-württembergischen<br />
CDU im Europäischen Parlament,<br />
Rainer Wieland, und dem Generaldirektor<br />
für EU-Regionalpolitik innerhalb der Europäischen<br />
Kommission, Dr. Dirk Ahner,<br />
nahm auch Gemeindetagspräsident Roger<br />
Kehle daran teil.<br />
Kehle griff in seinen Ausführungen die<br />
Notwendigkeit einer verstärkten interkommunalen<br />
Zusammenarbeit, gerade auch im<br />
für die Bürgerinnen und Bürger weniger<br />
sichtbaren „back office“-Bereich, auf. Allerdings<br />
dürfe dies nicht mit einem Verlust<br />
der Eigenständigkeit einhergehen: „Auch<br />
wenn das Personenstandswesen künftig<br />
32 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN<br />
eher zentral organisiert sei, so muss beispielsweise<br />
dennoch gewährleistet sein,<br />
dass auch in Zukunft eine Trauung im<br />
Standesamt vor Ort möglich ist, um lokale<br />
Identität zu wahren. Eine nachhaltige<br />
Strukturpolitik, auch auf europäischer<br />
Ebene, hat genau dies sicherzustellen.“ In<br />
diesem Zusammenhang betonte Kehle<br />
auch den sehr engen Schulterschluss zwischen<br />
dem Ministerium für Ernährung und<br />
Ländlichen Raum und der kommunalen<br />
Ebene in der Vergangenheit als Erfolgsfaktor<br />
für die Gewährleistung von gleichwertigen<br />
Lebensverhältnissen in ganz Baden-Württemberg.<br />
Neue EU-Förderperiode nimmt<br />
2008 erst richtig Schwung auf<br />
Neben der Zukunft der EU-Kohäsionspolitik,<br />
der natürlich allgemein die EU-Förderpolitik<br />
zugrunde liegt, galt daneben der<br />
Blick des Europabüros auch ganz konkret<br />
der aktuellen Förderperiode, von der in<br />
umfassendem Maße auch baden-württembergische<br />
Städte und Gemeinden profitieren<br />
können.<br />
So war diese zwar bereits mit Beginn des<br />
Jahres 2007 auf europäischer Ebene offiziell<br />
angelaufen. Da es aber zum Einen anfängliche<br />
Verzögerungen bei der Aufstellung<br />
der grundlegenden so genannten<br />
Operationellen Programme auf Seiten des<br />
Landes gab, zum Anderen neuen Verwaltungsstrukturen<br />
auf europäischer Ebene<br />
eine gewisse Einarbeitungsphase benötigten,<br />
muss festgehalten werden, dass die<br />
EU-Förderaktivitäten im Lande erst im<br />
Laufe des Jahres 2008 so richtig an<br />
Schwung aufgenommen haben.<br />
Daher war der Beratungsbedarf im Hinblick<br />
auf die europäischen „Fördertöpfe“<br />
besonders groß. Die Förderprogrammberatung<br />
des Europabüros der baden-württembergischen<br />
Kommunen ruhte dabei,<br />
wie schon in den vergangenen Jahren, auf<br />
drei Säulen:<br />
Im Förderratgeber, der von allen Städten<br />
und Gemeinden kostenfrei über das<br />
Extranet des Gemeindetags Baden-Württemberg<br />
abgerufen werden kann, bietet das<br />
Europabüro eine Übersicht über alle kommunalrelevanten<br />
EU-Förderprogramme.<br />
In der wöchentlichen Informationsschrift<br />
„Brüssel Aktuell“ informiert das<br />
EU-Förderung – gelungenes Seminar für die Praxis<br />
Der diesjährige Herbst stand ganz im<br />
Zeichen des Europäischen Fonds für<br />
die regionale Entwicklung (EFRE) in seiner<br />
neuen Förderperiode 2007 – 2013.<br />
So fand am 11. September 2008 unter<br />
Mitwirkung des Eurobüros der Baden-<br />
Württembergischen Kommunen im Regierungspräsidium<br />
Karlsruhe ein entsprechendes<br />
EU-Förderseminar für Interessierte<br />
aus der Kommunalpraxis<br />
statt.<br />
Getreu dem Veranstaltungstitel „Europäische<br />
Fördermittel für die Region Mittlerer Oberrhein<br />
– Impulse für neue Projekte“ erhielten insgesamt<br />
rund 60 Teilnehmende während der Veranstaltung<br />
in Karlsruhe, in die auch der ansässige<br />
Regionalverband als Mitveranstalter eingebunden<br />
war, aktuelle Anregungen und Informationen<br />
zur EU-Förderung in der neuen<br />
Programmperiode 2007 – 2013. Dass zum<br />
Teilnehmerkreis neben zahlreichen Europa-<br />
und Kommunalpartnerschaftsbeauftragten<br />
auch einige Bürgermeister zählten, zeigt, dass<br />
der Bedeutung von EU-Fördermitteln als komplementäre<br />
Finanzierungssäule für kommunale<br />
Aufgaben auch an der Rathausspitze entsprechend<br />
Rechnung getragen wird.<br />
Schwerpunktmäßig standen insbesondere die<br />
Kommunalpartnerschaftsförderung durch das<br />
EU-Aktionsprogramm „Europa für Bürgerinnen<br />
und Bürger“ und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit<br />
im Kooperationsraum „Ober-<br />
Europabüro über aktuelle Ausschreibungen<br />
im Rahmen der EU-Förderprogramme.<br />
„Brüssel Aktuell“ steht ebenfalls allen<br />
Gemeindetagsmitgliedern kostenfrei als<br />
elektronischer Dienst zur Verfügung.<br />
Darüber hinaus besteht für jede Mitgliedskommune<br />
die Möglichkeit der direkten<br />
Kontaktaufnahme mit dem Europabüro<br />
der baden-württembergischen Kommunen.<br />
Das Europabüro prüft dann für jeden konkreten<br />
Einzelfall, ob eine EU-Förderung in<br />
Frage kommt und informiert über die Einzelheiten<br />
der Fördermittelbeantragung.<br />
Städte und Gemeinden in Baden-<br />
Württemberg bei EU-Förderung<br />
auch 2008 sehr erfolgreich<br />
Die Vergabe europäischer Fördermittel erfolgt<br />
häufig im Wettbewerbsverfahren,<br />
was dazu führt, dass es in der Regel keine<br />
Garantie für einen Erfolg bei der Antragstellung<br />
gibt. Dass sich die baden-württembergischen<br />
Kommunen aber auch im<br />
Wettbewerb mit anderen europäischen<br />
Städten und Gemeinden hervorragend be-<br />
rhein“ durch Interreg IV A im Mittelpunkt von<br />
zwei thematischen Workshops. Während der<br />
erstere inhaltlich durch das Europabüro der<br />
Baden-Württembergischen Kommunen abgedeckt<br />
wurde, stand im letzteren ein Experte des<br />
zuständigen Gemeinsamen Technischen Sekretariats<br />
in Straßburg den Förderinteressierten<br />
Rede und Antwort.<br />
Ziel der Veranstaltung war es, vor allem kleineren<br />
kreisangehörigen Städten und Gemeinden<br />
aufzuzeigen, dass es auch bei beschränkten<br />
Personalkapazitäten durch aktive Einbindung<br />
der örtlichen Gemeinschaft gehbare Wege der<br />
EU-Förderung gibt. Besonders deutlich wurde<br />
dies am Beispiel des vorbildlichen EU-weiten<br />
Gemeindenetzwerks „EUROKOMMUNALE“,<br />
das exemplarisch von Thomas Ludwig, Bürgermeister<br />
der Mitgliedsgemeinde Seckach im<br />
Neckar-Odenwald-Kreis, vorgestellt wurde.<br />
Als eine Haupterkenntnis der Veranstaltung<br />
bleibt insgesamt festzuhalten, dass eine oftmals<br />
zeitintensive EU-Antragstellung sich bei richtiger<br />
Herangehensweise (Stichwort „Projektmanagement“)<br />
auch unter monetären Gesichtpunkten<br />
durchaus lohnt. Zudem darf der dadurch<br />
gewonnene Erfahrungsschatz an so genannter<br />
Europafähigkeit durch die<br />
Zusammenarbeit mit Partner in anderen EU-<br />
Ländern auch als kommunaler Standortvorteil<br />
im Vergleich zu Nachbargemeinden und -städten<br />
nicht unterschätzt werden.<br />
währen können, beweist nicht zuletzt das<br />
gute Abschneiden bei der EU-Städtepartnerschaftsförderung<br />
im vergangenen Jahr.<br />
Insgesamt hat die Europäische Union im<br />
Laufe des Jahres 2008 Bürgerbegegnungen<br />
im Rahmen von Städtepartnerschaften,<br />
an denen knapp 90 baden-württembergische<br />
Kommunen beteiligt waren, mit<br />
rund 900.000 Euro unterstützt. Dieser Betrag<br />
verteilt sich dabei sowohl auf die<br />
Städte und Gemeinden im Land als auch<br />
auf deren Partnerstädte in der Europäischen<br />
Union. Nach wie vor gilt bei der<br />
EU-Städtepartnerschaftsförderung folgender<br />
Grundsatz: Immer die einladende<br />
Kommune muss den Antrag stellen.<br />
In einem Unterbereich des Städtepartnerschaftsprogramms<br />
wartete die zuständige<br />
EU-Exekutivagentur 2008 zudem mit<br />
einer neuen, durchaus anspruchsvollen<br />
Sonderkategorie auf, den so genannten<br />
mehrjährigen thematischen Netzwerken.<br />
Hierbei handelt es sich um ein Kombinationsprogramm<br />
aus konventionellen Bürgerbegegnungen<br />
und innovativen Workshops<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 33
B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN BWGZ 1/2009<br />
bzw. Konferenzen, die über einen Zweijahreszeitraum<br />
vorausgeplant werden<br />
müssen.<br />
Vorteilhaft ist im Falle einer Antragsgenehmigung<br />
neben der mittelfristigen Planungssicherheit<br />
hinsichtlich der Finanzierung<br />
auch die zusätzliche Bereitstellung<br />
von EU-Zuschüssen für Verwaltungsstrukturen<br />
zur weitergehenden Formalisierung<br />
von Kommunalkooperationen. Verständigt<br />
man sich dabei z.B. mit seiner osteuropäischen<br />
Partnerkommune auf Grund der<br />
niedrigeren Lohnkosten vor Ort auf eine<br />
dortige Ansiedlung der betreuenden Stelle,<br />
können baden-württembergische Kommunen<br />
dadurch auch indirekt zur Verwaltungsaufbauhilfe<br />
in den neuen Mitgliedstaaten<br />
ihren Teil beitragen.<br />
Ein weiteres, im Herbst 2008 neu aus der<br />
Taufe gehobenes Unterprogramm, das gerade<br />
für Kommunen besonders interessant<br />
sein dürfte, nennt sich COMENIUS Regio.<br />
Damit zielt die EU-Kommission im Bildungsbereich<br />
darauf ab, stärker auch kommunale<br />
Schulverwaltungsbehörden zu einer<br />
europäischen Kooperation mit ähnlicher<br />
Institution in anderen Mitgliedstaaten<br />
durch monetäre Anreize zu motivieren.<br />
Kontinuität und Wandel<br />
zugleich auch<br />
im Europäischen Vergaberecht<br />
Ihre bisherige Linie zur Anwendung des<br />
europäischen Vergaberechts zu so genannten<br />
Institutionalisierten Öffentlich-Privaten<br />
Partnerschaften (IÖPP), also den gemischtwirtschaftlichen<br />
Unternehmen,<br />
führte die EU-Kommission in ihrer gleichnamigen<br />
Mitteilung vom Februar 2008<br />
zum Bedauern der kommunalen Ebene leider<br />
fort.<br />
So schafft diese zwar keine neuen Rechtsnormen,<br />
sondern enthält im Sinne von<br />
Leitlinien lediglich eine Klarstellung darüber,<br />
wie die Kommission die Anwendung<br />
des EG-Vertrags, der Richtlinien für das<br />
öffentliche Auftragswesen und der einschlägigen<br />
Urteile des Europäischen Gerichtshofs<br />
(EuGH) auf IÖPP versteht.<br />
Festzuhalten bleibt aber, dass die von der<br />
Kommission vorgesehenen Verpflichtungen<br />
äußerst weitreichend sind. Sie betreffen<br />
auch den rechtlichen Status bestehender<br />
gemischtwirtschaftlicher Unternehmen.<br />
Laut Kommission verlangt das Gemeinschaftsrecht<br />
zur Gründung einer IÖPP aber<br />
keine „doppelte Ausschreibung“: Eine<br />
Trennung der Ausschreibung für die Auswahl<br />
des privaten Partners der IÖPP und<br />
für die Vergabe des öffentlichen Auftrags<br />
bzw. der Konzession an das gemischtwirtschaftliche<br />
Unternehmen wird daher nicht<br />
notwendig.<br />
Nur wenige Aspekte hat die Kommission<br />
gegenüber ihren früheren Überlegungen<br />
zu IÖPP vom Geltungsbereich der Mitteilung<br />
ausgeklammert: Beispielsweise wird<br />
die reine Kapitalbeteiligung durch einen<br />
strategischen Finanzinvestor an einem öffentlichen<br />
Unternehmen von der Kommission<br />
nicht als IÖPP verstanden.<br />
Gemischtwirtschaftliche<br />
Unternehmen: Kommission<br />
zementiert ihre strengen<br />
Auslegungsregeln<br />
Schwerer wiegt in diesem Zusammenhang<br />
ein Verweis der Kommission auf einschlägige<br />
Rechtsprechung des EuGH. Diese sei<br />
im Kontext der IÖPP auf sämtliche öffentliche<br />
Aufträge (auch unterhalb der Schwellenwerte)<br />
und Konzessionen anwendbar,<br />
selbst wenn diese ursprünglich allein im<br />
Hinblick auf öffentliche Aufträge im Sinne<br />
der Vergaberichtlinien erging. Denn jene<br />
Urteile beruhten ja auf den für alle öffentlichen<br />
Vergaben einschlägigen Grundsätzen<br />
des EG-Vertrags (Art. 43 und 49 EG,<br />
Prinzipien der Gleichbehandlung und<br />
Nichtdiskriminierung, Verpflichtung zur<br />
Transparenz).<br />
Dieser Ansatz ist dabei durchaus bekannt:<br />
Bereits mit ihrer Mitteilung zur Unterschwellenvergabe<br />
aus dem Jahr 2006 eröffnete<br />
die Kommission das gesamte Anforderungsspektrum<br />
der Vergaberichtlinien<br />
auch auf die Vergaben, die mit Blick auf<br />
das Auftragsvolumen eigentlich kraft des<br />
Willens der europäischen Volksvertreter<br />
hiervon befreit sein sollten.<br />
Auf dieser Basis legt die Kommission fest,<br />
dass die mit dem öffentlichen Auftrag erreichten<br />
Schwellenwerte ausschlaggebend<br />
dafür sein sollen, wie der private Partner<br />
einer IÖPP ausgewählt wird. Wenn die<br />
Vergaberichtlinien greifen, muss nach den<br />
darin festgelegten Verfahren ausgewählt<br />
werden. Unterhalb der Schwellenwerte<br />
bzw. für Konzessionen gelten jedenfalls<br />
die bereits oben zitierten EG-vertraglichen<br />
Mindestanforderungen.<br />
Interessant sind dabei natürlich die Aussagen<br />
der Kommission, was diese Mindeststandards<br />
in der Praxis bedeuten. Die<br />
Kommission weicht hier nicht von ihrer<br />
bekannten Auffassung ab. Die EG-vertraglichen<br />
Grundsätze verlangten, dass<br />
potenziellen Bietern der gleiche Zugang<br />
zu angemessenen Informationen über die<br />
Absicht der öffentlichen Hand gewährt<br />
werde, ein ge mischtwirtschaftliches Unternehmen<br />
zu errichten und an dieses einen<br />
öffentlichen Auftrag oder eine Konzession<br />
zu vergeben.<br />
Die angemessene Information könne „am<br />
besten gewährleistet werden, indem vor<br />
der Auswahl des privaten Partners eine<br />
Bekanntmachung veröffentlicht wird, die<br />
potenziellen Interessenten hinreichend zugänglich<br />
ist“. Den „angemessenen Grad<br />
von Öffentlichkeit“ im Rahmen der Gründung<br />
von IÖPP definiert die Kommission<br />
als die Bekanntgabe des Gesellschaftervertrages<br />
sowie aller Elemente, die die<br />
vertragliche Beziehung zwischen öffentlichem<br />
Auftraggeber und privatem Partner<br />
bzw. zwischen dem öffentlichen Auftraggeber<br />
und dem neu zu gründenden IÖPP-<br />
Unternehmen regeln.<br />
34 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN<br />
Dass die Rechtsauslegung der Kommission<br />
nicht nur die Attraktivität der Beteiligung<br />
an einer IÖPP für Private reduziert,<br />
sondern vor allem auch öffentliche Auftraggeber<br />
davon abhält, neue IÖPP zu<br />
gründen, hat sich mit Vorlage der Kommissionsmitteilung<br />
im Jahre 2008 nun bedauerlicherweise<br />
bestätigt.<br />
Trend zur Instrumentalisierung<br />
des EU-Vergaberechts<br />
für vergabefremde Erwägungen<br />
Hingegen eine relativ neue Entwicklung,<br />
die sich in verschiedenen Kommissionsmaßnahmen<br />
niederschlägt, ist der zunehmende<br />
Trend zur Instrumentalisierung des<br />
Vergaberechts für Ziele im Bereich des<br />
Umwelt- und Sozialschutzes oder zur Beschleunigung<br />
der Marktreife von innovativen<br />
Produkten. Ein entsprechendes Anschauungsbeispiel<br />
für diesen Bereich stellt<br />
das um den Jahreswechsel 2007/2008 erneut<br />
angestoßene Gesetzgebungsverfahren<br />
zur Förderung von sauberen und energieeffizienten<br />
Straßenfahrzeugen dar, in<br />
das sich auch das Europabüro mit entsprechenden<br />
Bedenken aus kommunaler Sicht<br />
einbringen konnte.<br />
Im Gegensatz zu einem ersten Vorschlag<br />
aus 2005, der im Folgejahr vom Europäischen<br />
Parlament auf Grund der verfehlten<br />
Zielausrichtung abgelehnt worden war,<br />
wurde der Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags<br />
für öffentliche Beschaffungsstellen<br />
dieses Mal sogar noch erweitert.<br />
Im Kern ging es der EU-Kommission<br />
aber auch in ihrem zweiten Anlauf darum,<br />
Beschaffungsstellen im Bereich der öffentlichen<br />
Verkehrsdienstleistungen zu<br />
verpflichten, schadstoffemissionsarme<br />
und jetzt zudem auch energieeffiziente<br />
Fahrzeuge anzuschaffen.<br />
Die Ermittlung von so genannten externen<br />
Kosten sollte dabei ausschließlich an Hand<br />
einer EU-weit einheitlichen Berechnungsmethode<br />
erfolgen, wodurch mit einem entsprechenden<br />
Mehraufwand auf kommunaler<br />
Ebene zu rechnen gewesen wäre. Aus<br />
dem Argument, dass seit Jahren insbesondere<br />
in Deutschland bei der Fahrzeugbeschaffung<br />
auf kommunaler Ebene bereits<br />
Umweltvergabekriterien in vielfältiger, an<br />
die örtlichen Gegebenheiten angepasster<br />
Weise Rechnung getragen wird, leitet die<br />
Kommission hingegen ironischerweise<br />
erst ihren Harmonisierungsauftrag ab. So<br />
Kontaktpflege<br />
zahlt sich aus –<br />
die EU-Abgeordneten<br />
Rainer Wieland<br />
und Heide Rühle<br />
im Gespräch mit<br />
Florian Domansky,<br />
dem Leiter des<br />
Europabüros der<br />
baden-württembergischen<br />
Kommunen (v.l.).<br />
sieht sie doch gerade in einer unterschiedlichen<br />
Vorgehensweise bei der Beschaffung<br />
in den einzelnen Mitgliedstaaten die<br />
Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen für<br />
Produzenten von sauberen und energieeffizienten<br />
Fahrzeugen.<br />
Dabei verkennt die Kommission völlig,<br />
dass mit Blick auf den geringen Anteil der<br />
öffentlichen Hand am Beschaffungsmarkt<br />
für Fahrzeuge, für den sie im Richtlinienvorschlag<br />
selbst die Zahlen liefert, eben<br />
keine Hebelfunktion bezüglich einer beschleunigten<br />
Markteinführung zukommt<br />
und zudem mit den so genannten EURO-<br />
Normen ja bereits ein System auf europäischer<br />
Ebene besteht, das den gesamten<br />
Beschaffungsmarkt umfasst.<br />
Kommunale Fahrzeugbeschaffung:<br />
Europabüro und Europäisches<br />
Parlament im Verbund erfolgreich<br />
Auch wenn das Europäische Parlament im<br />
Oktober 2008 nunmehr dem Vorschlag in<br />
seiner Grundausrichtung zugestimmt hat,<br />
gelang es dem Europabüro in enger Abstimmung<br />
mit dem südbadischen EU-Abgeordneten<br />
Dr. Andreas Schwab als zuständigem<br />
Koordinator im beteiligten Binnenmarktausschuss<br />
einige Teilerfolge zu erzielen und<br />
die schlimmsten Auswirkungen für die<br />
kommunale Ebene zu verhindern.<br />
So konnte beispielsweise durch die nachträglich<br />
eingeführte Verknüpfung mit den<br />
EU-Vergaberechtsschwellenwerten sowie<br />
durch die Ausnahme von Rettungsfahrzeugen<br />
mit ohnehin niedriger Jahreskilometerleistung<br />
der Anwendungsbereich der<br />
Richtlinie sowohl mit Blick auf den Beschaffungswert<br />
als auch auf den Beschaffungskreis<br />
deutlich verringert werden.<br />
Zudem sollen nunmehr neben der Anwendung<br />
der kommissionseigenen Berechnungsmethode<br />
auch andere Kostenermittlungsverfahren<br />
möglich sein, was den<br />
kommunalen Vergabestellen und dahinter<br />
stehenden direktdemokratisch legitimierten<br />
Beschlussorganen einen entsprechenden<br />
Handlungs- und Entscheidungsspielraum<br />
lässt.<br />
Dennoch bleibt für die Zukunft zu hoffen,<br />
dass die Kommission von ihrer oftmals<br />
gepriesenen Gesetzesfolgeabschätzung für<br />
anstehen Maßnahmen deutlich ernsthafter<br />
Gebrauch macht, wobei weitere Beispiele<br />
aus dem Jahr 2008 wie die Mitteilungen<br />
zum umweltorientierten öffentlichen Beschaffungswesen<br />
oder zur vorkommerziellen<br />
Auftragsvergabe durchaus diesbezüglich<br />
Zweifel hinterlassen.<br />
Wegweisendes Urteil zur Anwendung<br />
der „In-House“-Vergabe auf die<br />
interkommunale Zusammenarbeit<br />
Wenig Zweifel ob des richtungweisenden<br />
Charakters bestehen hingegen mit Blick<br />
auf ein einschlägiges Urteil des EuGH zur<br />
Anwendung der sog. „In-House“-Vergabe<br />
auf die interkommunale Zusammenarbeit,<br />
das dieser im November 2008 fällte. In der<br />
sog. „Coditel Brabant“-Entscheidung kamen<br />
die Richter entgegen der EU-Kommission<br />
zum Schluss, dass die für ein vergabefreies<br />
„In-House“-Geschäft entwickelten<br />
Kriterien als erfüllt anzusehen<br />
sind, obwohl im zu Grunde liegenden<br />
Sachverhalt mehrere kommunale Gebietskörperschaften<br />
Anteilseigner einer konzessionsnehmenden<br />
Einrichtung waren.<br />
Erstmalig sieht der EuGH die gemeinsame<br />
Kontrolle durch die öffentlichen An-<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 35
B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN BWGZ 1/2009<br />
teilseigner als ausreichend an und damit<br />
das von ihm in der so genannten „Teckal“-<br />
Rechtsprechung aufgestellte „Beherrschungskriterium“<br />
als gegeben an. Er<br />
übernimmt dabei die grundlegende Denklinie<br />
des zweiten, ebenfalls von ihm aufgestellten<br />
Kriteriums, das voraussetzt, dass<br />
die Einrichtung im wesentlichen Umfang<br />
für alle öffentlichen Einrichtungen zusammen<br />
gesehen tätig wird (sog. Wesentlichkeitskriterium).<br />
Entscheidend hinsichtlich<br />
des Kontrolleinflusses ist dabei<br />
für den EuGH, dass die Einrichtung keinem<br />
privaten Kapital offen steht, das Kontrollorgan<br />
sich ausschließlich durch Vertreter<br />
der Gebietskörperschaften zusammensetzt<br />
und dessen Befugnisse durch den<br />
klar definierten Einrichtungszweck in der<br />
Satzung entsprechend begrenzt sind.<br />
Des Weiteren ist der Hinweis des Gerichtshofs<br />
von Bedeutung, dass die Gebietskörperschaften<br />
nicht in ihrer Möglichkeit beschnitten<br />
werden dürften, ihre im allgemeinen<br />
Interesse liegenden Aufgaben mit<br />
ihren eigenen administrativen, technischen<br />
uns sonstigen Mitteln wie beispielsweise<br />
der Interkommunalen Zusammenarbeit erfüllen<br />
zu können und dass dies auch die<br />
Entscheidung über die Zusammenarbeit<br />
mit anderen öffentlichen Stellen erfasse.<br />
An dieser Stelle würdigt der EuGH das<br />
Recht der kommunalen Selbstverwaltung,<br />
das auch die Entscheidung über die Art<br />
und Weise der Erbringung kommunaler<br />
Dienstleistungen gemeinsam mit anderen<br />
Gebietskörperschaften umfasst.<br />
Dem Urteil kommt somit durchaus einige<br />
Signalwirkung auch im Hinblick auf noch<br />
anhängige Verfahren zur interkommunalen<br />
Zusammenarbeit im Bereich der gemeindeübergreifenden<br />
Abfallbeseitigung<br />
sowohl in Baden-Württemberg als auch in<br />
anderen Bundesländern zu, auf deren Ausgang<br />
im Jahre 2009 aus kommunaler Sicht<br />
nunmehr mit noch größerer Spannung gewartet<br />
werden darf.<br />
Als grundlegender Wermutstropfen an diesem<br />
Urteil muss jedoch festgehalten werden,<br />
dass der EuGH, wie dargestellt, mit<br />
den „Teckal“-Kriterien eine Rechtsfigur<br />
aus der Rechtsprechung zum gemeinschaftlichen<br />
Vergaberecht grundsätzlich<br />
auch auf die interkommunale Zusammenarbeit<br />
anwendet und damit der langjährigen<br />
Forderungen des Europabüros, die<br />
zwischengemeindlichen Zusammenarbeit<br />
Die kommunalen Vertreter – immer in der ersten Reihe: OB Christian Schramm, Präsident und<br />
Dr. Gerd Landsberg, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebunds,<br />
neben OB a.D. Stefan Gläser, Hauptgeschäftsführer des Städtetags Baden-Württemberg (v.r.)<br />
vom Vergaberecht auszunehmen, und sie<br />
stattdessen vielmehr als innerstaatlichen<br />
Organisationsakt zu qualifizieren, eine<br />
richterliche Absage erteilt.<br />
Internationale<br />
Kommunalkonferenz des<br />
Europabüros im Brüsseler<br />
Ausschuss der Regionen<br />
Vor diesem Hintergrund wird umso deutlicher,<br />
welche Bedeutung einer entsprechenden<br />
Präsenz von Vertretern der kommunalen<br />
Ebene in Brüssel zukommt, um<br />
immer wieder im europäischen Raum, insbesondere<br />
auch bei den Europaabgeordneten,<br />
auf das hohe Gut der örtlichen Selbstverwaltung<br />
und der daraus abgeleiteten<br />
kommunalen Organisationshoheit hinzuweisen.<br />
Daher lud das Europabüro im Rahmen der<br />
Bürogemeinschaft zusammen mit den<br />
kommunalen Spitzenverbänden auf Bundesebene<br />
im Oktober 2008 zu einem internationalen<br />
Kommunalforum unter dem<br />
Titel „Die Reform Europas – Mehr Bürgernähe<br />
durch gestärkte Kommunen!“<br />
nach Brüssel in den Ausschuss der Regionen<br />
– quasi die „Kommunalkammer“ der<br />
EU – ein.<br />
Als Höhepunkt des Forums wurde die Deklaration<br />
„Mehr Bürgernähe durch starke<br />
Kommunen in Europa!“ verabschiedet.<br />
Eingesehen werden kann diese auf den Internetseiten<br />
des Europabüros unter www.<br />
europabuero-bw.de, deren Besuch für Europainteressierte<br />
in regelmäßigen Abständen<br />
generell lohnenswert ist.<br />
Im Veranstaltungsmittelpunkt stand dabei<br />
natürlich das Nein der Iren vom Juli 2008<br />
zum Lissabon-Vertrag, dessen kommunalfreundliche<br />
Elemente wie z.B. die erstmalige<br />
Verankerung des kommunalen Selbstverwaltungsgedankens<br />
im europäischen<br />
Vertragswerk die EU-Staats- und Regierungschefs<br />
erst Ende Dezember 2007 auf<br />
den Weg gebracht hatten.<br />
Hochrangige Vertreter der kommunalen,<br />
regionalen, nationalen und europäischen<br />
Ebene, darunter auch der ehemalige Hauptgeschäftsführer<br />
des Gemeindetags, Prof.<br />
Dr. Christian O. Steger und DStGB-Hauptgeschäftsführer<br />
Dr. Gerd Landsberg, diskutierten<br />
daher mit etwa 150 Teilnehmenden<br />
darüber, wie der ins Stocken geratene<br />
Reformprozess Europas wieder in Gang<br />
gebracht werden kann.<br />
Konferenzfazit:<br />
Nur starke Kommunen können<br />
zwischen dem Bürger und Europa<br />
vermitteln<br />
Als wichtigste Schlussfolgerung muss<br />
zum einen festgehalten werden, dass mit<br />
Blick auf die Handlungsfähigkeit der Europäischen<br />
Institutionen künftig definitiv<br />
mehr Bürgernähe benötigt wird, d.h. Entscheidungen<br />
auf europäischer Ebene müssen<br />
wirksam(er) kommuniziert werden.<br />
Eine weitere Erkenntnis war die Notwendigkeit,<br />
die Bürgerinnen und Bürger darin<br />
zu unterstützen, objektiv mit Europa umzugehen<br />
und bei fraglichen Entscheidungen<br />
nicht das ganze „Projekt Europa“,<br />
sondern nur die einzelne Regelung in Frage<br />
zu stellen.<br />
Gleichzeitig machten vorgestellte Forschungsergebnisse<br />
deutlich, dass das meiste<br />
politische Vertrauen gegenwärtig der<br />
kommunalen Ebene zukommt, wovon die<br />
36 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 B ILANZ UND P ERSPEKTIVEN<br />
EU indirekt profitieren kann. Allerdings<br />
würde EU-weit der Bezug der EU-Kommission<br />
zu Kommunen im operativen Geschäft<br />
gegenwärtig (noch) fehlen.<br />
Mit Blick auf Baden-Württemberg können<br />
in diesem Zusammenhang für 2008<br />
jedoch bereits einige Fortschritte verzeichnet<br />
werden. So absolvierte ein für<br />
das Vergaberecht zuständiger Kommissionsbediensteter<br />
im Laufe des Jahres 2008<br />
auf Einladung des Gemeindetags Baden-<br />
Württembergeine Art „Vorort-Praktikum“<br />
in unterschiedlichen Städten und Gemeinden<br />
Baden-Württembergs, um sich<br />
über die Vergabepraxis und deren konkrete<br />
Probleme an der kommunalen Basis zu<br />
informieren.<br />
Eine weitere Schlussfolgerung der Konferenz<br />
bezog sich darüber hinaus auf das<br />
Fehlen einer gesamteuropäischen Öffentlichkeit<br />
und der daraus abgeleiteten Notwendigkeit,<br />
dass Kommunikation von<br />
EU-Politiken nach wie vor auf nationaler,<br />
regionaler und lokaler Ebene erfolgen<br />
muss und es daher einen entsprechenden<br />
Bedarf an regionalspezifischen Kommunikationsstrategien<br />
gebe.<br />
Europawahlen im Juni 2009 –<br />
kostenloser Artikelservice für<br />
kommunale Mitteilungsblätter<br />
Einen Beitrag hierzu wird das Europabüro<br />
zusammen mit der Regionalvertretung der<br />
Europäischen Kommission für Baden-<br />
Württemberg für das kommenden Jahr<br />
leisten, indem es bis zur Europawahl am<br />
7. Juni 2009 einmal monatlich einen Artikel<br />
zu bürgernahen Europathemen für den<br />
Abdruck im redaktionellen Teil der kommunalen<br />
Amts- und Mitteilungsblätter<br />
kostenfrei zu Verfügung stellen wird. Interessenten<br />
können sich gerne direkt an das<br />
Europabüro wenden.<br />
Die Artikel selbst werden immer auch die<br />
gewachsene Bedeutung des europäischen<br />
Parlaments in verschieden Themenbereichen<br />
beleuchten, so dass dadurch auch die<br />
Bedeutung der Europawahl grundsätzlich<br />
unterstrichen wird, die – das lässt sich unbestritten<br />
bereits zum Jahresanfang sagen<br />
– die Arbeit des Europabüros für 2009<br />
maßgeblich prägen wird.<br />
Az. 009.10: 036.91<br />
Gemeinsame Erklärung der Bundesvereinigung<br />
der kommunalen Spitzenverbände vom 16. Oktober 2008<br />
Mehr Bürgernähe durch starke Kommunen<br />
in Europa!<br />
Europa braucht Reformen, um auch in Zukunft erfolgreich und bürgernah regiert werden zu<br />
können.<br />
Die EU hat sich vielen Herausforderungen zu stellen: Der Positionierung Europas im globalen<br />
Wettbewerb, der Lösung weltweiter Probleme wie Klimawandel, Versorgung mit Ressourcen<br />
und Gewährleistung von innerer und äußerer Sicherheit. In dem Maße, in dem<br />
Erwartungen an Europa formuliert werden, stellt sich die Frage eines erfolgreichen Regierens<br />
im Mehrebenensystem, nah bei den Menschen, bei deren Nöten, Forderungen und<br />
Perspektiven.<br />
Ein gegenseitig respektvolles und gleichberechtigtes Zusammenwirken aller<br />
demokratisch legitimierten Ebenen in der Lösung ihrer jeweiligen Probleme<br />
ist unverzichtbare Voraussetzung hierfür. Das Miteinander der Ebenen:<br />
Kommunen – Länder/Regionen – Staaten – Europa!<br />
Die deutschen Städte, Kreise und Gemeinden treten hierfür entschlossen ein und fordern für<br />
die Reform Europas:<br />
1. Vertragsreform verwirklichen!<br />
Der Lissabon-Vertrag ist ein Meilenstein für mehr Bürgernähe und Transparenz in Europa.<br />
Er würde nicht zuletzt den Kommunen eine stärkere Rolle in der EU geben und die Mitwirkungsmöglichkeiten<br />
verbessern, um zum Gelingen es Europäischen Integrationswerkes<br />
beitragen zu können.<br />
2. Kommunales Selbstverwaltungsrecht sichern!<br />
Wir erleben eine zunehmende Europäisierung der kommunalen Selbstverwaltungstätigkeit.<br />
Und damit der Lebenswirklichkeit der Menschen vor Ort; Gefühle der Fremdbestimmung<br />
und mangelnden Vertrauens in die europäischen Entscheidungen kommen auf. Das zeigt:<br />
Das kommunale Selbstverwaltungsrecht muss nach Europa gebracht werden. Und umgekehrt<br />
muss Europa auch in die Kommunen gebracht werden. Die Mehrzahl der politischen<br />
Zielsetzungen der EU können nicht ohne, geschweige denn gegen die Kommunen verwirklicht<br />
werden. Die Kommunen müssen als vollwertige Partner in Europa anerkannt werden.<br />
Die Kommunalen Spitzenverbände müssen in EU-Angelegenheiten wirksam beteiligt werden,<br />
in Brüssel und Straßburg, aber auch in den nationalen und regionalen Hauptstädten!<br />
3. Subsidiaritätsprinzip beachten!<br />
Das Ziel des Rückbaus und der Vereinfachung des EU-Rechts muss entschlossen fortgesetzt<br />
werden. Die EU wird aufgefordert, das Subsidiaritätsprinzip, wonach die Mitgliedstaaten,<br />
Regionen und Kommunen in ihren eigenen Verantwortungsbereichen zur selbständigen<br />
Gestaltung ihrer Belange berechtigt sind, zu achten. Die Kommunen alleine können und<br />
werden die Probleme Europas nicht lösen – Europa darf aber auch nicht versuchen, die<br />
kommunalen Fragen vor Ort zu regeln!<br />
4. Örtliche Entscheidungsspielräume respektieren!<br />
Die örtliche Daseinsvorsorge hat zentrale Bedeutung für die Menschen, die Gesellschaft<br />
und die Wirtschaft. Die Definitions- und Organisationshoheit für die Aufgaben der Daseinsvorsorge<br />
liegt bei den Mitgliedstaaten, den Regionen und Kommunen. Die EU wird aufgefordert,<br />
diese Hoheiten umfassend zu respektieren. Die Ausdehnung eines unbeschränkten<br />
europäischen Wettbewerbsmodells auf die lokale Ebene lehnen wir ab. Zudem: Das EU-<br />
Marktmodell alleine ist nicht im Stande, die Bedürfnisbefriedigung der Menschen und der<br />
Wirtschaft dauerhaft sicherzustellen. Europa braucht eine soziale Marktwirtschaft mit starken<br />
und handlungsfähigen Regionen und Kommunen. Die auf den lokalen Bereich beschränkten<br />
kommunalen Dienstleistungen müssen von der Anwendbarkeit des EU-Wettbewerbsrechts<br />
ausgenommen werden.<br />
5. Ein Europa der Bürger schaffen!<br />
Die Europäische Union ist das erfolgreichste Friedensprojekt der Welt. Die Begegnung der<br />
Menschen fördert direkt das gegenseitige Kennen und Vertrauen. Keine andere Einrichtung<br />
in Europa hat so viel für die Begegnung der Menschen geleistet wie das kommunale Partnerschaftswerk<br />
mit seinen tausenden Städte-, Kreis- und Gemeindepartnerschaften. Die<br />
Zusammenkunft der Bürgerschaft, der Schulen und der Kulturen ist hierdurch zu einer europäischen<br />
Selbstverständlichkeit geworden. Lebendige Kommunalpartnerschaften müssen<br />
begründet und weiter durch die Bürgerinnen und Bürger gepflegt werden. Sie bedürfen der<br />
aktiven ideellen und materiellen Unterstützung durch die Kommunen, die Länder und Regionen,<br />
die Staaten und Europa selbst!<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 37
A LLGEMEINER T EIL BWGZ 1/2009<br />
Von der Finanzmarktkrise direkt nicht betroffen – gesellschaftliches Engagement bleibt<br />
Sparkassen – Stabilitätsanker des Finanzsystems<br />
und der Wirtschaft<br />
Von Peter Schneider MdL *<br />
Die deutsche Wirtschaft ist nach den negativen<br />
Wachstumsraten der beiden vergangenen Quartale bereits in<br />
eine Rezession gerutscht. Wenngleich es um die wirtschaftliche<br />
Lage in Baden-Württemberg bislang noch etwas besser bestellt<br />
ist als im Rest der Republik, wird der Kelch des konjunkturellen<br />
Abschwungs nicht an uns vorübergehen. Baden-Württemberg<br />
ist in besonderem Maße durch die internationale Konjunkturschwäche<br />
gefährdet, weil vor allem die Nachfrage nach<br />
Investitionsgütern und Fahrzeugen zurückgeht. Diese spielen im<br />
Exportsortiment Baden-Württembergs eine bedeutende Rolle.<br />
Eine merkliche Abkühlung der Wirtschaft<br />
hat bereits begonnen. Und der vom Statistischen<br />
Landesamt Baden-Württemberg<br />
berechnete Konjunkturindikator weist auf<br />
eine noch stärkere Verlangsamung der<br />
Wirtschaft hin. Aktuelle Umfragen zeigen,<br />
dass über alle Wirtschaftssektoren hinweg<br />
mit einer rückläufigen Geschäftsentwicklung<br />
gerechnet wird.<br />
Allgemein ist die derzeitige Wirtschaftslage<br />
ganz offensichtlich von großer Unsicherheit<br />
geprägt. Niemand kann mit Bestimmtheit<br />
sagen, wie stark sich die grassierende<br />
Finanzmarktkrise auf die Realwirtschaft<br />
letzten Endes auswirken wird, und noch<br />
viel weniger, wie lange sie dauern wird.<br />
Diese Unsicherheit wird auch die Bürgerinnen<br />
und Bürger dazu veranlassen, stärker<br />
für die Zukunft vorzusorgen und den Konsum<br />
entsprechend einzuschränken.<br />
Auslandsnachfrage geht zurück<br />
Nicht nur die Binnennachfrage, sondern<br />
vor allem die Nachfrage aus dem teilweise<br />
noch stärker von der Finanzmarktkrise betroffenen<br />
Ausland geht zurück. Die hieraus<br />
entstehende kritische Auftragslage und<br />
die negativen Erwartungen der Unternehmen<br />
hinsichtlich der weiteren Wirtschafts-<br />
* Peter Schneider MdL ist Präsident des Sparkassenverbands<br />
Baden-Württemberg.<br />
entwicklung haben selbstverständlich Folgen,<br />
die den Abschwung für ein exportorientiertes<br />
Bundesland wie Baden-Württemberg<br />
noch verstärken. Die Produktion<br />
wird zurückgefahren, Investitionen werden<br />
verschoben, neue Mitarbeiter werden<br />
nicht mehr eingestellt. Auch in Baden-<br />
Württemberg hat der Beschäftigungsaufbau<br />
schon im August 2008 seinen Höhepunkt<br />
überschritten, so das Statistische<br />
Landesamt.<br />
Dazu kommt, dass sich das Kreditklima<br />
seit Mitte 2007 wieder verschlechtert. Die<br />
Subprimekrise hat sich rasch in eine Vertrauenskrise<br />
gewandelt. Kein Institut traut<br />
mehr dem anderen. Der Interbankenmarkt<br />
ist ausgetrocknet. Trotz weltweiter staatlicher<br />
Rettungsmaßnahmen hat er sich bislang<br />
noch nicht wieder erholt.<br />
Vor allem die großen internationalen Kreditinstitute,<br />
die sich überwiegend auf dem<br />
Kapitalmarkt refinanzieren, haben deshalb<br />
mit Liquiditätsengpässen zu kämpfen und<br />
beginnen, ihre Kreditvergabe einzuschränken.<br />
Das zeigt auch der von der Europäischen<br />
Zentralbank regelmäßig durchgeführte<br />
Bank Lending Survey, in dem die<br />
Kreditinstitute nach ihren Kreditvergabemodalitäten<br />
befragt werden. Eine Kreditklemme,<br />
wie wir sie in anderen Ländern<br />
beobachten, würde sich unmittelbar auf<br />
die Investitionstätigkeit der Unternehmen<br />
auswirken. Damit wäre eine Erholung der<br />
Wirtschaft auch mittel- bis langfristig gefährdet.<br />
Noch keine Kreditklemme<br />
Wenngleich vereinzelt Unternehmen von<br />
einer restriktiveren Kreditvergabepraxis<br />
seitens der Banken berichten, kann man in<br />
Baden-Württemberg und in Deutschland<br />
bislang glücklicherweise nicht von einer<br />
Kreditklemme sprechen. Das ist ohne<br />
Zweifel auch ein Verdienst der Sparkassen.<br />
Sie sind während der ganzen Krise<br />
stets ein Hort der Stabilität gewesen. Denn<br />
die öffentlich-rechtlichen Sparkassen sind<br />
nicht der Renditesucht erlegen.<br />
Da die Sparkassen von der Finanzmarktkrise<br />
nicht direkt betroffen sind, kennen<br />
sie auch keine Liquiditätsengpässe – im<br />
Gegenteil: Die Sparkassen haben ihre Kreditvergabe<br />
stetig vergrößern können. So<br />
erhöhten die baden-württembergischen<br />
Sparkassen ihre Darlehenszusagen an Unternehmen<br />
und Selbstständige in den ersten<br />
neun Monaten des Jahres 2008 gegenüber<br />
dem Vorjahreszeitraum um 18 Prozent.<br />
Die Darlehensauszahlungen an Unternehmen<br />
und Selbständige erhöhten sich<br />
38 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 A LLGEMEINER T EIL<br />
um 21 Prozent. Das Kreditvolumen der<br />
baden-württembergischen Sparkassen an<br />
Unternehmen und Selbständige stieg dadurch<br />
im Verlauf des Jahres 2008 auf über<br />
43 Mrd. Euro.<br />
Erfolgsmodell Sparkasse<br />
Demgegenüber haben sich die großen Privatbanken<br />
schon vor Beginn der Finanzmarktkrise<br />
aus dem Retailgeschäft und<br />
dem Kreditgeschäft mit dem Mittelstand<br />
zurückgezogen und sich verstärkt auf das<br />
Kreditersatzgeschäft konzentriert. Allein<br />
das gesamte Kreditvolumen der badenwürttembergischen<br />
Sparkassen beträgt mit<br />
94 Mrd. Euro knapp die Hälfte des Kreditvolumens<br />
aller deutschen Großbanken zusammen.<br />
Es sind also die Sparkassen mit<br />
ihrem bis vor kurzem als verstaubt belächeltem<br />
Geschäftsmodell, die den Kreditbedarf<br />
der deutschen und auch der badenwürttembergischen<br />
Unternehmen sichern.<br />
Was ist so anders an den kommunal getragenen<br />
Sparkassen und ihrem Geschäftsmodell?<br />
Nun, Sparkassen sind traditionell<br />
in der Wirtschaft und der Gesellschaft in<br />
ihrem Geschäftsgebiet fest verankert.<br />
Das wird in Baden-Württemberg besonders<br />
deutlich. Unser Land ist schon immer<br />
eine Hochburg des Mittelstands gewesen.<br />
Kleine innovationsfreudige Betriebe machen<br />
Baden-Württemberg zum Musterland<br />
der Tüftler. Auf hunderttausend Einwohner<br />
kommen die meisten Patentanmeldungen<br />
aus Baden-Württemberg. Existenzgründer,<br />
kleine und mittelständische Unternehmen<br />
benötigen entsprechend kleine<br />
Kredite. Großbanken sind hier in aller Regel<br />
zu träge und an wenig Rendite generierenden<br />
Kleinkrediten kaum interessiert.<br />
Sparkassen dagegen sind in der Fläche so<br />
präsent, dass sie potenzielle Kreditnehmer<br />
viel besser beurteilen können, als etwa<br />
Großbanken. So betreiben etwa die Sparkassen<br />
in Baden-Württemberg mit rund<br />
2.500 Geschäftsstellen fast genauso viele<br />
Geschäftstellen wie die Großbanken in<br />
Gesamtdeutschland. Knapp die Hälfte aller<br />
Mittelständler haben die Sparkassen als<br />
erste Hausbank und fast jeder zweite Existenzgründer<br />
wird von einer Sparkasse begleitet,<br />
die vor Ort, nah am Kunden und<br />
mit Blick auf die regionale Wirtschaft die<br />
Situation gut beurteilen und entsprechend<br />
entscheiden kann.<br />
Zudem ermöglicht ihr öffentlich-rechtlicher<br />
Auftrag den Sparkassen, umfangreichere<br />
Kriterien zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit<br />
eines Kunden heranzuziehen.<br />
Die Sparkassen sehen in ihren Kunden viel<br />
mehr als lediglich „Renditebringer“. In der<br />
Regel besteht zwischen der jeweiligen<br />
Sparkasse und den ansässigen Unternehmen<br />
vor Ort eine langfristige, oft generationenübergreifende,<br />
vertrauensvolle Geschäftsbeziehung.<br />
Aus dieser festen Geschäftsbeziehung<br />
folgt auch, dass die<br />
Sparkassen auf einen Kreditverkauf und<br />
damit einen Verkauf der Geschäftsbeziehungen<br />
verzichten.<br />
Klassische Refinanzierung<br />
Darüber hinaus refinanzieren sich unsere<br />
Sparkassen in bewährter und sicherster<br />
Weise, nämlich hauptsächlich über die<br />
umfangreichen Spareinlagen ihrer Kunden.<br />
Die baden-württembergischen Sparkassen<br />
verfügen derzeit über Kundeneinlagen<br />
in Höhe von über 102 Mrd. Euro.<br />
Die Institutssicherung der 446 Sparkassen<br />
gewährleistet, dass die Einlagen der Kunden<br />
zu 100 Prozent sicher sind – unabhängig<br />
von der Garantie der Bundesregierung.<br />
Dass die Bürgerinnen und Bürger die Sicherheit<br />
und das Geschäftsmodell der<br />
kommunal getragenen Sparkassen schätzen,<br />
zeigt der allein im Oktober 2008 von<br />
den baden-württembergischen Sparkassen<br />
verzeichnete Rekordzugang neuer Kundengelder<br />
in Höhe von über einer Milliarde<br />
Euro.<br />
Der traditionell hohe Passivüberhang – in<br />
Baden-Württemberg machen die Einlagen<br />
108 Prozent der Kreditvergabe aus –<br />
ermöglicht es den Sparkassen, ihr Kreditvolumen<br />
in den jeweiligen Regionen weiter<br />
zu erhöhen. Auch was die Eigenkapitalausstattung<br />
angeht, verfügen die<br />
baden-württembergischen Sparkassen<br />
über genügend Potenzial, um die Kreditvergabe<br />
auszudehnen. Damit können die<br />
Sparkassen als verlässlicher Finanzpartner<br />
nachhaltig die Wirtschaft im Land<br />
unterstützen. Die Sparkassen sind daher<br />
auch im Abschwung in der Lage, ihrer<br />
volkswirtschaftlichen Aufgabe nachzukommen<br />
und vor allem die vielen kleinen<br />
und mittleren Unternehmen in Baden-<br />
Württemberg mit ausreichenden Krediten<br />
zu versorgen.<br />
Gesellschaftliches Engagement<br />
auf hohem Niveau<br />
Das grundsolide, krisenresistente Geschäftsmodell<br />
der Sparkassen spiegelt sich<br />
aber nicht nur darin wider, dass sie keinerlei<br />
Liquiditätsprobleme haben und die<br />
Kreditversorgung der Wirtschaft aufrechterhalten.<br />
Die Sparkassen sind und bleiben<br />
auch in schwierigen Zeiten die Institutsgruppe<br />
mit dem größten gesellschaftlichen<br />
Engagement in ihrer Region, durch das sie<br />
die Kommunen in ihrer Aufgabenerfüllung<br />
nachhaltig unterstützen. Das Stiftungsvolumen<br />
der baden-württembergischen Sparkassen<br />
hat sich bisher stetig erhöht – trotz<br />
Ausbruch der Finanzmarktkrise im Som-<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 39
A LLGEMEINER T EIL BWGZ 1/2009<br />
mer 2007. Im vergangenen Jahr wurden<br />
sieben neue Stiftungen gegründet.<br />
Mit den nunmehr 80 Stiftungen und einem<br />
Stiftungskapital von 114 Mio. Euro werden<br />
kulturelle und soziale Einrichtungen<br />
sowie Umweltprojekte und Sportvereine<br />
gefördert. Die Beiträge der baden-württembergischen<br />
Sparkassen für gemeinnützige<br />
Zwecke betrugen im vergangenen<br />
Jahr insgesamt 41 Mio. Euro. Als krisenresistente<br />
Institutsgruppe mit einer Ausbildungsquote<br />
von 8 Prozent und jährlichen<br />
Steuerzahlungen von über 300 Mio. Euro<br />
zeichnen sich die Sparkassen außerdem als<br />
zuverlässige Arbeitgeber und bedeutende<br />
Steuerzahler vor Ort aus.<br />
Ein solides, zukunftsweisendes Geschäftsmodell,<br />
die Verwurzelung in der Realwirtschaft<br />
und in der Gesellschaft, das sind die<br />
Charakteristika, die die kommunal verankerten<br />
Sparkassen zum Stabilitätsanker<br />
des Finanzsystems und der Wirtschaft machen,<br />
in Baden-Württemberg und in ganz<br />
Deutschland. Das hat auch der Sachverständigenrat<br />
zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen<br />
Entwicklung anerkannt.<br />
Daher erscheint es geradezu grotesk, wenn<br />
die EU-Kommission dieses bewährte öffentlich-rechtliche<br />
Modell weiter angreift,<br />
die Verstaatlichung der britischen Banken<br />
aber einfach durchwinkt.<br />
Schwieriges Jahr 2009<br />
Das kommende Jahr 2009 wird kein einfaches<br />
werden. Weder für die Weltwirtschaft,<br />
noch für die Wirtschaft in Deutschland und<br />
in Baden-Württemberg. Insbesondere der<br />
Finanzsektor steht vor Veränderungen, wie<br />
wir sie seit der Weltwirtschaftskrise nicht<br />
mehr gesehen haben. Das Kreditersatzgeschäft,<br />
das in den letzten Jahren exzessive<br />
Ausmaße angenommen hatte, hat seine<br />
Bedeutung verloren. Geschäfte ohne jeden<br />
Bezug zur Realwirtschaft werden selten<br />
werden. Reine Investmentbanken haben<br />
reihenweise ihr Geschäftsmodell aufgegeben.<br />
Der renditegetriebene angloamerikanische<br />
Finanzmarktkapitalismus existiert<br />
nicht mehr.<br />
Für die Landesbanken kann es auch kein<br />
„weiter so“ geben. Alle Träger der Landesbank<br />
Baden-Württemberg, die sich mit<br />
ihrem Geschäftsmodell bislang noch als<br />
relativ robust gezeigt hat, haben sich deshalb<br />
neben einer Kapitalstärkung, die die<br />
Kreditvergabefähigkeit der Sparkassen<br />
dabei nicht einschränken wird, für eine<br />
klare Fusionsperspektive ausgesprochen.<br />
Bundesweit streben die Sparkassen eine<br />
Konsolidierung zu zwei bis drei großen<br />
Landesbankkonzernen an. Diese muss mit<br />
einer Veränderung und Modifizierung des<br />
Geschäftsmodells verbunden sein: Weg<br />
vom Kreditersatzgeschäft und hin zu einer<br />
Spezialisierung auf das Geschäft mit dem<br />
Mittelstand komplementär zu den Sparkassen,<br />
die Begleitung des Mittelstands<br />
ins Ausland und den Ausbau der Dienstleisterfunktion<br />
für die Sparkassen. Dass<br />
damit eine Verkleinerung der Institute verbunden<br />
ist, muss man ehrlicherweise zugeben.<br />
Allerdings muss man auch davon<br />
ausgehen, dass ohne eine Konsolidierung<br />
und Veränderung des Geschäftsmodells<br />
mittelfristig noch mehr Arbeitsplätze gefährdet<br />
sind.<br />
Eine Vertikalisierung dagegen, also das<br />
Zusammengehen von Landesbanken und<br />
Sparkassen, ist wirtschaftlich unsinnig und<br />
abzulehnen. Ein Zerfall der Sparkassenstruktur<br />
und der Verlust ihrer kommunalen<br />
Anbindung wären die Folge. Die Probleme<br />
der Landesbanken müssen in den jeweiligen<br />
Häusern gelöst werden und nicht<br />
auf Kosten gesunder Sparkassen. Nur über<br />
eine horizontale Konsolidierung unter kritischer<br />
Prüfung und Reduzierung der Geschäftsvolumina<br />
sowie Anpassung der<br />
Geschäftsmodelle lassen sich die Probleme<br />
der Landesbanken lösen.<br />
Sicherungsmaßnahmen<br />
für die Zukunft<br />
Auch wenn ein Ende der Finanzmarktkrise<br />
noch nicht in Sicht ist, sollten sich der Finanzsektor<br />
und die Regierungen Gedanken<br />
darüber machen, mit welchen Maßnahmen<br />
sie zukünftige Desaster wie die<br />
derzeitige von den USA ausgelöste weltweite<br />
Finanzmarktkrise verhindern können.<br />
Bisher hat man sich lediglich auf die<br />
Behandlung der Symptome beschränkt.<br />
Zinssenkungen und Liquiditätsspritzen<br />
wirkten allenfalls kurzfristig.<br />
Im Zuge der deutlichen Verschärfung der<br />
Finanzmarktkrise nach dem Fall der US-<br />
Investmentbank Lehman Brothers wurden<br />
im Oktober weltweit staatliche Rettungspakete<br />
von den Regierungen geschnürt,<br />
auch in Deutschland, um das unter den<br />
Banken verloren gegangene Vertrauen<br />
wieder herzustellen. Dass jetzt Stimmen<br />
laut werden, die eine umfangreiche Regulierung<br />
der Finanzmärkte fordern, ist verständlich.<br />
Allerdings kann eine übertriebene<br />
Regulierung positive Entwicklungen<br />
auch behindern. Hier ist also Vorsicht und<br />
Besonnenheit geboten.<br />
Viel wichtiger ist es, dass die Kreditwirtschaft<br />
sich an ihrer Aufgabe als Dienstleister<br />
für die Realwirtschaft orientiert und nicht<br />
nur an der eigenen Gewinnmaximierung. In<br />
Deutschland haben wir mit unserem dreigliedrigen<br />
Bankensystem aus Sparkassen,<br />
Volksbanken und privaten Banken eine solch<br />
„dienende Kreditwirtschaft“. Die<br />
kommunal verankerten Sparkassen<br />
und auch die Volksbanken sichern als<br />
regionale Kreditinstitute vor Ort den<br />
Kreditbedarf des Mittelstandes und<br />
die finanzwirtschaftliche Versorgung<br />
der Bevölkerung.<br />
Die öffentlich-rechtlichen, kommunal<br />
gebundenen Sparkassen haben<br />
sich in der Finanzmarktkrise als Stabilitätsanker<br />
und Schwungrad der<br />
örtlichen Wirtschaft erwiesen. Ihr<br />
modernes Geschäftsmodell, ihre<br />
Verankerung in der Region und der<br />
Gesellschaft sind ein wesentlicher<br />
Trumpf für unser Land. Das hat die<br />
Finanzmarktkrise mehr als deutlich<br />
gezeigt. Dies gilt es zu bewahren im<br />
Interesse der Menschen und der Unternehmen.<br />
Az. 795.3<br />
40 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 A LLGEMEINER T EIL<br />
Gibt es eine „Renaissance der Städte“<br />
in Baden-Württemberg?<br />
Von Dr. Carmina Brenner *<br />
Jahrzehntelang war die Bevölkerungsentwicklung in<br />
Baden-Württemberg, aber auch in weiten Teilen Deutschlands,<br />
von Suburbanisierungsprozessen geprägt: Die Entwicklung<br />
in den Städten und verdichteten Gebieten verlief seit den 60er-<br />
Jahren deutlich schwächer als in den Umlandgemeinden und<br />
ländlichen Räumen. Seit einigen Jahren scheint sich dieses<br />
regionale Entwicklungsmuster aber geändert zu haben.<br />
Schlagzeilen wie „Triumph der Städte“, „Raus aus Suburbia,<br />
rein in die Stadt“ oder „Das Ende der Stadtflucht ist abzusehen“<br />
bestimmen zunehmend die Diskussion in Fachkreisen um<br />
die regionale Entwicklung in Deutschland.<br />
Starke regionale Unterschiede haben die<br />
Bevölkerungsentwicklung in Baden-<br />
Württemberg seit jeher gekennzeichnet.<br />
Lange Jahre wurde diese durch sehr hohe<br />
Zuwächse in den Städten und nur sehr geringe<br />
in den Umlandgemeinden geprägt.<br />
Dies galt im Prinzip bis zum Ende der<br />
50er-Jahre (vgl. Schaubild 1).<br />
Seit den 60er-Jahren erzeugte aber die<br />
Wohnungsknappheit in den Städten in Verbindung<br />
mit immer günstiger werdenden<br />
Verkehrsverbindungen und der zunehmenden<br />
Motorisierung eine von den Zentren<br />
weg gerichtete Wanderungsbewegung in<br />
das nähere Umland. Dieser als Suburbanisierung<br />
bezeichnete Prozess setzte sich<br />
auch in den folgenden Jahrzehnten fort:<br />
Knapper Baugrund, hohe Erschließungskosten<br />
und damit relativ teures Wohnen<br />
waren Gründe dafür, dass zahlreiche –<br />
überwiegend deutsche – Haushalte die<br />
Zentren verließen und in das nähere und<br />
weitere Umland zogen.<br />
In den letzten Jahren zeichnet sich aber<br />
eine erneute Trendumkehr beim Wanderungsverhalten<br />
ab: Der relative Wanderungssaldo,<br />
das heißt der Saldo bezogen<br />
auf die jeweilige Bevölkerung, war noch<br />
in jedem Jahr der zweiten Hälfte der 90er-<br />
Jahre in den Mittel- und Oberzentren im<br />
Schnitt geringer als in den Umlandgemeinden<br />
(vgl. Infokasten). Seit dem Jahr<br />
* Dr. Carmina Brenner ist Präsidentin des Statistischen<br />
Landesamtes Baden-Württemberg.<br />
2001 hat sich diese Entwicklung umgekehrt:<br />
Die Wanderungssalden lagen in den<br />
Zentren in jedem Jahr jeweils höher als in<br />
den Umlandgemeinden (vgl. Schaubild 2).<br />
Differenz zwischen Mittelzentrum<br />
und Umlandgemeinden<br />
in Promillepunkten<br />
unter -2<br />
-2 bis unter 0<br />
0 bis unter 2<br />
2 und mehr<br />
Breisach<br />
Lahr<br />
Emmendingen<br />
Freiburg<br />
Bad Krozingen/<br />
Staufen<br />
Müllheim<br />
Schliengen Schopfheim<br />
Lörrach/<br />
Weil<br />
Bad<br />
Säckingen<br />
Rheinfelden<br />
Hechingen<br />
Haslach/Hausach/<br />
Wolfach<br />
Schramberg Rottweil Balingen<br />
Albstadt<br />
Waldkirch<br />
Villingen-Schwenningen<br />
Titisee-Neustadt<br />
Waldshut-Tiengen<br />
Statistisches Landesamt Baden-Württemberg<br />
Landesinformationssystem<br />
Weinheim<br />
Buchen<br />
Mannheim<br />
Eberbach<br />
Neckargerach/<br />
Heidelberg<br />
Waldbrunn<br />
Mosbach<br />
Schwetzingen<br />
Wiesloch/ Sinsheim<br />
Walldorf<br />
Neckarsulm<br />
In den Jahren 2006 und 2007 war es sogar<br />
so, dass im Schnitt nur noch die Zentren<br />
von Wanderungsgewinnen profitiert haben;<br />
der Entwicklungsunterschied zwischen<br />
den Städten und den Umlandgemeinden<br />
hat sich damit in den letzten Jahren<br />
deutlich vergrößert.<br />
Tuttlingen<br />
Bad Saulgau<br />
Pfullendorf<br />
Bad<br />
Waldsee<br />
Stockach<br />
Leutkirch<br />
Singen<br />
Überlingen<br />
Ravensburg/<br />
Weingarten<br />
Konstanz<br />
Radolfzell<br />
Friedrichshafen<br />
Wangen<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 41<br />
Donaueschingen<br />
Sigmaringen<br />
Münsingen<br />
Wertheim<br />
Riedlingen<br />
Tauberbischofsheim<br />
Künzelsau<br />
Ehingen<br />
Bad Mergentheim<br />
Laupheim<br />
Biberach<br />
Crailsheim<br />
Bruchsal<br />
Öhringen<br />
Heilbronn<br />
Schwäbisch Hall<br />
Karlsruhe<br />
Bretten<br />
Mühlacker Bietigheim/<br />
Besigheim<br />
Vaihingen<br />
Backnang<br />
Rastatt Ettlingen Pforzheim<br />
Ludwigsburg/<br />
KornwestheimWaiblingen/<br />
Schorndorf<br />
Fellbach<br />
Schwäbisch<br />
Gmünd<br />
Bühl<br />
Baden- Bad Wildbad<br />
Baden<br />
Calw<br />
Gaggenau/<br />
Gernsbach<br />
Leonberg<br />
Stuttgart<br />
Böblingen/<br />
Sindelfingen<br />
Esslingen<br />
Göppingen<br />
Kehl Achern<br />
Nagold Herrenberg<br />
Nürtingen Kirchheim Geislingen<br />
Offenburg<br />
Freudenstadt<br />
Tübingen<br />
Reutlingen<br />
Metzingen<br />
Ulm<br />
Horb Rottenburg<br />
Blaubeuren/<br />
Laichingen<br />
Ellwangen<br />
Aalen<br />
Heidenheim<br />
61-61-08-008<br />
© Kartengrundlage GfK GeoMarketing GmbH<br />
Karte erstellt mit RegioGraph
A LLGEMEINER T EIL BWGZ 1/2009<br />
Schaubild 1<br />
Bevölkerungsentwicklung in den Mittelzentren sowie Umlandgemeinden Baden-Württembergs seit 1871<br />
Jahrdurchschnittliche Veränderung in der jeweiligen Periode in %<br />
2,5<br />
2,0<br />
1,5<br />
1,0<br />
0,5<br />
0,0<br />
-0,5<br />
Neuer Trend<br />
ist nicht flächendeckend<br />
Die gestiegene Attraktivität der Städte<br />
für Zuziehende ist zwar nicht für das gesamte<br />
Land zu beobachten. Jedoch waren<br />
die relativen Wanderungsgewinne der<br />
Mittelzentren im Zeitraum 2001 bis 2007<br />
in immerhin 63 von 99 Mittelbereichen<br />
höher als in den jeweiligen Umlandgemeinden;<br />
im Zeitraum 1995 bis 2000 waren<br />
es erst 46. 1<br />
Die Karte (S. 41) zeigt die räumliche Verteilung<br />
der Mittelbereiche in Baden-Württemberg,<br />
in denen sich die Mittelzentren<br />
zuletzt dynamischer als die Umlandgemeinden<br />
(„Reurbanisierung“) beziehungsweise<br />
die Umlandgemeinden günstiger als<br />
die Zentren entwickelt haben. Auffällig ist,<br />
dass vor allem in Süd- und Mittelbaden<br />
sowie im Nordosten des Landes ganz über-<br />
wiegend die Zentren höhere Wanderungsgewinne<br />
als die jeweiligen Umlandgemeinden<br />
erzielt haben.<br />
Verdichtungsräume gewinnen,<br />
ländliche Räume verlieren an<br />
Dynamik<br />
Eine Trendumkehr bei der Bevölkerungsentwicklung<br />
lässt sich nicht nur bei einer<br />
funktionalen Gliederung der Kommunen<br />
in Zentren und Umlandgemeinden beobachten,<br />
sondern auch bei der Unterscheidung<br />
in verdichtete und dünner besiedelte<br />
Gebiete: Noch in der zweiten Hälfte der<br />
90er-Jahre hatten die Verdichtungsräume<br />
die mit Abstand geringsten Wanderungsgewinne<br />
der Raumkategorien nach dem<br />
Landesentwicklungsplan. 2 Seit dem Jahr<br />
2001 liegen diese aber nur noch geringfügig<br />
niedriger als in den Randzonen um die<br />
Verdichtungsräume, aber erheblich über<br />
Schaubild 2<br />
Wanderungssaldo in den Mittelzentren und Umlandgemeinden Baden-Württembergs seit 1995<br />
Saldo je 1000 Einwohner<br />
8,00<br />
7,00<br />
6,00<br />
5,00<br />
4,00<br />
3,00<br />
2,00<br />
1,00<br />
0,00<br />
-1,00<br />
1871 bis 1900 1900 bis1950 1950 bis 1961 1961 bis 1970 1970 bis 1980 1980 bis 1989 1989 bis 1994 1994 bis 2000 2000 bis 2007<br />
1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007<br />
Mittelzentren<br />
Umlandgemeinden<br />
denjenigen des Ländlichen Raumes insgesamt<br />
(vgl. Schaubild 3).<br />
Schließlich wird die Trendwende im regionalen<br />
Wanderungsgeschehen auch deutlich,<br />
wenn die Kommunen nach Größenklassen<br />
betrachtet werden.<br />
Es zeigt sich, dass die Städte ihre Position<br />
im Wanderungsgeschehen im Schnitt umso<br />
stärker verbessert haben, je größer sie<br />
sind: Die durchschnittlichen jährlichen<br />
Wanderungsgewinne der Gemeinden in<br />
den sechs gebildeten Gemeindegrößenklassen<br />
mit weniger als 20.000 Einwohnern<br />
sind im Zeitraum 2001 bis 2007 gegenüber<br />
1995 bis 2000 zurückgegangen,<br />
während die Kommunen mit 20.000 und<br />
mehr Einwohnern im Schnitt ihre Wanderungsgewinne<br />
zum Teil deutlich steigern<br />
konnten und zwar um so stärker, je größer<br />
sie sind (vgl. Schaubild 4).<br />
Mittelzentren<br />
Umlandgemeinden<br />
42 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 A LLGEMEINER T EIL<br />
Reurbanisierung: determiniert von<br />
Bildungswanderung sowie …<br />
Welche Bevölkerungsgruppen haben zu<br />
dieser Trendumkehr beigetragen? Es hat<br />
sich gezeigt, dass die Verbesserung der Position<br />
der Mittelzentren im Wanderungsgeschehen<br />
ganz überwiegend auf die Altersgruppe<br />
der 15- bis unter 30-Jährigen<br />
zurückzuführen ist: 1995 bis 2000 hatten<br />
die Zentren bereits 17 Personen je 1000<br />
dieser Altersgruppe durch Wanderungen<br />
hinzugewonnen; in den Umlandgemeinden<br />
waren es nur 4 je 1000 (Schaubild 5).<br />
In den Jahren 2001 bis 2007 hat sich der<br />
Wert für die Mittelzentren auf 23 erhöht;<br />
die Umlandgemeinden haben dagegen per<br />
Saldo praktisch keine Bevölkerung mehr<br />
durch Wanderungen hinzugewonnen.<br />
Allerdings hat sich die relative Position<br />
der Zentren gegenüber der der Umlandgemeinden<br />
auch in den anderen Altersgruppen<br />
verbessert:<br />
● Bei den Kindern und Jugendlichen hat<br />
sich der geringe Wanderungsverlust der<br />
Zentren in den Jahren 1995 bis 2000 zuletzt<br />
in einen leichten Gewinn verwandelt,<br />
während der der Umlandgemeinden etwas<br />
zurückgegangen ist.<br />
● Die Wanderungsverluste bei den 30- bis<br />
65-Jährigen bezogen auf 1000 Personen<br />
dieser Altersgruppe sind in den Mittel- und<br />
Oberzentren um zwei Drittel zurückge-<br />
Schaubild 4<br />
6,5<br />
5,5<br />
4,5<br />
3,5<br />
2,5<br />
1,5<br />
0,5<br />
-0,5<br />
-1,5<br />
unter 1000 1000 -<br />
2000<br />
2000 -<br />
3000<br />
3000 -<br />
5000<br />
gangen, während sich gleichzeitig die<br />
Wanderungsgewinne der Umlandgemeinden<br />
um gut ein Fünftel verringert haben.<br />
●<br />
Schaubild 3<br />
4,0<br />
3,5<br />
3,0<br />
2,5<br />
2,0<br />
1,5<br />
1,0<br />
0,5<br />
0,0<br />
Die relativen Wanderungsverluste der<br />
Zentren bei den Älteren sind zwar um<br />
knapp ein Fünftel angestiegen; die bisherigen<br />
Wanderungsgewinne der Umlandgemeinden<br />
sind aber gleichzeitig um gut drei<br />
Viertel zurückgegangen.<br />
Damit dürfte die zu beobachtende<br />
Trendumkehr zwar stark von der bildungsinduzierten<br />
Wanderung 3 bestimmt sein,<br />
doch zeigt sich anhand der differenzierten<br />
Wanderungssalden, dass dieser neue Trend<br />
in abgeschwächter Form auch für die übrigen<br />
Altersgruppen gilt. Zumindest scheinen<br />
die Zugezogenen wohl häufiger als<br />
früher in den Zentren wohnen zu bleiben.<br />
Insofern kann tatsächlich von Reurbani-<br />
5000 -<br />
10000<br />
Wanderungssaldo in den Raumkategorien nach dem Landesentwicklungsplan<br />
Baden-Württemberg 1995 bis 2000 sowie 2001 bis 2007<br />
Durchschnittlicher jährlicher Saldo je 1000 Einwohner<br />
Verdichtungsräume Randzonen um die<br />
Verdichtungsräume<br />
Wanderungsgewinne in den Gemeinden Baden-Württembergs<br />
1995 bis 2000 sowie 2001 bis 2007<br />
nach Gemeindegrößenklassen<br />
Durchschnittlicher jährlicher Wanderungssaldo je 1000 Einwohner<br />
10000 -<br />
20000<br />
20000 -<br />
500000<br />
500000 -<br />
100000<br />
sierungstendenzen in Baden-Württemberg<br />
gesprochen werden.<br />
… von einer geänderten<br />
Einstellung zum Wohnen<br />
in der Stadt<br />
Neben der gestiegenen Bedeutung der Städte<br />
als Ausbildungsplatzzentren dürfte insbesondere<br />
eine geänderte Einstellung zum<br />
Wohnen in der Stadt ursächlich für die Reurbanisierungstendenzen<br />
sein. Nach Auffassung<br />
von Horst W. Opaschowski kommen in<br />
den Zukunftsvorstellungen der Bevölkerung<br />
Lebensqualitätswünsche zum Ausdruck, die<br />
mit den Attributen „zentral“, „nah“, „kurz“<br />
auf eine stärkere räumliche Nähe von Wohn-<br />
und Arbeitsplatz hinweisen; beim Citywohnen<br />
ließen sich Berufs- und Privatleben besser<br />
miteinander verbinden. 4<br />
100000 -<br />
250000<br />
Ländlicher Raum insgesamt<br />
250000 -<br />
500000<br />
500000<br />
und mehr<br />
1995 - 2000<br />
2001 - 2007<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 43<br />
1995 - 2000<br />
2001 - 2007
A LLGEMEINER T EIL BWGZ 1/2009<br />
Abgrenzung der Zentren von den<br />
Umlandgemeinden<br />
Um mögliche Reurbanisierungstendenzen<br />
aufzeigen zu können, wurde auf Teile des<br />
zentralörtlichen Systems des Landesentwicklungsplans<br />
Baden-Württemberg (LEP)<br />
zurückgegriffen. Dieses berücksichtigt,<br />
dass die Siedlungsstruktur neben großräumigen<br />
Dichteunterschieden vor allem<br />
durch ein System von Zentralen Orten geprägt<br />
wird, die in den Raumordnungsplänen<br />
festgelegt werden. Zentrale Orte<br />
zeichnen sich durch ein gebündeltes Angebot<br />
an Infrastruktureinrichtungen, Gütern<br />
und Dienstleistungen aus, mit dem sie<br />
über den Bedarf der eigenen Bevölkerung<br />
hinaus auch die Bevölkerung ihres jeweiligen<br />
Verflechtungsbereiches versorgen. 7<br />
So sind im LEP den 101 Mittelzentren so<br />
genannte Mittelbereiche zugeordnet, die<br />
die Einzugs- und Verflechtungsbereiche<br />
der Mittelzentren kennzeichnen. Bei der<br />
Bewertung der Reurbanisierungsprozesse<br />
wurde das jeweilige Mittelzentrum mit<br />
den übrigen Kommunen eines Mittelbereichs<br />
verglichen. Letztere werden als<br />
„Umlandgemeinden“ bezeichnet, obwohl<br />
diese zum Teil als Unter- und Kleinzentren<br />
selbst eine zentralörtliche Bedeutung für<br />
die Grundversorgung besitzen.<br />
Perspektiven<br />
der räumlichen Entwicklung<br />
Welche Entwicklung ist für die Zukunft zu<br />
erwarten? Die künftige Veränderung der<br />
altersstrukturellen Zusammensetzung der<br />
Bevölkerung könnte auf eine Abschwächung<br />
des Reurbanisierungsprozesses in<br />
Baden-Württemberg hindeuten: Zum einen<br />
wird die Altersgruppe der 15- bis<br />
30-Jährigen, von deren Zuwanderung die<br />
Zentren stark profitieren, allein bis zum<br />
Jahr 2025 landesweit um 13 Prozent zurückgehen;<br />
zum anderen wird die Zahl der<br />
Älteren, die per Saldo immer noch aus den<br />
Städten wegziehen, deutlich ansteigen –<br />
bis 2025 um etwa 30 Prozent.<br />
Ebenfalls für eine Abschwächung des Reurbanisierungsprozesses<br />
könnte sprechen,<br />
dass die Städte vor allem von Fernwanderungen<br />
profitieren, während die Abwanderung<br />
an das Umland immer noch bedeutsam<br />
ist. Für die Zukunft ist aber nur noch mit<br />
eher moderaten Wanderungsgewinnen Baden-Württembergs<br />
gegenüber den anderen<br />
Bundesländern und dem Ausland zu rechnen,<br />
so dass die „Hauptquelle Fernwanderung“<br />
weniger bedeutsam werden könnte.<br />
Auf der anderen Seite spricht jedoch einiges<br />
dafür, dass die „Renaissance der Städte“<br />
anhalten und sich möglicherweise noch<br />
verstärken wird, weil die Zentren künftig<br />
auch stärker von Stadt-Umland-Wanderungen<br />
profitieren könnten:<br />
● Wanderungsmotivuntersuchungen<br />
brachten zutage, dass die Akzeptanz der<br />
Stadt weit höher ist, als die Umlandwanderung<br />
es erscheinen lässt. Viele Umlandwanderer<br />
wären in der Stadt geblieben,<br />
wenn sie ihren Wohnflächenbedarf bei<br />
gleichen Kosten in der Stadt hätten realisieren<br />
können. 5 Das heißt, eine Wohnungsknappheit<br />
in den Zentren hatte bisher eine<br />
stärkere Zuwanderung verhindert. Langfristig<br />
wird aber die Einwohnerzahl zurückgehen,<br />
so dass der Hinderungsgrund<br />
„Wohnungsknappheit“ für eine Zuwanderung<br />
wegfallen könnte. Der Bevölkerungsrückgang<br />
könnte bereits aus diesem Grund<br />
in den Zentren schwächer ausfallen als in<br />
den Umlandgemeinden.<br />
● Bereits in der Vergangenheit<br />
wurde die Infrastruktur<br />
gerade in ländlichen<br />
Gebieten (z.B. bei<br />
Ärzten, Post, Banken,<br />
Geschäften) ausgedünnt.<br />
Der langfristige Rückgang<br />
der Bevölkerungszahl<br />
könnte diesen Prozess<br />
beschleunigen, so<br />
dass der ländliche Raum<br />
im Vergleich zu den verdichteten<br />
Gebieten an<br />
Attraktivität verlieren<br />
würde. Hinzu kommt,<br />
dass die zum Teil fehlendeBreitbandverkabelung<br />
im Ländlichen<br />
Raum als Standortnachteil<br />
empfunden wird. 6<br />
● Und schließlich könnte<br />
eine erneute Verteuerung<br />
der Spritpreise dazu<br />
führen, dass künftig verstärkt<br />
versucht wird, das<br />
arbeitsplatzbedingte<br />
Pendeln einzuschränken,<br />
das heißt möglichst nahe<br />
am Arbeitplatz zu wohnen.<br />
Da sich aber die Arbeitsplatzzentrenüberwiegend<br />
in den verdichteten<br />
Gebieten befinden,<br />
könnte dies das Wohnen in den Städten<br />
zusätzlich attraktiver machen.<br />
Fußnoten<br />
Az. 065.04<br />
1 Nicht berücksichtigt wurden die Mittelbereiche Rastatt und<br />
Horb, weil dort die Zu- und Fortzüge in den beiden Gemeinden<br />
mit einer Zentralen Aufnahmestelle für Spätaussiedler<br />
(Gemeinde Empfingen im Landkreis Freudenstadt und Stadt<br />
Rastatt im Landkreis Rastatt) bis zum Jahr 2000 nicht korrekt<br />
erfasst sind; ebenfalls nicht berücksichtigt sind die beiden<br />
Verwaltungsräume Neckargerach/Waldbrunn sowie Schliengen.<br />
2 Zur Abgrenzung der Raumkategorien vgl. Landesentwicklungsplan<br />
2002, herausgegeben vom Wirtschaftsministerium<br />
Baden-Württemberg, S. B7 ff.<br />
3 Insbesondere Standorte mit Hochschulen und beruflichen<br />
Schulen dürften profitiert haben.<br />
4 Vgl. Opaschowski, Horst W.: Zukunft findet Stadt! Abschied<br />
vom urbanen Pessimismus, in: Der Bürger im Staat, Heft<br />
3/2007, S. 192 – 197.<br />
5 Vgl. Brühl, Hasso u.. a.: Wohnen in der Innenstadt – eine<br />
Renaissance?, herausgegeben vom Deutschen Institut für Urbanistik,<br />
2005, S. 13.<br />
6 Vgl. beispielsweise die Pressemitteilung des Ministeriums für<br />
Ernährung und Ländlichen Raum Baden-Württemberg vom<br />
17.10.2007: Minister Peter Hauk MdL: „Breitbandanschlüsse<br />
sind unverzichtbar für den Ländlichen Raum".<br />
7 Vgl. hierzu ausführlicher: Landesentwicklungsbericht Baden-<br />
Württemberg 2005, herausgegeben vom Wirtschaftsministerium<br />
Baden-Württemberg, S. 96 ff.<br />
Schaubild 5<br />
Wanderungssalden der Mittelzentren und Umlandgemeinden Baden-<br />
Württembergs 1995 bis 2000 sowie 2001 bis 2007 nach ausgewählten<br />
Altersgruppen<br />
Durchschnittlicher jährlicher Saldo je 1000 der jeweiligen Bevölkerungsgruppe<br />
44 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG<br />
22,0<br />
17,0<br />
12,0<br />
7,0<br />
2,0<br />
-3,0<br />
22,0<br />
17,0<br />
12,0<br />
7,0<br />
2,0<br />
-3,0<br />
22,00<br />
17,00<br />
12,00<br />
7,00<br />
2,00<br />
-3,00<br />
22,0<br />
17,0<br />
12,0<br />
7,0<br />
2,0<br />
-3,0<br />
unter 15jährige<br />
1995-00 2001-07<br />
15- bis unter 30jährige<br />
1995-00 2001-07<br />
30- bis unter 65jährige<br />
1995-00 2001-07<br />
65jährige und Ältere<br />
1995-00 2001-07<br />
Mittelzentren<br />
Umlandgemeinden<br />
Mittelzentren<br />
Umlandgemeinden<br />
Mittelzentren<br />
Umlandgemeinden<br />
Mittelzentren<br />
Umlandgemeinden
BWGZ 1/2009 A LLGEMEINER T EIL<br />
Beschäftigung hat Vorrang<br />
Von Eva Strobel *<br />
Auch wenn das Jahr 2009 noch jung ist, so wirft es<br />
doch Schatten, zumindest was den Arbeitsmarkt angeht.<br />
Im Jahresschnitt 2008 gab es zwar in Baden-Württemberg<br />
weniger Arbeitslose und mehr Beschäftigte, doch der Job-Boom<br />
der vergangenen Jahre wird sich so im Jahr 2009 nicht<br />
fortsetzen. Die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter<br />
werden alles tun, um die Auswirkungen am Arbeitsmarkt<br />
abzufedern. Beschäftigung hat Vorrang, lautet die Botschaft.<br />
Die Angebote sind konsequent auf Prävention, Vermittlung<br />
und Qualifizierung ausgerichtet. Zudem bleibt es langfristig<br />
Aufgabe der Agenturen und Jobcenter, Fachkräfte für<br />
die Wirtschaft zu sichern und Beschäftigungsperspektiven<br />
für Langzeitarbeitslose aufzuzeigen.<br />
Im Rückblick sehen die Baden-Württemberger<br />
eine gute Wirtschaftsentwicklung im<br />
Jahr 2008. Die Arbeitslosigkeit im Südwesten<br />
hat den tiefsten Stand seit 17 Jahren erreicht,<br />
dreimal lag die Quote unter vier Prozent.<br />
Agenturen und Jobcenter haben die<br />
kräftige Konjunktur im ersten Halbjahr genutzt,<br />
um wieder mehr Menschen schneller<br />
in Arbeit zu bringen. Gegenüber 2007 dauerte<br />
Arbeitslosigkeit weniger lang, Langzeitarbeitslosigkeit<br />
konnte weiter abgebaut<br />
und die Kosten erneut reduziert werden.<br />
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat<br />
auch zum neuen Jahr die Beiträge für die<br />
Arbeitslosenversicherung von 3,3 Prozent<br />
auf 2,8 Prozent gesenkt. Das ist ein wichtiger<br />
Beitrag für mehr Investitionen und mehr<br />
Arbeitsplätze.<br />
Mit Blick nach vorne wird deutlich, dass<br />
die Finanzkrise gerade an Baden-Württemberg<br />
mit seinen exportorientierten Unternehmen<br />
nicht ohne Wirkung vorbei<br />
geht. Seit Oktober 2008 verzeichnen die<br />
Agenturen vermehrt Anzeigen für Kurzarbeit.<br />
Im November lagen für über 25.000<br />
Beschäftigte in über 700 Unternehmen<br />
Anzeigen vor. Anders als in vorigen Krisen<br />
ist die Wirtschaft jedoch dank der Reformen<br />
auf dem Arbeitsmarkt besser vorbereitet:<br />
Der Markt ist flexibler, die Vermittlung<br />
in Arbeit gelingt schneller und die<br />
Instrumente sind wirkungsvoller.<br />
* Eva Strobel ist Vorsitzende der Geschäftsführung<br />
der Regionaldirektion Baden-Württemberg der<br />
Bundesagentur für Arbeit.<br />
Die Erkenntnisse aus der Arbeitsmarkt-<br />
und Demografieforschung machen deutlich,<br />
dass es für die Prosperität Baden-<br />
Württembergs entscheidend bleibt, aktiv<br />
in die Fachkräftesicherung zu investieren.<br />
Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten<br />
braucht es angesichts der demografischen<br />
Entwicklung den langen Atem, Menschen<br />
aus- und weiterzubilden und ihre Erwerbsbeteiligung<br />
zu erhöhen.<br />
In Zukunft gibt es in Baden-Württemberg<br />
weniger junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt<br />
und dafür mehr ältere, die länger<br />
arbeiten müssen. Wenn die geburtenstarken,<br />
gut qualifizierten Jahrgänge in 20 bis<br />
30 Jahren aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden,<br />
sind die nachrückenden zu klein, um<br />
den Ersatzbedarf und erst recht einen steigenden<br />
Bedarf zu decken.<br />
Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen:<br />
Erstens, das Qualifikationsniveau von Ar-<br />
Bestand an Arbeitslosen in Tausend<br />
Baden-Württemberg<br />
Zeitreihe 2007-2008<br />
316 309<br />
253 247<br />
beitskräften und Arbeitslosen ist noch zu<br />
heben, um weitere Beschäftigungspotenziale<br />
zu eröffnen. Zweitens, die kommenden<br />
Jahrgänge müssen besser qualifiziert<br />
sein als die ausscheidenden Älteren.<br />
Agenturen begleiten die<br />
Lebensphasen Schule,<br />
Ausbildung, Weiterbildung<br />
Die Arbeitsagenturen und Jobcenter in<br />
Baden-Württemberg haben ihre Strategien<br />
konsequent an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes<br />
ausgerichtet und mit den Angeboten<br />
zu Prävention, Vermittlung, Qualifizierung,<br />
Erwerbsbeteiligung und Zuwanderung<br />
viel Zustimmung erfahren. Sie<br />
orientieren sich dabei an der Biografie der<br />
Menschen und begleiten auch 2009 die<br />
wichtigen Lebensphasen Schule, Ausbildung<br />
und Weiterbildung.<br />
2007 2008<br />
299<br />
290<br />
276<br />
266 265 271<br />
257<br />
238 234<br />
244 239 237<br />
226<br />
217 221 229 223 216 218<br />
Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 45
A LLGEMEINER T EIL BWGZ 1/2009<br />
Beim Stichwort Prävention geht es um einen<br />
möglichst reibungslosen Übergang<br />
von der Schule in den Beruf. Kerngedanke<br />
ist: Prävention statt Reparatur. Das bedeutet,<br />
die jungen Menschen sicherer in ihrer<br />
Berufswahl zu machen, sie bei der Lehrstellensuche<br />
zu unterstützen und sie bei<br />
Bedarf zu fördern, wenn es um den erfolgreichen<br />
Abschluss der Ausbildung geht.<br />
Um diese Ziele zu erreichen, gehen die<br />
Arbeitsagenturen verstärkt mit eigenem<br />
Personal in die Schulen und beteiligen sich<br />
finanziell an Maßnahmen Dritter. Mit rund<br />
30 Prozent mehr Berufsberatern haben die<br />
Arbeitsagenturen über 130 Projekte der<br />
vertieften Berufsorientierung im Land angestoßen,<br />
zum Beispiel die flächendeckende<br />
Kompetenzanalyse an Hauptschulen in<br />
Baden-Württemberg – ein gemeinsames<br />
Projekt mit dem Kultusministerium. Dabei<br />
geht es vor allem darum, rechtzeitig die<br />
Ausbildungsreife der Schülerinnen und<br />
Schüler zu verbessern.<br />
Wer Ausbildung und erste Berufsjahre hinter<br />
sich gelassen hat, trifft dann wieder auf<br />
die Agenturen, wenn der Verlust der Arbeitsstelle<br />
droht. Im vergangenen Jahr ist<br />
es in etwa 16 Prozent<br />
dieser Fälle gelungen,<br />
Kunden<br />
„Job-to-Job“ zu vermitteln.<br />
Sie sind erst<br />
gar nicht arbeitslos<br />
geworden. Das neue<br />
Geschäftssystem in<br />
den Agenturen ist<br />
am Service-Versprechen<br />
für Arbeitgeber<br />
und Arbeitsuchende<br />
ausgerichtet: Kundenzentrum,Servicecenter<br />
und Arbeitgeberservice<br />
sind Alltag vor Ort.<br />
Betriebe und Unternehmen<br />
haben mittlerweile<br />
ihren festen<br />
Ansprechpartner in<br />
den Agenturen und<br />
können auf Standards<br />
in der Vermittlung<br />
bauen.<br />
Der Arbeitgeberservice<br />
arbeitet mit auf<br />
Bestand an Arbeitslosen im Rechtskreis SGB II in Tausend<br />
Baden-Württemberg<br />
Zeitreihe 2007-2008<br />
2007 2008<br />
167 165 164 162 158 155 151 153 148<br />
142 140 138 138 142<br />
135<br />
140 139<br />
131 131 132 130 127 126<br />
Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez<br />
Bestand an Arbeitslosen im Rechtskreis SGB III in Tausend<br />
Baden-Württemberg<br />
Zeitreihe 2007-2008<br />
2007 2008<br />
149<br />
144<br />
135<br />
128<br />
119<br />
111 112 114 118<br />
107<br />
109<br />
099 096<br />
102 099 098<br />
091<br />
097<br />
085 090<br />
093 089 092<br />
Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez<br />
Branchen spezialisierten Vermittlern. Sie<br />
stimmen sich eng mit den Kollegen aus dem<br />
Arbeitnehmerteam ab, um den Matching-<br />
Prozess, also das Zusammenfinden von Arbeitgeber<br />
und Arbeitnehmer, effizienter zu<br />
machen. Um die Dienstleistungen weiter zu<br />
intensivieren, investiert die BA in zusätzliche<br />
Vermittler und Berater. Gerade in Regionen<br />
mit niedriger Arbeitslosigkeit braucht<br />
es enge Kontakte zu den Menschen, bei denen<br />
nicht nur der Arbeitsplatz fehlt, um sie<br />
in Arbeit zu bringen.<br />
Im November blieben von den 44 Stadt- und<br />
Landkreisen im Südwesten 29 unter der landesweiten<br />
Arbeitslosenquote von 3,9 Prozent.<br />
Die Kreise Emmendingen und Tuttlingen<br />
lagen bei 3,0 Prozent, die Kreise Biberach,<br />
Ravensburg sowie der Enz- und der<br />
Alb-Donau-Kreis sogar unter 3,0 Prozent.<br />
Die Arbeitsagenturen qualifizieren Menschen<br />
gezielt in den Berufsfeldern weiter,<br />
in denen ein hoher Bedarf besteht, zum<br />
Beispiel bei technischen Berufen oder bei<br />
Berufen der Spedition und Logistik sowie<br />
des Hotel- und Gaststättengewerbes. Mit<br />
ihren vielfältigen Angeboten konnten die<br />
Agenturen im Jahr 2008 über 100.000<br />
Menschen fördern.<br />
46 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 A LLGEMEINER T EIL<br />
Zudem zeigt das Programm zur „Weiterbildung<br />
geringqualifizierter und beschäftigter<br />
Älterer in Unternehmen“, kurz We-<br />
GebAU, Wirkung. Im vergangenen Jahr<br />
profitierten über 7.500 Beschäftigte von<br />
diesem Programm. 2009 stehen WeGeb-<br />
AU-Mittel zudem für die Weiterbildung<br />
von Kurzarbeitern zur Verfügung. Arbeitgeber<br />
können somit Zeit und Geld nutzen,<br />
um in die Qualifikation ihrer Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter zu investieren.<br />
Deutschland hat die bestausgebildete<br />
Frauengeneration in seiner Geschichte,<br />
doch dieses Potenzial spiegelt sich nicht in<br />
der Erwerbsbeteiligung wider. Gerade<br />
nach Familienphasen erleichtert Weiterbildung<br />
die Rückkehr ins Berufsleben. Deshalb<br />
unterstützen die Agenturen Berufsrückkehrerinnen<br />
mit Qualifizierungskursen.<br />
Außerdem informieren sie Arbeitgeber<br />
über flexible Arbeitszeiten und sind in<br />
lokalen Bündnissen beteiligt, um die Infrastruktur<br />
für Familien – wie Kinderbetreuung<br />
und öffentlicher Personennahverkehr<br />
– vor Ort zu verbessern.<br />
Auch die Zuwanderung ist ein Weg zur<br />
Gewinnung von Fachkräften. Experten<br />
machen aber immer wieder deutlich, nicht<br />
allein auf Zuwanderung zu setzen, wenn es<br />
um qualifizierte Arbeitskräfte geht. Vielmehr<br />
ist entscheidend, wie es in Baden-<br />
Württemberg gelingt, gerade auch hier lebende<br />
Migrantinnen und Migranten besser<br />
zu bilden und stärker am Erwerbsleben zu<br />
beteiligen. Agenturen und Jobcenter haben<br />
zusammen mit anderen Arbeitsmarktakteuren<br />
erste präventive Maßnahmen entwickelt:<br />
Bereits zwischen Kindergärten<br />
und Grundschulen gibt es Kooperation,<br />
hinzu kommen die bewährten Einstiegsqualifizierungen.<br />
Diese Beispiele machen deutlich: Der Arbeitsmarkt<br />
der Zukunft wird ein von Netzwerken<br />
getragener sein. Kein Akteur kann<br />
alleine die Herausforderungen annehmen.<br />
Strategische Allianzen bieten die Möglichkeit,<br />
den durch das bestehende Know-how<br />
und die vorhandenen Ressourcen beschränkten<br />
Aktionsradius zu erweitern.<br />
Besonders wichtig ist die Zusammenarbeit,<br />
wenn es darum geht, für langzeitarbeitslose<br />
Menschen Perspektiven aufzuzeigen.<br />
Der Markt allein wird ihnen nicht<br />
helfen können, öffentlich geförderte Beschäftigung<br />
hingegen schon.<br />
Az. 799.20<br />
Finanzkrise und konjunkturelle Abschwächung<br />
haben sich 2008 noch nicht am Arbeitsmarkt<br />
ausgewirkt. Im November 2008 waren mit<br />
218.000 arbeitslosen Frauen und Männern<br />
20.600 Menschen weniger ohne Job als im<br />
November 2007 (minus 8,6 Prozent). Die Zahl<br />
der Arbeitslosen lag 2007 im Jahresdurchschnitt<br />
bei 272.500. Für das abgelaufene Jahr<br />
werden durchschnittlich 228.000 Arbeitslose<br />
erwartet, das sind 16,3 Prozent weniger. Für<br />
Baden-Württemberg bedeutet dies ein Absinken<br />
der durchschnittlichen Arbeitslosenquote<br />
auf etwa 4,1 Prozent nach 4,9 Prozent im Jahr<br />
2007.<br />
Der Südwesten erreicht damit eine der niedrigsten<br />
Quoten unter den Ländern. Das zur<br />
Regionaldirektion gehörende Institut für Arbeitsmarkt-<br />
und Berufsforschung (IAB regional)<br />
geht davon aus, dass nach Abschluss der Statistik<br />
2008 im Jahresdurchschnitt 3,891 Millionen<br />
Menschen im Südwesten sozialversicherungspflichtig<br />
beschäftigt waren, das sind 1,6<br />
Prozent mehr als 2007.<br />
Auch wenn sich der Arbeitsmarkt im Jahresschnitt<br />
2008 noch besser entwickelt hat als<br />
2007, zeichnet sich bereits seit dem Sommer<br />
eine abnehmende Dynamik ab. Die Unternehmen<br />
melden den Agenturen zum einen weniger<br />
Stellen: Bis November waren es knapp<br />
28.000 weniger als im Vorjahreszeitraum (minus<br />
9,2 Prozent). Zum anderen gelingt es den<br />
Agenturen auch nicht mehr so oft, offene Stellen<br />
zu besetzen: Die Zahl nahm um rund<br />
22.000 ab (minus 7,4 Prozent).<br />
In der Arbeitslosenversicherung – also im<br />
Rechtskreis des Sozialgesetzbuches III (SGB III)<br />
– sank die Zahl der Arbeitslosen sehr deutlich:<br />
Im Vergleich zu November 2007 mit 99.000<br />
arbeitslosen Frauen und Männern auf 92.000<br />
im November 2008. Der Rückgang liegt somit<br />
bei knapp sieben Prozent. Weniger Arbeitslose,<br />
mehr Beschäftigte – das bedeutet neben<br />
Mehreinnahmen für die BA geringere Kosten,<br />
die für Arbeitslosigkeit aufgewandt werden<br />
Zahlen, Daten, Fakten<br />
müssen. Die monatlichen Ausgaben für das<br />
Arbeitslosengeld I, das den Versicherten ausbezahlt<br />
wird, lagen im November 2007 noch<br />
bei 132 Millionen Euro. Ein Jahr später sind sie<br />
auf 111 Millionen Euro zurückgegangen. Das<br />
entspricht einem Minus von 15,9 Prozent.<br />
Das Jahr 2008 hat auch für Langzeitarbeitslose<br />
Chancen auf Beschäftigung eröffnet: Im November<br />
2008 gab es in Baden-Württemberg<br />
126.000 arbeitslose Menschen in der Grundsicherung,<br />
im Vorjahr waren es 140.000. Das<br />
ist ein Rückgang um zehn Prozent. Insgesamt<br />
gehörten im November 57,7 Prozent aller arbeitslos<br />
gemeldeten Frauen und Männer im<br />
Land dem Rechtskreis des Sozialgesetzbuches<br />
II (SGB II) an. Auch die Ausgaben für das Arbeitslosengeld<br />
II sind binnen eines Jahres gesunken:<br />
79 Millionen Euro sind im November<br />
2008 gezahlt worden, im Vorjahresmonat waren<br />
es 86 Millionen Euro. Das entspricht einem<br />
Minus von acht Prozent.<br />
Ebenfalls von der guten konjunkturellen Entwicklung<br />
haben die jungen Menschen profitiert:<br />
Zum Stichtag Ende September waren von<br />
den 71.640 Jugendlichen, die über die Agenturen<br />
nach einem Ausbildungsplatz gesucht<br />
hatten, noch 449 nicht mit einem Ausbildungsplatz<br />
oder einer Alternative versorgt. Auch die<br />
Arbeitslosigkeit junger Menschen unter 25 Jahre<br />
ist 2008 nochmals deutlich gesunken. Dieser<br />
Rückgang ist neben der Konjunktur den intensiven<br />
Bemühungen der Arbeitsagenturen<br />
und Jobcenter zu verdanken. Im November<br />
2008 waren mit knapp 21.000 arbeitslosen<br />
Jugendlichen 8,4 Prozent weniger gemeldet<br />
als im Vorjahresmonat. Die Jugendarbeitslosenquote<br />
lag im November bei 3,1 Prozent.<br />
Für das Jahr 2009 prognostiziert das IAB regional<br />
einen Anstieg der Arbeitslosenzahl um<br />
16.200 auf 244.000. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig<br />
Beschäftigten wird demnach<br />
auf einem hohen Niveau stagnieren<br />
(3,894 Millionen).<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 47
A LLGEMEINER T EIL BWGZ 1/2009<br />
Das Jahr 2009 trägt die Überschrift Unsicherheit<br />
Von Dr. Dieter Hundt *<br />
Selten hat ein Jahr begonnen, für das die Aussichten<br />
über die weitere wirtschaftliche Entwicklung von so großer<br />
Ungewissheit geprägt waren wie in diesem Jahr 2009.<br />
Die weltweite Abschwächung der Wirtschaftsentwicklung<br />
hat sich im Laufe des vergangenen Jahres ständig verstärkt.<br />
Die globale Finanzmarktkrise hat die allgemeine Abwärtsentwicklung<br />
zum Ende 2008 in einer Weise beschleunigt,<br />
die kaum für möglich gehalten wurde. In einigen Wirtschaftszweigen<br />
ist die Auftrags lage teilweise dramatisch eingebrochen.<br />
Es mehren sich die Anzeichen, dass die Auswirkungen der<br />
Finanzmarktkrise auf die deutsche Wirtschaft nachhaltiger sein<br />
werden als bislang erwartet. Wir befinden uns in einer Rezession,<br />
die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit verstärkt.<br />
Auch unser Land ist von dieser besorgniserregenden<br />
Entwicklung betroffen. Wie<br />
kaum ein anderes Bundesland wird Baden-<br />
Württemberg stark von der Automobilindustrie<br />
geprägt. Hier wirkt sich die Absatzkrise<br />
bereits in vollem Umfang aus. Auch<br />
Teile des Maschinenbaus sind bereits betroffen.<br />
Die allgemeine Kaufzurückhaltung<br />
macht sich darüber hinaus im Handel<br />
bemerkbar. Wer in diesen Tagen Experten<br />
nach ihren Prognosen fragt, erntet nicht<br />
selten Schulterzucken. Von der Zuversicht,<br />
welche die Unternehmen noch vor einem<br />
halben Jahr zeigten, ist kaum etwas übrig<br />
geblieben.<br />
Nach einer aktuellen Umfrage des Instituts<br />
der deutschen Wirtschaft Köln gehen 37<br />
Prozent der Unternehmen von einem<br />
Rückgang der Produktion im Jahr 2009<br />
aus, nur 24 Prozent rechnen mit besseren<br />
Geschäften. Ein ähnliches Bild zeichnet<br />
die Umfrage bei den Investitionen: 34 Prozent<br />
der Unternehmen erwarten rückläufige<br />
Investitionen, nur 23 Prozent glauben<br />
an einen Zuwachs. Es herrscht Unsicherheit<br />
und Ungewissheit. Niemand weiß,<br />
wann die Talfahrt zu Ende sein könnte.<br />
Es gibt auch Hoffnungsschimmer<br />
Es gibt aber mehr als nur einen Hoffnungsschimmer,<br />
der mich optimistisch stimmt,<br />
* Dr. Dieter Hundt ist u.a. Präsident der Landesvereinigung<br />
Baden-Württembergischer Arbeitgeberverbände.<br />
dass wir zwar nicht unbeschadet, aber<br />
doch nicht zu sehr beschädigt durch die<br />
Rezession kommen. Unsere regionale<br />
Wirtschaft hat die drei Jahre eines außergewöhnlich<br />
robusten Aufschwungs dazu<br />
genutzt, ihre Eigenkapitalbasis zu verstärken,<br />
ihre Kostenstrukturen zu verbessern,<br />
innovativer zu werden und so ihre internationale<br />
Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.<br />
Vor diesem Hintergrund bin ich zuversichtlich,<br />
dass der kräftige Gegenwind<br />
von den Weltmärkten die baden-württembergische<br />
Wirtschaft nicht gleich aus der<br />
Bahn wirft.<br />
Der kräftige Aufschwung hat in den letzten<br />
beiden Jahren auch zu einem erfreulichen<br />
Beschäftigungszuwachs geführt. Seit April<br />
2006 hat die baden-württembergische<br />
Wirtschaft mehr als 180.000 neue Arbeitsplätze<br />
geschaffen. Diese positive Entwicklung<br />
auf dem Arbeitsmarkt wird sich bedauerlicherweise<br />
2009 nicht fortsetzen.<br />
Natürlich sind die Unternehmen sehr bemüht,<br />
Personal an Bord zu halten. Denn<br />
auch dieses Mal kommt wieder ein Aufschwung.<br />
Die Frage ist aber, wie lange die<br />
bekannten personalpolitischen Werkzeuge<br />
wie Abbau von Arbeitszeitkonten und Urlaubsansprüchen<br />
sowie Kurzarbeit ausreichen,<br />
um Personalabbau zu vermeiden.<br />
Als Zeichen der Vernunft werte ich den im<br />
November geschlossenen Tarifvertrag für<br />
die baden-württembergische Metall- und<br />
Elektroindustrie – und dies gleich unter<br />
mehreren Aspekten. Der Tarifvertrag setzt<br />
erstens für andere Branchen ein verantwortungsvolles<br />
tarifpolitisches Signal für<br />
das Jahr 2009. Die Laufzeit von 18 Monaten,<br />
die Einmalzahlungen und vor allem<br />
die betrieblichen Flexibilisierungsmöglichkeiten<br />
sind zweitens gute Instrumente<br />
aus dem Werkzeugkasten eines modernen<br />
Flächentarifs. Die Vereinbarung trägt so<br />
der unterschiedlichen wirtschaftlichen Situation<br />
vieler Unternehmen in einer sehr<br />
heterogenen Branche Rechnung. Und<br />
drittens heißt das wichtige Signal von<br />
Sindelfingen: Die Tarifautonomie funktioniert<br />
auch und gerade in wirtschaftlich<br />
schwierigen Zeiten.<br />
Stabilisierend wirkt derzeit auch die Politik.<br />
Sie hat in dieser außergewöhnlichen<br />
Lage Handlungsfähigkeit bewiesen. Das<br />
Finanzmarktstabilisierungsgesetz war<br />
richtig und wird den Finanzsektor stärken.<br />
Wichtig wird sein, dass die Banken jetzt<br />
ihre originäre Aufgabe wahrnehmen und<br />
die Wirtschaft zu marktgerechten Konditionen<br />
ausreichend mit Kapital versorgen.<br />
Alle Akteure müssen daran arbeiten, das<br />
Vertrauen in die Märkte zurückzugewinnen.<br />
Wir brauchen das Vertrauen der Bürger<br />
in das Finanzsystem genauso wie auch<br />
das Vertrauen der Banken untereinander.<br />
Unsere freiheitliche, auf Wettbewerb, Eigenverantwortung<br />
und Solidarität fußende<br />
48 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 A LLGEMEINER T EIL<br />
Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist<br />
zwingend auf Vertrauen angewiesen.<br />
Hierzu muss die Politik weiter beitragen. So<br />
richtig und wichtig der Maßnahmenkatalog<br />
der Bundesregierung ist, so wenig reicht er<br />
insgesamt aus. Darüber hinaus müssen gerade<br />
jetzt alle krisenverschärfenden bürokratischen<br />
Regelungen beseitigt werden.<br />
Ich nenne ein Beispiel: Wenn die Regierung<br />
schon nicht davon abzubringen ist, das Entsende-<br />
und Mindestarbeitsbedingungengesetz<br />
zu ändern, muss wenigstens der Tarifvorbehalt<br />
gewahrt werden. Es darf nicht<br />
sein, dass der Staat in bestehende Tarifverträge<br />
eingreift. Insgesamt gilt: Es muss alles<br />
unterlassen werden, was Unternehmen zusätzlich<br />
belastet, und alles getan werden,<br />
damit bei den Beschäftigten vom Brutto<br />
mehr netto ankommt.<br />
Vertrauen in die Soziale<br />
Marktwirtschaft schwindet – leider<br />
Wenn ich in das nun vor uns liegende Jahr<br />
blicke, dann macht mir neben der von großer<br />
Ungewissheit geprägten Situation vor<br />
allem das schwindende grundsätzliche<br />
Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in<br />
die Soziale Marktwirtschaft große Sorgen.<br />
Dieser Prozess ist schon seit einigen Jahren<br />
im Gang – und das betrübt mich sehr.<br />
Dass unser Wirtschaftssystem von der Bevölkerung<br />
ausgerechnet in einer Zeit in<br />
Frage gestellt wird, in der in einem stabilen<br />
Aufschwung rund 1,5 Millionen Menschen<br />
wieder in Lohn und Brot gebracht<br />
und damit vielen Familien in Deutschland<br />
wieder ein verlässliches Einkommen und<br />
eine sichere Lebensgrundlage geboten<br />
werden konnte, kann uns als Verantwortliche<br />
in der Wirtschaft nicht kalt lassen. Die<br />
Akzeptanz unseres Systems in weiten Teilen<br />
unserer Gesellschaft ist die Voraussetzung<br />
für den internationalen Erfolg unserer<br />
Volkswirtschaft.<br />
Ich verhehle nicht, dass auch mancher Akteur<br />
aus unseren Reihen sich nicht immer<br />
korrekt verhalten hat. Unternehmer und<br />
Manager stehen nun einmal besonders im<br />
Blickpunkt der Öffentlichkeit und haben<br />
auch deshalb eine besondere Verantwortung.<br />
Wenn aber wie in letzter Zeit nahezu<br />
die gesamte deutsche Wirtschaft für Verfehlungen<br />
einiger weniger kollektiv auf<br />
die Anklagebank gesetzt wird, dann schießen<br />
manche Kritiker<br />
nicht nur<br />
über das Ziel hinaus,<br />
sondern<br />
schaden damit<br />
dem gesamten<br />
System unserer<br />
Sozialen Marktwirtschaft.<br />
Der<br />
weitaus größte<br />
Teil der Manager<br />
und die ganz<br />
überwiegende<br />
Zahl zigtausender<br />
Unternehmer<br />
in Deutschland<br />
arbeiten verantwortungsbewusst<br />
und er-<br />
folgreich. Wäre dies anders, wäre der Beschäftigungserfolg<br />
in den abgelaufenen drei<br />
Jahren nicht möglich gewesen. Ich empfehle<br />
der an manchen Stellen recht aufgeheizten<br />
Debatte etwas mehr Gelassenheit und<br />
vor allem mehr Differenziertheit.<br />
Das derzeitige Wirtschaftssystem<br />
hat keine Alternative<br />
Ich gehe davon aus, dass wir eine gesellschafts-<br />
und wirtschaftspolitische Systemdebatte<br />
werden führen müssen. Die unsicheren<br />
Zeiten und so manche unerfreuliche<br />
Auswirkung der Rezession auf Weltmarktfähigkeit<br />
und Arbeitsplätze werden<br />
die Diskussionen an manchen Stellen<br />
möglicherweise verschärfen. Ich bin davon<br />
überzeugt, dass unser Wirtschaftssystem<br />
mit einem starken Staat, der den Ordnungsrahmen<br />
setzt, alternativlos ist. Deshalb<br />
werde ich mich mit Nachdruck dafür<br />
einsetzen, dass wir Unternehmer diese Debatte<br />
über die Soziale Marktwirtschaft<br />
sehr offensiv führen.<br />
Die Soziale Marktwirtschaft hat gerade<br />
ihren 60. Geburtstag gefeiert. Ich bin überzeugt,<br />
dass sie sich auch in den voraussichtlich<br />
vor uns liegenden Krisenzeiten<br />
einmal mehr als widerstandsfähige, zukunftsfähige<br />
und bestmögliche Wirtschaftsordnung<br />
in einer freiheitlich-demokratischen<br />
Gesellschaft erweisen wird.<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 49<br />
Az. 793.3
A LLGEMEINER T EIL BWGZ 1/2009<br />
Die wirtschaftliche Lage ist besser als die Stimmung<br />
Von Dr. Günter Baumann *<br />
Die Unternehmen in Baden-Württemberg gehen zum<br />
Jahresbeginn 2009 gut gerüstet in eine zunehmend schwierige<br />
Zeit. Die Finanzkrise hat den zyklischen Abschwung verschärft<br />
und insbesondere die Automobilindustrie mit voller Wucht<br />
erreicht. Sie trifft Händler, Zulieferer und Hersteller<br />
gleichermaßen. Die Tatsache, dass das internationale Ausmaß<br />
der Finanzmarktkrise vor Wochen und Monaten für viele<br />
nicht absehbar war, hat zu einer Verunsicherung bei Bürgern<br />
und in den Betrieben gesorgt.<br />
Meldungen über Milliardenrisiken in den<br />
Bilanzen vieler großer Geldinstitute, über<br />
teils dramatische Produktionsrückgänge<br />
und lange Werkferien über den Jahreswechsel<br />
sowie über die Krisen von Banken und<br />
Großkonzernen insbesondere in den USA<br />
haben diese Verunsicherung verstärkt.<br />
Doch die Lage ist besser als die Stimmung.<br />
Der Arbeitsmarkt ist in guter Verfassung.<br />
Die baden-württembergischen Betriebe<br />
sind international wettbewerbsfähig, ja in<br />
weiten Teilen sogar besser für raue Zeiten<br />
gerüstet als ihre Konkurrenten im Ausland.<br />
Die Eintrübung der Konjunktur verursachen<br />
großteils Bestellrückgänge aus dem<br />
Ausland. Die Impulse für den Aufschwung<br />
der letzten Jahre kamen fast ausschließlich<br />
vom Export und den Ausrüstungs-Investitionen<br />
für den exportbedingten Produktionszuwachs.<br />
Rückgänge insbesondere im<br />
Handel mit den USA und Westeuropa werden<br />
sich nicht vollständig durch steigende<br />
Exporte in andere Länder ausgleichen lassen,<br />
wenngleich es für die neuen EU-Beitrittsländer<br />
in Mittel- und Osteuropa sowie<br />
die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland,<br />
Indien und China) weiterhin positive<br />
Wachstumsprognosen gibt und diese Länder<br />
daher gute Chancen für unsere Wirtschaft<br />
bieten.<br />
Die Nachfrage im Inland wird in den kommenden<br />
Monaten nicht in die Bresche<br />
springen können. Die wachsende Verunsicherung<br />
über die weitere Konjunkturentwicklung<br />
belastet die inländische Nachfra-<br />
* Dr. Günter Baumann ist Präsident der Industrie- und<br />
Handelskammer (IHK) Region Stuttgart und Vize-Präsident des<br />
Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK).<br />
ge. Die zusätzliche Kaufkraft, die durch<br />
die vielen neu geschaffenen Arbeitsplätze<br />
generiert wurde, wird so nicht wirksam.<br />
Die Autos bleiben auf dem Hof der Händler,<br />
die Stereoanlage im Kaufhaus, das<br />
Geld auf der Bank.<br />
Der Kreditzugang ist zum Jahresanfang<br />
2009 für den Großteil der Unternehmen<br />
weitgehend intakt. Bei wenigen Unternehmen<br />
werden Kredite derzeit abgelehnt<br />
oder nicht verlängert. Dennoch zeigt sich<br />
die Finanzkrise bei den Modalitäten der<br />
Kreditvergabe. Von Kreditablehnungen<br />
sind kleine Unternehmen wegen ihrer häufig<br />
dünneren Eigenkapitaldecke stärker<br />
betroffen als der Mittelstand.<br />
Aber auch bei großen Unternehmen mit<br />
über 1.000 Beschäftigten liegt nach einer<br />
Umfrage der IHK-Organisation Ende letzten<br />
Jahres die Ablehnungsquote mit acht<br />
Prozent über dem Durchschnitt von sechs<br />
Prozent. Bei der Vergabe von großen Kreditvolumina<br />
an einzelne Großunternehmen<br />
sind einige Banken derzeit vorsichtiger.<br />
Doch gerade Großunternehmen sind<br />
aktuell stärker als bisher auf Bankkredite<br />
angewiesen, da ihre Refinanzierungsmöglichkeiten<br />
über die Kapitalmärkte derzeit<br />
eingeschränkt sind.<br />
Viele mittelständische Unternehmen mit<br />
250 bis 1000 Beschäftigten hingegen sind<br />
in punkto Finanzierung bei ihrer Hausbank<br />
sogar stärker als zuvor gefragt. Die meisten<br />
Kreditinstitute verfügen offenkundig<br />
über ausreichende Liquidität, die sie für<br />
eine Kreditvergabe an etablierte Unternehmen<br />
verwenden möchten. Zudem stehen<br />
viele Mittelständler derzeit auf einem soli-<br />
den Fundament – anders als in zurückliegenden<br />
Schwächephasen. Sie konnten ihre<br />
Eigenkapitalausstattung verbessern. Das<br />
senkt im Übrigen derzeit die Kreditabhängigkeit<br />
im Mittelstand allgemein.<br />
Mittelstand gut aufgestellt<br />
Allerdings haben sich für viele Betrieb die<br />
Finanzierungskonditionen verschlechtert.<br />
Dabei ist der Mittelstand von höheren Zinsen,<br />
erhöhten Anforderungen an Sicherheiten<br />
und umfangreicheren Dokumentationspflichten<br />
gegenüber den Geldinstituten<br />
weniger betroffen als kleine Unternehmen<br />
und Großbetriebe. Dies liefert einen Hinweis,<br />
dass der Mittelstand auch in Zeiten<br />
der Finanzmarktkrise aus Sicht von Kreditinstituten<br />
ein begehrter Kunde ist.<br />
Die Verschärfung bei den Kreditkonditionen<br />
sollte nicht dramatisiert werden. Sie<br />
ist zu einem Gutteil eine normale Reaktion<br />
in Zeiten der konjunkturellen Abkühlung.<br />
Rückläufige Auftragseingänge, die sich<br />
bereits seit mehreren Monaten abgezeichnet<br />
haben, erhöhen immer auch das Liquiditätsrisiko<br />
der kreditnehmenden Wirtschaft<br />
und damit das Ausfallrisiko von<br />
Krediten. Den eingetrübten Geschäftsperspektiven<br />
müssen die Banken derzeit<br />
Rechnung tragen. Zudem sind Banken und<br />
Sparkassen vor dem Hintergrund der<br />
50 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 A LLGEMEINER T EIL<br />
jüngsten Erfahrungen geradezu angehalten,<br />
bei ihrer Kreditvergabe stärker auf die<br />
Risiken zu achten.<br />
Banken müssen sich ordnen<br />
Geld ist und bleibt das Schmiermittel der<br />
Wirtschaft. Ein stabiles und gut funktionierendes<br />
Bankensystem ist deshalb eine<br />
wesentliche Voraussetzung für Wohlstand<br />
und Wachstum. Umso wichtiger ist es derzeit,<br />
dass die Vertrauenskrise zwischen<br />
den Banken ein Ende findet. Der Rettungsschirm<br />
für die Banken war richtig und hat<br />
eine systematische Ausbreitung der Krise<br />
verhindert. Erste Erfolge werden bereits in<br />
sinkenden Geldmarktzinsen sichtbar. Die<br />
Banken sollten ernsthaft prüfen, ob sie den<br />
Rettungsschirm in Anspruch nehmen, um<br />
damit ihrer Hauptaufgabe – der Kreditversorgung<br />
der Wirtschaft – nachzukommen.<br />
Um ihre Aufgabe zu erfüllen, brauchen die<br />
Banken Zeit, sich zu ordnen. Es kommt deshalb<br />
auch darauf an, dass die Politik mit<br />
Augenmaß reguliert. Denn Regulierungen<br />
können zwar die Qualität von Finanzprodukten<br />
verbessern und mehr Transparenz<br />
schaffen. Sie schränken jedoch Geschäftsoptionen<br />
ein und erhöhen die Finanzierungskosten<br />
für Unternehmen.<br />
Trotz der deutlichen Eintrübung bei den<br />
Geschäftsaussichten, aber auch bei den Investitionsplänen<br />
sollte nicht vorschnell auf<br />
eine ausgeprägte Wirtschaftskrise geschlossen<br />
werden. Die gesunkenen Investitionsabsichten<br />
drücken vor allem die<br />
tiefe Unsicherheit über Dauer und Ausmaß<br />
der Finanzmarktkrise aus. Sollte sich der<br />
Nebel der Finanzmarktkrise lichten – die<br />
Politik hat notwendige Maßnahmen zur<br />
Stabilisierung der Finanzmärkte ergriffen<br />
– werden viele der binnen weniger Wochen<br />
auf Eis gelegten Investitionsvorhaben<br />
wieder angegangen. Die gesunkenen<br />
Leitzinsen liefern die Voraussetzung für<br />
wieder günstigere Kreditzinsen.<br />
Steigende Wettbewerbsfähigkeit<br />
Hilfreich für die baden-württembergischen<br />
Unternehmen, mit Blick auf sich mittelfristig<br />
wieder bietende höheren Absatzchancen<br />
im Ausland, ist der sich fortschreitende<br />
Prozess der steigenden Wettbewerbsfähigkeit.<br />
Die zumindest zwischenzeitlich<br />
maßvolle Lohnentwicklung<br />
entlastet deutsche Anbieter im Ausland ge-<br />
nauso wie die wieder günstigere Wechselkursentwicklung.<br />
Zudem nehmen die<br />
deutlich gesunkenen Energie- und Rohstoffpreise<br />
Kostendruck von den Unternehmen.<br />
Dies schafft über eine sinkende<br />
Inflationsrate auch höhere Konsumspielräume<br />
für private Verbraucher, ebenso wie<br />
die zuletzt äußerst positive Arbeitsmarktentwicklung.<br />
Dass die Finanzmarktkrise – auch bei einem<br />
schnellen Überwinden der Krise –<br />
langfristig negative Auswirkungen auf die<br />
Wirtschaft und Wohlstand haben kann,<br />
sollten sich alle Ebenen der Politik vor Augen<br />
führen. Denn nicht wenige politische<br />
Akteure zweifeln an der Funktionsfähigkeit<br />
der gesamten Marktwirtschaft oder<br />
reden sie bewusst schlecht. Angesichts der<br />
Vielzahl negativer Schlagzeilen im Zusammenhang<br />
mit der Finanzmarktkrise<br />
werden die Erfolge der deutschen Wirtschaft,<br />
die deutlich gestiegene internationale<br />
Wettbewerbsfähigkeit sowie der niedrigste<br />
Stand der Arbeitslosigkeit seit 16<br />
Jahren, nahezu vergessen.<br />
Forderungen nach überzogenen Eingriffen<br />
des Staates in die Wirtschaft – pauschale<br />
Begrenzung von Gehältern, Verstaatlichung<br />
von Banken<br />
oder Schlüsselindustrien<br />
– beschädigen<br />
das Vertrauen in<br />
die Grundprinzipien<br />
der Sozialen Marktwirtschaft:<br />
Freiheit,<br />
Verantwortung und<br />
sozialen Ausgleich.<br />
Diese Grundfeste<br />
dürfen nicht durch<br />
vermeintlich einfache<br />
Lösungsansätze<br />
verspielt werden.<br />
Auch die Politik<br />
muss deshalb zu einer<br />
Versachlichung<br />
der Debatten beitragen.<br />
Vielmehr ist die Politik<br />
gefordert, die<br />
Wachstumsbremsen<br />
in Deutschland zu<br />
lösen – zum Beispiel<br />
durch mehr „Netto<br />
vom Brutto“ mit einem<br />
Vorziehen der<br />
steuerlichen Absetz-<br />
barkeit der Krankenversicherungsbeiträge<br />
sowie mit einer Anpassung der Einkommensbesteuerung<br />
an die Preissteigerungen.<br />
Die Absenkung der vor zwei Jahren<br />
übermäßig erhöhten Mehrwertsteuer wäre<br />
ein weiterer notwendiger Baustein dafür,<br />
die Verbraucher zu entlasten und Spielräume<br />
für den Konsum zu schaffen.<br />
Darüber hinaus sind zur Stärkung der<br />
Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Unternehmen<br />
investitionsfördernde Nachbesserungen<br />
bei der Unternehmenssteuerreform,<br />
eine familienunternehmerfreundliche<br />
Erbschaftsbesteuerung sowie mehr<br />
Spielräume bei Kündigungsschutz und<br />
Befristung dringend vonnöten. Der lange<br />
Aufschwung der letzten Jahre zeigt den<br />
Erfolg struktureller Reformen eindrucksvoll<br />
auf.<br />
Wenn die Politik mit einem klaren Bekenntnis<br />
zur sozialen Marktwirtschaft, mit<br />
mutigen Strukturreformen und Haushaltsdisziplin<br />
in die Bundestagswahl geht und<br />
ihren Worten dann auch Taten folgen lässt,<br />
stehen die Chancen gut, dass wir die Wirtschaftskrise,<br />
die uns 2009 droht, rasch<br />
überwinden.<br />
Az. 793.2; 793.3<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 51
A LLGEMEINER T EIL BWGZ 1/2009<br />
Handwerk als Partner der Kommunen<br />
Von Joachim Möhrle *<br />
Zum Jahresbeginn 2008 hat sich die Weltwirtschaft noch<br />
in robuster Verfassung präsentiert. Seit vergangenen Herbst<br />
befindet sie sich im Abschwung. Dies ist vor allem eine Folge<br />
der Finanzkrise, die nach der Finanzwirtschaft längst auch die<br />
Realwirtschaft bedroht. Auch das Handwerk in Baden-<br />
Württemberg mit seinen 130.000 Betrieben und 750.000<br />
Mitarbeitern ist mit einem Rückgang des privaten Konsums und<br />
einer spürbar verlangsamten Investitionsnachfrage konfrontiert.<br />
Angesichts der hohen Dynamik der derzeitigen<br />
Situation fallen Prognosen für die<br />
konjunkturelle Entwicklung naturgemäß<br />
schwer. Die Entwicklung in den konsumnahen<br />
Handwerken in Baden-Württemberg<br />
ist schlecht und droht sich angesichts<br />
der Turbulenzen sowie der Vermögensverluste<br />
weiter zu verlangsamen. Die Konsumenten<br />
werden ihr Geld noch stärker als<br />
bisher zusammenhalten.<br />
Zudem wird die Nachfrage nach Investitionen<br />
sowohl aus dem In- wie aus dem<br />
Ausland nachlassen. Entsprechend können<br />
die handwerklichen Zulieferer und Dienstleister<br />
der Industrie nicht mehr wie bisher<br />
ihre Wirkung als Lokomotive für die<br />
Handwerkskonjunktur entfalten. Wenn der<br />
bisher schon schwache Konsum der Privatkundschaft<br />
weiter zurückgeht, dann<br />
trifft das zahlreiche Handwerke ganz direkt<br />
– vom Autohaus über den Friseur bis<br />
zum Konditor. Die besonders gefährdeten<br />
handwerklichen Schlüsselbranchen Kfz<br />
und Bau sind jetzt auf Wachstumsimpulse<br />
durch die Bundesregierung angewiesen.<br />
Abgefedert durch den guten Start ins Jahr<br />
2008 konnten wir das Beschäftigungsniveau<br />
halten und einen leichten nominalen<br />
Umsatzzuwachs erzielen. Das neue Jahr jedoch<br />
wird unsere Handwerksbetriebe vor<br />
eine erhebliche Belastungsprobe stellen.<br />
Unser Ziel ist es, 2009 im baden-württembergischen<br />
Handwerk das nominale Umsatzniveau<br />
und auch die Beschäftigung<br />
weiter zu halten. Realistisch aber ist es, bei<br />
der rapiden Verschlechterung der Lage auf<br />
* Joachim Möhrle ist Präsident<br />
des Baden-Württembergischen Handwerkstages.<br />
den globalen Märkten mit einem deutlichen<br />
Minus bei den Umsätzen zu rechnen.<br />
Rahmenbedingungen<br />
müssen stimmen<br />
Das Handwerk hat die Substanz, auch in<br />
wirtschaftlich sehr schwierigen Zeiten bestehen<br />
zu können. Aber wir brauchen Förderung<br />
und Unterstützung bei den Rahmenbedingungen<br />
– vor allem da, wo aufgrund<br />
zu hoher Belastungen die Konjunktur<br />
besonders lahmt. Das erste<br />
Konjunkturpaket der Bundesregierung hat<br />
ja bereits den richtigen Weg gewiesen. Es<br />
setzt auf Investitionsimpulse.<br />
Bund, Länder und Kommunen sollten zügig<br />
ihre vergabereifen Infrastrukturinvestitionen<br />
auf den Weg bringen. Zusätzliche<br />
Mittel sind erforderlich für Programme<br />
zum Stadtumbau und für Kindergärten,<br />
Kindertagesstätten und Schulen, die vielerorts<br />
dringend modernisiert und energetisch<br />
saniert werden müssen. Eine schnelle<br />
Vergaberechtsreform mit dem Grundsatz<br />
der Fach- und Teillosvergabe wird dafür<br />
sorgen, dass diese Investitionen auch den<br />
Mittelstand erreichen. Die für energetische<br />
Gebäudesanierungen vorgesehenen Förderprogramme<br />
müssen – über die bereits<br />
vorgesehene Mittelaufstockung hinaus –<br />
weiter verstärkt werden.<br />
Die Verdoppelung der Absetzbarkeit von<br />
Handwerkerrechnungen von der Steuerschuld<br />
auf nun 1.200 Euro (20 Prozent von<br />
6.000 Euro Arbeitsleistung) ist richtig. Der<br />
private Konsum braucht Anschub. Das<br />
kann aber nur gelingen, wenn wir den<br />
Menschen mehr Netto vom Brutto belassen.<br />
Die mittleren Einkommen von der<br />
„kalten Progression“ zu entlasten muss<br />
ganz vorne stehen.<br />
Kleine Betriebe<br />
mit großen Problemen<br />
Dass der sprichwörtlich goldene Boden<br />
des Handwerks auch in Baden-Württemberg<br />
an Glanz verloren hat, zeichnete sich<br />
schon im vergangenen Jahr ab. Der Aufschwung<br />
setzte sich zwar fort, allerdings<br />
auf gedämpftem Niveau. Verstärkt in den<br />
Vordergrund trat dabei eine Polarisierung<br />
des wirtschaftlichen Erfolgs der Handwerksbetriebe<br />
in Abhängigkeit von ihrer<br />
Betriebsgröße. Mittlere und große Handwerksunternehmen<br />
konnten am Aufschwung<br />
partizipieren, während die kleinen<br />
Betriebe mit bis zu zehn Beschäftigten<br />
– sie bilden mit mehr als 80 Prozent den<br />
Löwenanteil – die positive Entwicklung<br />
nicht nachvollziehen konnten. Sie sind<br />
kaum in der Lage, in einer außerordentlich<br />
wettbewerbsintensiven und zunehmend<br />
internationalisierten Konkurrenz ihre Betriebsergebnisse<br />
nachhaltig zu sichern.<br />
Das Handwerk ist wie kaum ein anderer<br />
Wirtschaftsbereich davon abhängig, ausbildungswillige<br />
und lernbegierige junge<br />
Menschen zu qualifizierten Handwerkern<br />
heranzubilden. Handwerksbetriebe leisten<br />
traditionell einen überproportionalen Beitrag<br />
zur Qualifikation der Arbeitnehmer.<br />
Und traditionell haben sie immer auch<br />
schon für den Bedarf anderer mit ausgebildet.<br />
Handwerksbetriebe stellen ein Drittel<br />
aller Ausbildungsplätze zur Verfügung.<br />
Mit rund 23.000 neu abgeschlossenen<br />
Ausbildungsverträgen konnte das baden-<br />
52 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 A LLGEMEINER T EIL<br />
württembergische Handwerk seine hohe<br />
Ausbildungsleistung halten.<br />
Das Ausbildungspotenzial unserer Betriebe<br />
liegt allerdings deutlich höher. Schon in der<br />
Vergangenheit konnten viele Handwerksbetriebe<br />
ihre offenen Ausbildungsplätze<br />
nicht besetzen, obwohl auf dem Markt eine<br />
Überschussnachfrage nach Lehrstellen<br />
herrschte. Aufgrund des Mangels an qualifizierten<br />
Bewerbern konnten etwa 8.000<br />
Lehrstellen nicht besetzt werden.<br />
Gemeinsam nachhaltig<br />
wirtschaften<br />
Handwerk ist die kommunalste aller Wirtschaftsformen:<br />
Unternehmer aus dem lokalen<br />
Umfeld erbringen mit Mitarbeitern aus<br />
eben diesem Umfeld Leistungen für diese<br />
Region. Nicht ohne Grund sind Handwerksmeister<br />
mit ihrer Rollenvielfalt als Unternehmer,<br />
Steuerzahler, Kunde, Bürger, und<br />
Familienoberhaupt mit die wichtigsten Träger<br />
unserer kommunalen Selbstverwaltung.<br />
Diese breite und tief verwurzelte Partnerschaft<br />
will der Baden-Württembergische<br />
Handwerkstag auch in Zukunft in enger<br />
Partnerschaft zwischen Handwerk und den<br />
Kommunen fortschreiben.<br />
Gemeinsam Einfluss nehmen können wir<br />
zum Beispiel auf dem Feld der nachhaltigen,<br />
effizienten und Ressourcen schonenden<br />
Energiewirtschaft. Dabei gibt es drei<br />
Problempakete: die Kostenreduktion bei<br />
der Bewirtschaftung öffentlicher Liegenschaften,<br />
der Aktivierung des großen Potenzials<br />
privater Gebäude und das Feld der<br />
Gebührenpolitik und Konzessionsangebote.<br />
Der Faktor Energieeffizienz gewinnt im<br />
Haushalt einer Kommune einen immer<br />
größeren Stellenwert: Energiekosten erweisen<br />
sich als wachsende Belastung. Im<br />
Durchschnitt gehen beispielsweise allein<br />
30 Prozent der Stromkosten auf das Konto<br />
der Straßenbeleuchtung.<br />
In Fragen der Energieeffizienz haben die<br />
Betriebe des baden-württembergischen<br />
Handwerks bereits in der Vergangenheit<br />
Pionierleistungen erbracht. Sie verbessern<br />
ihre branchenübergreifenden Kompetenzen<br />
in energietechnischen und energiewirtschaftlichen<br />
Fragen fortlaufend. Damit<br />
trägt das Handwerk nicht nur in erheblichem<br />
Maße zum Klimaschutz bei, sondern<br />
hilft gerade auch den Kommunen ihr<br />
Einsparpotenzial zu nutzen. Seit 1999 ha-<br />
ben zum Beispiel Energiesparcheckberater<br />
aus dem Handwerk fast 35.000 vom Umweltministerium<br />
finanziell geförderte<br />
Energieberatungen durchgeführt. Die Ausbildung<br />
zum Gebäudeenergieberater haben<br />
zwischenzeitlich mehr als 700 der<br />
Energiecheckberater absolviert und sind<br />
damit berechtigt, sowohl den Energiesparcheck<br />
als auch den Energieausweis auszustellen.<br />
Gemeinsam mit den Kommunen und anderen<br />
Verantwortlichen unterstützt der<br />
Handwerkstag das Aktionsbündnis „Flächen<br />
gewinnen“. Zum einen sind die Innenentwicklung<br />
der Kommunen und die<br />
Bauwirtschaft zwei Komponenten, die unabdingbar<br />
zusammenhängen. Zum anderen<br />
kann nur mit der Sicherung und Weiterentwicklung<br />
wohnortnaher Arbeitsplatz-<br />
und Dienstleitungsangebote und mit<br />
Siedlungen der kurzen Wege eine Ressourcen<br />
schonende und nachhaltige Siedlungsgestaltung<br />
auf Dauer sichergestellt<br />
werden.<br />
Die Besinnung auf die Chancen der Innenentwicklung<br />
bedeutet auch eine Besinnung<br />
darauf, wie wir die gebaute Stadt für die<br />
gelebte Gemeinschaft in unserem Alltag<br />
nutzen wollen. Das Handwerk, das mit seinen<br />
Betrieben früher ganz selbstverständlich<br />
in den Innenstädten angesiedelt war,<br />
wanderte in die Randlagen ab. Zwischenzeitlich<br />
zeichnet sich zwar eine Tendenz<br />
zu einer teilweisen Rückkehr ins Zentrum<br />
und in ein Umfeld des gemischten Wohnens<br />
ab. Konflikte durch stärkere Verdichtung<br />
und des zunehmenden Problems der<br />
Lärm- oder Geruchsbelastung bleiben dabei<br />
aber nicht aus und sind oft ungeklärt.<br />
Die Handwerksorganisationen<br />
im<br />
Land schalten<br />
sich hier vermittelnd<br />
ein<br />
und engagieren<br />
sich für eine<br />
bessere Informationbeider<br />
Seiten. Wir<br />
stehen hier für<br />
die Kommunen<br />
jederzeit<br />
als Ansprechpartner<br />
zur<br />
Verfügung.<br />
Eine große Herausforderung kommt auf<br />
das Handwerk mit der flächendeckenden<br />
Einführung der elektronischen Vergabe im<br />
Land zu. In der staatlichen Vermögens-<br />
und Hochbauverwaltung, in der Straßenbauverwaltung<br />
sowie im Logistikzentrum<br />
Baden-Württemberg sind die Weichen<br />
schon gestellt. Bei allen anderen Vergabestellen<br />
des Landes und bei den Kommunen<br />
wird das E-Verfahren in naher Zukunft<br />
Einzug halten. Der Handwerkstag hat sich<br />
für ein stufenweises Verfahren eingesetzt,<br />
um auch die kleinen Betriebe mitzunehmen.<br />
Die Einführung eines vollelektronischen<br />
Verfahrens bis hin zu digitalen Angebotsabgabe<br />
braucht seine Zeit. Der Papierweg<br />
sollte deshalb noch möglichst<br />
lange parallel offen bleiben. Der Handwerkstag<br />
hat seine Informationskampagne<br />
intensiviert und bei Veranstaltungen im<br />
vergangenen Jahr schon mehr als 450 Betriebe<br />
aus den Bau-, Ausbau- und anlagentechnischen<br />
Handwerken erreicht.<br />
Um noch einmal zum Anfang zurückzukommen:<br />
Bei allen weltwirtschaftlichen<br />
Turbulenzen bin ich sicher, dass Handwerksunternehmer<br />
selten den Boden unter<br />
den Füßen verlieren. Sie schaffen keine<br />
virtuellen Werte, sondern arbeiten in der<br />
Realität. Handwerksmeister leben ihre<br />
Verantwortung für die Familie, ihre Mitarbeiter<br />
und ihre Region. Kleine und mittlere<br />
Betriebe, in denen verantwortungsvoll<br />
gewirtschaftet wird, die nachhaltige Wertschöpfung<br />
mit verständlichen Produkten<br />
und Dienstleistungen erzielen, bilden das<br />
Fundament unserer Wirtschaft und Gesellschaft.<br />
Gerade in Baden-Württemberg.<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 53<br />
Az. 793.1
G EMEINDEPORTRÄT BWGZ 1/2009<br />
Im Jahr 1258 zum ersten Mal urkundlich erwähnt<br />
An Mönchweiler führt kein Weg vorbei<br />
Von Wilfried Heupel *<br />
Im Jahr 1258 wurde Mönchweiler erstmals urkundlich<br />
erwähnt. Doch der Ort ist wesentlich älter und dürfte bereits<br />
um das Jahr 800 n. Chr. gegründet worden sein. Für die rund<br />
3200 Einwohner zählende Gemeinde also Anlass genug, im Jahr<br />
2008 das seltene Jubiläum „750 Jahre Ersterwähnung“ ausgiebig<br />
zu feiern und sich der ereignisreichen Geschichte in etlichen<br />
informativen und unterhaltsamen Veranstaltungen zu erinnern.<br />
Denn das Dorf war schon vor rund 1000 Jahren für die Zähringer<br />
bei der Erschließung des mittleren Schwarzwaldes bedeutend.<br />
Und auch heute gilt für die aktive Gemeinde im Schwarzwald-<br />
Baar-Kreis: An Mönchweiler führt kein Weg vorbei.<br />
In nomini domini amen. Erhabenes Kirchenlatein<br />
ziert jene denkwürdige Verkaufsurkunde,<br />
die zwar mit Mönchweiler<br />
wenig zu tun hat, gleichwohl für den Ort<br />
von enormer Bedeutung ist. Es geht darin<br />
um den Verkauf eines Hofes des Klosters<br />
Salem an das Kloster Rottenmünster, bei<br />
dem als Zeuge ein Plebanus de Mvnechewilar<br />
genannt wird. Datiert ist das überaus<br />
wertvolle Dokument, das sich im Original<br />
im Hauptstaatsarchiv Stuttgart befindet,<br />
mit dem 6. März 1258. Das also ist das<br />
historisch belegte Datum der Ersterwähnung<br />
Mönchweilers – der papierne Beleg<br />
für die Existenz eines Weilers mit damals<br />
etwa 170 bis 200 Bewohnern.<br />
Dass Mönchweiler wesentlich älter ist, ergibt<br />
sich aus der Tatsache, dass der Plebanus<br />
de Mvnechewilar als offensichtlich<br />
vertrauenswürdige Person bei etlichen<br />
wichtigen Verkäufen als Zeuge benannt<br />
wurde. Die Bedeutung des Kaufzeugen<br />
spricht für die Bedeutung des namentlich<br />
erwähnten Ortes. Es ist deshalb davon auszugehen,<br />
dass die Anfänge Mönchweilers<br />
lange vor der urkundlichen Erstnennung<br />
im Jahre 1258 liegen. Dabei dürfte die Lage<br />
des Ortes und die Erschließung des<br />
Schwarzwaldes unter den Zähringern für<br />
die Entstehung Mvnechewilars von großer<br />
Bedeutung gewesen sein.<br />
* Der Autor ist freier Journalist.<br />
Exponierte Verkehrslage<br />
Die exponierte Verkehrslage Mönchweilers<br />
und die daraus resultierende Bedeutung<br />
des Ortes ergab sich aus der erklärten<br />
Absicht der Zähringer, den Schwarzwald<br />
bis hinunter ins Kinzigtal zu erschließen.<br />
Deshalb unterstützten sie 1084 den Bau<br />
des Reformklosters St. Georgen. Bischof<br />
Gebhard von Konstanz hat das Kloster<br />
nicht nur geweiht, er hat es auch gefördert.<br />
Gebhard wiederum war ein Bruder des<br />
Herzogs Berthold von Zähringen, der die<br />
junge Klostergründung von Villingen aus<br />
schützte.<br />
Die im Zähringer Städtenetz wichtige Position<br />
kann ein Beleg dafür sein, dass<br />
Mönchweiler als kleine Ansiedlung aus<br />
sich selbst heraus entstanden und mit den<br />
Entschließungsabsichten der Zähringer<br />
weiter gewachsen ist. Wenn man die relativ<br />
günstige Entwicklung auf der Baar zwi-<br />
schen dem 11. und frühen 13. Jahrhundert,<br />
auch bedingt durch die in unserer Region<br />
stabilisierende politische Großwetterlage<br />
unter den Sachsen-, Salier- und Staufer-<br />
Kaisern, berücksichtigt und die unmittelbare<br />
Zeit vor der Erstnennung im Jahr<br />
1258 sorgfältig einordnet, dann steht<br />
Mönchweiler mehr für ein zwar langsam,<br />
aber organisch gewachsenes selbständiges<br />
Gebilde. Weniger für eine Gründung von<br />
St. Georgen aus.<br />
Der Kontakt zu den Benediktinern des<br />
Klosters St. Georgen bestand dergestalt,<br />
dass Teile Mönchweilers im Laufe der Zeit<br />
nach und nach durch Kauf oder Übergabe<br />
erworben wurden, was darauf schließen<br />
lässt, dass Mvnechewilar nicht erst vom<br />
Kloster gegründet wurde.<br />
Am Anfang waren Mönche<br />
Wie ist es eigentlich entstanden, das Dorf<br />
Mönchweiler, und warum heißt es so? Am<br />
Anfang waren Mönche – davon ist auszugehen.<br />
Woher sie kamen, ist schwer zu<br />
sagen. Aber dass es jene waren, die es mit<br />
„Ora et labora“ (bete und arbeite) des Heiligen<br />
Benedikt sehr ernst nahmen, dürfte<br />
klar sein. Es ist anzunehmen, dass sie von<br />
der Insel Reichenau kamen.<br />
Eine sehr plausible und seriöse Erklärung<br />
zur Entstehungsgeschichte des Ortes hat<br />
Johann Dietrich Pechmann erforscht: Um<br />
das Jahr 800 n. Chr. , wahrscheinlich noch<br />
früher, spätestens aber kurz vor dem Jahr<br />
Idylle ja –<br />
verschlafen nein:<br />
Mönchweiler<br />
hat sich<br />
insbesondere<br />
als „Mediendorf“<br />
profitiert.<br />
54 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 G EMEINDEPORTRÄT<br />
Klassisches Bauernhaus –<br />
Tradition und Fortschritt sind kein Widerspruch.<br />
1000, gründeten Mönche eine kleine Cella<br />
an der Reichsstraße zwischen Villingen<br />
und Hornberg. Bald siedelten die Patres<br />
einige Bauern in ihrer Nähe an. Wäre es<br />
nur ein Bauer gewesen, würde das Dorf<br />
heute Mönchhof heißen. Es waren indes<br />
mehr als ein Hof, aber weniger als sieben<br />
Höfe, um den Begriff Weiler zu erfüllen.<br />
Daher also Mönchweiler. Aller Wahrscheinlichkeit<br />
nach stand also die Wiege<br />
des Ortes nicht im Inner-, sondern im<br />
Außerdorf.<br />
Bis 999 n. Chr. gab es keine nennenswerten<br />
Veränderungen. Mit der Verleihung des<br />
Marktrechts an den Herzog Berthold von<br />
Zähringen durch Kaiser Otto III. änderte<br />
sich die Situation grundlegend. Die Zähringer<br />
mussten dafür sorgen, dass die nach<br />
Villingen führenden Verkehrsverbindungen<br />
für Käufer und Verkäufer sicher waren.<br />
Straßen wurden ausgebaut und teilweise<br />
ebenso neue angelegt. Damit beauftragte<br />
der Herzog seine Vasallen – für Mönchweiler<br />
aller Wahrscheinlichkeit nach ein Mitglied<br />
der Familie Stählin. Dieser namentlich<br />
nicht bekannte Herr legte die Straße<br />
entlang der jetzigen Hindenburg- und<br />
Herdstraße neu an und sperrte den Weg im<br />
Bereich der Antoniuskirche mit einer kleinen<br />
Befestigungsanlage, dem später so<br />
genannten Bürgle. Das wiederum bestand<br />
damals aus einem Haus, einem Turm –<br />
dem heutigen Kirchturm – und einem<br />
rundum laufenden Wassergraben, der<br />
eventuell noch mit einer Holzpalisade ausgestattet<br />
war. Der Turm diente als Aus-<br />
sichtsturm zur Straßenkontrolle und als<br />
Aufbewahrungsort für den Straßenzoll.<br />
Um das Bürgle herum wurden neue Bauernhöfe<br />
angelegt und die im Außendorf<br />
bestehenden eingegliedert. Den Namen<br />
übernahm die so vergrößerte Siedlung von<br />
dem schon bestehenden Weiler.<br />
Die Reformation und ihre Folgen<br />
Die 1517 ausgelöste Reformation hatte<br />
tiefgreifende religiöse, konfessionelle, soziale<br />
und gesellschaftliche Folgen. Der<br />
Umbruch kündigte sich schon einige Jahre<br />
später auch in den Gebieten um Mönchweiler<br />
durch aufständische Bauern an, deren<br />
ursprüngliche Absichten, sich von den<br />
Zwängen ihrer weltlichen und kirchlichen<br />
„Besitzer“ zu befreien, immer mehr ausuferten<br />
und schließlich zu chaotischen Zuständen<br />
führten. Die äußerten sich 1525 in<br />
ungezügelten Gewaltausbrüchen „derer<br />
von Villingen, die gen Minchwiller“ zogen<br />
und „ferbrandt das torff uff den boden hinweck“<br />
(Hugsche Chronik).<br />
Der Bauernaufstand war aus recht unterschiedlichen<br />
Gründen schon bald Episode<br />
– die Reformation nicht. Sie erfasste weite<br />
Landesteile, die zum jeweiligen Spielball<br />
der katholischen oder reformatorischen<br />
Landesherren wurden. Die Konfession der<br />
Untertanen bestimmte die Obrigkeit: cuius<br />
regio – eius religio! Eine Wahl hatten sie<br />
nicht. So gerieten sie in der hiesigen Region<br />
zwischen die Interessen der katholischen<br />
Habsburger und der evangelischen<br />
Württemberger. Mönchweiler lag quasi<br />
mittendrin im hochherrschaftlichen Interessengetümmel.<br />
In den Jahren nach 1534, als Herzog Ulrich<br />
von Württemberg wieder eingesetzt<br />
wurde und die Reformation nach besten<br />
Kräften förderte, begann eine wechselvolle<br />
Geschichte: Das Kloster St. Georgen<br />
wurde zwischendurch evangelisch, 1548<br />
wieder katholisch.<br />
In all diesen Jahrzehnten und noch dazu<br />
über die anstehende Jahrhundertwende hinaus<br />
herrschte unablässig der Schwarze Tod.<br />
Die Pest war ein ständiger Begleiter und<br />
wütete im Oktober des Jahres 1613 besonders<br />
heftig. Auch deshalb, weil sich der<br />
30jährige Krieg ankündigte, der vordergründig<br />
ein Religionskrieg sein sollte, tatsächlich<br />
aber vor allem den Machtinteressen<br />
europäischer Herrscherhäuser diente.<br />
Mönchweiler hatte unter den Schrecken<br />
des Krieges arg zu leiden. Vor allem die<br />
Bevölkerung war es, die größten Tribut zu<br />
zahlen hatte, weil der Sold der Soldateska<br />
vor allem aus dem geraubten Gut bestand.<br />
Am 22. Februar 1633 – also im ärgsten<br />
Winter – wurde Mönchweiler total eingeäschert.<br />
Der lange Weg in die Gegenwart<br />
Die historische Entwicklung Mönchweilers<br />
ist eng mit der frühen Entstehung eines<br />
Pfarrsprengels vor rund 800 Jahren,<br />
dem Bau der Antonius-Kirche und der äußerst<br />
wechselvollen Geschichte der Kirchengemeinde<br />
verbunden. Das war in den<br />
zurückliegenden Jahrhunderten ein ganz<br />
natürliches, weil lebensnotwendiges Miteinander<br />
der Bürgerinnen und Bürger.<br />
Evangelische Kirche im Ortskern<br />
Auch den heutigen Mittelpunkt des Dorfes<br />
markieren – zumindest symbolisch – das<br />
Wahrzeichen Mönchweilers, eben der erhabene<br />
Kirchenbau, und das gegenüberliegende<br />
Rathaus. Der Kirchturm in der erhaltenen<br />
Form und der gotische Chor wurden<br />
1511 gebaut. Der romanische Vorgängerbau<br />
ist nicht datiert. Und dort, wo sich<br />
seit vielen Jahrzehnten das Rathaus befindet,<br />
dürfte einer der ältesten Teile<br />
Mönchweilers anzusiedeln sein. Vor etwa<br />
800 Jahren befand sich dort eine so genannte<br />
Motte. Solche Motten waren kleine<br />
Burganlagen auf zumeist künstlich aufgeschütteten<br />
Erdhügeln.<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 55
G EMEINDEPORTRÄT BWGZ 1/2009<br />
Heute ist Mönchweiler ein anschauliches<br />
Beispiel dafür, dass die Größe einer Gemeinde<br />
nicht allein entscheidend ist. Vor etwa vier<br />
Jahrzehnten, in den turbulenten Zeiten der<br />
Gemeindereform, wehrte sich der Ort erfolgreich<br />
gegen die Begehrlichkeiten des großen<br />
Nachbarn Villingen-Schwenningen. Denn<br />
Mönchweiler erfreut sich alles in allem einer<br />
gesunden kommunalen Finanzstruktur, was<br />
natürlich nicht zuletzt damit zu tun hat, dass<br />
die über Jahrhunderte prägenden agrarwirtschaftlichen<br />
Entwicklungsphasen zunächst<br />
zaghaft von gewerblichen und dann – drängender<br />
– von industriellen abgelöst wurden.<br />
Die Gestaltungsmöglichkeiten sind jetzt natürlich<br />
ungleich größer als zu früheren Zeiten.<br />
Größe allein aber kann kein Ziel sein –<br />
die Inhalte sind wichtig. Infrastrukturell und<br />
ohne zusätzliche Investitionen könnte<br />
Mönchweiler den Zuzug von 1000 Menschen<br />
verkraften. Doch von solchen Zuwächsen<br />
nur zu träumen, verbietet sich von<br />
selbst. Wenn die jetzige Einwohnerzahl von<br />
rund 3200 schon um zwei, drei Prozent steigen<br />
würde, läge man über dem aktuellen<br />
Trend. Entwickeln lässt sich die Gemeinde<br />
finanziell wie nominal nur über eine moderate<br />
Expansion, welche die Erträge wie aus<br />
der Gewerbesteuer und aus dem Verkauf von<br />
Grundstücken an gewerbliche und private<br />
Interessenten ermöglichen. Ergo: Erweiterung<br />
eines attraktiven Gewerbegebietes und<br />
Ansiedlung neuer Bürger durch Ausweisung<br />
neuer Baugebiete.<br />
Der heutzutage oft beklagten Anonymität<br />
und Individualisierung steht in Mönchweiler<br />
die engagierte Nachbarschaftshilfe – verbunden<br />
mit einem erheblichen Maß an freiwilligen<br />
Leistungen der Bürger – gegenüber. Diese<br />
Spielräume des gemeinsamen Gestaltens<br />
ergeben sich für aktive und interessierte Bewohner<br />
aus dem Grundrecht der Mitsprache<br />
und des Einmischens. Ein teures und hart<br />
erkämpftes Gut! Im März 1808 beispielsweise<br />
begehrten hiesige Taglöhner „ein gantz<br />
gleiches Bürgerrecht“ wie die Bauern. Wegen<br />
der ungleichen Verteilung der Almendfelder<br />
war es zu erheblichen Spannungen<br />
gekommen. 40 Jahre später kam es – unter<br />
anderem von Konstanz aus – allgemeiner<br />
demokratischer Rechte wegen zur ersten und<br />
einzigen Revolution in Deutschland.<br />
Klein, aber fein. Das ist Mönchweiler. Und<br />
zwar mit einer kommunalen Selbstverwaltung,<br />
die stets zu wirtschaften verstand. Im<br />
Vergleich mit Kommunen, die quasi ums finanzielle<br />
Überleben ringen, steht die Gemeinde<br />
mit dem allgegenwärtigen Mönch im<br />
Wappen gut da.<br />
Mönchweiler als<br />
Wirtschaftsstandort<br />
Aus der einstmals landwirtschaftlich orientierten<br />
Gemeinde ist ein überregionaler Gewerbe-<br />
und Industriestandort geworden. Das<br />
heißt für nicht wenige Bewohner Arbeit unmittelbar<br />
vor Ort. Zwar rangieren die größeren<br />
Nachbarstädte Villingen-Schwenningen<br />
und St. Georgen in Sachen „Arbeitsplatz“<br />
zwangsläufig vor Mönchweiler, doch sind<br />
hier immerhin cirka 1200 Arbeitsplätze in<br />
ungefähr 170 Betrieben vorhanden. Ein Industriebesatz,<br />
um den Mönchweiler von anderen<br />
Kommunen beneidet wird.<br />
Mönchweiler ist ein Wirtschaftsstandort, der<br />
seine speziellen Vorzüge hat. Lokal ist nämlich<br />
ebenso global! Und zwar immer dann,<br />
wenn man die Weltwirtschaft nicht aus den<br />
Augen verliert. Ein sicherer Standort hat seine<br />
Vorzüge gegenüber den Unwägbarkeiten<br />
eines weniger tauglichen. Das beginnt mit<br />
gewissenhaften und gut ausgebildeten Arbeitskräften,<br />
führt über die infrastrukturellen<br />
Gegebenheiten und endet keineswegs mit<br />
der hier vorhandenen Anbindung ans weite<br />
Verkehrsnetz der Bundesstraße und Bundesautobahn.<br />
Denn zusätzliche Faktoren des<br />
hiesigen Standortvorteils sind die kommunalen<br />
Anstrengungen für eine breite gewerbliche<br />
elektronische Ausstattung, beispielsweise<br />
mit dem rasanten medialen Datenverkehr<br />
über Kabelautobahnen und den unbedingt<br />
dazu gehörenden, weil erforderlichen Anschlussmöglichkeiten.<br />
„Mediendorf“ Mönchweiler<br />
Immerhin genießt Mönchweiler auch die vom<br />
Land Baden-Württemberg geförderte Anerkennung,<br />
ein Mediendorf zu sein. Die Vorreiterrolle<br />
Mönchweilers auf diesem Sektor ist<br />
nicht zu übersehen, wenn man sich vor Ort<br />
den Umgang mit den virtuellen Medien ansieht.<br />
Als bundesweit einmaliger kostenloser<br />
Service erhielten schon vor etlichen Jahren<br />
Bürger, Vereine und Organisationen auf Antrag<br />
neben ihrer postalischen Anschrift noch<br />
eine eigene kommunale E-Mail-Adresse.<br />
Wirtschaftsministerium) sehr eng zusammenarbeiten.<br />
Die Absicht ist klar: Kleinere Gemeinden<br />
sollen durch die Informations- und Kommunikationstechniken<br />
gestärkt werden und die<br />
gleichen IT-Voraussetzungen wie städtische<br />
Konglomerate erhalten. Natürlich dienen die<br />
Absichten ebenso der zusätzlichen Stärkung<br />
ortsansässiger Unternehmen, die natürlich<br />
auch in diesem Bereich den Anschluss nicht<br />
verpassen wollen. Auch private User sollen<br />
von der schnelleren Datenübermittlung profitieren.<br />
Und im eigens etablierten Internet-<br />
Café machen Schülerinnen und Schüler der<br />
hiesigen Grund- und Hauptschule interessierte<br />
Senioren mit den Finessen des neuen<br />
Mediums vertraut. Auf die Gefahren des Internets<br />
wird ebenfalls sukzessive aufmerksam<br />
gemacht.<br />
An drei Wochenenden im Mai des Jubiläumsjahres<br />
herrschte buntes Treiben in<br />
Mönchweiler. Vereine und Organisationen<br />
des Dorfes hatten sich zu dem großen Fest<br />
ebenso eingebracht wie Kindergärten, Schule<br />
und Kirchengemeinden. Mit von der Partie<br />
war in einer eigenen Schau ebenso das heimische<br />
Gewerbe. Den Höhepunkt der Festlichkeiten<br />
bildete zweifellos der historische<br />
Umzug, dem am Abend zuvor ein Galaabend<br />
in der Alemannenhalle vorausgegangen war:<br />
Denn neben dem „750-jährigen“ galt es, das<br />
„25-jährige“ mit der französischen Partnerstadt<br />
Chabeuil zu feiern.<br />
Bürgermeister Friedrich Scheerer hat die<br />
auch auf diese Weise angestrebte Stärkung<br />
des ländlichen Raumes zur Chefsache erklärt.<br />
Und zwar nicht nur auf lokaler Ebene.<br />
Er ist Vorsitzender der Clearingstelle „Neue<br />
Medien im Ländlichen Raum“, in der die<br />
Landesanstalt für Kommunikation, der Gemeindetag<br />
Baden-Württemberg, die Akademie<br />
Ländlicher Raum, der Arbeitskreis Mediendörfer<br />
und die zuständigen Landesministerien<br />
(Ministerium Ländlicher Raum und Die Jugend hat ihren Spaß in Mönchweiler.<br />
56 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 R ECHTSPRECHUNG<br />
Verkündung einer Landschaftsschutzgebietsverordnung durch ein gemeindliches<br />
Amtsblatt – Bedeutung für die Bekanntmachung von Satzungen<br />
Leitsätze:<br />
1. Ein gemeindliches Amtsblatt, das an die Haushalte in einer ihrer<br />
Zahl entsprechenden Auflage kostenlos verteilt wird und bei in Einzelfällen<br />
fehlgeschlagener, aber zweckmäßig organisierter und<br />
überwachter Verteilung bei den Verwaltungsstellen der Gemeinde<br />
abgeholt werden kann, erfüllt seine Verkündungsfunktion und Bekanntmachungsfunktion.<br />
2. Bei Abgrenzung eines Landschaftsschutzgebiets möglichst den<br />
Flurstücksgrenzen zu folgen, ist ein der Klarheit und Genauigkeit<br />
der Verordnung dienendes und daher sachgerechtes Kriterium.<br />
VGH Baden-Württemberg, Normenkontrollurteil vom 18.4.2008, 5 S 2076/06<br />
Sachverhalt:<br />
Die Beteiligten streiten über die Gültigkeit der Verordnung der Antragsgegnerin<br />
(Stadtkreis) als Untere Naturschutzbehörde über das Landschaftsschutzgebiet<br />
„R-Sch“. Der Antragsteller ist Eigentümer eines<br />
Grundstücks im Gebiet der Landschaftsschutzgebietsverordnung.<br />
Aus den Gründen:<br />
Der Normenkontrollantrag hat keinen Erfolg.<br />
Gegen seine Zulässigkeit bestehen keine Bedenken. Insbesondere ist der<br />
Antragsteller antragsbefugt (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Das in seinem<br />
Eigentum stehende Wohngrundstück liegt großenteils im Geltungsbereich<br />
der Verordnung, die es ansonsten nicht bestehenden belastenden<br />
Regelungen unterwirft (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG).<br />
Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Die Verordnung wurde ordnungsgemäß<br />
verkündet (dazu unten 1.). Auch erfolgte die Bekanntmachung<br />
der Auslegung des Entwurfs rechtsfehlerfrei (2.). Soweit der Antragsteller<br />
materiell-rechtliche Mängel rügt, geschieht dies zu Unrecht (3.).<br />
Das Amtsblatt der Stadt wird seiner Verkündungs- bzw.<br />
Bekanntmachungsfunktion gerecht<br />
1. Gemäß Art. 63 Abs. 2 Landesverfassung (LV) werden Rechtsverordnungen<br />
von der Stelle, die sie erlässt, ausgefertigt und im Gesetzblatt<br />
verkündet, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Eine anderweitige<br />
Regelung enthält das Verkündungsgesetz. Nach dessen § 6 Abs.1<br />
Nr. 1 werden Rechtsverordnungen anderer als der in § 2 genannten<br />
Stellen, zu denen die Antragsgegnerin als untere Verwaltungsbehörde<br />
nicht gehört, in den Stadtkreisen in der für die öffentliche Bekanntmachung<br />
von Satzungen dieser Körperschaft bestimmten Form verkündet.<br />
Nach der Bekanntmachungssatzung der Antragsgegnerin vom 25.6.1991<br />
i.d.F. der Satzung vom 15.6.1999 und vom 25.11.2003 erfolgen öffentliche<br />
Bekanntmachungen der Antragsgegnerin – von hier nicht in Betracht<br />
kommenden Ausnahmen abgesehen – durch Einrücken in das<br />
Amtsblatt der Stadt F.<br />
Entgegen der Meinung des Antragstellers wird das Amtsblatt der Antragsgegnerin<br />
seiner Verkündungs- bzw. Bekanntmachungsfunktion<br />
gerecht. Die Verkündung der Verordnung in der Ausgabe vom 29.4.2006<br />
scheiterte insbesondere nicht an einer zu geringen Höhe der Auflage.<br />
Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist es unter den Beteiligten<br />
unstreitig, dass die Auflage im Jahre 2006 104.000 Exemplare<br />
betrug. Die Zahl von 92.000 Exemplaren, von welcher der Antragsteller<br />
zunächst ausging, stammt aus den in den Jahren 1988 und 1990 unterzeichneten<br />
Vereinbarungen der Antragsgegnerin mit dem Verlag, lag<br />
aber wegen der Absicht der Antragsgegnerin, das Amtsblatt „haushalts-<br />
deckend“ zur Verteilung zu bringen, seit dem Jahre 2003 bei 104.000.<br />
Diese Zahl erscheint selbst dann ausreichend, wenn man das Ziel einer<br />
haushaltsdeckenden Versorgung, das die Antragsgegnerin nach dem<br />
Vorbringen ihrer Vertreterin in der mündlichen Verhandlung fortwährend<br />
verfolgt, als Maßstab nimmt.<br />
Der Antragsteller hat dies mit der Begründung bestritten, in F. seien<br />
130.000 Wohnungen vorhanden. Er entnimmt die Zahl einem Artikel der<br />
B.-Zeitung vom 18.7.2007, wo auf eine entsprechende Angabe des Instituts<br />
für empirische Marktanalysen (EMA-Institut), das den Mietspiegel<br />
der Stadt F. erstellt, hingewiesen wird. Indes hat die Antragsgegnerin<br />
dargelegt, dass diese Wohnungszahl statistisch nicht belegbar sei. Das<br />
EMA-Institut habe für seinen Mietspiegel Erfahrungswerte aus anderen<br />
Städten herangezogen und zu der Bevölkerungszahl ins Verhältnis gesetzt.<br />
Die Angabe für F. sei nicht recherchiert, sondern lediglich aus<br />
bekannten Erfahrungswerten interpoliert worden. Die Wohnungszahl<br />
selbst spiele bei der Mietspiegelbildung keine Rolle und habe deshalb<br />
auch nicht näher belegt werden müssen.<br />
Diesen unter Beweis gestellten Angaben ist der Antragsteller weder<br />
schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung substantiiert entgegengetreten.<br />
Im Übrigen verweist die Antragsgegnerin auf eine Angabe<br />
der Wohnungszahl in Höhe von 102.876 im Statistischen Jahrbuch 2007<br />
der Stadt F., die auf der Gebäudedatei beruhe und die baulich vorhandenen<br />
Wohnungen ohne Leerstände benenne, sowie auf die Angaben des<br />
Statistischen Landesamts für 2006, das die Zahl von 102.660 Wohnungen<br />
anführe.<br />
Indes darf die Zahl der Wohnungen nicht mit derjenigen der Haushalte<br />
gleichgesetzt werden, auf welche die Antragsgegnerin ihr Amtsblatt<br />
verteilt wissen will. Sie geht von knapp 93.000 Haushalten im Stadtgebiet<br />
aus, während das Statistische Jahrbuch die Zahl auf 113.406 für das<br />
Jahr 2007 ausweist, was die Antragsgegnerin selbst einräumt. Jedoch<br />
hält sie diese auf den Anmeldungen bei der Meldebehörde basierende<br />
Zahl nicht für zuverlässig, weil Einzelpersonen, die sich nicht gleichzeitig<br />
unter derselben Adresse anmelden, als mehrere Ein-Personen-Haushalte<br />
geführt würden. Dies hält der Senat für durchaus einleuchtend,<br />
wenn man die Wohngemeinschaften von Studierenden berücksichtigt,<br />
deren Zahl in einer Hochschulstadt wie F. vergleichsweise hoch einzuschätzen<br />
ist, was auch der Antragsteller nicht bestreitet.<br />
Dass die von der Antragsgegnerin zugrunde gelegte Zahl von zirka<br />
93.000 Haushalten zuverlässig ist, wird durch die Gebührenkalkulation<br />
der Abfallwirtschaft und Stadtreinigung F. GmbH zur Überzeugung des<br />
Senats belegt. Die Antragsgegnerin hat sich bereits in ihrem Schriftsatz<br />
vom 6.8.2007 unter Darlegung der Zahlen im Einzelnen darauf gestützt<br />
und sie in der mündlichen Verhandlung weiter erläutert. Danach setzt<br />
sich die von den Haushalten zu entrichtende Abfallgebühr aus einer<br />
Haushaltsgebühr und einer Behältergebühr zusammen. Die der Berechnung<br />
der Behältergebühr zugrunde liegende Zahl der Müllgefäße kann<br />
keinen geeigneten Maßstab für die Bestimmung der Haushalte abgeben,<br />
weil bis zu drei Gefäße pro Haushalt verwendet werden.<br />
Anders verhält es sich jedoch bei der Ermittlung der Haushaltsgebühr.<br />
Die Erörterung in der mündlichen Verhandlung hat erbracht, dass die<br />
genannte Haushaltszahl bereits die Entsorgungsgemeinschaften berücksichtigt.<br />
Die angegebene Summe von 92.810 Haushalten, die ihrerseits<br />
nach der Personenzahl aufgeschlüsselt ist, erscheint danach tragfähig.<br />
Zwar handelt es sich lediglich um eine Prognose für die Jahre 2006 bis<br />
2008, auf deren Grundlage die Gebührenhöhe kalkuliert wird. Daraus<br />
möglicherweise resultierende Ungenauigkeiten sind in dem hier relevanten<br />
Zusammenhang, in dem es um die Bestimmung der haushaltsdeckenden<br />
Auflagenhöhe des Amtsblatts geht, vernachlässigbar, weil diese<br />
mit 104.000 Exemplaren ohnehin deutlich höher liegt, auch wenn<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 57
R ECHTSPRECHUNG BWGZ 1/2009<br />
man die bei den Verwaltungsstellen auszulegenden Exemplare abzieht.<br />
Über allgemein gehaltene Bedenken hinaus hat der Antragsteller diese<br />
Feststellungen nicht in Zweifel gezogen. Weitere Ermittlungen hält der<br />
Senat daher nicht für angezeigt.<br />
Kann mithin davon ausgegangen werden, dass 104.000 Exemplare des<br />
Amtsblatts vom Verlag ausgeliefert werden und zirka 93.000 Haushalte<br />
im Stadtgebiet vorhanden sind, so hat die Antragsgegnerin ihrer Verpflichtung<br />
insoweit genügt. Dies gilt selbst dann, wenn man der in der<br />
mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung des Antragstellers folgen<br />
will, dass die in den Vereinbarungen mit dem Verlag und im Impressum<br />
geäußerte Absicht, haushaltsdeckend zu verteilen, auch rechtlich<br />
bindend wirkt, obwohl weder die Bekanntmachungssatzung der Antragsgegnerin<br />
noch § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 DVO GemO dies vorgeben.<br />
Des Weiteren ist nicht ersichtlich, dass die Organisation der Verteilung<br />
des Amtsblatts bereits „strukturelle Mängel“ aufweist, wie der Antragsteller<br />
meint. Nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Antragsgegnerin<br />
erfolgt die Verteilung über die Verteilerorganisation des „Stadtkurier“<br />
des gleichen Verlags, dürfe diesem jedoch nicht beigelegt werden.<br />
Der Vertrieb werde vom Verlag mit fest angestellten eigenen Zustellern<br />
durchgeführt; es würden regelmäßige Kontrollen und Stichproben über<br />
die flächendeckende Zustellung vorgenommen. Nach Darlegung der<br />
Vertreterin der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung des<br />
Senats sei abgesprochen, dass die Verteilung des Amtsblatts an diejenigen<br />
Haushalte nicht unterbleiben dürfe, die keine Werbebroschüren<br />
wünschten. Das Amtsblatt werde nicht als Werbung angesehen. Lediglich<br />
gleichzeitig zur Verteilung vorgesehenes Werbematerial werde in<br />
solchen Fällen nicht in Briefkästen eingeworfen. Die insoweit gegen die<br />
Ordnungsmäßigkeit der Verteilung erhobenen, allgemein gehaltenen<br />
Bedenken des Antragstellers sind mithin entkräftet.<br />
In Einzelfällen misslungene Zustellungen des Amtsblatts<br />
führen nicht zu einem Wegfall dessen Verkündungs- bzw.<br />
Bekanntmachungsfunktion<br />
Dass der Antragsteller in der Vergangenheit das Amtsblatt nicht erhalten<br />
hat, wie er geltend macht, und dass die Zustellung an andere Haushalte<br />
in Einzelfällen ebenfalls misslungen sein mag, was auch die Antragsgegnerin<br />
nicht ausschließen will, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn<br />
gleichwohl ist es jedem interessierten Einwohner und Bürger jederzeit<br />
mit hinnehmbarem Aufwand möglich, das Amtsblatt, das ihn im Einzelfall<br />
nicht erreicht hat, zu erhalten.<br />
So wird im Impressum des Amtsblatts darauf hingewiesen, dass die<br />
aktuelle Ausgabe auch an den Pforten der Rathäuser und in den Ortsverwaltungen<br />
ausliege. Im Regelfall wird es dem Interessierten zumutbar<br />
sein, sich dort mit dem Amtsblatt zu versorgen, das er zudem kostenlos<br />
erhält. Er stellt sich damit nicht schlechter als derjenige, der eine Zeitung<br />
abonnieren oder kaufen muss, die entsprechend § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2<br />
DVO GemO als zulässiges Bekanntmachungsorgan von einer Gemeinde<br />
gewählt werden darf.<br />
Zusätzlich werden im Impressum mehrere Durchwahlnummern des<br />
Presse- und Informationsamts der Antragsgegnerin genannt, wo die<br />
mangelnde Zustellung beanstandet und im Einzelfall die Zusendung<br />
verlangt werden kann, die nach der unbestrittenen Erklärung des in der<br />
mündlichen Verhandlung des Senats anwesenden Leiters des betreffenden<br />
Amts auch ohne weiteres erfolgt. Schließlich ist es dem interessierten<br />
Bürger, der über die Abhol- und Zusendemöglichkeit nicht informiert<br />
ist und sich mangels Zugang des Amtsblatts nicht anhand des<br />
Impressums informieren kann, zuzumuten, sich auf geeignete Weise<br />
über die Bezugsmöglichkeit beispielsweise telefonisch oder über das<br />
Internetportal der Antragsgegnerin zu erkundigen. Wachsamkeit und<br />
angemessene eigene Bemühungen nehmen den interessierten Bürger<br />
nicht über Gebühr in Anspruch und dürfen durchaus verlangt werden.<br />
Angesichts dieser Umstände und Feststellungen über Auflage, Verteilung,<br />
Abholmöglichkeit und im Einzelfall auf Anforderung erfolgende<br />
Übersendung des Amtsblatts wird dieses zweifelsfrei den unter rechtsstaatlichen<br />
Gesichtspunkten an ein Verkündungsorgan zu stellenden<br />
Anforderungen gerecht. Wie das Bundesverwaltungsgericht (zuletzt) in<br />
seinem Beschluss vom 19.10.2006 (9 B 7.06 – juris) unter Verweis auf<br />
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22.11.1983 (2 BvL 25/81<br />
– BVerfGE 65, 283) unter dem Aspekt des Rechtsstaatsprinzips ausgeführt<br />
hat, seien Rechtsnormen so zu verkünden (bekannt zu machen),<br />
dass die Betroffenen sich vom Erlass und vom Inhalt der Rechtsnorm<br />
verlässlich Kenntnis verschaffen könnten und dass diese Möglichkeit<br />
der Kenntnisnahme nicht in unzumutbarer Weise erschwert sein dürfe.<br />
In Anlehnung an das Urteil vom 13.12.1985 (8 C 66.84 – NVwZ 1986,<br />
925, 827) hat es ergänzt, dass bei einer Bekanntmachung von kommunalem<br />
Satzungsrecht in einer Zeitung dem Rechtsstaatsprinzip schon<br />
dann genüge getan sei, wenn die Zeitung von interessierten Bürgern<br />
erworben werden könne. Sie müsse nicht in einer Auflage erscheinen,<br />
die der Zahl der potenziellen Rechtsbetroffenen (auch nur annäherungsweise)<br />
entspreche. Es liege vielmehr auf der Hand, dass eine Auflagenstärke<br />
ausreichend sei, die sich an dem mutmaßlichen Bedarf und Erwerbsinteresse<br />
der Rechtsbetroffenen orientiere. In einer Gemeinde mit<br />
12.000 Einwohnern hat das Gericht eine Auflage von 600 Exemplaren<br />
als ausreichend angesehen. Staatsrechtlich, im Zusammenhang mit der<br />
Verkündung von Gesetzen, wird in Rechtsprechung und Literatur vom<br />
Prinzip der formellen Publizität gesprochen, die nur die Möglichkeit der<br />
Kenntnisnahme gewährleistet und diese durch Abdruck im Gesetzblatt<br />
sicherstellt (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 21.6.1990 – 12 RK 27/88 –,<br />
NVwZ-RR 1991, 646).<br />
Die verbale Umschreibung des Schutzgebiets und die<br />
veröffentlichte Karte genügen den rechtlichen Anforderungen<br />
2. Soweit der Antragsteller überdies den Text, mit dem die Auslegung<br />
des Verordnungsentwurfs im Amtsblatt vom 05.3.2006 bekannt gemacht<br />
wurde, beanstandet, folgt ihm der Senat ebenfalls nicht. Schon mit der<br />
verbalen Umschreibung des beabsichtigten Schutzgebiets als „Westund<br />
Südhänge des R. und Sch.“ dürfte für die meisten potenziell betroffenen<br />
Eigentümer von Grundstücken in F. oder sonst Interessierten hinreichend<br />
klar sein, welche Gebiete in Betracht zu ziehen sind. Der „Sch.“<br />
ist jedem einigermaßen mit den örtlichen Verhältnissen vertrauten Bürger<br />
bekannt. Dies dürfte auch in weiten Kreisen der Bevölkerung für den<br />
„R.“ zutreffen, der nicht zuletzt durch die dort errichteten und umstrittenen<br />
Windenergieanlagen in jüngerer Zeit in die öffentliche Diskussion<br />
gelangt ist.<br />
Keinem Zweifel unterliegt die Erfüllung der Anstoßfunktion bei Beachtung<br />
nicht nur der verbalen Kennzeichnung des geplanten Schutzgebiets,<br />
sondern auch der Karte, die dem Bekanntmachungstext im Amtsblatt<br />
beigefügt war. In der – für diesen Zweck naturgemäß großmaßstäblichen<br />
– Karte sind die betroffenen Stadtteile „W.“, „O.“, „H.“ (wo der<br />
Antragsteller wohnt) und „Z.“ ebenso wie der „R.“ bezeichnet, außerdem<br />
das potenzielle Landschaftsschutzgebiet in roter Farbe eingetragen.<br />
Dieser Inhalt der Bekanntmachung, jedenfalls in seiner Gesamtheit, ist<br />
geeignet, den erforderlichen „Anstoß“ zu geben. Der Antragsteller missversteht<br />
deren Aufgabe, wenn er meint, sie müsse die exakte Kenntnis<br />
des in Aussicht genommenen Schutzgebiets und seiner Grenzen vermitteln.<br />
Es genügt, wenn dadurch das Informations- und Beteiligungsinteresse<br />
des interessierten oder betroffenen Bürgers geweckt wird. Es ist<br />
dann dessen Obliegenheit, sich durch Einsicht in die offen gelegten<br />
Pläne und Texte im Einzelnen zu unterrichten (so die ständige Rechtsprechung,<br />
z.B. BVerwG, Beschluss vom 17.12.2004 – 4 BN 48.04 –<br />
juris m.w.N. und Beschluss des erk. Senats vom 5.11.2001 – 5 S 1006/00<br />
– NVwZ-RR 2002, 571). Deshalb ist die Behauptung des Antragstellers<br />
58 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 R ECHTSPRECHUNG<br />
unerheblich, er habe der Karte im Amtsblatt vom 5.3.2006 nicht entnehmen<br />
können, ob sein Grundstück betroffen ist.<br />
Auch gegen die Grenzziehung für das Landschaftsschutzgebiet<br />
bestehen keine Einwände<br />
3. Schließlich ist die vom Antragsteller (erst) in der mündlichen Verhandlung<br />
gerügte und mit den Beteiligten erörterte Bestimmung der<br />
Grenze des Landschaftsschutzgebiets im Bereich seines Grundstücks<br />
von Rechts wegen nicht zu beanstanden.<br />
Rechtsgrundlage der angegriffenen Verordnung ist § 29 NatSchG in der<br />
seit dem 1.1.2006 geltenden Fassung. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift<br />
können Gebiete, in denen ein besonderer Schutz der Natur und<br />
Landschaft erforderlich ist, um der in der Nr. 1 bis Nr. 4 genannten Ziele<br />
willen zu Landschaftsschutzgebieten erklärt werden. Der Verordnung<br />
muss eine § 2 Abs. 3 NatSchG genügende Abwägung zugrunde liegen,<br />
und sie darf nicht gegen anderes höherrangiges Recht – insbesondere<br />
Art. 14 GG – verstoßen (ständige Rechtsprechung des Senats, siehe<br />
zuletzt Urteil vom 4.5.2006 – 5 S 564/05 – NuR 2006, 790 und vom<br />
15.4.2004 – 5 S 1137/03 – NuR 2004, 674).<br />
Die angegriffene Verordnung konkretisiert in § 3 Abs. 1 und Abs. 2 den<br />
Schutzzweck. Weder hinsichtlich der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit<br />
des Gebiets in seiner Gesamtheit noch unter anderen allgemeinen<br />
Gesichtspunkten erhebt der Antragsteller gegen die Gültigkeit<br />
der Verordnung Bedenken. Er beanstandet lediglich die Grenzziehung<br />
im Bereich seines Grundstücks. Er hält es für angezeigt, die Grenze um<br />
zirka 15 Meter weiter nach Norden zu verschieben und damit einen<br />
größeren Anteil seines Grundstücks vom Landschaftsschutz auszunehmen.<br />
Hinreichende naturschutzfachliche Gesichtspunkte hat er hierfür nicht<br />
genannt. Er hat in der mündlichen Verhandlung des Senats auf entsprechende<br />
Frage nur geltend gemacht, dass etwa im Bereich der Westgrenze<br />
seines Grundstücks der Südhang sich nach Westen wende, was auch<br />
am Straßenverlauf erkennbar sei. Damit weist er aber nicht auf einen<br />
Umstand hin, der in der Abwägung über die Bestimmung des Grenzverlaufs<br />
als relevant zu betrachten ist. Insbesondere stellt er damit die<br />
Schutzwürdigkeit des betreffenden Grundstücksteils nicht in Frage, beruft<br />
sich sinngemäß allenfalls darauf, dass nicht alles Schützenswerte<br />
mit den Mitteln des Naturschutzrechts gesichert werden muss (vgl. Senatsurteil<br />
vom 29.9.1988 – 5 S 1466/88 – VBlBW 1989, 227).<br />
Indes ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin von dem ihr insoweit<br />
zustehenden Ermessen zu Lasten des Antragstellers fehlerhaft Gebrauch<br />
gemacht hätte. Vielmehr hat sie sich, was die Bestimmung der Grenzen<br />
des Landschaftsschutzgebiets betrifft, von sachgerechten Gesichtspunkten<br />
leiten lassen. Sie hat die Neufassung der bisherigen Landschaftsschutzverordnungen<br />
„Sch.“ aus dem Jahre 1954 und der Landschaftsschutzverordnung<br />
„West- und Südhänge des „R.“ aus dem Jahre 1986 in<br />
dem „Abwägungsvermerk“ vom 21.4.2006, soweit hier von Interesse,<br />
wie folgt begründet:<br />
„Erforderlich war die Neufassung der LSG-VO auch, um die Entlassung<br />
von in der Vergangenheit über Befreiungen in Randbereichen der Landschaftsschutzgebiete<br />
zugelassene, landschaftsunwürdige (bauliche)<br />
Nutzungen zu vollziehen. Weiterhin mangelt es den Verordnungskarten<br />
– soweit maßstabsbedingt als auch hinsichtlich der Strichdicke der<br />
Grenzlinie – an der gebotenen Genauigkeit und Nachvollziehbarkeit im<br />
Gelände. Die Aufstellung des Flächennutzungsplans (FNP) 2020 der<br />
Stadt F. mit seinen geplanten, die beiden Landschaftsschutzgebiete tangierenden<br />
Flächendarstellungen lieferte den Anlass, die bisher getrennten<br />
Schutzgebiete mit ihrer einheitlichen räumlichen Naturausstattung<br />
und vergleichbaren Schutzbedürftigkeit in einer neu zu fassenden<br />
LSG-VO mit der Bezeichnung „R-Sch“ zusammenzufassen.“<br />
Anpassung an die Siedlungsentwicklung in den Randbereichen der bisherigen<br />
Verordnungen und Harmonisierung mit dem Flächennutzungsplan<br />
sowie Genauigkeit und Nachvollziehbarkeit vor Ort waren danach<br />
wichtige Anliegen der Antragsgegnerin. Um der Klarheit und Bestimmtheit<br />
der Norm willen hat sie sich die parzellenscharfe Abgrenzung als<br />
Ziel gesetzt, wie dies etwa der dem förmlichen Verfahren vorausgehenden<br />
fachlichen Würdigung vom 4.11.2004 (Bd. 2 der Akten der<br />
Antragsgegnerin, Bl. 238, S. 2) zu entnehmen ist. Darauf hat die Antragsgegnerin<br />
auch in den beiden an den Antragsteller gerichteten<br />
Schreiben vom 7.4. und 19.6.2006 hingewiesen. Damit hat sich die<br />
Antragsgegnerin generell von sachgerechten Kriterien leiten lassen. Der<br />
Antragsteller hat dies auch nicht bezweifelt.<br />
Entgegen seiner Auffassung hat sie diese Kriterien auch ohne Willkür<br />
im fraglichen Bereich angewendet. Sowohl aus der Beschreibung des<br />
Grenzverlaufs in Anlage 1 zu § 2 Abs. 4 der Verordnung (vgl. S. 2) wie<br />
auch aus der Detailkarte 1 ergibt sich, dass die Grenze des Landschaftsschutzgebiets<br />
im Bereich der Nachbargrundstücke dem Verlauf der Flurstücksgrenzen<br />
folgt. Damit bildet die Grenze entlang der östlich gelegenen<br />
Grundstücke keine gerade Linie, sondern springt wechselnd vor<br />
und zurück.<br />
Dies mag auf den ersten Blick willkürlich wirken, ist aber zum einen der<br />
Wahl der eindeutig fixierten Flurstücksgrenzen zur Gebietsabgrenzung<br />
geschuldet, zum andern der teils in das bisherige Landschaftsschutzgebiet<br />
hineinreichenden Bebauung und dem weiteren auch in der mündlichen<br />
Verhandlung geäußerten und nicht zu beanstandenden Gesichtspunkt,<br />
im rückwärtigen Bereich der bebauten Grundstücke einen gewissen<br />
Freiraum für Erweiterungs- und Änderungsvorhaben, den auch der<br />
Flächennutzungsplan gewährt, zu belassen oder einzuräumen. Letzteres<br />
wird auch dem Antragsteller zugestanden, indem die Grenze des Landschaftsschutzgebiets<br />
im Vergleich zur bisherigen etwas zurückgesetzt<br />
wird und die Bebauungsmöglichkeiten, die § 34 BauGB eröffnet, nicht<br />
geschmälert werden.<br />
Andererseits schränkt nicht erst die streitige Landschaftsschutzverordnung,<br />
sondern bereits die Vorschrift des § 34 Abs. 1 BauGB mit ihrem<br />
Erfordernis des Einfügens in die Umgebung nach der überbaubaren<br />
Grundstücksfläche Erweiterungsmöglichkeiten nach Norden ein. Dass<br />
für die Bestimmung der Grenze des Landschaftsschutzgebiets von dem<br />
Grundsatz, den Flurstücksgrenzen zu folgen, beim Grundstück des Antragstellers<br />
abgewichen wurde, erweist sich nicht als Abwägungsfehler.<br />
Die Grenzen des Grundstücks zu wählen, scheidet angesichts dessen<br />
weit nach Norden reichenden, handtuchartigen Zuschnitts aus. Dies wird<br />
auch vom Antragsteller nicht verlangt. Es bot sich daher an, die entlang<br />
der West- und Südgrenze des Flurstücks Nr. 11094 verlaufende Grenze<br />
des Landschaftsschutzgebiets, wie geschehen, geradlinig bis zur Westgrenze<br />
des Flurstücks Nr. 11066 fortzusetzen und sich danach wieder,<br />
wie oben schon erwähnt, an den nördlichen Flurstücksgrenzen zu orientieren.<br />
Gewichtige Belange dafür, gleichwohl die begehrte Verschiebung nach<br />
Norden vorzunehmen, hat der Antragsteller weder im – wie oben dargelegt<br />
ordnungsgemäßen – Anhörungsverfahren geltend gemacht noch<br />
ersichtlich bei seiner Vorsprache bzw. Korrespondenz im April und Mai<br />
2006 vor Inkrafttreten der Verordnung. Die nunmehr in der mündlichen<br />
Verhandlung des Senats geäußerte (frühere) Absicht, in dem von der<br />
Landschaftsschutzverordnung erfassten Grundstücksbereich ein<br />
Schwimmbecken zu errichten, war der Antragsgegnerin mithin weder<br />
bekannt, noch musste sie sich ihr aufdrängen, nachdem sie berechtigte,<br />
auf der Hand liegende Bedürfnisse des Antragstellers und seiner Nachbarn<br />
in ihre Abwägung einbezogen hat.<br />
Anmerkungen des Gemeindetags zu den<br />
Ausführungen des VGH zum notwendigen<br />
Verbreitungsgrad eines gemeindlichen Amtsblattes:<br />
Mit dem vorliegenden Urteil bestätigt der VGH die seitherige Rechtsauffassung.<br />
Danach sind unter dem Aspekt des Rechtsstaatsprinzips<br />
Satzungen und örtliches Recht so zu verkünden, dass die Betroffenen<br />
sich vom Erlass und vom Inhalt der Rechtsvorschriften verlässlich<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 59
R ECHTSPRECHUNG BWGZ 1/2009<br />
Kenntnis verschaffen können und dass diese Möglichkeit der Kenntnisnahme<br />
nicht in unzumutbarer Weise erschwert sein darf. Die notwendige<br />
Zugänglichkeit des Verkündungsmittels ist deshalb erfüllt, wenn die<br />
Möglichkeit der Kenntnisnahme gewährleistet ist. Die tatsächliche Verbreitungszahl<br />
des Amtsblatts ist damit nicht entscheidend.<br />
Sehr deutlich weist der VGH darauf hin, dass nach den einschlägigen<br />
Vorschriften des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 DVO GemO eine haushaltsdeckende<br />
Verteilung nicht vorgegeben ist. Eine Auflagenstärke ist ausreichend,<br />
wenn sie die konkrete Nachfrage befriedigen kann. Erst recht<br />
erfüllt das Amtsblatt seine Bekanntmachungsfunktion, wenn es jedem<br />
interessierten Einwohner und Bürger jederzeit mit hinnehmbarem Aufwand<br />
möglich ist, das Amtsblatt einzusehen oder sich mit dem Amtsblatt<br />
zu versorgen. Insoweit ist die Situation nicht anders als bei Nutzung<br />
einer Zeitung als Verkündungsinstrument.<br />
Auch die Zeitung kann nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 DVO GemO als<br />
zulässiges Bekanntmachungsorgan von einer Gemeinde gewählt wer-<br />
Leitsätze:<br />
1. Das Entstehen von Vorteilen aus dem Fremdenverkehr wird nicht<br />
dadurch ausgeschlossen, dass ein Unternehmer tatsächlich keine Gewinne<br />
erzielt oder sogar Verluste macht.<br />
2. Bei der Wahl eines pauschalierten Bemessungssystems, bei dem zur<br />
Ermittlung der Reineinnahmen der Gesamtumsatz mit einem Reingewinnsatz<br />
multipliziert wird, kann auf die Richtsatzsammlung des Bundesfinanzministeriums<br />
zurück gegriffen werden.<br />
3. Gebühren und Beiträge werden nicht, wie eine Steuer „voraussetzungslos“,<br />
sondern als Gegenleistung für eine öffentlich-rechtliche Leistung<br />
erhoben. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Gebühren- bzw. Beitragsaufkommen<br />
ausschließlich zur speziellen Kostendeckung der gebühren-<br />
oder beitragspflichtigen Leistung verwendet werden darf.<br />
VGH Baden-Württemberg, Normenkontrollurteil vom 6.11.2008, 2 S 669/07<br />
Sachverhalt:<br />
Die Antragstellerin betreibt in der Innenstadt der Antragsgegnerin ein<br />
Kaufhaus. Sie wendet sich gegen die am 1.1.2006 in Kraft getretene<br />
Fremdenverkehrsbeitragssatzung und macht geltend, die Satzung sei aus<br />
mehreren Gründen unwirksam.<br />
Ein besonderer Vorteil i.S. des § 44 KAG könne nur bejaht werden, wenn<br />
durch den Fremdenverkehr erhöhte Verdienst- oder Gewinnmöglichkeiten<br />
gegeben seien. Dies sei bei Lebensmittelgeschäften nicht der Fall, da<br />
der in der Stadt B.B. weilende Gast schon gemäß seiner sozialen Ansiedelung<br />
kein Selbstversorger sei.<br />
Als Bemessungsgrundlage für den besonderen wirtschaftlichen Vorteil<br />
habe die Antragsgegnerin den Gesamt-Nettoumsatz zugrunde gelegt.<br />
Dies bedeute, dass rechtswidriger Weise auch Unternehmen beitragspflichtig<br />
seien, die Verluste erwirtschaften. Rechtswidrig sei ferner, dass<br />
aus dem Gesamtumsatz ein statistischer Reingewinn auf der Grundlage<br />
der Reingewinn-Richtsätze der Finanzverwaltung errechnet werde, da<br />
damit wiederum die individuellen Investitionen/Kosten außer Betracht<br />
gelassen würden.<br />
Da für Kaufhäuser kein Richtsatz existiere, habe die Antragsgegnerin<br />
aus einem Konglomerat von Richtsätzen einen Richtsatz für Kaufhäuser<br />
ermittelt. Dies sei unstatthaft; außerdem sei der ermittelte Richtsatz von<br />
12 v.H. viel zu hoch. Die Vorteilssätze seien zudem willkürlich, weil<br />
den. Auch hier kommt es nicht auf den Verbreitungsgrad der betreffenden<br />
Zeitung an. Erst recht, wenn das Amtsblatt zur allgemeinen Ansicht<br />
im Rathaus oder in anderen öffentlichen Gebäuden ausgelegt oder<br />
ausgehängt wird oder im Internet zugänglich ist, kann der Bürger ohne<br />
großen Aufwand Kenntnis über die öffentlichen Bekanntmachungen<br />
erlangen. Der VGH verlangt sogar für den Fall, dass das Amtsblatt den<br />
Bürger im Einzelfall nicht erreicht hat, Wachsamkeit und angemessene<br />
eigene Bemühungen, um in den Besitz der entsprechenden Informationen<br />
zu gelangen. Es ist keinesfalls rechtlich notwendig, das Amtsblatt<br />
kostenlos abzugeben. Das macht der VGH nochmals mit dem Hinweis<br />
auf eine Zeitung als zulässiges Bekanntmachungsorgan der Gemeinde<br />
deutlich, die auf jeden Fall nicht kostenlos erworben werden könnte.<br />
BWGZ Nr. 1 vom 15.1.2009 Az. 047.10, 364.22<br />
Alle bevorteilten Personen sind zum Fremdenverkehrsbeitrag heranzuziehen<br />
Handwerker, Architekten und Ärzte unberücksichtigt geblieben seien,<br />
obwohl gerade Ärzte ganz erheblich von den Kurgästen profitieren. Die<br />
Spielbank sei nur mit 40 Prozent angesetzt worden, obwohl ihr Publikum<br />
zu annähernd 100 Prozent aus Gästen bestehen dürfte. Im Übrigen<br />
sei die Satzung auch deshalb rechtswidrig, weil sie keinen zweckgebundenen<br />
Einsatz der Beitragseinnahmen verlange.<br />
Aus den Gründen:<br />
I. Der Antrag ist zulässig und begründet.<br />
II. Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg. Die in der angefochtenen<br />
Satzung vorgenommene Abgrenzung des Kreises der zur Zahlung eines<br />
Fremdenverkehrsbeitrags verpflichteten natürlichen und juristischen<br />
Personen verstößt gegen höherrangiges Recht. Dieser Rechtsfehler führt<br />
zur Gesamtnichtigkeit der Satzung.<br />
1. Die angefochtene Satzung stützt sich auf § 44 Abs. 1 KAG, wonach<br />
Kurorte, Erholungsorte und sonstige Fremdenverkehrsgemeinden zur<br />
Förderung des Fremdenverkehrs und des Erholungs- und Kurbetriebs<br />
für jedes Haushaltsjahr von allen natürlichen Personen, die eine selbstständige<br />
Tätigkeit ausüben, und von allen juristischen Personen Fremdenverkehrsbeiträge<br />
erheben können, soweit ihnen in der Gemeinde aus<br />
dem Fremdenverkehr oder dem Kurbetrieb unmittelbar oder mittelbar<br />
besondere wirtschaftliche Vorteile erwachsen.<br />
Gemäß § 44 Abs. 2 S. 1 KAG ist der Fremdenverkehrsbeitrag nach den<br />
besonderen wirtschaftlichen Vorteilen zu bemessen, die dem Beitragspflichtigen<br />
aus dem Fremdenverkehr oder dem Kurbetrieb erwachsen.<br />
Diese Vorteile bestehen nach der ständigen Rechtsprechung des Senats<br />
in den erhöhten Verdienst- und Gewinnmöglichkeiten, die dem Beitragspflichtigen<br />
aus dem Fremdenverkehr oder dem Kurbetrieb erwachsen<br />
(vgl. u.a. Urteil vom 30.11.2000 –2 S 2061/98 – KStZ 2001, 78; Beschluss<br />
vom 10.8.1998 – 2 S 2753/97 – MedR 1999, 377; ebenso Gössl<br />
in: Gössl/Reif, Kommentar zum KAG, § 44 Anm. 3.1).<br />
Die fremdenverkehrsbedingten Gewinn- und Verdienstmöglichkeiten<br />
lassen sich naturgemäß nicht exakt beziffern. Bei der Erhebung eines<br />
Fremdenverkehrsbeitrags kommt deshalb als Verteilungsmaßstab nur<br />
ein so genannter Wahrscheinlichkeitsmaßstab in Betracht, wobei eine<br />
gewisse Typisierung bei der Festlegung nicht nur zulässig, sondern praktisch<br />
unumgänglich ist (vgl. Gössl, a.a.O., § 44 Anm. 3.2, S. 9). Es ist<br />
danach nicht erforderlich, dass die auf die Beitragspflichtigen entfallen-<br />
60 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 R ECHTSPRECHUNG<br />
den Beiträge in einem exakten Verhältnis zu ihren tatsächlich aus dem<br />
Fremdenverkehr gezogenen Vorteilen steht, sondern genügt eine angenäherte<br />
Verhältnismäßigkeit.<br />
Bei der Wahl eines solchen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs stehen der<br />
Gemeinde grundsätzlich zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Sie kann<br />
zum einen die dem einzelnen Unternehmer durch den Fremdenverkehr<br />
erwachsenden Vorteile anhand der individuellen Gegebenheiten, also<br />
etwa nach dem Umsatz oder dem durch die jeweilige unternehmerische<br />
Tätigkeit erwirtschafteten Gewinn, bemessen oder zum anderen pauschalierende<br />
Maßstäbe zugrunde legen, indem an bestimmte betriebliche<br />
Realgrößen angeknüpft, Kategorien von Beitragspflichtigen gebildet<br />
und durch die Schaffung eines ausgewogenen Verhältnisses sowohl<br />
innerhalb dieser Kategorien wie auch zwischen diesen Kategorien ein<br />
Bemessungssystem geschaffen wird. Sowohl eine individuelle als auch<br />
eine pauschalierte Vorteilsbestimmung sind grundsätzlich zulässig und<br />
halten sich innerhalb des dem Satzungsgeber eröffneten Ermessensspielraums<br />
(Urteil des Senats vom 25.8.2003 – 2 S 2192/02 – NVwZ<br />
2003, 1403; Gössl, a.a.O., § 44 Anm. 3.2, S. 9).<br />
Individuelle oder pauschalierte Vorteilsbestimmung<br />
Die Antragsgegnerin hat sich aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung<br />
für eine pauschalierte Vorteilsbestimmung entschieden. Nach der<br />
Konzeption der Satzung erfolgt die Ermittlung des Beitrags in mehreren<br />
Rechenschritten. Als Bemessungsgrundlage dienen nach § 3 Abs. 3<br />
FVBS die Reineinnahmen, zu deren Ermittlung der Gesamtumsatz ohne<br />
Umsatzsteuer, der im Erhebungszeitraum in B.B. erzielt wurde, mit dem<br />
sich aus der Anlage ergebenden Richtsatz (Reingewinnsatz) multipliziert<br />
wird. Durch Multiplikation der so bestimmten Reineinnahmen mit<br />
dem sich ebenfalls aus der Anlage ergebenden Vorteilsatz ist der Messbetrag<br />
zu ermitteln (§ 4 Abs. 2 FVBS). In einem dritten Schritt ist dann<br />
der Messbetrag mit dem in § 4 Abs. 1 und 4 FVBS festgelegten Beitragssatz<br />
in Höhe von 3 v.H. (Beitragszone I) bzw. 1,2 v.H. (Beitragszone II)<br />
zu multiplizieren.<br />
Gegen dieses Berechnungssystem bestehen entgegen der Ansicht der<br />
Antragstellerin keine Bedenken. Die von der Antragsgegnerin gewählte<br />
Bemessungsgrundlage ist zunächst nicht deshalb zu beanstanden, weil<br />
sie zur Folge hat, dass auch Unternehmer beitragspflichtig sind, die<br />
keine Gewinne erzielen oder sogar Verluste erwirtschaften. Der Fremdenverkehrsbeitrag<br />
ist eine Gegenleistung des Beitragspflichtigen für<br />
spezielle Leistungen der Gemeinde, nämlich für die Aufwendungen, die<br />
der Gemeinde im Zusammenhang mit der Förderung des Kurbetriebs<br />
und/oder des Fremdenverkehrs entstehen. Zur Finanzierung dieser Aufwendungen<br />
sollen diejenigen Personen durch die Zahlung eines Beitrags<br />
herangezogen werden, die aus ihnen besondere wirtschaftliche Vorteile<br />
ziehen.<br />
Diese Vorteile bestehen, wie bereits angesprochen, in den erhöhten Verdienst-<br />
und Gewinnmöglichkeiten, die dem Beitragspflichtigen aus dem<br />
Fremdenverkehr oder dem Kurbetrieb erwachsen. Es genügt dabei die<br />
objektive Möglichkeit höherer Gewinne, der die Chance gleichsteht,<br />
Verluste aus dem Geschäftsbetrieb zu verringern. Das Entstehen von<br />
Vorteilen aus dem Fremdenverkehr wird daher nicht dadurch ausgeschlossen,<br />
dass ein Unternehmer tatsächlich keine Gewinne erzielt oder<br />
sogar Verluste macht (vgl. Gössl, a.a.O., § 44 Anm. 3.1, S. 6 und Anm.<br />
3.2, S. 9). Es bedarf im Übrigen keiner Begründung, dass ein höherer<br />
Umsatz typischerweise auch einen höheren Gewinn indiziert.<br />
Die in der Satzung vorgesehene Bemessungsgrundlage verstößt auch<br />
nicht deshalb gegen höherrangiges Recht, weil sie es nicht ermöglicht,<br />
die Investitions- und Kapitaleinsatzkosten bei der Ermittlung der Reineinnahmen<br />
Beitrags mindernd zu berücksichtigen. Das von der Antragsgegnerin<br />
gewählte Berechnungssystem stellt auf die Reineinnahmen ab,<br />
die mit Hilfe pauschaler Größen und nicht anhand der individuellen<br />
Gegebenheiten ermittelt werden, und beruht daher auf einer – grundsätzlich<br />
zulässigen – pauschalierten Vorteilsbestimmung.<br />
Die von der Antragstellerin zitierten Empfehlungen des Gemeindetags<br />
Baden-Württemberg beziehen sich dagegen auf Fälle, in denen die Reineinnahmen<br />
anhand der individuellen Gegebenheiten des Einzelfalls aus<br />
der Differenz zwischen Umsatz und Betriebsausgaben errechnet werden.<br />
In diesem Zusammenhang wird in den Empfehlungen darauf hingewiesen,<br />
dass Aufwendungen zur Tilgung von Schulden, die auf das<br />
Anlagevermögen bezogenen Kapitaleinsatzkosten (insbesondere Zinsen<br />
und Disagio) sowie Abschreibungen nicht als Betriebsausgaben gelten<br />
und daher nicht vom Umsatz abgezogen werden dürfen. Gegen eine<br />
Regelung, nach der die Investitions- und Kapitaleinsatzkosten teilweise<br />
(z.B. bis zu 50 Prozent) berücksichtigt würden, bestünden aber rein<br />
beitragsrechtlich keine Bedenken. Einwendungen gegen das von der<br />
Antragsgegnerin gewählte, einem anderen Ansatz folgende System lassen<br />
sich daraus nicht herleiten.<br />
Bezugnahme auf Richtsatzsammlung zulässig<br />
2. Unbedenklich ist ebenfalls, dass die in der Satzung festgesetzten und<br />
zur Ermittlung der Reineinnahmen mit dem Gesamtumsatz zu multiplizierenden<br />
„Reingewinnsätze“ sich an der Richtsatzsammlung des Bundesfinanzministeriums<br />
für das Kalenderjahr 2004 orientieren.<br />
Wie es in Nr. 1 der Vorbemerkungen zu der Richtsatzsammlung heißt,<br />
sind die in der Sammlung aufgeführten Richtsätze ein Hilfsmittel für die<br />
Finanzverwaltung, Umsätze und Gewinne der Gewerbetreibenden „zu<br />
verproben“ und ggf. bei Fehlen anderer geeigneter Unterlagen gemäß<br />
§ 162 AO zu schätzen. Die Richtsätze werden für die einzelnen Gewerbeklassen<br />
auf der Grundlage von Betriebsergebnissen zahlreicher geprüfter<br />
Unternehmen ermittelt, die nach Art und Größe den Betrieben<br />
entsprechen, auf die sie angewandt werden sollen (Nr. 2 der Vorbemerkungen).<br />
Die Richtsätze bestehen aus einem oberen und einem unteren Rahmensatz<br />
sowie einem – dem gewogenen Mittel aus den Einzelergebnissen<br />
der geprüften Betriebe einer Gewerbeklasse entsprechenden – Mittelsatz<br />
(Nr. 6 der Vorbemerkungen). Die Richtsatzsammlung des Bundesfinanzministeriums<br />
kann danach unbedenklich als Grundlage eines typisierenden<br />
und pauschalierenden Bemessungssystems dienen, wie es von der<br />
Antragsgegnerin im vorliegenden Fall gewählt wurde. Hiervon ist der<br />
Senat schon in seiner bisherigen Rechtsprechung ausgegangen (vgl.<br />
Urteil vom 10.8.1998 – 2 S 2753/97 – MedR 1999, 377 und Urteil vom<br />
9.12.1996 – 2 S 2728/95 –; ebenso OVG Schleswig, Urteile vom<br />
23.8.2000 – 2 L 226/98 – NordÖR 2001, 221; VG Freiburg, Urteil vom<br />
19.2.2008 – 4 K 1123/06 – Juris; Gössl, a.a.O., § 44 Anm. 3.2.4,<br />
S. 11).<br />
Die von der Antragstellerin hiergegen erhobenen Einwendungen rechtfertigen<br />
keine andere Beurteilung. Die Antragstellerin macht zwar zu<br />
Recht geltend, dass es sich bei der Richtsatzsammlung des Bundesfinanzministeriums<br />
nur um ein Hilfsmittel für die Finanzverwaltung mit<br />
der bereits erwähnten Zielsetzung handelt. Die Antragstellerin weist<br />
ferner zutreffend daraufhin, dass die Richtsätze auf die Verhältnisse eines<br />
durchschnittlichen Betriebs der betreffenden Branche abstellen. Der<br />
Verwendung der Richtsatzsammlung als Grundlage eines pauschalierten<br />
Bemessungssystems steht jedoch weder das eine noch das andere entgegen.<br />
Der Umstand, dass die Richtsätze von der Finanzverwaltung jährlich<br />
neu herausgegeben werden, während die in der Satzung der Antragsgegnerin<br />
festgesetzten Reingewinnsätze nicht nur für das Jahr 2006,<br />
sondern auch für die Folgejahre Gültigkeit beanspruchen, ist ebenfalls<br />
unschädlich.<br />
In diesem Zusammenhang stellt sich zwar die Frage, ob die Antragsgegnerin<br />
gehalten ist, die in der Satzung festgesetzten Reingewinnsätze neu<br />
festzusetzen, falls sich zukünftig in dem der Satzung zugrundeliegenden<br />
Bezugssystem durch eine Neufassung der Richtsatzsammlung des Bundesfinanzministeriums<br />
eine grundlegende Änderung ergibt. Das bedarf<br />
jedoch im Rahmen des vorliegenden Verfahrens keiner Vertiefung, da<br />
sich aus dem Vorbringen der Antragstellerin nicht ergibt, dass die Richt-<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 61
R ECHTSPRECHUNG BWGZ 1/2009<br />
satzsammlung im Laufe ihrer jährlichen Überarbeitung eine solche Änderung<br />
erfahren hat.<br />
Die in der mündlichen Verhandlung angeführte Änderung des Richtsatzes<br />
für Nahrungsmittelbetriebe stellt eine wesentliche Änderung nicht<br />
dar. In der Richtsatzsammlung 2007 wird zwischen Nahrungsmittelbetrieben<br />
mit einem Umsatz von bis zu 400.000 Euro und Betrieben mit<br />
einem Umsatz von mehr als 400.000 Euro unterschieden. Für Betriebe<br />
der zuerst genannten Kategorie gilt ein Richtsatz von 9 v.H., für Betriebe<br />
der zweiten Kategorie ein Richtsatz von 4 v.H. Die Richtsatzsammlung<br />
2004 verzichtet dagegen auf eine Differenzierung nach dem erzielten<br />
Umsatz und nennt für Nahrungsmittelbetriebe einen einheitlich<br />
geltenden Richtsatz von 7 v.H. Dieser Richtsatz bewegt sich zwischen<br />
den in der Richtsatzsammlung 2007 bestimmten Werten.<br />
Kein zweckgebundener Mitteleinsatz<br />
3. Die Antragstellerin hält die angefochtene Satzung ferner zu Unrecht<br />
deshalb für rechtswidrig, weil sie keinen zweckgebundenen Einsatz der<br />
Beitragseinnahmen verlangt. Zwar werden Gebühren und Beiträge<br />
nicht, wie eine Steuer, „voraussetzungslos“, sondern als Gegenleistung<br />
für eine öffentlich-rechtliche Leistung erhoben. Das bedeutet jedoch<br />
nicht, dass das Gebühren- bzw. Beitragsaufkommen ausschließlich zur<br />
speziellen Kostendeckung der gebühren- oder beitragspflichtigen Leistung<br />
verwendet werden darf (vgl. Kirchhof, Staatliche Einnahmen, in:<br />
Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. 4, 2. Aufl., Heidelberg<br />
1999, § 88 Rn. 208; Bosse, NWVBl. 2007, 87, 89). Vielmehr gilt<br />
auch im Zusammenhang mit Gebühren und Beiträgen das haushaltsrechtliche<br />
Prinzip der Gesamtdeckung, nach dem die Einnahmen des<br />
Verwaltungshaushalts insgesamt der Deckung der Ausgaben des Verwaltungshaushalts<br />
dienen (§ 16 GemHVO).<br />
Die Einnahmen des Verwaltungshaushalts sind nur dann auf die Verwendung<br />
für bestimmte Ausgaben zu beschränken, soweit sich dies aus einer<br />
rechtlichen Verpflichtung ergibt (§ 17 Abs. 1 S. 2 GemHVO). Für die<br />
hier in Rede stehenden Einnahmen der Antragsgegnerin aus der Erhebung<br />
eines Fremdenverkehrsbeitrags besteht keine solche Verpflichtung.<br />
4. Die Satzung der Antragsgegnerin ist jedoch insoweit rechtswidrig, als<br />
sie eine Reihe von natürlichen und juristischen Personen nicht für beitragspflichtig<br />
erklärt, von denen zur Überzeugung des Senats feststeht,<br />
dass ihnen ebenfalls besondere wirtschaftliche Vorteile aus dem Fremdenverkehr<br />
erwachsen, deren Maß sich von den fremdenverkehrsbedingten<br />
Vorteilen beitragspflichtiger Personen nicht unterscheidet.<br />
Das gilt zumindest für Ärzte und Zahnärzte sowie die verschiedenen in<br />
dem Verzeichnis über die Reingewinn- und Vorteilsätze nicht aufgeführten<br />
Handwerksbetriebe, die durch die Möglichkeit, mit den unmittelbar<br />
am Fremdenverkehr verdienenden Personen Geschäfte zu machen, mittelbare<br />
Vorteile aus dem Fremdenverkehr ziehen (vgl. zum Kreis der<br />
durch den Fremdenverkehr mittelbar bevorteilten Personen Senatsurteil<br />
vom 25.8.2003 – 2 S 2192/02 – NVwZ 2003, 1403; OVG Rheinland-<br />
Pfalz, Urteil vom 22.9.1998 – 6 A 10679/98 – NVwZ-RR 1999, 268;<br />
OVG Schleswig, Urteil vom 4.10.1995 – 2 L 220 und 222/95 – KStZ<br />
1997, 93; Gössl in: Gössl/Reif, Kommentar zum KAG, § 44 Rn. 3.1, S.<br />
7 f.; Lichtenfeld in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Band III, § 11<br />
Rn. 87 ff.).<br />
a) Im Gegensatz zu einem bei den Akten der Antragsgegnerin befindlichen<br />
früheren Entwurf der Satzung werden Ärzte und Zahnärzte sowie<br />
im Baugewerbe tätige Handwerker wie Installateure, Plattenleger und<br />
Dachdecker weder in § 1 Abs. 2 FVBS noch in dem der Satzung als<br />
Anlage beigefügten Verzeichnis über die Reingewinn- und Vorteilsätze<br />
für die einzelnen Gewerbe- und Berufsarten aufgeführt.<br />
Anders als § 1 Abs. 2 FVBS, der nur eine beispielhafte Aufzählung der<br />
„insbesondere“ beitragspflichtigen Personen enthält, ist das einen Bestandteil<br />
der Satzung bildende Verzeichnis der Reingewinn- und Vorteil-<br />
sätze als abschließend zu verstehen. Die dort nicht aufgeführten Berufsgruppen<br />
sollen daher nach dem Willen der Antragsgegnerin nicht beitragspflichtig<br />
sein. Was die bezeichneten Handwerksbetriebe sowie<br />
Ärzte und Zahnärzte betrifft, folgt dies ferner aus einem Vergleich zwischen<br />
dem erwähnten früheren Entwurf der Satzung und der endgültig<br />
beschlossenen Fassung des Verzeichnisses. Über dieses Verständnis der<br />
Satzung besteht auch zwischen den Beteiligten Einigkeit.<br />
Nichtberücksichtigung von Ärzten und Handwerkern unzulässig<br />
b) Die Gemeinde hat bei der Ausgestaltung eines pauschalierten Bemessungssystems<br />
sicherzustellen, dass die Personen, denen durch den Fremdenverkehr<br />
ein Vorteil erwächst, gleichmäßig behandelt werden. Allerdings<br />
braucht sie bei der Bildung bestimmter Gruppen von Beitragsschuldnern<br />
nicht jeder Verschiedenheit in der wirtschaftlichen Auswirkung<br />
des Fremdenverkehrs auf die einzelnen Berufsgruppen oder<br />
Betriebsarten Rechnung zu tragen. Erst wenn die Vorteilseinschätzung<br />
innerhalb einer dieser Gruppen oder im Verhältnis der Gruppen zueinander<br />
als willkürlich erscheint, liegt ein Verstoß gegen das Gebot der<br />
Abgabengerechtigkeit vor (Senatsurteil vom 25.8.2003 – 2 S 2192/02<br />
– a.a.O.; Lichtenfeld, a.a.O., § 11 Rn. 115).<br />
Die Nichteinbeziehung der Ärzte und Zahnärzte ist in diesem Sinn willkürlich.<br />
Die Antragsgegnerin ist trotz ihrer nur 55.000 Einwohner ein<br />
international bekannter Kurort und verfügt neben zahlreichen Kur- und<br />
Bädereinrichtungen über ein Festspielhaus, bei dem es sich um das<br />
zweitgrößte Konzerthaus Europas handelt, ein Kongresszentrum für bis<br />
zu 2.000 Besucher sowie eine Spielbank.<br />
Die Zahl der Übernachtungen von Ortsfremden betrug im Jahre 2007<br />
734.679 (Quelle: Statistisches Landesamt). Die Zahl der Tagesgäste hat<br />
der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung<br />
mit jährlich 8 Mio. angegeben. Die Antragsgegnerin dürfte damit<br />
zu den Städten in Baden-Württemberg gehören, die am meisten auf den<br />
Fremdenverkehr ausgerichtet sind und durch diesen geprägt werden.<br />
Dass in einer solchen Stadt nicht nur Kurkliniken und Reha-Einrichtungen,<br />
sondern auch selbstständig tätige Ärzte und Zahnärzte durch die<br />
Möglichkeit zur Behandlung ortsfremder Personen über besondere wirtschaftliche<br />
Vorteile in Gestalt erhöhter Gewinn- und Verdienstmöglichkeiten<br />
verfügen, liegt auf der Hand. Ihre Nichteinbeziehung in den Kreis<br />
der Beitragsschuldner ist daher sachlich nicht gerechtfertigt. Dies gilt<br />
um so mehr, als die Satzung außer Kurkliniken und Reha-Einrichtungen<br />
auch Apotheker und Drogisten sowie Masseure und Krankengymnasten<br />
zu den Beitragsschuldnern zählt. Für Apotheker und Drogisten gilt nach<br />
der Satzung ein Vorteilssatz von 10 Prozent, für Masseure und Krankengymnasten<br />
ein Vorteilssatz von 20 Prozent. Die Antragsgegnerin geht<br />
somit davon aus, dass der Umsatz dieser Berufsgruppen zu „einem noch<br />
nennenswerten Anteil“ bzw. „einem beträchtlichen Teil“ fremdenverkehrsbedingt<br />
ist. Warum dies bei Ärzten und Zahnärzten anders sein soll,<br />
ist nicht zu erklären.<br />
Für die Nichteinbeziehung der in dem früheren Entwurf noch genannten<br />
Gruppen von im Baugewerbe tätigen Handwerksbetrieben fehlt ebenfalls<br />
ein überzeugender Grund.<br />
Aus ähnlichen Gründen dürfte von der Antragstellerin auch zu Recht<br />
beanstandet werden, dass die Antragsgegnerin davon abgesehen hat,<br />
Architekten, Baumärkte, Bauunternehmer, Möbelhändler, Notare,<br />
Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer sowie Elektronikfachmärkte<br />
in den Kreis der Beitragsschuldner einzubeziehen. Der Senat<br />
sieht jedoch davon ab, dieser Frage näher nachzugehen.<br />
5. Die unabhängig hiervon fehlerhafte Abgrenzung des Kreises der Beitragsschuldner<br />
führt zur Gesamtnichtigkeit der Satzung. Ob ein einer<br />
Satzung anhaftender Rechtsmangel zur Gesamtnichtigkeit der Satzung<br />
oder nur zu ihrer Teilnichtigkeit führt, hängt nach den dafür in der Rechtsprechung<br />
entwickelten Grundsätzen u.a. davon ab, ob die Beschränkung<br />
der Nichtigkeit auf einen bestimmten Teil der Satzung eine mit<br />
62 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
BWGZ 1/2009 R ECHTSPRECHUNG<br />
höherrangigem Recht vereinbare sinnvolle (Rest-)Regelung des Lebenssachverhalts<br />
belässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.8.2008 – 9 B<br />
40.08 – Juris mwN.). An dieser Voraussetzung für eine bloße Teilnichtigkeit<br />
fehlt es im vorliegenden Fall, da die Regelungen über den Kreis<br />
der Beitragsschuldner nicht von dem übrigen Inhalt der Satzung abgetrennt<br />
werden können.<br />
6. Die Berechtigung der von der Antragstellerin erhobenen weiteren<br />
Einwendungen gegen die angefochtene Satzung kann danach dahin stehen.<br />
Zur Vermeidung eines möglichen weiteren Rechtsstreits ist zu diesen<br />
Einwendungen jedoch Folgendes zu bemerken:<br />
Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass der Reingewinnsatz für Kaufhäuser<br />
in der Satzung zu Unrecht auf 12 v.H. festgesetzt worden sei. Da<br />
in der erwähnten Richtsatzsammlung der Finanzverwaltung kein Richtsatz<br />
für Kaufhäuser genannt wird, hat die Antragsgegnerin den in der<br />
Satzung festsetzten Reingewinnsatz anhand der Richtsätze gebildet, die<br />
für die üblicherweise in einem Kaufhaus vorhandenen Gewerbezweige<br />
gelten. Das stößt entgegen der Ansicht der Antragstellerin trotz der nicht<br />
zu bestreitenden Unterschiede, die zwischen Kaufhäusern mit Fachabteilungen<br />
einerseits sowie Fachgeschäften andererseits bestehen, auf<br />
keine grundsätzlichen Bedenken.<br />
Eine andere, besser geeignete Methode zur Ermittlung eines Richtsatzes<br />
für Kaufhäuser wird von der Antragstellerin nicht genannt. Der Einwand<br />
der Antragstellerin, dass das von ihr betriebene Kaufhaus weder über<br />
eine Schmuck- noch über eine Haushaltswarenabteilung verfüge, stellt<br />
die Angemessenheit des in der Satzung festgesetzten Richtsatzes ebenfalls<br />
nicht in Frage, da dieser nicht allein für das Unternehmen der Antragstellerin<br />
in seinem derzeitigen Zuschnitt Gültigkeit beansprucht,<br />
sondern ein allgemein für Kaufhäuser geltender Wert ist.<br />
Die von der Antragstellerin ferner kritisierten Richtsätze für Buchhandlungen,<br />
Juweliere und Spielwarengeschäfte entsprechen den in der<br />
Richtsatzsammlung der Finanzverwaltung 2004 genannten Werten und<br />
erscheinen deshalb ebenfalls unbedenklich. Ob das Gleiche auch für den<br />
für Spielbanken geltenden Reingewinnsatz von nur 3 v.H. gilt, lässt der<br />
Senat offen.<br />
Bildung von Beitragszonen zulässig<br />
b) Um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die der Beitragspflicht<br />
unterliegenden Gewerbe- und Berufsarten nicht in gleichem Maß vom<br />
Fremdenverkehr profitieren, hat die Antragsgegnerin die verschiedenen<br />
Branchen aufgrund einer Schätzung in sechs Gruppen eingeteilt und<br />
jeder dieser Gruppen einen bestimmten Vorteilssatz zugeordnet. Im Hinblick<br />
auf den Umstand, dass die fremdenverkehrsbedingten Vorteile bei<br />
Betrieben in der Innenstadt größer sind als bei außerhalb gelegenen<br />
Betrieben, hat die Antragsgegnerin ferner zwei verschiedene Beitragszonen<br />
gebildet. Für Betriebe in der die Innenstadt umfassenden Beitragszone<br />
I gilt ein Beitragssatz von 3 v.H., für Betriebe in der Beitragszone<br />
II, zu der das übrige Stadtgebiet gehört, ein Beitragssatz von 1,2<br />
v.H.<br />
Diese Vorgehensweise ist angesichts der Grenzen, die bei der gerichtlichen<br />
Überprüfung der vom Satzungsgeber vorgenommenen Vorteilseinschätzung<br />
zu beachten sind, nicht zu beanstanden. Das Vorteilsprinzip<br />
und die sich daraus ergebende Forderung, alle Pflichtigen ihren Vorteilen<br />
entsprechend gleichmäßig zu belasten, zwingt die Gemeinde nicht,<br />
die Vorteile eines jeden Abgabepflichtigen genau zu ermitteln und jeder<br />
Verschiedenheit in den wirtschaftlichen Auswirkungen des Fremdenverkehrs<br />
Rechnung zu tragen. Dies wäre auch nicht möglich, da der dem<br />
einzelnen Abgabepflichtigen entstehende fremdenverkehrsbedingte<br />
Vorteil nicht exakt messbar ist.<br />
Der Gemeinde steht daher sowohl bei der Zusammenfassung bestimmter<br />
Branchen zu einer Gruppe als auch bei der Frage, welche Vorteile diesen<br />
Gruppen bei pauschalierender Betrachtungsweise typischerweise zuzurechnen<br />
sind, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurtei-<br />
lungsspielraum zu. Ihren Spielraum überschreitet die Gemeinde erst<br />
dann, wenn die festgelegten Vorteilssätze nicht mehr „in sich stimmig“<br />
sind, weil eine gravierende, sachlich nicht mehr zu rechtfertigende Unausgewogenheit<br />
zwischen den einzelnen Vorteilssätzen besteht oder der<br />
Grundsatz der Systemgerechtigkeit ohne plausible und nachvollziehbare<br />
Gründe durchbrochen wird (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom<br />
25.8.2003 – 2 S 2192/02 – NVwZ 2003, 1403; OVG Schleswig, Urteile<br />
vom 23.8.2000 – 2 L 226/98 – NordÖR 2001, 221, und 4.10.1995 – 2 L<br />
220/95 – ZKF 1997, 40; OVG Niedersachsen, Urteil vom 13.12.2006<br />
– 9 KN 180/04 – NVwZ-RR 2007, 277; Urteil vom 13.11.1990 –<br />
9 K 11/89 – a.a.O.; Lichtenfeld, a.a.O., § 11 KAG Rn. 115).<br />
d) Die gegen die Festsetzung des Beitragsatzes erhobenen Einwendungen<br />
der Antragstellerin sind unbegründet. Richtig ist zwar, dass es für<br />
die Höhe dieses Satzes keine schlüssige Begründung gibt. Das ist jedoch<br />
unschädlich. Die Bestimmung des Beitragssatzes steht, wie die Antragsgegnerin<br />
zutreffend bemerkt, in ihrem Ermessen, sofern die Bestimmung<br />
dieses Satzes nicht dazu führt, dass das Beitragsaufkommen die<br />
– anderweitig nicht gedeckten und um einen angemessenen Eigenanteil<br />
der Gemeinde zu verringernden – Aufwendungen der Gemeinde zur<br />
Förderung des Fremdenverkehrs überschreitet (Gössl, a.a.O., § 44 Anm.<br />
3.3.1, S. 13).<br />
Von einem solchen Verstoß gegen das auch bei der Erhebung eines<br />
Fremdenverkehrsbeitrag zu beachtende Verbot der Kostenüberdeckung<br />
kann im vorliegenden Fall offensichtlich keine Rede sein. Das von der<br />
Antragsgegnerin prognostizierte Aufkommen aus der Erhebung eines<br />
Fremdenverkehrsbeitrags beträgt zirka 350.000 Euro, das Aufkommen<br />
aus der Erhebung der Kurtaxe etwa 1.420.000 Euro. Die Aufwendungen<br />
für die Herstellung und Unterhaltung der zu Kur- und Erholungszwecken<br />
bereit gestellten Einrichtungen und der für diesen Zweck durchgeführten<br />
Veranstaltungen werden von der Antragsgegnerin mit 8.616.906<br />
Euro beziffert. Mit der Erhebung eines Fremdenverkehrsbeitrags und<br />
einer Kurtaxe wird somit nur ein kleiner Teil der Aufwendungen gedeckt,<br />
die der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit der Förderung<br />
des Kurbetriebs und des Fremdenverkehrs entstehen.<br />
BWGZ Nr. 1 vom 15.1.2009 Az. 792.07<br />
<strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG 63
B ÜCHER UND Z EITSCHRIFTEN BWGZ 1/2009<br />
Sinner/Gassner/Hartlik: Umweltvertäglichkeitsprüfung – Strategische Umweltprüfung.<br />
Erläuterungswerk. Loseblattausgabe. 3. Nachlieferung. Februar<br />
2008, 242 Seiten. 29,10 Euro. Gesamtwerk: 582 Seiten, 56 Euro. Kommunal-<br />
und Schulverlag GmbH & Co. KG, Walluf.<br />
Neben einer Aktualisierung der Erläuterungen erfolgte mit dieser Lieferung vor<br />
allem eine Ergänzung des Kapitels „Bauleitpläne der Innenverdichtung“ beim<br />
Teil „Verwaltungsverfahren mit UVP“.<br />
Außerdem wurden die Rechtsvorschriften auf den aktuellen Stand gebracht.<br />
Kretz/Knopp/Michler/Albrecht: Das Abfallrecht in Baden-Württemberg.<br />
Kommentar. 4. Nachlieferung. Juni 2008. 366 Seiten. 38,40 Euro. Gesamtwerk<br />
944 Seiten. 74 Euro. Kommunal- und Schulverlag GmbH & Co. KG,<br />
Walluf.<br />
Kindergeldrecht. 75. Ergänzung. Stand: Mai 2008. Verlagsgruppe Jehle<br />
Rehm GmbH, München.<br />
Breier/Dassau u.a. TVöD-Kommentar. 20. bis 22. Ergänzung. Stand: April/<br />
Juni/Juli 2008. Verlagsgruppe Jehle Rehm GmbH, München.<br />
Plog/Wiedow u.a. Kommentar zum Bundesbeamtengesetz mit Beamtenversorgungsgesetz.<br />
278. bis 280. Ergänzung. Stand: April/Mai/Juli 2008. Luchterhand,<br />
Neuwied.<br />
Bulling/Finkenbeiner/Eckardt/Kibele: Wassergesetz für Baden-Württemberg.<br />
Kommentar. 31. Lieferung zur 3. Auflage. Stand: Januar 2008. 184<br />
Seiten. 70 Euro. Preis Gesamtwerk: 199,80 Euro. W. Kohlhammer GmbH,<br />
Stuttgart.<br />
Seeger/Füsslin/Vogel: Entscheidungssammlung zum Kommunalrecht Baden-Württemberg<br />
– EKBW. 30. Lieferung. Stand August 2007. 212 Seiten.<br />
79,80 Euro. W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart.<br />
Lambert, Müller, Sutor: Das Schulrecht in Baden-Württemberg. 06. Aktualisierungslieferung.<br />
1. Juni 2008. 78 Seiten. Jahresrechnung. Link Luchterland.<br />
Dumolin: Die Europäische Kommission 1958–1972 – Geschichte und Erinnerungen<br />
einer Institution. 2007. 669 Seiten, Taschenbuchausgabe. 32,10<br />
Euro. Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften,<br />
Luxemburg.<br />
In diesem umfangreichen Werk wird die Entwicklung der Europäischen Einigung<br />
von ihren Anfängern bis in die siebziger Jahre nachgezeichnet, und zwar aus dem<br />
Blickwinkel der Europäischen Kommission als ihrer zentralen Institution. Dazu<br />
stellen die Autoren zum einen die tragenden Persönlichkeiten wie Walter Hallstein<br />
in lebendigen Bildern vor, zum anderen werden die verschiedenen Politikbereiche<br />
dargestellt, wie sie in die europäische Dimension hineingewachsen sind.<br />
Insgesamt liegt damit ein aufwendig gestaltetes Werk vor, das sicher nicht in einem<br />
Zug gelesen werden kann, aber immer wieder dazu einlädt, in der Geschichte<br />
Europas zu schmökern.<br />
Erbguth/Masing: Verwaltung unter dem Einfluss des Europarechts. 2006.<br />
232 Seiten, kartoniert. 34,00 Euro. Boorberg Verlag, Stuttgart.<br />
Der vorliegende Band ist das Ergebnis einer Tagung des Deutsch-Polnischen<br />
Verwaltungskolloquiums. Verwaltungsrechtler aus beiden Ländern stellen ihre<br />
Sicht auf die Europäisierung des Verwaltungsrechts und deren Einfluss auf die<br />
Organisitionsstrukturen in den beiden Ländern vor. Dieser Band öffnet den Blick<br />
auf die Herausforderungen unseres großen östlichen Nachbarlandes und ermöglicht<br />
es, unsere eigenen Probleme aus einer neuen Sicht zu betrachten. Eine gewinnbringende<br />
Lektüre für jeden europa- und verwaltungsrechtlich Interessierten.<br />
Frank, Metzger: Enea Silvio Piccolomini – Europa. 2005. 432 Seiten, Leinenband<br />
mit Goldprägung. 36,80 Euro. Verlag für Regionalkultur, Heidelberg.<br />
Der italienische Humanist Enea Silvio Piccolomini verfasste im Jahre 1453 die<br />
erste neuzeitliche Schrift über Europa, die nun die beiden Herausgeber in einer<br />
neuen Übersetzung veröffentlichen und um eine Einleitung ergänzen. Für historisch<br />
Interessierte bietet sich so ein neuer Blick auf das alte Europa als ein Europa<br />
der Werte, das in dieser Eigenschaft heute wieder Aktualität gewinnt.<br />
Ruppert: Der kommunale Forstbetrieb im Spannungsfeld von Gemeinwohlorientierung<br />
und Erwerbswirtschaft. 2006. 710 Seiten, kartoniert. Verlag des<br />
Instituts für Forstökonomie der Universität Freiburg.<br />
In dieser Dissertation werden die Bedingungen analysiert, unter denen heute<br />
kommunaler Wald bewirtschaftete wird. Anhand empirischer Studien wird herausgeabeitet,<br />
welche Probleme aber auch Chancen sich für Gemeinden bieten,<br />
die gewerbliche Forstwirtschaft betreiben. Gerade diese Handlungsempfehlungen<br />
machen das Buch zu einem wertvollen Ratgeber für Kommunen, die sich „im<br />
Spannungsfeld von Gemeinwohlorientierung und Erwerbswirtschaft“ sicher bewegen<br />
wollen.<br />
Rotermund, Krafft: Haftungsrecht in der kommunalen Praxis. 2008. 4.,<br />
völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. 592 Seiten. 89,90 Euro. ESV<br />
Erich Schmidt Verlag, Berlin.<br />
Bereits in der vierten Auflage erscheint nun dieses Handbuch zur Organisation<br />
der Haftungsvermeidung. Neben verfahrensrechtlichen Aspekten wird ein umfassender<br />
inhaltlicher Bogen gespannt, der kommunalrelevante Themen umfasst wie<br />
die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, Haftung im öffentlichen Baurecht<br />
und in der Daseinsvorsorge, das neue Umweltschadengesetz. Eine regelmäßige<br />
Zitierung der relevantne Rechtssprechung bietet für die kommunale Praxis die<br />
Gewähr, mit Hilfe dieses Werkes die komplexe Materie des Haftungsrechts verlässlich<br />
handhaben zu können.<br />
Gebhardt: Geographie Baden-Württembergs – Raum, Entwicklung, Regionen.<br />
2008. 376 Seiten, kartoniert. 6,50 Euro zzgl. Versandkosten. Landeszentrale<br />
für politische Bildung Baden-Württemberg und Verlag W. Kohlhammer,<br />
Stuttgart.<br />
Die Vielfalt Baden-Württembergs, sowohl in landschaftlicher als auch in kultureller,<br />
wirtschaftlicher und struktureller Hinsicht, ist Gegenstand dieser Publikation<br />
der Landeszentrale für politische Bildung. Reich bebildert und mit zahlreichen<br />
historischen und aktuellen Karten und Graphiken versehen liegt damit ein<br />
umfassendes Standardwerk zur Geographie unseres Bundeslandes zwischen Alpen<br />
und Odenwald vor.<br />
Starck: Förderalismusreform – Einführung. 2007. 198 Seiten, kartoniert.<br />
32,00 Euro. Verlag Franz Vahlen, München.<br />
Die Förderalismusreform I gilt als die größte Reform des Grundgesetzes seit einer<br />
Verabschiedung. Dabei kam es vor allem in den Bereichen Gesetzgebungskompetenzen<br />
von Bund und Ländern, Bildungspolitik, Beamtenrecht, Europa, Finanzen,<br />
Inneres und Umweltrecht zu Änderungen. Regelungen zur Konnexität wurden<br />
zwar nicht getroffen, jedoch wurde im Interesse der Gemeinden dem Bund<br />
das Recht der Aufgabenübertragung auf die Kommunen genommen. Die vorliegende<br />
Einführung bietet einen fundierten Überblick über alle relevanten Themen<br />
der Förderalismusreform I sowie die damit verbundenen Neuregelungen und<br />
versteht sich selbst als Ergänzung zu den gängigen Grundgesetzkommentaren.<br />
Zu den verschiedenen Punkten werden Hinweise zur Umsetzung, zu Folgeproblemen<br />
und zur Bewertung der jeweiligen Änderung geboten. In diesem Zusammenhang<br />
ist der Band gerade auch für Praktiker in Behörden und Verbänden<br />
hilfreich.<br />
Lenz/Borchardt: EU- und EG-Vertrag – Kommentar. 2006. Ca. 2.400 Seiten,<br />
kartoniert. 198,00 Euro. Bundesanzeiger Verlag, Köln.<br />
Im Vorlauf zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft erschienen, ist dies die Fortführung<br />
des Standardkommentars zum Europarecht. Interessant sind die Bezüge<br />
zur „Europäischen Verfassung“ in ihrer momentan angedachten Form, die regelmäßig<br />
hergestellt werden. Vor allem die zahlreichen Verweise auf die höchstrichterliche<br />
Rechtsprechung erweisen sich als sehr nützlich, zudem enthält die mitgelieferte<br />
CD-ROM umfangreiche Sekundärrechtstexte und wichtige Entscheidungen<br />
im Volltext.<br />
64 <strong>GEMEINDE</strong>TAG BADEN-WÜRTTEMBERG
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