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Heft 2 65-144 - Anwaltsblatt

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DeutscherAnwaltVerein<br />

Aus dem Inhalt<br />

G11041<br />

Aufsåtze<br />

Wohnungseigentum in der Krise (Drasdo) <strong>65</strong><br />

Mehrkostenmethode und Prozesstaktik<br />

(Liebheit) 73<br />

Strafrecht und Mediation (Meyer) 80<br />

Meinung & Kritik<br />

Zur Ausbildungsreform 88<br />

Mitteilungen<br />

Postulationsfåhigkeit 2000 100<br />

Anwaltliche Marketing- und Werbemethoden 103<br />

Rechtsprechung<br />

BVerfG: Versåumnisurteil 122<br />

BGH: Fremdgelder bei Abwicklung und<br />

Kauf einer Anwaltspraxis 127<br />

OLG Frankfurt a. M.: Verkehrsanwaltsgebçhr<br />

in der Berufung 136<br />

VGH Baden-W.: Gebçhren im Verfahren<br />

der Abschiebung 137<br />

2/2000<br />

Februar DeutscherAnwaltVerlag


Im Auftrag des<br />

Deutschen Anwaltvereins<br />

herausgegeben von den<br />

Rechtsanwälten:<br />

Felix Busse<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

Aufsätze<br />

<strong>65</strong> Wohnungseigentum in der Krise?<br />

Von Rechtsanwalt Michael Drasdo, Neuss<br />

73 Konsequenzen der Mehrkostenmethode für die Prozesstaktik<br />

Von Richter am OLG Uwe Liebheit, Münster-Hiltrup<br />

80 Die strafrechtliche Verantwortung von Juristen im<br />

Mediationsverfahren<br />

Von Referendar Torben Meyer, Bremen<br />

83 Zur Vereinbarkeit des Rechtsanwaltsberufs mit einer Tätigkeit im<br />

öffentlichen Dienst<br />

Von Wiss. Mitarbeiter Gerd Hoor, Köln<br />

Meinung & Kritik<br />

88 Ausbildungsreform I<br />

Von Rechtsanwalt Hermann Kreß, Nürnberg<br />

90 Ausbildungsreform II<br />

Von Rechtsanwältin Ulrike Gantert, Markt Schwaben<br />

91 Fachanwalt für Insolvenzrecht<br />

Von Rechtsanwalt Wolfgang Arens, Bielefeld<br />

92 Justizreform<br />

Vom Vorstand des Ludwigshafener Anwaltvereins<br />

Buchhinweis:<br />

– Bürger/Oehmann/Matthes/Göhle-Sander/Kreizberg:<br />

Handwörterbuch des Arbeitsrechts für die tägliche Praxis<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

93 PR-Referat<br />

Von Rechtsanwalt Swen Walentowski, Bonn<br />

94 Deutsche Anwaltauskunft<br />

Von Rechtsanwalt Swen Walentowski, Bonn<br />

95 ARGE Baurecht:<br />

15. Baurechtstagung in Frankfurt/Main<br />

96 ARGE Baurecht:<br />

Einladung zur Mitgliederversammlung 2000<br />

AG Medizinrecht:<br />

Einladung zur Zweiten Mitgliederversammlung<br />

Mitgliederversammlung und zweite Frühjahrstagung<br />

97 Anwalts-Kunstblatt<br />

98 AG Verkehrsrecht:<br />

Alfred Fleischmann 70 Jahre alt und<br />

fünfter Richard-Spiegel-Preisträger<br />

Von Rechtsanwalt und Notar Dr. Georg Greißinger, Hildesheim<br />

Mitgliederversammlung 2000<br />

Anwaltakademie:<br />

Agrarrecht-Seminar in Goslar<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Heinrich Wilhelm Rinck, Rotenburg<br />

(Wümme)<br />

Europa<br />

Schriftleitung:<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

Bonn, Adenauerallee 106<br />

Jahrgang 50<br />

Februar 2000<br />

99 Patentanwälte in Europa<br />

Von Rechtsanwalt Thomas Zerdick, Brüssel<br />

Buchhinweis:<br />

– Heinisch: Der juristische Blumenstrauß (Kirchhoff)<br />

b 2/2000<br />

l<br />

Mitteilungen<br />

100 Postulationsfähigkeit 2000<br />

Gebührenberechnung und -festsetzung nach dem 1.1.2000<br />

Von Rechtsanwalt H.G. Graf Lambsdorff, Frankfurt/Main<br />

103 Berufspolitische Fragen:<br />

Kommerzielle Anziehungskraft versierter<br />

anwaltlicher Marketing- und Werbemethoden<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Eberhard Fedtke, Essen<br />

106 Büro, Computer, Telekommunikation:<br />

Elektronischer Rechtsverkehr<br />

Von Rechtsanwalt Jürgen Schneider, Hamburg<br />

107 Hafpflichtfragen: Die Beweislast im Haftpflichtprozeß<br />

Von Rechtsanwalt Leonhard Seidl<br />

Allianz Versicherungs-AG, München<br />

109 Buchhinweis:<br />

– Dieterich/Hanau/Schaub: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht<br />

(Hamacher)<br />

– Weingärtner: Notarrecht, Bundeseinheitliche Vorschriften, Gesetze<br />

(Hamacher)<br />

– Burhoff: Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren<br />

(Hamacher)<br />

– Die Kanzlei<br />

– Ehrhardt/Douverne/Schmitz: Handbuch für Notare<br />

– Redeker/Uechtritz: Anwaltshandbuch für Verwaltungsverfahren<br />

Spezialitäten<br />

110 Scheinselbständigkeit und Rechtsschutzversicherung<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Roman F. Adam, Wetzlar<br />

114 Zustellung und Vollstreckung deutscher Urteile in Belgien aus Sicht<br />

eines deutschen Antragstellers<br />

Von Rechtsanwältin Dr. Elisabeth Hoffmann, Brüssel<br />

116 Durchsetzung zivilrechtlicher Forderungen in Bulgarien<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Frank Schmitz, Hamburg/Sofia<br />

118 Der Banken-Ombudsmann als unabhängiger und neutraler<br />

Schlichter<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Jens M. Schmittmann, Essen<br />

120 Neue Aufgaben für Rechtsanwälte<br />

Von Prof. Dr. Harald Ehlers, Kiel<br />

121 Buchhinweis:<br />

– Rohlfing: Erbrecht in der anwaltlichen Praxis (Dingeldey)<br />

Rechtsprechung<br />

(Übersicht und Leitsätze siehe Seite II)<br />

122 Berufsrecht<br />

133 Gebührenrecht<br />

140 Prozeßrecht<br />

<strong>144</strong> Impressum<br />

Auf dem Umschlag<br />

Das <strong>Anwaltsblatt</strong> ist auf technisch chlorfreiem Recyclingpapier gedruckt.<br />

DAV-Informationen Seite IV, XXII, XXIV,XXV, XXVI, XXVII<br />

DAV-Service Seite XXVIII<br />

Internet-Aktuell Seite XX


II<br />

Rechtsprechung<br />

Berufsrecht<br />

BVerfG, Erster Senat, Urt. v. 14.12.1999 – 1 BvR 1327/98<br />

GG Art. 12; BRAO § 59b; BerufsO § 13<br />

Die Bundesrechtsanwaltsordnung ermächtigt nicht zum Erlass von Satzungsrecht, das die<br />

Erwirkung eines Versäumnisurteils von einer vorherigen Ankündigung gegenüber dem<br />

gegnerischen Anwalt abhängig macht. – S. 122<br />

BVerfG, 2. Kammer Erster Senat, Beschl. v. 23.8.1999 – 1 BvR 1138/97<br />

GG Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Rechtsstaatsprinzip (wirkungsvoller Rechtsschutz)<br />

Auch bei der Inanspruchnahme privater Kurierdienste für die Beförderung fristwahrender<br />

Schriftsätze genügt der Bürger der ihn treffenden Darlegungslast, wenn er die (mögliche) fristgerechte<br />

Einlieferung bei regelmäßigem Betriebsablauf vorträgt. (LS der Redaktion) – S. 126<br />

BGH, Urt. v. 7.7.1999 – VIII ZR 131/98<br />

BGB §§ 133, 157, 433, 622; BRAO §§ 53, 55<br />

Zur Auslegung einer Vertragsbestimmung in einem Kaufvertrag über eine Rechtsanwaltspraxis,<br />

wonach der Erwerber, der gleichzeitig zum Abwickler bestellt ist, auf Kanzleikonten<br />

befindliche Fremdgelder zu sammeln und an die Berechtigten abzuführen hat. – S. 127<br />

BGH, Urt. v. 8.7.1999 – IX ZR 338/97<br />

BGB § 675<br />

Zur vertraglichen Haftung des Mitglieds einer Scheinsozietät für die Veruntreuung von<br />

Mandantengeldern durch den sachbearbeitenden Rechtsanwalt bei der Verwaltung und<br />

Abwicklung eines Nachlasses. – S. 130<br />

BGH, Beschl. v. 5.10.1999 – VI ZB 22/99<br />

ZPO § 233, § 234<br />

Zur Frage, wann der Rechtsanwalt bei Vorlage einer Akte auf Vorfristanordnung mit der<br />

Bearbeitung der Sache beginnen muss, sowie zur Zulässigkeit nachgeschobenen Vorbringens<br />

nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist. – S. 132<br />

Gebührenrecht<br />

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.11.1999 – 3 Ws 132/99<br />

BRAGO §§ 12 Abs. 1 S. 1, 12 Abs. 1 S. 2, 83 Abs. 1, 83 Abs. 2, 84 Abs. 1, 95; RPflG<br />

§ 11; StPO: §§ 464b S. 3, 311 Abs. 2, 44 S. 2<br />

1. Spätestens seit der Neufassung des § 11 RPflG durch das 3. RPflÄndG vom 6.8.1998<br />

(BGBl. I, 2030) bestimmt sich die Anfechtungsfrist gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse<br />

des Rpflegers in Strafsachen nach § 464b S. 3 StPO nach der einschlägigen Regelung<br />

der Strafprozessordnung, welche für die Einlegung des Rechtsmittels der sofortigen Beschwerde<br />

die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO vorsieht.<br />

2. Dem Vertreter des Nebenkl steht nach § 95 BRAGO grundsätzlich der gleiche Gebührenanspruch<br />

wie dem Verteidiger zu, da seine Tätigkeit nicht von minderer Bedeutung<br />

ist.<br />

3. Die Geltendmachung der Höchstgebühr im Rahmen des § 12 Abs. 1 S. 1 BRAGO erfordert,<br />

dass mehrere Bewertungsmerkmale überdurchschnittliches Gewicht aufweisen und diese<br />

dem Verfahren in seiner Gesamtheit ein außergewöhnliches Gepräge verleihen. – S. 133<br />

OLG Hamm, Beschl. v. 7.7.1999 – 2 Ws 179/99<br />

BRAGO §§ 12, 83, 95; StPO § 46a Abs. 2; ZPO § 91 Abs. 2<br />

1. Der als Nebenkläger zugelassene Rechtsanwalt, der sich selbst vertritt, kann die einem<br />

bevollmächtigten Rechtsanwalt zustehenden Gebühren und Auslagen erstattet verlangen.<br />

2. Zur Festsetzung einer unter der Mittelgebühr liegenden Gebühr in einem Verfahren<br />

wegen versuchten Mordes, in dem der Angekl von Anfang an geständig war. – S. 135<br />

OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 28.4.1999 – 25 W 29/99<br />

BRAGO § 52 Abs. 1<br />

Umfangreicher neuer Sach- und Streitstoff rechtfertigt die Zuerkennung der Verkehrsanwaltsgebühr<br />

im Berufungsrechtszug. (LS der Redaktion) – S. 136<br />

VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 12.1.1999 – 9 S 3097/98<br />

BRAGO § 114 Abs. 7; VwGO § 164<br />

Ein Verfahren, das auf Aussetzung der Abschiebung (Duldung) gerichtet ist, ist ein Verfahren<br />

über einen Akt der Zwangsvollstreckung i. S. d. § 114 Abs. 7 BRAGO, so daß der<br />

Rechtsanwalt hierfür lediglich drei Zehntel der in § 31 BRAGO bestimmten Gebühr erhält<br />

(im Anschluß an VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.12.1995 – 13 S 3199/94 –, VBlBW 1996,<br />

152; a. A. OVG Berlin, Beschl. v. 7.7.1998 – 7 K 26/98 –, NVwZ 1998, 992). – S. 137<br />

OVG Bremen, Beschl. v. 8.12.1998 – 1 BB 469/98<br />

BRAGO § 114 Abs. 7<br />

Verwaltungsgerichtliche Verfahren, in denen isoliert um eine Aussetzung der Abschiebung<br />

nach den §§ 53, 54 AuslG und die Erteilung einer entsprechenden Duldung gestritten wird,<br />

sind vom Anwendungsbereich des § 114 Abs. 7 S. 1 BRAGO ausgenommen. – S. 137<br />

VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 3.5.1999 – 13 S 2427/98<br />

BRAGO § 114 Abs. 7, § 31<br />

Für ein Verfahren, das auf Aussetzung der Abschiebung (Duldung) gerichtet ist, erhält<br />

der Rechtsanwalt des Antragstellers drei Zehntel der in § 31 BRAGO bestimmten Gebühren,<br />

weil die Entscheidung über eine ausländerrechtliche Duldung ein Akt der Zwangsvollstreckung<br />

i. S. d. § 114 Abs. 7 BRAGO ist (wie VGH Bad.-Württ., Beschl. v.<br />

19.1.1999 – 9 S 3097/98 –, VBlBW 1999, 190 f., im Anschluß an den Senatsbeschl. v.<br />

19.12.1995 – 13 S 3199/94 –, VBlBW 1996, 152; a. A. OVG Berlin, Beschl. v. 7.7.1998 –<br />

7 K 26/98 –, NVwZ 1998, 992 und Bay.VGH, Beschl. v. 26.10.1998 – 10 C 98.1971 –,<br />

NVwZ-Beilage 11999, 12). – S. 138<br />

OLG Koblenz, Urt. v. 23.12.1997 – 5 U 694/97<br />

BGB §§ 222, 225<br />

Hat der Erblasser auf die Einrede der Verjährung gegen einen Gebührenanspruch seines<br />

Rechtsanwaltes verzichtet und verweigert die Rechtsnachfolgerin (Ehefrau) die Annahme<br />

eines Zahlungsaufforderungsschreibens, so muß der Gläubiger (Rechtsanwalt) in verständiger<br />

Würdigung der Verhältnisse nunmehr den Eindruck gewinnen, ohne Anrufung des<br />

Gerichts nicht zu seinem Recht zu kommen und alsbald Klage erheben. – S. 139<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.5.1999 – 11 W 23/99<br />

ZPO § 3<br />

Der Streitwert der Klage auf Herausgabe eines Kraftfahrzeugbriefes bestimmt sich nach<br />

dem Interesse des Kl an der Verfügungsgewalt über das Dokument. Für die Bewertung<br />

dieses Interesses sind die Umstände des Einzelfalles maßgeblich. – S. 140<br />

Prozessrecht<br />

LG Stendal, Beschl. v. 22.9.1999 – 22 AR 23/99<br />

ZPO §§ 41, 42; BRAO § 20 Abs. 1 Nr. 2<br />

1. Die Ehe des zur Entscheidung berufenen Richters mit einer angestellten Rechtsanwältin der<br />

die Partei vertretenden Sozietät begründet für sich genommen keine Besorgnis der Befangenheit,<br />

wenn die angestellte Rechtsanwältin in der rechtshängigen Sache nicht gearbeitet hat.<br />

2. Zum Regelungsbereich des § 20 BRAO Abs. 1 Nr. 2. (LS der Redaktion) – S. 140<br />

OLG München, Beschl. v. 3.3.1998 – AZ 21 W 3310/97<br />

ZPO §§ 181, 233, 418; PostG § 16 Abs. 1<br />

Eine Wiedereinsetzung in der vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist<br />

gegen ein Versäumnisurteil ist zu versagen, wenn der Betreffende noch vor Ablauf der<br />

Einspruchsfrist von der Urteilszustellung so rechtzeitig Kenntnis erlangt hat, daß ihm die<br />

Wahrung der Frist möglich war. Eine Ersatzzustellung durch die Deutsche Bundespost ist<br />

wegen deren Beleihung jedenfalls bis zum 31.12.1997 wirksam. Der Einwurf der Benachrichtigung<br />

von der Niederlegung in einem Gemeinschaftsbriefkasten steht der Wirksamkeit<br />

der Zustellung nicht entgegen, wenn dies dem üblichen Verfahren des Zustellers<br />

entspricht. Grundsätzlich kommt es auf die vom Postzusteller beim einzelnen Zustellungsadressaten<br />

praktizierte und von diesem jedenfalls hingenommene Übung an; was für<br />

sonstige Post erkennbar „üblich“ ist, reicht auch für die Abgabe der Mitteilung. – S. 141<br />

BGH, Beschl. v. 9.9.1997 – IX ZB 80/97<br />

ZPO § 233<br />

Fristwahrende Maßnahmen dürfen vor ihrer Durchführung im Kalender erst dann als erledigt<br />

gekennzeichnet werden, wenn sie eingeleitet sind und allgemein dafür Sorge getragen<br />

ist, daß dieser einleitende Vorgang zuverlässig zum Abschluß der fristwahrenden<br />

Maßnahme führt. Mit dem Einlegen fristwahrender Schriftsätze in ein Postausgangsfach<br />

hat die Einreichung bei dem Adressaten nur begonnen, wenn diese Post anschließend unmittelbar<br />

zu dem Adressaten verbracht wird. – S. 142<br />

BGH, Urt. v. 6.5.1999 – IX ZR 250/98<br />

ZPO §§ 263, 511, 523<br />

Der Kläger kann das erstinstanzliche Urteil nicht mit der Berufung in der Weise anfechten,<br />

daß er den weiterverfolgten Klageanspruch in erster Linie auf einen neuen Lebenssachverhalt<br />

und hilfsweise auf den erstinstanzlichen Klagegrund stützt (Anschluß an<br />

BGH, Urt. v. 14.2.1996 – VIII ZR 68/95, NJW-RR 1996, 7<strong>65</strong> unter Aufgabe von BGH,<br />

Beschl. v. 9.11.1995 – IX ZB <strong>65</strong>/95, NJW 1996, 320). – S. 143<br />

LG Köln, Beschl. v. 1.10.1999 – 25 S 21/99<br />

ZPO § 519<br />

Dem Erfordernis einer von dem beim BerG postulationsfähigen Prozeßbevollmächtigten<br />

unterzeichneten Berufungsbegründung genügt es nicht, wenn diese nur mit einer Unterschrift<br />

des nicht postulationsfähigen Bevollmächtigten versehen eingeht und lediglich ein<br />

getrennt von der Berufungsbegründung eingereichtes Wiedereinsetzungsgesuch die Unterschrift<br />

des postulationsfähigen Bevollmächtigten trägt. – S. <strong>144</strong>


IV<br />

Lesen Sie in diesem <strong>Heft</strong> aus der<br />

Arbeit des DAV auf Seite 93 bis 98:<br />

Deutsche Anwaltauskunft / ARGE<br />

Baurecht / AG Medizinrecht / AG<br />

Verkehrsrecht / Agrarrechtseminar<br />

in Goslar<br />

Gebührenrecht in AGS Nr. 2/2000<br />

9 Schneider: Verteidigergebühren bei<br />

Einstellung und Einspruchsrücknahme<br />

nach der Hauptverhandlung<br />

9 OLG Koblenz: Abhilfebefugnis des<br />

Rechtspflegers im Kostenfestsetzungsbeschluß<br />

9 OLG München: PKH im Sorgerechtsverfahren<br />

9 OLG München: Festsetzung entgangener<br />

Anlagezinsen im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

9 LG Arnsberg: Unzulässige Gebührenunterschreitung<br />

in Zusammenarbeit<br />

mit Inkassofirmen<br />

9 LG Marburg: Rechtsanwaltsgebühren<br />

im Verfahren zur Prüfung der<br />

Fortdauer der Unterbringung gem.<br />

§§ 63, 67d StGB<br />

Arbeitsgemeinschaft Sportrecht<br />

1. Sportrechtstagung in Berlin<br />

„Kommerzialisierung des Sports –<br />

Chancen und Risiken“<br />

Programm<br />

Freitag, 17. März 2000, Beginn 14 Uhr<br />

9 „Vermarktung von Sportveranstaltungen<br />

am Beispiel der Fußball-WM“<br />

Dr. Stefan Ziffzer, Geschäftsführer der<br />

KirchGruppe (angefragt)<br />

9 „TV-Verwertungsverträge über<br />

Sportveranstaltungen“<br />

Rechtsanwalt Dr. Thomas Summerer,<br />

Syndikus von SAT 1, Berlin<br />

Diskussion<br />

ab 20 Uhr Berliner Kneipenbummel<br />

Samstag,18. März 2000, Beginn 9.30 Uhr<br />

9 „Schutz der Persönlichkeitsrechte<br />

im Rahmen der Vermarktung“<br />

Podiumsdiskussion<br />

Moderation: Rechtsanwalt Dr. Thomas<br />

Summerer, Syndikus von SAT 1,<br />

Berlin<br />

Referenten (angefragt):<br />

– aus der Sicht der Spieler: Florian<br />

Gothe, Bochum,Präsident der Vereinigung<br />

der Vertragsfußballspieler<br />

– aus der Sicht der Vereine/Arbeitgeber:<br />

Dieter Hoeneß, Hertha<br />

BSC Berlin<br />

– aus der Sicht der Agenturen: ein<br />

Vertreter von ISPR<br />

– aus der Sicht des Juristen: Rechtsanwalt<br />

Dr. Martin Schimke, Düsseldorf<br />

Diskussion<br />

Ende ca. 12.30 Uhr<br />

15.30 Uhr Besuch des Bundesligaspiels<br />

Hertha BSC gegen Bayern<br />

München<br />

(begrenztes Kartenkontingent)<br />

17.30 Uhr Besuch des SAT 1 ran-Studios<br />

(begrenztes Kartenkontingent)<br />

Hotel Crowne Plaza Berlin City Centre<br />

Nürnberger Str. <strong>65</strong>, 10787 Berlin<br />

Telefon: 030-210070, Telefax: 030-<br />

2132009<br />

Zimmerkontingent: DM 240/EZ, 270/<br />

DZ inkl. Frühstück unter dem Stichwort<br />

„DAV-Sportrecht“ bis 15. Februar 2000<br />

Teilnehmerbeiträge<br />

DM 450,– für Nichtmitglieder (Bei<br />

Beitritt zur Arbeitsgemeinschaft Sportrecht<br />

im DAV bis zum Beginn der<br />

Tagung wird der Beitrag für Mitglieder<br />

erhoben.)<br />

250 DM für Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft<br />

Sportrecht im DAV<br />

150 DM für Mitglieder des Forums<br />

junge Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />

im DAV<br />

Informationen: Veranstaltungsbüro<br />

der Arbeitsgemeinschaft Sportrecht<br />

Deutsche Anwaltakademie, Herr Klaus<br />

Burchard, Telefon: 02 28 – 98366 35<br />

AG Verkehrsrecht<br />

Aktuelle Fragen der<br />

Schadensabwicklung von<br />

Verkehrsunfällen<br />

– Gemeinschaftsseminar der Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht im Deutschen<br />

Anwaltverein mit dem BVSK (Bundesverband)<br />

und der GTÜ (Gesellschaft<br />

für Technische Überwachung mbH) –<br />

Nächste Seminare Februar bis<br />

Mai 2000 (jeweils 18.00 Uhr):<br />

9 Datum: 15.2.2000<br />

Ort: Münster,<br />

Stadthalle Hiltrup,<br />

Westfalenstr. 197,<br />

481<strong>65</strong> Münster,<br />

Westf.<br />

Seminarleitung: RA Elsner<br />

9 Datum: 16.2.2000<br />

Ort: Düsseldorf,<br />

Heinrich-Heine-<br />

Universität,<br />

Universitätsstr. 1,<br />

Hörsaal 3A,<br />

Gebäude 2301,<br />

Ebene U1,<br />

40225 Düsseldorf<br />

Seminarleitung: RA Schultheis<br />

9 Datum: 22.2.2000<br />

Ort: Ettlingen, Stadthalle<br />

Ettlingen,<br />

Friedrichstr. 14,<br />

76275 Ettlingen<br />

Seminarleitung: RA Dr. Hörl<br />

9 Datum: 21.3.2000<br />

Ort: Magdeburg,<br />

AMO Kultur- und<br />

Kongresshaus,<br />

Grosser Saal,<br />

Erich-Weinert-Str.<br />

27, 39104 Magdeburg<br />

Seminarleitung: RA Grohmann<br />

9 Datum: 22.3.2000<br />

Ort: Gera,<br />

Kultur- und<br />

Kongresszentrum,<br />

Grosser Saal,<br />

Schloßstr.,<br />

07502 Gera<br />

Seminarleitung: RA Dr. Burmann<br />

(Fortsetzung auf Seite XXII)<br />

9 Scheinselbständigkeit<br />

9 EuGVÜ<br />

9 Britischer und Deutscher Zivilprozeß


Im Auftrag des<br />

Deutschen Anwaltvereins<br />

herausgegeben von den<br />

Rechtsanwälten:<br />

Felix Busse<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

Wohnungseigentum in der<br />

Krise?*<br />

Rechtsanwalt Michael Drasdo, Neuss<br />

Das am 20.3.1951 in Kraft getretene WEG vom<br />

15.3.1951 1 besteht seit annähernd fünfzig Jahren. Wenn auch<br />

zwischenzeitlich einige Änderungen erfolgt sind, so handelt<br />

es sich niemals um strukturelle Eingriffe des Gesetzgebers.<br />

In seinen wesentlichen Grundzügen ist das WEG immer<br />

noch in seiner ursprünglichen Fassung erhalten.<br />

I. Einleitung<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

Bonn, Adenauerallee 106<br />

Jahrgang 50<br />

Februar 2000 AQl<br />

Das Wohnungseigentum erfreut sich auch in der Bevölkerung<br />

breiter Beliebtheit. Dies gilt sowohl für Eigennutzer,<br />

klassischen Kapitalanleger und diejenigen, die eine Wohnung<br />

zum Zwecke der Altersversorgung erwerben. Das<br />

Wohnungseigentum ist insoweit ein Instrument, Immobilien<br />

zu erwerben und diese wirtschaftlich zu nutzen ohne sich<br />

mit den finanziellen und tatsächlichen Bedingungen eines<br />

Ein- oder Mehrfamilienhauses auseinandersetzen zu müssen.<br />

Diese in der Bevölkerung steigende Beliebtheit des<br />

Wohnungseigentums ergibt sich auch aus den, wenn auch<br />

nur in geringem Umfang vorliegenden statistischen Werten<br />

2 . So kann davon ausgegangen werden, daß in den alten<br />

Ländern bis einschließlich 1994 etwa 2.500.000 Wohnungseigentumseinheiten<br />

existierten 3 . Für die neuen Bundesländer<br />

konnten zum damaligen Zeitpunkt erst circa 70.000<br />

Wohnungseigentumseinheiten ermittelt werden4 , jedoch<br />

dürfte diese Zahl auch wegen der durch das AHG 5 geförderten<br />

Aufteilung zwischenzeitlich auf etwa 600.000 Einheiten<br />

gestiegen sein6 . Insoweit kann davon ausgegangen werden,<br />

als die Zahl der Eigentumswohnungen unter Berücksichtigung<br />

zuletzt ermittelten Steigerungsraten von 7,2% bis<br />

9,2% jährlich 7 im Jahre 2000 sich etwa 4.100.000 gestiegen<br />

sein dürfte. Unterstellt man mit Seuß 8 bundesweit eine<br />

durchschnittliche Größe von 25 Wohnungen je Gemein-<br />

Nachrichten für die Mitglieder<br />

des Deutschen Anwaltvereins e. V.<br />

schaft, so ergeben sich daraus nahezu 1<strong>65</strong>.000 Wohnungseigentümergemeinschaften.<br />

Die stetig ansteigende Entwicklung des Wohnungseigentums<br />

spiegelt sich auch in dem Anteil der Eigentumswohnungen<br />

an den neu errichteten Bauvorhaben wieder. In den<br />

Jahren 1993 und 1994 waren diesbezüglich Steigerungsraten<br />

von 15,5% beziehungsweise 24,3% zu verzeichnen 9 ,was<br />

zeigt, welche enorme wirtschaftliche Bedeutung das Wohnungseigentum<br />

hat. Dabei sind nicht nur Erstellung und<br />

Verkauf, sondern auch Bewirtschaftung, Sanierung und Verwaltung<br />

sowie Vermietung oder anderweitige Gebrauchsüberlassung<br />

angesprochen. Letztlich ist durch die Schaffung<br />

des Wohnungseigentums auch ein neues Berufsbild, das des<br />

Wohnungseigentumsverwalters nach § 26 WEG, geschaffen,<br />

zumindest aber das des bisherigen Immobilienverwalters<br />

erheblich erweitert worden. Hingegen kann nicht davon<br />

ausgegangen werden, daß die steigende Anzahl der Woh-<br />

* Vortrag im Vorfeld der Mitgliederversammlung 1999 der Arbeitsgemeinschaft<br />

Mietrecht und WEG, die am 14.5.1999 in Bonn im Rahmen des 50. Deutschen<br />

Anwaltstages des DAV durchgeführt wurde.<br />

1 Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht vom 15.3.1951,<br />

BGBI. I 1951, 175 ff.; BGBI. III 1951, 403-1, zuletzt geändert durch Gesetz<br />

vom 5.10.1994, BGBI. I 1994, 2911 ff.<br />

2 Vgl. Bielefeld in DerWE 1989, 145, der einen Bestand von etwa 1.800.000<br />

Eigentumswohnungen angibt und Nienhaus in WE 1990, 187 ff., wo bereits<br />

circa 1.700.000 existierende Eigentumswohnungen ausgewiesen werden, beide<br />

jeweils zu der Gebäude- und Wohnungszählung 1987.<br />

3 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten<br />

Dr. Eckart Pick, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Achim Großmann, weiterer<br />

Abgeordneter und der Fraktion der SPD Drucksache 13/2<strong>65</strong>3-, BT-Drucks. 13/<br />

4712 vom 23.5.1996, Seite 3 auf den Stand von 1993 bezogen; Seuß in Bärmann/Seuß,<br />

A Rdnr. 61; ders. in Der Fachverwalter, Band 11996, Seite 7 ff (9<br />

f.).<br />

4 Vgl. Seuß in Bärmann/Seuß, A Rdnr. 61.<br />

5 Gesetz über die Altschuldenhilfe für kommunale Wohnungsunternehmen, Wohnungsgenossenschaften<br />

und private Vermieter in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages<br />

genannten Gebiet (Altschuldenhilfe-Gesetz) vom 23.6.1993, BGBI. I<br />

1993, 944 ff., zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.11.1996, BGBI. I 1996,<br />

1780 f.<br />

6 Vgl. Seuß in Der Fachverwalter, Band 1 1996, Seite 7 ff. (12).<br />

7 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten<br />

Dr. Eckart Pick, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Achim Großmann, weiterer<br />

Abgeordneter und der Fraktion der SPD Drucksache 13/2<strong>65</strong>3-, BT-Drucks. 13/<br />

4712 vom 23.5.1996, Seite 3.<br />

8 Vgl. Seuß in Der Fachverwalter, Band 1 1996, Seite 7 ff. (12).<br />

9 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten<br />

Dr. Eckart Pick, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Achim Großmann, weiterer<br />

Abgeordneter und der Fraktion der SPD Drucksache 13/2<strong>65</strong>3-, BT-Drucks. 13/<br />

4712 vom 23.5.1996, Seite 3.


66<br />

l<br />

nungseigentumseinheiten auch zu einer Steigerung der<br />

gerichtlichen Verfahren geführt hat. Dies wird zwar im<br />

Hinblick auf die Novellierung verfahrensrechtlicher Vorschriften<br />

von den Verfassern der bisher vorgelegten Gesetzentwürfe<br />

behauptet, läßt sich aber so nicht nachhalten. Gerade<br />

die Entwürfe verschiedener Bundesländer wurden im<br />

wesentlichen mit der angeblich zunehmenden Anzahl gerichtlichen<br />

Verfahren in den letzten sechs Jahren 10 um etwa<br />

33% begründet, während die Zahl der Richter lediglich um<br />

7,8% gestiegen sei 11 . Betreffend die Wohnungseigentumsverfahren<br />

müssen die Angaben jedoch bezweifelt werden.<br />

Die ehemalige Bundesregierung hat noch in ihrer Stellungnahme<br />

vom 23.5.1996 angegeben, daß die wohnungseigentumsrechtlichen<br />

Verfahren in einem vergleichbaren Zeitraum<br />

nur um 12,7% angestiegen seien 12 . Zu Recht wird<br />

auch darauf hingewiesen, daß die Zahlen, die als Argumentationshilfe<br />

von den Entwurfverfassern zugrunde gelegt<br />

werden, auf nicht nachvollziehbaren Schätzungen beruhen13<br />

. Von einem generellen Anstieg der Wohnungseigentumsverfahren<br />

zu sprechen ist auch deshalb nicht gerechtfertigt,<br />

weil in dem vergleichbaren Zeitraum die Anzahl<br />

der Wohnungseigentumsrechte um mehr als 33% gestiegen<br />

ist 14 . Der Vergleich mit der Menge der Gerichtsverfahren<br />

läßt daher eher den Schluß zu, daß zwar eine absolute, jedoch<br />

keine relative Steigerung vorliegt.<br />

Insgesamt besteht bei allen beteiligten Personen, Verbänden<br />

und Firmen nahezu Einigkeit, daß sich die vorliegenden<br />

Regelungen des WEG offensichtlich hinreichend<br />

bewährt haben.<br />

Dennoch sind einzelne Änderungswünsche, etwa zu der<br />

rechtlichen Behandlung des Verwaltungsvermögens15 , der<br />

Möglichkeit der zumindest vorläufigen Vollstreckung von<br />

Zahlungsbeschlüssen16 , den Konflikten zwischen WEG und<br />

dem Mietrecht 17 , der Behandlung zahlungsunfähiger Wohnungseigentümer18<br />

und zu Möglichkeiten der Änderung der<br />

Gemeinschaftsordnung durch Mehrheitsentscheidungen19 sowie der Einräumung von Sondernutzungsrechten 20 bekannt<br />

geworden.<br />

Ob diese angedachten Neuerungen tatsächlich notwendig<br />

sind, mag dahinstehen 21 . Der bisherige Gesetzgeber hat<br />

jedenfalls keine Veranlassung gesehen, systematische oder<br />

strukturelle Änderungen vorzunehmen beziehungsweise in<br />

Betracht zu ziehen 22 . Soweit zur Zeit verschiedene Gesetzesänderungsvorschläge<br />

in die Beratungen des Bundestages<br />

23 oder Bundesrates 24 eingebracht wurden, beziehen<br />

sich diese auch nicht auf das Wohnungseigentum als solches,<br />

sondern in erster Linie auf das gerichtliche Verfahren<br />

und haben nur daraus folgend Auswirkungen auf einige<br />

Bestimmungen des WEG gehabt.<br />

II. Krisensymptome<br />

Dennoch scheint gerade ein Problem, welches der<br />

Gesetzgeber bisher offensichtlich nicht erkannt hat, das<br />

Wohnungseingentum in seinem Bestand, wenn auch nicht<br />

unmittelbar zu gefährden, so doch zumindest zu beeinträchtigen<br />

und seine Beliebtheit 25 in der Bevölkerung zu schmälern.<br />

In der jüngsten Vergangenheit mußte nämlich immer<br />

wieder beobachtet werden, daß einzelne Wohnungseigentümergemeinschaften<br />

in wirtschaftliche Schwierigkeiten<br />

gerieten. Mangels vorhandener Vermögenswerte konnten<br />

Forderungen dritter Personen nicht ausgeglichen werden.<br />

Dies führte zu Verhängungen von Liefersperren 26 durch<br />

Versorgungsträger, Kündigungen durch die Versicherungsgesellschaften<br />

27 oder gar die Aufgabe der Verwalterstel-<br />

AnwBl 2/2000<br />

Aufsätze<br />

lung 28 und die Einstellung von notwendigen Instandsetzungsmaßnahmen<br />

29 . Zurückzuführen ist diese für die Verwaltung<br />

des Wohnungseigentums kaum tragbare Situation<br />

in der Regel darauf, daß eine überwiegende Anzahl der<br />

Wohnungseigentümer ihren Verpflichtungen gegenüber der<br />

jeweiligen Wohnungseigentümergemeinschaft nicht nachgekommen<br />

ist und voraussichtlich auf längere Zeit auch<br />

nicht nachkommen können wird. Die Ursachen dafür sind<br />

vielfältig. Sie liegen unter anderem in<br />

1. der zunehmenden Arbeitslosigkeit und der damit<br />

zwangsläufig verbundenen persönlichen finanziellen Einschränkung<br />

des selbstnutzenden Wohnungseigentümers;<br />

2. der wegen zunehmender Arbeitslosigkeit häufigen<br />

Nichtzahlungen von Mietzinsen, was unmittelbar auf den<br />

vermietenden Eigentümer, der die Wohngeldzahlungen zu<br />

erbringen und die Kreditlasten zu befriedigen hat, durchschlägt;<br />

3. der häufig vorliegenden persönlichen Überlastung des<br />

kapitalanlegenden Eigentümers im Falle der Kapitalanlagen;<br />

4. einer falschen betriebswirtschaftlichen und steuerlichen<br />

Beratung über mögliche, in praxi jedoch nicht zu realisierende<br />

Abschreibungen und Renditen.<br />

10 Tatsächlich sind es nunmehr acht Jahre.<br />

11 Vgl. BR-Drucks. 605/96, Seite 29.<br />

12 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten<br />

Dr. Eckart Pick, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Achim Großmann, weiterer<br />

Abgeordneter und der Fraktion der SPD, BT-Drucks. 13/4712, Seite 30 und<br />

die Tabelle, Seite 37.<br />

13 Vgl. Köhler in DerWE 1996,154 (154).<br />

14 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten<br />

Dr. Eckart Pick, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Achim Großmann, weiterer<br />

Abgeordneter und der Fraktion der SPD, BT-Drucks. 13/4712, Seite 2; siehe<br />

dazu auch Huff in DerWE 1996, 132 (132) und Köhler in DerWE 1996, 154<br />

(154).<br />

15 Vgl. Deckert in DerWE 1996, 145 (147); Hauger in DerWE 1996, 128.<br />

16 Vgl. Deckert in DerWE 1996, 145 (148); a. A. Bader in PiG; Band 36, 167<br />

(168); ders. in DerWE 1996, 134 (135).<br />

17 Vgl. Sauren in DerWE 1996, 149.<br />

18 Vgl. Drasdo in DerWE 1996, 151; von Rechenberg in DerWE 1996,163<br />

(164); Sauren in DerWE 1996, 149.<br />

19 Vgl. Belz in DerWE 1996,140 (141); Haag in DerWE 1996, 158; Happ in Der-<br />

WE 1996, 161 (162); Münstermann-Schlichtmann in DerWE 1996, 130; von<br />

Rechenberg in DerWE 1996,163.<br />

20 Vgl. Belz in DerWE 1996, 140 (<strong>144</strong>).<br />

21 Vgl. Haas in DerWE 1996, 124; Schmidt in DerWE 1996, 137, die Änderungen<br />

nicht für erforderlich halten.<br />

22 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten<br />

Dr. Eckart Pick, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Achim Großmann, weiterer<br />

Abgeordneter und der Fraktion der SPD Drucksache 13/2<strong>65</strong>3-, BT-Drucks. 13/<br />

4712 vom 23.5.1996.<br />

23 Vgl. Gesetzesentwurf der Abgeordneten Norbert Geis, Roland Pofalla, Dr. Jürgen<br />

Rüttgers, Dr. Wolfgang Götzer, Manfred Kanther, Volker Kauder, Eckart<br />

von Klaeden, Norbert Röttgen, Dr. Rupert Scholz, Carl-Dieter Spranger, Dr.<br />

Wolfgang Freiherr von Stetten, Dr. Susanne Tiemann, Andrea Astrid Voßhoff<br />

und der Fraktion der CDU/CSU vom 8.12.1998, BT-Drucks. 14/163, „Entwurf<br />

eines Gesetzes zur Vereinfachung des zivilrechtlichen Verfahrens und des Verfahrens<br />

der freiwilligen Gerichtsbarkeit“.<br />

24 Vgl. den Gesetzesantrag des Freistaates Bayern vom 17.11.1998, BR-Drucks.<br />

915/98 „Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens<br />

und des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit“ in Verbindung<br />

mit BR-Drucks. 605/96.<br />

25 Vgl. zu dem Zuwachs des Wohnungseigentums im Bereich des Wohnungsbaus<br />

die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten<br />

Dr. Eckart Pick, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Achim Großmann, weiterer Abgeordneter<br />

und der Fraktion der SPD Drucksache 13/2<strong>65</strong>3-, BT-Drucks. 13/4712<br />

vom 23.5.1996 und die Stellungnahmen von Huff in DerWE 1996, 132 und<br />

Köhler in DerWE 1996, 154.<br />

26 Den Voraussetzungen der Liefersperre durch Versorgungsunternehmen vgl.<br />

nur BVerfG NJW 1982,1511; BGH NJW 1991, 2645; LG Bonn WuM 1980,<br />

231; LG Düsseldorf NJW-RR 1991, 17; LG Frankfurt DWW 1998, 312; LG<br />

Gera DWW 1998, 314; AG Frankfurt DWW 1998, 312; AG Gera DWW 1998,<br />

314; AG Jena NZM 1999, 123; AG Leipzig DWW 1998, 283; AG Ludwigsburg<br />

NZM 1999, 122; AG Melsungen WuM 1997, 114; AG Siegen NZM<br />

1999, 122.<br />

27 Vgl. dazu Drasdo in ZMR 1995, 386.<br />

28 Vgl. dazu Drasdo in ZMR 1995, 386.<br />

29 Vgl. dazu Drasdo in ZMR 1995, 386.


AnwBl 2/2000 67<br />

Aufsätze l<br />

Weitere Ursachen ließen sich beliebig aufzählen. In diesem<br />

Zusammenhang muß ein besonderer Fall, der auch in<br />

zahlreichen Medien bereits Erörterung gefunden hat und<br />

sich offensichtlich im gewerblichen Vertrieb von Wohnungseigentum<br />

als Kapitalanlage verbreitet hat, dargestellt<br />

werden. Wohnungen in Westdeutschland werden gegenüber<br />

süddeutschen Kapitalanlegern, die Quadratmeterpreise von<br />

etwa 8.000 DM in ihrer eigenen Umgebung gewohnt sind,<br />

zu „günstigen“ Bedingungen von 2.500 DM bis 4.000 DM<br />

angeboten. Tatsächlich haben die Wohnungen jedoch einen<br />

Wert, der diese Beträge – teilweise weit – unterschreitet.<br />

Zweifelhafte Wertgutachten einer Bank, die gerne die<br />

Finanzierung übernimmt, untermauern jedoch das Angebot.<br />

Gegenüber dem Erwerber wird eine Renditeberechnung aufgezeigt,<br />

die zunächst darauf basiert, daß die Betriebskosten<br />

in zu niedriger Höhe angegeben werden. Dadurch entsteht<br />

der Eindruck, daß die erzielten Mietzinsen ausreichen, die<br />

Finanzierungs-, die Tilgungs- und die Betriebskosten zu<br />

decken. Daneben versprechen die Vermittler den Interessenten,<br />

daß im Falle eines Kaufes von der Vermittlungsprovision<br />

ein Teil an den Erwerber ausgezahlt werde. Häufig ersetzt<br />

dieser Anteil der Provision dann den notwendigen<br />

Eigenkapitalanteil. In Zusammenarbeit mit der den Kredit<br />

finanzierenden Bank wird dann eine Finanzierung angeboten,<br />

die den Kaufpreis, die Erwerbskosten und zum Teil<br />

auch das nicht vorhandene Eigenkapital umfaßt. Steuerlich<br />

angeblich günstige Bedingungen werden ebenfalls vorgespiegelt.<br />

Häufig sind diese nicht nachvollziehbar oder<br />

unrealistisch. In manchen Fällen verstoßen sie sogar gegen<br />

Entscheidungen der Finanzgerichte oder die Bestimmungen<br />

des EStG.<br />

Spätestens mit der ersten Jahresabrechnung stellen die<br />

Erwerber fest, daß erhebliche Nachzahlungen ergeben sich<br />

aus den Einzelabrechnungen aufzubringen sind. Hinzu<br />

kommt, daß die Objekte häufig in einem sanierungsbedürftigen<br />

Zustand sind, der den Eigentümern nicht bekannt ist,<br />

weil sie die Anlagen aufgrund der Entfernung zu ihrem<br />

Wohnsitz nicht in Augenschein genommen haben. Die sich<br />

als Folge daraus ergebenden notwendigen Sonderumlagen<br />

können häufig nicht aufgebracht werden. Zu diesem Zeitpunkt<br />

ergeben sich auch wegen der mangelnden Kapitalausstattung<br />

der Eigentümer regelmäßig die ersten finanziellen<br />

Ausfälle, die in ihrer Konsequenz zu den oben geschilderten<br />

Folgen führen. Auffallend ist, daß oft solche Personen die<br />

Wohngen erwerben, die unter „normalen“ Umständen nicht<br />

in der Lage wären, solche zu erwerben. Es sind Fälle bekannt<br />

geworden, in denen Wohnungen als steuersparende<br />

Kapitalanlage mit Finanzierungshilfen von Banken an Sozialhilfeempfänger<br />

und Arbeitslose verkauft wurden.<br />

Kommt es nach absehbarer Zeit im Rahmen der Zwangsvollstreckung<br />

zu dem Versteigerungsverfahren der Wohnung,<br />

stellen die Eigentümer mit Schrecken fest, daß der<br />

Wert der Wohnung durch einen gerichtlich beauftragten<br />

Gutachter wesentlich niedriger festgestellt wird als in den<br />

Verkaufsunterlagen angegeben. Der Erlös deckt die Belastungen<br />

nicht, so daß der Finanzierungskredit nicht vollständig<br />

getilgt werden kann. Die Eigentümer müssen einen<br />

erheblichen Teil des Darlehens weiterhin abtragen. Hier beginnt<br />

häufig das sich an den Erwerb einer solchen Wohnung<br />

anschließende soziale Elend der Erwerber, die sich von den<br />

finanziellen Folgen dieser „rentablen“ Anlage wegen der<br />

hohen Zinsen und Kosten ohne Hilfe nicht mehr erholen<br />

können. Im Bereich von sogenannten Kapitalanlagemodellen<br />

haben sich diese Symptome in jüngster Zeit bereits fast<br />

als üblich dargestellt 30 . Mangels Zahlung der erforderlichen<br />

Hausgelder sind gerade solche Gemeinschaften oft nach<br />

kurzer Zeit nicht mehr in der Lage, die Kosten der Bewirtschaftung<br />

hinreichend sicher zu stellen 31 . Für die Wohnungseigentümergemeinschaften<br />

hat die Nichtzahlung des<br />

Wohngeldes und der mangelnde Ausgleich sonstiger Forderungen<br />

durch einige Eigentümer oft verheerende Folgen. Da<br />

die Wohnungseigentümer gegenüber dritten Personen als<br />

Gesamtschuldner haften 32 , müssen die zahlenden und noch<br />

finanzkräftigen Mitglieder der Gemeinschaft letztlich auch<br />

die durch die Ausfälle bedingten Defizite finanzieren. Je<br />

höher die Zahl der ihren Verpflichtungen nicht nachkommenden<br />

Wohnungseigentümer und der Ausfall der Zahlungen<br />

ist, desto mehr steigt die Belastung für die anderen<br />

Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft. Je nach<br />

sozialer Struktur und finanziellem Hintergrund der verbleibenden<br />

Wohnungseigentümer lassen sich die Folgen der<br />

Wohngeldausfälle drastisch beschreiben. In Extremfällen<br />

kann die sich aus der Nichtzahlung ergebende Mehrbelastung<br />

der zahlenden Wohnungseigentümer dazu führen, daß<br />

diese ebenfalls auf Dauer nicht mehr in der Lage sind, die<br />

zur Bewirtschaftung der Anlage erforderlichen Mittel aufzubringen.<br />

Der „Kollaps“ einer in dieser Weise betroffenen<br />

Wohnungseigentümergemeinschaft läßt sich prognostizieren.<br />

Bei den obigen Schilderungen handelt es sich bedauerlicherweise<br />

nicht um ein aufgemaltes Schreckensszenario,<br />

sondern um die in der Verwaltungs- und Rechtsanwaltstätigkeit<br />

häufig auftretende Realität. Die betroffenen Wohnungseigentümern<br />

haben für diese Situation regelmäßig wenig<br />

Verständnis. Sind Betreibungen der Forderungen nicht möglich,<br />

wird dies in der Regel zu Unrecht dem Verwalter und/<br />

oder dem Rechtsanwalt angelastet. Vielfach wird nicht hingenommen,<br />

daß auch bei einer Wohnungseigentümergemeinschaft,<br />

die ebenfalls wie andere Personen oder Personenvereinigung<br />

am Wirtschaftsleben teilnimmt, mit Forderungsausfällen<br />

gerechnet werden muß.<br />

III. Beispielsszenario und die rechtlichen Möglichkeiten<br />

der Eigentümergemeinschaft<br />

Die gesamte Problematik des erhöhten Wohngeldausfalles<br />

einer Gemeinschaft soll an folgendem Beispiel verdeutlicht<br />

werden:<br />

1. „Kappen“ der Versorgung<br />

Ein Mitglied einer Wohnungseigentümergemeinschaft<br />

zahlt seine Beiträge nicht. Die Eigentümer erlangen einen<br />

Zahlungstittel und betreiben aus diesem zunächst die Mobiliarvollstreckung.<br />

Durchsuchungsmaßnahmen, Pfändungsund<br />

Überweisungsbeschlüsse sowie Vorladung zur Abgabe<br />

der eidesstattlichen Versicherung führen zu keinem wirtschaftlich<br />

verwertbaren Ergebnis. Die Mobiliarvollstrekkung<br />

fällt somit ergebnislos aus. Die Wohnungseigentümergemeinschaft<br />

faßt daraufhin den Beschluß, die betroffene<br />

Wohnung soweit technisch möglich, von den Versorgungs-<br />

30 Vgl. Gottschalg in WE 1998, 451 (451).<br />

31 Oftmals ist dies darauf zurückzuführen, daß die eingehenden Mietzinsen nicht<br />

für die Deckung der Betriebs- und Finanzierungskosten ausreichen, Mietzinsausfälle<br />

nicht kalkuliert wurden und die Kapitaldecke einzelner Eigentümer<br />

zu gering ist. Vielfach werden die Erwerber durch die Makler oder die finanzierenden<br />

Banken nicht hinreichend aufgeklärt. Die Vertreiber täuschen häufig<br />

eine Rendite vor, die sich bereits kurzfristig nicht bewahrheitet, weil die Mietzinsen<br />

zu gering bemessen sind und Sanierungsmaßnahmen, die dringend vorgenommen<br />

werden müssen, verschwiegen werden. Hier besteht ein Markt, der<br />

sich oftmals am Rande eines strafrechtlichen Verhaltens bewegt.<br />

32 Vgl. BGHZ 108, 44; KG NJW-RR 1995, 397; OLG Düsseldorf NJW-RR<br />

1991, 724; OLG Stuttgart OLGZ 1983, 172.


68<br />

l<br />

leistungen der Gemeinschaft auszuschließen 33 und zu diesem<br />

Zweck notfalls das Betreten der Wohnung zu erzwingen<br />

34 . Zahlungen werden dadurch jedoch nicht bewirkt. Soweit<br />

ein Ausschluß von den Leistungen der Gemeinschaft,<br />

etwa der Verwaltungskosten, Versicherungsprämien, Kosten<br />

des Hausmeisters und der Gartenpflege sowie den Ausgaben<br />

für die Allgemeinbeleuchtung und sonstige gemeinschaftliche<br />

Einrichtungen, nicht möglich ist, kann das Anwachsen<br />

weiterer Verbindlichkeiten des Eigentümers nicht<br />

verhindert werden. Mit deren Ausgleich ist wegen dessen<br />

finanziellen Lage nicht zu rechnen. Der Ausschluß bezieht<br />

sich in der Regel nur auf die Versorgung mit Heizenergie,<br />

Kalt- und Warmwasser und die Aufzugsnutzung sowie<br />

eventuell bestehender gemeinschaftlicher Kommunikationseinrichtungen.<br />

Ist die Wohnung von einem solchen Ausschluß<br />

betroffen, ist sie nahezu nicht nutzbar. Den jeweiligen<br />

Wohnungseigentümer berührt dies erfahrungsgemäß<br />

nur, wenn er diese auch selbst bewohnt. Mittel sich gegen<br />

den Versorgungsausschluß zu wehren, hat er in der Regel<br />

nicht.<br />

Ist die Wohnung vermietet, so muß der Mieter die Einschränkungen<br />

durch die Wohnungseigentümergemeinschaft<br />

zwar hinnehmen, weil er Lieferansprüche nur gegenüber<br />

seinem Vermieter hat. Er kann die Mietzinsen jedoch je<br />

nach Schwere der Beeinträchtigung durch die Versorgungssperre<br />

um bis zu 100 % mindern, so daß eine eventuelle<br />

Pfändung derselben nicht mehr möglich ist. Ebenso besteht<br />

für ihn die Möglichkeit, die Mietzinsen zum Abbau der<br />

Schulden unmittelbar an die Wohnungseigentümergemeinschaft<br />

unter Umgehung des an ihn vermietenden Wohnungseigentümers<br />

zu zahlen. Jedoch wird sich die Gemeinschaft<br />

damit nicht zufrieden geben können, da die Rückstände<br />

nur minimal abgebaut werden, weil gleichzeitig<br />

neue Zahlungen jeweils monatlich oder Sonderumlagen zu<br />

bestimmten Stichtagen fällig werden.<br />

2. Zwangsversteigerung<br />

Aus dem schuldrechtlichen Titel soll nunmehr die<br />

Zwangsversteigerung betrieben werden. Alternativ wird<br />

eine Sicherungshypothek eingetragen, aus dieser auf Duldung<br />

der Zwangsversteigerung geklagt und nach Vorlage<br />

des obsiegenden Urteils die Vollstreckung im Wege der<br />

Zwangsversteigerung aus dem dinglichen Anspruch vorgenommen.<br />

Mit der Einleitung dieses Verfahrens stellt sich<br />

nunmehr heraus, daß die Belastung des Objektes so hoch,<br />

dessen Verkehrswert in Relation dazu aber so gering zu bewerten<br />

ist, daß die Vollstreckungsmaßnahme für den betreibenden<br />

Gläubiger keinen Erfolg zu versprechen scheint 35 .<br />

Was in solchen Situationen zu unternehmen ist, wird jeweils<br />

von Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich<br />

beurteilt.<br />

Nach einer Auffassung ist das Verfahren wegen mangelnden<br />

Rechtsschutzbedürfnisses in entsprechender Anwendung<br />

des § 803 Abs. 2 ZPO nicht zu eröffnen, wenn<br />

eine Realisierung der Forderung des Gläubigers mit an<br />

Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erwartet<br />

werden kann 36 . Wird zunächst aus dem schuldrechtlichen<br />

Titel eine Sicherungshypothek erwirkt, die Klage auf Duldung<br />

der Zwangsvollstreckung erhoben und aus einem<br />

obsiegenden Urteil nunmehr aus dem dinglichen Titel die<br />

Zwangsversteigerung betrieben, ändert sich an diesem<br />

Ergebnis nichts, da dort ebenfalls diese allgemeinen Verfahrensgrundsätze<br />

zu beachten sind 37 .<br />

Die Gegenmeinung 38 lehnt die entsprechende Anwendbarkeit<br />

des § 803 Absatz 2 ZPO im Verfahren nach dem<br />

AnwBl 2/2000<br />

Aufsätze<br />

ZVG ab, weil sich die Immobiliarvollstreckung nach § 857<br />

ZPO ausschließlich nach den §§ 864 bis 871 ZPO richte 39 .<br />

Folgt man dieser Meinung, tritt wirtschaftlich jedoch kein<br />

anderes Ergebnis ein. Denn mangels Abgabe von Geboten<br />

wegen der zu übernehmenden Lasten oder entsprechender<br />

Widersprüche der bevorrechtigten Gläubiger kommt es<br />

ebenfalls nicht zu einer Versteigerung. Darüber hinaus gestehen<br />

auch die Vertreter der Ansicht, die eine Anwendung<br />

des § 803 Absatz 2 ZPO im Anwendungsbereich des ZVG<br />

ablehnen, zu, daß aus Gründen des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses<br />

die Betreibung des Versteigerungsverfahrens<br />

unzulässig sei oder in einem Verfahrensstadium<br />

werden könne 40 . Dies wäre der Fall, wenn sich aufgrund einer<br />

endgültig feststellbaren wirtschaftlichen Erfolglosigkeit<br />

des Verfahrens eine mangelnde Befriedigungsmöglichkeit<br />

des Gläubigers ergebe 41 . Da dies spätestens im Versteigerungstermin<br />

feststeht, wäre das Verfahren dann zu diesem<br />

Zeitpunkt einzustellen.<br />

Die Zwangsversteigerung kann daher nicht immer zu<br />

einer Befriedigung der Wohnungseigentümer führen. Gottschalg<br />

42 weist zudem richtigerweise darauf hin, daß der<br />

Schuldner die dinglichen Belastungen sogar durch Eintragungen<br />

von Eigentümergrundschulden oder mit dritten Personen<br />

abgestimmten Belastungen erhöhen könne, um so<br />

eine Zwangsversteigerung zu vereiteln. Zu berücksichtigen<br />

sind weiter die vorrangigen Rechte der Grundpfandrechtsgläubiger.<br />

Diese können wegen der ihnen zustehenden vorrangigen<br />

Rechte die vorläufige Einstellung der Zwangsversteigerung<br />

nach § 30 ZVG zumindest zweimal bewirken,<br />

wenn der zu erwartende Versteigerungserlös die durch die<br />

Grundpfandrechte gesicherten Forderungen nicht erreicht.<br />

Die nachrangigen Gläubiger, demnach regelmäßig auch die<br />

Wohnungseigentümer, haben daher keinen unmittelbaren<br />

Einfluß auf den Zeitpunkt des Erlasses des Zuschlagsbeschlusses<br />

43 .<br />

3. Zwangsverwaltung<br />

Den Wohnungseigentümern verbleibt weiterhin die<br />

Möglichkeit der Einleitung des Zwangsverwaltungsverfah-<br />

33 Zu den Voraussetzungen vgl. BayObLG WuM 1992, 207; OLG Celle WE<br />

1991, 107; OLG Hamm WE 1994, 84; LG Düsseldorf, Beschl. v. 14.1.1999,<br />

Az.: 25 T 1060/98 (nicht veröffentlicht); AG Düsseldorf, Beschl. v.<br />

29.10.1998, Az.: 291 II 244/98 (nicht veröffentlicht); AG Neuss, Beschl. v.<br />

28.5.1996, Az.: 27 II 29/96 WEG (nicht veröffentlicht); AG Wuppertal WE<br />

1996, 279; Bärmann/Pick/Merle, § 16 Rdnr. 113; Weitnauer, § 16 Rdnr. 36;<br />

Deckert, ETW, Gruppe 5, Seite 122 ff.; Heberling, Seite 112; gegen solche<br />

Maßnahmen hat Müller, Seite 505, jedoch Bedenken.<br />

34 Zur Zulässigkeit eines dahingehenden Beschlusses vgl. AG Neuss, Beschl. v.<br />

28.5.1996, Az.: 27 II 29/96 WEG (nicht veröffentlicht); LG Düsseldorf,<br />

Beschl. v. 24.9.1996, Az.: 19 T 179/96 (nicht veröffentlicht).<br />

35 Vgl. zu diesem Sachverhalt auch Armbrüster in WE 1999, 14 (18).<br />

36 Vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.4.1989, 3 W 515/88 (nicht veröffentlicht);<br />

OLG Köln Rpfleger 1972, 378; LG Augsburg Rpfleger 1986, 146; LG Bielefeld<br />

Rpfleger 1987, 424; LG Düsseldorf Rpfleger 1987, 210; LG Limburg<br />

DGVZ 1970, 186; LG Lüneburg MDR 1976, 1027; LG Oldenburg Rpfleger<br />

1982, 303; LG Regensburg NJW-RR 1988, 447; Gottschalg in WE 1998, 451<br />

(453); Wieser in Rpfleger 1985, 96 ff.<br />

37 So aus dem Tatbestand des OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.4.1989, 3 W 515/88<br />

(nicht veröffentlicht) zu entnehmen.<br />

38 Vgl. OLG Hamm Rpfleger 1989, 34; LG Aachen Rpfleger 1988, 420; LG Berlin<br />

Rpfleger 1987, 209; LG Dortmund JurBüro 1988, 1417; LG Freiburg Rpfleger<br />

1989, 469; LG Göttingen Rpfleger 1988, 420; LG Münster MDR 1989, 77;<br />

LG Stade Rpfleger 1988, 420; Hauger in Festschrift für Bärmann und Weitnauer,<br />

Seite 353 (368); Sauren, § 16 Rdnr. 58; Zöller/Stöber, Einleitung Rdnr. 48.8.<br />

39 Vgl. OLG Hamm Rpfleger 1989, 34; LG Berlin Rpfleger 1987, 209; Hauger<br />

in Festschrift für Bärmann und Weitnauer, Seite 353 (368).<br />

40 Vgl. Hauger in Festschrift für Bärmann und Weitnauer, Seite 353 (372 ff.).<br />

41 Vgl. Hauger in Festschrift für Bärmann und Weitnauer, Seite 353 (372 ff.), die<br />

eine vorläufige Erfolglosigkeit nicht ausreichen lassen will, weil während der<br />

Dauer des Verfahrens Änderungen der Belastungen nicht ausgeschlossen werden<br />

können.<br />

42 Vgl. Gottschalg in WE 1998, 451 (453).<br />

43 Vgl. Bub in FS für Seuß 1, Seite 87 (92).


AnwBl 2/2000 69<br />

Aufsätze l<br />

rens. Das macht zunächst nur Sinn, wenn die Wohnung von<br />

dem Eigentümer nicht selbst bewohnt, weil dann Mietzinseinnahmen<br />

nicht zu erzielen sind 44 . Die Entfernung des<br />

Wohnungseigentümers im Rahmen des Zwangsverwaltungsverfahrens<br />

aus der Wohnung gemäß § 149 Absatz 2<br />

ZVG ist in der Regel mit erheblichen Schwierigkeiten<br />

tatsächlicher und rechtlicher Art verbunden und wegen der<br />

Notwendigkeit der Beschaffung von angemessenem Ersatzwohnraum<br />

nur selten erfolgreich. Durch die Einleitung des<br />

Zwangsverwaltungsverfahrens können die Wohnungseigentümer<br />

zudem regelmäßig nur die Hausgelder für die Zukunft<br />

sichern, weil der Zwangsverwalter aus den Einnahmen<br />

nach § 155 Absatz 1 ZVG vorweg als bevorrechtigte<br />

Forderungen die Bewirtschaftungskosten des Objektes,<br />

regelmäßig die zu erbringenden Hausgeldzahlungen 45 und<br />

Sonderumlagen 46 , zu leisten hat.<br />

Ein Ausgleich der titulierten Forderungen kommt nur in<br />

Betracht, wenn nach Abzug der Bewirtschaftungs- und Verfahrenskosten<br />

noch ein Überschuß verbleibt. Ist dies der<br />

Fall, so stehen unter Berücksichtigung des nach § 156 Absatz<br />

2 ZVG aufzustellenden Teilungsplans gemäß §§ 156<br />

Absatz 2, 10 Absatz 1 Nummer 4 ZVG jedoch zunächst<br />

den Grundpfandgläubigern die dinglich gesicherten Zinsen<br />

zu. Die sich diesbezüglich errechnenden Beträge sind meist<br />

so hoch, daß für die Tilgung der Hauptforderung keine Mittel<br />

mehr verbleiben. Zu überlegen ist, ob in solchen Fällen<br />

nicht ebenfalls das Rechtsschutzinteresse für die Anordnung<br />

der Zwangsverwaltung ähnlich wie bei der Zwangsversteigerung<br />

zu verneinen ist. Die Zwangsverwaltung<br />

dient als Vollstreckungsmittel der Beitreibung der titulierten<br />

Forderungen. Ist dies wirtschaftlich nicht möglich, kann der<br />

Gläubiger an dem Verfahren kein objektives Interesse haben.<br />

Jedenfalls könne ein Zwangsvollstreckungsmittel nicht<br />

zur Sicherung zukünftiger, noch nicht titulierter Forderungen<br />

mißbraucht werden. Unter diesen Gesichtspunkten<br />

erweist sich die Zwangsverwaltung für die Wohnungseigentümergemeinschaft<br />

nicht notwendig als sachgerechtes Mittel<br />

der Vollstreckung.<br />

4. Entziehung des Wohnungseigentums<br />

Die Durchführung des Verfahrens auf Entziehung des<br />

Wohnungseigentums nach der §§ 18 f., 51 und 53 ff. WEG<br />

erscheint ebenfalls wenig erfolgversprechend, weil wegen<br />

der bestehenden und zu übernehmenden Belastungen 47 ein<br />

Verkauf auch unter dem Zwang der gerichtlichen Entscheidung<br />

nicht zu erwarten ist 48 . Zudem kann der Schuldner<br />

sich auch selbst dinglich gesicherte Wohn- und sonstige<br />

Nutzungsrechte eintragen lassen oder weitere Belastungen<br />

mit Grundpfandrechten vornehmen, was einen Verkauf<br />

nahezu unmöglich machen kann 49 . Den Wohnungseigentümern<br />

verbliebe nur der Weg, die berechtigten Gläubiger<br />

abzulösen, um damit eine Veräußerung zu ermöglichen. Zunächst<br />

stellt sich jedoch die Frage, wie die Mitglieder der<br />

Gemeinschaft bei ehedem schon desolater Finanzlage diese<br />

Mittel aufbringen sollen. Ist die Belastung zudem über dem<br />

Verkehrswert gelegen und verhindert den Verkauf, so dürfte<br />

eine dahingehende Entscheidung auch unwirtschaftlich sein.<br />

Weiter muß der Gläubiger mit einer solchen Vorgehensweise<br />

auch einverstanden sein, da § 268 Absatz 1 BGB, der<br />

dem Dritten ein Ablösungsrecht einräumt, nur anwendbar<br />

ist, wenn die Zwangsversteigerung betrieben wird 50 . Eine<br />

Ablösung über die Regelung des § 267 Abs. 1 BGB ist<br />

ebenfalls nicht erfolgversprechend, weil nach Absatz 2 der<br />

Schuldner ein Widerspruchsrecht hat 51 und bei einem Zusammenwirken<br />

von Schuldner und Gläubiger letzterer die<br />

Zahlung auch mit dem Argument ablehnen kann, daß eine<br />

persönliche Leistung durch den Schuldner vereinbart sei 52 .<br />

5. Titelvernichtende Restschuldbefreiung<br />

Konnten sich die Wohnungseigentümer nach der bisherigen<br />

Rechtslage wenigstens der Hoffnung hingeben, daß die<br />

titulierten Forderungen bis zu dreißig Jahren vollstreckt<br />

werden können und für den Fall, daß der Schuldner wieder<br />

zu Vermögenswerten gelangt, damit eine Realisierung der<br />

Forderungen zumindest nicht vollständig ausgeschlossen<br />

war, sind diese Erwartungen durch das Restschuldbefreiungsverfahren<br />

nach der §§ 286 ff. InsO nunmehr enge<br />

Grenzen gesetzt. Denn während des Verfahrens kann nach<br />

§ 294 Absatz 1 InsO eine Einzelzwangsvollstreckung nicht<br />

erfolgen. Wenn es darüber hinaus dem Schuldner gelingt,<br />

das Restschuldbefreiungsverfahren von sieben Jahren<br />

durchzustehen und das Insolvenzgericht durch Beschluß<br />

nach § 300 Absatz 1 InsO die sogenannte Restschuldbefreiung<br />

ausspricht, sind auch die Forderungen der Wohnungseigentümer<br />

gemäß § 301 InsO nicht mehr durchsetzbar.<br />

6. Schleppender Abverkauf im Kapitalanlegermodell<br />

(Bauträgerkrise)<br />

Weitaus größere Probleme bestehen noch, wenn es sich<br />

bei dem schuldenden Wohnungseigentümer um eine juristische<br />

Person handelt. Dies ist zumindest in den Fällen der<br />

Kapitalanlagemodelle nahezu die Regel, weil diese Gesellschaften<br />

die Objekte erwerben, aufteilen und vertreiben.<br />

Gelingt der Vertrieb nicht vollständig, verbleiben die Gesellschaften<br />

Mitglieder in der Wohnungseigentümergemeinschaft.<br />

Sie haben die gleichen Rechte und Pflichten wie die<br />

anderen Wohnungseigentümer. Insbesondere müssen sie die<br />

laufenden Wohngelder und eventuelle Sonderumlagen entrichten<br />

53 . Da jedoch durch den mangelnden Abverkauf die<br />

Kapitaldecke solcher Unternehmen nicht sehr hoch ist, sind<br />

die Probleme der eintretenden Zahlungsunfähigkeit abzusehen.<br />

Forderungen der Gemeinschaft werden nicht ausgeglichen.<br />

In nahezu allen Fällen dürfte dies zur Einleitung<br />

des Insolvenzverfahrens führen. Können in diesem die noch<br />

im Eigentum des Unternehmens stehenden restlichen Wohnungseigentumsrechte<br />

nicht veräußert werden und wird die<br />

Gesellschaft nach § 2 LöschG zwangsweise aufgelöst, muß<br />

die Gemeinschaft, weil sich offensichtlich niemand mehr<br />

um die Vermögenswerte kümmert, zwangsläufig mit dieser<br />

44 Vgl. Armbrüster in WE 1999, 14 (19).<br />

45 Vgl. BayObLGZ 1991, 93; OLG Hamburg WuM 1993, 300; LG Darmstadt<br />

Rpfleger 1977, 332; LG Köln Rpfleger 1987, 325; Zeller/Stöber, § 152 Rdnr.16;<br />

Bub in FS für Seuß, 1, Seite 87 (93); Gottschalg in WE 1998, 451 (452).<br />

46 Vgl. Zeller/Stöber, § 152 Rdnr. 16; Steiger in Rpfleger 1985, 474.<br />

47 Vgl. Niedenführ/Schulze, § 54 Rdnr. 4 ff.; Palandt-Bassenge, § 57 Rdnr. 2.<br />

48 Vgl. zu der mangelnden Praktikabilität des Verfahrens nach § 18 WEG wegen<br />

zu hoher Belastungen auch Heberling, Seite 110; Armbrüster in WE 1999, 46<br />

(46); Bub in FS für Seuß, 1, Seite 87 (96); Deckert in WE 1991, 206 (210);<br />

Happ in DerWE 1988, 2.<br />

49 Vgl. Armbrüster in WE 1999, 46 (46); die einzige Möglichkeit, dies zu verhindern<br />

ist, gegen den betreffenden Eigentümer ein dahingehendes Verfahren<br />

vor dem Wohnungseigentumsgericht nach §§ 43 ff. WEG parallel zu dem Entziehungsverfahren<br />

einzuleiten und in diesem den Erlaß einer einstweiligen<br />

Anordnung i. S. d. § 44 Abs. 3 WEG anzuregen, da andernfalls bis zum Eintritt<br />

der Rechtskraft der Eigentümer nach § 45 Abs. 2 WEG nicht gehindert<br />

50 Vgl. dazu allgemein Palandt-Heinrichs, § 268 Rdnr. 2.<br />

51 Der Widerspruch des Schuldners ist jedoch für die Entscheidung des Gläubigers<br />

nicht bindend, vgl. Palandt-Heinrichs, § 267 Rdnr. 5.<br />

52 Vgl. zu der Vereinbarung einer persönlichen Leistungspflicht Palandt-Heinrichs,<br />

§ 267 Rdnr. 1.<br />

53 Vgl. zum Beginn der Zahlungspflicht gegenüber der werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft<br />

OLG Frankfurt DerWE 1998, 43; LG Ellwangen<br />

NJW-RR 1996, 977; a. A. und insoweit auch unklar OLG Köln, Beschl. v.<br />

28.1.1999, A.:16 Wx 3199 (nicht veröffentlicht).


70<br />

l<br />

Situation weiter bestehen. Denn auch wenn die Gemeinschaft<br />

die Gesellschaft zum Zwecke eines Antrages auf<br />

Zahlung und der anschließenden Vollstreckung, die nur wegen<br />

der sonstigen Vermögenslosigkeit in die immobilen<br />

Werte erfolgen kann, durch Bestellung eines Notgeschäftsführers<br />

nach § 29 BGB beziehungsweise eines Notvorstandes<br />

nach § 85 AktG 54 oder eines Prozeßpflegers nach § 57<br />

ZPO 55 verfahrensrechtlich wieder ins Leben erweckt, treten<br />

die bereits geschilderten Probleme auf.<br />

Wegen der noch eingetragenen Grundpfandrechte dürfte<br />

eine Verwertung des Wohnungseigentumsrechtes in der<br />

Vollstreckung kaum erfolgreich sein. Zudem sind auf den<br />

noch nicht veräußerten Wohnungseigentumsrechten regelmäßig<br />

nicht nur die die jeweilige Wohnung betreffende<br />

Sicherungsrechte, sondern noch die bestehenden Globalgrundpfandrechte<br />

in voller Höhe eingetragen, was dazu<br />

führt, daß jede Verwertung durch dritte Personen im Wege<br />

der Vollstreckung aus wirtschaftlichen Gründen ausscheidet<br />

56 . Daneben ergeben sich wegen des Vorrangs der dinglichen<br />

Rechte der finanzierenden Kreditinstitute auch im<br />

Rahmen der Pfändungen von Mietzinsen gemäß § 1124<br />

Absatz 2 BGB und im Rahmen der Zwangsversteigerung<br />

und Zwangsverwaltung wegen des Rangvorteils nach § 10<br />

Nummer 4 ZVG Nachteile der Wohnungseigentümergemeinschaft.<br />

Rechtzeitige Vollstreckungen der Grundpfandgläubiger<br />

blockieren daher die entsprechenden Maßnahmen<br />

der Wohnungseigentümer 57 .<br />

Die Gemeinschaft kann in solchen Fällen nur hoffen,<br />

daß die bevorrechtigten Grundpfandrechtsgläubiger die Verwertung<br />

betreiben und nicht aus wirtschaftlichen Interessen<br />

aufgrund einer schlechten Marktlage der Immobilie die<br />

Vollstreckung hinauszögert 58 , damit die Gesellschaft auf<br />

diese Weise aus der Wohnungseigentümergemeinschaft ausscheidet.<br />

Damit würden zumindest weitere Forderungen für<br />

die Zukunft verhindert.<br />

IV. Handlungsbedarf<br />

Die Wohnungseigentümergemeinschaft hat nunmehr erfolglos<br />

alle Mittel der Vollstreckung ausgeschöpft. Zu einem<br />

für sie wirtschaftlich sinnvollen Ergebnis ist sie nicht<br />

gelangt. Der schuldende Eigentümer verbleibt sogar in der<br />

Gemeinschaft und verursacht neue Verbindlichkeiten. Weitere<br />

Maßnahmen lassen sich nunmehr nicht ergreifen. Es<br />

können auch nicht alle Kosten für die betroffene Wohnung<br />

vermieden werden, denn beispielsweise die Grundbesitzabgaben,<br />

Versicherungsbeiträge oder Verwaltungskosten<br />

lassen sich nicht separieren. Die Wohnungseigentümer<br />

scheinen nunmehr machtlos dem weiteren Geschehen zusehen<br />

zu müssen 59 , ohne vermeiden zu können, daß die alten<br />

Verbindlichkeiten nicht noch durch weitere, neue Hausgeldverpflichtungen<br />

anwachsen 60 .<br />

1. Stellungnahme der Bundesregierung (alt)<br />

Die alte Bundesregierung ist in ihrer Stellungnahme 61<br />

unter anderem auch auf die Probleme im Zusammenhang<br />

mit dem Entziehungsverfahren nach §§ 18 f., 51 und 53 ff.<br />

WEG eingegangen. Zutreffend wird die Feststellung erhoben,<br />

daß dieses Verfahren insoweit mit Schwierigkeiten verbunden<br />

sei, als der Erwerber des Wohnungseigentumsrechtes<br />

alle bestehenden Belastungen übernehmen müsse, der<br />

Wohnungseigentümer nicht an einer weiteren Belastung gehindert<br />

sei und eine Räumung durch die übrigen Mitglieder<br />

der Gemeinschaft nicht verlangt werden könne. Es liegt,<br />

weil durch den Zuschlag im Sinne des § 57 WEG nur ein<br />

AnwBl 2/2000<br />

Aufsätze<br />

Kaufvertrag zustande kommt 62 und ein hoheitlicher Erwerb<br />

nicht gegeben ist, keine lastenfreie Übernahme im Sinne<br />

des § 56 Satz 2 ZVG vor. Die Antwort der Bundesregierung<br />

sieht eine Überprüfung des geltenden Rechtes im Hinblick<br />

darauf vor, ob den bestehenden Mißständen begegnet<br />

werden kann und stellt zudem richtigerweise fest, daß weitere<br />

Maßnahmen gegen den betroffenen Wohnungseigentümer<br />

nur aufgrund gesetzlicher Änderungen möglich wären.<br />

Nach Auffassung der Bundesregierung böte sich gerade im<br />

Falle von Zahlungsrückständen darüber hinaus an, einen<br />

Zahlungstitel zu erwirken und die Versteigerung nach den<br />

Vorschriften des ZVG zu betreiben.<br />

2. Lösungsansätze<br />

Gerade in diesem Bereich liegt – wie ausgeführt – jedoch<br />

eine Problematik, die mit zunehmender Rezession und<br />

der damit verbundenen mangelnden Leistungsfähigkeit verschiedener<br />

Eigentümer nach der gültigen Rechtslage nicht<br />

gelöst werden kann. Hier stellt sich die Frage, ob insoweit<br />

ein dringendes Bedürfnis für eine gesetzgeberische Korrektur,<br />

die von der alten Bundesregierung jedoch offensichtlich<br />

übersehen wurde, vorhanden ist, oder ob auch bereits aufgrund<br />

der bestehenden Rechtslage die Wohnungseigentümer<br />

sich vor solchen Fällen schützen können. Eine für die verbleibenden<br />

Wohnungseigentümer unbefriedigende und bei<br />

kleinen Gemeinschaften auch oft unzumutbare Situation ist<br />

eingetreten. Bedenkt man weiterhin, daß im Rahmen der<br />

Liquiditätsschaffung der Wohnungseigentümergemeinschaft<br />

im Falle des Forderungsausfalles alle weiteren Eigentümer<br />

zu haften haben 63 , kann auch bei großen Gemeinschaften<br />

mit entsprechend zahlreichen Ausfällen eine enorme Belastung<br />

der leistungsfähigen Eigentümer eintreten. Sie laufen<br />

Gefahr, mangels Aufklärung und sachlicher Behandlungsmöglichkeit<br />

der Probleme in eine finanzielle Falle zu geraten<br />

64 . Mit anderen Situationen der Zwangsvollstreckung,<br />

bei welcher der Gläubiger feststellen muß, daß er seine Forderung<br />

nicht beitreiben kann, ist dieser in der Praxis zunehmende<br />

Fall nicht vergleichbar.<br />

a) Eigentümergemeinschaft als praktisch nicht<br />

auflösbares Dauerschuldverhältnis<br />

Zum einen liegt abweichend von anderen Rechtsgebieten<br />

ein für alle Beteiligten nahezu nicht auflösbares Dauerschuldverhältnis<br />

vor. Die andernfalls im Gesellschafts- und<br />

Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Kündigungsmöglichkei-<br />

54 Vgl. dazu für die GmbH RGZ 138, 101; BayObLG 1955, 288 ff. (290); 1976,<br />

129; BayObLG WpM 1977, 408; NZG 1998, 73 f.; KG JR 1950, 343; OLG<br />

Hamburg MDR 1977, 1016; GmbHRdsch 1986, 432; OLG Hamm WiB 1996,<br />

434 f.; OLG Frankfurt JZ 1952, 5<strong>65</strong>; Mertens in Hachenburg, § 8 Rdnr. 32 ff.;<br />

Palandt-Heinrichs, § 29 Rdnr. 1; Schneider in Scholz, § 6 Rdnr. 39; Gottschalg<br />

in ZdWBay 1998, 246 ff. (246); Hohfeld in GmbHRdsch 1986,181 und<br />

für die Genossenschaft RG JW 1936, 2311; BGHZ 18, 334 ff. (337); Palandt-<br />

Heinrichs, § 29 Rdnr. 1; Staudinger-Coing, § 29 Rdnr. 3.<br />

55 Vgl. dazu nur BGHZ 93, 9 ff. (10).<br />

56 Vgl. Bub in FS für Seuß, 1, 87 (87).<br />

57 Vgl. Bub in FS für Seuß, 1, 87 (92 f.).<br />

58 Vgl. zu den wirtschaftlichen Aspekten der Verzögerung der Verwertung durch<br />

den Grundpfandgläubiger Bub in FS für Seuß, 1, 87 (89).<br />

59 Vgl. BayObLG WuM 1992, 207 (208); OLG Celle NJW-RR 1991, 1118<br />

(1119); OLG Hamm MDR 1994, 163 (164); Armbrüster in WE 1999, 46 (48);<br />

so wohl auch Golltschalg in WE 1998, 451 (454).<br />

60 Vgl. Armbrüster in WE 1999, 46 (48).<br />

61 Vgl. BT-Drucks. 1314712, Seiten 9, 35.<br />

62 Vgl. Niedenführ/Schulze, § 54 Rdnr. 4.<br />

63 Vgl. BGHZ 108, 44; KG NJW-RR 1995, 397; OLG Düsseldorf NJW-RR<br />

1991, 724; OLG Stuttgart OLGZ 1983,172.<br />

64 Vgl. auch Bub in FS für Seuß, 1, Seite 87 (99).


AnwBl 2/2000 71<br />

Aufsätze l<br />

ten der §§ 723 ff., 749 BGB sind durch den Unauflöslichkeitsgrundsatz<br />

des § 11 WEG aufgehoben. Der Ausschluß<br />

eines Mitglieds aus der Gemeinschaft ist nur im Wege des<br />

in der Praxis relativ erfolglosen Entziehungsverfahrens des<br />

§ 18 WEG möglich. Zum anderen besteht nach deutschem<br />

Recht keine Konstruktion, nach der das Ansammeln weiterer<br />

Schulden mit Ausnahme von Zinsen und Kosten bedingungslos<br />

hingenommen werden muß.<br />

b) Verfügungsbeschränkungen<br />

Dem Grunde nach kann jeder Wohnungseigentümer<br />

über sein Wohnungseigentum frei verfügen, dieses beliebig<br />

belasten und auch sonst in jeder Weise verfahren, die nicht<br />

unmittelbar gegen die Bestimmungen der §§ 10 ff. WEG<br />

verstoßen. Einschränkungen können in der Gemeinschaftsordnung<br />

nur vereinbart werden, wenn sich dafür hinreichende<br />

gesetzliche Grundlagen bieten. Ersichtlich ist nur<br />

die sogenannte Veräußerungszustimmung im Sinne des § 12<br />

WEG.<br />

aa) Schuldrechtliche Vereinbarung<br />

(Gemeinschaftsordnung)<br />

Dies schließt nicht aus, da eine abschließende Regelung<br />

insoweit durch das Gesetz nicht getroffen wird <strong>65</strong> , daß in<br />

der Gemeinschaftsordnung weitere Einschränkungen zu Lasten<br />

des einzelnen, aber zugunsten der verbleibenden Wohnungseigentümer<br />

getroffen werden. Insoweit ist in der Vergangenheit<br />

auch bereits daran gedacht worden, jedes<br />

Wohnungseigentum zugunsten der Gemeinschaft mit einem<br />

Grundpfandrecht zu belasten. In Betracht kommen wegen<br />

des mit der Hypothek verbundenen Akzessorietätsprinzips<br />

nur die Eintragungung von Grundschulden, da mit dem Verkauf<br />

des Wohnungseigentumsrechts Forderungen noch<br />

nicht bestehen. Solche Regelungen lassen sich nach Entstehung<br />

der Wohnungseigentümergemeinschaft jedoch nur mit<br />

der Zustimmung aller Wohnungseigentümer herbeiführen.<br />

Es bestehen jedoch berechtigte Zweifel, ob der jeweils betroffene,<br />

der der Wohnungseigentümergemeinschaft die<br />

Hausgelder schuldende Wohnungseigentümer einer solchen<br />

Änderung der Gemeinschaftsordnung zustimmen wird.<br />

bb) Hinreichendes Instrumentarium?<br />

Aber auch, wenn entsprechende Regelungen bereits anfänglich<br />

in der Gemeinschaftsordnung vorhanden sind, ist<br />

zweifelhaft, ob diese einen Schutz für die Wohnungseigentümergemeinschaft<br />

darstellen können. Zudem ist eine solche<br />

Vereinbarung auch mit weiteren Schwierigkeiten verbunden.<br />

Unverkennbar dürfte die Verkehrsfähigkeit des<br />

Wohnungseigentumsrechts unter einer solchen Dauerbelastung<br />

leiden. Kreditinstitute, die den Erwerb regelmäßig<br />

(mit-)finanzieren, können eine erstrangige Sicherung nicht<br />

erreichen. Auch bei einem Weiterverkauf treten Nachteile<br />

ein, denn der Erwerber muß die bestehende, das Wohnungseigentumsrecht<br />

wertmindernde Belastung übernehmen, so<br />

daß der Veräußerer, ohne einen entsprechenden Gegenwert<br />

zu erhalten, nur einen geringeren Kaufpreis erzielen kann.<br />

Probleme treten im Falle der Veräußerung auch auf,<br />

wenn der Verkäufer bis zur Umschreibung des Wohnungsgrundbuchs<br />

die Forderungen der Gemeinschaft nicht befriedigt<br />

und diese aus der Grundschuld vorgeht. Wegen der<br />

Nachrangigkeit der Auflassung ist der Erwerber ungeschützt.<br />

Er müßte sich vorbehalten, den Kaufpreis erst zu<br />

entrichten, gegebenenfalls solange treuhänderisch zu hinter-<br />

legen, bis nach der Umschreibung feststeht, möglicherweise<br />

durch Bestätigung des Verwalters manifestiert, daß Forderungen<br />

der Gemeinschaft gegen den ausgeschiedenen Wohnungseigentümer<br />

nicht mehr bestehen.<br />

Der Schutz, der mit dieser Maßnahme bezweckt wird,<br />

geht verloren, wenn die Sicherung durch die Wohnungseigentümergemeinschaft<br />

in Anspruch genommen wurde.<br />

Hierbei ist jedoch zu differenzieren. Zahlt der Wohnungseigentümer<br />

zur Vermeidung der Zwangsversteigerung aus<br />

dem dinglichen Sicherungsrecht, so erfolgt dessen Löschung<br />

nicht, da er nach der Gemeinschaftsordnung verpflichtet<br />

ist, die Sicherung zu dulden und aufrecht zu erhalten.<br />

Ist die Zwangsversteigerung jedoch erfolgt, so geht das<br />

Wohnungseigentumsrecht mit dem Zuschlagsbeschluß nach<br />

§ 56 ZVG lastenfrei auf den Ersteher über, so daß das<br />

Grundpfandrecht verloren geht. Weitere beziehungsweise<br />

neue Sicherungen könnten dann nur nachrangig eingetragen<br />

werden.<br />

Letztlich ist auch vollkommen offen, in welcher Höhe<br />

das Wohnungseigentumsrecht mit einem zwangsweise eingetragenen<br />

Grundpfandrecht belastet werden soll. Eine zu<br />

geringe Belastung stellt nur eine unzureichende Sicherheit<br />

dar. Ist die Belastung zu hoch, kann eine Finanzierung bei<br />

dem Erwerb scheitern. Möglicherweise liegen auch bis zur<br />

Sittenwidrigkeit reichende Übersicherungen vor. An welchem<br />

Maßstab sich die Höhe orientieren könnte, ist nicht<br />

erkennbar. Faktoren wie die Dauer eines gerichtlichen Verfahrens<br />

für die Erlangung eines Titels über das ausstehende<br />

Wohngeld sind entweder nicht sachgerecht, weil dessen<br />

Höhe differiert, oder weil zum Beispiel eine zwischenzeitlich<br />

notwendige Sonderumlage nicht berücksichtigt werden<br />

kann. Die Eintragung dinglicher Sicherheiten zu Gunsten<br />

der Gemeinschaft kann somit keine sachgerecht Lösung<br />

darstellen.<br />

c) Rechtswirkliche Ausschlußmöglichkeit<br />

In solchen Fälle ist der Gesetzgeber aufgerufen, Maßnahmen<br />

zu ergreifen, die einen Ausschluß des betroffenen<br />

Wohnungseigentümers ermöglichen. Besondere Maßnahmen<br />

die Wohnungseigentümer dagegen zu schützen, die<br />

Forderungen der Vergangenheit realisieren zu können, erscheinen<br />

aus rechtssystematischen Gründen nicht angebracht,<br />

weil jeder Gläubiger Gefahr läuft, auf Forderungen<br />

verzichten zu müssen. Eine für die Wohnungseigentümer<br />

jedoch durchsetzbare Möglichkeit, den schuldenden Eigentümer<br />

aus der Gemeinschaft auszuschließen, muß geschaffen<br />

werden, weil andernfalls durch den Fortbestand des<br />

Dauerschuldverhältnisses ohne Aussicht auf dauerhafte Abhilfe<br />

weitere Verpflichtungen entstehen, die von den verbleibenden<br />

Eigentümern getragen werden müssen.<br />

Denkbar wären insoweit verschiedene Varianten, die<br />

Problematik zu regeln. Zum einen besteht die Gelegenheit,<br />

im Rahmen der Zwangsversteigerung den verbleibenden<br />

Mitgliedern der Wohnungseigentümergemeinschaft ein<br />

Rechtsschutzinteresse durch gesetzliche Anordnung einzuräumen.<br />

Eine Versteigerung könnte dann jedenfalls erfolgen.<br />

Anzupassen wären jedoch zahlreiche Vorschriften des<br />

ZVG. Zum anderen kann daran gedacht werden, neben der<br />

Zwangs- und Teilungsversteigerung ein weiteres Instrument<br />

<strong>65</strong> Vgl. BGHZ 43, 203; 49, 250; a. A. Weitnauer-Lüke, § 12 Rdnr. 3, der jedoch<br />

eine schuldrechtliche Erweiterung des von § 12 vorgegebenen Rahmens hinnehmen<br />

will; auch diese können nach § 10 Abs. 2 WEG zum Inhalt des Sondereigentums<br />

werden, so daß die unterschiedlichen Auffassungen nur akademischer<br />

Natur sind.


72<br />

l<br />

der Verwertung einer Eigentumswohnung zu schaffen, nach<br />

der die Gemeinschaft das Recht hat, ähnlich der Teilungsversteigerung<br />

unter gewissen Voraussetzungen bei Forderungsausfällen<br />

gegen den Schuldner vorzugehen. Dieses<br />

Instrument könnte dann auch das Entziehungsverfahren<br />

wegen bestehender Hausgeldrückstände im Sinne der Gründe<br />

des § 18 Absatz 2 Nummer 2 WEG ersetzen 66 .<br />

d) Belastungszustimmung<br />

Sinnvoll wäre es natürlich, wenn eine Belastung des<br />

Wohnungseigentumsrechts in der Weise, daß die geschilderten<br />

Probleme auftreten, überhaupt nicht möglich wäre. Hier<br />

ist an Einschränkungen in der Form zu denken, daß eine<br />

Belastung des Wohnungseigentums nur mit der Zustimmung<br />

67 der Gemeinschaft, des Verwalters oder einer dritten<br />

Person zulässig wäre. Eine solche Beschränkung der Verfügungsmöglichkeiten<br />

ist dem WEG nicht fremd, da bereits<br />

§ 12 WEG die Vereinbarung einer Veräußerungsbeschränkung<br />

zuläßt. Nach herrschender Auffassung kann auch die<br />

Überlassung an dritte Personen entsprechend dieser Bestimmung<br />

eingeschränkt werden 68 . Wenn eine Einschränkung<br />

der Verfügung und der Nutzung zulässig ist, können gegen<br />

solche, die eine Belastung betreffen, keine durchgreifenden<br />

rechtlichen Bedenken bestehen 69 . Dies folgt bereits aus dem<br />

Argument, daß die Einschränkung der Veräußerung stärker<br />

ist als die der Belastung. Zudem sind solche Belastungsbeschränkungen<br />

auch in anderweitigen Vorschriften vorhanden.<br />

So sieht etwa § 5 Absatz 2 ErbbauVO die Möglichkeit<br />

einer Vereinbarung zur Zustimmung im Falle einer Belastung<br />

des Erbbaurechtes vor. Der Hintergrund dieser Norm<br />

ist darin zu sehen, daß der Erbbauverpflichtete bei Eintritt<br />

des Heimfalles die auf dem Erbbaurecht ruhenden Belastungen<br />

gemäß § 33 ErbbauVO übernimmt und deshalb<br />

eine Kontrolle über deren Bestand und Höhe erhalten soll 70 .<br />

Die Vorschrift dient damit dem wirtschaftlichen Interesse<br />

des Erbbauverpflichteten an dem Wert des Grundstückes<br />

und soll ihn vor überraschenden Haftungsfolgen schützen.<br />

Nicht anders ist auch die Situation bei den Wohnungseigentümern<br />

gelagert, die eines Schutzes zwar nicht vor auch<br />

von anderen Personen hinzunehmenden Forderungsausfällen,<br />

jedoch aber vor weiteren Haftungsrisiken bedürfen.<br />

V. Lösung: Belastungszustimmung in § 12 WEG<br />

Am sinnvollsten erscheint mir der letzte genannte Weg<br />

zu sein. Die Intention des § 12 WEG liegt unter anderem<br />

darin, wegen der nach § 11 WEG bestehenden Nichtauflösbarkeit<br />

der Wohnungseigentümergemeinschaft einen<br />

Ausgleich zwischen den Interessen der Gemeinschaftsmitglieder<br />

und der freien Verfügbarkeit herzustellen, um zu<br />

verhindern, daß sich nicht in die Gemeinschaft einpassende<br />

Mitglieder aufgenommen werden müssen 71 . Im Hinblick<br />

auf die Unauflöslichkeit muß der Gemeinschaft aber auch<br />

ein Instrument an die Hand gegeben werden, das es ihr gestattet,<br />

sich vor den für die Gemeinschaft finanziell nicht<br />

mehr tragbaren Mitgliedern zu schützen. Daß dies aus bestimmten<br />

Gründen nicht immer möglich ist, wurde oben geschildert.<br />

Zu beachten ist auch, daß eine solche Zustimmung<br />

zu der Belastung des Wohnungseigentumsrechtes<br />

bereits heute notwendig ist, wenn zunächst ein Erbbaurecht<br />

an dem Grundstück unter der Zustimmungsvoraussetzung<br />

des § 5 Absatz 2 ErbbauVO begründet und später eine Teilung<br />

zu Wohnungserbbaurechten durchgeführt wurde 72 .<br />

Um zusätzlich den Fall der Bauträgerinsolvenz abzudekken,<br />

wäre zudem zu regeln, daß mit dem Abverkauf der er-<br />

AnwBl 2/2000<br />

Aufsätze<br />

sten Wohnung die bestehenden Globalgrundschulden auf<br />

die jeweils noch nicht verkauften Wohnungen aufzuteilen<br />

sind und der Fortbestand der Zustimmung der Gemeinschaft,<br />

des Verwalters oder einer dritten Person bedarf. Da<br />

das finanzierende Kreditinstitut das Gesamtobjekt nicht höher<br />

belastet, als es dessen realem Wert entspricht, tritt<br />

durch die Aufteilung eine wirtschaftliche Benachteiligung<br />

nicht ein. Ohne neue gesetzliche Möglichkeiten einer Versteigerung<br />

zu schaffen oder Gläubiger zu benachteiligen,<br />

böte sich daher an, die Überschrift des § 12 WEG in „Veräußerungs-<br />

und Belastungsbeschänkungen“ zu ändern und<br />

den Begriff der „Veräußerung“ in der Vorschrift durch „Veräußerung<br />

und Belastung“ zu ersetzen und mit dem Abverkauf<br />

der ersten Einheit die Aufteilung der dann entstehenden<br />

Globalgrundschuld auf die einzelnen Wohnungen<br />

anzuordnen.<br />

VI. Ausblick<br />

Die obigen Darstellungen sollen letztlich jedoch nicht<br />

den Schluß zulassen, daß durch eine drohende Insolvenz in<br />

weiten Kreisen der Wirtschaft oder der einzelnen Wohnungseigentümer<br />

das Institut des Wohnungseigentumsrechts<br />

gefährdet ist. Die geschilderten Umstände ließen<br />

sich zumindest überwiegend vermeiden, wenn bei der Abfassung<br />

der Teilungserklärungen und Gemeinschaftsordnungen<br />

durch die Notare entsprechende Vorkehrungen getroffen<br />

würden 73 . Insbesondere müssen dem Verwalter<br />

Instrumentarien an die Hand gegeben werden, Forderungen<br />

der Gemeinschaft schnell und zweckmäßig durchsetzen zu<br />

können. Daneben besteht die Möglichkeit, durch entsprechende<br />

Vereinbarungen auch die Haftung des Erwerbers<br />

vorzusehen 74 . Mit einer entsprechenden Regelung in der<br />

Gemeinschaftsordnung ist dies auch für den Erwerb durch<br />

die Zwangsversteigerung möglich 75 . Daß die Einführung<br />

solcher Regelungen, wenn eine Beurkundung durch den<br />

aufteilenden Vertreiber oder in Zusammenarbeit mit diesem<br />

in der Praxis kaum umzusetzen ist, liegt auf der Hand. Hinzu<br />

kommt auch die mangelnde praktische Erfahrung der<br />

Nurnotare mit den Problemen der Wohnungseigentumsverwaltung,<br />

so daß auch von dieser Seite keine sachgerechten<br />

Vorschläge erwartet werden können.<br />

In den beschriebenen Situationen wird es häufig auf die<br />

Qualität des Verwalters und dessen Unabhängigkeit oder<br />

dessen Durchsetzungsvermögen in der Entstehungsphase<br />

66 Insoweit käme dies auch den Überlegungen der Bundesregierung zur Novellierung<br />

des Entziehungsverfahrens entgegen, vgl. BT-Drucks. 13/4712, Seite<br />

35.<br />

67 Vgl. in der Verfügungsbeschränkung des § 12 WEG liegt nicht gleichzeitig<br />

eine Belastungsbeschränkung, vgl. Bärmann, Seite 95.<br />

68 Vgl. BGH NJW 1962,1613; DNotZ 1983, 183; BayObLGZ 1987 Nummer 48;<br />

BayObLG DNotZ 1962, 315; OLG Frankfurt Rpfleger 1979, 109; 1987, 412;<br />

anders noch OLG Frankfurt DNotZ 1959, 476.<br />

69 Der BGH, vgl. BGHZ 43, 203; 49, 250, hat den Anwendungsbereich des § 12<br />

WEG auch über die Veräußerung ausgedehnt und eine entsprechende Zulässigkeit<br />

einer Vereinbarung für die Bestellung eines Dauerwohnrechtes, welches<br />

ebenfalls eine Belastung des Wohnungseigentumsrechtes darstellt, angenommen.<br />

70 Vgl. von Oefele in Münchener Kommentar zum BGB, § 5 ErbbauRVO,<br />

Rdnr. 1; Palandt-Bassenge, § 5 ErbbauRVO, Rdnr. 3.<br />

71 Vgl. dazu BayObLGZ 1977, 40; BayObLG NJW 1973, 152; OLG Celle<br />

Rpfleger 1974, 267; OLG Karlsruhe Die Justiz 1985, 140; Bärmann/Pick/<br />

Merle, § 12 Rz. 1; Weitnauer, § 12 Rdnr. 1.<br />

72 Vgl. BayObLG Rpfleger 1989, 503.<br />

73 So auch Armbrüster in WE 1999, 46 (48).<br />

74 Vgl. zur Erwerberhaftung BGH NJW 1994, 1866 mit Anm. von Waldner in<br />

WIB 1994, 741; WE 1996, <strong>144</strong> mit kritischer Anm. von Deckert in WE 1996,<br />

145 f.; Drasdo in DerWE 1996, 46; ders. in WE 1996, 242; ders in WE 1996,<br />

412.<br />

75 A. A. wohl Armbrüster in WE 1999, 46 (48).


AnwBl 2/2000 73<br />

Aufsätze l<br />

der Wohnungseigentümergemeinschaft ankommen. Eine gesetzlich<br />

vorgeschriebene Trennung von Bauträger, Vertreiber<br />

und Eigentümer einerseits und dem Verwalter andererseits<br />

wäre darüber hinaus mehr als sinnvoll.<br />

Solange jedoch solche Unzulänglichkeiten bestehen,<br />

müssen die Wohnungseigentümer selber hinreichend für die<br />

Durchsetzung ihrer Rechte Sorge tragen. Den hinzugezogenen<br />

Rechtsanwälten wird die Aufgabe zu Teil werden,<br />

schnellstmöglich alle denkbaren rechtlichen Möglichkeiten<br />

auszuschöpfen. Wie die Erfahrung zeigt, erfordert dies eine<br />

hinreichende Erfahrung mit der Institution „Wohnungseigentum“<br />

und eine genaue Kenntnis der vorliegenden, oft<br />

nicht oder nicht in allen Fachzeitschriften veröffentlichten<br />

Rechtsprechung.<br />

Insoweit läßt sich die Krise des Wohnungseigentums,<br />

wenn sie bestehen sollte, durch sachgerechte Maßnahmen<br />

wenigstens teilweise meistern. Ohne gesetzgeberische Initiative<br />

wird das nicht geringe verbleibende Restrisiko jedoch<br />

nicht entscheidend minimiert werden können.<br />

Konsequenzen der<br />

Mehrkostenmethode für die<br />

Prozesstaktik<br />

Richter am OLG Uwe Liebheit, Münster-Hiltrup<br />

I. Teilweise Erledigung der Hauptsache<br />

Quotenmethode und Mehrkostenmethode<br />

Die „teilweise Erledigung der Hauptsache“ hat eine<br />

große praktische Bedeutung1 . Ein Amtsrichter muss sich<br />

mehrmals an einem Sitzungstag, eine Zivilkammer mehrmals<br />

in der Woche und ein Zivilsenat mehrmals im Monat<br />

mit der Problematik beschäftigen. Die neuere Rechtsprechung<br />

des BGH 2 hat die Streitwertberechnung in diesen<br />

Alltagsfällen bei einer einseitigen Teilerledigungserklärung<br />

erheblich kompliziert, worauf Schneider/Herget 3 zutreffend<br />

hinweisen. Sie führt zudem zu sachwidrigen Kostenentscheidungen,<br />

die ein Anwalt durch eine entsprechende Prozesstaktik<br />

vermeiden muss.<br />

Die h. M. 4 die sich zu Recht durchgesetzt hat5 wertet die<br />

einseitige Erledigungserklärung als einen Sachantrag auf<br />

Feststellung, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt<br />

sei. Für den Streitwert des Erledigungsstreits ist das<br />

Kosteninteresse 6 des Klägers maßgebend, weil sich sein<br />

wirtschaftliches Interesse an einer Fortsetzung des Rechtsstreits<br />

darauf beschränkt, dass dem Beklagten die durch den<br />

materiell erledigten Anspruch verursachten Kosten auferlegt<br />

werden. Das entsprechende Kosteninteresse des Klägers<br />

wird in der Prozesspraxis überwiegend nach der Quotenmethode<br />

bestimmt: bis zur Teilerledigungserklärung angefallene<br />

Kosten x<br />

Streitwert des für erledigt erklärten Teils<br />

Gesamtstreitwert<br />

Nach der Auffassung des BGH 7 ist das Kosteninteresse<br />

dagegen mit Hilfe einer Differenzrechnung zu ermitteln. Zu<br />

berechnen seien die Mehrkosten, die angefallen sind, weil<br />

der Kläger den Rechtsstreit nicht von Anfang an über den<br />

Wert der nicht erledigten Hauptsache geführt hat; diese Berechnung<br />

trage dem Umstand Rechnung, dass dem Kosten-<br />

interesse ein Wert nur insoweit beizumessen sei, als die Kosten<br />

nicht „ohnehin angefallen“ wären.<br />

Diese Auffassung wird inzwischen auch von mehreren<br />

Oberlandesgerichten 8 vertreten, weil ihre prozess- und<br />

sachwidrigen Konsequenzen weitgehend verkannt werden.<br />

Sie bestehen darin, dass<br />

1. die Mehrkostenmethode sich auf eine ungesicherte und<br />

vielfach unzutreffende Hypothese gründet („Kosten,<br />

die ohnehin angefallen wären“),<br />

2. dem Anwalt die Abschätzung des Kostenrisikos vor Klageerhebung<br />

unmöglich ist, da die Mehrkostenmethode<br />

das prozessuale Ergebnis auf den Kopf stellt und zu<br />

einer Kostenbelastung führt, die im Widerspruch zum<br />

wirtschaftlichen Erfolg der Klage, gemessen an den<br />

ursprünglichen Streitwertquoten, steht,<br />

3. ein unbegründeter Antrag des Klägers auf Feststellung<br />

der Teilerledigung der Hauptsache zu einer Reduzierung<br />

seiner Kostenbelastung von beispielsweise 80 % auf<br />

34 % führen kann, weil nur er von der Gebührendegression<br />

profitieren soll,<br />

4. der Beklagte gezwungen sein kann, sich der unbegründeten<br />

Erledigungserklärung des Klägers anzuschließen,<br />

um die vorgenannte Kostenentlastung zu verhindern, so<br />

dass der Schutzzweck des § 269 Abs. 1 und Abs. 3 S. 2<br />

ZPO unterlaufen wird,<br />

5. ein unbegründeter Antrag des Beklagten auf Abweisung<br />

der Klage auf Feststellung der Teilerledigung der<br />

Hauptsache zu einer Reduzierung seiner Kostenbelastung<br />

von beispielsweise 80 % auf 34 % führen kann,<br />

weil in diesem Fall nur er von der Gebührendegression<br />

profitieren soll,<br />

1 Baumbach/Hartmann, ZPO, 57. Aufl. 1999, § 91a ZPO Rdnr. 1 Thomas/Putzo<br />

ZPO, 22. Aufl. 1999, § 91a ZPO Rdnr. 1; Bergerfurth NJW 1992, 1<strong>65</strong>5.<br />

2 BGH NJW-RR 1988, 14<strong>65</strong>; WM 1991; 2009; NJW-RR 1993, 7<strong>65</strong> = VersR<br />

1993, 626; NJW-RR 96, 1210; (NJW-RR 1992, 1404).<br />

3 Schneider/Herget, Streitwert-Kommentar 11. Aufl. 1996, 1524.<br />

4 BGH NJW 1994, 2364 = MDR 1995, 92; NJW 1993, 391; NJW 1992, 2235,<br />

2236; NJW 1990, 3147; OLG Nürnberg NJW-RR 1989, 444: NJW-RR 1987,<br />

1278 unter Bezugnahme auf OLG Saarbrücken (NJW 1967, 2212) und LG<br />

Nürnberg-Fürth (NJW 1981, 2587 m. w. N.); OLG München 11. ZS MDR<br />

1995, 642 = JB 1995, 644; MDR 1998, 63; OLG München 29. ZS NJW-RR<br />

1995, 1086; OLG München 23. ZS NJW 1975, 2021; OLG Frankfurt MDR<br />

1995, 207; OLGR 1998, 14; OLG Zweibrücken NJW 1968, 110; OLG Celle<br />

NJW 1970, 2113; OLG Stuttgart JB 1989, 525, 526; OLG Karlsruhe NJW-RR<br />

1994, 761; MDR 1994, 217; OLG Koblenz ZMR 1988, 433; OLG Düsseldorf<br />

NJW-RR 1997, 1566; nahezu einhellige Auffassung aller ZS des OLG Hamm;<br />

OLG Köln OLGR 1994, 114; 12. ZS OLGR 1992, 112; 19. ZS VersR 1992,<br />

518; 6. ZS WRP 1986, 117, a. A. 17. ZS MDR 1995, 103; OLG Rostock MDR<br />

1993, 1019; OLG Schleswig SchlHA 1990, 9; OLG Schleswig SchlHA 1990,<br />

9; KG MDR 1999, 388; Zöller-Vollkommer, ZPO, 21. Aufl. 1999, § 91a ZPO<br />

Rdnr. 34; Thomas-Putzo § 91a ZPO Rdnr. 6, 32; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21.<br />

Aufl. 1999, § 91a ZPO Rdnr. 39; Wieczorek/Steiner, ZPO, 3. Aufl. 1994,<br />

§ 91a ZPO Rdnr. 22; Zimmermann, ZPO, 5. Aufl. 1998, § 91a ZPO Rdnr. 21;<br />

Anders/Gehle, Streitwert-Lexikon, 3. Aufl. 1998, Erl. d. Haupts. Rdnr. 9, 12<br />

Bergerfurth, NJW 1992, 1<strong>65</strong>5, 1<strong>65</strong>8; Deubner JuS 1993, 229, 230; Habscheid,<br />

FS Lent, S. 166; Lüke, FS Weber, S. 331.<br />

5 Vgl. eingehend Verf.: Streitwert bei einer Teilerledigung der Hauptsache NJW.<br />

6 Ständige Rspr. des BGH NJW 1961, 1210, 1211; NJW 1969, 1173, 1174;<br />

NJW 1972, 257; NJW 1982, 1807; NJW 1986, 588, 589; NJW-RR 1988, 14<strong>65</strong>;<br />

BGHZ 106, 359, 366 = NJW 1989, 2885; NJW-RR 1990, 1474; WM 1991;<br />

2009; NJW-RR 1993, 7<strong>65</strong>; NJW-RR 1993, 7<strong>65</strong>; NJW-RR 96, 1210; OLG Hamburg<br />

KostRsp ZPO § 3 Nr. 964; JB 1989, 847; JB 1990, 911; OLG Karlsruhe<br />

NJW-RR 1994, 761; OLG Stuttgart JB 1989, 526; OLG München NJW-RR<br />

1995, 1086; Zöller-Vollkommer § 91a ZPO Rdnr. 34; MK-Lindacher, ZPO,<br />

1992; § 91a ZPO Rdnr. 86 und zur teilweisen Erledigung: OLG Köln JB 1991,<br />

1385; OLG Düsseldorf KostRsp ZPO § 3 Nr. 1127; OLG Koblenz JB 1992,<br />

490; wohl auch OLG Hamburg JB 1989, 847; JB 1990, 911; OLG Stuttgart JB<br />

1989, 525; JB 1989, 1166; OLG Hamm (12. ZS) JB 1991, 1122; OLG Hamm<br />

(23 W 573/98) vom 26.3.1999 unter Aufgabe der früheren Rspr. MDR 1982,<br />

327.<br />

7 BGH NJW-RR 1988, 14<strong>65</strong>; WM 1991; 2009; NJW-RR 1993, 7<strong>65</strong> = VersR<br />

1993, 626; NJW-RR 96, 1210; (NJW-RR 1992, 1404).<br />

8 OLG Köln JB 1991, 1385; OLG Düsseldorf KostRsp ZPO § 3 Nr. 1127; OLG<br />

Koblenz JB 1992, 490; wohl auch OLG Hamburg JB 1989, 847; JB 1990, 911;<br />

OLG Stuttgart JB 1989, 525; JB 1989, 1166; OLG Hamm (12. ZS) JB 1991,<br />

1122; OLG Hamm (23 W 573/98) vom 26.3.1999.


74<br />

l<br />

6. es für den Kläger zur Vermeidung einer überproportionalen<br />

Kostenbelastung im Falle eines Teilunterliegens<br />

wirtschaftlich günstiger sein kann, eine rechtshängige<br />

Restforderung nicht im laufenden Prozess, sondern in<br />

einem Folgeprozess titulieren zu lassen,<br />

7. den Gerichten in allen Fällen einer einseitigen Teilerledigungserklärung<br />

eine unangemessene Mehrarbeit bereitet<br />

wird 9 ,<br />

8. die Mehrheit der Amts- und Landgerichte die Mehrkostenmethode<br />

im Rahmen der Kostengrundentscheidung<br />

wegen ihrer Umständlichkeit und ihrer sachwidrigen<br />

Ergebnisse nicht anwendet – im Gegensatz zu einer<br />

Vielzahl von Oberlandesgerichten bei der Streitwertund<br />

Kostenfestsetzung im Beschwerdeverfahren, so dass<br />

diese nicht mit der Kostengrundentscheidung harmoniert<br />

und das Chaos perfektioniert wird.<br />

Ein Anwalt muss sich vor einer diesbezüglichen Prozesshandlung<br />

bei dem jeweiligen Gericht erkundigen, ob es<br />

der Mehrkostenmethode folgt, und deren sachwidrige Konsequenzen,<br />

die nachfolgend aufgezeigt werden sollen, ggf.<br />

bei seinem Vorgehen berücksichtigen.<br />

Fall 1: K klagt gegen B 130.000 DM 10 ein. Nach einer<br />

umfangreichen Beweisaufnahme, die Zeugen- und Sachverständigenkosten<br />

(2 Sachverständige) in Höhe von 10.469<br />

DM verursacht hat, so dass sich die Kosten des Rechtsstreits<br />

auf den „runden“ Betrag von 30.000 DM belaufen 11<br />

kristallisiert sich heraus, dass die Klage nur in Höhe von<br />

104.000 DM begründet ist.<br />

1. Streitige Entscheidung<br />

Im Fall einer Verurteilung des B zur Zahlung von<br />

104.000 DM unter Abweisung der weitergehenden Klage<br />

würden K 20 % und B 80 % der Kosten auferlegt.<br />

K müsste von den angefallenen Kosten 6.000 DM und B<br />

24.000 DM tragen.<br />

2. Teilweise Erledigung der Hauptsache<br />

2.1. Übereinstimmende Teilerledigungserklärung<br />

Wenn B kurz vor der letzten mündlichen Verhandlung<br />

104.000 DM zahlt, muss K insoweit die Hauptsache für erledigt<br />

erklären. Schließt sich B der Erledigungserklärung<br />

an, was unter den gegebenen Umständen als prozessadäquate<br />

Konsequenz seiner Zahlung erwartet werden könnte,<br />

müsste das Gericht hinsichtlich der Teilerledigung gem.<br />

§ 91a ZPO über die Kosten entscheiden und zwar zusammen<br />

mit der Kostenentscheidung bezüglich der Restforderung<br />

(über diese gem. §§ 91, 92 ff. ZPO) in einer gemischten<br />

Kostenentscheidung. Wenn die Klage hinsichtlich der<br />

Restforderung von 26.000 DM abgewiesen würde, würden<br />

unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes<br />

K 20 % der Kosten auferlegt und B 80 %. K müsste<br />

wieder 6.000 DM und B 24.000 DM der Kosten tragen.<br />

2.2 Einseitige Teilerledigungserklärung<br />

Leugnet B im Widerspruch zu den tatsächlichen Gegebenheiten<br />

die Teilerledigung der Hauptsache, hilft ihm das<br />

bei Anwendung der Quotenmethode nicht. Unterliegt er<br />

hinsichtlich der Feststellungsklage (Erledigung der Hauptsache<br />

in Höhe von 104.000 DM), muss B 80 % der Kosten<br />

tragen, die bis zur Teilerledigung angefallen sind. Da im<br />

Beispielsfall bereits alle Gebühren nach dem Streitwert von<br />

130.000 DM angefallen sind, erübrigt sich eine Streitwert-<br />

AnwBl 2/2000<br />

Aufsätze<br />

festsetzung für den für erledigt erklärten Teil der Hauptsache<br />

und die Berechnung des entsprechenden Kosteninteresses<br />

des Klägers.<br />

Nach der Auffassung des BGH soll sich dagegen das<br />

Kosteninteresse des Klägers auf die Mehrkosten reduzieren,<br />

die durch die Geltendmachung der vom Beklagten<br />

nach Rechtshängigkeit erfüllten Forderung verursacht worden<br />

sind, wenn der Beklagte auf seinem erfolglosen (!)<br />

Klageabweisungsantrag beharrt. Die Mehrkosten belaufen<br />

sich ohne Zeugen- und Sachverständigenkosten auf:<br />

Streitwert 130.000 DM 26.000 DM Mehrkosten<br />

RA-Gebühren 6 x 2.285 DM 13.710 DM 6 x 1.105 DM 6.630 DM<br />

§ 26 BRAGO 2 x 40 DM 80 DM 2 x 40 DM 80 DM<br />

§ 27 BRAGO 60 DM 60 DM<br />

16 % MWSt 2.216 DM 1.083DM<br />

Gerichtskosten 3 x 1.155 DM 3.4<strong>65</strong> DM 3 x 475 DM 1.425 DM<br />

19.531 DM 9.278 DM 10.253 DM<br />

80 % der ohne Berücksichtigung der Zeugen- und Sachverständigenkosten<br />

angefallenen Kosten in Höhe von 19.531<br />

DM würden zu einer Kostenbelastung von 15.625 DM<br />

führen; die Mehrkosten betragen dagegen nur 10.253 DM,<br />

das sind 5.372 DM weniger. Die von B zu tragende Quote<br />

würde sich ohne Berücksichtigung der Beweiskosten auf<br />

52,5 % reduzieren.<br />

Die Verteilung der Zeugen- und Sachverständigenkosten,<br />

die mit 10.469 DM angenommen wurden, ist noch<br />

komplizierter, da ihre genaue Höhe im Zeitpunkt der Kostenentscheidung<br />

nicht feststeht. Die entsprechenden Zahlungsanweisungen<br />

befinden sich vielfach noch nicht in der<br />

Akte. Zudem lässt sich kaum feststellen, um welchen Betrag<br />

sich diese Kosten erhöht haben, weil die Beweisaufnahme<br />

nicht auf die bis zur Entscheidung streitig gebliebenen<br />

Spitzenbeträge beschränkt wurde. Wendet man die<br />

Mehrkostenmethode konsequent an, müssen auch insoweit<br />

die Mehrkosten ermittelt werden. Zu dieser Frage muss den<br />

Parteien rechtliches Gehör gewährt werden und es erscheint<br />

nicht fernliegend, dass im Hinblick auf die bereits durchgeführte<br />

Beweisaufnahme ein heftiger Streit entsteht, ob hinsichtlich<br />

der Restforderung die Vernehmung aller Zeugen<br />

und die Einholung der Sachverständigengutachten beantragt<br />

worden wäre. Die Anwälte müssten ggf. gem. § 3 Hs. 2<br />

ZPO zu der Frage vernommen werden, welche Beweisanträge<br />

sie gestellt hätten, wenn sich der Rechtsstreit von<br />

vornherein auf den streitigen Restbetrag konzentriert hätte,<br />

um die „ohnehin angefallenen Kosten“ zu ermitteln. Die<br />

Sachverständigen müssen dazu angehört werden, um welchen<br />

Betrag sich ihr Gutachten verteuert hat, weil es sich<br />

nicht auf die streitigen Spitzenbeträge konzentriert hat etc.<br />

Solch einen Aufwand kann ein stark belasteter Amtsrichter<br />

und eine Zivilkammer, die an einem Sitzungstag<br />

zahlreiche Sachen erledigen muss, nicht leisten. Selbst<br />

wenn er ergeben würde, dass beispielsweise 1/4 der Zeugen-<br />

und Sachverständigenkosten Mehrkosten sind, also<br />

2.617 DM, würden sich die Mehrkosten nur auf 12.870 DM<br />

erhöhen.<br />

9 Allerdings nicht für den BGH, da für ihn die erstmalige Anwendung der<br />

Mehrkostenmethode (BGH NJW-RR 19988, 14<strong>65</strong>) zur Folge hatte, dass die<br />

Revision unzulässig war.<br />

10 Die Werte sind an die Entscheidung BGH NJW-RR 88, 14<strong>65</strong> angelehnt und<br />

etwas „geglättet“.<br />

11 Vgl. unter 2.2.: 19.531 DM zzgl. 10.469 DM Zeugen- u. Sachverständigenkosten<br />

= 30.000 DM.


AnwBl 2/2000 75<br />

Aufsätze l<br />

Da es nach der Rechtsprechung des BGH 12 „neben dem<br />

Streit um die restliche Hauptsache darum geht, wer die<br />

Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, soweit dieser – zu<br />

Recht oder zu Unrecht – in der Hauptsache einseitig für erledigt<br />

erklärt worden ist“, und diese Kosten nach der Auffassung<br />

des BGH mit der Mehrkostenmethode zu berechnen<br />

sind, können B nur die Mehrkosten in Höhe von 10.253<br />

DM (ohne Zeugen- und Sachverständigenmehrkosten) bzw.<br />

12.870 DM (mit diesen) auferlegt werden 13 das sind 34 %<br />

bzw. 43 % der Gesamtkosten von 30.000 DM statt der Quote<br />

von 80 %, die dem Prozessergebnis entsprechen würde.<br />

Soweit K hinsichtlich der restlichen Hauptsache von<br />

26.000 DM unterliegt, muss er die restlichen Kosten tragen,<br />

„die ohnehin angefallen wären“, wenn K von vornherein<br />

nur diese Forderung geltend gemacht hätte. Das sind 9.278<br />

DM zzgl. 10.469 DM (Z.- u. SV-Kosten) 19.747 DM<br />

(66 %) bzw. 9.278 DM zzgl. (10.469 DM – 2.617 DM)<br />

(Z.- u. SV-Kosten) 17.130 DM (57 %) und nicht nur die<br />

prozessadäquate Quote von 20 % (6.000 DM). Die Kostenlast<br />

des Klägers würde sich rund auf das dreifache erhöhen,<br />

wenn sich der Schuldner in letzter Minute dazu bequemt zu<br />

zahlen und auf seinem weitgehend erfolglosen Klageabweisungsantrag<br />

beharrt, wohingegen sich die Kostenbelastung<br />

des B von 80 % auf 34 % bzw. 43 % reduzieren würde.<br />

Das ist offensichtlich nicht zu rechtfertigen Zudem verhindert<br />

diese Methode eine sachgerechte übereinstimmende<br />

Erledigungserklärung, was zu einer Mehrbelastung der Gerichte<br />

führt.<br />

Die Rechtsprechung des BGH und der ihm folgenden<br />

Gerichte privilegiert den säumigen Schuldner in einer nicht<br />

prozessadäquaten Weise und lässt nur ihn von der Gebührendegression<br />

profitieren. Dass es kein sofortiges Anerkenntnis<br />

i. S. d. § 93 ZPO darstellt, wenn der Beklagte erst<br />

nach einer streitigen Verhandlung oder gar Durchführung<br />

einer Beweisaufnahme zahlt, entspricht allgemeiner Meinung,<br />

so dass es an einer gesetzlichen Grundlage für seine<br />

Besserstellung mangelt. Es entspricht nahezu einhelliger<br />

Auffassung, dass die Kostengerechtigkeit gebietet, dem<br />

Kläger mit Hilfe einer Erledigungserklärung die Möglichkeit<br />

zu geben, einen Prozess, der ohne ein erledigendes Ereignis<br />

zu seinen Gunsten ausgegangen wäre, ohne Kostennachteile<br />

zu beenden 14 . Die Mehrkostenmethode verletzt<br />

dieses Prinzip, weil sie die angefallenen Kosten nicht entsprechend<br />

dem streitwertanteiligen Unterliegen der Parteien<br />

hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils und der streitigen<br />

Restforderung verteilt. Sie fingiert nachträglich eine<br />

hypothetische Klageerhebung und verlagert auf diese<br />

rückwirkend Kostenbeträge, die nicht dem Streitwertanteil<br />

entsprechen, der sie verursacht hat.<br />

Solch eine Verlagerung von Kostenanteilen auf eine Partei<br />

ist mit den tragenden Grundsätzen des Kostenrechts, der<br />

Unterliegenshaftung 15 d. h. dem Unterliegen in Relation zu<br />

dem Streitwert, der die Kosten verursacht hat, und dem Veranlassungsprinzip<br />

– insoweit ist grundsätzlich auf das Verhalten<br />

des Beklagten vor dem Kostenanfall abzustellen 16<br />

nicht vereinbar. Es ist systemfremd, dass sich durch ein<br />

nachträgliches Verhalten des Beklagten die Unterliegenshaftung<br />

des Klägers bezüglich eines von der Erledigungserklärung<br />

nicht betroffenen weiterhin streitigen Teils der Forderung<br />

von 20 % auf 66 % bzw. 57 % der Kosten erhöhen<br />

soll. Einem Anwalt, der die teilweise Erledigung der<br />

Hauptsache naturgemäß nicht voraussehen kann, wird es<br />

dadurch unmöglich gemacht, das Kostenrisiko eines Prozesses<br />

richtig einzuschätzen.<br />

Die Mehrkostenmethode stellt einen Fremdkörper in<br />

dem in sich folgerichtigen Kostenverteilungssystem der<br />

§§ 91a, 92 Abs. 1 und 2, 93 und 96 ZPO dar. Sie gründet<br />

sich ohne gesetzliche Grundlage auf die Unterstellung, dass<br />

die Kosten des streitig verbliebenen Teils „ohnehin angefallen<br />

wären“, also die Hypothese, dass der Kläger den streitigen<br />

Restbetrag auch dann geltend gemacht hätte, wenn B<br />

die 104.000 DM bereits vor Klageerhebung gezahlt hätte.<br />

Damit verkennt der BGH, dass ein guter Anwalt sein Geld<br />

mit den Prozessen verdient, die er nicht führt (angesehene<br />

Beratungspraxis statt Prozesshansel). Jeder Praktiker weiß,<br />

dass die Geltendmachung streitiger Restforderungen mit einem<br />

erheblichen Arbeitsaufwand sowie Misserfolgs- und<br />

Kostenrisiko verbunden ist, mit der Folge, dass sie vielfach<br />

nicht eingeklagt werden, insbesondere dann nicht, wenn die<br />

Geschäftsbeziehungen darunter leiden könnten und der Kläger<br />

berechtigte Zweifel an der Durchsetzbarkeit der Forderung<br />

haben muss. Wenn dagegen wegen einer Forderung,<br />

die in Höhe von 100.000 DM sicher berechtigt ist, ohnehin<br />

ein Rechtsstreit erforderlich ist, dann können auch streitige<br />

Spitzenbeträge eingeklagt werden, mit der Möglichkeit,<br />

sich im Prozess kompromissbereit zu zeigen und im Rahmen<br />

eines Vergleichs nachzugeben. Es ist deshalb in vielen<br />

Fällen praxisfremd, anzunehmen, dass die Kosten wegen<br />

des Restbetrags „ohnehin angefallen wären“; diese Frage<br />

müsste zumindest aufgeklärt werden, was im Einzelfall<br />

sehr schwierig sein kann.<br />

Die Unterstellung des BGH ist ohne weitere Feststellungen<br />

auch dann unzulässig, wenn die Teilerledigung vor<br />

einer Beweisaufnahme oder gar der Verhandlung erklärt<br />

und der Rechtsstreit wegen des Restbetrags fortgesetzt worden<br />

ist. Wenn erst nach Klageerhebung eine Teilerledigung<br />

erfolgt, hat der Kläger den Entschluss, die Forderung einzuklagen,<br />

bereits gefasst. Der Arbeitsaufwand, der mit der<br />

klageweisen Geltendmachung der Forderung verbunden ist,<br />

ist ebenso wie ein erheblicher Teil der Kosten bereits angefallen.<br />

Es darf auch nicht unterschätzt werden, dass sich ein<br />

Kläger, der wegen der Nichterfüllung einer berechtigten<br />

Forderung zur Klageerhebung gezwungen wurde, in die<br />

Überzeugung hineinsteigern kann, dass die von seinem Anwalt<br />

überzeugend begründete Klage in vollem Umfang Erfolg<br />

haben müsse. Schließlich haben sich nach einer Klageerhebung<br />

die Fronten vielfach verhärtet, so dass dem Kläger<br />

der Rückzug wegen der Restforderung, soweit er<br />

überhaupt möglich ist, erschwert wird.<br />

1. Abwandlung: Im Ausgangsfall erkennt K nach<br />

Durchführung der Beweisaufnahme, dass seine Klage nur<br />

in Höhe von 26.000 DM begründet ist.<br />

In diesem Fall erscheint die Annahme auf den ersten<br />

Blick vertretbar, dass B mit den Kosten „ohnehin“ belastet<br />

worden wäre, die durch eine auf 26.000 DM beschränkte<br />

Klage angefallen wären. Es kann aber nicht ausgeschlossen<br />

werden, teilweise ergibt sich das sogar aus dem vorprozessualen<br />

Schriftverkehr, dass der Beklagte sich zur Vermeidung<br />

des Prozessrisikos bereit gefunden hätte, die 26.000<br />

DM zu zahlen, wenn sich der Kläger damit zufrieden ge-<br />

12 BGH WM 1991, 2009, 2010.<br />

13 Zur praktischen Anwendung der Mehrkostenmethode vgl. Anders/Gehle.<br />

Handbuch für das Zivilurteil, 2. Aufl. 1995, Teil B Rdnr. 404, 410, 444; dieselb.<br />

Das Assessorexamen im Zivilrecht, 6. Aufl. 1999, Rdnr. 174; Siegburg,<br />

Einführung in die Urteils- und Relationstechnik, 4. Aufl. 1989, Rdnr. 70.<br />

14 BGH, NJW 1986, 588, 589; NJW 1989, 2885, 2886; NJW 1991, 1114, 1116;<br />

Wieczorek/Steiner, § 91a ZPO, Rdnr. 22; Baumbach/Hartmann, § 91a ZPO<br />

Rdnr. 3; Thomas/Putzo, § 91a ZPO Rdnr. 1; Zöller/Vollkommer § 91a ZPO<br />

Rdnr. 1 Bergerfurth NJW 92, 1<strong>65</strong>5, 1<strong>65</strong>8.<br />

15 Baumbach/Hartmann Übers. vor § 91 ZPO Rdnr. 2 und 27.<br />

16 BGH NJW 1979, 2040; Zöller/Herget § 93 ZPO 3; Thomas/Putzo § 93 ZPO<br />

Rdnr. 5.


76<br />

l<br />

geben hätte und dass eine Einigung nur deshalb nicht möglich<br />

war, weil die Vorstellungen der Parteien zu stark divergierten.<br />

Prozesstaktik Teil 1: Bei einer Abweisung der Klage in<br />

Höhe von 104.000 DM würden K 80 % der Kosten auferlegt.<br />

Er erklärt deshalb die Hauptsache in Höhe von<br />

104.000 DM für erledigt. Da sich die Hauptsache tatsächlich<br />

nicht erledigt hat, wird der Anwalt des B der Erledigungserklärung<br />

widersprechen, wenn er sich in prozessadäquater<br />

Weise auf die Frage konzentriert, ob die Klage<br />

ursprünglich zulässig und begründet war. Er hätte mit seinem<br />

Antrag, die Feststellungsklage abzuweisen, auch Erfolg.<br />

B würde unter Abweisung der Klage im übrigen zur<br />

Zahlung von 26.000 DM verurteilt. Nach der Quotenmethode<br />

müsste K 80 % der Kosten tragen und B 20 %. Nach der<br />

Mehrkostenmethode hat die grundlose Teilerledigungserklärung<br />

des K zur Folge, dass er nur mit den Mehrkosten von<br />

10.253 DM (34 % der Kosten des Rechtsstreits) belastet<br />

wird 17 B muss die restlichen 19.747 DM tragen, also 66 %<br />

statt 20 %.<br />

Prozesstaktik Teil 2: Schließt B sich der Erledigungserklärung<br />

des K bezüglich der unbegründeten Forderung von<br />

104.000 DM an, wird das Gericht dem K gem. § 91a ZPO<br />

unter Berücksichtigung des ohne die übereinstimmende Erledigungserklärung<br />

absehbaren Prozessausgangs 80 % der<br />

Kosten auferlegen.<br />

Wenn das Gericht dem B vor Augen führt, dass er hinsichtlich<br />

der Restforderung von 26.000 DM mit einer Verurteilung<br />

und trotz Obsiegens mit seinem Abweisungsantrag<br />

bezüglich der Feststellungsklage mit einer Kostenbelastung<br />

von rund 20.000 DM rechnen müsse, falls er auf seinem<br />

Abweisungsantrag beharre, dass sich seine Kostenbelastung<br />

aber auf 6.000 DM reduziere, wenn er sich der Teilerledigungserklärung<br />

anschliesst, gewinnt die Mehrkostenmethode<br />

die Bedeutung eines prozessual unzulässigen Zwangsmittels.<br />

Dieser wirtschaftliche Zwang steht im Widerspruch<br />

zu § 269 Abs. 1 ZPO, der dem Beklagten nach mündlicher<br />

Verhandlung das Recht einräumt, auf einer rechtskräftigen<br />

Abweisung einer unbegründeten Klage bestehen zu können.<br />

Schließt sich B der Erledigungserklärung an, könnte K dagegen<br />

wie bei einer Klagerücknahme erneut klagen 18 zugegeben,<br />

eine theoretische Möglichkeit, aber der Gesetzgeber<br />

mutet einem Beklagten auch solch eine theoretische Möglichkeit<br />

nicht zu. Im Fall einer übereinstimmenden Erledigungserklärung<br />

stünde der Beklagte im Vergleich zu § 269<br />

Abs. 3 ZPO sogar noch schlechter da, weil ihm bei unklarer<br />

Sach- und Rechtslage ein Teil der Kosten auferlegt werden<br />

könnten. Eine Kostenverteilungsmethode, die den Schutzzweck<br />

des Gesetzes in solcher Weise unterläuft, ist nicht<br />

vertretbar.<br />

Ausserdem wird auch das Vertrauen der Parteien in die<br />

Redlichkeit des Gerichts verletzt, wenn es anspricht, ob B<br />

sich nicht aus Kostengründen der Erledigungserklärung des<br />

K anschließen will, obwohl allen Beteiligten klar ist, dass<br />

ein erledigendes Ereignis nicht vorliegt. Es käme natürlich<br />

in Betracht, nur in solch offensichtlichen Fällen des Rechtsmissbrauchs<br />

die Mehrkostenmethode nicht anzuwenden; zu<br />

berücksichtigen ist aber, dass die Fallkonstellationen in der<br />

Praxis vielfach nicht so klar sind, wie sie hier zur besseren<br />

Veranschaulichung der Problematik dargestellt sind. Es würde<br />

die Kostenentscheidung unangemessen komplizieren, im<br />

jedem Einzelfall zu prüfen, aufgrund welcher Überlegungen<br />

eine Partei einen unbegründeten Antrag gestellt hat.<br />

AnwBl 2/2000<br />

Aufsätze<br />

Prozesstaktik Teil 3: Weigert sich B trotz des Hinweises<br />

des Gerichts, dass das Kosteninteresse des K hinsichtlich<br />

des für erledigt erklärten Teils nur mit rund 10.000 DM zu<br />

bewerten sei, sich der Erledigungserklärung anzuschließen<br />

und zahlt er statt dessen noch in der mündlichen Verhandlung<br />

die begründete Forderung von 26.000 DM nebst Zinsen,<br />

muss K die Hauptsache insgesamt für erledigt erklären.<br />

Schließt sich B der Erledigungserklärung hinsichtlich des<br />

von ihm gezahlten Betrags an, so entfällt die Rechtshängigkeit<br />

der Klage hinsichtlich dieses Teilbetrags mit der Folge,<br />

dass sich insoweit auch keine „ohnehin angefallenen Kosten“<br />

berechnen lassen. Das Gericht muss deshalb dem K<br />

erläutern, dass sich nunmehr sein Kosteninteresse bezüglich<br />

des einseitig für erledigt erklärten Teils schlagartig von<br />

rund 10.000 DM auf 24.000 DM erhöht habe, auch wenn K<br />

versichert, dass er nicht daran interessiert ist, mit mehr als<br />

10.000 DM belastet zu werden. Auch das bestätigt, dass die<br />

Mehrkostenmethode nicht systemkonform ist.<br />

2.3. Prozesstaktik bei Teilleistungen des Schuldners<br />

2.3.1 Verzicht auf berechtigte Forderung zur Vermeidung<br />

einer sachwidrigen Kostenentscheidung<br />

2. Abwandlung: Im Ausgangsfall zahlt B lediglich<br />

100.000 DM. K ist sicher, dass ihm ein weiterer Betrag zusteht,<br />

ihm ist aber unklar, wie das Gericht entscheiden wird.<br />

1. Variante: K erklärt die Hauptsache in Höhe von<br />

100.000 DM für erledigt und verfolgt den Restanspruch<br />

weiter. B widerspricht der Erledigung. Werden K weitere<br />

4.000 DM zuerkannt, so würden dem B 4.000 /30.000 (13,3 %)<br />

der Kosten auferlegt, die „ohnehin angefallen“ wären, das<br />

sind 2.626 DM 19 . Die angefallenen Mehrkosten von 10.253<br />

DM müsste B wegen seines Unterliegens hinsichtlich der<br />

Feststellungsklage außerdem zahlen, insgesamt also 12.879<br />

DM, das ist etwas mehr als die Hälfte der Kosten in Höhe<br />

von 24.000 DM, die er nach dem wirtschaftlichen Ergebnis<br />

des Rechtsstreits, berechnet nach der Quotenmethode, tragen<br />

müsste.<br />

Umgekehrt bedeutet das, dass der Kläger zur Durchsetzung<br />

einer berechtigten Restforderung von 4.000 DM eine<br />

Kostenbelastung von 30.000 DM – 12.879 DM = 17.121<br />

DM in Kauf nehmen müsste. Da nur eine Kostenbelastung<br />

in Höhe von 6.000 DM dem wirtschaftlichen Ergebnis des<br />

Rechtsstreits entspricht, beträgt die Mehrbelastung des K<br />

11.121 DM.<br />

2. Variante: Der Anwalt des K könnte ihm raten, auf die<br />

Durchsetzung seiner berechtigten Restforderung von etwa<br />

4.000 DM zumindest vorläufig zu verzichten und die<br />

Hauptsache insgesamt für erledigt zu erklären. Dann verringert<br />

sich seine Kostenbelastung auf 30 /130 = 23% von<br />

30.000 DM = 6.900 DM. Der wirtschaftliche Erfolg des<br />

Klägers würde sich bei einem Verzicht auf die Titulierung<br />

einer berechtigten Forderung von 4.000 DM um 17.121<br />

DM – 6.900 DM – 4.000 DM = 6.221 DM erhöhen.<br />

3. Variante: Wird bei der 2. Variante festgestellt, dass<br />

die Klage in Höhe von weiteren 4.000 DM zulässig und begründet<br />

war und sich insoweit nachträglich nicht erledigt<br />

17 Wenn sich nicht feststellen lässt, dass durch, die Beweisaufnahme über den<br />

für erledigt erklärten Teil Mehrkosten verursacht worden sind.<br />

18 Zöller/Vollkommer § 91a ZPO Rdnr. 28; Baumbach/Hartmann § 91a ZPO<br />

Anh. Rn. 167; Zimmermann § 91a ZPO Rdnr. 11; a. A. Rosenberg/Schwab,<br />

ZPO, 15. Aufl. 1993, § 133 II 4.<br />

19 Vgl. 2.2.: RA-Kosten und GK bei einem Streitwert von 25.001 DM bis<br />

30.000 DM: 9.278 DM + Zeugen und Sachverständigenkosten in Höhe von<br />

10.469 DM 19.747 DM x 13,3% = 2.626 DM.


AnwBl 2/2000 77<br />

Aufsätze l<br />

hat, kann das Gericht B mangels Zahlungsantrags nicht entsprechend<br />

verurteilen. Zur Vermeidung einer Klageabweisung<br />

wird es in solch einem Fall als zulässig angesehen, den<br />

ursprünglichen Leistungsantrags als Hilfsantrag zu stellen 20<br />

allerdings nicht mit der Einschränkung „soweit ihn das Gericht<br />

für zulässig und begründet ansieht“. Da das Kostenrisiko<br />

nicht mit Hilfe eines unbezifferten Antrags auf den Beklagten<br />

abgewälzt werden darf 21 muss die mit dem<br />

Hilfsantrag geltend gemachte Restforderung beziffert werden.<br />

Mangels Erledigung der Hauptsache (bezüglich der<br />

Restforderung) muss das Gericht über den Hilfsantrag entscheiden,<br />

so dass schließlich doch wieder Feststellungs- und<br />

Leistungsklage zusammentreffen und die Mehrkostenmethode<br />

mit der in der 1. Variante aufgezeigten Benachteiligung<br />

des Klägers Anwendung findet. Um diese zu vermeiden, ist<br />

K gezwungen, den Hilfsantrag nicht zu stellen und eine teilweise<br />

Abweisung der Feststellungsklage zu akzeptieren (Folge:<br />

Kostenbelastung der 2. Variante: 6.900 DM).<br />

Die Rechtskraft des klageabweisenden Urteils, durch<br />

das festgestellt wird, dass sich die Hauptsache mangels eines<br />

erledigenden Ereignisses nicht erledigt hat, steht einer<br />

erneuten Geltendmachung der Forderung in einem zweiten<br />

Prozess nicht entgegen 22 . Durch diesen könnte der wirtschaftliche<br />

Erfolg des K also um weitere 4.000 DM erhöht<br />

werden.<br />

4. Variante: Stellt K statt dessen den Hilfsantrag im laufenden<br />

Prozess, kann B sich zur Vermeidung seiner Verurteilung<br />

zur Zahlung der Restforderung in diesem Rechtsstreit<br />

der Erledigungserklärung anschließen. Dann muss er<br />

damit rechnen, dass das Gericht ihm wegen der Zahlung<br />

von 100.000 DM und der Zweifel hinsichtlich der Begründetheit<br />

der Restforderung von 30.000 DM 100.000 + 15.000 /130.000 =<br />

88,5 % der angefallenen Kosten auferlegt, also 26.550 DM,<br />

und K nur noch 3.450 DM. Außerdem könnte K in einem<br />

Folgeprozess die restlichen 4.000 DM einklagen. In diesem<br />

Fall dürfte sich der Anwalt des B, der den Gerichtssaal<br />

nicht mehr ohne Laptop mit einem Kostenberechnungsprogramm<br />

betreten darf, trotz der drohenden Verurteilung seines<br />

Mandanten zu einer weiteren Zahlung der weitgehend<br />

begründeten Erledigungserklärung des K nicht anschließen,<br />

denn sein Mandant würde bei einer Verurteilung zur Zahlung<br />

weiterer 4.000 DM nur mit Kosten in Höhe von<br />

12.879 DM belastet.<br />

5. Variante: K könnte zur Reduzierung seiner Kostenbelastung<br />

die Hauptsache im Widerspruch zu den tatsächlichen<br />

Gegebenheiten in Höhe von 118.000 DM für erledigt<br />

erklären, wenn er sich die Chance eines Obsiegens in Höhe<br />

von 12.000 DM erhalten will. Wird B lediglich zur Zahlung<br />

weiterer 4.000 DM verurteilt, muss K 8 /12 der „ohnehin angefallenen<br />

Kosten“ tragen, die sich einschließlich der Beweiskosten<br />

bei einem Streitwert von 12.000 DM auf 16.055<br />

DM belaufen, 8 /12 davon sind 10.703 DM. Außerdem müsste<br />

er 18.000 /118.000 der Mehrkosten von 13.945 DM tragen, das<br />

sind 2.127 DM. Insgesamt müsste K 12.830 DM tragen,<br />

also 5.930 DM mehr im Vergleich zu seiner Kostenbelastung<br />

von 6.900 DM bei einer vollständigen Erledigungserklärung<br />

(2. Variante). Obwohl ihm weitere 4.000 DM zugesprochen<br />

werden, würde er wieder einen Verlust machen.<br />

Macht er die 12.000 DM in einem Folgeprozess vor derselben<br />

Zivilkammer ohne erneute Beweisaufnahme geltend<br />

und obsiegt er in Höhe von 4.000 DM, beträgt seine Kostenbelastung<br />

6.900 DM + 2.<strong>65</strong>0 DM = 9.550 DM, was<br />

wirtschaftlich immer noch günstiger ist.<br />

6. Variante: Einen Verlust könnte K nur vermeiden,<br />

wenn er die Hauptsache bis auf die begründete Restforde-<br />

rung in Höhe von 4.000 DM für erledigt erklärt. Da B in<br />

diesem Fall die gesamten „ohnehin angefallenen Kosten“<br />

tragen müsste, würde seine Kostenbelastung über 80 % ansteigen,<br />

wenn er sich der teilweise unbegründeten Erledigungserklärung<br />

des K nicht anschließt. Es ist für eine Partei<br />

aber vielfach nur schwer abschätzbar, in weicher Höhe das<br />

Gericht die Forderung letztlich als begründet ansieht. Warum<br />

es angemessen sein soll, in diesen Fällen den Kläger<br />

bei jeder Zuvielforderung überproportional – im Verhältnis<br />

zu dem Streitwert der Zuvielforderung – mit Kosten zu belasten,<br />

das Pendel aber zu Lasten des Beklagten ausschlagen<br />

zu lassen, wenn der Kläger punktgenau die ihm zustehende<br />

Forderung geltend macht, ist nicht nachvollziehbar.<br />

Stellungnahme: Die Dinge werden auf den Kopf gestellt,<br />

wenn sich ein Anwalt zur Vermeidung eines Kostennachteils<br />

einer unbegründeten Erledigungserklärung anschließen<br />

muss und einer begründeten Erledigungserklärung<br />

nicht anschließen darf. Eine<br />

Kostenverteilungsmethode, die einer Partei im Fall der erfolgreichen<br />

Durchsetzung von Ansprüchen mit einem zusätzlichen<br />

Kostenanteil belastet, der über die berechtigte<br />

Forderung hinausgeht ist verfassungswidrig 23 .<br />

2.3.2 Zurückweisung der Teilleistung<br />

K könnte im vorgenannten Fall (2. Abwandlung) die<br />

Teilleistung von 100.000 DM gem. § 266 BGB zurückweisen,<br />

um eine ihn benachteiligende Kostenentscheidung nach<br />

der Mehrkostenmethode zu vermeiden (Benachteiligung<br />

11.121 DM, vgl. 2.3.1. 1.Variante).<br />

Der Gläubiger darf Teilleistungen zwar nicht ablehnen,<br />

wenn ihm die Annahme bei verständiger Würdigung der<br />

Lage des Schuldners und seiner eigenen schutzwürdigen<br />

Interessen zuzumuten ist 24 . Es erscheint vertretbar, dem<br />

Kläger nicht zuzumuten, sich durch eine Teilleistung eine<br />

zusätzliche Kostenbelastung von 11.121 DM aufbürden zu<br />

lassen. Da die begründete Restforderung von 4.000 DM<br />

allerdings nur 3,8 % der begründeten Gesamtforderung ausmacht,<br />

kann K nicht sicher sein, dass das Gericht nicht die<br />

gegenteilige Auffassung vertritt. Die Erforderlichkeit der<br />

Rückzahlung eines Betrages von 100.000 DM zur Erhaltung<br />

eines Kostenvorteils, der dem Sach- und Streitstand<br />

entspricht, ist zudem völlig praxisfremd.<br />

2.4. Reduzierung des Kosteninteresses auf Null<br />

Ist die Klage im Ausgangsfall lediglich in Höhe von<br />

26.000 DM begründet und zahlt B diesen Betrag nach der<br />

Beweisaufnahme ohne sich der entsprechenden Erledigungserklärung<br />

des Klägers anzuschließen, so reduziert<br />

sich das Kosteninteresse des Klägers nach der Auffassung<br />

des BGH hinsichtlich des erledigten Teils auf Null. Die<br />

Geltendmachung des Betrags von 26.000 DM hat keine<br />

Mehrkosten verursacht, da die Gebührenstufe von<br />

100.000,01 DM bis 130.000 DM reicht. Es wird dem Kläger<br />

schwer zu vermitteln sein, dass er in der Tiefe seines<br />

20 BGH MDR <strong>65</strong>, 641; WM 82, 1260 m. w. N.; Bergerfurth NJW 1992, 1<strong>65</strong>5,<br />

1<strong>65</strong>9; Zöller/Vollkommer § 91a ZPO Rdnr. 35, 46; Anders/Gehle, Assessorexamen<br />

Rdnr. 616, 618 m. w. N.<br />

21 BGH JZ 1973, 61, 63; Thomas/Putzo § 253 ZPO Rdnr. 12; Zöller/Greger<br />

§ 253 ZPO Rdnr. 13, 13a.<br />

22 OLG Nürnberg NJW-RR 1989, 444; Zöller/Vollkommer § 91a ZPO Rdnr. 46;<br />

Thomas/Putzo § 91a ZPO Rdnr. 51; Anders/Gehle, Assessorexamen<br />

Rdnr. 614.<br />

23 BVerfGE 85, 337, 345, 347.<br />

24 BGH VersR 1954, 298; Palandt/Heinrichs, BGB, 58. Aufl. 1999, § 266 BGB<br />

Rdnr. 9; MK-Keller, BGB, 3. Aufl. 1994 § 266 BGB Rdnr. 16; Soergel/Selb,<br />

BGB, 12. Aufl. 1995, § 266 BGB Rdnr. 12.


78<br />

l<br />

Herzens, in die nur der BGH zu blicken vermag, überhaupt<br />

kein Interesse daran hat, dass der Beklagte 6.000 DM<br />

(20 % der Kosten von 30.000 DM) trägt. Weil keine streitwertlose<br />

Feststellungsklage denkbar ist, wird der Streitwert<br />

allerdings auf den Mindestbetrag von 600 DM festzusetzen<br />

sein mit der Folge, dass B wenigstens 500 DM der Kosten<br />

tragen muss.<br />

3. Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des BGH<br />

Der VI. Zivilsenat des BGH 25 meint, dass bezüglich der<br />

Streitwertfestsetzung und der Berechnung der Beschwer<br />

und bei dieser zwischen derjenigen des Klägers und der des<br />

Beklagten zu differenzieren sei. Die Beschwer des Klägers<br />

sei mit Hilfe der Differenzrechnung zu ermitteln, wenn er<br />

im Streit um die restliche Hauptsache unterlegen sei, die<br />

Beschwer des Beklagten bemesse sich dagegen nach dem<br />

vollen Betrag der dem Beklagten auferlegten Kosten; insoweit<br />

sei keine Differenzrechnung anzustellen. Zu der Kostenentscheidung<br />

vertritt er die Auffassung, dass in dem<br />

von ihm entschiedenen Fall zu berücksichtigen gewesen<br />

sei, dass ein erheblicher Teil der Kosten des ersten Rechtszuges<br />

nach der Teilerledigung angefallen und insoweit allein<br />

der Kläger unterlegen sei.<br />

All diese Differenzierungen sind unzutreffend. Entgegen<br />

der Auffassung des VI. Zivilsenats kann der Beschwerdewert<br />

grundsätzlich nicht höher sein als der Streitwert 26 .<br />

Es entspricht zudem einem allgemeinen Grundsatz, dass<br />

die Kosten des laufenden Prozesses bei der Wertbemessung<br />

der Beschwer nicht zu berücksichtigen sind, solange die<br />

Hauptsache Gegenstand des Rechtsstreits ist 27 .<br />

Die Auffassung des VI Zivilsenats, dass bei der Kostenentscheidung<br />

zu berücksichtigen gewesen wäre, dass ein erheblicher<br />

Teil der Kosten des ersten Rechtszugs erst nach<br />

der Teilerledigung angefallen und insoweit allein der Kläger<br />

unterlegen sei, ist ebenfalls irrig. Eine prozessuale Teilerledigung<br />

setzt übereinstimmende Teilerledigungserklärungen<br />

voraus. Diese beenden die Rechtshängigkeit der für erledigt<br />

erklärten Hauptsache 28 mit der Folge, dass die Kosten, die<br />

durch die Fortsetzung des Rechtsstreits wegen der Restforderung<br />

verursacht werden, allein der insoweit unterlegenen<br />

Partei aufzuerlegen sind. Bei einer einseitigen Teilerledigungserklärung<br />

werden die weiteren Kosten dagegen sowohl<br />

durch den Erledigungsstreit (Feststellungsklage) als<br />

auch durch den Streit um die Restforderung verursacht.<br />

Der Vl. Zivilsenat ist insoweit zudem zu Unrecht nicht auf<br />

die Frage eingegangen, wie eine „materielle Erledigung der<br />

Hauptsache im Mahnverfahren“ im Hinblick auf deren<br />

fehlende Rechtshängigkeit einzuordnen ist – die einseitige<br />

„Erledigungserklärung“ ist in solchen Fällen als Kostenfeststellungsantrag<br />

auszulegen 29 . Die nach der „Teilerledigungserklärung“<br />

angefallenen Kosten waren in jedem Fall<br />

zwischen den Parteien zu quoteln, da die Beklagten hinsichtlich<br />

der Feststellungsklage weitgehend unterlegen waren30<br />

.<br />

Schließlich ist auch die Auffassung des Vl. Zivilsenats,<br />

dass bezüglich der Berechnung der Beschwer des Klägers<br />

die Differenzrechnung anzuwenden sei, nicht aber bezüglich<br />

der Berechnung der Beschwer der Beklagten, nicht<br />

vertretbar. Hätte der Erledigungsrechtsstreit vor dem Landgericht<br />

ergeben, dass die Feststellungsklage zur Hälfte begründet<br />

und zur Hälfte unbegründet ist, so kann nicht die<br />

Berufung der Beklagten als zulässig angesehen werden,<br />

wenn die ihnen tatsächlich auferlegten Kosten über der<br />

Grenze der gem. § 511a ZPO erforderlichen Beschwer lie-<br />

AnwBl 2/2000<br />

Aufsätze<br />

gen und eine Berufung des Klägers dagegen nicht, weil er<br />

wegen der Restforderung unterlegen ist (sic!) und deshalb<br />

seine Beschwer bezüglich der Feststellungsklage mit Hilfe<br />

der Differenzrechnung zu berechnen sein soll. Diese führt<br />

regelmäßig zu einer geringeren Beschwer, die dann auch<br />

unter der Grenze des § 511a ZPO liegen könnte. Die ZPO<br />

enthält keine Regelung, die eine Benachteiligung des „Ohnehin-Verlierers“<br />

zulässt. Diese unterschiedliche Behandlung<br />

entbehrt sowohl einer gesetzlichen Grundlage als auch<br />

eines sachlichen Grundes. Sie verstößt gegen Art. 3 Abs. 1<br />

GG und verdeutlicht den fehlerhaften Ansatz der Mehrkostenmethode.<br />

Zusammenfassung<br />

Die Mehrkostenmethode ist mit den allgemein anerkannten<br />

Kostenverteilungsgrundsätzen nicht vereinbar; sie entbehrt<br />

einer gesetzlichen Grundlage und ist verfassungswidrig.<br />

Sie führt zu den in der Einleitung aufgezählten<br />

Kostenungerechtigkeiten und Fehlbelastungen.<br />

Die Gerichte werden mehrbelastet, weil es in allen Fällen<br />

einer einseitigen Teilerledigungserklärung die „ohnehin<br />

angefallenen Kosten“ ermitteln muss, auch wenn keine Gebühren<br />

mehr nach der Teilerledigungserklärung anfallen.<br />

Erfolgt die Teilerledigungserklärung erst nach der Beweisaufnahme,<br />

ist die Anwendung der Mehrkostenmethode sogar<br />

besonders arbeitsaufwendig 31 . Das Gericht übernimmt<br />

die Aufgaben des Kostenbeamten und Rechtspflegers aus<br />

dem Kostenfestsetzungsverfahren, weil es nicht nur eine<br />

Quote, sondern den genauen Kostenbetrag ermitteln muss,<br />

den eine Partei tragen muss – auch wenn es diesen anschließend<br />

in eine Quote umrechnet. Dazu muss es aufklären,<br />

wie hoch die Gesamtkosten sind und muss sich mit allen<br />

Streitfragen des Kostenfestsetzungsverfahrens<br />

beschäftigen. Wegen der Unklarheit der genauen Kostenhöhe<br />

im Zeitpunkt der Kostengrundentscheidung kann sich insoweit<br />

leicht ein Fehler einschleichen, der bei der Berechnung<br />

der von einer Partei zu tragenden Mehrkosten voll auf<br />

die Kostenquote durchschlägt.<br />

Bei Anwendung der Quotenmethode wirkt sich der gleiche<br />

Fehler nur bei der Streitwertfestsetzung aus und wird<br />

bei der Berechnung der Kostenquote mit Hilfe der Streitwertquoten<br />

abgeschwächt. Außerdem ist der Arbeitsaufwand<br />

der Gerichte deutlich geringer, weil sie den Streitwert<br />

des Erledigungsstreits nicht berechnen müssen, wenn die<br />

Verhandlungsgebühr bereits angefallen und nach der Teilerledigungserklärung<br />

keine Beweisaufnahme erforderlich ist<br />

oder bei einer Teilerledigungserklärung nach einer Beweisaufnahme.<br />

Die mit der Teilerledigungserklärung verbun-<br />

25 NJW-RR 1993, 7<strong>65</strong>, 766 = VersR 1993, 625 = KostRsp. ZPO § 3 Nr. 1139<br />

mit zust. Anm. Herget, ebenso Anders/Gehle, Assessorexamen, Rdnr. 614.<br />

26 BGH NJW 1990, 3147; Baumbach/Hartmann § 511a ZPO Rdnr. 11; Zöller/<br />

Gummer § 511a ZPO Rdnr. 4; Thomas/Putzo § 511a ZPO Rdnr. 2.<br />

27 Große Zivilsenat des BGH, NJW 1995, 664, 6<strong>65</strong>.<br />

28 BGH NJW 1989, 2885; NJW 1967, 564.<br />

29 Vgl. generell BGH NJW 1982, 1195, 1196; NJW 1986, 588; NJW-RR 1988,<br />

1151 und BGH WM 1981, 386, 388; NJW 1981, 990; NJW 1982, 1598; KG<br />

NJW 1991, 499, 500; die Erledigungserklärung ging ins Leere: OLG Köln JB<br />

1988, 616, 617; vgl. eingehend Verf. NJW.<br />

30 Unter Berücksichtigung der bis zur Teilerledigungserklärung angefallen Kosten<br />

belief sich der Streitwert des Erledigungsstreits (richtigerweise: Kostenfeststellungsklage)<br />

auf rund 700 DM. Den Beklagten hätte unter Berücksichtigung<br />

des Streits um die weitere Restforderung eine Quote von etwa 1 /4 der<br />

Gesamtkosten auferlegt werden müssen. Das LG hat ihnen 10.978 /19.226 =57%<br />

auferlegt und jedenfalls bei der Kostenentscheidung den Streitwert der Feststellungsklage<br />

nicht mit dem Kosteninteresse (700 DM) bewertet, sondern entsprechend<br />

der Mindermeinung mit dem ursprünglichen Streitwert des für erledigt<br />

erklärten Betrags von 11.848,30 DM.<br />

31 Vgl. 2.2.


AnwBl 2/2000 79<br />

Aufsätze l<br />

dene Streitwertreduzierung ist nämlich nur relevant, wenn<br />

anschließend noch Gebühren nach dem reduzierten Streitwert<br />

anfallen. Grob geschätzt kann angenommen werden,<br />

dass die Quotenmethode in etwa der Hälfte der Fälle eine<br />

Berechnung des Kosteninteresses erübrigt.<br />

Vorzugswürdig erscheint es, sich darauf zu besinnen,<br />

dass die Prüfung, ob sich die Hauptsache erledigt hat, dazu<br />

dienen soll, die Partei, die ohne die Erledigungserklärung<br />

bzw. das erledigende Ereignis obsiegt hätte, vor Kostennachteilen<br />

zu bewahren. Diese Zielsetzung wird, wie die<br />

Beispiele gezeigt haben, von der Mehrkostenmethode eindeutig<br />

unterlaufen. Die Zahlenbeispiele haben sich an der<br />

Ausgangsentscheidung des BGH orientiert. Bei geringeren<br />

Streitwerten ist der fehlerhafte methodische Ansatz teilweise<br />

etwas schwerer zu erkennen, das ändert aber nichts daran,<br />

dass er verfehlt ist. Sachgerechte Ergebnisse können<br />

nur mit Hilfe der Quotenmethode erzielt werden.<br />

II. Teilweise Klagerücknahme<br />

Bei der teilweisen Klagerücknahme vertritt die h. M. 32 zu<br />

Recht die Auffassung, dass die Teilrücknahme wie ein Teilunterliegen<br />

i. S. d. § 92 Abs. 1 ZPO zu bewerten ist. Würde K im<br />

Ausgangsfall die Klage in Höhe von 26.000 DM zurücknehmen,<br />

würden ihm 20 % der Kosten des Rechtsstreits auferlegt.<br />

Immer mehr jüngere Richterinnen und Richter 33 folgen<br />

im Anschluß an eine vornehmlich in der Ausbildungsliteratur<br />

vertretene Auffassung34 der Mehrkostenmethode bei der<br />

teilweisen Klagerücknahme, nach der die Mehrkosten zu<br />

berechnen sind, die angefallen sind, weil der Kläger den<br />

Rechtsstreit nicht von Anfang an auf die streitige Restforderung<br />

beschränkt hat. Diese Auffassung wird damit begründet,<br />

dass keine der Rechtskraft fähige Entscheidung über den<br />

zurückgenommenen Anspruch erfolgt. Bei der teilweisen<br />

Klagerücknahme entfällt rückwirkend die Rechtshängigkeit,<br />

so dass die materielle Rechtslage zwischen den Parteien offen<br />

bleibt. Die teilweise Klagerücknahme könne deshalb einem<br />

Teilunterliegen i. S. d. § 92 Abs. 1 ZPO nicht gleichgestellt<br />

werden. § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO beruhe vielmehr auf<br />

dem Gedanken des Verursachungsprinzips.<br />

Im Ausgangsfall (die Klage in Höhe von 130.000 DM<br />

ist nur in Höhe von 104.000 DM begründet) hat die<br />

Geltendmachung der unbegründeten Mehrforderung von<br />

26.000 DM keine Mehrkosten verursacht, wie oben bereits<br />

ausgeführt wurde. Dem Beklagten wären, deshalb nach der<br />

Mehrkostenmethode die gesamten Kosten des Rechtsstreits<br />

aufzuerlegen, wenn er der Klagerücknahme zustimmt.<br />

Seine Kostenbelastung würde sich im Vergleich zu der<br />

Quotenmethode um 6.000 DM erhöhen.<br />

Der Kläger hätte im Fall der teilweisen Klagerücknahme<br />

nicht nur den (theoretischen) Vorteil, dass er die zurückgenommene<br />

Forderung unter Umständen nochmals einklagen<br />

kann mit der Folge, dass sich viele Anwälte scheuen. einer<br />

Klagerücknahme zuzustimmen, die Mehrkostenmethode<br />

will dem Beklagten darüber hinaus auch noch zumuten,<br />

dass er durch seine Zustimmung zur Klagerücknahme den<br />

Kläger kostenmäßig entlastet und freiwillig eine Kostenbelastung<br />

von mehreren 1.000 DM übernimmt. Das gilt nicht<br />

nur für das vorgenannte Zahlenbeispiel sondern auch für<br />

Durchschnittsfälle. Bei einer Klageforderung von beispielsweise<br />

30.000 DM betragen die Kosten 10.000 DM (Zeugenauslagen:<br />

791,40 DM). Die Mehrbelastung des Beklagten<br />

ergibt sich aus der Differenz der Kosten, die der Kläger<br />

nach der Quotenmethode bei einer Abweisung der Klage<br />

tragen müsste und denjenigen, die er nach der Mehrkostenmethode<br />

tragen muss:<br />

Klagerücknahme Quotenmethode Mehrkostenmethode Mehrbelastung d. B<br />

4.500 DM 1.500 DM 0 DM 1.500 DM<br />

9.000 DM 3.000 DM 692 DM 2.308 DM<br />

12.000 DM 4.000 DM 1.961 DM 2.039 DM<br />

15.000 DM 5.000 DM 2.538 DM 2.462 DM<br />

21.000 DM 7.000 DM 4.697 DM 2.302 DM<br />

Ohne Beweisaufnahme belaufen sich die Kosten nach<br />

der mündlichen Verhandlung bei einem Streitwert von<br />

30.000 DM auf 6.645 DM. Daraus ergibt sich:<br />

Klagerücknahme Quotenmethode Mehrkostenmethode Mehrbelastung d. B<br />

4.500 DM 997 DM 0 DM 997 DM<br />

9.000 DM 1.993 DM 506 DM 1.487 DM<br />

12.000 DM 2.<strong>65</strong>8 DM 1.427 DM 1.231 DM<br />

15.000 DM 3.323 DM 1.842 DM 1.481 DM<br />

21.000 DM 4.<strong>65</strong>2 DM 3.387 DM 1.2<strong>65</strong> DM<br />

Die durchschnittliche Mehrbelastung des Beklagten beträgt<br />

1.700 DM. Eine computermäßige Berechnung der<br />

Mehrbelastung des Beklagten bei einer Klagerücknahme in<br />

Höhe von 10 %, 20 % etc. bis 90 % einer Klageforderung<br />

von 20.000 DM, 30.000 DM, etc. bis 70.000 DM (108 Berechnungen<br />

mit und ohne Beweisaufnahme) hat ergeben,<br />

dass in 1 /5 der Fälle die Mehrbelastung des Beklagten unter<br />

1.000 DM lag, in 2 /5 der Fälle unter 2.000 DM und in 2 /5 der<br />

Fälle darüber bis hin zu 5.600 DM. Die Mehrkostenmethode<br />

begünstigt also regelmäßig den Kläger, wovon auch Anders/Gehle<br />

35 zutreffend ausgehen.<br />

Der Beklagte wird von einer Klagerücknahme begünstigt,<br />

wenn diese bei einem Streitwert über 8.000 DM geringer<br />

als 8 % des Streitwerts ist, und bei einem Streitwert bis<br />

8.000 DM, wenn die Rücknahme geringer als 800 DM ist.<br />

Das ist jedoch nur eine Faustregel, deren Geltung im Einzelfall<br />

überprüft werden muss. Die Begünstigung liegt meistens<br />

unter 1.000 DM.<br />

Zu betonen ist, dass es nicht darum geht, ob im Einzelfall<br />

auch der Beklagte begünstigt werden kann, sondern darum,<br />

ob die Begünstigung sachlich gerechtfertigt ist und die<br />

benachteiligte Partei sich zu einer Klagerücknahme bzw.<br />

Zustimmung zu dieser trotz ihrer Benachteiligung entschließen<br />

wird. Aus der Sicht des Beklagten erschiene es allenfalls<br />

vertretbar, auf eine rechtskräftige Abweisung der Klage<br />

zu verzichten und einer Klagerücknahme zuzustimmen,<br />

wenn er im Ausgleich dafür in Höhe der Differenzbeträge<br />

von 1.000 bis 2.000 DM oder in noch größerer Höhe entlastet<br />

würde. Wenn das Gericht der Mindermeinung folgen<br />

will, gebietet es der Grundsatz des „Fair trial“, den Beklagten<br />

auf die nachteilige Kostenfolge der Mehrkostenmethode<br />

hinzuweisen. Daraufhin muss der Anwalt des Beklagten die<br />

Zustimmung zur Klagerücknahme verweigern, da er sich<br />

andernfalls regresspflichtig machen würde.<br />

Auf jeden Fall muss er sich vor einer Zustimmung zu<br />

einer Klagerücknahme erkundigen, welche Kostenverteilungsmethode<br />

das Gericht anwendet.<br />

Die teilweise Klagerücknahme ist ein prozessadäquates<br />

und prozessökonomisches Mittel, den Streit um eine Forderung<br />

zu beenden, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits<br />

32 BGH NJW-RR, 1996, 256; Zöller/Greger § 269 ZPO Rdnr. 18a; Thomas/Putzo<br />

§ 269 ZPO Rdnr. 13; Baumbach/Hartmann § 269 ZPO Rdnr. 43; MK/Lüke<br />

§ 269 ZPO Rdnr. 57; Stein/Jonas § 269 Rdnr. 68; Schneider NJW 1964, 1055.<br />

33 Verf. hält vor diesen auf Fortbildungsveranstaltungen alle 6 Wochen Vorträge<br />

zum Kostenrecht.<br />

34 Anders/Gehle, Das Assessorexamen im Zivilrecht, Rdnr. 174; dieselben<br />

Handbuch Teil B, Rdnr. 404; Siegburg Einführung in die Relations- und Urteilstechnik,<br />

Rdnr. 70; Balzer/Forsen, Relations- und Urteilstechnik S. 123;<br />

Zimmermann § 92 ZPO Rdnr. 11, § 269 Rdnr. 15a.<br />

35 Anders/Gehle, Handbuch, Teil B Rdnr. 404.


80<br />

l<br />

herausstellt, dass die Forderung unbegründet ist. Dieser<br />

Weg sollte nicht durch die Anwendung einer sachwidrigen<br />

Kostenverteilungsmethode versperrt werden.<br />

Die Mehrkostenmethode reduziert die Möglichkeit der Klagerücknahme<br />

auf die Fälle, in denen die Parteien noch nicht verhandelt<br />

haben. Auch in diesen Fällen erscheint es nicht sachgerecht,<br />

dass ein Kläger streitige Spitzenbeträge bis zu 5.000 DM<br />

(Streitwert von 25.000 bis 50.000 DM) bzw. 10.000 DM (Streitwert<br />

bis 100.000 DM) oder 30.000 DM (Streitwert über 100.000<br />

DM) und 100.000 DM bei einem Streitwert über 1 Million DM<br />

ohne Kostenrisiko soll geltend machen können. Er würde den<br />

Beklagten und das Gericht dazu zwingen, sich mit diesen Beträgen<br />

auseinander zusetzten, was gerade bei streitigen Spitzenbeträgen<br />

mit einem erheblichen Arbeitsaufwand verbunden sein<br />

kann. Bittet der Kläger ausdrücklich um einen Hinweis, wenn<br />

das Gericht die streitigen Spitzenbeträge für unbegründet hält,<br />

so wird das Gericht diesen Hinweis in der Regel erteilen, schon<br />

um den Streitstoff für die Verhandlung, Beweisaufnahme und<br />

Abfassung des Urteils zu reduzieren.<br />

Solch eine kostenlose Rechtsberatung des Klägers durch<br />

das Gericht unter intensiver Mitarbeit des Beklagten ist<br />

systemfremd und entbehrt einer gesetzlichen Grundlage.<br />

Außerdem erfordert die Mehrkostenmethode einen erhöhten<br />

Arbeitsaufwand, wie bereits ausgeführt wurde. Sie ist nicht<br />

gerecht, weder sach- noch praxisgerecht.<br />

Die strafrechtliche<br />

Verantwortung von Juristen<br />

im Mediationsverfahren<br />

Referendar Torben Meyer, Bremen<br />

I. Einleitung und Problembeschreibung<br />

In zunehmendem Maße gewinnt für den Juristen die<br />

Tätigkeit im Rahmen eines Mediationsverfahrens an Bedeutung.<br />

1 Hierbei kann es sich zunächst um eine Tätigkeit als<br />

Mediator handeln. Die Tätigkeit des Mediators ist darin zu<br />

sehen, beide Konfliktparteien trotz der gegensätzlichen<br />

Interessen zu einer gütlichen Einigung zu führen. Von dem<br />

Mediator wird selbst keine Entscheidung gefällt, wie dies z.<br />

B. im schiedsrichterlichen Verfahren der Fall ist. Die Parteien<br />

müssen mit Hilfe des Mediators eine Lösung finden. Als<br />

Lösung des Rechtsstreits sind nicht nur die gesetzlich vorgesehenen<br />

Möglichkeiten denkbar. Vielmehr können sich die<br />

Parteien von den gesetzlichen Ansprüchen bzw. Einwendungen<br />

lösen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es von besonderer<br />

Bedeutung, daß die Parteien bereit sind, alle relevanten<br />

Tatsachen und Interessen offenzulegen. 2 Aufgrund<br />

der Kenntnis aller offengelegten Tatsachen und Interessen<br />

ist der Mediator in der Lage, für die Parteien die praktikabelste<br />

Lösung zu finden. Eine einvernehmliche und praxisorientierte<br />

Lösung ist in einem streitigen Gerichtsverfahren<br />

aufgrund des ausschließlich anspruchsorientierten Handelns<br />

nicht möglich.<br />

Neben der Tätigkeit als Mediator bietet sich dem Juristen<br />

noch ein weiteres Betätigungsfeld im Rahmen der Mediation.<br />

Entgegen Hoyningen-Huene 3 können Anwälte auch<br />

AnwBl 2/2000<br />

Aufsätze<br />

als Parteivertreter im Mediationsverfahren tätig sein, insbesondere<br />

im Bereich der Wirtschaftsmediation. 4<br />

Findet ein Mediationsverfahren statt, stellt sich unter<br />

anderem die hier zu diskutierende Frage, inwieweit sich die<br />

daran beteiligten Juristen wegen des Offenbarens der Tatsachen<br />

und Interessen einer strafrechtlichen Verantwortung<br />

aussetzen können. 5 In der Literatur wird eine Strafbarkeit<br />

von anwaltlichen Mediatoren generell abgelehnt. 6 Eine tatbestandsmäßige<br />

Auseinandersetzung fehlt hierbei allerdings<br />

zumeist. Dies soll im folgenden geschehen.<br />

Um das Problemfeld anschaulicher zu beschreiben, werden<br />

zunächst zwei Ausgangsfälle gebildet. Anhand des<br />

ersten Falles soll die Strafbarkeit des Parteivertreters und<br />

anhand des zweiten Falles die Strafbarkeit des Mediators<br />

erörtert werden.<br />

1. Die Parteien A und B kommen zu einem Mediator<br />

und bitten diesen um Streitvermittlung. Partei A bedient<br />

sich der juristischen Beratung durch Rechtsanwalt X. Partei<br />

B hat zum gleichen Zweck Rechtsanwalt Y beauftragt. Der<br />

Mediator bittet die Rechtsanwälte, im Rahmen der Mediation<br />

die jeweiligen rechtlichen Schwachstellen zu offenbaren.<br />

Für Partei A gibt es eine Tatsache, bei deren Offenbarung<br />

sich ihre Rechtsposition verschlechtern würde. Der<br />

Partei B ist diese Tatsache nicht bekannt und kann ihr ohne<br />

die Offenbarung auch nicht bekannt werden. Anwalt X<br />

belehrt seinen Mandanten A entsprechend den haftungsrechtlichen<br />

Vorschriften. Er klärt seine Partei insbesondere<br />

ausdrücklich darüber auf, daß bei Preisgabe der konkreten<br />

Tatsache ein gegebenenfalls später stattfindender gerichtlicher<br />

Prozeß verloren werden könnte. Mandant A stimmt<br />

dennoch der Offenbarung der Tatsache zu. Das Mediationsverfahren<br />

scheitert. Rechtsanwalt Y führt in einem späteren<br />

Gerichtsverfahren für Partei B die durch X offenbarte Tatsache<br />

ein, weshalb Partei A diesen Rechtsstreit verliert.<br />

2. Zwei streitende Parteien kommen zu Rechtsanwalt M<br />

und bitten diesen als Mediator um Hilfe. Im Rahmen des<br />

Mediationsverfahrens vertrauen die Parteien dem M jeweils<br />

der Gegenseite unbekannte Informationen an. Der M verwendet<br />

diese Informationen für seinen Lösungsvorschlag,<br />

den er den Parteien unterbreitet und der von diesen auch<br />

angenommen wird.<br />

Inwieweit könnten sich X und M strafbar gemacht haben?<br />

II. Strafbarkeit des Parteivertreters X<br />

1. Der Anwalt X könnte sich eines Parteiverrats nach<br />

§ 356 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.<br />

Es müßte sich bei dem Streit um dieselbe Rechtssache<br />

handeln. Unter Rechtssachen sind alle Angelegenheiten zu<br />

verstehen, bei denen sich mehrere Beteiligte in entgegengesetzten<br />

Interessen einander gegenüberstehen können. 7 Die<br />

Parteien müssen sich noch nicht im Stadium eines Prozesses<br />

1 So wurde die Mediation auch im Rahmen des Aktuellen Forums „Obligatorische<br />

Streitschlichtung“ des 62. Deutschen Juristentages in Bremen mit erörtert;<br />

vgl. zum Ablauf des Mediationsverfahrens Hoyningen-Huene JuS 1997, 352,<br />

353; ausführlicher Mähler/Mähler NJW 1997, 1262, 1263, Diez/Krabbe FPR<br />

1996, 5 ff. für den Bereich der Mediation im Rahmen einer Scheidung.<br />

2 So auch Hoyningen-Huene, JuS 1997, 351, 353; Henssler AnwBl 1997, 129,<br />

130.<br />

3 JuS 1997, 352.<br />

4 So auch Schulz, AnwBl 1994, 273, 275; Mähler/Mähler NJW 1997, 1262,12<strong>65</strong> f.<br />

5 Nach Mähler-Mähler NJW 1997, 1262, 12<strong>65</strong> ist durch § 18 BRAO klargestellt,<br />

daß Anwälte keinen Parteiverrat begehen.<br />

6 Vgl. Henssler AnwBl 1997, 129, 131; Mähler/Mähler NJW 1997, 1262, 12<strong>65</strong>.<br />

7 BGHSt 18, 192; OLG Zweibrücken NStZ 1995, 35, 36; Tröndle, StGB § 356<br />

Rdnr. 5 m. w. N.


AnwBl 2/2000 81<br />

Aufsätze l<br />

befinden. 8 Die Parteien A und B haben hier gegensätzliche<br />

Interessen bzgl. einer gleichen Rechtssache. Gerade um<br />

diese gegensätzlichen Interessen in möglichst umfassender<br />

Weise im Rahmen einer gütlichen Streitbeilegung berücksichtigt<br />

zu wissen, haben sich die Parteien für ein Mediationsverfahren<br />

entschlossen. Es handelt sich daher um dieselbe<br />

Rechtssache.<br />

Der Anwalt X müßte auch beiden Parteien gedient<br />

haben. Hier stellt sich die erste Problematik der Strafbarkeit<br />

eines Anwalts im Rahmen eines Mediationsverfahrens.<br />

Unter dem Dienen ist jede berufliche Tätigkeit eines<br />

Anwalts zu verstehen. 9 Es muß sich hierbei nicht um eine<br />

typisch anwaltliche Tätigkeit handeln. 10 Der Anwalt müßte<br />

mit dem Ziel handeln, jeweils die Interessen der Parteien<br />

zu fördern. 11 Dies bedeutet, daß er jeweils für die betreffende<br />

Partei tätig geworden sein müßte. 12 Ein Dienen für beide<br />

Parteien ist dagegen nicht gegeben, wenn der Anwalt in<br />

einer Form tätig wird, daß es der eigenen Partei zum Nachteil<br />

und der anderen (gegnerischen) Partei objektiv zum<br />

Vorteil gereicht. 13 Der Begriff des Dienens zielt auf einen<br />

Erfolg; ungezieltes Handeln fällt damit nicht unter den Tatbestand.<br />

14 Hierbei könnte es sich allenfalls um eine mangelhafte<br />

Prozeßführung handeln. 15<br />

Im vorliegenden Fall ist Anwalt X mit der Interessenwahrnehmung<br />

seines Mandanten A beauftragt. Für diesen<br />

nimmt er an dem Mediationsverfahren teil. Mit dem Tätigwerden<br />

im Rahmen der Mediation handelt der Anwalt im<br />

Interesse seiner Partei. Diese wünschte von ihm gerade die<br />

rechtliche Vertretung im Mediationsverfahren. Schließlich<br />

wollte der Mandant eine gütliche Einigung erzielen. Aus<br />

diesen Gründen sollte Rechtsanwalt X für den A die unbekannte<br />

Tatsache offenbaren. Daß X damit der gegnerischen<br />

Partei B objektiv einen Vorteil für ein späteres Gerichtsverfahren<br />

verschaffen könnte, ist ihm und dem Mandanten A<br />

bewußt gewesen. Trotzdem handelte der X im Mediationsverfahren<br />

ausschließlich für seinen Mandanten. Ein beim<br />

Scheitern des Mediationsverfahrens anstehendes Gerichtsverfahren<br />

lag im Bereich des Möglichen, mußte aber von<br />

dem Anwalt dort noch nicht berücksichtigt werden. Ziel<br />

der Beauftragung und des späteren Tätigwerdens war nämlich<br />

gerade die erfolgreiche Rechtsbetreuung des A im<br />

Rahmen der Mediation. Dazu war die Offenbarung erforderlich.<br />

Damit hat X nicht beiden Parteien gedient. Vielmehr<br />

ist er ausschließlich im Interesse des A tätig geworden.<br />

Schon das Tatbestandsmerkmal des beiderseitigen<br />

Dienens ist damit nicht gegeben.<br />

Im Rahmen einer weiteren Prüfung müßte der Anwalt<br />

pflichtwidrig gehandelt haben. Der Anwalt müßte neben einem<br />

Beistand-Leisten für seinen Mandanten der anderen<br />

Partei in derselben Sache im entgegengesetzten Sinne Beistand<br />

gewährt haben. Ausschlaggebend ist demnach ein<br />

Interessengegensatz. 16 Bei der Bestimmung des Interesses<br />

ist wie folgt zu differenzieren: 17 Unterliegt die Streitigkeit<br />

einem Rechtsgebiet, das nicht der Disposition der Parteien<br />

unterliegt, so ist eine objektive Bestimmung der Interessen<br />

vorzunehmen, d. h. vom Standpunkt der Parteien unabhängig.<br />

18 Eine objektive Interessenbestimmung ist somit im<br />

Rahmen eines Strafprozesses vorzunehmen. Dort dient der<br />

Anwalt auch einer am Rechtsstaatsgedanken ausgerichteten<br />

Strafrechtspflege und unterliegt nicht den Weisungen seines<br />

Mandanten. 19<br />

Eine subjektive Bestimmung der Interessen ist dagegen<br />

vorzunehmen, sofern der Streitgegenstand der Parteidisposition<br />

unterliegt. 20 Dies ist in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten<br />

infolge der sich beispielsweise aus §§ 253, 269 oder<br />

307 ZPO ergebenden Dispositionsmaxime der Fall. 21 Insofern<br />

ist eine Beschränkung oder eine bestimmte Ausrichtung<br />

des Mandats möglich. 22 Damit kann die Pflichtwidrigkeit<br />

durch eine entsprechende Mandatsausrichtung<br />

tatbestandsmäßig ausgeschlossen werden. 23<br />

Hier kommt es also auf eine subjektive Betrachtung an.<br />

Der Mandant A hat den Anwalt X mit seiner Interessenwahrnehmung<br />

im Rahmen des Mediationsverfahrens beauftragt.<br />

Bei dem Mediationsverfahren haben die Parteien<br />

jederzeit die Möglichkeit, das Mediationsverfahren zu beenden.<br />

24 Die Parteien haben damit das Verfahren in der<br />

Hand; es unterliegt demnach der Parteiendisposition. 25 Zwischen<br />

den Parteien besteht ein Interessengegensatz hinsichtlich<br />

des Streitgegenstandes. Ihnen gemeinsam ist es<br />

aber, daß sie das Mediationsverfahren durchführen wollen,<br />

um trotz der gegensätzlichen Interessen eine tragfähige Lösung<br />

des Rechtsstreits zu erreichen. X und A haben sich<br />

hinsichtlich der Offenbarung der der Gegenseite unbekannten<br />

Tatsache eingehend beraten und sich schließlich entschieden,<br />

die Tatsache offenzulegen. Die Offenbarung lag<br />

damit gerade im Interesse des A. Sie sollte das Mediationsverfahren<br />

und eine einvernehmliche Lösung fördern. Somit<br />

handelte Anwalt X nicht in einem Interessengegensatz. Er<br />

ist vielmehr mit dem Ziel tätig geworden, die Interessen<br />

seines Mandanten zu vertreten. Auch eine Pflichtwidrigkeit<br />

ist nicht gegeben. Der X hat ausschließlich dem Interesse<br />

des Mandanten A gedient.<br />

Festzuhalten bleibt, daß sich Anwalt X keines Parteiverrats<br />

nach § 356 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat.<br />

2. Der Anwalt X könnte sich auch einer Verletzung von<br />

Privatgeheimnissen nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar<br />

gemacht haben.<br />

Als Anwalt gehört er zu dem in Nr. 3 aufgezählten Personenkreis.<br />

Zudem müßte dem Anwalt ein fremdes Geheimnis<br />

anvertraut worden sein. 26 Unter dem Anvertrauen<br />

ist eine mündliche, schriftliche oder auf sonstige Weise erfolgte<br />

Mitteilung des Geheimnisses an den Anwalt „als“<br />

8 So schon RGSt 62, 289, 291; 71, 114, 115 m. w. N.<br />

9 BGHSt 7, 17, 19; BGH NStZ 1985, 74.<br />

10 OLG Zweibrücken NStZ 1995, 35, 36; hierzu Dahs NStZ 1995, 16.<br />

11 Syst.-Komm.-Rudolphi, StGB § 356 Rdnr. 23.<br />

12 Vgl. hierzu auch BGH NJW 1964, 2428, 2430.<br />

13 RG HRR 1937, Nr. 1281, OLG Düss. NStE § 356 StGB Nr. 3, Schönke/Schröder-Cramer,<br />

StGB § 356 Rdnr. 16; Syst.-Komm.-Rudolphi, StGB § 356 Rdnr. 23.<br />

14 Leipz.-Komm.-Hübner, StGB § 356 Rdnr. 36.<br />

15 So beispielsweise Schönke/Schröder-Cramer, StGB § 356 Rdnr. 16.<br />

16 Vgl. nur Schönke/Schröder-Cramer, StGB § 356 Rdnr. 17.<br />

17 Vgl. zum Streitstand einer objektiven oder einer subjektiven Interessenbestimmung:<br />

Syst.-Komm.-Rudolphi, StGB § 356 Rdnr. 26; Hübner in Leipz.-<br />

Komm., StGB § 356 Rdnr. 80 spricht sich eindeutig für eine subjektive Bestimmung<br />

aus.<br />

18 So OLG Zweibrücken aaO.; vgl. Schönke/Schröder-Cramer, StGB § 356<br />

Rdnr. 18 m. w. N.<br />

19 BGHSt 29, 106.<br />

20 So auch OLG Düsseldorf NStZ RR 1996, 298; vgl. auch Syst.-Komm-Rudolphi,<br />

StGB § 356 Rdnr. 28; Schönke/Schröder-Cramer, StGB § 356 Rdnr. 18.<br />

21 Vgl. zur Dispositionsmaxime nur Tempel, Mustertexte zum Zivilprozeß,<br />

Band I § 1 1. ( S. 1).<br />

22 So schon RGSt 71, 231, 234 f.; 72, 133, 140; und später BGHSt 15, 332, 334;<br />

NStZ 1982, 331, 332; Bay ObLG JZ 1981, 318; OLG Düsseldorf wistra 1996,<br />

277; Schönke/Schröder-Cramer, StGB § 356 Rdnr. 18; Syst.-Komm-Rudolphi,<br />

StGB § 356 Rdnr. 28.<br />

23 So auch Schönke/Schröder-Cramer § 356 Rdnr. 18 f., nach dem die Pflichtwidrigkeit<br />

sicher dann nicht vorliegt, wenn sich die Partei mit Vergleichsbemühungen<br />

ihres Anwalts einverstanden erklärt hat.<br />

24 Die Parteidisposition ist eine der tragenden Säulen des Mediationsverfahrens<br />

– vgl. hierzu nur Mähler/Mähler NJW 1997, 1262, 1264.<br />

25 Gerade diese Dispositionsbefugnis stellt ein Erfolgsrezept der Mediation dar.<br />

26 Vgl. zu dem hier nicht in Frage stehenden Definitionsmerkmal „Geheimnis“<br />

Schönke/Schröder-Lenckner, StGB, § 203 Rdnr. 5; Maurach-Maiwald, Strafrecht<br />

BT Teilband I, § 29 Rdnr. 23.


82<br />

l<br />

Anwalt zu verstehen. 27 Der Mandant A hat dem X zu<br />

Beginn der Mediation die Tatsache und die entsprechende<br />

Unkenntnis der gegnerischen Partei mitgeteilt. Zudem war<br />

dem Anwalt bewußt, daß eine Offenbarung die Stellung<br />

der Gegenseite in einem Gerichtsverfahren deutlich verbessert.<br />

Damit war Anwalt X klar, daß Partei A daran gelegen<br />

war, daß die Tatsache nicht publik wird. Ein anvertrautes<br />

fremdes Geheimnis ist damit gegeben.<br />

Das Geheimnis müßte der Anwalt offenbart haben.<br />

Unter einem Offenbaren ist jede Bekanntgabe der geheimhaltungsbedürftigen<br />

Tatsache an andere, die von der Tatsache<br />

zumindest noch keine sichere Kenntnis besitzen, zu<br />

verstehen. 28 B kannte die Tatsache nicht. Erst durch die<br />

Darlegung im Rahmen der Mediation hat er hiervon Kenntnis<br />

erlangt. Damit ist ein Offenbaren gegeben.<br />

Diese Offenbarung müßte unbefugt geschehen sein. 29 Befugt<br />

ist eine Offenbarung der Tatsache, sofern sie mit Zustimmung<br />

des Verfügungsberechtigten erfolgt. 30 Eine solche<br />

Zustimmung schließt bereits als Einverständnis den Tatbestand<br />

des § 203 Abs. 1 StGB aus. 31 Einem solchen tatbestandsausschließendem<br />

Einverständnis steht nicht entgegen,<br />

daß § 203 StGB nicht primär dem Schutz individueller,<br />

sondern allgemeiner Interessen dient. 32 Das Vertrauen<br />

der Allgemeinheit in die Verschwiegenheit von Anwälten<br />

u. a. Personen verlangt nur, daß diese die ihnen anvertrauten<br />

Geheimnisse nicht gegen bzw. ohne den Willen des<br />

Geheimnisträgers preisgeben. Dieses Vertrauen wird durch<br />

eine mit wirksamem Einverständnis erfolgende Offenbarung<br />

gar nicht erst berührt. 33 Für die Wirksamkeit des Einverständnisses<br />

des Verfügungsberechtigten ist dessen natürliche<br />

Einsichts- und Urteilsfähigkeit entscheidend. 34<br />

Partei A hat nach der Aufforderung des Mediators die<br />

möglichen Konsequenzen mit Anwalt X besprochen. Insbesondere<br />

wurden die möglichen negativen Auswirkungen<br />

für den Fall eines späteren Gerichtsverfahrens erörtert. In<br />

Kenntnis der gesamten Umstände und bei zu unterstellender<br />

Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Partei A hat sich diese<br />

für eine Offenbarung entschieden. Damit hat sie den Anwalt<br />

X zur Offenlegung der Tatsachen berechtigt. Der X<br />

handelte nicht unbefugt im Sinne der Vorschrift. Er hat sich<br />

daher keiner Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203<br />

Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar gemacht.<br />

III. Strafbarkeit des Mediators M<br />

Rechtsanwalt M könnte sich als Mediator gem. §§ 356<br />

Abs. 1 und 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar gemacht haben.<br />

1. Zweifel an der Strafbarkeit des M gem. § 356 Abs. 1<br />

StGB ergeben sich hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale<br />

des Dienens und der Pflichtwidrigkeit.<br />

Zur Verwirklichung des Merkmals des Dienens müßte<br />

der M mit dem Ziel gehandelt haben, die Interessen der<br />

Parteien zu fördern. 35 Bei einem Mediationsverfahren treten<br />

die Parteien an den Mediator heran, weil sie von ihm die<br />

Herbeiführung einer einverständlichen und praktikablen<br />

Lösung erwarten. Er soll ihnen akzeptable Lösungsvorschläge<br />

erarbeiten, um ein streitiges Gerichtsverfahren zu<br />

vermeiden. Der M wird von beiden Parteien mit dem<br />

Rechtsstreit vertraut gemacht und berücksichtigt die beiderseitigen<br />

Interessen im Rahmen seines Lösungsvorschlages.<br />

Dieser kann von den Parteien unter freier Entscheidung angenommen<br />

oder abgelehnt werden. Es geht dem M eine für<br />

beide Seiten akzeptable Lösung des Rechtsstreits. 36 Damit<br />

liegt ein beiderseitiges Dienen vor.<br />

AnwBl 2/2000<br />

Aufsätze<br />

Die Pflichtwidrigkeit ist nach nun herrschender Rechtsprechung<br />

ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal und kein<br />

Merkmal der Rechtswidrigkeit. 37 Ein Einverständnis der<br />

Parteien kommt grundsätzlich nicht in Betracht. 38 Anders<br />

liegt es jedoch, wenn durch ein Einverständnis der Interessengegensatz<br />

der Parteien aufgehoben wird. 39 In diesem<br />

Fall ist das Einverständnis von Bedeutung und geeignet die<br />

Pflichtwidrigkeit auszuschließen.<br />

Wenn die zwei Parteien an den Mediator M herantreten,<br />

so ist in der Auftragserteilung das Einverständnis zu sehen,<br />

daß der M für beide Parteien gleichzeitig tätig werden soll.<br />

Die Aufgabe des M besteht gerade darin, die Parteien trotz<br />

der gegensätzlichen Interessen aufeinander zuzuführen. Ein<br />

gerichtliches Verfahren soll vermieden werden. Trotz der<br />

grundsätzlich gegensätzlichen Interessen soll eine einvernehmliche<br />

und praktikable Lösung des Rechtsstreits herbeigeführt<br />

werden. In der Beauftragung des M ist daher ein<br />

Einverständnis zu sehen, das einen Interessengegensatz der<br />

Natur nach schon ausscheidet. 40 Der M hat sich somit keines<br />

Parteiverrats nach § 356 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.<br />

2. Nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB müßte der M ein Privatgeheimnis<br />

verletzt haben. Bei der offenbarten Tatsache<br />

handelt es sich um ein Privatgeheimnis im Sinne des § 203<br />

StGB, da diese Tatsache der gegnerischen Partei gerade<br />

nicht bekannt war. Der Mediator hört sich die Argumente<br />

der Parteien an. Dies geschieht wegen des zu wahrenden<br />

Interesses der Kontrahenten in der Regel durch räumliche<br />

Trennung der Parteien. 41 Entscheidend ist, daß der Mediator<br />

aufgrund des gewonnenen Wissens lediglich einen Lösungsvorschlag<br />

unterbreitet. Dabei gibt er die ihm offenbarten<br />

Tatsachen nicht bekannt. Er läßt nur sein durch die<br />

Mediation gewonnenes Wissen in den Lösungsvorschlag<br />

einfließen. Gerade diese Unabhängigkeit und Unparteilichkeit<br />

stellt einen grundlegenden Eckpfeiler der Mediation<br />

dar. 42 Eine Offenbarung der Tatsachen als Privatgeheimnis<br />

ist daher abzulehnen. Eine Strafbarkeit des M gemäß § 203<br />

Abs. 1 Nr. 3 StGB kommt ebenfalls nicht in Betracht.<br />

27 So schon RGSt 66, 273, 274; OLG Köln NStZ 1983, 412; Schönke/Schröder-<br />

Lenckner, StGB § 203 Rdnr. 13.<br />

28 RGSt 26, 5, 7 f.; 38, 62, <strong>65</strong>; ausführlich hierzu Schönke/Schröder-Lenckner,<br />

StGB § 203 Rdnr. 19.<br />

29 Zum Meinungsstand der Doppelfunktion der Befugnis siehe Schönke/Schröder-Lenckner,<br />

StGB § 203 Rdnr. 21.<br />

30 Schönke/Schröder-Lenckner, StGB § 203 Rdnr. 22.<br />

31 OLG Köln NJW 1962, 686, 687 mit zustimmender Anmerkung von Bindokat<br />

und Dreher MDR 1962, 592; Ayasse VersR 1987, 536, 537 f.; Leipz.-Komm.-<br />

Jähnke, StGB § 203 Rdnr. 56; MaurachMaiwald, Strafrecht BT Teilband I<br />

§ 29 Rdnr. 18, 45; Schönke/Schröder-Lenckner, StGB § 203 Rdnr. 22; Wessels,<br />

Strafrecht Besonderer Teil 1 Rdnr. 546.<br />

32 Siehe hierzu Schönke/Schröder-Lenckner, StGB § 203 Rdnr. 3.<br />

33 Vgl. Lenckner, Ärztliches Berufsgeheimnis, in: Göppinger, Arzt und Recht<br />

(1966), 159 ff.; ders., Die Wahrnehmung des ärztlichen Berufsgeheimnisses,<br />

in: Förster, Praxis der Rechtsmedizin (1986), 581<br />

34 Vgl. Schönke/Schröder-Lenckner, StGB § 203 Rdnr. 24.<br />

35 Vgl. zur Definition oben II 1.<br />

36 So im Ergebnis auch Henssler AnwBl 1997, 129, 131; Schulz, AnwBl 1994,<br />

273, 274 zu den Rahmenbedingungen; Mähler/Mähler NJW 1997, 1262, 12<strong>65</strong><br />

jedoch ohne Begründung.<br />

37 Seit BGHSt 7, 17, 22 bzw. 7, 261, 263; BGHSt 15, 332, 338; BGHSt 5, 284,<br />

287.<br />

38 So schon RGSt. 71, 253 f.; 72, 133, 139 f.; BGHSt 4, 80, 82 f.<br />

39 BGHSt 15, 332 f.<br />

40 Der Mediator kann die Interessen einer Partei nach einer gescheiterten Mediation<br />

aber nicht in einem späteren Gerichtsverfahren vertreten. Dann wurde<br />

eine Strafbarkeit nach § 356 Abs. 1 StGB vorliegen.<br />

41 Anders Hoyningen-Huene, JuS 1997, 352, 354.<br />

42 So auch Hoyningen-Huene, JuS 1997, 352.


AnwBl 2/2000 83<br />

Aufsätze l<br />

IV. Zusammenfassung<br />

Die Mediation bietet dem Rechtsanwalt ein Tätigkeitsfeld,<br />

in dem er sowohl als Mediator als auch als Parteivertreter<br />

tätig werden kann, ohne sich grundsätzlich der Gefahr<br />

einer Strafbarkeit nach § 356 Abs. 1, 203 Abs. 1 Nr. 3<br />

StGB auszusetzen. Dieser Tätigkeitsbereich wird nicht von<br />

den genannten Strafvorschriften erfaßt, da der Rechtsanwalt<br />

in diesem Bereich weder beiden Parteien dient, noch<br />

pflichtwidrig handelt, noch ein Privatgeheimnis verrät. Voraussetzende<br />

Einschränkung ist jedoch, daß die betreffende<br />

Partei von dem anwaltlichen Parteivertreter bezüglich der<br />

möglichen Folgen der offenzulegenden Tatsache umfassend<br />

aufgeklärt wurde. Des weiteren ist dem Mediator die Übernahme<br />

der Mediation verwehrt, wenn er in derselben Angelegenheit<br />

schon zuvor eine der beiden Parteien anwaltlich<br />

vertreten hat. 43 Umgekehrt darf er nach Beendigung der<br />

Mediation nicht eine der beiden Parteien in derselben Angelegenheit<br />

weiter beraten oder vertreten.<br />

43 So auch Henssler AnwBl 1997 129, 131.<br />

Zur Vereinbarkeit des<br />

Rechtsanwaltsberufs<br />

mit einer Tätigkeit im<br />

öffentlichen Dienst<br />

Wiss. Mitarbeiter Gerd Hoor, Köln<br />

Einleitung<br />

Für verschiedene Personengruppen kann aus unterschiedlichen<br />

Gründen Veranlassung bestehen, Überlegungen<br />

zur Vereinbarkeit des Rechtsanwaltsberufs mit einer<br />

Tätigkeit im öffentlichen Dienst anzustellen. Aus der Sicht<br />

des Verwaltungsjuristen und des im öffentlichen Dienst<br />

beschäftigten Wissenschaftlers wird die Wahrnehmung anwaltlicher<br />

Aufgaben als Nebentätigkeit von Interesse sein.<br />

Für den Dienstherrn könnten sich Möglichkeiten der<br />

Kostenreduzierung abzeichnen, wenn eigene Mitarbeiter<br />

zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden und im Rahmen<br />

ihrer Tätigkeit für ihre Anstellungskörperschaft auch anwaltliche<br />

Leistungen erbringen könnten, demnach regelmäßig<br />

die Notwendigkeit entfiele, auswärtige Rechtsanwälte<br />

in Anspruch zu nehmen. Selbständigen Anwälten schließlich,<br />

insbesondere Berufsanfängern, mag es vorteilhaft erscheinen,<br />

ihr wirtschaftliches Risiko durch eine parallele<br />

Tätigkeit im öffentlichen Dienst zu minimieren.<br />

Der Ausübung des Rechtsanwaltsberufs bei gleichzeitiger<br />

Tätigkeit im öffentlichen Dienst können Vorschriften<br />

des anwaltlichen Berufsrechts und Bestimmungen des<br />

Rechts des öffentlichen Dienstes entgegenstehen 1 . Der folgende<br />

kurze Beitrag will die wesentlichen Hindernisse aufzeigen<br />

und sich mit ihnen auseinandersetzen.<br />

Beschränkungen der Möglichkeit, als Rechtsanwalt tätig<br />

zu sein, sind an Art. 12 GG zu messen. Das Grundrecht der<br />

Berufsfreiheit gewährleistet auch das Recht, mehrere Berufe<br />

zu wählen und auszuüben 2 . Einschränkungen der Berufs-<br />

freiheit durch Inkompatibilitätsregelungen sind daher nur<br />

durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zulässig 3 .Die<br />

verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Eingriffen in die<br />

Berufsfreiheit orientiert sich grundsätzlich an der sog. Dreistufentheorie<br />

4 , die zwischen Berufsausübungsregeln sowie<br />

subjektiven und objektiven Zulassungsbeschränkungen differenziert,<br />

allerdings von dem Bundesverfassungsgericht<br />

nicht schematisch angewandt wird. Das Gericht erkennt in<br />

Regelungen zur Unvereinbarkeit verschiedener Berufe sowohl<br />

objektive als auch subjektive Elemente, die die betreffenden<br />

Vorschriften einer abstrakten Zuordnung zu einer<br />

der klassischerweise unterschiedenen Stufen entziehen und<br />

eine an den Auswirkungen auf die jeweiligen Bewerber<br />

ausgerichtete Prüfung erfordern 5 .<br />

Das Recht des Beamten, seine Arbeitskraft entgeltlich<br />

zu verwerten, wird zum Teil nicht aus Art. 12 GG, sondern<br />

aus Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet 6 . Keinesfalls darf aber den<br />

Beamten der Grundrechtsschutz unter Berufung auf ein<br />

„besonderes Gewaltverhältnis“ versagt werden 7 ; Besonderheiten<br />

des Beamtenverhältnisses können sich über Art. 33<br />

Abs. 5 GG lediglich grundrechtsbeschränkend auswirken.<br />

Auf die verfassungsrechtliche Dimension wird im folgenden<br />

im Zusammenhang mit einzelnen Inkompatibilitätsnormen<br />

zurückzukommen sein.<br />

I. Anwaltliches Berufsrecht<br />

Das anwaltliche Berufsrecht bedingt hinsichtlich der<br />

Möglichkeit einer anderweitigen Tätigkeit im öffentlichen<br />

Dienst Differenzierungen einerseits nach deren Dauerhaftigkeit,<br />

andererseits auch zwischen Beamten und Angestellten.<br />

A. Dauerhafte Tätigkeit im öffentlichen Dienst<br />

1. Angestellte im öffentlichen Dienst<br />

Gemäß § 7 Nr. 8 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft<br />

zu versagen, wenn der Bewerber eine Tätigkeit<br />

ausübt, die mit dem Beruf des Rechtsanwalts, insbesondere<br />

seiner Stellung als unabhängiges Organ der<br />

Rechtspflege, nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in<br />

seine Unabhängigkeit gefährden kann. Die Zulassung eines<br />

Anwalts, der eine derartige Tätigkeit ausübt, ist nach § 14<br />

Abs. 2 Nr. 8 BRAO zu widerrufen, es sei denn, dies würde<br />

für den Betroffenen eine unzumutbare Härte bedeuten.<br />

Beide Vorschriften wurden durch das Gesetz zur<br />

Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der<br />

Patentanwälte vom 2.9.1994 8 geändert. Die ausdrückliche<br />

Bezugnahme auf die anwaltliche Unabhängigkeit wurde<br />

neu aufgenommen, das Ansehen der Rechtsanwaltschaft als<br />

maßgebliches Kriterium gestrichen. Die Gesetzesnovelle<br />

wurde durch die grundlegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts<br />

vom 4.11.1992 9 angestoßen, derzufolge<br />

die genannten Vorschriften in ihrer alten Fassung als<br />

solche – bei verfassungskonformer Auslegung – den<br />

1 Beispielhaft für die Vorschriften der Landesbeamtengesetze werden die des<br />

LBG NW genannt.<br />

2 BVerfGE 21, 173, 179; BVerfG NJW 1993, 317, 318; Maunz/Dürig/Herzog/<br />

Scholz, Art. 12 GG Rdnr. 278 ff.<br />

3 BVerfG NJW 1993, 317, 318.<br />

4 BVerfGE 7, 377.<br />

5 BVerfG NJW 1993, 317, 318.<br />

6 BVerwG in st. Rspr., vgl. etwa BVerwGE 84, 299. Auf diesen Streit wird hier<br />

nicht näher eingegangen.<br />

7 BVerfGE 33, 1.<br />

8 BGBl. I 1994, 2278.<br />

9 BVerfG NJW 1993, 317.


84<br />

l<br />

grundgesetzlichen Anforderungen entsprachen, die umfangreiche<br />

frühere Rechtsprechung hingegen zum Teil mit<br />

Art. 12 GG unvereinbar war. Diese ältere Judikatur kann<br />

daher heute zur Beurteilung der Unvereinbarkeit nur noch<br />

begrenzt herangezogen werden 10 . In einer jüngeren Entscheidung<br />

11 hat das Bundesverfassungsgericht beiläufig<br />

festgestellt, daß die neugefaßten §§ 7 Nr. 8, 14 Abs. 2 Nr. 8<br />

BRAO verfassungsgemäß sind.<br />

Die Anwendung dieser ausfüllungsbedürftigen Vorschriften<br />

setzt eine Würdigung der Gesamtumstände des<br />

konkreten Einzelfalles voraus 12 ; eine generelle Qualifizierung<br />

bestimmter Tätigkeiten als mit dem Anwaltsberuf unvereinbar<br />

ist nicht möglich. Immerhin lassen sich der bisherigen<br />

Rechtsprechung und den Stimmen im Schrifttum<br />

einige Leitlinien entnehmen.<br />

a. Unvereinbarkeit wegen der Art der Tätigkeit im<br />

Einzelfall<br />

Eine Tätigkeit als Angestellter im öffentlichen Dienst<br />

kollidiert mit der anwaltlichen Unabhängigkeit, wenn die<br />

Gefahr einer Einflußnahme des Staates auf die Wahrnehmung<br />

anwaltlicher Aufgaben besteht 13 . Derartige Befürchtungen<br />

sind in der Regel begründet, wenn der betreffende<br />

Angestellte hoheitliche Funktionen ausfüllt 14 , nicht dagegen<br />

bei der Ausübung von Tätigkeiten, die in vergleichbarer<br />

Weise auch in der Privatwirtschaft anfallen 15 . Die Wahrnehmung<br />

hoheitlicher Befugnisse bringt eine Staatsnähe mit<br />

sich, die mit der Vorstellung einer unabhängigen Anwaltschaft<br />

unvereinbar ist 16 . Nach der insoweit von dem<br />

Bundesverfassungsgericht aus verfassungsrechtlicher Sicht<br />

unbeanstandet gebliebenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs<br />

können die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben<br />

und die Repräsentation einer staatlichen Einrichtung<br />

nach außen bei Rechtssuchenden den Eindruck erwecken,<br />

der Betreffende verfüge über besonders weitreichende<br />

Möglichkeiten anwaltlicher Interessenvertretung, bei Prozeßgegnern<br />

hingegen die Befürchtung einer Ausnutzung<br />

der dienstlichen Stellung zur Förderung privater Interessen<br />

hervorrufen 17 .<br />

Dagegen hat das Bundesverfassungsgericht in dem in<br />

früherer Rechtsprechung herausgebildeten Grundsatz, demzufolge<br />

nur solche Tätigkeiten als mit dem Anwaltsberuf<br />

vereinbar angesehen werden können, die eine „gehobene<br />

Stellung“ vermitteln, mangels hinreichender Bestimmtheit<br />

und eines legitimen Zwecks einen Verstoß gegen Art. 12<br />

GG erblickt 18 . Das Kriterium der „gehobenen Stellung“ ist<br />

damit entfallen. Sein Hintergrund war wohl ein überkommenes<br />

Bild des Anwaltsberufs als selbständige Tätigkeit<br />

mit hohem Sozialprestige 19 .<br />

Als unvereinbar mit dem Anwaltsberuf wurde eine Tätigkeit<br />

als dem Vertreter des Kanzlers einer Universität zugeordnete<br />

Sachbearbeiterin beurteilt, deren Aufgaben u.a.<br />

den Erlaß von Bescheiden und Widerspruchsbescheiden<br />

und die gerichtliche Vertretung in Personalangelegenheiten<br />

umfaßten 20 . Das Bundesverfassungsgericht hat dies gebilligt<br />

21 . Auch nach dieser Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts<br />

wurden Anstellungsverhältnisse als Geschäftsführer<br />

einer Handwerkskammer oder einer<br />

Kreishandwerkerschaft 22 von der Rechtsprechung als mit<br />

dem Beruf eines Rechtsanwalts inkompatibel angesehen.<br />

Dagegen soll eine im Angestelltenverhältnis ausgeübte<br />

Tätigkeit als Hochschullehrer, wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

oder wissenschaftliche Hilfskraft jedenfalls im Hinblick<br />

auf ihre Art grundsätzlich mit dem Anwaltsberuf vereinbar<br />

AnwBl 2/2000<br />

Aufsätze<br />

sein 23 . Diese Auffassung im Schrifttum beruft sich auf einen<br />

Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom<br />

2.12.1994 24 : Die Verfassungsbeschwerde eines wissenschaftlichen<br />

Mitarbeiters an einer Universität hatte Erfolg,<br />

weil die angegriffene Entscheidung sich auf das Merkmal<br />

der „gehobenen Stellung“ gestützt hatte. Dem Beschluß ist<br />

jedoch auch zu entnehmen, daß die Aufgaben des Beschwerdeführers,<br />

die hauptsächlich in Lehre und Prüfung<br />

lagen, für die Beurteilung von Bedeutung waren. Dem ist<br />

zuzustimmen. Eine Lehr- und Prüfungstätigkeit vermittelt<br />

kaum den Eindruck besonderer Staatsnähe. Der staatliche<br />

Einfluß wird insbesondere durch die Wissenschaftsfreiheit<br />

begrenzt. Gegenüber wissenschaftlichem Universitätspersonal<br />

ist die Befürchtung einer die unabhängige Wahrnehmung<br />

anwaltlicher Aufgaben beeinträchtigenden engen<br />

Bindung an den Staat nicht angebracht.<br />

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß ein Angestelltenverhältnis<br />

im öffentlichen Dienst mit dem Beruf des<br />

Rechtsanwalts nicht zu vereinbaren ist, wenn es die Wahrnehmung<br />

hoheitlicher Befugnisse oder die Repräsentation einer<br />

staatlichen Stelle nach außen – etwa durch Prozeßvertretungen<br />

– mit sich bringt. Kein prinzipielles Hindernis bildet<br />

dagegen eine Forschungs-, Lehr- und Prüfungstätigkeit.<br />

b. Unvereinbarkeit mangels hinreichender Möglichkeit der<br />

Ausübung des Anwaltsberufs<br />

Nach ständiger Rechtsprechung 25 bedarf es zur Erteilung<br />

bzw. Erhaltung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bei<br />

gleichzeitiger Ausübung eines weiteren Berufes zudem der<br />

rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeit, den Anwaltsberuf<br />

„in einem, wenn auch beschränkten, so doch irgendwie<br />

nennenswerten Umfang und jedenfalls mehr als gelegentlich<br />

auszuüben; eine nur geringfügige Möglichkeit,<br />

sich als Rechtsanwalt zu betätigen, reicht nicht aus“. Diese<br />

Voraussetzung wird aus der anwaltlichen Unabhängigkeit<br />

und dem freiberuflichen Charakter abgeleitet, die es gebieten<br />

sollen, daß der Anwalt zu einer Gestaltung seiner Tätigkeit<br />

nach seinem Ermessen in der Lage ist.<br />

Vor Art. 12 GG hat diese Auslegung der Unvereinbarkeitsregelungen<br />

des anwaltlichen Berufsrechts nach 0der<br />

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 26 Bestand.<br />

10 Vgl. Henssler/Prütting, BRAO, § 7 Rdnr. 77; Kleine-Cosack, BRAO, § 7<br />

Rdnr. 31.<br />

11 BVerfG NJW 1995, 951, 952.<br />

12 Kleine-Cosack, in: Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch 1997/98, H I<br />

Rdnr. 28; ders., BRAO, § 7 Rdnr. 35a; Feuerich/Braun, BRAO, § 7 Rdnr. 100;<br />

Jessnitzer/Blumberg, BRAO, § 7 Rdnr. 18. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung<br />

zum alten und neuen Recht, vgl. nur BGH NJW 1987, 3011.<br />

13 Kleine-Cosack, in: Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch 1997/98, H I<br />

Rdnr. 38; ders., BRAO, § 7 Rdnr. 33; Henssler/Prütting, BRAO, § 7 Rdnr. 81;<br />

Feuerich/Braun, BRAO, § 7 Rdnr. 105; vgl. BVerfG NJW 1993, 317, 320.<br />

14 Henssler/Prütting, BRAO, § 7 Rdnr. 81; Kleine-Cosack, BRAO, § 7 Rdnr. 41;<br />

vgl. Kleine-Cosack, in: Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch 1997/98, H I<br />

Rdnr. 38; BVerfG NJW 1993, 317, 320.<br />

15 Henssler/Prütting, BRAO, § 7 Rdnr. 81; Feuerich/Braun, BRAO, § 7 Rdnr. 109.<br />

16 Vgl. Haller, DÖD 1998, 59, <strong>65</strong>.<br />

17 BGH AnwBl 1983, 478; BGH NJW 1987, 3011, 3012; BGH BRAK-Mitt.<br />

1994, 42, 43.<br />

18 BVerfG NJW 1993, 317, 320.<br />

19 Vgl. Haller, DÖD 1998, 59, <strong>65</strong>.<br />

20 BGH NJW 1987, 3011; anders EGH Niedersachsen als Vorinstanz.<br />

21 BVerfG NJW 1993, 317.<br />

22 BGH BRAK-Mitt. 1994, 42, 43.<br />

23 Henssler/Prütting, BRAO, § 7 Rdnr. 93; vgl. Kleine-Cosack, in: Beck’sches<br />

Rechtsanwalts-Handbuch 1997/98, H I Rdnr. 38; ders., BRAO, § 7 Rdnr. 41;<br />

Pfeiffer, in: Festschrift für Oppenhoff, 249, 269.<br />

24 BVerfG NJW 1995, 951.<br />

25 Vgl. nur BGH NJW 1987, 3011, 3012.<br />

26 BVerfG NJW 1993, 317, 319.


AnwBl 2/2000 85<br />

Aufsätze l<br />

Sie diene dem Zweck, ein Mindestmaß an Unabhängigkeit<br />

und Professionalität des Anwalts zu gewährleisten, und verhindere,<br />

daß die Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ zu einem<br />

bloßen Titel von „Feierabend-Anwälten“ werde. Den<br />

Betroffenen sei sie zumutbar, da diese immerhin bereits<br />

über einen Hauptberuf verfügten.<br />

An der rechtlichen Möglichkeit, den Anwaltsberuf in<br />

genügendem Umfang auszuüben, fehlt es insbesondere<br />

dann, wenn der Dienstherr des im öffentlichen Dienst Angestellten<br />

eine Nebentätigkeitsgenehmigung verweigert 27 .<br />

Doch auch Beschränkungen der Nebentätigkeitsgenehmigung<br />

können nach der Rechtsprechung zur Unvereinbarkeit<br />

führen, etwa bei einem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs<br />

28 oder einer zeitlichen Begrenzung auf acht Wochenstunden<br />

29 oder auf 28 Wochenstunden außerhalb der regelmäßigen<br />

Arbeitszeit 30 . In der letztgenannten Entscheidung<br />

kommt sogar zum Ausdruck, daß jede zeitliche Limitierung<br />

der Nebentätigkeitsgenehmigung die rechtliche Möglichkeit<br />

der Ausübung des Anwaltsberufs in nicht hinnehmbarer<br />

Weise beschneide. Diese Auffassung wird im Schrifttum<br />

offenbar geteilt 31 .<br />

Zur Sicherung der rechtlichen Möglichkeit der Ausübung<br />

des Anwaltsberufs wird eine Erklärung des Dienstherrn<br />

als Bestandteil des Dienstvertrags vorgeschlagen,<br />

durch die unwiderruflich gestattet wird, daß der betreffende<br />

Angestellte seinen Arbeitsplatz zur Wahrnehmung anwaltlicher<br />

Geschäfte jederzeit uneingeschränkt verläßt 32 . Zu einer<br />

Erklärung dieses Inhalts wird sich indes kaum ein Dienstherr<br />

bereitfinden.<br />

Unter dem Gesichtspunkt der tatsächlichen Möglichkeit<br />

der Berufsausübung wird verlangt, daß der Anwalt über<br />

seine anderweitige Arbeitszeit hinreichend frei verfügen<br />

kann und auch während seiner Dienststunden nicht nur in<br />

Ausnahmefällen erreichbar ist 33 . Eine umfangreiche Rechtsprechung<br />

setzt sich mit der Entfernung zwischen dem<br />

Dienstort und der Kanzlei oder der Fahrtzeit auseinander.<br />

Diese Problematik weist keinen spezifischen Bezug zum<br />

öffentlichen Dienst auf und soll daher hier nicht vertieft<br />

werden 34 .<br />

Für einen großen Teil der Angestellten im öffentlichen<br />

Dienst wird schon infolge der Wahrnehmung hoheitlicher<br />

Befugnisse eine gleichzeitige Berufstätigkeit als Rechtsanwalt<br />

nicht möglich sein. Selbst wenn dieser Ausschlußgrund<br />

nicht eingreift – etwa regelmäßig bei nur in Lehre<br />

und Forschung tätigem Personal –, werden sich in nahezu<br />

allen Fällen die strengen Anforderungen an die Möglichkeit<br />

zur Ausübung des Anwaltsberufs als kaum überwindliches<br />

Hindernis erweisen.<br />

c. Stellungnahme<br />

Im Schrifttum ist unter Hinweis darauf, daß Art. 12 GG<br />

auch das Recht gewährleistet, den Umfang der eigenen Berufsausübung<br />

frei zu bestimmen, überzeugende Kritik an<br />

der Rechtsprechung zur räumlichen Entfernung zwischen<br />

Kanzlei und Dienstort geäußert worden 35 . Diese Kritik muß<br />

auf weitere Aspekte der Judikatur zur rechtlichen und tatsächlichen<br />

Berufsausübungsmöglichkeit erweitert werden.<br />

Als Teil des Grundrechts der Berufsfreiheit hat jeder<br />

Grundrechtsträger, auch der Rechtsanwalt und der Bewerber<br />

um die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, das Recht, selbst<br />

zu entscheiden, welchen zeitlichen Aufwand er seinem Beruf<br />

widmen möchte 36 . Dies ergibt sich bereits daraus, daß<br />

der Schutzbereich des Art. 12 GG auch die Wahl und Ausübung<br />

eines Zweitberufs umfaßt. In der Entscheidung, zwei<br />

Berufe parallel auszuüben, liegt naturgemäß die Entscheidung,<br />

den Zeitaufwand für jeden dieser Berufe – gegenüber<br />

der theoretisch zur Verfügung stehenden Zeit – zu begrenzen.<br />

Dieses Recht wird in der Praxis selbstverständlich<br />

wahrgenommen und, soweit ersichtlich, auch nicht bestritten.<br />

Man denke nur an den Anwalt, der im Alter seine<br />

Tätigkeit nach und nach auslaufen läßt, indem er nur noch<br />

wenige Mandate annimmt. In der Entscheidung, den Beruf<br />

des Rechtsanwalts neben einer anderen Tätigkeit ausüben<br />

zu wollen, sei es auch in einem unbedeutenden zeitlichen<br />

Rahmen, liegt daher eine Grundrechtsbetätigung. Die Beschneidung<br />

dieser Möglichkeit durch Anforderungen an die<br />

der anwaltlichen Tätigkeit vorbehaltene Zeit bedarf als Eingriff<br />

in die Berufsfreiheit der Rechtfertigung.<br />

Eine solche Rechtfertigung ist um so schwieriger zu finden,<br />

als derartige Anforderungen nur an Doppelberufler gestellt<br />

werden. Keinem „Nur-Anwalt“ wird vorgeschrieben,<br />

wie oft und wie lange er sich als Rechtsanwalt zu betätigen<br />

hat. Tatsächlich ist schon ein legitimer Zweck eines Mindestzeitrahmens<br />

nicht erkennbar. Inwiefern soll es der Unabhängigkeit<br />

37 des Anwalts abträglich sein, wenn er seinen<br />

Anwaltsberuf nur gelegentlich ausübt? Warum eigentlich<br />

gilt es, den „Feierabend-Anwalt“ zu verhindern, warum<br />

darf die Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ nicht zu einem<br />

Titel werden? Das Bundesverfassungsgericht stellt selbst<br />

fest, daß berufsständische Belange wie das „Sozialprestige<br />

des Anwaltsstandes“ Eingriffe in die Berufsfreiheit nicht<br />

zu rechtfertigen vermögen 38 . Doch scheinen gerade solche<br />

überkommenen Vorstellungen die verbreitete Argumentation<br />

zu tragen. Der Gedanke, der Anwalt müsse für eilige<br />

Angelegenheiten stets zur Verfügung stehen und auch an<br />

länger dauernden Gerichtsterminen teilnehmen können 39 ,<br />

kann bereits deshalb nicht beachtlich sein, weil grundsätzlich<br />

keine Verpflichtung zur Übernahme eines Mandats besteht<br />

40 . Zudem verkennt er den Wandel des anwaltlichen<br />

Berufsbildes: Viele Anwälte sind heute ausschließlich beratend<br />

tätig und treten nicht vor Gericht auf 41 . Auch das Gesetz<br />

geht mit der von § 29a BRAO eröffneten Möglichkeit,<br />

eine Kanzlei im Ausland zu unterhalten, nicht von ständiger<br />

Präsenz des Anwalts in der Nähe des Gerichts aus 42 .Mit<br />

dem von dem Bundesverfassungsgericht ergänzend angeführten<br />

Gesichtspunkt der „Professionalität“ 43 soll offenbar<br />

die praktische Erfahrung angesprochen werden – die grundsätzliche<br />

fachliche Eignung zur Bearbeitung juristischer<br />

Sachverhalte ist schließlich bereits durch zwei juristische<br />

27 Kleine-Cosack, BRAO, § 7 Rdnr. 49; Feuerich/Braun, BRAO, § 7 Rdnr. 137.<br />

28 BGH EGE XII, 34, 35.<br />

29 BGH BRAK-Mitt. 1982, 72, 73.<br />

30 BGH NJW 1987, 3011, 3012.<br />

31 Henssler/Prütting, BRAO, § 7 Rdnr. 86; Feuerich/Braun, BRAO, § 7 Rdnr. 137;<br />

Kleine-Cosack, ZIP 1991, 1337, 1348; ders., NJW 1993, 1289, 1292.<br />

32 Kleine-Cosack, BRAO, § 7 Rdnr. 49.<br />

33 BGH BRAK-Mitt. 1996, 76.<br />

34 Überblick bei Feuerich/Braun, BRAO, § 7 Rdnr. 133; Henssler/Prütting,<br />

BRAO, § 7 Rdnr. 89.<br />

35 Kleine-Cosack, in: Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch 1997/98, H I<br />

Rdnr. 33; ders., ZIP 1991, 1337, 1348 f.; insoweit ebenfalls krit. Henssler/<br />

Prütting, BRAO, § 7 Rdnr. 89.<br />

36 Vgl. Kleine-Cosack, ZIP 1991, 1337, 1349.<br />

37 Darauf stellt BVerfG NJW 1993, 317, 319 ab.<br />

38 BVerfG NJW 1993, 317, 320.<br />

39 Vgl. nur BGH NJW 1987, 3011, 3012.<br />

40 Vgl. Jessnitzer/Blumberg, BRAO, § 7 Rdnr. 18.<br />

41 Vgl. Kleine-Cosack, ZIP 1991, 1337, 1348 f.<br />

42 Darauf weist Kleine-Cosack, in: Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch 1997/<br />

98, H I Rdnr. 33, zutreffend hin.<br />

43 BVerfG NJW 1993, 317, 319.


86<br />

l<br />

Staatsprüfungen nachgewiesen. Die Gewährleistung eines<br />

Mindestmaßes praktischer Erfahrung der Rechtsanwälte ist<br />

sicherlich ein berechtigtes Anliegen; allerdings wird bei<br />

Anwälten, die keine sonstige Tätigkeit ausüben, ein Mangel<br />

an Erfahrung ohne weiteres hingenommen.<br />

Art. 12 GG verbietet es demnach, die Ausübung des<br />

Anwaltsberufs wegen räumlicher Distanz oder wegen anderweitiger<br />

zeitlicher Inanspruchnahme durch einen zweiten<br />

Beruf zu unterbinden.<br />

2. Beamte<br />

Einem Beamten ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft<br />

gemäß § 7 Nr. 10 BRAO zu versagen, sofern er nicht<br />

die ihm übertragenen Aufgaben nur ehrenamtlich wahrnimmt<br />

oder seine Rechte und Pflichten aufgrund der §§ 5,<br />

6, 8 und 36 des Abgeordnetengesetzes oder entsprechender<br />

Rechtsvorschriften ruhen. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO ist<br />

die Zulassung zu widerrufen, wenn der Anwalt zum Beamten<br />

auf Lebenszeit ernannt oder nach § 6 des Abgeordnetengesetzes<br />

oder entsprechenden Rechtsvorschriften wieder<br />

in das frühere Dienstverhältnis als Beamter auf Lebenszeit<br />

zurückgeführt wird und nicht auf die Rechte aus der Zulassung<br />

verzichtet.<br />

Nach einhelliger Ansicht ist § 7 Nr. 10 BRAO auf Ruhestandsbeamte<br />

und entpflichtete Professoren nicht anzuwenden<br />

44 , wohl aber auf Beamte auf Widerruf 45 , Beamte auf<br />

Zeit 46 und beurlaubte Beamte 47 .<br />

Lediglich im Hinblick auf die Gruppe der wissenschaftlich<br />

tätigen Beamten werden in der Literatur, abweichend<br />

von der ständigen Rechtsprechung und der herrschenden<br />

Meinung, aus verfassungsrechtlichen Gründen Zweifel an<br />

der Unvereinbarkeit mit dem Anwaltsberuf geäußert 48 .<br />

Allerdings fällt eine parallele anwaltliche Tätigkeit nicht<br />

in den Schutzbereich der in Art. 5 Abs. 3 GG grundrechtlich<br />

gewährleisteten Wissenschaftsfreiheit. Auch begründet<br />

die Wissenschaftsfreiheit im Hinblick auf die beamtenrechtlichen<br />

Dienstpflichten keinen Unterschied zwischen<br />

beamteten Wissenschaftlern und anderen Beamten 49 . Gegen<br />

eine Notwendigkeit, Wissenschaftlern im Beamtenverhältnis<br />

in verfassungskonformer Auslegung der §§ 7 Nr. 10, 14<br />

Abs. 2 Nr. 5 BRAO die gleichzeitige Ausübung des Anwaltsberufs<br />

zu ermöglichen, mag der bereits erwähnte Gesichtspunkt<br />

sprechen, daß eine schon bestehende Berufstätigkeit<br />

die Intensität des durch die Versagung der<br />

Möglichkeit, einen bestimmten weiteren Beruf auszuüben,<br />

bewirkten Eingriffs deutlich mildert 50 . Allerdings darf nicht<br />

unberücksichtigt bleiben, daß Wissenschaftler im öffentlichen<br />

Dienst, seien sie Beamte oder Angestellte, typischerweise<br />

allenfalls sehr beschränkt hoheitlich tätig und wegen<br />

ihres Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 GG jedenfalls hinsichtlich<br />

des Inhalts ihrer Tätigkeit in geringerem Umfang als<br />

andere Beamte staatlicher Einflußnahme ausgesetzt sind 51 .<br />

Der den Inkompatibilitätsbestimmungen zugrunde liegende<br />

Gedanke, daß der Beamte sich durch eine besondere Staatsnähe<br />

auszeichnet, die mit der anwaltlichen Unabhängigkeit<br />

nicht vereinbar ist, trifft auf beamtete Wissenschaftler nicht<br />

zu. Sie bilden eine – auch in ihrer Anzahl bedeutsame –<br />

von den übrigen Beamten deutlich unterscheidbare Gruppe.<br />

Ihrer besonderen Situation sollte deshalb durch eine verfassungskonforme<br />

Auslegung der einschlägigen Vorschriften<br />

des anwaltlichen Berufsrechts Rechnung getragen werden.<br />

Dauerhaft tätige Beamte können also grundsätzlich nicht<br />

Rechtsanwälte sein. Eine Ausnahme ist für wissenschaftliche<br />

Beamte anzuerkennen.<br />

AnwBl 2/2000<br />

Aufsätze<br />

B.Vorübergehende Tätigkeit im öffentlichen Dienst<br />

Für den Fall, daß ein Rechtsanwalt nur vorübergehend<br />

und nicht lediglich ehrenamtlich im öffentlichen Dienst<br />

Verwendung findet, sei es als nicht auf Lebenszeit ernannter<br />

Beamter, sei es als Angestellter, sieht § 47 Abs. 1<br />

BRAO grundsätzlich ein Verbot der Ausübung des Anwaltsberufs<br />

vor, eröffnet jedoch auch die Möglichkeit der<br />

Bestellung eines Vertreters oder der Erteilung eines Dispenses,<br />

wenn die Interessen der Rechtspflege nicht gefährdet<br />

werden. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bleibt dem<br />

Betroffenen damit erhalten.<br />

Für die Beurteilung einer möglichen Gefährdung der Interessen<br />

der Rechtspflege sind die oben im Zusammenhang<br />

mit einem dauerhaften Anstellungsverhältnis im öffentlichen<br />

Dienst erörterten Gesichtspunkte maßgebend 52 . So<br />

kommt eine Gestattung, den Beruf des Rechtsanwalts trotz<br />

der vorübergehenden Tätigkeit im öffentlichen Dienst weiterhin<br />

auszuüben, insbesondere bei der Wahrnehmung hoheitlicher<br />

Befugnisse nicht in Betracht.<br />

Keine Regelung enthält das Gesetz über die Zulassung<br />

eines vorübergehend im öffentlichen Dienst Angestellten.<br />

Diese Konstellation sollte nicht anders als der von § 47<br />

Abs. 1 BRAO geregelte „umgekehrte“ Fall behandelt, diese<br />

Vorschrift daher entsprechend angewandt werden 53 . Prüfungsmaßstab<br />

sind dann wiederum die Interessen der<br />

Rechtspflege.<br />

Eine vorübergehende Tätigkeit im öffentlichen Dienst<br />

führt mithin nicht zur Versagung bzw. zum Widerruf der<br />

Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, steht aber grundsätzlich<br />

der Ausübung des Anwaltsberufs entgegen. Ein Dispens<br />

wird aus den genannten Gründen nur selten in Betracht<br />

kommen.<br />

II. Recht des öffentlichen Dienstes<br />

A. Beamte<br />

Gemäß §§ 68 Abs. 1 Nr. 3 LBG NW, <strong>65</strong> Abs. 1 Satz 1<br />

i.V. m. 66 Abs. 1 Nr. 1 lit. b BBG, 42 Abs. 1 BRRG bedarf<br />

der Beamte zur Ausübung eines freien Berufs der vorherigen<br />

Genehmigung. Eine freiberufliche Tätigkeit ist demnach<br />

auch aus dem Blickwinkel des Beamtenrechts nicht<br />

schlechthin mit dem Beamtenverhältnis unvereinbar. Dies<br />

gilt auch für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs. Verschiedene<br />

beamtenrechtliche Vorschriften schränken die<br />

Möglichkeit der Anwaltstätigkeit von Beamten jedoch ein.<br />

44 Henssler/Prütting, BRAO, § 7 Rdnr. 109, 115; Feuerich/Braun, BRAO, § 7<br />

Rdnr. 157; Jessnitzer/Blumberg, BRAO, § 7 Rdnr. 32; Kleine-Cosack, in:<br />

Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch 1997/98, H I Rdnr. 68.<br />

45 BGHZ 55, 236; Kleine-Cosack, BRAO, § 7 Rdnr. 63; Feuerich/Braun, BRAO,<br />

§ 7 Rdnr. 155; Henssler/Prütting, BRAO, § 7 Rdnr. 111.<br />

46 Henssler/Prütting, BRAO, § 7 Rdnr. 111.<br />

47 BGHZ 55, 236; Feuerich/Braun, BRAO, § 7 Rdnr. 155.<br />

48 Bender, NJW 1986, 409, 410; Michalski/Römermann, MDR 1996, 433. Zur<br />

entgegenstehenden ständigen Rechtsprechung und herrschenden Meinung vgl.<br />

nur BGH NJW 1984, 2877; BGH BRAK-Mitt. 1995, 125; Feuerich/Braun,<br />

BRAO, § 7 Rdnr. 155; Kleine-Cosack, BRAO, § 7 Rdnr. 63; Jessnitzer/Blumberg,<br />

BRAO, § 7 Rdnr. 32.<br />

49 Henssler/Prütting, BRAO, § 7 Rdnr. 113.<br />

50 So auch Henssler/Prütting, BRAO, § 7 Rdnr. 113, 116, mit Differenzierung<br />

zwischen Professoren und beamteten wissenschaftlichen Assistenten.<br />

51 Haller, DÖD 1998, 59, <strong>65</strong> f.<br />

52 Vgl. Kleine-Cosack, BRAO, § 47 Rdnr. 22.<br />

53 Feuerich/Braun, BRAO, § 7 Rdnr. 112; Kleine-Cosack, in: Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch<br />

1997/98, H I Rdnr. 41; anders Jessnitzer/Blumberg, BRAO,<br />

§ 47 Rdnr. 1.


AnwBl 2/2000 87<br />

Aufsätze l<br />

1. Weisungsgebundenheit<br />

Die Weisungsgebundenheit des Beamten nach §§ 58<br />

Satz 2 LBG NW, 55 Satz 2 BBG, 37 Satz 2 BRRG besteht<br />

nur im Rahmen des Amtes und hinsichtlich dienstlicher<br />

Anordnungen 54 . Von einer gleichzeitigen Tätigkeit als<br />

Rechtsanwalt wird sie nicht verkürzt. Problematisch ist die<br />

Kompatibilität des Anwaltsberufs mit der Beamtenstellung<br />

im Hinblick auf die Weisungsgebundenheit daher allein aus<br />

Sicht des anwaltlichen Berufsrechts unter dem Gesichtspunkt<br />

der anwaltlichen Unabhängigkeit.<br />

2. Volle Hingabe an den Beruf<br />

Die allgemeine Verpflichtung des Beamten, sich „mit<br />

voller Hingabe seinem Beruf zu widmen“ (§§ 57 Satz 1<br />

LBG NW, 54 Satz 1 BBG, 36 Satz 1 BRRG), wird durch<br />

die Vorschriften über die Arbeitszeit konkretisiert 55 . Aus ihr<br />

kann bezüglich einer anderweitigen Berufstätigkeit nur abgeleitet<br />

werden, daß diese nicht zu einer Überlastung und<br />

Schwächung des Beamten zum Nachteil dienstlicher Belange<br />

führen darf56 .<br />

3. Vorschriften über die Ausübung von Nebentätigkeiten<br />

Von größerer Bedeutung für die Vereinbarkeit des Beamtenverhältnisses<br />

mit der Ausübung des Anwaltsberufs ist<br />

das Recht der Nebentätigkeiten.<br />

Eine Nebentätigkeit als Rechtsanwalt ist gemäß §§ 68<br />

Abs. 1 Nr. 3 LBG NW, <strong>65</strong> Abs. 1 BBG, 42 Abs. 1 BRRG<br />

genehmigungspflichtig. Auf die Erteilung der Nebentätigkeitsgenehmigung<br />

besteht ein Anspruch, wenn kein Versagungsgrund<br />

eingreift 57 .<br />

Zu versagen ist die Genehmigung, wenn die Nebentätigkeit<br />

dienstliche Interessen beeinträchtigen kann (§ 68 Abs. 2<br />

Satz 1 LBG NW; nahezu wortgleich §§ <strong>65</strong> Abs. 2 Satz 1<br />

BBG, 42 Abs. 2 Satz 1 BRRG). Beispielhaft nennt das Gesetz<br />

etwa die Gefahr der Beeinflussung der Unparteilichkeit<br />

oder Unbefangenheit des Beamten (§§ 68 Abs. 2 Satz 2<br />

Nr. 3 LBG NW, <strong>65</strong> Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 BBG, 42 Abs. 2<br />

Satz 2 Nr. 4 BRRG), die Gefahr eines Widerstreits mit<br />

dienstlichen Pflichten (§§ 68 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 LBG NW,<br />

<strong>65</strong> Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BBG, 42 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BRRG)<br />

und die übermäßige Beanspruchung der Arbeitskraft des<br />

Beamten, soweit sie die ordnungsgemäße Erfüllung dienstlicher<br />

Pflichten behindern kann (§§ 68 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1<br />

LBG NW, <strong>65</strong> Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BBG, 42 Abs. 2 Satz 2<br />

Nr. 1 BRRG) 58 . Von einer übermäßigen Beanspruchung der<br />

Arbeitskraft geht das Gesetz aus, wenn der Zeitaufwand für<br />

die Nebentätigkeit ein Fünftel der regelmäßigen Wochenarbeitszeit<br />

überschreitet (§§ 68 Abs. 2 Satz 3 LBG NW, <strong>65</strong><br />

Abs. 2 Satz 4 BBG, 42 Abs. 2 Satz 3 BRRG). Seit der Neufassung<br />

durch das Gesetz vom 9.9.199759 beinhaltet § <strong>65</strong><br />

Abs. 2 Satz 3 BBG den inhaltlich unklaren 60 Versagungsgrund<br />

des Zweitberufscharakters einer Nebentätigkeit.<br />

Weder im Beamtenrechtsrahmengesetz noch im nordrheinwestfälischen<br />

Beamtengesetz findet sich eine entsprechende<br />

Regelung. Der Normzweck ist wohl darin zu sehen, daß vor<br />

dem Hintergrund des Prinzips der Hauptberuflichkeit des<br />

Berufsbeamtentums eine Möglichkeit geschaffen werden<br />

sollte, einer zu starken Inanspruchnahme der Arbeitskraft<br />

des Beamten auch unabhängig von der „Fünftel-Grenze“<br />

entgegenzutreten 61 . Keinesfalls kann es das Ziel der Vorschrift<br />

sein, eine Nebentätigkeit als dauerhafte Einnahmequelle,<br />

die (auch) der Deckung des Lebensbedarfs dient,<br />

also die Begriffsmerkmale eines Berufs erfüllt62 , schlecht-<br />

hin zu unterbinden, denn damit wäre nahezu jede Nebentätigkeit<br />

ausgeschlossen.<br />

Im Falle einer nachträglichen Beeinträchtigung dienstlicher<br />

Interessen ist die Nebentätigkeitsgenehmigung zu widerrufen<br />

(§§ 68 Abs. 3 LBG NW, <strong>65</strong> Abs. 2 Satz 7 BBG,<br />

42 Abs. 2 Satz 4 BRRG).<br />

Eine Nebentätigkeit darf nach §§ 70 Abs. 1 LBG NW,<br />

<strong>65</strong> Abs. 3 BBG, 42 Abs. 3 BRRG grundsätzlich nur außerhalb<br />

der Arbeitszeit ausgeübt werden. Ausnahmen kommen<br />

nur in besonders begründeten Fällen in Betracht, wenn<br />

dienstliche Gründe nicht entgegenstehen und die versäumte<br />

Arbeitszeit nachgeleistet wird.<br />

Das Bundesverwaltungsgericht hat klargestellt, daß die<br />

Nebentätigkeitsgenehmigung ausschließlich mit Blick auf<br />

dienstliche Belange versagt werden darf 63 . Insbesondere<br />

kann der Dienstherr nicht aus dem anwaltlichen Berufsrecht<br />

Bedenken gegen die Erteilung der Genehmigung herleiten,<br />

da er für dessen Wahrung nicht zuständig ist 64 .<br />

Die Unparteilichkeit und Unbefangenheit des Beamten<br />

und die Wahrnehmung seiner Dienstpflichten werden durch<br />

eine Tätigkeit als Rechtsanwalt wohl in der Regel nicht beeinträchtigt.<br />

Auch Zweifel der Bürger, die mit dem Beamten<br />

dienstlich in Kontakt treten, an dessen Unparteilichkeit<br />

oder Unbefangenheit wegen einer parallelen Anwaltstätigkeit<br />

erscheinen fernliegend. Denkbaren Interessenkollisionen<br />

bei einer dienstlichen und anwaltlichen Befassung mit<br />

demselben Sachverhalt kann durch ein Tätigkeitsverbot im<br />

Einzelfall gemäß § 45 BRAO begegnet werden; die Versagung<br />

einer Nebentätigkeitsgenehmigung zur Ausübung des<br />

Anwaltsberufs rechtfertigen sie nicht <strong>65</strong> .<br />

Schwerer wiegt die zeitliche Limitierung. Die gesetzlichen<br />

Vorschriften legen die genannte Grenze von einem<br />

Fünftel der Wochenarbeitszeit zwar nicht starr fest, sondern<br />

gestalten sie als Zeitrahmen aus, jenseits dessen „in der<br />

Regel“ eine übermäßige Beanspruchung anzunehmen ist,<br />

doch werden sie den Dienstherrn veranlassen, die Nebentätigkeitsgenehmigung<br />

zeitlich zu beschränken. Dadurch<br />

aber gerät der Betroffene in Konflikt mit dem anwaltlichen<br />

Berufsrecht – jedenfalls in der Auslegung, die es in der<br />

Rechtsprechung und im Schrifttum erfährt.<br />

Soweit man also eine anwaltliche Tätigkeit eines Beamten<br />

überhaupt für mit dem anwaltlichen Berufsrecht vereinbar<br />

hält, wird diese Möglichkeit auf dem Boden der Rechtsprechung<br />

und der herrschenden Meinung durch das Zusammenspiel<br />

des Berufsrechts mit dem Beamtenrecht praktisch<br />

nahezu ausgeschlossen.<br />

54 Schütz, BeamtR, § 58 LBG NW Rdnr. 3 f.; Gesamtkommentar Öffentliches<br />

Dienstrecht, Bd. 1, Teil 2a, § 55 BBG Rdnr. 5; Plog/Wiedow/Beck, § 55 BBG<br />

Rdnr. 6; Battis, § 55 BBG Rdnr. 4.<br />

55 BVerwG ZBR 1971, 57; Battis, § 54 BBG Rdnr. 3; Hildebrandt/Demmer/<br />

Bachmann, § 57 LBG NW Anm. 2; vgl. Gunkel/Pilz, Beamtenrecht in Nordrhein-Westfalen,<br />

S. 346.<br />

56 Schütz, BeamtR, § 57 LBG NW Rdnr. 2; Gesamtkommentar Öffentliches<br />

Dienstrecht, Bd. 1, Teil 2a, § 54 BBG Rdnr. 5; vgl. Schnellenbach, Beamtenrecht<br />

in der Praxis, Rdnr. 252.<br />

57 BVerwGE 60, 254; Schütz, BeamtR, § 68 LBG NW Rdnr. 8a; Battis, § <strong>65</strong><br />

BBG Rdnr. 2; Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, Rdnr. 254.<br />

58 Weitere im Gesetz aufgeführte Versagungsgründe weisen keine besondere Berührung<br />

mit der Frage der Vereinbarkeit des Anwaltsberufs mit einer Tätigkeit<br />

im öffentlichen Dienst auf und sollen daher hier nicht erörtert werden.<br />

59 BGBl. I 1997, 852.<br />

60 So auch Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, Rdnr. 262.<br />

61 Vgl. Battis, § <strong>65</strong> BBG Rdnr. 14; Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis,<br />

Rdnr. 262.<br />

62 Vgl. BVerwGE 84, 194, 197.<br />

63 BVerwG ZBR 1971, 57.<br />

64 BVerwG ZBR 1971, 57, 58.<br />

<strong>65</strong> Vgl. BVerwG NJW 1970, 1059, 1060.


88<br />

B. Angestellte<br />

Angestellte im öffentlichen Dienst unterliegen zwar<br />

nicht den dem Beamtenverhältnis eigenen, besonders weitreichenden<br />

Loyalitätspflichten gegenüber dem Dienstherrn,<br />

doch sind beamtenrechtliche Bestimmungen zum Teil auf<br />

Angestellte entsprechend anwendbar. Dies gilt nach § 11<br />

Satz 1 BAT auch für die Ausübung von Nebentätigkeiten.<br />

Daher kann auf die diesbezüglichen Ausführungen verwiesen<br />

werden 66 .<br />

Die Tätigkeit eines Rechtsanwalts als solche ist demnach<br />

mit einem Anstellungsverhältnis im öffentlichen<br />

Dienst nicht unvereinbar, doch verengen auch hier die zeitlichen<br />

Anforderungen, wie sie sich aus dem Recht des öffentlichen<br />

Dienstes und der verbreiteten Auslegung des anwaltlichen<br />

Berufsrechts ergeben, die Möglichkeit einer<br />

doppelten Berufstätigkeit erheblich.<br />

III. Ergebnis<br />

Eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst und der Rechtsanwaltsberuf<br />

sind nur in engen Grenzen miteinander zu vereinbaren.<br />

9<br />

Ausbildungsreform<br />

Zu Bischof, Kilger, Streck, AnwBl 1999, 595<br />

Befähigung zum Richteramt, Richterbestellung und Juristenausbildung<br />

I<br />

1. Befähigung zum Richteramt<br />

§ 5 des Deutschen Richtergesetzes lautet: „Die Befähigung<br />

zum Richteramt erwirbt, wer ein rechtswissenschaftliches<br />

Studium an einer Universität mit der ersten Staatsprüfung<br />

und einen anschließenden Vorbereitungsdienst mit<br />

der zweiten Staatsprüfung abschließt.“<br />

Dass zum Richteramt nur befähigt sein soll, wer „rechtsgelehrt“<br />

ist, wird von Herzog (Maunz-Dürig Grundgesetz<br />

Art. 92 Rdnr. 77) als „eine alte Streitfrage der Rechtsprechungspolitik“<br />

bezeichnet. Wegen der Bindung des Richters<br />

an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) meint Herzog,<br />

„dass auf den rechtsgelehrten Richter“ nicht verzichtet<br />

werden könne, „auch von Verfassungs wegen“ nicht. Zwingend<br />

erscheint dies nicht. Das Grundgesetz schreibt den<br />

rechtsgelehrten Richter nicht explizit vor.<br />

Die Rechtsgelehrtheit (Studium und Vorbereitungsdienst)<br />

als Bedingung der Befähigung zum Richteramt wurde 1869<br />

Gesetz, und zwar erstmals in Preußen. Die anderen Länder<br />

übernahmen dann das preußische System. Seit 130 Jahren<br />

legt damit eine vom obrigkeitlichen Staat aufgestellte Regel<br />

fest, welche Personen die Befähigung zum Richteramt<br />

haben. Festgelegt wird, dass durch Unterricht, Ausbildung<br />

und Schulung – ihr Erfolg ist durch das Bestehen von zwei<br />

Staatsexamina nachzuweisen –, junge Menschen „richterfähig“<br />

werden. Der Erwerb von juristischen Kenntnissen ist<br />

AnwBl 2/2000<br />

Meinung & Kritik<br />

Beamte können, sofern das Beamtenverhältnis nicht<br />

lediglich vorübergehender Art ist, wegen der entgegenstehenden<br />

eindeutigen Regelungen des anwaltlichen Berufsrechts<br />

nicht Rechtsanwälte sein. Auf beamtete Wissenschaftler<br />

sollten diese Vorschriften jedoch im Wege verfassungskonformer<br />

Auslegung nicht angewandt werden.<br />

Angestellte im öffentlichen Dienst können grundsätzlich<br />

zugleich Rechtsanwälte sein, soweit sie nicht in größerem<br />

Umfang hoheitliche Befugnisse wahrnehmen. Doch wird<br />

ihnen eine parallele Anwaltstätigkeit in der Praxis zumeist<br />

wegen der restriktiven – nach hier vertretener Auffassung<br />

jedoch nicht haltbaren – Auslegung des Berufsrechts zur<br />

Frage der Möglichkeit der anwaltlichen Betätigung verschlossen<br />

bleiben.<br />

66 Allerdings soll das Fehlen des besonderen beamtenrechtlichen Treueverhältnisses<br />

bei der Anwendung der Bestimmungen zur Ausübung von Nebentätigkeiten<br />

„angemessen zu berücksichtigen“ sein; Müller, Arbeitsrecht im öffentlichen<br />

Dienst, Rdnr. 601; vgl. auch Haller, DÖD 1998, 59, 60.<br />

eine Sache. Die Fähigkeit der Handhabung (Umsetzung)<br />

dieser Kenntnisse ist das Andere, was die Juristenausbildung<br />

leisten soll. Dass die Rechtskenntnishandhabung geübt<br />

in der Praxis des Vorbereitungsdienstes immer nur eine<br />

Art Trockenübung oder Sandkastenspielerei darstellt, muss<br />

bedacht werden. Da die praktische Rechtsanwendung der<br />

Referendare, also der Jungjuristen vor dem zweiten Staatsexamen,<br />

nie verantwortliche Tätigkeit ist und sein darf,<br />

kann sie nur eine Zusatzausbildung sein. Diese Zusatz-Juristenausbildung,<br />

die Referendare mit der Praxis vertraut<br />

machen soll, ist zwar seit alters her, genau sei 1793, gang<br />

und gäbe. Seit dem Aufkommen der oft exzellenten Handbücher<br />

für fast jedes Rechtsgebiet ist nicht mehr zu ersehen,<br />

welche juristische „Praxis“ der Vorbereitungsdienst<br />

dem examinierten Juristen noch vermitteln könnte.<br />

Die Befähigung zum Richteramt durch Ausbildung eines<br />

Juristen vermitteln zu können sollte als Phantom aufgegeben<br />

werden. Richter haben die anspruchsvollste und<br />

bedeutsamste Aufgabe aller Juristenberufe. Artikel 92 des<br />

Grundgesetzes legt fest: „Die rechtsprechende Gewalt ist<br />

den Richtern anvertraut“. Junge Menschen durch Ausbildung<br />

dahin bringen zu wollen, diese Aufgabe erfüllen zu<br />

können, muss als Wunschdenken bezeichnet werden. Warum?<br />

Richter müssen erfahren, kompetent und qualifiziert<br />

sein. Diese Anforderungen erwartet Bundesjustizministerin<br />

Däumler-GmeIin (Süddt. Zeitung vom 12./13.6.1999) für<br />

die Richter„ der künftig den Streitstoff umfassend und abschließend<br />

behandelnden Erstinstanzgerichte. Dass Erfahrung<br />

in juristischer Praxis das Kennzeichen nicht nur der<br />

künftigen Erstinstanzrichter, sondern aller Richter sein<br />

sollte, sollte ausgemacht sein. Durch juristische Praxis<br />

müßte die Richterqualifikation erworben werden.


AnwBl 2/2000 89<br />

Meinung & Kritik<br />

Die „Erfahrung“ ist in anderen Berufen längst Voraussetzung<br />

für die Berufsqualifikation. Steuerberater kann<br />

z. B. nur werden, wer „hauptberuflich“ auf dem Gebiet<br />

der Steuern „praktisch tätig gewesen ist“. Genauer: ein<br />

Steuerpraktiker wird zur Steuerberaterprüfung überhaupt<br />

erst zugelassen, wenn er drei oder fünf Jahre Steuerpraxis<br />

hat (§ 36 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Steuerberatergesetz).<br />

Wer Wirtschaftsprüfer werden will, muss eine für die<br />

Ausübung des Berufes genügende praktische Ausbildung<br />

erhalten haben, insbesondere muss er eine mindest fünfjährige<br />

praktische Tätigkeit im Wirtschaftsleben nachweisen,<br />

von der wenigstens vier Jahre als Prüfungstätigkeit<br />

abgeleistet sein müssen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 Wirtschaftsprüferordnung).<br />

Für die Richterqualifikation hätte analog zu diesen Erfordernissen<br />

Voraussetzung zu sein: zehn Jahre hauptberufliche<br />

juristische Praxis; nach der praktischen juristischen<br />

Berufstätigkeit erst noch eine Prüfung, gewissermaßen die<br />

Richterprüfung, abzulegen erscheint nicht notwendig. Allerdings<br />

sollte Richter nur werden können, wer nicht nur eine<br />

zehnjährige juristische Praxis nachweisen kann, sondern<br />

auch ein Mindestlebensalter hat. Das 35. Lebensjahr sollte<br />

er vollendet haben.<br />

2. Richterbestellung<br />

Die Voraussetzungen für die Berufung in das Richterverhältnis<br />

legt § 9 des Deutschen Richtergesetzes fest. Wer<br />

Deutscher ist, die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit<br />

für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinn<br />

des Grundgesetzes eintritt und die Befähigung zum Richteramt<br />

besitzt, darf in das Richterverhältnis berufen werden.<br />

Eine weitere Voraussetzung für die Richterberufung der<br />

Berufsrichter, die nicht Bundesrichter sind, ergibt sich aus<br />

dem jeweiligen Landesrecht. Das Landesrecht z. B. Bayerns<br />

legt die subsidiäre Geltung des Beamtenrechtes für<br />

Berufsrichter fest. Nach dem Beamtenrecht, in Bayern Artikel<br />

10, darf ein Jurist nicht mehr zum Richter ernannt<br />

werden, wenn er das 45. Lebensjahr vollendet hat.<br />

Das Beamtenrecht ist über die Befähigung zum Richteramt<br />

hinaus von entscheidender Bedeutung dafür, ob ein Jurist<br />

Richter werden kann. Es gilt bei der Ernennung zum<br />

Richter das Leistungsprinzip (z .B. Art. 12 Bay. Beamtengesetz).<br />

Danach gilt: „Ernennungen sind nach Eignung,<br />

Befähigung und fachlicher Leistung ohne Rücksicht auf<br />

Geschlecht, Abstammung, Rasse, Glauben, religiöse oder<br />

politische Anschauungen, Herkunft und Beziehungen vorzunehmen“<br />

(Art. 12 Abs. 2 Bay. Beamtengesetz). Praktisch<br />

bedeutet dies, dass die Juristen mit den besten Examensergebnissen<br />

am ehesten die Aussicht haben, zu Richtern ernannt<br />

zu werden.<br />

Wird als das entscheidende Qualifikationsmerkmal für<br />

die Richterberufung die zehnjährige praktische Tätigkeit in<br />

einem Juristenberuf angesehen, kann das beamtenrechtliche<br />

Leistungsprinzip nicht mehr maßgebend sein. Wie<br />

müßte die Richterberufung dann erfolgen? Nach meiner<br />

Meinung zweistufig: durch Vorauswahl und Wahl.<br />

Die Vorauswahl wäre Selbstverwaltungsaufgabe der amtierenden<br />

Richter. Richterstellen, die in einem Gerichtsbezirk<br />

zu besetzen sind, wären auszuschreiben. Der Richtervorwahlausschuss<br />

im Gerichtsbezirk (Gerichtspräsident und<br />

dienstälteste Richter) hat die Vielzahl der Bewerber auf die<br />

Richterstelle zu sichten. Drei ihm als geeignet erscheinende<br />

Bewerber, die die Voraussetzungen für die Richterstelle,<br />

nämlich Lebensalter von 35 Jahren und zehnjährige Be-<br />

rufspraxis, haben, hat er in einen Richterwahlvorschlag<br />

aufzunehmen.<br />

Die Wahl der Richter für die zu besetzende Richterstelle<br />

ist dann durch das jeweilige Landesparlament, in diesem<br />

zweckmäßigerweise durch einen Richterwahlausschuss, vorzunehmen.<br />

Einer der Bewerber des Richterwahlvorschlages<br />

ist zu wählen. Die Wahl hat auf Zeit zu erfolgen, nach meiner<br />

Meinung auf fünf Jahre. Wiederwahl müßte möglich<br />

sein, solange der Bewerber bzw. Wiederwahlbewerber eine<br />

bestimmte Altersgrenze – nach meiner Meinung 62. Lebensjahr<br />

– nicht überschritten hat. Bei einer Richterwiederwahl<br />

müßte der Wahlvorschlag ebenfalls drei Bewerber erhalten.<br />

Als einziger Vorzug könnte für den Wiederwahlbewerber<br />

eine Hervorhebung erfolgen, etwa durch seine Platzierung<br />

an erster Stelle des Wahlvorschlages.<br />

Die Richterberufung in die ausgeschriebene Richterstelle<br />

würde dem gewählten Richter eine Position verschaffen,<br />

die mit der derzeitigen für einen Richter gegebenen<br />

nicht vergleichbar ist. Der zweistufig gewählte Richter<br />

würde eine Unabhängigkeit erhalten, die er heute aufgrund<br />

seiner Beamtenposition nicht besitzt. Leistungsprinzip,<br />

die Laufbahnverordnung (Folge: dienstliche Beurteilungen!),<br />

und „Staatsgebundenheit“ (typisch: Einstellung<br />

auf Lebenszeit) gälten nicht. Ein Richter müßte nicht darauf<br />

schauen und achten, wie seine Entscheidungen ankommen.<br />

Nur dem Gesetz (und Recht) verpflichtet, wäre er wahrhaftig<br />

unabhängig.<br />

Die Unabhängigkeit könnte bezweifelt werden, weil die<br />

Richterstelle immer nur auf Zeit vergeben wird. Richtig<br />

gesehen darf der Gedanken, nach fünf Jahren nicht mehr<br />

wieder zum Richter berufen zu werden, nicht erheblich<br />

sein. Richter sollten gut, ja sehr gut dotiert werden. Ihre<br />

Altersversorgung hätten sie mit den Mitteln ihrer guten<br />

Dotierung sich selbst zu beschaffen. Nur deshalb die Richterberufung<br />

nicht auf Zeit zu begrenzen, weil beamtenmäßige<br />

Sorge (z. B. Beihilfe, Urlaub, Zuwendungen) und<br />

Versorgung einem Richter nicht mehr vom Dienstherrn gewährt<br />

werden, sollte nicht entscheidend sein. Denn: wer<br />

die Richterstellung nur wegen ihrer Sicherheit anstrebt,<br />

wird die richterliche Unabhängigkeit, die Wesensmerkmal<br />

des Richters sein soll, nicht erreichen.<br />

Die Richterberufung auf Zeit ist auch aus einem weiteren<br />

Grund geboten. Sie ist geboten nach dem Demokratieprinzip<br />

des Artikel 20 Grundgesetz. Nach diesem Prinzip<br />

geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Rechtsprechung, die<br />

Aufgabe des Richters, ist „Staatsgewalt“ im Sinn des Artikel<br />

20 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz. Als sogenannte dritte<br />

Gewalt wird sie in Artikel 20 Abs. 2 Grundgesetz besonders<br />

hervorgehoben.<br />

Die Befolgung des Demokratieprinzips für die Staatsgewalt<br />

„Rechtsprechung“ bedeutet, dass Richter als Träger<br />

dieser Staatsgewalt laufend legitimiert werden müssen.<br />

Diese Legitimation durch die Richterwahl der Abgeordneten<br />

des Landesparlamentes zu bewirken ist eine Lösung,<br />

die sachgemäß und praktikabel erscheint. Die Alternative<br />

etwa der Volkswahl, also der Wahl von Richtern durch<br />

wahlberechtigte Wähler, wäre nicht sinnvoll, dies deshalb<br />

nicht, weil bei der Richterwahl persönliche Voraussetzungen<br />

eine Rolle spielen, die Parlamentarier geeigneter beurteilen<br />

können als Wähler.<br />

Die Richterwahl durch das Landesparlament wird die<br />

Entscheidungen des Richters, die er im Namen des Volkes<br />

verkündet, nicht mehr als „anmaßend klingend“ seufzend<br />

hinnehmbar erscheinen lassen. Der Einfluss des Volkes auf


90<br />

die Besetzung von Richterstellen und damit das Richterverhalten<br />

als nur „molekular verdünnt“ zu bezeichnen, wie<br />

Adomeit es tat (NJW 99, 3469), wäre nach dem aufgezeigten<br />

Modell der Richterberufung nicht mehr möglich.<br />

3. Juristenausbildung<br />

Die Juristenausbildung beschäftigt die Juristen, seit<br />

die Befähigung zum Richteramt 1869 in Preußen Gesetz<br />

wurde. Typisch: der Deutsche Juristentag, die Vereinigung<br />

von Juristen aller Fachrichtungen mit rechtspolitischem<br />

Interesse, behandelte das Thema „Juristenausbildung“ seit<br />

1873 immer wieder, insgesamt bis 1998 an acht Juristentagen.<br />

Ergebnis: über die Grundfestlegung von 1869, die<br />

zweistufige Ausbildung in Studium und Praxis (Referendariat)<br />

kam man nicht hinaus.<br />

Der neueste Stand, diktiert von den leeren Kassen des<br />

Staates, ist: das Studium soll wichtiger, ja entscheidend<br />

werden. Sein neuer Name: „Praxisorientierte universitäre<br />

Juristenausbildung“. Das abschließende Examen soll „zur<br />

einheitlichen Befähigung für alle volljuristisch reglementierten<br />

Berufe“ führen (Justizministerkonferenz 1999, Beschlüsse<br />

I 1/2). Die Referendarzeit mit abschließendem<br />

zweiten Staatsexamen wird entfallen. An ihre Stelle soll<br />

treten eine „abschließende Berufseinarbeitungsphase in<br />

die volljuristisch reglementierten Berufe“.<br />

Wird das Ziel, das Referendariat abzuschaffen, verwirklicht,<br />

wird die Juristenausbildung in Deutschland erstmals<br />

seit über 130 Jahren identisch sein mit dem Studium<br />

der Rechte an der Universität. Ein Verlust? Richtig gesehen,<br />

nein. Der studierte Jurist wäre „ein Jurist für eine<br />

Einheit“ (Streck, <strong>Anwaltsblatt</strong> 1999, 598), ein Einheitsjurist.<br />

Die gleiche Ausbildung im Studium wäre für alle Juristen<br />

einheitlich. Dass die studierten Juristen, also wohl<br />

einmal Diplom-Juristen, keine fertigen Juristen wären, insbesondere<br />

auch keine perfekten Juristen, die in jedem juristischen<br />

Beruf sofort als sogenannte Volljuristen unbesehen<br />

einsetzbar wären, ist klar. Wäre das so schlimm?<br />

Natürlich nicht. Vergleicht man die Lage der Juristen etwa<br />

mit der der studierten Wirtschaftsfachleute, ist dies sofort<br />

zu verstehen. Die Diplom-Kaufleute etwa, die an der Universität<br />

Betriebswirtschaft studierten, sind in vielen Bereichen<br />

einsetzbar. Sie können Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer<br />

werden, das Wirtschaftsstudium verschafft<br />

ihnen dafür eine Voraussetzung.<br />

Studierte Juristen bekämen mit der Ausbildung an der<br />

Universität die Grundlage, weiterzukommen. Das abgeschlossene<br />

Jurastudium wäre, wenn der Makel, nicht Volljurist<br />

zu sein, gar nicht erst aufkäme, die Voraussetzung,<br />

in vielen Berufen unterzukommen. Die Möglichkeiten von<br />

Diplomjuristen, im Berufsleben juristisch zu arbeiten, dürften<br />

so vielfältig sein, dass die bisherigen Warnungen vor<br />

dem Jurastudium nicht mehr ertönen sollten. Denn: gerade<br />

Juristen aus allen Fachbereichen sollten sich freuen über<br />

junge Menschen, die rechtskundig werden wollen und dazu<br />

ein systematisches Studium an der Universität absolvieren.<br />

Wird Juristenausbildung künftig verstanden als Studium<br />

der Rechte an der Universität, wird es die müßige und<br />

letztlich fruchtlose Diskussion über die Juristenausbildung<br />

künftig so nicht mehr geben. Die Diskussion zur Juristenausbildung<br />

wird sich beschränken auf den Inhalt, die Dauer<br />

und den Abschluss des Jurastudiums. Einvernehmen hierzu<br />

zu erreichen dürfte unproblematisch sein.<br />

Die neue Sicht der Juristenausbildung hat Folgen für<br />

die traditionellen Juristenberufe. Dass der Richter nicht<br />

AnwBl 2/2000<br />

Meinung & Kritik<br />

ausgebildet werden kann, sondern in seine Stellung zu berufen<br />

ist, wurde dargelegt. Dass studierte Juristen nach bestimmter<br />

Praxis heute schon Steuerberater und Wirtschaftsprüfer<br />

werden können, ist zu wiederholen. Dass studierte<br />

Juristen die geeigneten Personen für Rechtspfleger bei der<br />

Justiz wären, liegt auf der Hand. Die Fachhochschulausbildung<br />

der Rechtspfleger könnte durch das Universitätsstudium<br />

ersetzt werden. Rechtspfleger mit Praxis von zehn Jahren<br />

wären nach Erreichen der Altersgrenze vielfach die<br />

geeignetsten Anwärter für Richterstellen.<br />

Die Rechtsanwälte wären der Juristenberuf mit den<br />

meisten Juristen. Hier wäre es richtig, studierten Juristen<br />

nach dreijähriger juristischer Praxis die Anwaltsprüfung<br />

zu ermöglichen, eine Prüfung ähnlich der der Steuerberater.<br />

Die juristische Praxis für die Zulassung zur Prüfung<br />

sollte und dürfte nicht fachlich begrenzt sein, d. h. der<br />

Rechtspfleger müßte sie genauso ablehnen können wie der<br />

Verwaltungsbeamte/Verwaltungsangestellte oder der beim<br />

Rechtsanwalt beschäftigte Diplomjurist. Mit bestandener<br />

Prüfung, für die eine Altersgrenze eines Bewerbers nicht<br />

festzulegen wäre, würde den Diplomjuristen die zusätzliche<br />

Qualifikation „Anwalt“ verschaffen. Sie wäre die Voraussetzung,<br />

die Zulassung als Rechtsanwalt zu erwerben. Die<br />

Stellung des Rechtsanwaltes würde zur selbständigen geschäftsmäßigen<br />

Besorgung von Rechtsangelegenheiten legitimieren,<br />

dies, wie es heute nach der Bundesrechtsanwaltsordnung<br />

geregelt wird. Die weiteren Folgen der<br />

Rechtsanwaltszulassung wie Kammergebundenheit und Altersversorgungspflicht<br />

sind bekannt, sie zu ändern besteht<br />

keine Veranlassung. Das gilt auch für die weiteren Qualifikationen<br />

für Rechtsanwälte, die Fachanwaltschaften, die<br />

im übrigen auch wieder juristische Praxis ganz wesentlich<br />

zur Voraussetzung haben.<br />

Rechtsanwalt Hermann Kreß, Nürnberg<br />

Ausbildungsreform II<br />

Zu Bischof, Kilger, Streck, AnwBl 1999, 595 ff.<br />

Es mag im Interesse mancher liegen, den Einheits-Volljuristen<br />

als abstrakte Umschreibung eines allkompetenten<br />

Juristen zu bewahren. Jedoch stellt sich im Hinblick auf<br />

die Juristenausbildung die Frage, was im Interesse der<br />

konkret Betroffenen – u. a. der Anwältinnen und Anwälte<br />

von morgen – interessengerecht ist?<br />

Die Frage ist nicht – wie Bischof meint – „Was muss in<br />

der Referendarzeit unabdingbar gelernt werden?“; vielmehr<br />

müssen die Fragen lauten. „Was muss man unbedingt<br />

lernen, wenn man als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt<br />

arbeiten will (oder muss)?“ und „Was muss man unbedingt<br />

lernen, wenn man Richter, Staatsanwalt, Notar oder<br />

Verwaltungsjurist werden will?“.<br />

Die auf das Zweite juristische Staatsexamen (die Befähigung<br />

zum Richteramt) ausgerichtete Referendarzeit kann<br />

für die potentiellen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />

nicht leisten, was eine Ausbildung in der Anwaltschaft leisten<br />

kann: Nur hier geht es um die Vertretung der Interessen<br />

einzelner, um Auftreten und Verhandeln im Interesse<br />

des Mandanten und um unternehmerisches Denken im<br />

ureigensten Interesse; es geht um die Ermittlung des relevanten<br />

Sachverhalts, wobei nicht nur – wie beim Richter –<br />

der juristisch relevante Sachverhalt gemeint ist, sondern<br />

auch der soziale, wirtschaftliche und emotionale. Dies ist<br />

oft unerlässliche Voraussetzung für eine interessengerechte<br />

Vertretung des Mandanten.


AnwBl 2/2000 91<br />

Meinung & Kritik<br />

Es sollte zu denken geben, dass viele etablierte Anwälte<br />

sagen, sie würden gerne eine junge Kollegin oder einen<br />

jungen Kollegen einstellen, wenn sie nur die anwaltliche<br />

Arbeit beherrschten; leider seien diese Wunschkandidaten<br />

fast nicht zu finden. Viele der frischgebackenen Volljuristen<br />

von heute realisieren nämlich erst nach Bestehen des<br />

Examens, dass sie den Anwaltsberuf ergreifen müssen. Sie<br />

sind oft nicht in der Lage, diesen Beruf sofort auszuüben.<br />

Die Entscheidung zum Anwaltsberuf wird passiv gefällt.<br />

Eine Reform, die im Ergebnis eine aktive und frühzeitige<br />

Berufsentscheidung der Auszubildenden mit sich bringt, ist<br />

daher zu bevorzugen und dringend geboten.<br />

Rechtsanwältin Ulrike Gantert, Markt Schwaben<br />

Fachanwalt für Insolvenzrecht<br />

– Zusatzqualifikation ohne Marktchancen? –<br />

Rechtsanwalt Wolfgang Arens, Fachanwalt für Steuerrecht<br />

und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bielefeld<br />

1. Fachanwalt für Insolvenzrecht<br />

Glaubt man den statistischen Angaben, dann gibt es im<br />

Bundesgebiet bestenfalls 600 aktive Insolvenzverwalter, die<br />

mehr oder weniger regelmäßig von den Insolvenzgerichten<br />

mit vorläufigen Insolvenzverwaltungen bzw. Insolvenzverwaltungen<br />

beauftragt werden. Inzwischen gibt es bekanntlich<br />

nach der Fachanwaltsordnung auch die Zusatzqualifikation<br />

zum „Fachanwalt für Insolvenzrecht“. Seit vielen<br />

Monaten bieten einige renommierte Veranstalter auch die<br />

dazu gehörigen Grundkurse bzw. Fachlehrgänge an. Die<br />

Zahl der Teilnehmer an diesen Fachlehrgängen dürfte inzwischen<br />

bei weitem die Zahl der aktiven Insolvenzverwalter<br />

in der Bundesrepublik übersteigen. Haben die Teilnehmer<br />

an diesen Fachlehrgängen überhaupt eine Aussicht<br />

auf künftige Berücksichtigung als Gutachter (vorläufige<br />

Insolvenzverwalter) bzw. Insolvenzverwalter? Für die meisten<br />

Teilnehmer dürfte diese Frage mit einem klaren<br />

„nein!“ zu beantworten sein.<br />

2. Marktchancen<br />

Spricht man über diese Thematik mit den zuständigen<br />

Insolvenzrichtern, so kann man als fast einhellige Meinung<br />

der Insolvenzrichterschaft hören, dass keinerlei Absichten<br />

bestehen, über den Kreis der derzeit aktiven (vorläufigen)<br />

Insolvenzverwalter hinaus in nennenswertem Umfang auch<br />

neue oder weitere Kollegen als (vorläufige) Insolvenzverwalter<br />

zu bestellen. Gerade auch bezogen auf die Zusatzqualifikation<br />

des „Fachanwalts für Insolvenzrecht“ sind<br />

Insolvenzrichter regelmäßig der Meinung, dass daraus<br />

keinerlei Anspruch auf „bevorzugte“ Berücksichtigung<br />

bei der Vergabe von (vorläufigen) Insolvenzverwaltungen<br />

resultiere. Gerade weil die Tätigkeit des (vorläufigen) Insolvenzverwalters<br />

eine hohe Verantwortung und eine<br />

hohe Sachkenntnis erfordere, bestehe eher die Tendenz,<br />

die Aufträge auf wenige versierte und mit der entsprechenden<br />

Büroorganisation ausgestattete aktive Verwalter<br />

zu reduzieren.<br />

Auch diejenigen Tätigkeiten, die durch die Neuregelung<br />

der Insolvenzordnung 1999 zusätzlich zu erledigen sind,<br />

dürften kaum geeignet sein, darauf eine Berufsperspektive<br />

für einen Freiberufler, insbesondere Rechtsanwalt oder<br />

Steuerberater, zu eröffnen. Weder die Tätigkeit als Sach-<br />

walter bei der Eigenverwaltung noch die Tätigkeit als<br />

Treuhänder im Rahmen der Verbraucherinsolvenz bzw. der<br />

Restschuldbefreiung sind von der Honorierung her so ausgelegt,<br />

dass bei Berücksichtigung der üblichen Kostenfaktoren<br />

einer Freiberuflerpraxis eine betriebswirtschaftlich<br />

ausreichende Rendite erwirtschaftet werden könnte.<br />

Vor diesem Hintergrund erscheint mir die Erlangung<br />

der Zusatzqualifikation „Fachanwalt für Insolvenzrecht“<br />

als „Muster ohne Wert“. Die Fachanwaltsordnung bzw. die<br />

Zusatzqualifikation geht also am Bedarf vorbei, wenn nicht<br />

eine Reformierung der Fachanwaltsordnung erfolgt.<br />

3. Das Sanierungsrecht als Tätigkeitsgebiet<br />

Jeder Rechtsanwalt (und auch jeder Steuerberater), der<br />

schwerpunktmäßig mit wirtschaftsrechtlichen Fragen bzw.<br />

mit der Beratung und Vertretung mittelständischer Unternehmen<br />

befasst ist, weiß jedoch, dass seine Tätigkeit zu<br />

spät kommt, wenn das Insolvenzereignis über das Mandanten-Unternehmen<br />

hinweg geht. Der Beratungs- und Vertretungsbedarf<br />

besteht in aller Regel vielmehr bereits im Vorfeld,<br />

nämlich bei Beginn der „Krise“. Betrachtet man die<br />

juristische Ausbildung, wird einem schnell bewusst, dass<br />

gerade betriebswirtschaftliche, steuerrechtliche und bilanzrechtliche<br />

Kenntnisse, ferner aber auch arbeitsrechtliche<br />

und wirtschaftsstrafrechtliche Spezialkenntnisse nicht<br />

vermittelt werden, die bei der Beratung und Vertretung in<br />

der „Krise des Unternehmens“ dringend erforderlich sind.<br />

Viele tausend Rechtsanwälte würden sich im Rahmen ihrer<br />

wirtschaftsrechtlichen Tätigkeit solche vertiefenden Kenntnisse<br />

im Zusammenhang mit einer Zusatzqualifikation<br />

wünschen.<br />

Entsprechendes gilt auch für die Bedarfsseite. Es besteht<br />

sicherlich ein Markt für besonders qualifizierte Berater<br />

(Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater),<br />

die eine kompetente und seriöse Beratung in der „Krise<br />

des Unternehmens“ zu deren Überwindung leisten könnten.<br />

Natürlich gehören dazu auch spezifisch insolvenzrechtliche<br />

Kenntnisse. Was aber darüber hinaus erforderlich ist,<br />

sind vertiefende Kenntnisse im Bereich der Betriebswirtschaft<br />

(Erkennen der Frühwarnsignale für Unternehmenskrisen,<br />

betriebswirtschaftliche Restrukturierungsmaßnahmen),<br />

im Bereich des Gesellschaftsrechts (Maßnahmen und<br />

Rechtsregeln für die Aufbringung, Erhaltung, Sicherung<br />

und Wiederherstellung des Kapitals, Haftung der Gesellschafter<br />

und der Geschäftsführer, Eigenkapitalersatzrecht<br />

Umwandlungsrecht etc.), im Bereich des Steuerrechts<br />

(Umwandlungsteuerrecht, Verlustnutzung), im Bereich des<br />

Arbeitsrechts (Individual- und Kollektivarbeitsrecht, Arbeitszeitrecht,<br />

Betriebsänderungen, Betriebsübergang, Mitbestimmungsfragen)<br />

und nicht zuletzt auch im Bereich des<br />

Wirtschaftsstrafrechts.<br />

4. Fachanwalt für Sanierungs- und Insolvenzrecht<br />

Was also fehlt, ist der „Fachanwalt für Sanierungs- und<br />

Insolvenzrecht“ bzw. die dazu erforderliche Anpassung der<br />

Fachanwaltsordnung. Der Markt für solche qualifizierte<br />

Beratungstätigkeit scheint – insbesondere in Zeiten der<br />

Wirtschaftsrezession – in ausreichendem Maße zu bestehen.<br />

Der „Fachanwalt für Sanierungs- und Insolvenzrecht“<br />

braucht dann selbstverständlich einerseits das Vertrauen<br />

seiner Mandanten, um frühzeitig bei Krisensituationen<br />

hinzugezogen zu werden und andererseits hinreichende<br />

Autorität gegenüber seinen Mandanten, um frühzeitige und


92<br />

wirksame Sanierungsmaßnahmen durchzusetzen. Der<br />

Fachanwaltstitel wird ihm dabei nicht viel helfen, sicherlich<br />

aber die dahinter stehende Fachkompetenz.<br />

Im Übrigen wird auch einem Insolvenzverwalter eine<br />

zusätzliche Kompetenz im Bereich der Sanierung gut zu<br />

Gesicht stehen, da nach der neuen Insolvenzordnung (InsO<br />

1999) erklärtermaßen auch in der Insolvenz die Sanierung<br />

vor der Zerschlagung stehen soll. Die dafür vorgesehenen<br />

Mechanismen des neuen Insolvenzrechts werden dafür<br />

sicherlich – das haben die ersten Monate der Geltung der<br />

InsO hinreichend belegt – nicht ausreichend sein.<br />

Justizreform<br />

Am 24.11.1999 fand die alljährliche ordentliche Mitgliederversammlung<br />

des Ludwigshafener Anwaltsvereines<br />

statt. Dabei wurden die Pläne des Bundesministeriums der<br />

Justiz zur Änderung der ZPO und des GVG ausführlich<br />

diskutiert.<br />

Bekanntlich soll die Möglichkeit des Bürgers, erstinstanzliche<br />

Urteile einem Berufungsverfahren umfassend<br />

überprüfen zu lassen, erheblich eingeschränkt werden. Die<br />

Vorstellungen des BMJ haben sich dahingehend verdichtet,<br />

dass die Berufung einer Zulassung bedarf, die nur bei<br />

grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und bei hinreichender<br />

Erfolgaussicht zu gewähren ist. Der Prüfungsumfang<br />

des Berufungsverfahrens soll dahingehend beschränkt<br />

werden, dass das Berufungsgericht an die rechtsfehlerfreie<br />

Tatsachenfeststellung des Gerichtes erster Instanz gebunden<br />

ist (Bericht zur Rechtsmittelreform in Zivilsachen, S.<br />

8, 2., S. 62, 2; BRAK-Mitteilung 4/1999, S. 171 f.). Danach<br />

soll neuer Tatsachenvortrag im Berufungsverfahren nur<br />

noch ganz eingeschränkt möglich sein.<br />

Der Ludwigshafener Anwaltsverein ist uneingeschränkt<br />

gegen diese Reformpläne. Insbesondere sind wir der Auffassung,<br />

dass es möglich sein muss, in jeder Tatsacheninstanz,<br />

also auch im Berufungsverfahren, ohne Einschränkungen<br />

umfassend zu dem Sachverhalt, der Grundlage der das Verfahren<br />

abschließenden Entscheidung sein soll, vorzutragen.<br />

Nach den Reformbestrebungen würden wesentliche Bürgerrechte<br />

unter dem Deckmantel größerer „Bürgernähe“ und<br />

„Effizienz der Justiz“ geopfert.<br />

Aus Sicht des Ludwigshafener Anwaltsvereins ist die<br />

Haltung des DAV zu diesem Komplex außerordentlich unbefriedigend.<br />

Während vor Ort bereits Veranstaltungen der<br />

örtlichen Berufsvereinigungen stattfanden, die entsprechend<br />

ihrer nur regionalen Bedeutung natürlich nur begrenzt<br />

Wirkung entfalten konnten, kommt der DAV seiner<br />

Verpflichtung, bundesweit und öffentlichkeitswirksam eindeutig<br />

Position zu beziehen, nicht nach. Nachdem das BMJ<br />

bereits für Dezember 1999 die Vorlage des Referentenentwurfes<br />

angekündigt hat, kommt eine Veranstaltung des DAV<br />

im Februar 2000, in der der einzunehmende Standpunkt<br />

erst ermittelt werden soll, viel zu spät. Wir sind insbesondere<br />

der Auffassung, dass die Anwaltschaft eine andere<br />

Position, als das Reformvorhaben uneingeschränkt abzulehnen,<br />

im Interesse der rechtsuchenden Bürger nicht einnehmen<br />

darf. Das Argument, die Anwaltschaft würde sich<br />

primär wegen eigener materieller Interessen dieses Problemes<br />

annehmen, brauchen wir nicht zu fürchten: Anwälte<br />

nehmen berufsmäßig – also gegen Entgelt – die Interessen<br />

rechtsuchender Bürger wahr. Dies ist keine Schande sondern<br />

eine rechtsstaatliche Notwendigkeit. In diesem Zusammenhang<br />

darf auch keine Rolle spielen, dass „unartiges“<br />

Verhalten der Anwaltschaft in dieser Frage mit der Verweigerung<br />

der längst wieder fälligen Gebührenanpassung<br />

„bestraft“ zu werden droht.<br />

Es wurde daher – einstimmig – beschlossen, Ihnen mitzuteilen,<br />

dass der Ludwigshafener Anwaltsverein aus dem<br />

DAV austreten wird, wenn die Reform wie vom BMJ beabsichtigt,<br />

verwirklicht wird, ohne das der DAV dagegen eindeutig<br />

und unverzüglich Stellung bezogen und wirksame<br />

Maßnahmen veranlasst hat. Wir gehen dabei davon aus,<br />

dass eine maßgebliche Beeinflussung der Gesetzgebung angesichts<br />

des fortgeschrittenen Stadiums der Planung nur<br />

noch über die Öffentlichkeit möglich ist. Orientierungsmaßstab<br />

bei der Frage, welche Maßnahmen im einzelnen in Betracht<br />

zu ziehen sind, kann das erfolgreiche Vorgehen der<br />

Ärzteschaft gegen die geplante Gesundheitsreform sein.<br />

Im Sinne einer offenen Diskussion bitten wir Sie, dieses<br />

Schreiben kurzfristig im <strong>Anwaltsblatt</strong>, dessen Redaktion wir<br />

bereits eine Abschrift überlassen haben, zu veröffentlichen.<br />

Weiterhin haben wir allen DAV-Mitgliedsvereinen eine Abschrift<br />

übersandt.<br />

Mitgeteilt von dem Vorstand des Ludwigshafener<br />

Anwaltvereins<br />

Buchhinweis<br />

AnwBl 2/2000<br />

Meinung & Kritik<br />

Handwörterbuch des Arbeitsrechts für die tägliche Praxis – HwB<br />

AR; hrsg. und bearb. v. Dr. Karlheinz Bürger, Vors. Richter am<br />

LAG Hamm a. D., Dr.Werner Oehmann, Präsident des LAG Baden<br />

Württemberg a. D., Dr. h.c. Hans-Christoph Matthes,Vors. Richter<br />

am BAG a. D., Kristina Göhle-Sander, Vizepräsidentin des LAG<br />

Hamm und Dr. Kurt Kreizberg, Rechtsanwalt, Loseblattwerk in 3<br />

Ordnern; 6.270 Seiten;198 DM zzgl. 95; Ergänzungslieferung zum<br />

Preis von 78 DM, Forkel Verlag, Hüthig GmbH, Heidelberg, ISBN<br />

3-7719-3027-8.<br />

Das Arbeitsrecht ist durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und<br />

tarifliche Regelungen dauernden Veränderungen unterworfen. Das<br />

Handwörterbuch des Arbeitsrechts bietet rasche und gezielte Informationen<br />

über die zentralen Begriffe des Arbeitsrechts. 230 im<br />

Arbeitsrecht gebräuchliche Stichworte machen es leicht, auf jede<br />

Frage schnell eine zuverlässige Antwort zu finden. Entsprechende<br />

Hinweise auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts<br />

und der unteren Instanzen ermöglichen ein Vertiefen der Materie.<br />

Wichtiger Bestandteil des Werkes sind die Arbeitshilfen für die<br />

betriebliche Praxis. Die Formularmuster/Musterverträge und Checklisten<br />

werden jeweils in Anschluß an die systematische Darstellung<br />

abgedruckt, so daß diese für den Bezieher schnell zur Hand sind.<br />

Neben den arbeits- und sozialrechtlichen Problemstellungen sind<br />

auch Themen der Personalführung und der Personalverwaltung von<br />

Autoren mit Erfahrung aus der betrieblichen Praxis dargestellt und<br />

aufbereitet worden. Über 40 namhafte Autoren aus der Gerichtsbarkeit,<br />

Anwaltschaft und Betriebspraxis halten die Stichworte stets auf<br />

dem neuesten Stand der Gesetzgebung und Rechtsprechung.<br />

Daneben bietet das Handwörterbuch des Arbeitsrechts eine Sammlung<br />

von Gesetzestexten, bei deren Auswahl den Bedürfnissen der<br />

betrieblichen Praxis Rechnung getragen wurde. Neben zentralen<br />

arbeitsrechtlichen Vorschriften sind die relevanten Bestimmungen<br />

des EG-Rechts, dessen Bedeutung ständig zunimmt, sowie die<br />

wichtigsten Vorschriften des Sozialrechts abgedruckt, die zunehmend<br />

Einfluß auf das Arbeitsrecht haben. Die Hwb AR-news informieren<br />

über Pressemitteilungen des Bundesarbeitsgerichts und<br />

der Verbände, wichtige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts,<br />

des Bundesarbeitsgerichts und anderer Gerichte sowie<br />

über die aktuelle Gesetzgebung auf dem Gebiet des Arbeitsrechts<br />

und des Sozialrechts noch vor Aktualisierung der einzelnen Stichworte<br />

durch die Autoren.<br />

Red.


AnwBl 2/2000 93<br />

PR-Referat<br />

Forderungen für ein eigenständiges<br />

Justizressort in Berlin<br />

Der DAV hat zusammen mit dem<br />

Deutschen Richterbund seine ablehnende<br />

Haltung hinsichtlich der Zusammenlegung<br />

der Justizverwaltung mit der Senatskanzlei<br />

in Berlin bekräftigt. Der<br />

DAV sieht mit großer Sorge, dass mit<br />

einer Zusammenlegung eine wesentliche<br />

Errungenschaft des freiheitlichen<br />

Rechtsstaates, nämlich der Trennung<br />

der politischen Verantwortlichkeit für<br />

Verwaltung und Justiz, aufgegeben<br />

wird. Damit wird der Gefahr Vorschub<br />

geleistet, dass Interessenskonflikte, die<br />

sich aus der Tätigkeit der Exekutive<br />

und den Aufgaben der die Rechtmäßigkeit<br />

ihres Handelns kontrollierenden<br />

Justiz notwendigerweise ergeben, nicht<br />

mehr offen ausgetragen und entschieden<br />

werden können. Der Präsident des<br />

Deutschen Anwaltvereins, Rechtsanwalt<br />

Dr. Michael Streck, wandte sich<br />

auch in einem persönlichen Schreiben<br />

an den Berliner Regierenden Bürgermeister<br />

Eberhard Diepgen, meldet dpa<br />

am 2.12.1999. „Der Deutsche Anwaltverein<br />

sprach von einem grundsätzlich<br />

verfehlten Organisationsansatz“,<br />

schreibt die taz am 1.12.1999. Die Berliner<br />

Zeitung berichtet am 6.12.1999<br />

darüber, dass der DAV die Zusammenlegung<br />

als eine Missachtung der Dritten<br />

Gewalt ansieht.<br />

Steuerrecht<br />

Beim November-Jour fixe des DAV<br />

stand Rechtsanwalt und Steuerberater<br />

Dr. Ingo Flore, Vorsitzender des<br />

Steuerrechtsausschusses des DAV, den<br />

zahlreichen Journalistinnen und Journalisten<br />

Rede und Antwort. Nach<br />

Einschätzung Flores wird die den<br />

Koalitionen im Rahmen der Unternehmenssteuerreform<br />

ab 2001 geplante<br />

Bevorzugung einbehaltener Gewinne<br />

zu einem Run in die Unternehmensform<br />

der GmbH führen. „Die GmbH<br />

wird zu einem neuen Steuersparmodell<br />

werden“, wird Dr. Flore im Handelsblatt<br />

vom 19.11.1999 zitiert.<br />

Bei diesem Jour fixe stellte Dr.<br />

Flore auch die Vorstellung des DAV<br />

zur Rückholung von Fluchtgeldern vor.<br />

Der DAV empfiehlt ein spanisch-baskisches<br />

Modell, berichtet das Handelsblatt.<br />

Der DAV schlägt eine Amnestie<br />

für Steuersünder vor. Damit könne ins<br />

Ausland transferiertes Geld wieder<br />

nach Deutschland zurück geholt werden.<br />

Voraussetzung für einen Straferlass<br />

sei, dass die Bürger den von<br />

ihnen hinterzogenen Steuerbetrag<br />

sechs Jahre lang dem Staat zu einem<br />

Zinssatz von 2% zur Verfügung stellen.<br />

„Im Gegenzug ist der Bürger nach<br />

sechs Jahren straffrei und muss keine<br />

Hinterziehungszinsen zahlen“, so<br />

Dr. Flore in einem Interview mit<br />

dem Nachrichtenmagazin Focus am<br />

21.11.1999. Dieses Interview fand<br />

auch Eingang in die Agenturmeldung<br />

von ADN vom 21.11.1999. Diese Vorschläge<br />

des DAV wurden beispielsweise<br />

auch in den Dresdner Neuesten<br />

Nachrichten, dem Hamburger<br />

Abendblatt und der Berliner Morgenpost<br />

am 22.11.1999 vorgestellt.<br />

Der DAV wendet sich gegen die geplante<br />

Ausweitung der Pflicht zur<br />

Bilanzprüfung auf eine Reihe mittelständischer<br />

Unternehmen. Das sog.<br />

Kapitalgesellschaften- und Co-Richtliniengesetz<br />

unterwirft in zahlreichen<br />

Fällen die GmbH & Co. KG einer<br />

Pflicht zur Prüfung ihrer Jahresbilanz<br />

durch Wirtschaftsprüfer oder vereidigte<br />

Buchprüfer. Der DAV forderte daher<br />

eine Übergangsregelung. „Anwälten<br />

und Steuerberatern, die bislang mittelgroße<br />

Kapitalgesellschaften betreut<br />

hätten, müsse der Zugang zum Prüferabschluss<br />

erleichtert werden, sagte<br />

DAV-Präsident Dr. Michael Streck“,<br />

schreibt die FAZ am 11.12.1999.<br />

Der Sendung Frontal des Zweiten<br />

Deutschen Fernsehens gab Dr. Streck<br />

am 19.11.1999 ein Interview zum<br />

Steuerstrafrecht.<br />

Rechtsanwälte<br />

Die großen Rechtsanwaltskanzleien<br />

befinden sich im Sog der Globalisierung,<br />

schreibt die Süddeutsche Zeitung<br />

am 27.11.1999. „Größer werdende<br />

Unternehmen verlangen größer<br />

werdende Kanzleien, die an vielen Orten<br />

präsent sind, alle Sparten abdecken<br />

und binnen kurzer Zeit die nötige Personalstärke<br />

aufbringen, um komplexe<br />

Probleme zu lösen. Dennoch wird es<br />

auch künftig den Einzelanwalt geben,<br />

die kleine Kanzlei mit 10 bis 25 und<br />

die große mit mehr als 25 Anwälten“,<br />

wird Rechtsanwalt Dr. Michael Streck<br />

zitiert. Ähnlich äußerte sich Dr. Streck<br />

auch in der Welt am Sonntag vom<br />

26.12.1999.<br />

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung<br />

widmete sich am 15.12.1999 in<br />

einem Beitrag dem Urteil des Bundes-<br />

verfassungsgerichts, das die Bestimmung<br />

des Berufsrechts für verfassungswidrig<br />

erklärt hat, wonach ein<br />

Anwalt kein Urteil zu Lasten eines<br />

zum Gerichtstermin nicht erscheinenden<br />

Kollegen beantragen dufte, wenn<br />

er dies nicht zuvor angekündigt hat.<br />

Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher,<br />

stellvertretender Hauptgeschäftsführer<br />

des DAV, sagte der FAZ, dass die Entscheidung<br />

umso bedeutsamer sei, als<br />

vom kommenden Jahr an Anwälte in<br />

Zivilprozessen nicht mehr nur vor<br />

einem einzigen Landgericht, an dem<br />

sie zugelassen sind, sondern bundesweit<br />

auftreten könnten. Über das Urteil<br />

berichtete auch die Nachrichtenagentur<br />

ADN am 14.12.1999<br />

Der Arbeitskreis Insolvenzrecht im<br />

DAV hat Rechtsanwalt Horst Piepenburg,<br />

Düsseldorf, zum neuen Vorsitzenden<br />

gewählt, schreibt recht intern<br />

am 8.12.1999. Der Arbeitskreis will<br />

sich künftig neben seiner bisherigen<br />

Ausrichtung auf Insolvenzverwalter<br />

auch für alle Kolleginnen und Kollegen<br />

öffnen, die sich für das Insolvenzrecht<br />

interessieren.<br />

Juristenausbildung<br />

„Der DAV hat keine grundsätzlichen<br />

Bedenken gegen das Modell der Justizministerkonferenz,<br />

fordert aber eine<br />

Abschlussprüfung, deren Bestehen<br />

Voraussetzung für die Zulassung zur<br />

Anwaltschaft sein müsse“, schreibt die<br />

Zeitschrift RechtsreferendarInfo in<br />

ihrer Ausgabe 4/99. „Der DAV wiederholte<br />

mit Nachdruck seine Forderung<br />

nach einer Interimslösung, die die aus<br />

anwaltlicher Sicht bestehenden Defizite<br />

der derzeitigen Juristenausbildung<br />

wenigstens im Vorbereitungsdienst abbaut“,<br />

schreibt Jumag in der November-/Dezemberausgabe<br />

99. Der Hochschulanzeiger<br />

vom 1.12.1999 berichtete<br />

über die Möglichkeiten für Juristen,<br />

sich europarechtlich zu orientieren.<br />

„Beispielsweise arbeiten Juristen in<br />

Kanzleien, in der Wirtschafsprüfung<br />

oder machen Lobbyarbeit in Brüssel“,<br />

wird Rechtsanwalt Swen Walentowski,<br />

Sprecher des DAV, zitiert.<br />

Rund ums Verkehrsrecht<br />

Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />

im DAV ehrte Rechtsanwalt und<br />

Notar Alfred Fleischmann mit der Verleihung<br />

des Richard-Spiegel-Preises.<br />

„Ganze Generationen von Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälten haben<br />

ihr verkehrsrechtliches Wissen der Do-


94<br />

zententätigkeit von Alfred Fleischmann<br />

zu verdanken“, wird der Vorsitzende<br />

der Arbeitsgemeinschaft,<br />

Rechtsanwalt Hans-Jürgen Gebhard,<br />

in der Gelnhauser Neuen Zeitung<br />

vom 14.12.1999 und im Hanauer Anzeiger<br />

vom 13.12.1999 zitiert.<br />

Nach dem neuen § 142 Abs. 4<br />

StGB macht sich ein Unfallbeteiligter<br />

nicht strafbar, sofern er sich bei einem<br />

Sachschaden bis 2.000 DM innerhalb<br />

von 24 Stunden freiwillig meldet,<br />

nachdem er den Unfallort verlassen<br />

hat. Der DAV wies im Herforder<br />

Kreisblatt vom 27.11.1999 jedoch darauf<br />

hin, dass sich nur derjenige freiwillig<br />

melden könne, der noch nicht<br />

von amtswegen ermittelt wurde.<br />

Unter dem Vorwurf der groben<br />

Fahrlässigkeit verweigern Versicherer<br />

zunehmend die Zahlung an die Geschädigten.<br />

Gegen solche Zahlungsverweigerungen<br />

in Härtefällen macht der<br />

DAV schon seit längerer Zeit Front,<br />

weiß die Kölnische Rundschau am<br />

13.11.1999 zu berichten.<br />

Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />

im DAV gibt monatlich drei neue<br />

und interessante Urteile mit ihrem<br />

Pressedienst heraus. Dieser Pressedienst<br />

wird regelmäßig in einer Vielzahl<br />

von regionalen und überregionalen<br />

Tageszeitungen abgedruckt: Der<br />

Pressedienst ist so erfolgreich, dass<br />

aus Platzgründen auf eine Darstellung<br />

im <strong>Anwaltsblatt</strong> verzichtet werden<br />

muss. Eine Darstellung findet sich<br />

aber auf den Internetseiten des DAV.<br />

Informationstechnologie<br />

Der DAV warnte mit einer Pressemitteilung<br />

vor Fax-Betrügern, die immer<br />

wieder die Unwissenheit der Mitbürgerinnen<br />

und Mitbürger ausnutzen.<br />

In dem konkreten Fall wurden Unternehmen,<br />

Hoteliers usw. von angeblichen<br />

Interessenten mit diversen Anfragen<br />

angefaxt, die gleichzeitig um<br />

genaueste Antworten und Angebote<br />

per Rückfax baten. Als Faxnummer<br />

wurde die 0103301 90821524 angegeben.<br />

Beim „Zerlegen“ der Nummer<br />

stellt man fest, dass es sich um eine gebührenpflichtige<br />

0190ziger Nummer<br />

mit der kostenträchtigen Endziffer 8<br />

handelt. Diese Warnung verbreiteten<br />

die Nachrichtenagenturen dpa und<br />

ADN am 7.12.1999. Diese in einer Vielzahl<br />

regionaler und überregionaler Tageszeitungen<br />

abgedruckte Warnung<br />

wurde beispielsweise im Ruppiner Anzeiger<br />

vom 14.12.1999 wiedergegeben.<br />

Der Sender RTL widmete sich am<br />

1.12.1999 in seiner Mittagssendung<br />

dem „Recht im Internet“. Dem Sender<br />

stand Rechtsanwalt Oliver Klein, Mitglied<br />

der Arbeitsgemeinschaft Informationstechnologie<br />

im DAV, Düsseldorf,<br />

Rede und Antwort.<br />

„Unternehmensrechtliche Notfallplanungen<br />

sollten aller spätestens jetzt<br />

(1999) noch einmal überprüft werden,<br />

um beim Jahreswechsel 1999/2000<br />

Produkthaftungsfälle zu vermeiden“,<br />

schreibt die Bielefelder Zeitung am<br />

2.12.1999.<br />

Sonstiges<br />

Der DAV hatte seit langem die Abschaffung<br />

der Kronzeugenregelung gefordert.<br />

Die Sendung „Mittagsecho“<br />

am 3.12.1999 des NDR widmete sich<br />

diesem Thema. Den Standpunkt des<br />

DAV erläuterte Rechtsanwalt und Notar<br />

Eberhard Kempf, Vorsitzender des<br />

Strafrechtsausschuses des DAV.<br />

Die Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft<br />

Strafrecht im DAV beschäftigte<br />

sich auch dem Thema der zunehmenden<br />

Ermittlung gegen Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte wegen<br />

des Verdachts der Geldwäsche. Die<br />

Arbeitsgemeinschaft warnte davor,<br />

dass nicht nur Drogenhändler künftig<br />

ohne Verteidiger ihre Prozesse durchstehen<br />

müssten. Anwälte würden kein<br />

Mandat mehr übernehmen, wenn sie<br />

anschließend dafür selber vor Gericht<br />

gestellt werden könnten. Rechtsanwalt<br />

und Notar Eberhard Kempf forderte<br />

ein „Mindestmaß an Schutz für die<br />

Verteidiger“. Gegen sie dürfe nur dann<br />

ermittelt werden, wenn sie von der illegalen<br />

Herkunft der Gelder „sicher“<br />

wüssten, berichtet die Frankfurter<br />

Rundschau am 13.11.1999. „Die Anwendung<br />

der Geldwäschevorschriften<br />

auf Rechtsanwälte bedrohe das rechtsstaatliche<br />

Institut der freien Verteidigerwahl“,<br />

wird der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft<br />

Strafrecht im DAV,<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Dr. Volkmar<br />

Mehle, ebenfalls in der Frankfurter<br />

Rundschau zitiert.<br />

Die Nachrichtenagentur ntv widmete<br />

sich in einer Sendung am 23.11.1999<br />

dem Thema Insolvenzrecht. Für den<br />

DAV hat Rechtsanwalt Dr. Wolfgang<br />

Schröder, Berlin, den Termin wahrgenommen<br />

und erläuterte die rechtlichen<br />

Zusammenhänge.<br />

Das Gebaren von Kredithaien und<br />

die damit verbundene Abtretung von<br />

Lebensversicherungen war Thema der<br />

Sendung Plusminus der ARD. Die<br />

Rechtslage hierbei erläuterte Rechtsanwalt<br />

Kurt Engels, Hamburg, Mitglied<br />

des Ausschusses Zivilprozessund<br />

Gerichtsverfassung des DAV.<br />

AnwBl 2/2000<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Über die Chancen und Risiken von<br />

Rechtsschutzversicherungen berichtete<br />

der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft<br />

Versicherungsrecht im DAV,<br />

Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van Bühren,<br />

in einem Interview mit der Zeitschrift<br />

Hörzu am 18.12.1999.<br />

Auf der Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft<br />

Familien- und Erbrecht<br />

im DAV wurden mehr Rechte für<br />

gleichgeschlechtliche Partnerschaften<br />

eingefordert. Fragen des Unterhalts,<br />

des Erbfalles sowie des Vermögensund<br />

Wohnrechts müssten umfassend<br />

geregelt werden, meldet ADN am<br />

26.11.1999. Daneben empfahl der<br />

DAV eine umfassende Vorsorge für den<br />

Krankheits- und Todesfall. Die Öffentlichkeit<br />

müsse stärker für mögliche<br />

Regelungen wie Testament, Vorsorgevollmacht<br />

und Patientenverfügung sensibilisiert<br />

werden.<br />

Die Zeit widmete sich am<br />

25.11.1999 auf Grund der Vorgänge<br />

um den Konzern Philipp Holzmann<br />

dem Thema Insolvenzrecht. Rechtsanwältin<br />

Sigrun Römer, Mitglied des Arbeitskreises<br />

Insolvenzrecht des DAV,<br />

erläuterte hier die Unterschiede des<br />

neuen Insolvenzrechtes gegenüber dem<br />

früheren.<br />

Aus Platzgründen erscheint im <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

nur eine gekürzte Version<br />

des Beitrages. Die ausführliche Berichterstattung<br />

finden Sie als „Medienecho<br />

auf die Arbeit des DAV“ im<br />

Internet unter „www.anwaltverein.de/<br />

03/06/index.html“.<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski, Bonn<br />

Deutsche Anwaltauskunft<br />

Die Deutsche Anwaltauskunft benennt<br />

jetzt auch Anwälte im Ausland<br />

Die Ratsuchenden, die sich per<br />

Telefon oder Internet an die Deutsche<br />

Anwaltauskunft wenden, um eine Anwältin<br />

oder einen Anwalt vermittelt zu<br />

bekommen, haben nun auch die Möglichkeit,<br />

sich Anwältinnen und Anwälte<br />

im Ausland benennen zu lassen,<br />

die Mitglied im DAV sind.<br />

Damit konnte der Service der Deutschen<br />

Anwaltauskunft wesentlich verbessert<br />

werden. Die Mitbürgerinnen<br />

und Mitbürger finden beispielsweise<br />

bei einem Erbfall in der Toskana oder<br />

Unternehmensgründung in Madrid die<br />

passende Anwältin oder den passenden<br />

Anwalt vor Ort. Dies ist für die Ratsuchenden<br />

nicht mit weiteren Kosten<br />

verbunden. Entscheidend ist, dass nun<br />

auch die DAV-Mitglieder, die im Aus-


AnwBl 2/2000 95<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

land tätig sind, durch die Anwaltauskunft<br />

benannt werden können.<br />

Es ist daher von Bedeutung, mit<br />

welchen Daten die Kolleginnen und<br />

Kollegen, auch die im Ausland tätigen,<br />

bei der Deutschen Anwaltauskunft gespeichert<br />

sind. Um ihre Daten zu überprüfen<br />

und ggf. auch mit Tätigkeitsund<br />

Interessenschwerpunkten zu ergänzen,<br />

kann die Deutsche Anwaltadresse<br />

(Telefon 0228/963<strong>65</strong>-34 oder -35, Telefax<br />

0228/963<strong>65</strong>-36) angerufen oder<br />

angefaxt werden, damit man sich seinen<br />

Datenbogen zufaxen lassen kann,<br />

um ggf. Änderungen und Ergänzungen<br />

vornehmen zu können.<br />

Nachdem die Bewerbung der Deutschen<br />

Anwaltauskunft nun in den ersten<br />

Gelben Seiten gestartet ist, wird<br />

auch die Benennung von Anwältinnen<br />

und Anwälten im Ausland durch die<br />

Deutsche Anwaltauskunft der Presse<br />

mitgeteilt.<br />

Weiterhin großer Beliebtheit erfreuen<br />

sich die „Tipps des Monats“ der<br />

Deutschen Anwaltauskunft. Hierbei<br />

handelt es sich um in Verbrauchersprache<br />

gekleidete Rechtsfragen des alltäglichen<br />

Lebens. Diese werden in einer<br />

Vielzahl regionaler und überregionaler<br />

Tageszeitungen unter Nennung der Telefonnummer<br />

und der Internetadresse<br />

der Deutschen Anwaltauskunft ebenso<br />

veröffentlicht wie in vielen Anzeigenblättern<br />

und Zeitschriften:<br />

Die kalte Jahreszeit bringt viele Probleme<br />

mit sich. So wird immer wieder<br />

versucht, einen von Frost „tiefgekühlten“<br />

Wageninnenraum mit einem Heizlüfter<br />

aufzuwärmen. Gerät das Fahrzeug hierdurch<br />

in Brand, zahlt auch die Kaskoversicherung<br />

nicht für den Schaden, wie<br />

sich aus einem Urteil des Oberlandesgerichts<br />

Hamm (AZ: 20 U 216/96) ergibt.<br />

Ein vermeintlich findiger Autobesitzer<br />

hatte einen Heizlüfter in seinen<br />

Wagen gestellt und das Gerät 15 Minuten<br />

lang unbeaufsichtigt laufen lassen.<br />

Er taute damit nicht nur seinen Wagen<br />

auf, sondern der Innenraum überhitzte<br />

sich binnen kurzer Zeit und der Wagen<br />

fing Feuer. Seine Klage gegen die zahlungsunwillige<br />

Versicherung blieb erfolglos,<br />

da das Gericht das Verhalten des<br />

Klägers als nicht entschuldbar und äußerst<br />

leichtfertig eingestuft hatte. Diesen<br />

von der Deutschen Anwaltauskunft mitgeteilten<br />

Fall verbreitete dpa in einer<br />

Meldung am 6.12.1999. Diese Meldung<br />

fand u. a. Eingang in die NeueWestfälische,<br />

das Bielefelder Tageblatt und den<br />

Ostseeanzeiger Stralsund.<br />

Kommunen müssen nicht überall<br />

streuen. Das Landgericht Hildesheim<br />

hat bereits 1997 entschieden (AZ: 3 O<br />

501/96), dass die Gemeinden keine uneingeschränkte<br />

Räumungs- und Streupflicht<br />

trifft. Nur Verkehrswege, die als<br />

wichtig einzustufen sind, von besonders<br />

vielen Verkehrsteilnehmern genutzt<br />

werden oder potentiell gefährlich sind,<br />

müssen regelmäßig gestreut werden.<br />

Dies gilt beispielsweise für wichtige<br />

Kreuzungen, Straßen und für Fußgängerüberwege,<br />

berichtet der Ostsee Anzeiger<br />

Bad Doberan am 15.12.1999.<br />

Hierüber informierte auch der Sprecher<br />

des Deutschen Anwaltvereins, Rechtsanwalt<br />

Swen Walentowski, die Hörer<br />

des Verbrauchermagazins des Hessischen<br />

Rundfunks 4 am 9.12.1999.<br />

Im Falle einer Scheidung sollten<br />

die Ehepartner ihren Versicherungsschutz<br />

überprüfen. So ist eine nicht erwerbstätige<br />

Ehefrau zwar während der<br />

Trennungszeit auch weiterhin über den<br />

Ehemann in der Krankenversicherung<br />

versichert. Nach der Scheidung aber<br />

endet dieser Versicherungsschutz, so<br />

die Deutsche Anwaltauskunft. Diesen<br />

Tipp verbreitete dpa am 7.12.1999<br />

und ADN am 9.12.1999. U. a. wurden<br />

die Leser des Allgäuer Anzeigenblattes<br />

am 22.12.1999 hierüber informiert.<br />

Dass sowohl die ehelichen als auch<br />

die nichtehelichen Mütter Anspruch<br />

auf Zahlung von Unterhalt vom Kindesvater<br />

haben und über die weiteren<br />

rechtlichen Zusammenhänge von<br />

Unterhaltsansprüchen, informierte die<br />

Deutsche Anwaltauskunft im Oktober<br />

1999. Dieser Rechtstipp wurde u. a.<br />

im Ostsee Anzeiger Riegnitz-Dammgarten<br />

am 24.11.1999 veröffentlicht.<br />

Von einem Reisevertrag kann nur<br />

dann ohne Kostenfolge zurück getreten<br />

werden, wenn man sich auf höhere<br />

Gewalt berufen kann. Höhere Gewalt<br />

liegt dann vor, wenn das Ereignis<br />

weder in die Risikosphäre des Reiseveranstalters<br />

noch in die des Reisenden<br />

fällt. Politische Unruhen oder Krisen<br />

im Zielgebiet werden von Fall zu Fall<br />

unterschiedlich beurteilt. Sollte es bei<br />

der Beurteilung der Frage, ob höhere<br />

Gewalt vorliegt, zu Streitigkeiten mit<br />

dem Reiseveranstalter kommen, empfiehlt<br />

die Deutsche Anwaltauskunft,<br />

sich mit einer Anwältin oder einem Anwalt<br />

in Verbindung zu setzen, schreibt<br />

der Fränkische Tag am 23.11.1999.<br />

Erleidet jemand schuldlos einen<br />

Unfall, so ist er so zu stellen wie er<br />

ohne diesen stehen würde. Zu ersetzen<br />

sind auch notwendige Kosten der<br />

Rechtsverfolgung – mithin grundsätzlich<br />

auch die Kosten, die dadurch entstehen,<br />

dass eine Rechtsanwältin oder<br />

ein Rechtsanwalt eingeschaltet wird.<br />

Nur dann, wenn dies ganz und gar<br />

nicht erforderlich erscheint, wird der<br />

Gang zum Rechtsanwalt als entbehrlich<br />

angesehen, meldet die Karmener<br />

Zeitung am 19.11.1999.<br />

Derjenige Kraftfahrer, der alkoholbedingt<br />

fahruntüchtig ist und trotzdem<br />

meint, sein Kraftfahrzeug führen zu<br />

müssen, geht nicht nur ein strafrechtliches<br />

Risiko, sondern auch ein erhebliches<br />

versicherungsrechtliches Risiko<br />

ein. Dies wird leider zu oft übersehen.<br />

Verursacht er in Folge der Fahruntüchtigkeit<br />

einen Verkehrsunfall, verliert er<br />

nicht nur einen eventuell bestehenden<br />

Versicherungsschutz in der Vollkaskoversicherung.<br />

Auch im Rahmen der<br />

Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung hat<br />

eine Trunkenheitsfahrt erhebliche finanzielle<br />

Folgen. „Wegen dieser rechtlichen<br />

Konsequenzen sollte stets ein<br />

anwaltlicher Rat eingeholt werden.<br />

Den für diesen Bereich passenden Anwalt<br />

benennt die Deutsche Anwaltauskunft<br />

unter ...“, schreibt der Ostsee Anzeiger<br />

Bad Doberan am 27.10.1999.<br />

Dass der letzte Wille nur eine Formalität<br />

ist, schreibt die Berliner Morgenpost<br />

am 14.12.1999. Über die Anforderungen<br />

an ein solches Testament informierte die<br />

Deutsche Anwaltauskunft.<br />

Die Deutsche Anwaltauskunft berichtete<br />

über einen Fall, bei dem der<br />

Vermieter die Miete über die Höhe der<br />

Nebenkosten vollkommen im Unklaren<br />

gelassen hat. Dies veranlasst, darauf<br />

hinzuweisen, dass es sich für Mieter<br />

und Vermieter lohnen kann, auch<br />

schon bei Abschluss eines Mietvertrages<br />

eine Rechtsanwältin oder einen<br />

Rechtsanwalt einzuschalten, um so die<br />

Rechte und Pflichten kennen zu lernen<br />

und vor bösen Überraschungen gefeit<br />

zu sein, schreibt Hallo Ramersdorf<br />

am 18.11.1999.<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski, Bonn<br />

ARGE Baurecht<br />

15. Baurechtstagung in<br />

Frankfurt am Main<br />

Die Arbeitsgemeinschaft für privates<br />

Bau- und Architektenrecht im DAV<br />

veranstaltet die<br />

15. Baurechtstagung zum Thema<br />

„Schlichtung am Bau /<br />

Das neue Werkvertragsrecht“


96<br />

am 17./18. März 2000 (Fr./Sa.)<br />

in Frankfurt am Main, Hotel Intercontinental<br />

(Nähe Mainufer).<br />

Tagungsbeitrag: 330 DM für Mitglieder<br />

der ARGE Baurecht und des<br />

Forums Junger Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälte; 420 DM für Nichtmitglieder.<br />

Weitere Auskünfte und Anmeldungsunterlagen<br />

erhalten Sie beim<br />

Veranstaltungsbüro der ARGE Baurecht<br />

c /o Deutsche Anwaltakademie,<br />

Herrn Baas, Ellerstraße 48, 53119<br />

Bonn, Telefon: 02 28 /983 66 34, Telefax:<br />

02 28 /983 66 - 67.<br />

Einladung zur<br />

Mitgliederversammlung 2000<br />

Der Geschäftsführende Ausschuss<br />

der ARGE Baurecht im Deutschen Anwaltverein<br />

lädt alle Mitglieder ein zur<br />

Mitgliederversammlung 2000<br />

am Samstag, dem 18. März 2000,<br />

13.00 Uhr in Frankfurt am Main,<br />

Hotel Intercontinental<br />

(Wilhelm-Leuschner-Straße 43)<br />

Vorschlag zur Tagesordnung:<br />

1. Begrüßung, Eröffnung, Formalia<br />

2. Jahresbericht für 1999<br />

3. Bericht des Schatzmeisters für<br />

1999<br />

4. Bericht der Kassenprüfer<br />

5. Aussprache und Entlastung<br />

6. Wahl zum Geschäftsführenden<br />

Ausschuss<br />

7. Wahl der Kassenprüfer für<br />

2000<br />

8. Information, Diskussion und<br />

Beschlussfassung zur Initiative<br />

der Einführung einer Fachanwaltschaft<br />

Baurecht<br />

9. SO Bau – Sachstand und Aktivitäten<br />

10. Verschiedenes<br />

Die Mitgliederversammlung 2000<br />

findet statt unmittelbar im Anschluss<br />

an die 15. Baurechtstagung der ARGE<br />

Baurecht am 17./18. März 2000 im<br />

Interconti Frankfurt, zum Thema<br />

„Schlichtung am Bau/Das neue Werkvertragsrecht“.<br />

Die Teilnahme allein an der Mitgliederversammlung<br />

ist beitrags- und<br />

anmeldefrei.<br />

Anmeldungen für die 15. Baurechtstagung<br />

(Beitrag für Mitglieder<br />

330 DM, gemeinsames Abendessen zu-<br />

sätzlich pro Person o. Getränke<br />

95 DM) sind an das Veranstaltungsbüro<br />

der ARGE Baurecht bei der Deutschen<br />

Anwaltakademie, Ellerstraße 48,<br />

53119 Bonn, Telefon: 0228/9836634,<br />

Telefax: 0228/98366-67, zu richten.<br />

AG Medizinrecht<br />

Einladung zur Zweiten Mitgliederversammlung<br />

und Frühjahrstagung<br />

der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht<br />

im Deutschen Anwaltverein am 31.<br />

März und 1. April 2000 in Hamburg<br />

Der Geschäftsführende Ausschuss<br />

der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht<br />

im Deutschen Anwaltverein lädt alle<br />

Mitglieder sehr herzlich zur Zweiten<br />

Mitgliederversammlung ein, die am<br />

Sonnabend, 1. April 2000 von 15 bis<br />

ca. 16 Uhr in Hamburg, Hotel Inter-<br />

Continental, Hamburg, Fontenay 10,<br />

20354 Hamburg, Telefon: 040/41420,<br />

Telefax: 0 40/41422299 stattfinden<br />

wird. Die Mitgliederversammlung findet<br />

im Anschluss an die Zweite Frühjahrstagung<br />

der Arbeitsgemeinschaft,<br />

die am Freitag, 31. März 2000 um<br />

13.30 Uhr im Hotel InterConti beginnt,<br />

statt. Einen Hinweis zum Fachprogramm<br />

finden Sie in diesem <strong>Heft</strong>.<br />

Eine Anzeige in <strong>Anwaltsblatt</strong> 1/2000<br />

hat Sie bereits vorab über das Fachprogramm<br />

informiert.<br />

Der Geschäftsführende Ausschuss<br />

gibt die Tagesordnung der Mitgliederversammlung<br />

wie folgt bekannt:<br />

1. Geschäftsbericht des Vorsitzenden<br />

des Geschäftsführenden Ausschusses<br />

2. Bericht des Schatzmeisters<br />

3. Aussprache<br />

4. Entlastung des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

5. Wahl eines Kassenprüfers/ einer<br />

Kassenprüferin<br />

6. Berichte aus den Arbeitsgruppen<br />

7. Weitere Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft<br />

und ihrer Arbeitsgruppen<br />

8. Verschiedenes<br />

Anträge zur Tagesordnung sind<br />

spätestens 21 Tage vor der Mitgliederversammlung<br />

beim Geschäftsführenden<br />

Ausschuss eingehend unter der<br />

Anschrift Adenauerallee 106, 53113<br />

Bonn zu stellen und müssen von mindestens<br />

zehn Mitgliedern unterstützt<br />

werden.<br />

AnwBl 2/2000<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Der Teilnehmerbeitrag für das<br />

Fach-Programm beträgt für Mitglieder<br />

300 DM, für Nicht-Mitglieder 500 DM<br />

und für Mitglieder des Forums Junge<br />

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />

200 DM.<br />

Wegen weiterer Informationen und<br />

Ihrer Anmeldung wenden Sie sich<br />

bitte an die Deutsche Anwaltakademie,<br />

Frau Lankarani, Ellerstraße 48,<br />

53119 Bonn, Telefon: 0228/9836632,<br />

Telefax: 0228/9866667.<br />

Mitgliederversammlung und<br />

zweite Frühjahrstagung<br />

Die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht<br />

lädt vom 31. März bis 1. April<br />

2000 zu ihrer zweiten Mitgliederversammlung<br />

und Frühjahrstagung nach<br />

Hamburg ein. Das Fachprogramm<br />

beginnt am Freitag, 31. März 2000 um<br />

13.30 Uhr.<br />

Es werden folgende Themen behandelt:<br />

9 Selbständiges Beweisverfahren im<br />

Arzthaftungsrecht – Pro und Contra,<br />

9 Ambulantes Operieren – von der<br />

Diagnose bis zur Nachsorge,<br />

9 Krankenhausrecht – Versorgungsverträge,Wahlleistungsvereinbarungen,<br />

Rechtsberatung von Patienten<br />

durch Verbraucherverbände und<br />

9<br />

Krankenkassen?,<br />

Ausgewählte Probleme aus der Rechtsprechung<br />

zum Vertragsarztrecht,<br />

9 Kooperation im Gesundheitswesen<br />

aus der Sicht des Kartellrechtlers,<br />

und Soziale Krankenversicherung<br />

und Vertragsarztrecht im Lichte des<br />

Wettbewerbs- und Europarechts.<br />

Eine Vorankündigung zum Fachprogramm<br />

finden Sie in <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

1/2000.<br />

Die Mitgliederversammlung beginnt<br />

am Sonnabend, 1. April 2000<br />

um 15 Uhr.<br />

Die Teilnehmergebühr für das<br />

Fach-Programm beträgt für Nicht-<br />

Mitglieder 500 DM, für Mitglieder<br />

300 DM und für Mitglieder des Forums<br />

Junge Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälte 200 DM.<br />

Anmeldungen und weitere Informationen<br />

bei der Deutschen Anwaltakademie,<br />

Frau Lankarani, Ellerstraße 48,<br />

53119 Bonn, Telefon: 0228/9836632,<br />

Telefax: 0228/9836667.


98<br />

AG Verkehrsrecht<br />

Alfred Fleischmann – 70 Jahre<br />

alt und fünfter Richard-<br />

Spiegel-Preisträger<br />

Am 9.12.1999 ist Alfred Fleischmann<br />

70 Jahre alt geworden. Als<br />

Gründungsvorsitzender leitete er die<br />

Geschicke der Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht des DAV von 1979 bis<br />

1985 und gehörte dem Geschäftsführenden<br />

Ausschuss bis zur Mitgliederversammlung<br />

1999 an, auf der er sich<br />

nicht zur Wiederwahl stellte. Alfred<br />

Fleischmann hat sich um die Entwicklung<br />

der Arbeitsgemeinschaft hochverdient<br />

gemacht; sie ist zum guten Teil<br />

„sein Kind“, nicht nur wegen der Tätigkeit<br />

im Leitungsgremium, sondern<br />

auch in der Fortbildungsarbeit. Diese<br />

Aktivitäten widmete und widmet er<br />

nicht nur der Arbeitsgemeinschaft,<br />

sondern schon seit 1970 der Fortbildungsarbeit<br />

des Deutschen Anwaltvereins<br />

bzw. der Deutschen Anwaltakademie.<br />

Alle die ihn kennen, schätzen<br />

nicht nur seine Fachkompetenz, sondern<br />

auch seine menschlichen Qualitäten,<br />

insbesondere seine Warmherzigkeit.<br />

Aus diesen Gründen war es nur<br />

konsequent, dass der Geschäftsführende<br />

Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht beschlossen hat, Alfred<br />

Fleischmann mit dem Richard-Spiegel-Preis<br />

auszuzeichnen. Sein 70. Geburtstag<br />

war der geeignete Verleihungszeitpunkt.<br />

Die<br />

Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />

gab zu seinen Ehren einen Empfang,<br />

an dem hochrangige Gäste wie Generalbundesanwalt<br />

Kay Nehm, der Präsident<br />

des Brandenburgischen Staatsgerichtshofs<br />

und Oberlandesgerichts Dr.<br />

Peter Macke und die Oberbürgermeisterin<br />

der Stadt Hanau, die auch Grußworte<br />

sprach, teilnahmen. Die Laudatio,<br />

in den Mitt. der AG Verkehrsrecht<br />

abgedruckt, hielt der erste Träger des<br />

Richard-Spiegel-Preises VRiBGH a. D.<br />

Dr. Erich Steffen, der Alfred Fleischmann<br />

über viele Jahre fachlich und<br />

persönlich eng verbunden ist.<br />

Rechtsanwalt und Notar<br />

Dr. Georg Greißinger, Hildesheim<br />

Mitgliederversammlung 2000<br />

1. Mitgliederversammlung<br />

Der Geschäftsführende Ausschuss<br />

der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />

des Deutschen Anwaltvereins lädt alle<br />

Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft<br />

ein zur<br />

Mitgliederversammlung 2000<br />

am Freitag, den 5. Mai 2000,<br />

18.00 Uhr im Dorint Hotel, Eichgasse/<br />

Ludwigstraße, 97070 Würzburg (Telefon:<br />

0921/3054-0; Telefax: 0921/<br />

3054-423).<br />

Tagesordnung<br />

1. Begrüßung durch den Vorsitzenden<br />

des Geschäftsführenden Ausschusses<br />

2. Tätigkeitsbericht des Vorsitzenden<br />

des Geschäftsführenden Ausschusses<br />

3. Kassenbericht des Schatzmeisters<br />

4. Prüfungsbericht der Kassenprüfer<br />

5. Aussprache zu den Punkten 2 -4<br />

6. Entlastung des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

7. Wahl zweier Kassenprüfer<br />

8. Verschiedenes<br />

Im Anschluss an die Mitgliederversammlung<br />

ist für die Teilnehmer ein<br />

zwangloses Beisammensein im traditionellen<br />

„Bürgerspital“ in der Würzburger<br />

Innenstadt vorgesehen (Selbstzahler).<br />

2. Fachveranstaltung<br />

Am Samstag, den 6. Mai 2000,<br />

9.30 bis 17.00 Uhr findet auf der<br />

Festung Marienburg in Würzburg die<br />

bundesweite Fortbildungsveranstaltung<br />

Die Rechtsprechung des BGH in<br />

Verkehrssachen im Jahre 1999<br />

statt. Referenten sind der Richter am<br />

BGH Dr. Jürgen von Gerlach (Zivilrecht),<br />

der Richter am BGH Dr. Klaus<br />

Tolksdorf (Strafrecht) und der Richter<br />

am BGH Wolfgang Römer (Versicherungsrecht).<br />

(Teilnehmerbeitrag: 350 DM für<br />

Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht, 450 DM für Nichtmitglieder.)<br />

Um 19.00 Uhr findet am Samstagabend<br />

für alle Teilnehmer und Begleitpersonen<br />

in der Würzburger Residenz<br />

(Staatlicher Hofkeller) eine Weinprobe<br />

statt (Selbstzahler).<br />

Für weitere Auskünfte und Anmeldung<br />

zur Fortbildungsveranstaltung<br />

und zur Mitgliederversammlung wenden<br />

Sie sich bitte an:<br />

Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des<br />

DAV, Veranstaltungsorganisation U.<br />

Wendling, Hirschmannstraße 7, 53359<br />

Rheinbach, Telefon: 0 22 26 /91 20 91;<br />

Telefax: 0 22 26 /91 20 95<br />

Anwaltakademie<br />

AnwBl 2/2000<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Agrarrecht-Seminar in Goslar<br />

Das Seminar der Deutschen Anwalt<br />

Akademie in Zusammenarbeit<br />

mit der Deutschen Gesellschaft für<br />

Agrarrecht in Goslar vom 4.-<br />

8.10.1999 war wiederum von 80 Teilnehmern<br />

besucht. Der fast kontinuierlich<br />

starke Besuch spricht für das Bedürfnis<br />

der ständigen Weiterbildung<br />

auf dem Gebiet des Landwirtschaftsrechts.<br />

Das Seminar nimmt daher<br />

praktisch die Aufgaben einer Arbeitsgemeinschaft<br />

des Deutschen Anwalt<br />

Vereins wahr. Der Seminarleiter, Dr.<br />

Henning Wolter, Hamm, hatte wiederum<br />

für ein vielseitiges<br />

Tagungsprogramm mit kompetenten<br />

Referenten gesorgt. Zu den jährlichen<br />

Standardreferaten gehören die Berichte<br />

über die Rechtsprechung im<br />

landwirtschaftlichen Erb-, Grundstücksverkehrs-<br />

und Landpachtrecht,<br />

die Entwicklung des landwirtschaftlichen<br />

Steuerrechts, die neuen Entwicklungen<br />

in Gesetzgebung, Rechtsprechung<br />

und Verwaltungspraxis<br />

beim Umweltrecht im Agrarbereich.<br />

Diese Standardreferate wurden wiederum<br />

durch Referate über einzelne Spezialgebiete<br />

ergänzt. So wurde über<br />

den Stand des Entschädigungs- und<br />

Ausgleichsgesetzes sowie der Flächenerwerbsverordnung<br />

nach der Entscheidung<br />

der EU-Kommission vom<br />

22.12.1998 berichtet Im Erbrecht<br />

wurde die Problematik bei den Bodenreformflächen<br />

behandelt. Im Rahmen<br />

des klassischen Erbrechts wurden die<br />

rechtlichen Probleme bei dem Anfall<br />

von hofes- und hofesfreiem Vermögen<br />

sowie die Probleme der Erbfolge und<br />

Übergabe landwirtschaftlicher Betriebe<br />

in der notariellen Praxis behandelt.<br />

Weitere Themen waren das landwirtschaftliche<br />

Nachbar- und Immissionsrecht<br />

und der Wildschaden.<br />

Das Seminar wurde durch ein ausführliches<br />

Referat über die materiellrechtliche<br />

Bedeutung der Rechtsprechung<br />

des EuGH für die nationale<br />

Landwirtschaft abgerundet.<br />

Rechtsanwalt und Notar<br />

Dr. Heinrich Wilhelm Rinck,<br />

Rotenburg (Wümme)


AnwBl 2/2000 99<br />

EUROPA<br />

Patentanwälte in Europa<br />

– Europäische Kommission leitet Vertragsverletzungsverfahren<br />

gegen EG-Mitgliedstaaten ein –<br />

Die Europäische Kommission beschlossen, wegen verschiedener<br />

Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht an Deutschland,<br />

Portugal, Frankreich, Luxemburg und Italien mit<br />

Gründen versehene Stellungnahmen (1. Stufe des Vertragsverletzungsverfahren<br />

gemäß Art. 226 EG) zu übermitteln,<br />

Die Kommission kann beschließen, beim Europäischen<br />

Gerichtshof (EuGH) gegen diese fünf Mitgliedstaaten zu<br />

klagen, sofern diese sich nicht innerhalb von zwei Monaten<br />

nach Erhalt der mit Gründen versehenen Stellungnahme zufriedenstellend<br />

dazu äußern. Von Bedeutung sind diese Verfahren<br />

für solche deutschen und EU-Kollegen, die sich in<br />

den betroffenen EG-Mitgliedstaaten betätigen wollen.<br />

1. Deutschland<br />

Die Beibehaltung von Vorschriften in der deutschen Patentanwaltsordnung<br />

über die Staatsangehörigkeit, den<br />

Wohnsitz in Deutschland und die Einrichtung einer Kanzlei<br />

in Deutschland sowie das Erfordernis von in anderen EU-<br />

Mitgliedstaaten niedergelassenen Patentanwälte, einen<br />

deutschen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, verstößt<br />

nach Auffassung der Europäischen Kommission gegen<br />

die Grundsätze der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit<br />

(Art. 43 bzw. 49 des EG-Vertrages).<br />

2. Portugal<br />

Patentanwälte, die nicht in Portugal niedergelassen<br />

sind, können keine Mandanten beim portugiesischen Amt<br />

für gewerbliches Eigentum (Instituto Nacional de Propriedade<br />

Industrial) vertreten. Die Europäische Kommission<br />

ist der Auffassung, dass diese portugiesischen Vorschriften<br />

für Patentanwälte eine Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs<br />

(Art. 49 EG-Vertrag) darstellen.<br />

3. Frankreich<br />

Nach den französischen Regeln für die Anmeldung von<br />

Patenten und den Beruf des Rechtsanwalts können nur Anwälte,<br />

die den erforderlichen Eignungstest bestanden haben<br />

und in dass französische Anwaltsverzeichnis aufgenommen<br />

worden sind, Mandanten vor dem für gewerbliches Eigentum<br />

zuständigen nationalen Amt vertreten. Zudem müssen<br />

alle Anwälte eine berufliche Niederlassung in Frankreich<br />

haben. Diese Bestimmungen verstoßen gegen den Grundsatz<br />

der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 des EG-Vertrages).<br />

Zudem verstoßen diese Bestimmungen gegen die Rechtsvorschriften<br />

über die gegenseitige Anerkennung von Diplomen.<br />

Damit rüge die Europäische Kommission erneut die<br />

zurzeit bestehende französische Rechtslage in Bezug auf<br />

Rechtsanwälte (vgl. bereits Zerdick, AnwBl 10/98, S. 27).<br />

4. Luxemburg<br />

Das luxemburgische Recht schreibt vor, dass nur registrierte<br />

Patentanwälte Patente anmelden können und dass<br />

der Anwalt sowohl einen Wohnsitz als auch eine Niederlassung<br />

in Luxemburg haben muss, oder aber die Adresse<br />

eines anderen in Luxemburg ansässigen und niedergelasse-<br />

nen Patentanwalts benutzen muss, wenn er in das Register<br />

aufgenommen werden will. Diese Vorschrift verstößt gegen<br />

den Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG-Vertrag).<br />

5. Italien<br />

Nach italienischem Recht müssen Patentanwälte in eine<br />

offizielle Liste aufgenommen sein, die dass italienische<br />

Patentamt führt. Zur Aufnahme die Liste muss der Anwalt<br />

über eine berufliche Niederlassung in Italien verfügen und<br />

eine Prüfung bestanden haben. Auch diese Bestimmungen<br />

verstoßen nach Ansicht der Kommission gegen den Grundsatz<br />

der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG-Vertrag).<br />

Rechtsanwalt Thomas Zerdick, LL.M., DAV Büro Brüssel<br />

(Quellen: Europäische Kommission; DAV Büro Brüssel)<br />

Buchhinweis<br />

Philipp Heinisch: Der juristische Blumenstrauß – Die hundert<br />

besten Blüten;Verlag Reno Service Berlin 1999, 69 DM<br />

Rechtzeitig zum Jahrhundertwechsel ist sie erschienen, – die erste<br />

Zusammenfassung seiner hundert besten Zeichnungen, eines kleinen<br />

Teils der Schaffenskraft von Philipp Heinisch. Hochwertig eingebunden<br />

und gedruckt, jeweils mit einem launigen, aber nicht<br />

minder treffenden Sinnspruch versehen, erweist sich das Buch als<br />

ein Feuerwerk unterschiedlicher Sichtweisen, beißender oder auch<br />

nachdenklicher Darstellungen, variantenreicher Techniken – eben<br />

eine Blütenvielfalt in Form eines juristischen Blumenstraußes. Dieser<br />

ist durchaus geeignet, bei entsprechenden Gelegenheiten den<br />

klassischen und realen zu ersetzen, ästhetisch und preislich vergleichbar<br />

und doch unvergleichlich länger haltbar und von vielfältigerem<br />

Nutzen.<br />

Detailliebe und tiefgründige Mehrdeutigkeit, gepaart mit einer<br />

immer vorhandenen Sympathie für die Justiz und ihre großen und<br />

kleinen Probleme, verlangen geradezu, daß man sich länger mit den<br />

einzelnen Bildern beschäftigt, die Auseinandersetzung sucht und immer<br />

wieder neue Eindrücke entdeckt – es sind „sprechende Bilder“,<br />

wie Philipp Heinisch seine Markenzeichen selbst bezeichnet.<br />

Guido Kirchhoff, Richter am Amtsgericht Darmstadt<br />

Zum Druck von Heinischs Kalenderdeckblatt in AnwBl 1999, 708 ist nachzutragen,<br />

daß der Kalender im Verlag ReNo Service GmbH Berlin erschienen<br />

ist.<br />

(S. 217 des bespr. Buchs)


100<br />

l<br />

6<br />

Postulationsfähigkeit 2000<br />

Der Bundesrat hat am 17. Dezember 1999 in Bonn den<br />

Wegfall der beschränkten Postulationsfähigkeit beschlossen.<br />

Dadurch können alle zugelassenen Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälte ab 1. Januar 2000 vor allen Land- und Familiengerichten<br />

in Deutschland auftreten. Obwohl dieses Gesetz<br />

mit der Rechtsvereinheitlichung begründet wird, wurde<br />

die Forderung des Deutschen Anwaltvereins nicht aufgegriffen,<br />

die Rechtsvereinheitlichung auch durch die Abschaffung<br />

des Gebührenabschlags in den neuen Bundesländern<br />

zu beschleunigen.<br />

„Der Deutsche Anwaltverein begrüßt, dass durch diese<br />

Änderung eine Vereinheitlichung der Verhältnisse in den<br />

neuen und alten Bundesländern herbeigeführt wird. Der<br />

Deutsche Anwaltverein hat keinerlei Verständnis und ist<br />

empört, dass der 10-prozentige Gebührenabschlag für die<br />

Rechtsanwaltsgebühren in den neuen Bundesländern 10<br />

Jahre nach der Wiedervereinigung nicht mit abgeschafft<br />

worden ist. Dies wäre die seit langem überfällige Gelegenheit<br />

gewesen, die Vereinheitlichung der Rechtspflege in<br />

den alten und neuen Bundesländern zu beschleunigen und<br />

herbeizuführen,“ erklärte Rechtsanwalt Dr. Michael<br />

Streck, Präsident des Deutschen Anwaltsvereins, in Bonn.<br />

Hauptsächlich an der Haltung der Justizminister in den neuen<br />

Bundesländern sei die Abschaffung des Gebührenabschlags<br />

gescheitert, die der DAV vehement im Gesetzgebungsverfahren<br />

gefordert hat.<br />

Das Änderungsgesetz war notwendig geworden, weil es<br />

nach der bisher vorgesehenen Übergangsregelung zu<br />

Rechtsunsicherheit gekommen war. Danach konnten die in<br />

den alten Bundesländern zugelassenen Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte ab 1. Januar 2000 überall in den alten<br />

Bundesländern auftreten. Teilweise war daraus geschlossen<br />

worden, dass auch die in den neuen Bundesländern zugelassenen<br />

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ab 1. Januar<br />

2000 in den alten Bundesländern auftreten könnten. Das<br />

Bundesministerium der Justiz vertrat hingegen die Auffassung,<br />

dass die in den neuen Bundesländern zugelassenen<br />

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ab dem 1. Januar<br />

2000 nur vor den Land- und Familiengerichten in den neuen<br />

Bundesländern postulationsfähig seien. Das nun beschlossene<br />

Gesetz sieht vor, dass die Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälte aus den neuen Bundesländern ab 1. Januar<br />

2000 in den alten Bundesländern auftreten dürfen. Zur<br />

Beschleunigung der Rechtsvereinheitlichung enthält das<br />

Gesetz außerdem den Wegfall der alten Übergangsregelung,<br />

so dass auch die in den alten Bundesländern zugelassenen<br />

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ab 1. Januar 2000 in<br />

den neuen Ländern postulationsfähig sind. Der ursprünglich<br />

erst für den 1. Januar 2005 vorgesehene Rechtszustand<br />

eines einheitlichen „Postulationsgebietes“ in der Bundesrepublik<br />

Deutschland wurde also auf den 1. Januar 2000 vorverlegt.<br />

(Pressemitteilung des DAV v. 17.12.1999)<br />

AnwBl 2/2000<br />

Gebührenberechnung und -festsetzung nach<br />

dem 1.1.2000<br />

Rechtsanwalt H. G. Graf Lambsdorff, Frankfurt am Main<br />

Ist eine Unterbevollmächtigung sinnvoll?<br />

Die auf nunmehr alle Länder erstreckte Aufhebung der<br />

Beschränkung der Postulationsfähigkeit vor den Landgerichten<br />

und Amtsgerichten ab 1. Januar 2000 bringt mannigfache<br />

Probleme der Gebührenrechnung und -festsetzung<br />

mit sich. Der Verfasser erörtert nachstehend die ersten Fragestellungen<br />

und hofft sehr auf ein Echo von anderen Kollegen.<br />

I. Übergangsregelungen<br />

Zunächst ist zu prüfen, wie in den Fällen verfahren werden<br />

kann, in denen noch vor dem Stichtag des 1.1.2000<br />

eine Klage (das gleiche gilt für Arrest- und Verführungsanträge)<br />

einer auswärtigen Partei von dem bislang örtlich zugelassenen<br />

Rechtsanwalt erhoben worden ist, der Verhandlungstermin<br />

oder ein weiterer Verhandlungstermin aber erst<br />

nach dem 1.1.2000 stattfindet.<br />

1. In diesem Falle kann der bisherige Verkehrsanwalt<br />

das Mandat selbst über- und den (weiteren) Verhandlungstermin<br />

wahrnehmen. Gebührenberechnung und -festsetzung<br />

regeln sich in diesem Falle nach den Grundsätzen des Anwaltwechsels.<br />

Da ein zwingender Grund für den Wechsel<br />

nicht gegeben ist, hat die Partei, die den Wechsel veranlasst<br />

hat, evtl. Mehrkosten selbst zu tragen. Da diese Mehrkosten<br />

zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich<br />

sind, besteht insoweit keine Kostenerstattungspflicht.<br />

Die Kostenerstattung ist nach dem bisherigen Grundsätzen<br />

vorzunehmen.<br />

2. Die Partei kann aber die Vertretung auch dem bisherigen<br />

Hauptbevollmächtigten belassen, unter Beibehaltung<br />

des eigenen Anwalts als Korrespondenzanwalt. Dies empfiehlt<br />

sich vor allem bei den bisher üblichen Gebührenvereinbarungen.<br />

Ich persönlich habe in diesen laufenden Fällen<br />

alles beim alten belassen, vor allem dann, wenn auch schon<br />

Vorschüsse gezahlt worden waren.<br />

Wenn die Partei die direkte Übernahme der Sache und<br />

Wahrnehmung des Termins durch den bisherigen Verkehrsanwalt<br />

wünscht, der bisherige Hauptbevollmächtigte aber<br />

schon einen Vorschuss gemäss der Gebührenvereinbarung<br />

erhalten hat, sollte ihm dieser belassen werden. Die Gebührenvereinbarung<br />

wird durch die neuen Gesetzregelungen<br />

nicht außer Kraft gesetzt.<br />

II. Regelung ab dem 1.1.2000<br />

Für die direkte Mandatserteilung und Terminswahrnehmung<br />

nach dem 1.1.2000 ist folgendes für die Kostenberechnung<br />

und -festsetzung zu beachten: „Die Aufhebung<br />

der Beschränkung der Postulationsfähigkeit macht den<br />

Rechtsanwalt zum Reiseanwalt“, heißt es bereits in der Werbung<br />

einer Autovermietungsfirma 1 . Ganz so schlimm wird<br />

1 Die Kanzlei <strong>Heft</strong> 1, Jahrgang 1, Seite IV.


AnwBl 2/2000 101<br />

Mitteilungen l<br />

es allerdings, wie aufzuzeigen sein wird, nicht kommen.<br />

Vor allem werden die hohen Kosten für gemietete Autos<br />

kaum im Kostenfestsetzungsverfahren erstattet werden.<br />

1. Kosten des anreisenden Anwalts<br />

In vielen Fällen wird der Rechtsanwalt zur Wahrnehmung<br />

des Termins anreisen. Es fragt sich, ob die dadurch<br />

der Partei entstehenden Mehrkosten erstattungsfähig sind.<br />

Zu den Reisekosten gemäss § 28 BRAGO zählen die reinen<br />

Fahrtkosten (Ziff. a), die Übernachtungs- und andere Nebenkosten<br />

(Ziff. b) und das Tage- und Abwesenheitsgeld<br />

(Ziff. c).<br />

a) Bei den reinen Fahrtkosten kann der Rechtsanwalt gegenüber<br />

der Partei die Kosten für die Benutzung eines<br />

PKW, in besonderen Fällen aber auch Flugkosten geltend<br />

machen. Sowohl für die Gebührenberechnung gegenüber<br />

der Partei als auch für die Erstattungsfähigkeit ist maßgebend,<br />

welches Verkehrsmittel kostengünstiger ist.<br />

Das Kfz mit derzeit 0,52 DM pro gefahrenen Kilometern<br />

gilt als das bequemste und zeitlich günstigste Verkehrsmittel<br />

2 . Bei größeren Entfernungen (ab 200 km) soll aber<br />

auch nach § 9 II des Zeugen- und Sachverständigenentschädigungsgesetzes<br />

(ZSEG) eine Überprüfung dahin erfolgen,<br />

ob nicht ein anderes Verkehrsmittel zeitlich und kostenmäßig<br />

günstiger wäre 3 . Bei einer entsprechenden Anwendung<br />

dieser Vorschrift (evtl. aktualisiert auf den heutigen Zeitpunkt)<br />

4 würde dies bedeuten, dass für die Erstattung zu<br />

prüfen wäre, ob gegenüber einer Kfz-Benutzung die Benutzung<br />

der Bundesbahn (1. Klasse ICE) günstiger wäre.<br />

Entgegen einer vereinzelt geäußerten Ansicht 5 muss die Ermäßigung<br />

durch die Bahncard der Partei und dem Prozessgegner<br />

nicht zugute kommen, da der Rechtsanwalt die<br />

Bahncard bezahlt hat. Flugkosten dürften gegenüber der<br />

Kfz-Nutzung und der Bahnfahrt niemals günstiger sein.<br />

Wenn man die Benutzung der 1. Klasse des ICE zugrunde<br />

legt, so ergeben sich die Preise aus den Preisübersichten<br />

der Bundesbahn, die dem großen Fahrplan beiliegen. Bei<br />

den Orten, die nicht von allen anderen Städten mit ICE zu<br />

erreichen sind (hierzu zählen übrigens noch Dresden und<br />

Leipzig) müssten die Preise erfragt werden.<br />

Aus den Preisübersichten für den ICE, die hier nicht<br />

tabellarisch wiedergegeben werden können, ergeben sich<br />

folgende Beispiele für die Rückfahrt 1. Klasse:<br />

Frankfurt – München 394 DM (über Stuttgart)<br />

Frankfurt – Hamburg 574 DM<br />

Berlin – Stuttgart 750 DM<br />

Hamburg – Stuttgart 730 DM<br />

Die Preise für die Rückfahrkarte liegen in keinem Fall,<br />

auch nicht bei den größten Entfernungen über 1.000 DM. Da<br />

die Preise für den ICE niedriger liegen, gilt dafür das gleiche.<br />

b) Zu diesen reinen Fahrtkosten sind die evtl. anfallenden<br />

Übernachtungskosten das Tage- und Abwesenheitsgeld<br />

zuzurechnen.<br />

Übernachtungskosten können nur berechnet und gegen<br />

den Gegner festgesetzt werden, wenn sie angemessen sind<br />

(keine Übernachtung in der Fürstensuite des Frankfurter<br />

Hofes) und der Termin vor 12:00 Uhr sollte in jeder bei<br />

einem auswärtigen Gericht eingereichten Klageschrift um<br />

Terminsanberaumung nach 12:00 Uhr gebeten werden; ein<br />

Beklagtenvertreter sollte, wenn schon am Vormittag terminiert<br />

worden ist, eine Verlegung auf eine Terminstunde<br />

nach 12:00 Uhr beantragen. Bei einer Anreise von Frankfurt<br />

nach München (Abfahrt 7:50 Uhr/Ankunft 11:20 Uhr ist<br />

eine Terminswahrnehmung nach 12:00 Uhr möglich. Die<br />

Übernachtungskosten sind notwendige Kosten der Rechts-<br />

verfolgung, wenn das Gericht die Terminsansetzung nach<br />

12:00 Uhr ablehnt.<br />

Das Tage- und Abwesenheitsgeld ist nach den aufgewendeten<br />

Stunden zu berechnen. Meist sind dies unter 8<br />

Stunden = 60 DM, bei mehr als 8 Stunden = 110 DM. Wir<br />

wollen demgemäß zwei Berechnungsbeispiele für eine<br />

durchschnittliche und für eine teurere Reise aufstellen:<br />

Beispiel 1<br />

Fahrt Frankfurt – Göttingen und zurück<br />

a) reine Fahrtkosten 278,00 DM<br />

b) Übernachtungskosten entfällt ./.<br />

c) Abwesenheitsgeld ca. 7 Std. 60,00 DM<br />

338,00 DM<br />

+ 16% MWSt. 54,08 DM<br />

392,08 DM<br />

Beispiel 2<br />

Fahrt Frankfurt – München und zurück<br />

a) reine Fahrtkosten 394,00 DM<br />

b) Übernachtungsgeld soll hier ebenfalls<br />

nicht angezeigt werden ./.<br />

c) Abwesenheitsgeld 504,00 DM<br />

+ 16% MWSt. 80,64 DM<br />

584,64 DM<br />

2. Wirtschaftlichkeitserwägungen<br />

Jeder Rechtsanwalt sollte prüfen, ob er bei Rechtstreitigkeiten<br />

mit geringeren Streitwerten die Reise auf sich nimmt<br />

oder ob er einer Unterbevollmächtigung eines am Terminsort<br />

ansässigen Kollegen den Vorzug gibt. Dabei hat er auch<br />

auf die Interessen des Mandanten Rücksicht zu nehmen, da<br />

die Reisekosten über die notwendigen Beträge, also auch<br />

über die fiktiven Reisekosten hinaus, nicht festgesetzt werden<br />

und daher der Partei zur Last fallen. Dabei hat der<br />

Hauptbevollmächtigte auch zu beachten, ob eine Stundenund<br />

Tageshonorar-Absprache mit dem Mandanten besteht.<br />

Eine solche Vereinbarung weist in der Regel 500 DM pro<br />

Stunde bzw. 2.000 DM pro Tag auf, die der Partei zur Last<br />

fallen und nicht festsetzbar sind.<br />

Bei Streitwerten von 12-100.000 DM müsste der<br />

Rechtsanwalt die Wirtschaftlichkeitsprüfung für die beiden<br />

vorstehenden Kostenbeispiele bei einem Rechtsstreit ohne<br />

Beweisaufnahme und bei Zugrundlegung des Nichtanfalls<br />

von Übernachtungskosten wie folgt vornehmen:<br />

Die Gebühren nebst Reisekosten + MWSt. 3 Gebühren + MWSt.<br />

bis 12.000,00 DM = ca. 2.000,00 DM 2.407,00 DM<br />

bis 14.000,00 DM = ca. 2.150,00 DM 2.604,20 DM<br />

bis 16.000,00 DM = ca. 2.310,00 DM 2.894,20 DM<br />

bis 18.000,00 DM = ca. 2.500,00 DM 3.137,80 DM<br />

bis 20.000,00 DM = ca. 2.<strong>65</strong>0,00 DM 3.381,40 DM<br />

bis 25.000,00 DM = ca. 2.820,00 DM 3.<strong>65</strong>9,80 DM<br />

bis 30.000,00 DM = ca. 3.000,00 DM 3.938,20 DM<br />

bis 40.000,00 DM = ca. 3.400,00 DM 4.495,00 DM<br />

bis 50.000,00 DM = ca. 3.750,00 DM 5.051,80 DM<br />

bis 100.000,00 DM = ca. 5.400,00 DM 7.487,80 DM<br />

2 Vgl. u. a. Peter Mock, GebührenR, 1998, Rdnr. 683 mit Hinweis auf OLG Koblenz<br />

AnwBl 1995, 108.<br />

3 Mock aaO Fn. 2.<br />

4 Die km-Angabe von 200 in § 9 ZSEG stammt von 1986.<br />

5 VG Freiburg AnwBl 1996, 589.


102<br />

l<br />

Da sowohl für die Abrechnung gegenüber der Partei als<br />

auch für das Festsetzungsverfahren die wirtschaftlich günstigste<br />

Methode zu wählen ist, würde sich folgendes ergeben:<br />

Die Gegenüberstellung der beiden Berechnungsgruppen<br />

ergibt, dass sich außer der Gebührenklasse zwischen<br />

14.000 DM und 16.000 DM die Unterbevollmächtigt niemals<br />

empfiehlt, da die Anreise für die Partei und den Gegner<br />

wirtschaftlicher ist. Es fragt sich allerdings, ob in bestimmten<br />

Fällen und bei entsprechender Gebührenvereinbarung<br />

nicht doch eine Unterbevollmächtigung günstiger ist.<br />

Die durch Unterbevollmächtigung entstehenden Mehrkosten<br />

sind grundsätzlich weder der Partei zumutbar (es<br />

sei denn, sie wäre damit einverstanden) noch sind sie festsetzbar.<br />

Festsetzbar sind immer nur die tatsächlich notwendigen<br />

Reisekosten. Es scheint jedoch zulässig zu sein, mit<br />

dem Unterbevollmächtigten eine Gebührenvereinbarung zu<br />

treffen.<br />

3. Vorschläge für Gebührenvereinbarungen zwischen<br />

Rechtsanwälten bei Unterbevollmächtigung<br />

a) Wie erwähnt, empfiehlt sich grundsätzlich die Untervollmächtigung<br />

nicht, da die Mehrkosten für die Unterbevollmächtigung<br />

nicht festgesetzt werden, sondern nur die<br />

Kosten des Hauptbevollmächtigten (Gebühren und notwendige<br />

Reisekosten). Daher ist zu prüfen, ob nicht bei allen<br />

auswärtigen Streitigkeiten eine Unterbevollmächtigung zu<br />

einem vereinbarten Gebührenbetrag möglich sein sollte.<br />

Eine auf den Reisepreis beschränkte Gebühr könnte bei der<br />

kürzeren Reise gemäß Beispiel 1 (Frankfurt – Göttingen)<br />

entsprechend den Kosten von ca. 350 DM + MWSt. = ca.<br />

400 DM und bei dem teueren Beispiel 2 bei den Kosten<br />

von ca. 500 DM + MWSt. = ca. 580 DM betragen. Diese<br />

Pauschalgebühr müsste für die höheren Fahrtkosten entsprechend<br />

erhöt werden, z. B. bei einer Reise von Frankfurt<br />

– Hamburg ca. 800 DM.<br />

Die Gebührenvereinbarung dürfte, wenn eine Haftungsfreistellung<br />

des Unterbevollmächtigten für materielle Fehler<br />

erklärt wird, auch als zulässig nach § 49 b III Satz 3<br />

BRAGO anzusehen sein, da sie der Verantwortlichkeit sowie<br />

dem Haftungsrisiko der beteiligten Rechtsanwälte und<br />

den sonstigen Umständen Rechnung trägt und zudem der<br />

Partei und dem Prozeßgegner nützt und daher insgesamt<br />

prozesswirtschaftlich ist. Daher sei den Gerichten auch empfohlen,<br />

die Pauschbeträge statt der Reisekosten, bei denen<br />

es immer Würgerei und Streit, festzusetzen, sozusagen als<br />

fiktive Reisekosten.<br />

b) Diese Handhabung empfiehlt sich zunächst bei<br />

Rechtsstreitigkeiten von einfacher Art, die es aber auch bei<br />

höheren Streitwerten gibt. Jedenfalls ist eine solche Gebührenvereinbarung<br />

in folgenden Fällen sinnvoll:<br />

– in Urkundenprozessen,<br />

– bei zu erwartenden Versäumnisurteilen,<br />

– bei Verhandlungsterminen nach Widerspruch oder Kostenwiderspruch<br />

in einstweiligen Verfügungsverfahren,<br />

– bei weiteren Verhandlungsterminen, z. B. nach durchgeführter<br />

Beweisaufnahme, wobei in den Fällen mehrere<br />

Verhandlungstermine eine weitere Pauschalierung möglich<br />

sein sollte, da vermutlich mehrere Reisen des Hauptbevollmächtigten<br />

nicht für notwendig gehalten werden.<br />

c) Eine Unterbevollmächtigung kann sich aber auch bei<br />

schwierigen Fällen aus Haftungsgesichtspunkten empfehlen.<br />

Das Bundesverfassungsgericht hat soeben mit Urteil<br />

AnwBl 2/2000<br />

Mitteilungen<br />

vom 14.12.1999 6 § 13 BORA (Berufsordnung für Rechtsanwälte)<br />

für verfassungswidrig erklärt. Nach dieser Vorschrift<br />

war es bislang standesrechtlich unzulässig, gegen einen<br />

Kollegen ein Versäumnisurteil zu nehmen. Es ist mithin<br />

künftig möglich, gegen den auswärtigen Kollegen ein Versäumnisurteil<br />

zu erlassen.<br />

Wie leicht eine solche Säumnis passieren kann, ist allen<br />

Beteiligten bekannt. Der Autofahrer gerät nicht selten in<br />

einen unvorhersehbaren Stau, Flugzeuge und Bahn haben<br />

mitunter beachtliche Verspätungen. Ob diese angesichts der<br />

Haftungsausschlussklauseln der Deutschen Lufthansa wegen<br />

Verstoßen § 11 Nr. 8b AGBG für unzulässig erklärt<br />

worden 7 und an der Wirksamkeit des Haftungssausschlusses<br />

in § 17 EVO (Eisenbahnverkehrsordnung) wird wegen<br />

der EG-Richtlinie 93/13/EWG gezweifelt 8 . Die Haftung ist<br />

aber sicherlich auf unmittelbare Schäden, wie die Kosten<br />

für die sinnlose Reise sowie Übernachtungs- und<br />

Verpflegungskosten beschränkt und erstreckt sich nicht auf<br />

Folgeschäden durch den Erlass eines Versäumnisurteils.<br />

Es bleibt also die Haftung des Rechtsanwaltes, dem man<br />

unter Umständen zum Vorwurf machen kann, nicht ein früheres<br />

Verkehrsmittel genommen zu haben oder am Vortage<br />

angereist zu sein. Und selbst auf dieser Haftung kann er<br />

persönlich „sitzen bleiben“, wenn ihm die Haftpflichtversicherung<br />

die Deckungszusage wegen groben Eigenverschuldens<br />

versagt, eben deshalb, weil er ein früheres Verkehrsmittel<br />

hätte nehmen oder am Vortage anreisen können.<br />

Fazit<br />

Der Rechtsanwalt hat bei auswärtigen Terminen die<br />

Wahl zwischen der Anreise oder der Unterbevollmächtigung.<br />

1. Grundsätzlich empfiehlt sich die Unterbevollmächtigung<br />

nicht, da sie teurer ist. Demgegenüber empfiehlt sich<br />

grundsätzlich die Anreise, wenn es sich um einen komplizierten<br />

Fall handelt.<br />

2. Haftungsgefahren für eine Säumnis können in einfachen<br />

wie in schwierigen Fällen für eine Unterbevollmächtigung<br />

sprechen.<br />

3. In einfachen Fällen, bei zu erwartendem Versäumnisurteil,<br />

bei Terminen im einstweiligen Verfügungsverfahren<br />

sowie bei weitern Verhandlungsterminen und Nachverhandlungsterminen<br />

empfiehlt sich immer eine Unterbevollmächtigung.<br />

4. Der Hauptbevollmächtigte sollte in allen Fällen der<br />

Unterbevollmächtigung mit dem örtlich ansässigen Rechtsanwalt<br />

eine Gebührenvereinbarung treffen dürfen, wonach<br />

dieser den Verhandlungstermin zu den fiktiven Reisekosten<br />

wahrnimmt. Diese Gebühren müssten auch festsetzbar sein,<br />

weil diese Handhabung prozesswirtschaftlich und zur<br />

zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich ist.<br />

Die immer noch nicht aufgehobene Gebührenbeschränkung<br />

der Rechtsanwälte in den neuen Bundesländern steht<br />

einer solchen Gebührenvereinbarung nicht entgegen, da die<br />

Reduktion auf die fiktiven Reisekosten jedenfalls niedriger<br />

liegt als der 90%ige Gebührenansatz.<br />

6 Noch nicht veröffentlicht; vgl. Vorabbericht in ZIP <strong>Heft</strong> 50/99, A 99, Nr. 270.<br />

7 BGHZ 86, 284 (293) = NJW 1983, 1322.<br />

8 Vgl. hierzu eingehend Staudinger, NJW 1999, 3664.


AnwBl 2/2000 103<br />

Mitteilungen l<br />

Berufspolitische Fragen<br />

Kommerzielle Anziehungskraft versierter<br />

anwaltlicher Marketing- und Werbemethoden<br />

Rechtsanwalt Dr. Eberhard Fedtke, Essen<br />

1. Die Werbung ist im deutschen Anwaltsmarkt rechtlich<br />

salonfähig geworden. Auch die übergeordneten neuen<br />

Standesregeln der Rechtsanwälte der Europäischen Gemeinschaft<br />

– CCBE – haben das Terrain hierfür geebnet –<br />

Artikel 2.6. –, wenngleich im Detail noch mit behutsamer<br />

Rückversicherung und -verweisung auf nationale Kontexte<br />

und Vorgaben, was als Werbemittel erlaubt und gestattet ist.<br />

Der prinzipielle Umschwung zu fortschrittlichen Freiheiten<br />

führt zu neuen strategischen Bewertungen in den Anwaltskanzleien,<br />

ihre notwendigen Marketing- und Werberituale<br />

mit merkantiler Wandlungsfähigkeit zu aktualisieren. Vorbei<br />

ist die Zeit der reichlich profillosen Visitenkartenandienung.<br />

Die gewichtige Rolle einer publikumswirksamen<br />

kanzleiindividuellen Marketing- und Werbeausrichtung als<br />

unternehmerisches Führungsprinzip wird insbesondere auf<br />

dem Hintergrund des sich verschärfenden Wettbewerbs immer<br />

bedeutsamer, national wie international gesehen; diesbezügliche<br />

kundenorientierte Spielregeln der Marktzielsetzung<br />

müssen dementsprechend von den Kanzleien<br />

instrumentalisiert werden; das geschieht durch ein rationales<br />

Marketing- und Werbemanagement.<br />

2. Das Recht auf Werbung hat sich geradewegs zu einer<br />

Verpflichtung zu gekonnter Außendarstellung gewandelt.<br />

Marketing und Werbung tun not, heißt heutzutage die<br />

schlichte praktische Unternehmerformel. Wer kein Marketingkonzept<br />

hat und sich dem Kunden nicht einprägsam<br />

werblich offenbart, also nicht gezielt auf das Know-how<br />

seines Kanzleiunternehmens sach- und personenbezogen<br />

aufmerksam macht, vernachlässigt nachhaltige Marktchancen;<br />

er verpaßt auf Dauer die richtige Positionierung seines<br />

Büros im modernen Wettbewerb.<br />

3. Marketing und Werbung als Kanzleiführungsmittel<br />

gehören zum elementaren Selbstverständnis und kaufmännischen<br />

Allgemeinrepertoire moderner Dienstleistungsstrategien.<br />

Sie sind lebendiger Ausdruck einer neuen Offenheit<br />

im Markt einerseits sowie der existentiellen Selbstversicherung<br />

des Unternehmers Anwalt andererseits, wie er bei der<br />

Kundschaft ankommt, wo er im Wettbewerb steht und wie<br />

er mehr und besseren Markt erschließen kann. Marketing<br />

ist, summarisch formuliert, die individuelle Eigendarstellung,<br />

die kanzleispezifische Selbstdarbietung der Kundschaft<br />

gegenüber. Das betrifft alle wertbildenden Gestaltungsfaktoren<br />

für ein höchst eigenes Markenimages sachlicher<br />

und persönlicher Ausprägung,<br />

– angefangen von einer kundenwirksamen Büroplazierung<br />

und -organisation,<br />

– über standardisierte büroidentifikatorische Kanzleiprofilierungen<br />

im Sinne eines corporate-identity bis hin<br />

– zur ambitionierten Vermittlung eines schlüssigen anspruchsvollen<br />

Dienstleistungsprogramms.<br />

Werbung demgegenüber ist die gezielte Individualansprache<br />

einer breiten oder ausgesuchten Kundschaft durch<br />

Einzel- oder Sonderaktionen innerhalb des gültigen bürospezifischen<br />

Marketingkonzeptes. Dies richtet sich nach der<br />

Kanzleistruktur, seinen Leistungsinhalten sowie der Kun-<br />

densortierung auf den Rechtsmarktplätzen. Die Grenzen<br />

zwischen Marketing und Werbung sind flüssig, sowohl begriffsbezogen<br />

und inhaltlich. Beides insgesamt stellt aktives<br />

Kommunizieren der Kanzlei mit dem vorhandenen Mandantenpotential<br />

dar. Über alle definitorische Einordnung<br />

hinaus gilt als gemeinsame Zielsetzung,<br />

– den vorhandenen Klientenstamm optimal zu bedienen,<br />

– seinen Fortbestand zu pflegen,<br />

– die verfügbaren Büroleistungen umfassend anzudienen<br />

und gewinnorientiert an den Mann zu bringen<br />

– neue Kunden hinzuzugewinnen sowie<br />

– den Aufmerksamkeitsgrad der Kanzlei strikt kundenbezogen<br />

zu steigern.<br />

Ausgeklügeltes offensives Marketingverhalten zeitigt<br />

automatisch Werbecharakter und hat vielfältige Werbeauswirkungen.<br />

4. Erfolgreiche Marketingstrategie muß auf eine breite,<br />

den Kunden jederzeit kreativ ansprechende Basis gestellt<br />

werden sowie professionell angelegt sein. Die Klientel soll<br />

in allen Details erfahren und ihr dies vor allem auch rechtssprachlich<br />

verständlich zugänglich gemacht werden,<br />

– welches Kanzleiprogramm in toto welchem jeweiligen<br />

Kundbedarf offeriert und illustriert werden soll,<br />

– welche konkreten Leistungspotentiale und -inhalte<br />

welchem rechtssuchenden Klienten bzw. seinen Erwartungen<br />

zur Verfügung stehen,<br />

– welche maßgeblichen Rechtsfelder hierzu von der<br />

Kanzlei bearbeitet werden,<br />

– in welchen besonderen Fachbereichen sie überdurchschnittlich<br />

gewichtig oder spezialisiert ist,<br />

– welche Fähigkeiten und Qualifikationen die juristischen<br />

Mitarbeiter sowie das Sekretariat kennzeichnen,<br />

– wo sich die Kanzlei im Wettbewerb ausgerichtet sieht<br />

bzw. einzustufen ist, gegebenenfalls im direkten Vergleich<br />

zur Konkurrenz.<br />

Marketing und Werbung müssen in ihren Ausgestaltungen<br />

und Aussagen über schlichte sachliche Produktinformationen<br />

hinausgehen; das werbende Element hat immer dominierend<br />

zu sein, sollte sogar bewußt herausstechen. Ziel<br />

ist eine büroeigene Werbekultur.<br />

5. Marketingmanagement hat vielfältige konzeptionelle<br />

Mittel und gestalterische Methoden, sich dem Kunden gegenüber<br />

in passender Weise darzustellen. Sie umfaßt das<br />

gesamte Raster präsenter Akzentuierungen und pointierter<br />

Rituale äußerlichen und inhaltlichen Zuschnitts wie beispielsweise<br />

– ansprechendes modernes Briefpapier, gleichgestaltete<br />

Visitenkarten und andere identifikatorische Bürodokumente,<br />

– Verwendung einprägsamer Logos oder Slogans auf<br />

Büropapier, insbesondere Briefbögen,<br />

– ein neuzeitliches multiplikatorisches Outfit,<br />

– die Kundgabe von Fachanwaltsbezeichnungen, Tätigkeits-<br />

und Interessenschwerpunkten sowie beliebigen Fortbildungsqualifikationen,<br />

– die Herausstellung einer erlangten Zertifizierung,<br />

– die Angabe besonderer Fremdsprachenkenntnisse.<br />

Interessant für die Kundschaft kann gleichermaßen sein<br />

– die Information über die Mitarbeit in berufständischen<br />

Arbeitsgruppen und Vereinigungen,


104<br />

l<br />

– Publikations-, Vortrags-, Dozenten- sowie Prüfungstätigkeiten<br />

der Berufsträger,<br />

– Mitgliedschaften in öffentlichen Vereinen,<br />

– soziales, kulturelles oder politisches Engagement der<br />

Berufsträger,<br />

– die Erwähnung besonderer Leistungsergebnisse bei<br />

herausgehobenen Einzelaufträgen,<br />

– außergewöhnliche Erfahrungen oder technische Präferenzen<br />

des Büroapparates.<br />

Werbewirksam an den Kunden gebracht werden können<br />

auch<br />

– die Mitwirkung von Berufsträgern in Fernsehsendungen<br />

zu Rechtsprogrammen,<br />

– die Pflege und strikte Einhaltung publikumswirksamer<br />

Umgangsregeln im allgemeinen Kanzleiservice, allem voran<br />

im Telefondienst, beim Erstkontakt des Kunden mit der<br />

Kanzlei,<br />

– vertrauensbildendes Kooperationsverhalten in der detaillierten<br />

Kanzleidarstellung nach außen, das Sekretariat<br />

einbegriffen,<br />

– die übersichtliche Vermittlung einer effizienten Fachzuordnung<br />

und Delegationsstruktur des Büros,<br />

– die Verwendung allgemeiner Führungsanweisungen<br />

mit Klienteneinbindung,<br />

– die Angabe einer eventuellen Europastruktur oder internationaler<br />

Kooperationsformen auf Kanzleipapieren, primär<br />

den Briefbögen,<br />

– die Zugehörigkeit zu internationalen oder bilateralen<br />

Anwaltsorganisationen.<br />

6. Geeignete Mittel der Kundgabe der Marketing- und<br />

Werbestruktur sind<br />

– die klassische Form der Kanzleibroschüre auf hohem<br />

Informationsstand,<br />

– periodische Anwalts-Newsletters,<br />

– vertiefte Sachinformationen mittels Fachrundschreiben,<br />

Mandantenbriefen sowie Fachapplikationen zu Kanzleischwerpunkten<br />

oder Rechtsprechungsleitsätzen,<br />

– Kanzleiselbstdarstellungen im Internet und anderen<br />

elektronischen Suchkarteien,<br />

– die Führung einer akribisch informativen Homepage,<br />

– Eintragungen in Branchen- und Telefonlisten, in gelben<br />

Seiten sowie in Verbands- und Fachzeitschriften.<br />

Beispiele trefflicher Kundenanprache sind weiterhin<br />

– Kanzleidarstellungen in Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen<br />

oder Kino, vor allem anläßlich von Kanzleiumformierungen<br />

oder der Aufnahme von neuen Mitgliedern oder<br />

Fachbereichen,<br />

– ausgesuchte Postwurfsendungen bei Standortwechseln<br />

und anderen wichtigen Ereignissen,<br />

– Direktwerbeaktionen auf selbstorganisierten Fortbildungsveranstaltungen<br />

oder anläßlich von Dozententätigkeiten<br />

der Berufsträger,<br />

– Kanzleidarstellungen an Universitäten oder in eigenen<br />

Kanzleiveranstaltungen bei Workshops mit ausgewählten<br />

Studiengruppen,<br />

– kunst- und kulturfördernde Kanzleiveranstaltungen,<br />

– büroeigene Kundenworkshops und Klientenseminare.<br />

7. Das moderne Marketing- und Werbehandling der<br />

Industrie sowie des Dienstleistungsgewerbes kennt als<br />

Direktmaßnahmen auch Telefonwerbung und ausgesuchte<br />

AnwBl 2/2000<br />

Mitteilungen<br />

persönliche Kundenansprachen. Inwieweit diese Methoden<br />

zum brauchbaren und vor allem rechtlich zulässigen Konzept<br />

einer Anwaltskanzlei gehören dürfen, zumindest als<br />

Rahmenwerk spezieller konkreter anderer Maßnahmen,<br />

dürfte – noch – bedenklich sein. Das gilt ebenso für Werbungen<br />

auf Taxis, Sporttrikots, Stadionbanden oder anderen<br />

gängigen gleichartigen Werbeträgern. Selbst die grundsätzlich<br />

seit der EU-Richtlinie 97/55 zulässige vergleichende<br />

Werbung, ein durch die EuGH-Rechtsprechung dem deutschen<br />

Rechtsdenken jüngst verordneter Sinneswandel, mag<br />

auf praktische und rechtliche Hindernisse der Grundprinzipien<br />

der allgemeinen deutschen Wettbewerbsregeln stoßen;<br />

hier muß die Entwicklung abgewartet werden, in welcher<br />

Wahl von Wort und Medium vergleichende Werbung praktiziert<br />

wird. Bedenken dürften auch noch für die E-Mail-Werbung<br />

nach der EU-Fernabsatzrichtlinie bestehen. Allerdings<br />

wird sich die Aufweichung früherer Gültigkeiten und Interpretationen<br />

fortsetzen. Schließlich ist die ständige und<br />

breitgefächerte Präsenz im Blickfeld der Kundschaft und<br />

im Koordinatenkreuz des Wettbewerbs für das unternehmerische<br />

Gelingen der Kanzlei eine unerläßliche Forderung,<br />

in vielen Fällen ökonomisch überlebensnotwendig. Alles<br />

dies wird außer durch gute Leistung mittels eines feingestrickten<br />

bürozugeschnittenen Marketingkonzeptes sowie<br />

individueller Werbeaktivitäten mit aussagekräftigen<br />

Schwerpunkten bewirkt.<br />

8. Alle diese Grundelemente zu Marketing und Werbung<br />

neuzeitlichen Zuschnitts gelten auch für den internationalen<br />

Bereich. Länderübergreifende Kooperationen von Anwaltsbüros<br />

haben entsprechende großflächige, multinational<br />

kohärente Aufgabenstellungen. Sie werden zudem durch<br />

die Harmonisierung verschiedener einzelstaatlicher Rechtssysteme<br />

und Denkmechanismen der Gemeinschaftsländer<br />

geprägt. Es wird sich daraus mehr und mehr ein praktiziertes<br />

oder normiertes europäisches Werberecht, gestützt auf<br />

die CCBE, entwickeln. Aktuelle Werbemaßnahmen anderer<br />

Mitgliedsstaaten haben ersichtlich anderen Zuschnitt und<br />

liberalere Ausmaße. Trikotwerbung in Holland sowie<br />

Namenszüge von Kanzleien auf Golfbällen in England sind<br />

einige ausgefallene Beispiele, inwieweit engagierte Kollegen<br />

anderer Länder ihre Werbefreiheiten extrem verstanden<br />

wissen möchten und entsprechend ausdehnen. Europäisches<br />

Marketing- und Werbeverhalten der Anwaltsgilde wird sich<br />

letztlich als multirechtlicher und multikultureller Mix – mit<br />

oder ohne normierte Gesetzesregelung – herausbilden und<br />

verfestigen. Das bedeutet für den deutschen Rechtsbereich<br />

noch viel Umdenken und Anpassungsbereitschaft. Systemvergleichend<br />

ist bereits jetzt festzustellen, daß die angloamerikanischen<br />

Werbepraktiken offener und moderner eingefärbt<br />

sind als die restriktiveren Verhaltensweisen der<br />

lateinischen Anwaltschaften.<br />

9. Das Werbedenken der deutschen Anwaltschaft, analysiert<br />

anhand seiner praktischen Ausprägung, ist vielerorts<br />

allenfalls in hoffnungsvollen experimentellen Anfängen.<br />

Immer noch entspringen Außendarstellungen der Kanzlei<br />

dem traditionellen Geist, daß jegliche werbliche Ausdrucksformen<br />

im Grunde rechtlich riskante und deshalb fatale<br />

Selbstanpreisung sowie mit einem akademischen Berufszweig<br />

nicht zu vereinbaren sei. Allenfalls die zurückhaltende<br />

Zwiesprache mit dem Mandanten sei gestattet; schon der<br />

Anflug jeglicher extrovertierter oder gar großformatiger<br />

Kanzleiöffnung verstoße gegen den guten berufsethischen<br />

Geschmack. Diese Entwicklung wird im modernen Umfeld<br />

europäischer Fortentwicklung sowie des rigorosen Verdrängungswettbewerbs<br />

allenthalben ihr baldiges Ende finden; in


AnwBl 2/2000 105<br />

Mitteilungen l<br />

aufgeklärten Anwaltskanzleien ist dies bereits jetzt geschehen.<br />

Gegenüber der heutigen Situation werden sich weitere<br />

auflockernde Entwicklungen ergeben; allein die ungehemmten<br />

Modernitäten der exzessiven High-Tech-Realitäten<br />

eröffnen mannigfache, bislang ungeahnte Kundenansprachen<br />

auf elektronischen Werbeflächen, on-line oder<br />

global. Die künftigen Werbeanstriche werden sich auf diesem<br />

Hintergrund strikt kunden- und marktorientiert verfestigen,<br />

dazu im Sog der fortschreitenden Internationalisierung<br />

globalisieren.<br />

10. Von einem etablierten Marketing- sowie Werbemanagement<br />

wird künftighin fundierte ständige Innovationsgestimmtheit<br />

gefordert. Es geht nicht nur darum, neue Spielräume<br />

abzustecken, in denen werblich agiert wird, sondern<br />

auch die Kundenansprache mit kanzleispezifischen Werbevokabular<br />

zu verfeinern. Die deutsche Anwaltswerbung ist in<br />

dieser Hinsicht suggestiv allgemein noch zu flach und unartikuliert,<br />

bisweilen geradezu betulich und voller zu intellektueller<br />

Textmontagen. Das zeugt von Mangel an Erfahrung<br />

und der überzogenen Scheu, professionelle Berater in das<br />

Marketing- sowie Werbekonzept einzubinden. Der Kunde erfährt<br />

beispielsweise noch nicht einmal oder nicht hinreichend<br />

verständlich, für welches grundsätzliche Leistungsprogramm<br />

die Kanzlei sich konkret artikuliert. Unbeachtet<br />

bleiben zudem ganz bestimmte Kundenbefindlichkeiten. Alles<br />

dies muß durch ein realistisches Programm zwischen den<br />

beiden Polen des konkreten Dienstleistungsangebots einerseits<br />

sowie der Kundenerwartung andererseits ausgefüllt werden.<br />

Es kommt in der modernen Konsumwirtschaft, welche<br />

von Werbespots überflutet ist, essentiell auf das an, was brillant<br />

heraussticht, bisweilen aufrührerisch und wirklich innovativ<br />

ist, in Formulierung und Format mit bewußter Signalwirkung<br />

und griffiger Intonation. In diesen Details liegt die<br />

Chance, aber auch die Gefahr der Werbung im juristischen<br />

Markt und erfordert gutüberlegte Werbemittel für das<br />

Rechtspublikum und einprägsame Werbeträger. Marketing<br />

und Werbung dürfen selbstverständlich nicht den guten Geschmack<br />

verletzen, was immer dieses heißt; sie dürfen nicht<br />

auf ein konkretes Einzelmandat abzielen, was sorgfältig abzugrenzen<br />

ist. Sie sollen des weiteren ausgewogen sachlich<br />

den berufsethischen Grundprinzipien der nationalen und europäischen<br />

Standesrichtlinien entsprechen. Das zeigt in seiner<br />

letztlich unkonkreten Eingrenzbarkeit auf, wie schwierig<br />

es ist und welchen unternehmerischen Mut es allemal erfordert,<br />

als Anwaltskanzlei in effektsicheren und erfolgversprechenden<br />

Werbeaussagen stil- und rechtssicher in der Balance<br />

zu bleiben. Man darf deshalb einerseits nicht dem modernen<br />

anreißerischen Werbegepräge anheimfallen, andererseits<br />

muß man rechtssauber bleiben, im letzten Ziel auf alle Fälle<br />

unternehmerisch und wirtschaftlich erfolgreich.<br />

11. Es bleibt mithin letztlich dem eigenen guten Geschmack<br />

und persönlichen Geschick der Kanzlei – als natürliche<br />

Grenzziehung sozusagen – überlassen, unter den<br />

koalierenden Prämissen der CCBE mit adäquaten Mitteln<br />

dort zu werben, wo der angepeilte Kunde mit seinem sachlichen<br />

Informations- und Beratungsinteresse sitzt. Ein Ausweg<br />

wäre, gäbe es Kollisionen mit nationalen Rechtsregeln<br />

oder -gepflogenheiten, auf benachbartes Werbeterrain eines<br />

solchen Anrainerstaates innerhalb der Gemeinschaft auszuweichen,<br />

in welchem die Regeln insgesamt gelockerter<br />

sind. Die Werbesignale gehen schließlich mit aller Breitenwirkung<br />

in jede Ecke Europas. So gesehen könnte sich eine<br />

anwaltliche Marketing- und Werbeabteilung für eine regionale<br />

Auslagerung eignen.<br />

12. Das Fazit aller Ausdrucksformen und Lösungsansätze<br />

für geeignetes Marketing sowie effektive Werbung ist<br />

einfach zu formulieren: beides muß für jedweden Dienstleistungserfolg<br />

auf vitale Selbstversicherung aus sein, der<br />

Klientel und dem Markt gegenüber die richtige Vermittlung<br />

von Leistungsumfang und -inhalten zu erbringen; die darauf<br />

abgestellten Mittel, Methoden und Medien sind variabel<br />

und einzelfallbezogen zu wählen. Wichtig ist allemal, daß<br />

der potentielle Kunde mit konkreten Aussagen angegangen<br />

wird. Komplettes Marketing und universelles Werbeverhalten<br />

bedeuten deshalb insgesamt der niveauvolle Aufbau<br />

einer vorsorgenden umfassenden Kanzleipräsenz im Kundenblickfeld<br />

mit größtmöglichem Multiplikationseffekt, im<br />

besten Fall in latenter Bekanntheitsprägung des Büros. Der<br />

Anwalt sollte auf diesem Weg zum Sympathie- und Vertrauensträger<br />

seiner näheren und weiteren Umgebung bzw.<br />

bestimmter Kundenkreise werden; dieses gesellschaftspolitische<br />

Band ist marketing- und werbemäßig knüpfbar, selbst<br />

bei sich erweiternden Lebensräumen und vielgestaltigeren<br />

sozialen Bezüglichkeiten.<br />

13. Ein zielsicheres Büromanagement hat Marketing<br />

und Werbung planerisch perfekt zu durchdenken und konzeptionell<br />

abzusetzen. Insgesamt sollte ein durchgängiges<br />

kollektives Selbstverständnis aller Büromitglieder geschaffen<br />

werden, durch geeignete Marketing- und Werbepraktiken<br />

Kunden anzusprechen. Firmeninhaber dürfen sich nicht<br />

darauf verlassen, angeborene Fähigkeiten zu haben und immer<br />

richtig anzukommen, schon gar nicht bei internationalem<br />

Klientel mit andersgearteter Mentalität. Sicherlich<br />

zeichnet viele erfolgreiche Juristen ein naturtalentes Verhalten<br />

der Kundengewinnung aus. Ihnen sind gewisse Grundmuster<br />

von Kommunikations- und Begeisterungsgabe eigen,<br />

weil bereits in die Wiege gelegt. Nur sollten sie<br />

wissen und spüren, daß es ein virtuoses Crescendo von<br />

Marketing und Werbung gibt. Beide Fächer sind mittlerweile<br />

wissenschaftlich bestens aufgearbeitet. Häufig lassen<br />

Instinktdarsteller mit ihrer naturgegebenen Rohfassung die<br />

wichtigen i-Tüpfelchen im Marketing- und Werbeverhalten<br />

aus. Sie bleiben auf ihrer guten und gängigen hausbackenen<br />

Methodik stehen, ohne die ganz großen Treffer zu landen.<br />

Konsequentes Marketing sowie erfolgreiche Werbung müssen<br />

daher strikt profihafte Züge tragen, von den perspektivischen<br />

Erkenntnisstrukturen her geschult, was wo machbar<br />

ist, bis zu den raffinierten Umsetzungen im Konkreten.<br />

Marketing- und Werbevorstellungen spielen sich überdies<br />

häufig zunächst in der virtuellen Welt ab, ohne sofort den<br />

richtigen realen Bezug zu finden. Erst die vertiefte Beschäftigung<br />

mit den Details von Kundenerwartung und eigenen<br />

Leistungskapazitäten schafft konkrete Umsetzungskonzepte.<br />

Das übersehen bisweilen die sogenannten<br />

Naturbegabungen, welche den Rat für die Verfeinerung von<br />

Marketing- und Werbearrangements nicht annehmen und<br />

dadurch ihre Kanzleieffizienz nicht maximieren.<br />

Ein anderer wesentlicher Fehler ist, unermüdliches mühlenhaftes<br />

Marketing- und Werbeverhalten an den Tag zu<br />

legen. Die Kunst besteht wie in vielen Dingen auch hier in<br />

der richtigen Beschränkung auf das wesentliche Maß, insbesondere<br />

bei visuellen Werbeaktivitäten. Es gilt für den<br />

Anwalt jedenfalls der Satz, daß eine gleichmäßige und gute<br />

objektive Präsentation dem Kunden gegenüber unerläßlich<br />

ist; ständige Aufmerksamkeiten durch besondere Werbeauffälligkeiten<br />

sind nicht erforderlich; die Bindungskräfte von<br />

Marketing und Werbung zu Mandanten sind in der Anwaltsgilde<br />

nicht von grellen High-Lights abhängig, sondern von<br />

stilsicheren eingängigen kundenorientierten Methoden. Da-


106<br />

l<br />

bei sind Raffinement und Brillanz für die Erbringung eines<br />

intelligenten Marketing- und Werbepotpourris durchaus gestattet,<br />

um den besonderen Klick auszulösen, zumal in der<br />

Neukundengewinnung.<br />

Guter Erfolg liegt fernerhin häufig in radikalem Bruch<br />

mit alten Hüten und überholten Usancen. Beim traditionell<br />

faden Briefpapier „schwarz auf grau“ beispielsweise mit<br />

ein paar Farbtupfern und einem dezenten Logo oder Emblem<br />

anzufangen sowie sich ein kulturvolles Bürointerieur<br />

– über alle Funktionalitätsanforderungen hinaus – zuzulegen,<br />

sollten naheliegende Erstanfänge darstellen. Auch solcherlei<br />

Details muß der umsichtige moderne Jurist bedenken,<br />

wenn er sich für sein bestehendes und gesuchtes<br />

Klientel um ein eigenes büroqualifizierendes, thematisch<br />

abgerundetes Marketing- und Werbekonzept, mit breiter sowie<br />

profunder Überzeugungskraft versehen, bemüht. Er hat<br />

es gezielt kundenorientiert derart zu gestalten, daß sich die<br />

Kundschaft bei ihm und in seiner Kanzlei heimisch und geborgen<br />

und von ihr angezogen fühlt. Der Markt für Ideen,<br />

sofern der rührige Jurist erst einmal soweit vorgedrungen<br />

ist, bietet ein breites Feld von kreativen Möglichkeiten und<br />

Spielformen, nachhaltige Abdrücke zu hinterlassen. Auch<br />

im internationalen Bereich ist das Spektrum vielgestaltig<br />

und von ständiger Neuorientierung gekennzeichnet.<br />

Büro, Computer, Telekommunikation<br />

Elektronischer Rechtsverkehr<br />

Im August 1999 hat der „Feldversuch Elektronischer<br />

Rechtsverkehr“ begonnen. Das Finanzgericht Hamburg, als<br />

oberes Landesgericht neben Steuerrecht auch für Zoll- und<br />

europäisches Marktordnungsrecht zuständig, führt diesen<br />

Versuch in Zusammenarbeit mit der Hamburger Finanzund<br />

Zollverwaltung, der Steuerberaterkammer und der<br />

Rechtsanwaltskammer durch. Technisch wird der Versuch<br />

vom „Landesamt für Informationstechnik (LIT)“ und durch<br />

die DATEV unterstützt.<br />

Auf Beraterseite beteiligen sich etwa 30 Rechtsanwaltsund<br />

Steuerberatungsbüros. Auf Behördenseite beteiligen<br />

sich die Rechtsbehelfsstellen im Bereich der Oberfinanzdirektion<br />

Hamburg. Mit einigen verfahrensbedingten Einschränkungen<br />

werden die Prozeßbevollmächtigten, die sich<br />

an diesem Versuch beteiligen, Klagen und weitere Schriftsätze<br />

per E-Mail beim Finanzgericht Hamburg einreichen.<br />

Das Finanzgericht führt zum Beleg eine „Papierakte“; der<br />

Arbeitsablauf wird jedoch in der „elektronischen Akte“<br />

stattfinden. Von dort wird nach Eingang in der „elektronischen<br />

Geschäftsstelle“ der „Schriftsatz“ dem Berichterstatter<br />

„vorgelegt“, also per E-Mail auf seinen an seinem<br />

Arbeitsplatz befindlichen PC übermittelt. Mit Hilfe der<br />

gerichtsinternen bereits seit längerer Zeit entwickelten Verfahrensweisen<br />

(elektronische Verfügungsvorlagen usw.)<br />

wird verfügt und die Verfügung alsdann umgehend in der<br />

Weise ausgeführt, daß die Klageschrift dem beklagten<br />

Finanzamt per E-Mail zur Stellungnahme mit weiteren Verfügungen<br />

(Frist zur Stellungnahme, Vorlage der Sachakte<br />

usw.) übermittelt wird. Die Verbindung zwischen Finanzgericht<br />

und Rechtsbehelfsstellen wird über das „Hamburger<br />

InfoNet“ hergestellt und stellt eine der ersten Anwendungen<br />

des Hamburger Behörden Intranets dar. Die Klagerwiderung<br />

pp. werden dann umgekehrt auf gleiche Weise vom Gericht<br />

wieder verteilt.<br />

AnwBl 2/2000<br />

Mitteilungen<br />

Für alle Beteiligten im Vordergrund steht derzeit die Erprobung<br />

der von der DATEV entwickelten und bereitgestellten<br />

Soft- und Hardware für die Signatur und die Verschlüsselung<br />

der E-Mails pp. Die DATEV baut ein Trustcenter auf,<br />

das Zertifikate erstellt und die digitale Signatur ermöglicht.<br />

Das dient dazu, Angehörige der steuerberatenden Berufe und<br />

auch Rechtsanwälte und deren Mandanten im eigenen Geschäftsverkehr<br />

zu identifizieren, Daten und Dokumente auszutauschen<br />

und ihnen außerdem den Zugriff auf ihre Daten<br />

im Rechenzentrum über das Internet zu ermöglichen. Bis die<br />

endgültigen gesetzlichen Rahmenbedingungen und technischen<br />

Standards vorliegen, werden digitale Signaturen gemeinsam<br />

mit den Berufskammern, anderen Unternehmen<br />

und Institutionen erprobt. So zum Beispiel in diesem Feldversuch.<br />

Die DATEV stellt hierzu das EDV-Programm<br />

„GERVA“ (Gesicherter Elektronischer Rechtsverkehr mit<br />

Attributen) und als Hardware-Bestandteil ein „Chipdrive“,<br />

ein „Multifunctional Smartcard Terminal“ und schließlich<br />

die Chipkarte selbst zur Verfügung.<br />

GERVA läuft unter Windows95 ab SR2, Windows98<br />

oderWindowsNT4.0. Wenigstens Word 8.0 (in Office97<br />

von Microsoft) und MS-Outlook sind Softwarevoraussetzung.<br />

Ein Testbericht von Soft- und Hardware für diesen<br />

Versuch folgt in Kürze gesondert.<br />

Mit GERVA werden die vom Prozeßbevollmächtigten<br />

an das Gericht zu übermittelnden Dateien mit einer Signatur<br />

versehen, die von der Chipkarte des Prozeßbevollmächtigten<br />

eingelesen wird. Die so mit einer Signatur versehenen<br />

Dateien werden in einem zweiten Arbeitsgang<br />

innerhalb von GERVA verschlüsselt. Dieses kryptographische<br />

Verfahren arbeitet mit Schlüsselpaaren (öffentlicher<br />

und privater Schlüssel), wobei für die Sicherheit unabdingbar<br />

ist, daß der private Schlüssel nur der zugehörigen Person<br />

zugänglich ist. Das Verfahren stellt sicher, daß die<br />

Kommunikationspartner die Zugehörigkeit des öffentlichen<br />

Schlüssels zu dieser Person prüfen können. Das Szenario<br />

führt dazu, daß zudem erstmals auf diese Weise der Beweis<br />

erbracht wird, daß ein so versandter Schriftsatz zu einem<br />

bestimmten Zeitpunkt bei Gericht eingegangen ist. Die Erfahrungen<br />

des Versuches werden im Rahmen der Evaluierung<br />

bei der Neufassung des Signaturgesetzes berücksichtigt<br />

und auch bei der Endfassung der Signaturrichtlinie der<br />

Europäischen Union Beachtung finden. Signaturgesetz und<br />

Signaturrichtlinie werden nach derzeitigem Stand etwa<br />

Ende 1999 bis Frühjahr 2000 verabschiedet werden. Das in<br />

Hamburg erprobte Verfahren würde dann europaweit einzusetzen<br />

sein, nämlich im Bereich der Europäischen Union.<br />

Von besonderem Interesse wird in diesem Zusammenhang<br />

auch die anstehende Entscheidung des Gemeinsamen<br />

Senates der oberen Gerichtshöfe des Bundes sein (siehe<br />

NJW 1998, 3649; BB 1999, <strong>65</strong>6, DStR 1999, 78). Es geht<br />

um die Klärung des Streites, ob auch die per E-Mail bei<br />

Gericht eingereichte Klageschrift pp. als den gesetzlichen<br />

Anforderungen entsprechend angesehen werden kann oder<br />

nicht. Im Feldversuch wird dieses Problem vorsorglich dadurch<br />

umschifft, daß die den bestimmenden Teil des<br />

Schriftsatzes ausmachenden Teilelemente außer als Datei<br />

per E-Mail auch noch körperlich per Post oder per Telefax<br />

übermittelt werden. Das gilt in noch krasserer Weise für die<br />

im Finanzgerichtsprozeß notwendige Originalvollmacht. Da<br />

bei Erfolg dieses Versuches der Gesetzgeber ohnehin gefordert<br />

ist, auch geeignete Regelungen für wirksame Willenserklärungen<br />

auf elektronischem Wege zu schaffen, werden<br />

diese Hindernisse voraussichtlich bald vernünftig beseitigt<br />

sein können.


AnwBl 2/2000 107<br />

Mitteilungen l<br />

Mit Spannung verfolgen die Teilnehmer, ob das neue<br />

Medium den unmittelbar Beteiligten, also insbesondere den<br />

als Berichterstatter beteiligten Richtern, den beteiligten<br />

Rechtsanwälten bzw. Steuerberatern auf seiten der Klägervertreter<br />

und natürlich auch den zuständigen Sachbearbeitern<br />

in den Einspruchsstellen auf Beklagtenseite zu direkter<br />

Kommunikation unterhalb der Ebene von Schriftsätzen verhilft.<br />

Terminabsprachen, Fristverlängerungsanträge, vielleicht<br />

sogar Erörterungen zur Sache „außerhalb des Protokolls“<br />

könnten auf diese Weise die Kommunikation zwischen<br />

den Prozeßbeteiligten in neuer Form wiederbeleben,<br />

wie sie vielleicht vor langer Zeit in der mittlerweile wohl<br />

Geschichte gewordenen wirklichen mündlichen Verhandlung<br />

gepflegt wurde.<br />

Es wäre äußerst wünschenswert, wenn die deutschen<br />

Rechtsanwälte diese Kommunikationsform vor Ende des<br />

Lokalisierungsgebots aufgreifen und tatkräftig mithelfen,<br />

sie erfolgreich weiterzuentwickeln, weil so insbesondere<br />

natürlich auch im Zivilprozeß ohne Rücksicht auf die Entfernung<br />

zwischen Kanzleisitz und Gerichtsort der Prozeß<br />

schriftlich ohne jeden Zeitverzug geführt und für die mündliche<br />

Verhandlung der am Ort anwesende Vertreter ausführlich<br />

und wiederum kostengünstig und schnell instruiert werden<br />

kann.<br />

Rechtsanwalt Jürgen Schneider, Hamburg<br />

Haftpflichtfragen<br />

Rechtsanwalt Leonhard Seidl<br />

Allianz Versicherungs-AG München<br />

Die Beweislast im Haftpflichtprozeß<br />

Gerade im Anwaltshaftungsprozeß kommt der Beweislastverteilung<br />

häufig entscheidende Bedeutung zu, da vielfach<br />

kaum Beweismittel vorhanden sind, etwa Zeugen für<br />

den Verlauf einer Beratung. Dabei gilt auch hier der Grundsatz,<br />

daß der Anspruchsteller die Beweislast für die haftungsbegründenden<br />

Tatbestandsvoraussetzungen trägt. Er<br />

muß also eine schuldhafte Pflichtverletzung, einen Schaden<br />

und den erforderlichen Kausalzusammenhang beweisen.<br />

Allerdings gibt es einige Besonderheiten, auf die im folgenden<br />

näher eingegangen werden soll.<br />

1. In einem vom BGH entschiedenen Fall (BGH, NJW<br />

1998, 136 [137]) wurde dem Anwalt u. a. vorgeworfen, er<br />

hätte den Mandanten nicht darauf hingewiesen, daß die von<br />

ihm zu entwerfenden Verträge der notariellen Beurkundung<br />

bedurften und dadurch zusätzliche Kosten entstünden. Nun<br />

hat der Mandant zwar das Vorliegen einer Pflichtverletzung<br />

zu beweisen. Hier handelt es sich jedoch um eine negative<br />

Tatsache, deren Nachweis naturgemäß Schwierigkeiten bereitet.<br />

Gleichwohl hielt der BGH in dem genannten Urteil<br />

daran fest, daß den Mandanten auch die Beweislast für eine<br />

pflichtwidrige Unterlassung des Rechtsanwalts trifft.<br />

Der Anwalt kann sich jedoch nicht darauf beschränken,<br />

eine Pflichtverletzung lediglich pauschal in Abrede zu stellen<br />

oder ganz allgemein zu behaupten, er hätte den Mandanten<br />

ausreichend belehrt (BGH, NJW 87, 1322 [1323]).<br />

Der Anwalt muß die Pflichtverletzung vielmehr substantiiert<br />

bestreiten, also „den Gang der Besprechung im einzelnen<br />

schildern, insbesondere konkrete Angaben darüber<br />

machen, welche Belehrungen und Ratschläge er erteilt und<br />

wie der Mandant darauf reagiert hat“ (BGH, NJW 1996,<br />

2571 [2572]; NJW 1987, 1322 [1329]). Der Mandant hat<br />

diese Darstellung zu widerlegen.<br />

Auch wenn die Rechtsprechung nicht verlangt, daß der<br />

Anwalt das Gespräch nach Ort und Zeit genau einordnet<br />

(vgl. BGH, NJW 1991, 2280 [2283]), ist nicht zu übersehen,<br />

daß hier erhebliche Anforderungen an den Vortrag<br />

des Anwalts gestellt werden. Nicht selten liegt die fragliche<br />

Tätigkeit des Anwalts schon Jahre zurück, so daß er kaum<br />

mehr in der Lage sein wird, sich noch im einzelnen an den<br />

Verlauf eines Beratungsgesprächs zu erinnern. Vor diesem<br />

Hintergrund kann dem Anwalt nur dringend empfohlen<br />

werden, die wesentlichen Ergebnisse von Besprechungen<br />

schriftlich niederzulegen.<br />

2. In einer neueren Entscheidung (BGH, Beschl. v.<br />

17.12.1998 – IX ZR 270/97, BRAK-Mitt. 1999, 72) bejaht<br />

der BGH eine schuldhafte Pflichtverletzung des Anwalts,<br />

weil dieser den Mandanten nicht gemäß dem „Gebot des<br />

sichersten Weges“ mit der notwendigen Klarheit darüber<br />

belehrt hatte, daß er sein früheres Testament – unabhängig<br />

von der Rückgabe der in amtlicher Verwahrung befindlichen<br />

letztwilligen Verfügung – durch ein neues eigenhändiges<br />

Testament hätte widerrufen können.<br />

Der Mandant hatte seinen Sohn in dem hinterlegten<br />

Testament nicht bedacht. Später hatte er sich mit seinem<br />

Sohn wieder versöhnt. Der bereits schwer erkrankte Mandant<br />

hatte den Anwalt dann zunächst beauftragt, sein Testament<br />

aus der Verwahrung zurückzuholen, um seinen Sohn<br />

nunmehr als Alleinerben einzusetzen. Unter Hinweis auf<br />

§ 2256 Abs. 2 Satz 2 BGB, nach dem das Testament nur an<br />

den Erblasser persönlich zurückgegeben werden darf, hatte<br />

das Amtsgericht jedoch die Herausgabe verweigert. Nach<br />

dem Tod des Mandanten erhob sein Sohn, der lediglich den<br />

gesetzlichen Pflichtteil erhalten hatte, Klage gegen den Anwalt<br />

und behauptete, sein Vater hätte im Falle ordnungsgemäßer<br />

Belehrung ein eigenhändiges Testament errichtet<br />

und ihn zu seinem Alleinerben bestimmt.<br />

Wie oben bereits ausgeführt, hat der Geschädigte den<br />

Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtwidrigkeit<br />

und dem Schaden als anspruchsbegründende Voraussetzung<br />

darzutun und nachzuweisen. Da es aber natürlich meist<br />

schwierig ist, den Beweis für ein hypothetisches Verhalten<br />

zu erbringen, wendet die Rechtsprechung die Grundsätze<br />

des Anscheinsbeweises an, wenn ein bestimmter Rat geschuldet<br />

war und es in der gegebenen Situation unvernünftig<br />

gewesen wäre, diesen Rat nicht zu befolgen (BGH<br />

NJW 1993, 3259; BB 1999, 287 [288]). Es wird vermutet,<br />

daß der Mandant bei pflichtgemäßer Beratung den Hinweisen<br />

des Anwalts gefolgt wäre. Diese tatsächliche Vermutung<br />

führt aber nicht zu einer vollen Beweislastumkehr. Sie<br />

kann im Einzelfall entkräftet werden, wenn die konkrete<br />

Möglichkeit eines anderen Kausalverlaufs dargetan und bewiesen<br />

wird (BGH, NJW 1993, 3259). „Wer die Gegenpartei<br />

in diesen Möglichkeiten beschneidet, kann sich nicht auf<br />

die Grundsätze des Anscheinsbeweises berufen“ (BGH,<br />

NJW 1998, 79 [81]).<br />

In dem oben geschilderten Fall (BGH, BRAK-Mitt.<br />

1999, 72) hielt der BGH die Anwendung der Grundsätze<br />

des Anscheinsbeweises durch das Berufungsgericht für<br />

rechtsfehlerfrei. Das Berufungsgericht war danach davon<br />

ausgegangen, daß der Erblasser bei umfassender Beratung<br />

ein eigenhändiges Testament errichtet hätte, durch welches<br />

er das frühere Testament widerrufen und den Kläger zum


108<br />

l<br />

Alleinerben eingesetzt hätte. Der Anwalt war nicht in der<br />

Lage, Umstände zu beweisen, die für ein atypisches Verhalten<br />

des Mandanten gesprochen hätten.<br />

Die Rechtsprechung erachtet den Mandanten jedoch<br />

nicht allein dann für schutzwürdig, wenn der Anwalt eine<br />

bestimmte Empfehlung zu geben hatte. Vielmehr soll ein<br />

Anscheinsbeweis auch in Betracht kommen, wenn der<br />

Berater lediglich die „Informationen zu liefern hatte, die<br />

die Klägerin für eine sachgerechte Abwägung bei der von<br />

ihr zu treffenden freien Entscheidung benötigte“ (BGH,<br />

NJW 1993, 3259 [3260]). Es muß allerdings auch hier „ein<br />

Sachverhalt gegeben sein, der bei zutreffender rechtlicher<br />

Auskunft vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters<br />

aus allein eine Entscheidung möglich oder sinnvoll erscheinen<br />

läßt“ (BGH, aaO.). Dagegen sind die Regeln des<br />

Anscheinsbeweises „unanwendbar, wenn unter wirtschaftlichen<br />

Gesichtspunkten verschiedene Entscheidungen ernsthaft<br />

in Betracht kommen“ (BGH, BB 1999, 287 [288]).<br />

3. Die haftungsausfüllende Kausalität bereitet im Regreßverfahren<br />

vielfach noch unter einem anderen Gesichtspunkt<br />

Schwierigkeiten: Macht der Kläger geltend, er hätte<br />

im Vorprozeß obsiegt, wäre dieser ordnungsgemäß durchgeführt<br />

worden, und bestreitet der Anwalt dieses Vorbringen,<br />

ist zu prüfen, wie dieses Verfahren bei pflichtgemäßer<br />

Vertretung entschieden worden wäre.<br />

a) Dabei kommt es nach der Rechtsprechung jedoch<br />

nicht darauf an, wie das seinerzeit zuständige Gericht geurteilt<br />

hätte. Es ist also nicht etwa der im Vorprozeß tätige<br />

Richter als Zeuge zu hören. Vielmehr ist darauf abzustellen,<br />

wie das Ausgangsverfahren aus der Sicht des Regreßgerichts<br />

„richtig“ hätte entschieden werden müssen (BGH,<br />

NJW 1996, 2501; NJW 1994, 1211 (1213); NJW 1979,<br />

819 [820]). Da es sich insofern um eine Frage der haftungsausfüllenden<br />

Kausalität handelt, erfolgt „die in diesem Rahmen<br />

gebotene Würdigung nach den Beweismaßstäben des<br />

§ 287 ZPO“ (BGH, NJW 1996, 2501 [2502]).<br />

b) In dem soeben zitierten Urteil hat der BGH auch entschieden,<br />

daß im Haftpflichtprozeß die uneingeschränkte<br />

Parteimaxime selbst dann gilt, wenn das Ausgangsverfahren<br />

nach den Regeln des Amtsermittlungsprinzips zu führen<br />

war. Der Richter dürfe auf Beweise verzichten, die –<br />

gemessen an den im Schadenersatzprozeß geltenden Maßstäben<br />

des § 287 ZPO – entbehrlich seien. Der BGH begründet<br />

diese Auffassung damit, daß jede Verfahrensart<br />

ihre eigenen Maximen hat und ein Wechsel der Verfahrensgrundsätze<br />

innerhalb des Rechtsstreits zu Rechtsunsicherheiten<br />

führen würde. Dagegen wären die für den Kläger<br />

günstigen Beweislastregeln des Ausgangsprozesses auch im<br />

Rechtsstreit gegen den Anwalt anzuwenden. Dem Amtsermittlungsprinzip<br />

käme jedoch kein vergleichbarer Schutzcharakter<br />

zu.<br />

Im Streitfall hatte der Anwalt die Berufung an das LG<br />

statt an das zuständige OLG gerichtet. Der Kläger behauptete,<br />

bei Durchführung der Berufung wäre die gegen ihn erhobene<br />

Klage abgewiesen worden. Im Ausgangsverfahren,<br />

einem Kindschaftsprozeß, hatte das Amtsgericht die Vaterschaft<br />

des Klägers festgestellt und ihn verurteilt, den Kindern<br />

– es handelte sich um Zwillinge – bis zur Vollendung<br />

des 18. Lebensjahres Regelunterhalt zu zahlen. Das Amtsgericht<br />

hatte ein serologisches Gutachten eingeholt, das<br />

eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,9993% ermittelt<br />

hatte.<br />

AnwBl 2/2000<br />

Mitteilungen<br />

Im Kindschaftsprozeß hätte das Gericht selbst bei einer<br />

Wahrscheinlichkeit von 99,99% nicht von der Erhebung<br />

weiterer geeigneter Beweise absehen dürfen, da der Amtsermittlungsgrundsatz<br />

das Gericht verpflichtet, von sich aus<br />

alle Beweise einzuziehen, die zur möglichst sicheren Klärung<br />

der Vaterschaft des in Anspruch genommenen Mannes<br />

führen (BGH, NJW 1996, 2501). Dagegen braucht der im<br />

Regreßprozeß tätige Richter „die Tatsachen nicht weiter<br />

aufzuklären, wenn der Nachweis bisher nicht einmal ansatzweise<br />

geführt und bereits hinreichend erkennbar ist,<br />

daß die noch zur Verfügung stehenden Beweise nicht ausreichen<br />

werden, die Behauptung des Klägers mit Wahrscheinlichkeit<br />

zu belegen“. Im Streitfall konnte das Gericht<br />

daher die Klage ohne eine weitere Beweisaufnahme abweisen.<br />

Es verfügte bereits über ausreichende Grundlagen für<br />

eine Entscheidung nach § 287 ZPO.<br />

c) Sofern im Regreßprozeß neue Beweismittel zur Verfügung<br />

stehen, ergibt sich die Frage, ob die Parteien nicht<br />

auf die im Vorprozeß zulässigen und vorhandenen Beweismittel<br />

beschränkt sind. Wäre im Haftpflichtverfahren lediglich<br />

zu rekonstruieren, wie der Vorprozeß aus damaliger<br />

Sicht ausgegangen wäre, müßte diese Frage sicherlich bejaht<br />

werden. Da aber ausschlaggebend ist, welche Entscheidung<br />

im Ausgangsprozeß aus der Perspektive des Regreßgerichts<br />

richtigerweise zu treffen gewesen wäre, kann dieses<br />

nach Auffassung des BGH auch Beweismittel berücksichtigen,<br />

die im Vorprozeß nicht zur Verfügung standen<br />

(BGH, NJW 1996, 2501 [2502]). Dem Kläger dürfe nicht<br />

mehr zugesprochen werden als das, worauf er rechtmäßig<br />

Anspruch habe.<br />

Demzufolge ist es auch möglich, den Gegner des Vorprozesses<br />

im Haftpflichtverfahren als Zeugen zu vernehmen.<br />

4. Bestreitet der Anwalt einen Schaden des Mandanten,<br />

weil diesem lediglich ein Anspruch gegen einen vermögenslosen<br />

Schuldner entgangen sei, trägt der Mandant die<br />

Beweislast für die Solvenz des Schuldners (BGH, BB 1999,<br />

1134).<br />

Der genannten Entscheidung lag folgender Sachverhalt<br />

zugrunde: Der Anwalt hatte seinem Mandanten von der<br />

Genehmigung eines Grundstückskaufvertrages wegen angeblicher<br />

Illiquidität des Käufers abgeraten. Das Grundstück<br />

wurde dann zu einem erheblich geringeren Kaufpreis<br />

an einen Dritten verkauft. Das Berufungsgericht billigte<br />

dem Mandanten einen Schadensersatzanspruch gegen den<br />

Rechtsanwalt zu. Es war der Auffassung, daß es zwar Sache<br />

der Mandanten sei, eine fehlerhafte Beratung durch den<br />

Anwalt darzulegen und zu beweisen. Dieser hätte aber zunächst<br />

Tatsachen substantiiert vortragen müssen, die den<br />

Schluß auf die mangelnde Bonität des Käufers zugelassen<br />

hätten. Dieser Ansicht schloß sich der BGH nicht an. Nach<br />

seiner Auffassung war die vom Berufungsgericht herangezogene<br />

Entscheidung des BGH vom 28.1.1985 – II ZR<br />

10/84, WM 1985, 381 (382) nicht einschlägig. In dem dort<br />

entschiedenen Fall hatte die beklagte Bank gerade über die<br />

erforderlichen Informationen verfügt, während der Anwalt<br />

aus eigener Kenntnis nicht mehr vortragen konnte als der<br />

Mandant. Der BGH sah deshalb die Darlegungs- und Beweislast<br />

auch weiterhin auf seiten des Mandanten.<br />

Somit läßt sich feststellen, daß in keinem der angesprochenen<br />

Bereiche eine Beweislastumkehr erfolgt. Allerdings<br />

versucht die Rechtsprechung „das berechtigte Interesse des<br />

Mandanten, mit seiner Klage nicht an unerfüllbaren Beweis-


AnwBl 2/2000 109<br />

Mitteilungen l<br />

anforderungen zu scheitern“ (BGH, NJW 1996, 2571<br />

[2572]), durch andere Lösungen zu wahren. So sollen hohe<br />

Anforderungen an die Substantiierungspflicht des wegen<br />

unzureichender oder unrichtiger Belehrung in Anspruch genommenen<br />

Anwalts zu einer „Waffengleichheit“ führen. In<br />

dieselbe Richtung zielt die Anwendung des Anscheinsbeweises,<br />

wenn es um die Frage geht, wie sich der Mandant<br />

im Falle ordnungsgemäßer Belehrung verhalten hätte. Steht<br />

eine Pflichtverletzung fest, ist es für den Kläger in der<br />

Regel ohnehin von Vorteil, daß die weitere Entwicklung<br />

nach § 287 ZPO zu beurteilen ist. Dieser Umstand kann<br />

freilich auch dem Anwalt zugute kommen. So braucht das<br />

Gericht, auch wenn im Ausgangsverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz<br />

galt, im Haftpflichtprozeß die Tatsachen<br />

nicht weiter aufzuklären, wenn der Nachweis durch den<br />

Mandanten bisher nicht einmal ansatzweise geführt und bereits<br />

hinreichend erkennbar ist, daß die noch zur Verfügung<br />

stehenden Beweise nicht ausreichen werden, dessen Behauptungen<br />

zu stützen.<br />

Buchhinweise<br />

Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, Nachtrag 1999; hrsg.<br />

von Thomas Dieterich, Peter Hanau, Günter Schaub; Verlag<br />

C.H. Beck, München; 60 Seiten, 19 DM<br />

Der Nachtrag aktualisiert das Werk (vgl. Besprechung AnwBl<br />

1998, <strong>65</strong>0) durch die Kommentierung des sog. „Korrekturgesetzes“<br />

vom 19. Dezember 1998, mit welchem die neue Bundesregierung<br />

in der letzten Zeit erst getroffene Änderungen des Arbeits- und Sozialrechts<br />

rückgängig gemacht hat.<br />

Die trotz der intensiven und lautstarken Debatte nur punktuell und<br />

mit sehr begrenzter Zielsetzung getroffenen Änderungen sind so erläutert,<br />

daß der Kommentar als ganzes wieder aktuell aus einem<br />

Guß vorliegt.<br />

Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Köln<br />

Notarrecht, Bundeseinheitliche Vorschriften, Gesetze, Verordnungen,<br />

Erlasse, Merkblätter und Hinweise; zusammengestellt<br />

von Dr. Helmut Weingärtner; 6. aktualisierte Auflage 1999; Carl<br />

Heymanns Verlag KG, Köln, Berlin, Bonn, München; 1.194 Seiten,<br />

188 DM.<br />

Das außerordentlich verdienstvolle Werk ist vollständig aktualisiert<br />

und wird der täglichen Notariatspraxis die gewohnte Hilfe sein.<br />

Wichtig ist die Wiedergabe der aktuellen Fassungen der Bundesnotarordnung<br />

und des Beurkundungsgesetzes sowie die Sammlung<br />

vieler neuer Rundschreiben der Notarkammern. Der Abschnitt<br />

„Hinweise zum Euro“ ist sehr hilfreich. Es gibt keine bessere kompakte<br />

Quelle der für die Notariatspraxis wichtigen Texte und<br />

Arbeitsmaterialien.<br />

Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Köln<br />

Detlef Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren<br />

(ZAP-Ratgeber Prozeßrecht); 2. aktualisierte und<br />

wesentlich erweiterte Auflage 1999; Verlag für die Rechts und<br />

Anwaltspraxis GmbH, Herne/Berlin; 1.178 Seiten, mit CD-<br />

ROM, 188 DM.<br />

Im Ensemble der praktischen Arbeitshilfen hat sich das Buch schon<br />

etabliert. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass es nun aktuell in<br />

noch erweiterter Form vorliegt. Der Reiz des Handbuchs liegt vor<br />

allem darin, dass es ganz dem Ermittlungsverfahren gewidmet ist,<br />

jenem Teil der Strafrechtspflege, deren Schwergewicht und Ausstrahlung<br />

für das „richtige“ Ergebnis schwerlich zu unterschätzen<br />

ist. Das Werk ist alphabetisch anhand einer Fülle einschlägiger<br />

Stichworte aufgereiht und enthält dazu, jeweils strukturiert, Hinweise<br />

zum Recht, seiner praktischen Anwendung sowie der korrekten<br />

Formulierung. Viele Muster ergänzen diese durchweg hilfreichen<br />

praktischen Arbeitshinweise. Der Strafverteidiger, und der,<br />

der es werden will, sollte das Buch stets zur Hand haben.<br />

Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Köln<br />

Die Kanzlei<br />

Im Hermann Luchterhand Verlag ist im November 1999 erstmals<br />

die Zeitschrift „Die Kanzlei, Management-Journal für Anwälte“ erschienen.<br />

Sie will, wie Sie sagt, nicht eine weitere Fachzeitschrift im juristischen<br />

Blätterwald sein, sondern die Dienstleistung der Rechtsberatung,<br />

den Anwaltsmarkt, EDV, das Kanzleimarketing und das Personalwesen<br />

in den Vordergrund ihrer monatlichen<br />

Berichterstattung stellen.<br />

Ein Fortschritt mag es wohl sein, vom „juristischen Büro“ in die<br />

Kanzlei zu schreiten. Die Zeitschrift wird, wenn sie gut wird, auf<br />

großes Interesse stoßen können.<br />

Das Jahresabonnement kostet 198 DM. Zum Markteintritt gibt es<br />

ein Schnupperabo zum Preis von 20 DM für zwei Ausgaben. Nähere<br />

Informationen c/o Hermann Luchterhand Verlag, Heddesdorfer<br />

Straße 31, 5<strong>65</strong>64 Neuwied – Christoph Hermann – Telefon:<br />

0 2631 /801 -221; Telefax: 0 2631 /801 - 333.<br />

Ehrhardt, Douverne, Schmitz; Handbuch für Notare – Nachtrag<br />

(Stand 30. Oktober 1998) zur 5., aktualisierten Auflage; Carl<br />

Heymanns Verlag KG, Köln u. a. 1998<br />

Gut ist es, den Nachtrag zu dem trefflichen Handbuch, das Ende<br />

1997 auf den neuesten Stand gebracht worden war, zur Hand zu<br />

haben. Der Nachtrag enthält den Text der Bundesnotarordnung und<br />

des Beurkundungsgesetzes nach dem Stande vom 31. August 1998.<br />

Außerdem bringt er die nötigen Hinweise und Ausführungen zum<br />

Neuen Kindschaftsrecht sowie zur Handelsrechtsreform.<br />

Red.<br />

Redeker, Uechtritz (Hrsg.);Anwaltshandbuch fürVerwaltungsverfahren,<br />

Lieferung 12. Juli 1999; Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln;<br />

268 Seiten, 90 DM.<br />

Das seit langem bestens eingeführte Handbuch erfährt durch<br />

die Lieferung 12 wieder eine Aktualisierung und Erweiterung. Der<br />

Austausch des Kapitels zum Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht<br />

wird fortgesetzt. Das Planfeststellungsverfahren ist völlig neu bearbeitet<br />

und der aktuellen Rechtslage angepaßt. Erstmals aufgenommen<br />

in das Handbuch ist die Bearbeitung des Bodenschutzrechts,<br />

bei welchem vor allem das Altlastenrecht umfassend dargestellt<br />

wird.<br />

Red.


110<br />

l SPEZIALIT¾TEN<br />

Scheinselbständigkeit und<br />

Rechtsschutzversicherung<br />

Rechtsanwalt Dr. Roman F. Adam, Wetzlar<br />

I. Einleitung<br />

Das Thema der sog. Scheinselbständigkeit ist in aller<br />

Munde. Es handelt sich dabei um die offensichtlich in den<br />

letzten Jahren zunehmende Erscheinung, daß Beschäftigte<br />

durch schriftlichen Vertrag oder auch ohne einen solchen<br />

als Selbständige behandelt und als freie Mitarbeiter eingestellt<br />

werden, obwohl Sie nach dem nicht zur Disposition<br />

stehenden Rechtsbegriff, d. h. den tatsächlichen Merkmalen<br />

ihrer Tätigkeit, Arbeitnehmer sind 1 . Beitragsausfälle der<br />

Sozialversicherungsträger und das Vorenthalten gesetzlicher<br />

Schutzbestimmungen wie der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall<br />

etc. werden als negative Folgen dieser Entwicklung<br />

angeführt und wurden zum Anlaß einer auch politischen<br />

Diskussion genommen, die schließlich das „Gesetz<br />

zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung<br />

der Arbeitnehmerrechte“ hervorgebracht hat, welches<br />

zum 1.1.1999 2 in Kraft getreten ist, halbherziger Weise<br />

aber nur den sozialrechtlichen Arbeitnehmer- bzw. Beschäftigtenbegriff<br />

definiert und wegen seiner Ungereimtheiten<br />

auf Kritik gestoßen ist 3 . Zuvor hatte das Bundesministerium<br />

für Arbeit und Sozialordnung einen Forschungsbericht mit<br />

dem Titel „Empirische Befunde zur Scheinselbständigkeit“<br />

in zwei Bänden aus den Jahren 1996 4 und 1997 5 erstellt.<br />

Wer nun Arbeitnehmer und wer Selbständiger ist, kann in<br />

häufig auftretenden Grenzfällen nicht eindeutig beantwortet<br />

werden 6 . Wie die Rechtsschutzversicherungen damit umgehen<br />

bzw. umgehen sollten, ist Thema dieses Beitrages. Diese stellen<br />

sich nach der Erfahrung des Verfassers auf den Standpunkt,<br />

daß sich das Arbeitsgericht für zuständig erklären<br />

müsse, da andernfalls von einer selbständigen Tätigkeit des<br />

Versicherungsnehmers auszugehen sei, die unter den Risikoausschluß<br />

der §§ 25 Abs. 1, 26 Abs. 1 ARB 94 fällt. Im<br />

folgenden ist darzulegen, daß dieser Standpunkt sowohl unter<br />

versicherungs- als auch arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten<br />

unzutreffend ist. Der von Rechtsschutzversicherungen geforderte<br />

Beschluß, mit dem sich das Arbeitsgericht für sachlich<br />

zuständig erklärt, ist für die Entscheidung zur Kostenübernahme<br />

weder notwendig noch ausreichend.<br />

II. Grundlagen der Rechtsschutzversicherung im<br />

Arbeitsrecht<br />

Für Arbeitnehmer besteht nach § 25 Abs. 1 ARB 94 die<br />

Möglichkeit der Privat- und Berufsrechtsschutzversiche-<br />

AnwBl 2/2000<br />

rung, die nach § 25 Abs. 3 i. V. m. § 2b ARB 94 den<br />

Arbeits-Rechtsschutz umfaßt. Nach § 26 Abs. 1 ARB 94<br />

können die vertraglich erfaßten Risiken um den Bereich<br />

des Verkehrs-Rechtsschutz erweitert werden. In diesem<br />

„Paket“ richtet sich der Arbeits-Rechtsschutz nach § 26<br />

Abs. 3 i. V. m. § 2 b ARB 94. Ausgeschlossen ist nach den<br />

jeweiligen Abs. 1 der § 25 und § 26 ARB 94 die selbständige<br />

Tätigkeit.<br />

Arbeitgeber können sich nach § 28 ARB 94 im Rahmen<br />

des Privat-, Berufs- und Verkehrs-Rechtsschutzes für Selbständige<br />

versichern, der nach § 28 Abs. 1 a), Abs. 3 i. V. m.<br />

§ 2b ARB 94 u. a. den Arbeits-Rechtsschutz für Schadenfälle<br />

im Rahmen von Arbeitsverhältnissen der von dem<br />

Versicherungsnehmer Beschäftigten umfaßt.<br />

Wenn nun ein Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage<br />

(§ 4 KSchG) erhebt oder etwa Lohnfortzahlung geltend<br />

macht, muß der Rechtsschutzversicherer die zur Interessenwahrnehmung<br />

erforderlichen Kosten tragen (§ 1 ARB 94).<br />

Gleiches gilt für Arbeitgeber als rechtsschutzversicherte<br />

Gegner eines solchen Arbeitnehmers. In beiden Fällen ist<br />

die Eintrittspflicht der Rechtsschutzversicherung aber nach<br />

§ 158n VVG davon abhängig, daß hinreichende Erfolgsaussicht<br />

für die Klage oder das außergerichtliche Vorgehen<br />

besteht und die Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint.<br />

Streit besteht darüber, ob hier die Beurteilung im Rahmen<br />

der Prozeßkostenhilfe heranzuziehen oder der Maßstab<br />

niedriger anzusetzen ist und schon geringe Erfolgschancen<br />

ausreichen 7 . Nach dem Wortlaut des § 158n VVG, der insoweit<br />

den Voraussetzungen der Prozeßkostenhilfe (§ 114<br />

ZPO) entspricht, erscheint die Meinung, daß in der Rechtsschutzversicherung<br />

geringere Anforderungen ausreichten,<br />

mit der gesetzlichen Regelung der Rechtsschutzversicherung<br />

(§ 158l – 158o VVG) aus dem Jahre 1990 nicht vereinbar.<br />

Für das vorliegende Thema muß die Frage nicht entschieden<br />

werden. Nach der einen wie der anderen Auffassung<br />

ist die Deckung jedenfalls von einem gewissen Maß<br />

an Erfolgsaussicht abhängig, daß dann sicher nicht gegeben<br />

ist, wenn an dem Rechtskonflikt nur Selbständige beteiligt<br />

sind. Wie bereits erwähnt, ist im Einzelfall jedoch schwer<br />

zu entscheiden, wann die Arbeitnehmereigenschaft vorliegt.<br />

1 Aus den zahlreichen Beiträgen zur Scheinselbständigkeit sollen hier beispielhaft<br />

die folgenden genannt werden: Wank, DB 1992, S. 90 ff.; Buschmann,<br />

Rechtsprobleme der Scheinselbständigkeit, Festschrift für Albert Gnade zum<br />

<strong>65</strong>. Geburtstag (1992), S. 129 ff.; Worzalla, Arbeitsverhältnis, Selbständigkeit,<br />

„Scheinselbständigkeit“, Festschrift für Dieter Stege (1997), S. 322 ff.<br />

2 BGBl. I S. 3843 ff.; vgl. dazu Kilger, AnwBl. 1999, S. 39 f.<br />

3 Vgl. nur beispielhaft Buchner, DB 1999, S. 146 ff., wobei hier dahin stehen<br />

soll, ob den Kritikern in allen Punkten zuzustimmen ist; bereits im Vorfeld<br />

wurde das Gesetzesvorhaben kritisiert, so etwa von Sowka, Die Bekämpfung<br />

der Scheinselbständigkeit mit untauglichen Mitteln – zu Vorstellungen der<br />

SPD-Bundestagsfraktion und der Rentenkommission, Festschrift für Dieter Stege<br />

(1997), S. 296 ff.<br />

4 Ergebnisse des IAB-Projekts 4 – 448 V „Freie Mitarbeiter und selbständige<br />

Einzelunternehmer mit persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit“.<br />

5 Juristischer Teil des IAB-Projekts 4 – 448 V von Prof. Dr. Rolf Wank.<br />

6 Vgl. aus der umfangreichen Literatur z. B. Wank, Arbeitnehmer und Selbständige<br />

(1988); denselben im Juristischen Teil des Forschungsberichtes (aaO<br />

Fn. 5); Hromadka, NZA 1997, S. 1249 ff. und DB 1998, S. 195 ff.; Müller,<br />

MDR 1998, S. 1061 ff.<br />

7 So das OLG Köln, VersR 1983, S. 1025 f. unter Hinweis auch auf die Gegenmeinung.


AnwBl 2/2000 111<br />

Spezialitäten l<br />

Sie ist z. B. nicht gegeben, wenn ein Subunternehmer für<br />

einen rechtsschutzversicherten Selbständigen auf der Basis<br />

eines Werkvertrages tätig wird. Zwar umfaßt der Privat-,<br />

Berufs- und Verkehrs-Rechtsschutz für Selbständige nach<br />

§ 28 Abs. 1 a) die im Versicherungsschein bezeichnete gewerbliche,<br />

freiberufliche oder sonstige Tätigkeit des Versicherungsnehmers,<br />

aus Absatz 3 folgt jedoch insoweit die<br />

Einschränkung durch abschließende Aufzählung, wo außerhalb<br />

des arbeitsrechtlichen Bereichs nur für den privaten<br />

Bereich und nichtselbständige Tätigkeit des Versicherungsnehmers<br />

Vertragsrechtsschutz gewährt wird. Werkverträge,<br />

die in Ausübung der im Versicherungsschein bezeichneten<br />

selbständigen Tätigkeit abgeschlossen werden, fallen nicht<br />

darunter, wobei die Abgrenzung der Werk- und freien<br />

Dienstverträge zur Arbeitnehmerüberlassung im Einzelfall<br />

schwierig sein kann und schon häufig Gegenstand von<br />

Gerichtsentscheidungen war 8 .<br />

III. Einwände gegen die Regulierungspraxis einzelner<br />

Rechtsschutzversicherungen<br />

Es wurde bereits einleitend erwähnt, daß die Rechtschutzversicherungen<br />

ihre Deckungszusage davon abhängig<br />

machen, daß sich das angerufene Arbeitsgericht durch Beschluß<br />

für zuständig erklärt. So heißt es etwa in dem<br />

Schreiben einer großen Rechtsschutzversicherung: „Unsere<br />

Kostenzusage erfolgt unter dem Vorbehalt, daß es sich vorliegend<br />

um eine Streitigkeit aus unselbständiger Tätigkeit<br />

handelt und sich das Arbeitsgericht für zuständig erklärt“.<br />

Auch im Schreiben einer anderen großen Rechtsschutzversicherung<br />

wurde die Zuständigkeitsfrage angesprochen und<br />

dem Verfasser die Frage gestellt: „Können wir davon ausgehen,<br />

daß sich das Arbeitsgericht für zuständig erklärt“?<br />

Eine juristisch korrekte Antwort hätte hier zunächst dahin<br />

lauten müssen, daß dies nur bei Rüge der Zuständigkeit<br />

durch den Prozeßgegner möglich ist, denn § 17a Abs. 3<br />

Satz 1 GVG, der über § 48 ArbGG auch im Verfahren vor<br />

den Arbeitsgerichten gilt, stellt einen solchen Beschluß zunächst<br />

in das Ermessen des Gerichts, das nach § 17a Abs. 3<br />

Satz 2 GVG nur auf entsprechende Rüge einer Partei über<br />

die Zulässigkeit des Rechtswegs vorab entscheiden muß.<br />

Als Anwalt eines Mandanten, der von sich behauptet,<br />

Arbeitnehmer zu sein und daher vors Arbeitsgericht ziehen<br />

möchte, kann man das Gericht zu einer Vorabentscheidung<br />

somit nicht zwingen. Zuzugeben ist natürlich, daß in den<br />

Zweifelsfällen die Rüge erhoben wird. Es kann aber auch<br />

sein, daß diese – aus welchen Gründen auch immer – unterbleibt<br />

oder gar eine Zuständigkeitsvereinbarung nach § 2<br />

Abs. 4 ArbGG getroffen wird, wobei es auch durchaus vorkommen<br />

mag, daß nur der Rechtsschutzversicherung, nicht<br />

aber dem Prozeßgegner das Vorliegen der Arbeitnehmereigenschaft<br />

zweifelhaft ist. Auf der anderen Seite kommt hinzu,<br />

daß die Beantwortung der oben erwähnten Frage, ob davon<br />

auszugehen ist, daß sich das Arbeitsgericht für<br />

zuständig erklärt, für die hinreichende Erfolgsaussicht einer<br />

Klage und somit die Beurteilung der Eintrittspflicht gar<br />

nicht genügt. Denn damit ist noch nichts über die Begründetheit<br />

der Klage ausgesagt und somit kann auch noch<br />

keine Deckungszusage erfolgen.<br />

Wird nach den bisher gewonnenen Erkenntnissen im<br />

Einzelfall sogar Unmögliches verlangt, wenn die Deckungszusage<br />

unter den Vorbehalt gestellt wird, daß sich das<br />

Arbeitsgericht für zuständig erklärt, so sollte man diese Voraussetzung<br />

überhaupt nicht verlangen. Immerhin könnte<br />

man dem aber entgegenhalten, daß jedenfalls in den prak-<br />

tisch häufigen Fällen einer Beschlußfassung nach § 17a<br />

Abs. 3 Satz 2 GVG der Vorbehalt auch Wirkung entfaltet.<br />

Schließlich teilte eine weitere Rechtschutzversicherung<br />

dem Unterzeichner mit, für sie sei nur die negative Voraussetzung<br />

maßgebend, daß ein Beschluß, mit dem sich das<br />

Arbeitsgericht für unzuständig erklärt, nicht vorliegen dürfe,<br />

eine positive Feststellung der Zuständigkeit hingegen<br />

nicht gefordert werde. Dies kann aber auch nicht richtig<br />

sein, da die Deckungszusage nicht davon abhängen darf, ob<br />

das Gericht den fakultativen Beschluß faßt oder auf eine<br />

Rüge hin erlassen muß. Konsequenter erscheint es demgegenüber<br />

dann schon, das Urteil und die dort getroffenen<br />

Feststellungen entscheiden zu lassen. Ob auf solche Weise<br />

tatsächlich zutreffende Ergebnisse erzielt werden, soll später<br />

untersucht werden.<br />

Daß es jedenfalls auf den Beschluß nach § 17a Abs. 3<br />

GVG nicht ankommen kann, folgt schon zwingend aus<br />

der Tatsache, daß die Arbeitsgerichte gemäß §§ 2, 5 Abs. 1<br />

Satz 2 ArbGG auch für sog. arbeitnehmerähnliche Personen<br />

zuständig sind, bei denen es sich um Selbständige handelt,<br />

die von ihren Auftraggebern wirtschaftlich abhängig sind9 ,<br />

während für den Arbeitnehmer nach h. M. eine persönliche<br />

Abhängigkeit maßgebend sein soll, die u. a. durch Eingliederung<br />

in eine fremde Arbeitsorganisation und Weisungsgebundenheit<br />

zum Ausdruck kommt10 . Da sich in solchen<br />

Fällen das Arbeitsgericht ebenfalls für zuständig erklären<br />

muß, gleichwohl aber nach den einschlägigen Bestimmungen<br />

der ARB keine Deckung besteht, ist ein Beschluß, nach<br />

dem sich das Arbeitsgericht für zuständig erklärt, in einem<br />

solchen Fall absolut ungeeignet, den von der Rechtsschutzversicherung<br />

gewünschten Nachweis zu erbringen. Hinzu<br />

kommt, daß in einem Beschluß nach § 17a Abs. 3 GVG zunächst<br />

nur über die sachliche Zuständigkeit befunden werden<br />

muß und die Arbeitsgerichte demnach regelmäßig offen<br />

lassen (können), ob ein Arbeitnehmer oder eine arbeitnehmerähnliche<br />

Person am Rechtsstreit beteiligt ist, weil in<br />

beiden Fällen der gleiche Rechtsweg gegeben ist. Damit ist<br />

den Rechtsschutzversicherern nicht geholfen. Dennoch geben<br />

sie sich nach den Erfahrungen des Verfassers mit einem<br />

positiven Beschluß zufrieden, auch wenn dort nur über die<br />

Zuständigkeit entschieden und die Statusfrage offen gelassen<br />

wird. Ob dies im Einzelfall auf Großzügigkeit oder<br />

Unkenntnis beruht, mag dahin stehen. Jedenfalls ist es sachlich<br />

nicht gerechtfertigt, die Deckungszusage davon abhängig<br />

zu machen, daß der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten<br />

durch Beschluß nach § 17a Abs. 3 GVG bejaht wird.<br />

Der diesbezügliche Beschluß ist darüber hinaus auch<br />

deswegen für die Beurteilung der Eintrittspflicht zu wenig,<br />

weil von der Rechtsprechung die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte<br />

schon dann für gegeben erachtet wird, wenn nach<br />

der Rechtsansicht des Klägers eine arbeitsrechtliche Streitigkeit<br />

vorliegt11 . Dies jedenfalls dann, wenn es sich um einen<br />

sog. „sic-non-Fall“ handelt, in dem für den Erfolg der<br />

Klage Voraussetzung ist, daß es sich bei dem Kläger um einen<br />

Arbeitnehmer handelt 12 . Darunter fällt auch die Kündi-<br />

8 Vgl. z. B. OLG Düsseldorf, EzA Nr. 5 zu § 1 AÜG; BAU, EzA Nr. 4 zu § 10<br />

AÜG mit Anm. von Dauner-Lieb; BAG, EzA Nr. 8 zu § 10 AÜG mit Anm.<br />

von Feuerborn.<br />

9 Vgl. die Legaldefinition in § 12a TVG.<br />

10 Zum Arbeitnehmerbegriff vgl. die Ausführungen von Schaub, Arbeitsrechts-<br />

Handbuch, 8. Aufl. (1996), S. 52 ff., insbes. Ziffer II., 3.<br />

11 Vgl. BAG SAE 1998, S. 222 m. Anm. von Schreiber.<br />

12 Vgl. BAG, aaO (Fn. 11).


112<br />

l<br />

gungsschutzklage. Das LAG Köln führt dazu aus 13 : „... Der<br />

Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig,<br />

ohne daß es auf die Frage ankommt, ob die Kl mit ihrer<br />

Rechtsbehauptung, Arbeitnehmerin zu sein, Recht hat. Die<br />

Kl erhebt nämlich ausdrücklich und erklärtermaßen eine<br />

Feststellungsklage, mit der die Fortdauer eines ,Arbeitsverhältnisses’<br />

festgestellt werden soll. Hierzu sind allein die<br />

Arbeitsgerichte berufen. Ein ordentliches Gericht kann<br />

nicht die Fortdauer eines ,Arbeitsverhältnisses’ feststellen.<br />

Rechtlich folgt dies aus § 4 Satz 1 KSchG: Danach ist nämlich<br />

eine Kündigungsschutzklage ,beim ArbG’ zu erheben.<br />

Der Kl, die ausdrücklich und nur eine arbeitsrechtliche<br />

Kündigungsschutzklage erheben will, würde der Rechtsschutz<br />

verweigert, wenn sich gerade das Gericht, das ihr<br />

das Gesetz benennt, für nicht zuständig erklären würde.<br />

Demgemäß kann auch nicht das AG das zuständige Gericht<br />

sein, weil es nicht über das Bestehen oder Nichtbestehen<br />

eines Arbeitsverhältnisses zu befinden hat und damit auch<br />

nicht über dessen Fortdauer ...<br />

...IndiesemLichtmußzwangsläufig§2INr.3lit.b<br />

ArbGG ausgelegt werden: Es liegt eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit<br />

,über das Bestehen oder Nichtbestehen eines<br />

Arbeitsverhältnisses’ vor. Aber auch die in § 2 I Nr. 3 b<br />

ArbGG vorangeschickte Voraussetzung – daß es sich nämlich<br />

um eine Rechtsstreitigkeit ,zwischen Arbeitnehmern<br />

und Arbeitgebern’ handeln muß, ist als erfüllt zu unterstellen.<br />

Dies ist nämlich im Falle einer echten, auf das Kündigungsschutzgesetz<br />

gestützten Klage mit dem Antrag nach<br />

§ 4 Satz 1 KSchG auch dann anzunehmen, wenn sich der<br />

Streit der Parteien auch um den Status des Kl dreht. In solchem<br />

Fall muß für die Frage des Rechtsweges die bloße, im<br />

Falle des Bestreitens zu substantiierende Rechtsbehauptung<br />

des Kl genügen. Zumindest bei ausdrücklichen Kündigungsschutzstreiten<br />

ist deshalb bei Prüfung der Eignungsvoraussetzung<br />

(,zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern’) nicht an<br />

die objektiven Verhältnisse anzuknüpfen; vielmehr muß die<br />

Vorschrift in diesen Fällen ,Arbeitgeber’ und ,Arbeitnehmer’<br />

des jeweils für sich reklamierten bzw. zurückgewiesenen Arbeitsverhältnisses<br />

meinen. Das ergibt sich aus folgendem:<br />

Entscheidet das ArbG über das Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses,<br />

was es nach dem Gesetzeswortlaut tun soll, so<br />

steht damit zugleich fest, daß es sich objektiv gar nicht um<br />

den Streit eines Arbeitnehmers mit seinem Arbeitgeber gehandelt<br />

haben kann.<br />

Für andere prozessuale Konstellationen wird dies im<br />

übrigen von Rechtsprechung und Literatur – wohl einhellig –<br />

ebenso gesehen. So weist man insb. Statusklagen, mit der<br />

ein Kl das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses mit dem in<br />

Anspruch genommenen Bekl festgestellt wissen will, problemlos<br />

den Gerichten für Arbeitssachen zu – eben als Anwendungsfall<br />

von § 2 I Nr. 3 lit. b ArbGG ...“<br />

Nach allem erscheint es für die Prüfung der Eintrittspflicht<br />

von Rechtsschutzversicherungen bei Zweifeln über<br />

das Vorliegen des Arbeitnehmerstatus völlig ungeeignet, einen<br />

Beschluß, mit dem sich das Arbeitsgericht für zuständig<br />

erklärt, heranzuziehen. Somit ist nunmehr zu prüfen, ob<br />

statt dessen die Feststellungen im Urteil Grundlage der<br />

Deckung sind bzw. sein sollten.<br />

IV. Die sog.Voraussetzungsidentität in der<br />

Rechtsschutzversicherung<br />

Nach einer vor allem in der älteren Rechtsprechung und<br />

Literatur verbreiteten Auffassung, ist das Ergebnis des<br />

arbeitsgerichtlichen Verfahrens für die Beurteilung der Ein-<br />

AnwBl 2/2000<br />

Spezialitäten<br />

trittspflicht maßgebend14 . Dieser Standpunkt beruht auf<br />

dem Prinzip der sog. Voraussetzungsidentität. Dabei geht es<br />

um Fälle, in denen eine rechtskräftige Tatsachenfeststellung<br />

im „Hauptprozeß“ auch bindende Wirkung für die Eintrittspflicht<br />

der Versicherung hat 15 . Dieser Grundsatz stammt<br />

aus dem Recht der Haftpflicht-Versicherung. Dort ist die<br />

Entscheidung eines Rechtsstreits, wo festgestellt wird, daß<br />

der Versicherungsnehmer seinem Unfallgegner in bestimmten<br />

versicherten wie auch nicht versicherten Eigenschaften<br />

oder Tätigkeiten zum Schadensersatz verpflichtet ist, auch<br />

für einen nachfolgenden Deckungsprozeß bindend16 . Dies<br />

kann sowohl zum Nachteil des Versicherungsnehmers als<br />

auch zu seinem Vorteil sein. Einen Niederschlag hat dieses<br />

Prinzip auch in § 2 i) aa) bb), j) bb) der ARB 94 gefunden,<br />

wo bestimmt ist, daß der Rechtsschutz in Straf- und Owi-<br />

Sachen entfällt, wenn durch rechtskräftige Entscheidung<br />

ein vorsätzliches Handeln des Versicherungsnehmers festgestellt<br />

wird.<br />

Gleichwohl stellt das Prinzip der Voraussetzungsidentität<br />

in der Rechtsschutzversicherung einen Fremdkörper dar. So<br />

hat denn auch der BGH im Jahre 199217 dieser h. M. zutreffend<br />

eine Absage erteilt und entschieden, daß auch in<br />

den Fällen der sog. Voraussetzungsidentität die Tatsachenfeststellungen<br />

im „Hauptprozeß“ für die Beurteilung der<br />

Eintrittspflicht einer Rechtsschutzversicherung nicht bindend<br />

sind.<br />

Begründet wird dies damit, daß für das sog. Trennungsprinzip,<br />

welches die Prüfung der Haftpflichtfrage grundsätzlich<br />

dem Haftpflichtprozeß vorbehalte und Grundlage<br />

der Bindungswirkung ist, im Bereich der Rechtsschutzversicherung<br />

kein Raum sei, da dort eine weitergehende Einstandspflicht<br />

besteht 18 . Was die Haftpflichtversicherung betrifft,<br />

so wäre es mit deren Sinn und Zweck nicht zu<br />

vereinbaren, wenn in einem Deckungsprozeß die Forderung<br />

des Dritten rechtskräftig abgelehnt, im späteren „Hauptprozeß“<br />

jedoch zuerkannt werden könnte. Es sei gerade Sinn<br />

der Haftpflicht-Versicherung, hier den Schaden zu tragen.<br />

Dies gilt auch wenn das Urteil im zweiten Verfahren materiell<br />

unrichtig ist. Demgegenüber ist es nicht die Aufgabe<br />

der Rechtsschutzversicherung, für die Kosten eines Rechtsstreits<br />

einzustehen, der keine hinreichende Aussicht auf Erfolg<br />

bietet, auch wenn das Gericht ein Fehlurteil erläßt und<br />

der Versicherungsnehmer den Prozeß gewinnt. Gerade für<br />

das arbeitsgerichtliche Verfahren ist der zuletzt genannte<br />

Fall von Bedeutung, da dort im ersten Rechtszug kein<br />

Anspruch auf Kostenerstattung besteht (§ 12a Abs. 1 Satz 1<br />

ArbGG) und aus diesem Grunde die Rechtsschutzversicherung<br />

der obsiegenden Partei insoweit immer zahlen muß.<br />

Während somit die Bindungswirkung im Recht der Haftpflichtversicherung<br />

zu angemessenen Ergebnissen führt, ist<br />

dies bei der Rechtsschutzversicherung nicht so. Es besteht<br />

hier ein charakteristischer Unterschied darin, daß die Leistungszusage<br />

des Versicherers nicht vom Ergebnis einer<br />

13 NZA-RR 1996, S. 126 f.; vgl. zum Problemkreis insgesamt Reinecke, ZfA<br />

1998, S. 359, der die Konsequenzen dieser Rechtsprechung durch den von<br />

ihm als „Extrembeispiel’ bezeichneten Fall verdeutlicht, daß ein frei praktizierender<br />

Hausarzt auf Feststellung seiner Arbeitnehmereigenschaft klagt (vgl.<br />

aaO, S. 378) und die Rechtsauffassung vertritt, bei dem Patienten handele es<br />

sich um seinen Arbeitgeber.<br />

14 So z. B. Harbauer, Anm. zu OLG Karlsruhe, VersR 1981, S. 845; OLG Köln,<br />

NJW-RR 1989, S. 25.<br />

15 Vgl. Harbauer, aaO (Fn. 14), S. 846 f; OLG Köln, aaO (Fn. 14).<br />

16 Vgl. Harbauer, aaO (Fn. 14), S. 846.<br />

17 BGH VersR 1992, S. 568.<br />

18 Vgl. BGH, aaO (Fn. 17), S. 570.


AnwBl 2/2000 113<br />

Spezialitäten l<br />

rechtlichen Auseinandersetzung mit Dritten abhängt. Es genügt<br />

vielmehr, daß es zu einer solchen kommt19 . In der<br />

Rechtsschutzversicherung ist das anders, weil die Kostenübernahme<br />

nur dann zugesagt werden muß, wenn die beabsichtigte<br />

Wahrnehmung rechtlicher Interessen hinreichend<br />

erfolgversprechend und nicht mutwillig ist 20 . Es entspricht<br />

dem Wesen der Rechtsschutzversicherung, daß deren Eintrittspflicht<br />

von dem Ergebnis einer Prognose abhängig ist<br />

und das endgültige Ergebnis der Interessenwahrnehmung<br />

hier keine Rolle spielt 21 . Da dort ein verlorener Prozeß die<br />

einmal entstandene Leistungspflicht des Versicherers nicht<br />

zum Erlöschen bringt22 , können die Grundsätze der Haftpflichtversicherung<br />

nicht zur Anwendung kommen. Es<br />

stellt sich daher auch die Frage, ob es sich bei den bereits<br />

erwähnten Bestimmungen in § 2 i) aa) bb), j) bb) der ARB<br />

94 überhaupt um wirksame Vorschriften handelt, da nach<br />

§ 158o VVG eine vertragliche Abweichung von den Bestimmungen<br />

der §§ 158l bis § 158n VVG zum Nachteil<br />

des Versicherungsnehmers nicht möglich ist. Aus § 158n<br />

VVG folgt nämlich, daß stets hinreichende Erfolgsaussicht<br />

und fehlende Mutwilligkeit zur Eintrittspflicht des Rechtsschutzversicherers<br />

führen (müssen).<br />

Man könnte nun zwar formalistisch die Auffassung vertreten,<br />

daß § 158n VVG nichts allgemein über die Grundsätze<br />

der Eintrittspflicht aussagt, sondern lediglich den sog.<br />

Stichentscheid bei Meinungsverschiedenheiten über die<br />

Deckung regelt. Dennoch erscheinen die zitierten Klauseln<br />

in § 2 der ARB 94 jedenfalls mit wesentlichen Grundgedanken<br />

der gesetzlichen Regelung (in § 158n VVG)<br />

unvereinbar, so daß § 9 Abs. 1, 2 Nr. 1 ABG eingreift 23 .<br />

Hier ist sogar § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGB-Gesetz in Betracht zu<br />

ziehen, nach dem eine unangemessene Benachteiligung im<br />

Zweifel auch anzunehmen ist, wenn eine Bestimmung<br />

wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur<br />

des Vertrages ergeben, so einschränkt, daß die Erreichung<br />

des Vertragszwecks gefährdet ist. M. E. entspricht es dem<br />

Wesen des Rechtsschutzvertrages, daß bei Prüfung der Eintrittspflicht<br />

stets auf eine Prognose und nicht die nachfolgende<br />

Gerichtsentscheidung abzustellen ist. Daß sich Haftpflicht-<br />

und Rechtsschutzversicherung hier unterscheiden,<br />

wurde bereits vom BGH 24 zutreffend erkannt.<br />

Noch bedenklicher ist die Regelung in § 3 Abs. 5 der<br />

ARB 94, wonach für sämtliche in § 2 a) bis h) ARB 94 genannten<br />

Leistungsarten – und damit auch für den Arbeits-<br />

Rechtsschutz nach § 2 b) – keine Deckung besteht, sofern die<br />

Wahrnehmung der rechtlichen Interessen mit einer von dem<br />

Versicherungsnehmer vorsätzlich begangenen Straftat in ursächlichem<br />

Zusammenhang steht. Es reicht sogar die entsprechende<br />

Behauptung eines anderen aus, die nur entkräftet werden<br />

kann, wenn dieser Vorwurf „deutlich erkennbar<br />

unbegründet ist oder sich im Nachhinein als unbegründet erweist“.<br />

Hier kann sieh der Rechtsschutzversicherer mit dem<br />

Prozeßgegner verbünden, so daß eine mit den Grundgedanken<br />

der gesetzlichen Regelung und dem Wesen dieser Versicherung<br />

nicht mehr zu vereinbarende Bestimmung vorliegt.<br />

Nach § 3 Abs. 5 ARB 94 müssen somit die Kosten eines<br />

Kündigungsschutzprozesses nicht von der Rechtsschutzversicherung<br />

getragen werden, wenn die fristlose Kündigung auf<br />

den Vorwurf gestützt wird, daß der Versicherungsnehmer Firmengelder<br />

unterschlagen habe 25 . Nach zutreffender Auffassung<br />

muß es aber auch hier auf eine Prognose ankommen. Einzige<br />

Ausnahme ist der Fall, daß dem Versicherer unrichtige<br />

Angaben gemacht wurden. Dies muß aber auf der Linie des<br />

BGH im Deckungsprozeß geklärt werden und erfordert nicht,<br />

daß sich der Vorwurf im Nachhinein als unbegründet erweist,<br />

wie dies § 3 Abs. 5 ARB 94 vorsieht. Notwendig ist nach dem<br />

Grundgedanken der gesetzlichen Regelung und dem Wesen<br />

der Rechtsschutzversicherung nur eine hinreichende Wahrscheinlichkeit,<br />

die den Vorwurf unberechtigt erscheinen läßt.<br />

Somitist§3Abs.5ARB94nach§158nVVGi.V.m.§158o<br />

VVG unwirksam. Wer dem nicht folgen will, muß sich auch<br />

hier mit § 9 AGB-Gesetz auseinandersetzen.<br />

Dies alles müssen die Vertreter der Auffassung, bei Voraussetzungsidentität<br />

seien die Tatsachenfeststellungen im<br />

„Hauptprozeß“ für die Frage der Eintrittspflicht von Rechtsschutzversicherungen<br />

ebenso bindend wie in Haftpflichtfällen,<br />

natürlich anders sehen. Deren Argumentation überzeugt<br />

jedoch nicht, da sie den wesentlichen Unterschied zwischen<br />

beiden Versicherungszweigen, der die Voraussetzungen der<br />

Deckung betrifft, ignoriert.<br />

So meint Harbauer 26 , in der Rechtsschutzversicherung hänge<br />

die Deckung immer von der spezifischen Art des Falles ab<br />

und sei somit gewissermaßen „akzessorisch“, was zur Folge<br />

habe, daß etwa die Frage der unselbständigen oder selbständigen<br />

Tätigkeit nirgendwo besser als im arbeitsgerichtlichen<br />

Verfahren entschieden werden könne. Damit vergleicht er<br />

aber Äpfel mit Birnen, denn im „Hauptprozeß“ vor dem Arbeitsgericht<br />

wird über die hinreichende Erfolgsaussicht der<br />

Klage nur im Verfahren auf Gewährung der Prozeßkostenhilfe<br />

entschieden. Der eigentliche Streitgegenstand ist jedoch<br />

ein anderer. Wenn der Statusprozeß oder die Kündigungsschutzklage<br />

Erfolg haben soll, muß zur Überzeugung des Gerichts<br />

feststehen, daß die Arbeitnehmereigenschaft vorliegt.<br />

Für die Eintrittspflicht der Rechtsschutzversicherung ist hingegen<br />

ausreichend, daß eine hinreichende Wahrscheinlichkeit<br />

dafür spricht. Dadurch soll dem Versicherungsnehmer gerade<br />

die Unwägbarkeit des z. B. vom ungewissen Ergebnis einer<br />

Beweisaufnahme abhängigen Ausgang des Rechtsstreits genommen<br />

werden, die ihm von den Vertretern der hier kritisierten<br />

Auffassung aufgebürdet wird, so daß er sich fragen muß,<br />

warum er die Versicherung abgeschlossen hat, wenn diese im<br />

Falle einer Niederlage nicht einspringt, obwohl darin doch die<br />

ihrem Wesen entsprechende Aufgabe besteht. Hinzu kommt,<br />

daß Harbauers Argument allein schon deswegen problematisch<br />

ist, weil die Voraussetzungen des Arbeitnehmerbegriffs<br />

höchst umstritten sind 27 und die Rechtsprechung uneinheitlich<br />

19 So zutreffend BGH, aaO (Fn. 18).<br />

20 BGH, aaO (Fn. 18).<br />

21 So auch BGH, aaO (Fn. 18).<br />

22 BGH, aaO (Fn. 18). Mit Recht weist der BGH auch darauf hin, daß die Regelung<br />

über das Schiedsgutachten bei Ablehnung des Rechtsschutzes (§ 17 Nr. 2<br />

ARB 75 u. § 18 ARB 94) voraussetzt, daß die Entstehung und der Fortbestand<br />

des Anspruchs auf Rechtsschutzgewährung von dem Ausgang des „Hauptprozesses“<br />

unabhängig sind.<br />

23 In diesem Sinne – lange vor Inkrafttreten der §§ 158l bis o VVG im Jahre<br />

1990 – auch Blohut/Brause, VersR 1977, S. 409 (411) zu § 9 AGB-Gesetz;<br />

gegen Blohut/Brause: Harbauer, Rechtsschutzversicherung, Kommentar zu<br />

den ARB 75 und 94, 6. Aufl. (1998), § 4 ARB 75, Rdnr. 185 - 190.<br />

24 AaO (Fn. 17).<br />

25 Vgl. van Bühren, Versicherungsrecht in der anwaltlichen Praxis, 3. Aufl.<br />

(1997), § 12 Rdnr. 16, der auch auf den insoweit noch strengeren § 4 Abs. 2 a<br />

ARB 75 hinweist.<br />

26 AaO (Fn. 14), S. 846.<br />

27 Bei den verschiedenen Ansichten handelt sich zum einen um die BAU-Rechtsprechung,<br />

nach der es im wesentlichen auf folgende Merkmale ankommen<br />

soll: örtliche, zeitliche und inhaltliche Weisungsgebundenheit sowie Zusammenarbeit<br />

mit anderen Beschäftigten und Arbeitsgerät des Auftraggebers (vgl.<br />

den ersten Teil des Forschungsberichtes Empirische Befunde zur „Scheinselbständigkeit“<br />

(Fn. 4, S. 3). Darüber hinaus wird die Ansicht vertreten, daß es<br />

auf die freiwillige Übernahme eines Unternehmerrisikos ankommt (vgl. dazu<br />

Wank im juristischen Teil des Forschungsberichts Empirische Befunde zur<br />

„Scheinselbständigkeit“ (Fn. 6, S. 74 ff.). Danach ist Arbeitnehmer, wer keine<br />

eigene Unternehmensorganisation hat, nicht am Markt auftritt und dessen<br />

Rechtsverhältnis zum Auftraggeber keine angemessene Verteilung von Chancen<br />

und Risiken vorsieht (vgl. den 1. Teil des Forschungsberichts Empirische<br />

Befunde zur „Scheinselbständigkeit“ (Fn. 6, S. 3 f.).


114<br />

l<br />

ist, so daß leicht von dem einem Gericht die Arbeitnehmereigenschaft<br />

bejaht, von einem anderen hingegen abgelehnt werden<br />

kann. Für die Deckungsfrage ist entscheidend, ob der Versicherungsnehmer<br />

nach einer der vertretenen Auffassungen<br />

Arbeitnehmer ist, denn dann sind bereits hinreichende Erfolgsaussichten<br />

gegeben. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß<br />

hier aus der Natur der Sache heraus geringere Anforderungen<br />

zu stellen sind als im Rahmen der Prozeßkostenhilfe. Dort<br />

prüft das Gericht auf der Grundlage seiner eigenen Rechtsauffassung<br />

die Erfolgsaussichten der Klage, während die Rechtsschutzversicherung<br />

nicht weiß, welcher Auffassung die jeweilige<br />

zur Entscheidung berufene Kammer folgen wird.<br />

Es spricht denn auch nicht für die von Harbauer vertretene<br />

Auffassung, daß das OLG Köln 28 sich veranlaßt sah, dessen<br />

Auffassung zu modifizieren. Dies geschah allerdings in einer<br />

erst recht nicht überzeugenden Weise, indem der Grundsatz<br />

von Treu und Glauben bemüht wurde, um die Bindung an das<br />

Ergebnis des „Hauptprozesses“ zu begründen. Wenn der Versicherungsnehmer<br />

die dort ergangene Entscheidung für die<br />

Deckungsfrage nicht anerkenne, liege eine unzulässige<br />

Rechtsausübung vor. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Bindungswirkung<br />

entweder besteht oder nicht besteht. Wenn sie<br />

nicht besteht, kann es keine unzulässige Rechtsausübung sein,<br />

wenn der Versicherungsnehmer sich darauf beruft. Aus Treu<br />

und Glauben kann sich die Bindung nicht ergeben. Die Begründung<br />

des OLG Köln ist mithin abwegig.<br />

V. Fazit<br />

Die Rechtsschutzversicherungen sollten ihre Eintrittspflicht<br />

bei arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten nicht davon abhängig<br />

machen, ob das Arbeitsgericht sich für zuständig erklärt<br />

oder nicht. Dies gilt uneingeschränkt für sog. „reine<br />

Statusprozesse“ und Kündigungsschutzklagen, weil es sich<br />

hier um „Sic-non-Fälle“ handelt, wo zuständigkeits- und anspruchsbegründende<br />

Tatsachen sich decken und deshalb die<br />

bloße Rechtsauffassung des Klägers maßgebend ist. Aber<br />

auch in anderen arbeitsrechtlichen Streitigkeiten wie Klagen<br />

auf Lohnzahlung ist der Beschluß, mit dem sich das angerufene<br />

Gericht für zuständig erklärt, zur Entscheidung über die<br />

Deckungszusage zumindest nicht ausreichend, da das Gericht<br />

keine Vorentscheidung über die Begründetheit trifft, deren<br />

Beurteilung im Sinne einer hinreichenden Erfolgsaussicht<br />

aber Grundlage der Eintrittspflicht von Rechtsschutzversicherungen<br />

ist. In den zuletzt genannten Fällen könnte der Beschluß<br />

des Arbeitsgerichts, mit dem sich dieses für zuständig<br />

erklärt, allenfalls Mindestvoraussetzung sein. Aber auch<br />

wenn man davon einmal absieht, darf sich eine Rechtsschutzversicherung<br />

nicht der eigenen Prüfung begeben und auf einen<br />

fakultativen Gerichtsbeschluß verweisen. Gerade im Arbeitsrecht,<br />

wo Beschwerden der Rechtsschutzversicherer über<br />

die Honorarforderungen der Anwaltschaft stets besonders<br />

laut vorgetragen werden 29 , sollten jene auch die eigene Position<br />

überdenken. Da die Frage der Eintrittspflicht bei sog.<br />

„Scheinselbständigkeit“ von besonderer Brisanz ist, eignet<br />

sich dieses Gebiet hervorragend, um ein positives Zeichen zu<br />

setzen, das dazu berechtigt, in anderen Fragen den eigenen<br />

Standpunkt mit Nachdruck zu vertreten und Verständnis für<br />

die eigene Position bei der Anwaltschaft einzufordern.<br />

28 AaO (Fn. 14), S. 26.<br />

29 Deren Berechtigung soll hier nicht pauschal bestritten werden. Vgl. im einzelnen<br />

zuletzt Ennemann, NZA 1999, S. 628 (629 ff.), dessen Beitrag mit dem<br />

Titel „Anwaltschaft und Rechtsschutzversicherung – Ein Spannungsverhältnis?“<br />

sich auf 7 Seiten mit arbeitsrechtlichen Fragen der Rechtsschutzversicherung<br />

beschäftigt. Nur eine einzige Seite ist von diesem Thema frei.<br />

AnwBl 2/2000<br />

Spezialitäten<br />

Zustellung und Vollstreckung<br />

deutscher Urteile in Belgien<br />

aus Sicht eines deutschen<br />

Antragstellers<br />

Rechtsanwältin Dr. Elisabeth Hoffmann, Brüssel<br />

A. Problemstellung<br />

Erfahrungsgemäß bereitet das Verfahren der Zustellung<br />

und Vollstreckung deutscher Urteile in Belgien für deutsche<br />

Rechtsanwälte immer wieder Schwierigkeiten. So erfüllt<br />

z. B. entgegen der weit verbreiteten Annahme die Zustellung<br />

eines Versäumnisurteils durch Aufgabe bei der Post in<br />

Deutschland nicht die Voraussetzungen für eine Vollstreckbarkeitserklärung<br />

in Belgien. Daher soll anhand der folgenden<br />

Ausführungen deutschen Rechtsanwälten ein Überblick<br />

über die wesentlichen Schritte des Verfahren gewährt werden.<br />

B. Rechtsgrundlagen<br />

Zum einen kommt das (Europäische) Übereinkommen<br />

über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung<br />

gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen<br />

vom 27.9.1968 (EuGVÜ) zur Anwendung, das seit dem<br />

1.2.1973 für die sechs ursprünglichen Mitgliedstaaten der<br />

EG gilt, u. a. also für Belgien und die Bundesrepublik<br />

Deutschland (BGBl 1972 II 773; 1973 II 60). Gemäß<br />

Art. 55, Spiegelstrich 7 EuGVÜ ersetzt dieses das am<br />

30.6.1958 in Bonn unterzeichnete deutsch-belgische<br />

Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung<br />

von gerichtlichen Entscheidungen, SchiedssprüchenundöffentlichenUrkundeninZivil-undHandelssachen.<br />

Zum anderen gilt weiterhin die zwischen Belgien und<br />

der Bundesrepublik Deutschland am 25.4.1959 geschlossene<br />

Zusatzvereinbarung zur weiteren Vereinfachung des<br />

Rechtsverkehrs nach dem Haager Übereinkommen vom<br />

1.3.1954 über den Zivilprozeß (BGBl II S. 1525, in Kraft<br />

seit dem 1.1.1960 gemäß Bekanntmachung vom<br />

23.12.1959, BGBl II S. 1524). Diese betrifft in ihren Artikeln<br />

1 bis 3 die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher<br />

Schriftstücke. Der Fortbestand dieser Vereinbarung<br />

ergibt sich aus Art. 24 des Haager Übereinkommens über<br />

die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher<br />

Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen<br />

vom 15.11.19<strong>65</strong> (HZÜ, BGBl 1977 II S. 1453), das insoweit<br />

an die Stelle des Haager Übereinkommens über den<br />

Zivilprozeß vom 1.3.1954 getreten ist, aber, wie erwähnt,<br />

das belgisch-deutsche Zusatzabkommen vom 25.4.1959 in<br />

dem hier interessierenden Teil unberührt gelassen hat (Peter<br />

F. Schlosser, Kommentar zum EuGVÜ, München 1996,<br />

Art. 24 HZÜ Rn. 1 und 2). Die belgischen Gerichte stehen<br />

deshalb auf dem Standpunkt, daß Art. 10 HZÜ, der die


AnwBl 2/2000 115<br />

Spezialitäten l<br />

Übersendung gerichtlicher Schriftstücke an im Ausland<br />

befindliche Personen unmittelbar durch die Post nicht ausschließt,<br />

im Verhältnis zu Deutschland deshalb nicht gelte,<br />

weil Art. 24 HZÜ insoweit lex specialis sei (Cour de cassation,<br />

Follens v. Overhoff u. Altmeyer, Pasicrisie 82 I<br />

1029, 1031).<br />

C. Das Verfahren im einzelnen<br />

Grundsätzlich werden gemäß Art. 26 Abs. 1 EUGVÜ in<br />

einem Vertragsstaat ergangene Entscheidungen in anderen<br />

Vertragsstaaten anerkannt, ohne daß es hierfür eines besonderen<br />

Verfahrens bedarf (Ausnahmen in Art. 27 und 28<br />

EUGVÜ).<br />

I. Besonderheiten der Zustellung nach dem<br />

Zusatzabkommen vom 25.4.19959<br />

Gemäß den hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit der Zustellung<br />

der zu vollstreckenden Entscheidungen einschlägigen<br />

Art. 1 bis 3 des Zusatzabkommens zwischen Belgien<br />

und der Bundesrepublik vom 25.4.1959 erfolgt die Zustellung<br />

an den Vollstreckungsschuldner im sog. „unmittelbaren<br />

Schriftverkehr“, d. h., daß die zuständigen deutschen<br />

Justizbehörden direkt den Procureur du Roi„ in dessen Zuständigkeitsbereich<br />

sich der Empfänger aufhält, um die Zustellung<br />

ersuchen können (vgl. Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 des genannten<br />

Abkommens). Dabei bedienen sich die genannten<br />

Behörden für die Zustellungsanträge und bei dem weiteren<br />

Schriftwechsel ihrer Landessprache (Art. 1 Abs. 2 des Abkommens).<br />

Dies stellt eine gemäß Art. 11 HZÜ vom 15.11.19<strong>65</strong><br />

ausdrücklich zugelassene Erleichterung gegenüber dem in<br />

dem HZÜ selbst vorgesehenen Zustellungsverfahren über<br />

die entsprechenden Zentralbehörden der beteiligten Staaten<br />

dar.<br />

Diese Erleichterung geht jedoch nicht soweit, daß die<br />

Behörden des Urteilsstaates auch Zustellungen in dem<br />

Vollstreckungsstaat durch schlichte Aufgabe zur Post in<br />

dem Urteilsstaat bewirken könnten. Die Übersendung an<br />

die zuständige Behörde ist nämlich noch nicht die Zustellung<br />

(Peter v. Schlosser, aaO., Art. 24 HZÜ Rn. 2).<br />

Eine Zustellung im Postwege läßt das bilaterale Abkommen<br />

zwischen Belgien und der Bundesrepublik vom<br />

25.4.1959 gerade nicht zu (vgl. dazu Kropholler aaO.,<br />

Art. 20 Rdn. 8).<br />

II. Voraussetzungen nach dem EUGVÜ<br />

1. Verfahren bezüglich des Vollstreckungsantrags<br />

Gemäß Art. 31 Abs. 1 EUGVÜ werden in einem Vertragsstaat<br />

ergangene Entscheidungen, die in diesem Staat<br />

vollstreckbar sind, in einem anderen Vertragsstaat vollstreckt,<br />

wenn sie dort auf Antrag eines Berechtigten mit<br />

der Vollstreckungsklausel versehen worden sind. Der Antrag<br />

ist gemäß Art. 32 Abs. 1, 1. Spiegelstrich EUGVÜ in<br />

Belgien an das „tribunal de première instance“ oder an die<br />

„rechtbank van eerste aanleg“ zu richten.<br />

Für die Stellung des Antrags ist das Recht des Vollstreckungsstaates<br />

maßgebend (Art. 33 Abs.1 EUGVÜ). Der<br />

Antragsteller hat gemäß Art. 33 Abs. 2 EUGVÜ im Bezirk<br />

des angerufenen Gerichts ein Wahldomizil zu begründen.<br />

Dieser Voraussetzung wird bereits durch die Angabe eines<br />

Zustellungsbevollmächtigten bzw. einer Zustellungsanschrift<br />

Genüge getan (Peter F. Schlosser, aaO., Art. 33 HZÜ<br />

Rn. 2).<br />

Das mit dem Antrag befaßte Gericht erläßt seine Entscheidung<br />

unverzüglich, ohne daß der Schuldner in diesem<br />

Abschnitt des Verfahrens gehört wird (Art. 34 Abs.<br />

1 EUGVÜ). Diese Entscheidung teilt der Urkundsbeamte<br />

der Geschäftsstelle dem Antragsteller unverzüglich in der<br />

Form mit, die das Recht des Vollstreckungsstaates vorsieht<br />

(Art. 35 EUGVÜ).<br />

Wird der Antrag abgelehnt, so kann der Antragsteller in<br />

Belgien gemäß Art. 40 Abs. 1, 1. Spiegelstrich EUGVÜ bei<br />

der « cour d’appel» bzw. dem «hof van beroep» (Berufungsgericht)<br />

einen Rechtsbehelf einlegen.<br />

2. Inhaltliche Anforderungen an den Vollstreckungsantrag<br />

Gemäß Art. 46 Nr. 1 EUGVÜ ist zum einen eine Ausfertigung<br />

der Entscheidung vorzulegen, die die für ihre Beweiskraft<br />

erforderlichen Voraussetzungen erfüllt.<br />

Zum anderen ist nach Art. 46 Nr. 2 EUGVÜ bei einer<br />

im Versäumnisverfahren ergangenen Entscheidung die Urschrift<br />

oder eine beglaubigte Abschrift der Urkunde vorzulegen,<br />

aus der sich ergibt, daß das den Rechtsstreit einleitende<br />

Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück der<br />

säumigen Partei zugestellt worden ist.<br />

Ferner sind gemäß Art. 47 Nr. 1 EUGVÜ die Urkunden<br />

vorzulegen, aus denen sich ergibt, daß die Entscheidung<br />

nach dem Recht des Urteilsstaates vollstreckbar ist, und<br />

daß sie zugestellt worden ist ; gemäß Art. 47 Nr. 2 EUGVÜ<br />

gegebenenfalls eine Urkunde, durch die nachgewiesen<br />

wird, daß der Antragsteller Prozeßkostenhilfe im Ursprungsstaat<br />

genießt.<br />

Die Bezugnahme auf das „Recht des Urteilsstaates“ in<br />

Art. 47 Nr. 1 EUGVÜ betrifft ausdrücklich nur die Vollstreckbarkeit,<br />

nicht aber die Zustellung. Zwar richtet sich<br />

dennoch auch die Zustellung nach dem Recht des Urteilsstaates,<br />

jedoch nicht in dem Sinne, daß insoweit dieselben<br />

Regelungen wie für die Zustellung innerhalb des Hoheitsgebiets<br />

des Staates, in dem die Entscheidung ergangen ist,<br />

gelten. Dies bedeutet, daß die speziellen, in dem Urteilsstaat<br />

geltenden Regelungen für die Zustellung im Ausland,<br />

wie sie vor allem in den von diesem Staat geschlossenen<br />

Staatsverträgen niedergelegt sind, Anwendung finden (vgl.<br />

Jan Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, Kommentar<br />

zum EUGVÜ, 2. Aufl. 1987, Art. 48 Rdn. 2 ; siehe dazu<br />

unter 1.).<br />

Auf Verlangen des Gerichts ist eine Übersetzung der Urkunden<br />

vorzulegen; die Übersetzung ist von einer hierzu in<br />

einem der Vertragsstaaten befugten Person zu beglaubigen<br />

(Art. 48 Abs. 2 EUGVÜ). Jedoch bedürfen diese Urkunden<br />

weder der Legalisierung noch einer ähnlichen Förmlichkeit<br />

(Art. 49 EUGVÜ).<br />

D. Fazit<br />

Solange es an einer ordnungsgemäßen Zustellung der<br />

deutschen Urteile in Belgien fehlt, hat es wenig Sinn, die<br />

Erteilung der Vollstreckungsklausel zu beantragen, da dieser<br />

Antrag erfahrungsgemäß (zurecht) abgelehnt werden<br />

würde. Vor Stellung des Vollstreckungsantrags sollte daher<br />

zunächst eine förmliche Zustellung des Urteils über die<br />

belgischen Behörden im Wege des „unmittelbaren Schriftverkehrs<br />

veranlaßt werden. Mit einer dementsprechenden<br />

Vorgehensweise können in diesem Bereich Zeit und Geld<br />

gespart werden.


116<br />

l<br />

Durchsetzung<br />

zivilrechtlicher Forderungen<br />

in Bulgarien<br />

Rechtanwalt Dr. Frank Schmitz, Hamburg/Sofia 1<br />

I. Einführung<br />

Bulgarien gilt in der Rangliste der Investitionsstandorte als unsichere<br />

Empfehlung. Die Ursachen der tiefgreifenden Krise sind<br />

weitgehend hausgemacht und sollen an dieser Stelle nicht im einzelnen<br />

dargestellt werden. Dennoch bleibt zu konstatieren, daß der<br />

deutsch-bulgarische Handel nach einem starken Rückgang in den<br />

letzten Jahren nunmehr wieder relativ stabil und sogar leicht ansteigend<br />

ist. Mittel- bis langfristig wird die starke Zunahme der<br />

Privatwirtschaft in Bulgarien zu einem vermehrten Handelsaustausch<br />

insbesondere mit deutschen Unternehmen führen, die traditionell<br />

gute Beziehungen zum Land unterhalten. Bereits jetzt ist<br />

Deutschland mit Abstand der größte Investor im Lande.<br />

Obwohl viele Unternehmen in der Vergangenheit relativ gute<br />

Erfahrungen mit ihren bulgarischen Vertragspartnern gemacht haben<br />

und offene Forderungen zwar verzögert, aber ohne Einsatz gerichtlicher<br />

Mittel bezahlt wurden, hat sich das Klima in den letzten<br />

Jahren, insbesondere seit der Währungskrise 1996 drastisch verschlechtert.<br />

Viele Staatsunternehmen klagen selbst über hohe<br />

Außenstände bei gleichzeitig geringer Kapitalausstattung und fehlender<br />

Liquidität. Unter den neuen Privatfirmen ist die Situation<br />

noch prekärer, die exorbitante Inflation der letzten Jahre hat dazu<br />

geführt, daß Gewinne erst gar nicht realisiert wurden. Viele Betriebe<br />

sind notgedrungen dazu übergegangen, reine Schuldenverwaltung<br />

zu betreiben, wobei diejenigen Schuldner vorrangig bedient<br />

werden, die als wichtig angesehen werden und die den größten<br />

Druck ausüben. Diese Situation führt zunehmend dazu, neben den<br />

bekannten kaufmännischen Einflußmöglichkeiten auch gerichtliche<br />

Zwangsmaßnahmen in Erwägung zu ziehen, bevor eine Forderung<br />

als uneinbringbar abzuschreiben ist. Dies erfordert ein näheres Eingehen<br />

auf das bulgarische Gerichtssystem und seine prozessualen<br />

Möglichkeiten.<br />

II. Die ordentliche Gerichtsbarkeit<br />

Die Gerichtsbarkeit findet ihre konstitutionelle Grundlage in<br />

den Art. 8, 119 der bulgarischen Verfassung vom 12. Juli 19912 .<br />

Einzelheiten regelt das Gesetz über die rechtsprechende Gewalt<br />

vom 20. Juli 1994 (GVG) 3 , das an die Stelle des alten Gerichtsverfassungsgesetzes<br />

getreten ist4 , sowie die noch aus dem Jahr 1952<br />

stammende Zivilprozeßordnung. Die Rechtsprechung wird nunmehr<br />

durch Rayon, Bezirks-, Appellationsgerichte, das Oberste<br />

Verwaltungsgericht5 sowie das Oberste Kassationsgericht ausgeübt<br />

(Art. 3 Abs. 1 GVG).<br />

Eine Einschränkung der Gerichtsbarkeit auf bulgarische Staatsbürger<br />

besteht nicht. Ausländer haben die gleichen prozessualen<br />

Rechte und Pflichten wie Inländer, sie müssen daher auch keine<br />

Sicherheit für die Prozeßkosten leisten. Allerdings besteht hierfür<br />

auch kein Bedürfnis, da in Zivil- und Handelssachen der Kläger<br />

mit der Klage die Gerichtskosten in Höhe von regelmäßig 4 % der<br />

Klagesumme einzahlen muß. Dies mag bei niedrigen Streitwerten<br />

noch akzeptabel sein, führt jedoch bei großen Forderungen zu einer<br />

immensen Erhöhung des Kostenrisikos. Wegen der chronisch<br />

schlechten Kapitalausstattung vieler bulgarischer Unternehmen ist<br />

eine Erstattung dieser Gerichtskosten im Falle des Obsiegens beim<br />

bulgarischen Schuldner oftmals illusorisch.<br />

AnwBl 2/2000<br />

Spezialitäten<br />

III. Instanzenzug<br />

Wie in Deutschland ist auch in Bulgarien ein dreistufiger Instanzenzug<br />

vorgesehen (Art. 15 Abs. 1 GVG), der nur dann zum<br />

Tragen kommt, wenn ein Verfahren in erster Instanz vor einem Bezirksgericht<br />

eingeleitet wird. Urteile der Rayongerichte, die bis zu<br />

einem Streitwert von Lewa 5 Mio. (rund DM 5.000,00) zuständig<br />

sind, können nur mit der Appellation (Berufung) vor dem Bezirksgericht<br />

angefochten werden. Eingangsinstanz sind nach Art. 39<br />

GVG die Rayon- und die Bezirksgerichte (in Sofia: Stadtgericht),<br />

die damit wie die deutschen Landgerichte eine doppelte Funktion<br />

ausüben. Berufungsgerichte können sowohl die Bezirksgerichte,<br />

bei Berufungen gegen Urteile der Rayongerichte (Art. 57 Abs. 2<br />

GVG), als auch die Appellationsgerichte, bei Berufungen gegen Urteile<br />

der Bezirksgerichte (Art. 72 Abs. 1 GVG), sein. Das Oberste<br />

Kassationsgericht mit Sitz in Sofia entscheidet in letzter Instanz<br />

über die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen aller Gerichte in Zivil-<br />

und Strafsachen (Art. 80 Abs. 1 S. 2 GVG) 6 .<br />

IV. Besetzung der Spruchkörper<br />

Die Richter sind bei der Ausübung ihrer verfassungsmäßigen<br />

Funktionen unabhängig und weisungsfrei (Art. 13-15 GVG). Sie<br />

müssen grundsätzlich eine universitäre juristische Ausbildung und<br />

eine praktische Vorbereitungszeit abgeschlossen haben, um ihr<br />

Amt auszuüben. 7 Innerhalb der vom Obersten Justizrat bestimmten<br />

Organisation der Gerichtsbezirke werden sie einzelnen Gerichten<br />

zugewiesen, der sie im übrigen auch ernennt und die Disziplinargewalt<br />

ausübt (Art. 124 Abs. 1 GVG).<br />

In erster Instanz verhandeln die Rayongerichte in der Besetzung<br />

von einem Richter und zwei Schöffen, wenn im Gesetz nichts<br />

anderes vorgesehen ist (Art. 54 GVG). Einfache Fälle insbesondere<br />

des Zivilrechts entscheiden die Richter allein. Die organisatorische<br />

Leitung der Rayongerichte wird durch einen Gerichtsvorsitzenden<br />

ausgeübt (Art. 56 GVG).<br />

Die Bezirksgerichte bestehen aus Richtern und Hilfsrichtern,<br />

die je nach regionalem Geschäftsanfall und Bedarf in Zivil-, Handels-<br />

Straf- und Verwaltungsabteilungen untergliedert sind (Art. 58<br />

Abs. 1 GVG) und von den Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden<br />

des Bezirksgerichts geleitet werden. Üblicherweise entscheidet<br />

das Bezirksgericht in der Besetzung von drei Richtern,<br />

wobei einer der Richter durch einen Hilfsrichter ersetzt werden<br />

kann (Art. 61 Abs. 1, 2 GVG). Vorsitzender des Spruchkörpers ist<br />

jeweils der dienstälteste Richter.<br />

In die organisatorische Zuständigkeit der Bezirksgerichte gehört<br />

auch die Kontrolle und Leitung der Rayongerichte in ihrem<br />

Bezirk (Art. 60, 63 GVG).<br />

In den Appellationsgerichten werden zwingend Zivil-, Handelsund<br />

Strafabteilungen eingerichtet (Art. 74 Abs. 1 GVG). Die<br />

Spruchkörper verhandeln regelmäßig ebenfalls in der Besetzung<br />

von drei Richtern unter Vorsitz des dienstältesten Richters (Art. 77<br />

GVG). Die administrative Leitung und Kontrolle des Gerichts sowie<br />

der nachgeordneten Bezirksgerichte obliegt nach Art. 79 GVG<br />

dem Vorsitzenden des Appellationsgerichtes.<br />

Das Oberste Kassationsgericht besteht aus einem Zivil-, Strafund<br />

Militärkollegium, die wiederum für einzelne Bereiche spezialisierte<br />

Abteilungen ausbilden (Art. 82 Abs. 1 GVG). Die Besetzung<br />

regelt Art. 84: In Kassationsverhandlungen sowie Zuständigkeitsstreitigkeiten<br />

tagt das Gericht regelmäßig in der Besetzung von drei<br />

Richtern. Dagegen erfordern Auslegungsstreitigkeiten zwischen untergeordneten<br />

Gerichten zur Wahrung der Einheitlichkeit der Recht-<br />

1 Coeler Rechtsanwälte, Hamburg Mailand Sofia<br />

2 D.V. 1991, Nr. 56, S. 1<br />

3 D.V. 1994 Nr. 59, S. 1<br />

4 D.V. 1976 Nr. 23, 1979 Nr. 36, 1982 Nr. 91, 1986 Nr. 27, 29, 1988 Nr. 91, 1990<br />

Nr. 31, 19991 Nr. 46, 19992 Nr. 100. Gleichzeitig wurden auch die Gesetze<br />

über den Obersten Justizrat (D.V. 1991 Nr. 74, 106) und die Staatsanwaltschaft<br />

(D.V. 1980 Nr. 87) aufgehoben, vgl. § 14 der Übergangs- und Schlußbestimmungen.<br />

5 Izvestija 1952 Nr. 12 i. d. F. D.V. 1992 Nr. 55 mit vielen Änderungen.<br />

6 Das Gericht ist zudem letzte Instanz in allen Militärsachen und entscheidet<br />

über Kompetenzkonflikte (Art. 82 Abs. 1, 81 Abs. 2 GVG).<br />

7 Vgl. i. e. Art. 126 ff. GVG.


AnwBl 2/2000 117<br />

Spezialitäten l<br />

sprechung sowie die Beschlußfassung über die Anrufung des Verfassungsgerichts<br />

bei einer Normenkontrolle eine Vollversammlung des<br />

entsprechenden Kollegiums. Hierzu gehören die Richter sämtlicher<br />

zum Kollegium gehörenden Abteilungen (Art. 85 Abs. 1 GVG), Vertreter<br />

der Staatsanwaltschaft sowie ggf. Vertreter des Obersten<br />

Rechtsanwaltsrates und des Justizministeriums, die aber im Regelfall<br />

lediglich Stellungnahmen abgeben (Abs. 3-5).<br />

V. Erkenntnisverfahren<br />

Zivil- und Handelsstreitigkeiten sind mit Ausnahme von bestimmten<br />

familienrechtlichen Verfahren öffentlich und werden auf<br />

bulgarisch geführt (Art. 101 Abs. 1, 105 Abs. 1 GVG). Die Richter<br />

sind verpflichtet, die Gesetzmäßigkeit des Verfahrens zu wahren,<br />

d. h. insbesondere die gesetzlichen Fristen einzuhalten. Wegen der<br />

teilweise bereits feststellbaren Überlastung der Justiz aber auch<br />

wegen Einflußnahmen Dritter oder fehlender Sachkompetenz mancher<br />

Richter etwa bei internationalen Sachverhalten kommt es jedoch<br />

immer wieder zu unvorhergesehenen Verzögerungen, so daß<br />

von einem zügigen Verfahren oftmals keine Rede sein kann.<br />

Das Verfahren richtet sich nach den Vorschriften der bulgarischen<br />

ZPO und beginnt offiziell mit der Einreichung der Klage<br />

(Art. 97 ZPO), wobei Zustellung nur dann erfolgt, wenn die Gerichtskosten<br />

vorab eingezahlt worden sind. Neben der regulären<br />

Leistungsklage ist auch eine Feststellungsklage zulässig, wenn ein<br />

„rechtliches Verhältnis“ sowie ein „berechtigtes Interesse“ nachgewiesen<br />

wird. Feststellungsklagen sind insbesondere zum Beweis<br />

eines Rechts, zur Feststellung der Echtheit eines Dokuments oder<br />

zur Feststellung eines Verbrechens als Vorfrage etwa eines Schadensersatzanspruchs<br />

möglich, wobei der Kläger sein Recht bzw.<br />

die Beeinträchtigung seines Rechts darlegen und beweisen muß.<br />

Die Klagschrift muß nach Art. 98 ZPO in bulgarischer Sprache<br />

abgefaßt sein und das Gericht, Namen, Personenkennziffern und<br />

Anschriften der Parteien und ihrer gesetzlichen Vertreter sowie deren<br />

Bevollmächtigte bezeichnen. Bei Leistungsklagen ist die Höhe<br />

der Forderung zu beziffern und der Gegenstand sowie die Umstände<br />

des Anspruchs zu erläutern. Es ist in jedem Fall erforderlich,<br />

alle in Frage kommenden Beweise zu benennen und die schriftlichen<br />

Beweisstücke als Anlagen beizufügen. Jeder Zeugenbeweis<br />

führt zu einer deutlichen Verfahrensverzögerung.<br />

Mit der Klagschrift müssen die Vollmacht des Parteivertreters,<br />

der Nachweis der Einzahlung der Gerichtsgebühren sowie Abschriften<br />

der Klage und der Anlagen für den Beklagten eingereicht<br />

werden (Art. 99 ZPO). Nach Prüfung aller Formalien stellt das Gericht<br />

die Klage dem Beklagten zu und bestimmt einen ersten Verhandlungstermin.<br />

Bis zu diesem Termin muß die beklagte Partei<br />

ihre Einwendungen vortragen und eine etwaige Widerklage erheben<br />

(Art. 110, 109, 104 ZPO). In der Regel finden die mündlichen<br />

Verhandlungen in öffentlicher Sitzung statt, wobei der Vorsitzende<br />

des Gerichts auf die Aufklärung des Sachverhalts hinwirkt und die<br />

Beweismittel erörtert. Wenn die Sachlage und die Beziehungen<br />

zwischen den Parteien dies zulassen, hat der Vorsitzende Vergleichsmöglichkeiten<br />

zu fördern. Erscheint der Beklagte trotz ordnungsgemäßer<br />

Ladung nicht, kann das Gericht kein Versäumnisurteil<br />

erlassen, sondern muß zwingend einen neuen Termin anberaumen<br />

(Art. 107 ZPO).<br />

Ist der Sachverhalt – wie meistens – streitig, erläßt das Gericht<br />

einen Beweisbeschluß. Eine Besonderheit des bulgarischen Gerichtsverfahrens<br />

ist die Möglichkeit, daß der Richter Sachverständige<br />

mit der Prüfung der Beweise beauftragt. Deren Stellungnahme<br />

wird dann im Folgetermin diskutiert. Das Gericht kann des weiteren<br />

jederzeit Zeugen oder die Parteien persönlich laden und anhören<br />

(Art. 114 ZPO).<br />

Der Kläger hat während des erstinstanzlichen Verfahrens jederzeitig<br />

die Möglichkeit, die Klage zu erweitern oder zu reduzieren<br />

(Art. 116 ZPO) sowie die Anspruchsgrundlage zu wechseln. Wie<br />

im deutschen Recht ist ein Parteiwechsel möglich (Art. 117 ZPO);<br />

bei Tod oder Auflösung einer juristischen Person tritt Rechtsnachfolge<br />

ein (Art. 120 ZPO), bei Abtretung während des Prozesses<br />

bleibt das Prozeßrechtsverhältnis bestehen (Art. 121 ZPO).<br />

Nachdem das Gericht in mehreren Verhandlungen alle Beweise<br />

gesichtet und geprüft hat, gibt es im letzten Termin den Parteien<br />

nochmals Gelegenheit zu einem Vergleichsgespräch (Art. 124<br />

ZPO). Kommt ein Vergleich zustande, muß dieser vom Gericht und<br />

den Parteien vor dem Protokoll unterzeichnet werden (Art. 125<br />

ZPO), um Rechtskraft zu erlangen. Er steht einem Urteil gleich<br />

und kann nicht mehr angefochten werden. Betrifft er lediglich einen<br />

Teil des Streitgegenstandes, wird das Verfahren bezüglich der<br />

noch anhängigen Ansprüche fortgesetzt.<br />

Nach Schluß der mündlichen Verhandlung ergeht ein Urteil<br />

(Art. 186 ZPO), das bei Kollegialgerichten durch Mehrheitsbeschluß<br />

der Richter gefällt wird. Eine Stimmenthaltung ist nicht zulässig,<br />

wohl aber ein dem Urteil beizufügendes Sondervotum eines<br />

Richters (Art. 187 ZPO). Im Urteil, das neben dem Tenor, der Begründung<br />

und der Kostenentscheidung eine Rechtsmittelbelehrung<br />

enthalten muß, würdigt das Gericht alle vorgelegten Beweise nach<br />

freiem Ermessen. Das Urteil kann nachträglich nur bei formellen<br />

Fehlern auf Antrag einer Partei, nicht jedoch inhaltlich geändert<br />

werden (Art. 192 III ZPO).<br />

Auf die Rechtsmittelmöglichkeiten der Berufung und Kassation<br />

sowie das Wiederaufnahmeverfahren soll an dieser Stelle nicht<br />

näher eingegangen werden.<br />

VI. Arrestverfahren<br />

Vor Einleitung eines Zivilverfahrens gegen einen bulgarischen<br />

Schuldner sollte eine Prüfung der Vermögensverhältnisse selbstverständlich<br />

sein. Werden verwertbare Aktiva ermittelt, ist es angezeigt,<br />

diese sofort zu arrestieren, um eine Sicherheit für ein möglicherweise<br />

langwieriges Hauptverfahren zu erwirken. Die Sicherungspfändung<br />

wichtiger Güter kann zudem dazu führen, daß<br />

Verhandlungen über den Ausgleich der Schuld wieder aufgenommen<br />

werden.<br />

Das Arrestverfahren ist in den Art. 308 ff ZPO geregelt. Der<br />

Gläubiger stellt einen schriftlichen Antrag bei dem Gericht der Belegenheit<br />

der zu pfändenden Wirtschaftsgüter. Ausländische Gläubiger<br />

können den Antrag beim Bezirksgericht in Sofia stellen; in<br />

diesem Fall muß jedoch über das lokale Gericht zugestellt werden.<br />

Der Antrag muß die Forderung darlegen und sämtliche Beweismittel,<br />

möglichst in Form schriftlicher Dokumente, enthalten. Entscheidend<br />

ist eine genaue Bezeichnung der zu arrestierenden Vermögensgegenstände,<br />

etwa bei Immobilien die genaue Belegenheit,<br />

Register- und Kataster Nr. etc.<br />

Aufgrund der angegebenen Beweismittel trifft der Richter in<br />

Tagesfrist seine Entscheidung, wobei er beispielsweise Verkaufsverbote,<br />

Kontenschließungen oder andere geeignete Maßnahmen<br />

verfügen kann (Art. 316 ZPO). Nach seinem Ermessen setzt er<br />

eine Sicherheitsleistung fest, die regelmäßig etwa 10 % des Forderungsbetrags<br />

beträgt und auf das Gerichtskonto eingezahlt wird.<br />

Mit dem Beschluß setzt der Richter dem Antragsteller eine Frist<br />

zur Klagerhebung in der Hauptsache, deren Nichteinhaltung zur<br />

Aufhebung des Arrests führt. Diese Frist sollte dazu verwendet<br />

werden, Verhandlungen über einen etwaigen Zahlungsvergleich<br />

mit dem Schuldner aufzunehmen.<br />

Schwachpunkt des bulgarischen Arrestverfahrens ist die langsame<br />

Vollziehung des Gerichtsbeschlusses. Teilweise erfordert allein<br />

die Zustellung des Arrestbefehls mehr als 4 Wochen, so daß es<br />

sinnvoll ist, ständig Kontakt zum Gericht zu halten und das Verfahren<br />

zu überwachen.<br />

VII. Konkursverfahren<br />

In vielen Fällen verweigern bulgarische Schuldner die Begleichung<br />

ihrer Schulden unter Hinweis auf ihre mangelnde Liquidität.<br />

Dieser Einwand ist meistens berechtigt, sollte jedoch nicht dazu<br />

führen, die Forderung sofort abzuschreiben. Das bulgarische Konkursrecht,<br />

das 1994 in das Handelsgesetzbuch eingefügt wurde 8 ,<br />

birgt manche Möglichkeiten, einen zahlungsunwilligen Schuldner<br />

neu zu motivieren. Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich<br />

auf einige wesentliche Aspekte 9 .<br />

Das Gesetz trennt zwischen Zahlungsunfähigkeit bei Kaufleuten<br />

(Art. 608 II HGB) und Überschuldung von Handelsgesellschaften<br />

8 D.V. 1994/Nr. 63.<br />

9 Vgl. zu den Einzelheiten die ausführliche Darstellung des Konkursverfahrens<br />

bei Daskalov/Landjev, WiRO 1996, 51 ff., 96 ff., 125 ff. sowie zur Bankeninsolvenz<br />

Daskalov, WiRO 1996, 377 ff.


118<br />

l<br />

(Art. 742 I HGB). Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Kaufmann<br />

nicht in der Lage ist, eine fällige und unbestrittene Geldschuld<br />

aus einem Handelsgeschäft zu erfüllen. Überschuldung wird<br />

angenommen, wenn das Vermögen einer Handelsgesellschaft zur<br />

Deckung ihrer Geldschulden nicht ausreicht.<br />

Ausländische Gläubiger haben im Konkursverfahren grundsätzlich<br />

die gleichen Rechte wie inländische Gläubiger (Art. 616 III<br />

HGB). Sie haben daher nach Art. 628 II HGB die Möglichkeit, einen<br />

Antrag als Gläubiger auf Insolvenzeröffnung zu stellen. Dem<br />

Antrag sind schriftliche Beweise über die Zahlungsunfähigkeit<br />

oder Überschuldung beizufügen. Das Gericht muß innerhalb von<br />

14 Tagen über den Antrag verhandeln. Folgt das Gericht dem Antrag,<br />

hat es die Frage zu prüfen, ob das Vermögen zur Deckung der<br />

Verfahrenskosten ausreicht. Ist dies nicht der Fall, stellt das Gericht<br />

die Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung fest (Art. 630 I Ziff.<br />

1 i. V. m. 632 I, 710 HGB) und beendet das Verfahren.<br />

Im Rahmen des Prüfungsverfahrens kann das Gericht auch feststellen,<br />

ob den Schuldner der Vorwurf der Insolvenzverschleppung<br />

trifft (Art. 627, 626 HGB). Bei Nichterfüllung ihrer Antragspflicht<br />

haften etwa die Geschäftsführer einer GmbH für den dem Gläubiger<br />

entstandenen Schaden. Die Drohung mit dem Konkursverfahren, das<br />

zum Ende der geschäftlichen Tätigkeit führt, oder mit einer Haftung<br />

wegen Konkursverschleppung, reicht in manchen Fällen aus, um<br />

festgefahrene Verhandlungen wiederaufleben zu lassen.<br />

Ist das Insolvenzverfahren einmal eröffnet, ergeben sich für<br />

Gläubiger in der Regel wenig Möglichkeiten auf Realisierung ihrer<br />

Forderung, es sei denn, es kommt zum Sanierungsverfahren und zu<br />

einer Restrukturierung des Schuldnerunternehmens (Art. 696 ff.<br />

HGB). Neben einer sehr langen Dauer des Verfahrens sind aber<br />

auch hierbei erhebliche Abstriche auf Gläubigerseite erforderlich.<br />

VIII. Anerkennung und Vollstreckbarkeit ausländischer<br />

Entscheidungen<br />

Eine staatsvertragliche Regelung der Problematik zwischen<br />

Deutschland und Bulgarien besteht nach wie vor nicht. Da auch<br />

eine eindeutige Erklärung der Justizminister wie etwa in Ungarn 10<br />

fehlt, herrscht in dieser Frage Rechtsunsicherheit. Nach Art. 303<br />

Abs. 1 ZPO kommt es bei der Frage, ob eine ausländische Entscheidung<br />

in Bulgarien anerkannt und aus ihr vollstreckt werden<br />

kann, darauf an, ob die Gegenseitigkeit faktisch verbürgt ist. 11 Entsprechende<br />

Entscheidungen sind bislang nicht bekannt, so daß in<br />

jedem Fall ein großes Risiko zu beachten ist. Darüber hinaus bestehen<br />

nach bulgarischem Recht starke Bedenken gegen die Anerkennungsfähigkeit<br />

von Versäumnisurteilen und Vollstreckungsbescheiden.<br />

Solange daher die Frage der Gegenseitigkeit nicht<br />

eindeutig, etwa in einem Staatsvertrag geklärt ist, sollte die Beratungspraxis<br />

von einer fehlenden Gegenseitigkeit ausgehen.<br />

Eine andere Beurteilung ergibt sich dagegen bei der Anerkennung<br />

ausländischer Schiedssprüche. Bulgarien hat das New Yorker<br />

Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer<br />

Schiedssprüche von 1958 ratifiziert, so daß deutsche oder<br />

internationale Schiedssprüche ohne weiteres in Bulgarien anerkannt<br />

werden. Das Verfahren richtet sich nach den §§ 237 ff. ZPO.<br />

IX.Wertung und Fazit<br />

Das bulgarische Gerichtssystem ist weitgehend westlichen Vorstellungen<br />

angepaßt worden und enthält viele Verfahrensgrundsätze<br />

und -elemente, die auch dem deutschen Prozeßrecht bekannt sind.<br />

Dennoch wird die Durchsetzung von Rechten erheblich durch eine<br />

zu lange Verfahrensdauer, teilweise inkompetente und beeinflußbare<br />

Richter sowie vielfältige Verzögerungsmöglichkeiten erschwert.<br />

Letztlich liegt das Hauptproblem jedoch in der mangelnden Liquidität<br />

vieler Schuldner, so daß auch vollstreckbare Urteile oftmals<br />

wertlos sind. Gerade in bezug auf Privatunternehmen mit ihrem geringen<br />

Stammkapital von umgerechnet etwa DM 5.000,00 bei<br />

GmbHs ist von der Durchführung eines Gerichtsverfahrens abzuraten.<br />

Erfolgversprechend ist dies nur, wenn zuvor im Wege des Arrestverfahrens<br />

Vermögensgegenstände, etwa Immobilien gesichert<br />

wurden. Handelt es sich bei dem Schuldner um ein größeres Unternehmen,<br />

muß allerdings damit gerechnet werden, daß bereits sämtliche<br />

Aktiva von Banken gepfändet wurden.<br />

Vor Einleitung eines Gerichtsverfahrens sollten daher alle Möglichkeiten<br />

einer außergerichtlichen Einigung, etwa in Form eines<br />

AnwBl 2/2000<br />

Spezialitäten<br />

Ratenzahlungsvergleichs, ausgelotet werden, wobei es vor allem<br />

auf die Einräumung geeigneter Sicherheiten ankommen wird.<br />

In einigen Fällen wird auch die Stellung eines Konkursantrages<br />

gegen den säumigen Schuldner oder die Androhung einer Strafanzeige<br />

zu erwägen sein. Gerade Geschäftsführer und Direktoren<br />

größerer Unternehmen trifft eine strenge strafrechtliche Verantwortlichkeit,<br />

so daß die Aussicht auf ein Ermittlungsverfahren den<br />

Einigungswillen erhöhen kann.<br />

10 Vgl. Hegedüs/Loibl, WiRO 1996, 324 ff., 325.<br />

11 Die überwiegenden Stimmen in der Literatur bejahen eine Gegenseitigkeit,<br />

vgl. Th. Cipev, WGO-MfOR 1991, 112; Jessel-Holst, WGO-MfOR 1982, 22<br />

ff. u. WOS, Brunner, Schmid, Westen [Hrsg.], III 2 Bulgarien, Einführung S.<br />

17; dagegen Baumbach-Hartmann, ZPO (54. Auflage), Anh. § 328 Rz. 3 m.<br />

w. N.<br />

Der Banken-Ombudsmann<br />

als unabhängiger<br />

und neutraler Schlichter<br />

Rechtsanwalt Dr. Jens M. Schmittmann, Essen<br />

I. Einleitung<br />

1. Im Jahre 1990 empfahl die EG-Kommission den Mitgliedstaaten<br />

der Union, für Kundenbeschwerden gegenüber<br />

Banken eine spezielle Instanz einzurichten (vgl. Empfehlung<br />

der Kommission vom 14. Februar 1990 zur Transparenz<br />

der Bankkonditionen bei grenzüberschreitenden Finanztransaktionen,<br />

ABl. EG Nr. L 67/39 vom 15. März 1990).<br />

Der Bundesverband der Banken hat dies aufgegriffen und<br />

über die Empfehlung hinausgehend ab dem 1. Juli 1992 ein<br />

sogenanntes Ombudsmann-Verfahren ins Leben gerufen,<br />

das nicht nur den Bereich der grenzüberschreitenden Zahlungen<br />

abdeckt, wie von der Kommission gefordert, sondern<br />

das gesamte Spektrum des Bankgeschäfts umfaßt (vgl.<br />

zum ganzen: Arendts, Das Schlichtungsverfahren vor dem<br />

Banken-Ombudsmann, ZAP Fach 8, S. 237 ff.; Heinsius,<br />

Verbraucher und Ombudsmann, WM 1992, S. 478 ff.; Hoeren,<br />

Der Banken-Ombudsmann in der Praxis, NJW 1994,<br />

S. 362 ff.; Parsch, Erste Erfahrungen mit dem Ombudsmann-Verfahren,<br />

WM 1993, S. 238 ff.; ders., Zwei Jahre<br />

Ombudsmann-Verfahren, Die Bank 1994, S. 480 ff.; Zawal-Pfeil,<br />

Ein Jahr Ombudsmann der privaten Banken, Die<br />

Bank 1993, S. 620 ff.).<br />

2. Damit gibt es nunmehr in Deutschland seit mehr als<br />

fünf Jahren den sogenannten Banken-Ombudsmann, was<br />

Anlaß gibt eine kurze Zwischenbilanz zu ziehen (vgl. auch:<br />

Parsch, Fünf Jahre Schlichtungsverfahren der privaten Banken,<br />

WM 1997, S. 1228 ff.). Eine ähnliche Einrichtung gibt<br />

es in Norwegen, den Niederlanden, Dänemark und Schweden,<br />

in Großbritannien, Belgien, Irland, der Schweiz sowie<br />

in Australien und Neuseeland. Der Begriff „Ombudsmann“<br />

stammt aus dem Schwedischen und bezeichnet eine vom<br />

Parlament beauftragte Vertrauensperson, deren Aufgabe es<br />

ist, Entscheidungen der Verwaltung zu kontrollieren. Schon<br />

im Jahre 1809 wurde in Schweden der „Justiz-Ombudsmann“<br />

eingeführt, an den sich Petenten mit Beschwerden<br />

über die Gerichtsbarkeit wenden konnten. Der Banken-Ombudsmann,<br />

dessen Name sich an diese schwedische Be-


AnwBl 2/2000 119<br />

Spezialitäten l<br />

zeichnung anlehnt, wird durch den Vorstand des Bundesverbandes<br />

der Banken auf Vorschlag der Geschäftsführung für<br />

die Dauer von drei Jahren berufen. Er kann vor Ablauf dieser<br />

Amtszeit nur aus wichtigem Grund abberufen werden.<br />

Der Ombudsmann muß die Befähigung zum Richteramt<br />

haben. Derzeit sind Dr. Leo Parsch und Karl-Dietrich<br />

Bundschuh zu Ombudsmännern bestellt, die sich den<br />

Geschäftsanfall je nach Buchstabengruppe teilen. Beide Ombudsmänner<br />

sind erfahrene ehemalige hochrangige Richter.<br />

3. Neben dem Banken-Ombudsmann gibt es noch den<br />

Inkasso-Ombudsmann, der nach den §§ 29 ff. der Satzung<br />

des Bundesverband der Deutschen Inkassounternehmen<br />

(BDIU) tätig wird und sich in erster Linie um Beschwerden<br />

von Personen kümmert, die von Einziehungsmaßnahmen eines<br />

Inkassounternehmens betroffen sind (vgl. zum ganzen:<br />

Lüttringhaus, Das Schlichtungsverfahren vor dem Inkasso-<br />

Ombudsmann, ZAP Fach 14, S. 1043 ff.). In der Versicherungsbranche<br />

finden sich im Anschluß an die Dritte EG-<br />

Lebensversicherungsrichtlinie Überlegungen, einen Versicherungsombudsmann<br />

einzuführen (vgl. Hoeren, aaO.,<br />

NJW 1994, S. 362 (363)).<br />

II. Zuständigkeit des Banken-Ombudsmannes<br />

1. Der Ombudsmann ist nur für solche Beschwerden zuständig,<br />

die sich gegen ein privates Geldinstitut richten, das<br />

dem Bundesverband deutscher Banken (BdB) angeschlossen<br />

ist. Dies sind in der Regel die Groß- und Regionalbanken,<br />

die Privatbankiers sowie die privaten Hypothekenbanken.<br />

Dagegen kommt eine Beschwerde gegen Sparkassen,<br />

Genossenschaftsbanken oder öffentliche Banken wie z. B.<br />

die Landesbank oder die Girozentrale nicht in Betracht.<br />

Der Ombudsmann ist ferner nur zuständig, wenn die Bank,<br />

gegen die der Kunde sich beschweren möchte, dem Ombudsmannverfahren<br />

beigetreten ist. Die Zuständigkeit des<br />

Ombudsmanns ist nicht von der Höhe des von dem<br />

Beschwerdeführer geforderten Betrages abhängig. Der Ombudsmann<br />

kann Schlichtungssprüche über jeden Betrag fällen.<br />

Indessen entfalten diese nur dann eine Bindungswirkung<br />

gegenüber der Bank, wenn der Beschwerdegegenstand<br />

den nach dem Gerichtsverfassungsgesetz maßgeblichen<br />

Höchstbetrag für Klagen von dem Amtsgericht von derzeit<br />

10.000 DM nicht übersteigt (§ 23 Nr. 1 GVG).<br />

2. Der Ombudsmann kann nur angerufen werden, wenn<br />

es sich bei dem Beschwerdeführer um einen Verbraucher<br />

handelt. Es handelt sich bei dem Beschwerdeführer nicht<br />

um einen Verbraucher, wenn der streitige Geschäftsvorfall<br />

der gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit<br />

des Beschwerdeführers zuzurechnen ist. Ausgenommen<br />

vom Verfahren sind somit insbesondere Handwerker, Kaufleute,<br />

Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer,<br />

soweit der streitige Geschäftsvorfall ihrer gewerblichen<br />

oder freiberuflichen Tätigkeit zuzuordnen ist. Da nur<br />

auf die selbständige berufliche Tätigkeit abgestellt wird,<br />

sind alle Streitigkeiten von Arbeitnehmern, auch wenn sie<br />

ihre berufliche Tätigkeit betreffen, z. B. bei der Führung<br />

von Gehaltskonten einem Ombudsmannverfahren zugänglich.<br />

Andererseits kann der Ombudsmann auch angerufen<br />

werden, wenn private Bankgeschäfte von Selbständigen<br />

betroffen sind. Dies ist z. B. der Fall bei dem privaten<br />

Bankkonto eines Rechtsanwaltes oder bei der privaten Vermögensverwaltung<br />

eines Steuerberaters. Das Ombudsmannverfahren<br />

ist ausgeschlossen, wenn der Beschwerdegegenstand<br />

bereits vor Gericht anhängig ist. Damit wird deutlich<br />

gemacht, daß der Ombudsmann keine „Nebenjustiz“ oder<br />

gar – wie von Verbraucherschützern behauptet wird – „Geheimjustiz“<br />

betreiben soll, sondern Streitigkeiten zwischen<br />

Bank und Kunde außergerichtlich klären hilft. Demgegenüber<br />

ist es nicht ausgeschlossen, daß der Verbraucher nach<br />

Abschluß des Ombudsmannverfahrens sich noch an ein<br />

staatliches Gericht wendet. Denn das Ombudsmannverfahren<br />

ist kein Prozeßhindernis für den Verbraucher, da der<br />

Spruch des Ombudsmanns lediglich die Bank bindet. Das<br />

Ombudsmannverfahren ist grundsätzlich ausgeschlossen,<br />

wenn der Beschwerdefahrer bereits Strafanzeige wegen des<br />

Beschwerdegegenstandes erstattet hat oder während des<br />

Verfahrens erstattet. Dies beruht darauf, daß nach einer Einreichung<br />

einer Strafanzeige und möglicherweise Einleitung<br />

eines Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft<br />

die Atmosphäre zwischen den Beteiligten so stark verhärtet<br />

ist, daß die Möglichkeit einer einvernehmlichen Einigung<br />

wohl ausgeschlossen ist.<br />

3. Nach einer heftig umstrittenen Bestimmung ist der<br />

Banken-Ombudsmann von einer Entscheidung ausgeschlossen,<br />

wenn die streitige Rechtsfrage höchstrichterlich noch<br />

nicht entschieden ist. Das Ombudsmannverfahren greift im<br />

übrigen nur Platz, wenn die Klärung des Sachverhaltes<br />

keine Beweisaufnahme erfordert. Ausnahmsweise wird von<br />

diesem Erfordernis abgesehen, wenn sämtliche streitigen<br />

Tatsachen durch die Vorlegung von Urkunden bewiesen<br />

werden können.<br />

III. Schwerpunkte der Tätigkeit des Ombudsmanns<br />

1. In der bisherigen Tätigkeit des Banken-Ombudsmann<br />

haben sich inhaltlich überraschende Schwerpunkte herausgebildet.<br />

Eine besondere Bedeutung kommt dem Wertpapiergeschäft<br />

zu. Kunden unterstellen hier meist Beratungsfehler<br />

der Bank mit einem für sie negativen finanziellen<br />

Ergebnis. Dies wirft aber das Problem der Beweisbedürftigkeit<br />

auf. Im Gegensatz zu vielen anderen Bankgeschäften,<br />

die sich im allgemeinen lückenlos durch Urkunden belegen<br />

lassen, ist bei der Beurteilung von Beratungsfehlern<br />

der Inhalt der persönlich oder telefonisch geführten Beratungsgespräche<br />

nur selten schriftlich protokolliert. Daher<br />

müßte der Banken-Ombudsmann um eine sachgerechte<br />

Entscheidung zu treffen, Zeugen hören, um den Sachverhalt<br />

aufzuklären. Dies ist ihm aber gerade nicht möglich,<br />

da die Beweisbedürftigkeit einer Tatsache einen Abweisungsgrund<br />

darstellt. Weiterhin werden häufig Fälle an den<br />

Banken-Ombudsmann herangetragen, in denen es um die<br />

Kündigung langfristiger Kreditverträge im Hypothekenbereich<br />

geht. Den Kunden geht es häufig darum, alte Kreditverträge<br />

mit hohen Sollzinsen zu kündigen und eine Umschuldung<br />

zugunsten niedrig verzinster Kredite zu<br />

erreichen. Mit der Kündigung einher geht jedoch in der Regel<br />

die Berechnung einer Vorfälligkeitsentschädigung (vgl.<br />

nun: BGH, NJW 1997, S. 2875; OLG Karlsruhe, ZIP 1997,<br />

S. 498) durch die Bank. Dies sehen zahlreiche Kunden<br />

nicht ein und wenden sich an den Banken-Ombudsmann.<br />

2. Vielfach richten sich die Beschwerden auch gegen die<br />

Art und Weise wie Banken Vermögensverwaltungen wahrnehmen.<br />

In den übrigen Fällen ging es zumeist um Probleme<br />

im Überweisungsverkehr. Fehlbuchungen, falsch ausgeführte<br />

Überweisungen, verspätete Gutschriften und<br />

ähnliches waren Gegenstand der Beschwerden. Abweisen<br />

muß der Banken-Ombudsmann regelmäßig Beschwerden, in<br />

denen sich die Beschwerdeführer Hilfe gegen ihre eigene<br />

Überschuldung versprechen. Für solche Fragen ist der Banken-Ombudsmann<br />

nicht zuständig.


120<br />

l<br />

3. In den inzwischen sechs Jahren, in denen es das Ombudsmann-Verfahren<br />

gibt, mußten von den etwa 9.400 eingereichten<br />

Beschwerden mehr als zwei Drittel aus unterschiedlichen<br />

Gründen zrückgewiesen werden:<br />

a) Allein 3.463 Beschwerden wurden mangels Kompetenz<br />

des Ombudsmannes zurückgewiesen. Beschwerden<br />

über das Verhalten von Sparkassen, Landesbanken, Volksund<br />

Raiffeisenbanken sind unzulässig, da der Ombudsmann<br />

eine Beschwerdestelle der Privatbanken ist.<br />

b) Weitere 2.078 Beschwerden mußten abgewiesen werden,<br />

weil sie gegen die Verfahrensordnung verstießen. Der<br />

Ombudsmann kann nämlich nur von Privatkunden, nicht<br />

aber von Firmen und juristischen Personen angerufen werden.<br />

Auch wenn Ansprüche bereits verjährt sind und die<br />

Bank sich auf die Verjährung beruft, kann nicht mehr geschlichtet<br />

werden. Die Ombudsmänner greifen zudem nicht<br />

ein, wenn sich ein Gericht oder Staatsanwaltschaft bereits<br />

der Sache angenommen hat.<br />

c) Die übrigen 416 Beschwerden wurden vom Antragsteller<br />

zurückgenommen, regelmäßig nach einer Einigung<br />

zwischen Kunden und Bank.<br />

IV.Vorteile des Verfahrens vor dem Ombudsmann<br />

1. Das Banken-Ombudsmannverfahren stellt für beide<br />

Beteiligten einen schnelles (durchschnittliche Bearbeitungszeit<br />

von etwa 6 Monaten) und im Vergleich zu gerichtlichen<br />

Verfahren kostengünstiges Mittel zur Streitbeilegung dar.<br />

Während sich im Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung<br />

häufig nach deren Abschluß die Geschäftsverbindungen<br />

der Parteien löst, besteht im Wege des Schlichtungsverfahrens<br />

die Möglichkeit, einen für beide Seiten tragbaren<br />

Vergleich zu finden, das Geschäftsverhältnis aufrechtzuerhalten<br />

und von Seiten der Bank betrachtet den Kunden zu<br />

halten. Die Bank geht mit der Beteiligung am Ombudsmann-Verfahren<br />

auch kein untragbares Risiko ein.<br />

2. Entscheidungen des Ombudsmanns wirken wie im<br />

übrigen auch gerichtliche Entscheidungen immer nur inter<br />

partes, d. h. Dritte können sich auf den Inhalt einer Entscheidung<br />

nicht berufen. Im Gegensatz zu höchstrichterlichen<br />

Entscheidungen, insbesondere der Oberlandesgerichte<br />

und des Bundesgerichtshofs, die zumindest eine<br />

faktische Bindungswirkung für die Untergerichte entfalten,<br />

ist die Außenwirkung der Entscheidung des Ombudsmannes<br />

gering. Einerseits ist dies darin begründet, daß die Entscheidungen<br />

in der Regel nicht veröffentlicht werden, andererseits<br />

dadurch, daß der Banken-Ombudsmann seine<br />

Entscheidung nicht mit Gründen versehen muß. Daher ist<br />

es im Regelfall nicht möglich, sich auf eine parallele Entscheidung<br />

zu berufen, da weder Sachverhalt noch rechtliche<br />

Würdigung einer vergleichenden Betrachtung zugänglich<br />

sind.<br />

V. Hinweise für Rechtsanwälte<br />

Nach der Bestimmung des Nr. 5 Abs. 2 VerfOBO trägt<br />

der Bundesverband der Banken die Kosten des Verfahrens.<br />

Der Beschwerdeführer hingegen muß seine eigenen Kosten<br />

und die Kosten seines Rechtsanwaltes selbst tragen (Nr. 5<br />

Abs. 3 Satz 2 VerfOBO). In der Praxis sollte – ähnlich wie<br />

bei Prozessen vor den Arbeitsgerichten – dem Mandanten<br />

eindeutig dargestellt werden, daß eine Kostenerstattung<br />

selbst im Fall des Obsiegens nicht in Betracht kommt. Der<br />

Rechtsanwalt kann darüber hinaus auch sein Tätigwerden<br />

von der Zahlung eines angemessenen Vorschusses abhängig<br />

machen, um nicht später seinem Geld hinterherklagen zu<br />

müssen. Handelt es sich um mittellose Mandanten, so sollte<br />

zudem geprüft werden, ob das Beratungshilfegesetz eingreift.<br />

Da das Ombudsmann-Verfahren nicht formstreng ist<br />

und in vielen Bereichen vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägt<br />

ist, dürfte es jedoch regelmäßig schwerfallen darzulegen,<br />

daß eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich<br />

ist (vgl. Arendts, aaO., ZAP Fach 8, S. 237 (240)).<br />

VI. Perspektiven<br />

1. Aufgrund der wohl positiven Erfahrungen des Bundesverbandes<br />

der Banken sind auch andere Bereiche der<br />

Kreditwirtschaft dazu übergegangen, Ombudsleute bzw.<br />

Schlichtungsstellen einzurichten. Einige große Institute<br />

haben in den vergangenen Jahren hausinterne Beschwerdestellen<br />

eingerichtet. Im Frühjahr 1995 hat der Deutsche<br />

Sparkassen- und Giroverband angekündigt, ein eigenes<br />

Schlichtungssystem einzuführen. Das Konzept der Sparkassenorganisation<br />

ist zwischenzeitlich umgesetzt worden, der<br />

Sparkassen- und Giroverband Rheinland-Pfalz, Schleswig-<br />

Holstein, Württemberg, und Rheinland haben inzwischen<br />

Schlichtungsstellen eingerichtet.<br />

2. Vor Einleitung eines Gerichtsverfahrens kann es daher<br />

durchaus sinnvoll sein, sorgfältig die Einleitung eines Ombudsmann-Verfahrens<br />

zu erwägen und den Mandanten auf<br />

diese Möglichkeit hinzuweisen.<br />

Neue Aufgaben<br />

für Rechtsanwälte<br />

AnwBl 2/2000<br />

Spezialitäten<br />

Immer kleinere Unternehmen gehen erfolgreich an die<br />

Börse. Eine Befragung des Deutschen Aktieninstituts von<br />

allen Börsenneulingen der Jahrgänge 1994 bis 1997 ergab,<br />

daß bei einem Rücklauf von 50 Unternehmen neun zum<br />

Zeitpunkt der Emission weniger als 250 Beschäftigte und<br />

sieben einen Umsatz von weniger als 50 Mio. DM hatten.<br />

Am neuen Markt und im Freiverkehr wurden sogar Unternehmen<br />

mit Umsätzen von unter 20 Mio. DM eingeführt.<br />

Entscheidend sind nicht mehr absolute Zahlen, sondern<br />

Wachstums- und Erfolgspotentiale. Und es handelt sich<br />

um immer jüngere Unternehmen mit immer geringeren<br />

nominalen Emissionsbeträgen, z. T. 1 Mio. DM und sogar<br />

geringer.<br />

Damit wird ein Schritt vollzogen, der in den Vereinigten<br />

Staaten nach 14 Jahren, in Großbritannien nach acht<br />

Jahren, in Deutschland aber erst nach 55 Jahren üblich<br />

ist. Für 1999 sind mehr als 150 deutsche Neuemissionen<br />

zu erwarten. Immer wieder berichten die Medien von<br />

Überzeichnungen. Es entsteht der Eindruck, als seien<br />

Neuemissionen Selbstgänger und eine Lizenz zum Gelddrucken.<br />

Darum stellt sich inzwischen für Mittelstandsunternehmen<br />

die Frage, ob sie hier etwaige Chancen verpassen,<br />

und bei den Wirtschaftsprüfungs- und Unternehmensberatungsgesellschaften,<br />

Steuerberatungsbüros und<br />

Anwaltssozietäten vergeht zur Zeit kaum ein Tag, an dem<br />

sich nicht ein Mandant nach dem Weg an die Börse erkundigt.


AnwBl 2/2000 121<br />

Spezialitäten l<br />

Die Befragung des Deutschen Aktieninstituts ergab, daß<br />

von den eingeschalteten Beratern die Anwälte und Wirtschaftsprüfer<br />

zu 75 bzw. 74 % mit „sehr gut“ oder mit<br />

„gut“ beurteilt wurden. Damit schnitten sie besser ab als<br />

Banken (69 %), Unternehmensberater (64 %) und Finanzdienstleister<br />

(43 %). Bei der reinen „sehr gut“-Betrachtung<br />

sind die Unterschiede aber nur noch unerheblich. In diese<br />

Gruppe fallen auch nur noch 22,5 % der das Going Public<br />

betreuenden Anwälte.<br />

Juristen sollten sich die Frage stellen, ob es sich nicht<br />

lohnt, auf diesem Wachstumsmarkt der Kapitalbeschaffung<br />

von Unternehmen frühzeitig Marktanteile zu besetzen. Das<br />

würde bedeuten, daß sie über die reine Rechtsberatung zu<br />

Problemen wie Rechtsformwahl, Unternehmensumwandlung<br />

und Kapitalerhöhung kompetente Ansprechpartner für<br />

Börsenfragen, Emissionsverträge, Kommunikationskonzepte<br />

und Steuergestaltungen werden. 1<br />

Am Beispiel der Vor- und Nachteile eines Going Public<br />

kann dargestellt werden, wie fachgebietsübergreifend, aber<br />

auch wie interessant dieses Thema ist. Bei der Verbesserung<br />

der Eigenkapitalquote ist auf die Alternativen wie Beteiligungsgesellschaften,<br />

Venture Capital und die Ausgabe<br />

von Genußrechten hinzuweisen. Wegen der Fungibilität der<br />

Beteiligung und der sog. Drittorganschaft sind die Möglichkeiten<br />

interessen- und vermögensgerechter Erbregelungen<br />

und einer persönlichen Vermögensdiversifikation zu erläutern.<br />

Im Zuge des Börsengangs sind einfache Mitarbeiterbeteiligungsmodelle<br />

und gegebenenfalls Stock-Option-<br />

Plans für Führungskräfte zu entwerfen. Dabei sind die steuerlichen,<br />

bilanziellen und arbeitsrechtlichen Probleme zu<br />

beachten. Zur Anbindung von Kunden und Lieferanten<br />

kommen spezielle Friends-and-Family-Programme in Frage.<br />

Außerdem ist den Gesellschaftern die rigidere Beschränkung<br />

der sog. Durchgriffshaftung auf das Privatvermögen<br />

im Gegensatz zur oft nur vermeintlich beschränkten<br />

Haftung bei der GmbH und GmbH & Co. KG zu erklären.<br />

Bei den Nachteilen ist unter Umständen die Wahrung<br />

des maßgeblichen Einflusses der Altgesellschafter zu gestalten.<br />

Es sind drohende steuerliche Nachteile zu erklären<br />

und anfallende Kosten aufzulisten. Und neben den rechtsformspezifischen<br />

Publizitätspflichten sind die börsenspezifischen<br />

aufzuzählen und gegebenenfalls zu erläutern.<br />

Schließlich sind die strikte Funktions- und Kompetenztrennung<br />

zwischen Aktionärs- und Geschäftsführungsebene sowie<br />

dem Aufsichtsrat, weitere zwingende Vorschriften des<br />

Aktienrechts, Mitbestimmungsfragen und die Bedeutung<br />

des Wertpapierhandelsgesetzes darzustellen. Als Sahnehäubchen<br />

bleibt dann das rein juristische Problem der<br />

Haftung für Prospekte, Unternehmensberichte, Börsenstories<br />

u. ä.<br />

Bei dem Thema Börsengang ist also viel professionelles<br />

Know-how zu erwerben. Der Anwalt kann Kompetenz und<br />

Kreativität entwickeln und durch rechtzeitige Qualifizierung<br />

frühzeitig einen guten Ruf und Marktanteile erwerben. Insgesamt<br />

wird der Börsengang im Regelfall eine Teamarbeit<br />

zwischen Anwalt, Notar, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer,<br />

Bank, spezialisierten Emissionsberater und PR-Agentur.<br />

Dann wird das aber eine teure Angelegenheit. Es ist schon<br />

wünschenswert und steigert den Bekanntheitsgrad, wenn<br />

ein Ansprechpartner möglichst viel aus einer Hand anbietet.<br />

Das muß kein Plädoyer für große, gegebenenfalls fachübergreifende<br />

Beratungsgesellschaften sein.<br />

Prof. Dr. Harald Ehlers, FH Kiel<br />

Buchhinweis<br />

Hubertus Rohlfing; Erbrecht in der anwaltlichen Praxis, 2. Aufl.<br />

Bonn 1999; Deutscher Anwaltverlag, S. 340, 98,– DM<br />

Rohlfings 300-Seiten-Kompendium erscheint nach 3 1/2 Jahren in<br />

zweiter, aktualisierter Auflage. Und wer da meint, der Titel ,Erbrecht’<br />

sei Programm, der irrt. Erbrecht ist keine Insel! Gleich zu<br />

Beginn seines Vademekums postuliert Rohlfing die Nähe und den<br />

wechselseitigen Einfluß von Familienrecht und Erbrecht. Dies<br />

sollte jeder engagierte Anwalt rsp. Anwältin auf dem Gebiet des<br />

Familienrechts ebenso wie auf dem des Erbrechts beherzigen. Es<br />

ist nicht so, daß man sich auf eines der Rechtsgebiete als Anwalt<br />

einschießen und das je andere links liegen lassen könnte. Dies der<br />

Leserin und dem Leser deutlich zu machen, ist eines der Ziele, die<br />

Rohlfing mit seinem kurzen Praktiker-Handbuch anstrebt und mit<br />

Bravour auch erreicht. Er schärft die Sinne für die wesentlichen<br />

Probleme und Einflüsse beider Rechtsgebiete, mit denen zwingend<br />

auch Fragen des Steuerrechts einhergehen. Obgleich Rohlfing inhaltlich<br />

sehr wenig Raum zur Verfügung steht, bleiben kaum<br />

Fragen unbeantwortet und sei es, daß lediglich auf die vertiefende<br />

Fundstelle verwiesen wird, die dann wirklich weiterhilft. Doch der<br />

Reihe nach:<br />

Den Ausführungen Rohlfings ist ein umfassendes, zwölfseitiges Inhaltsverzeichnis<br />

vorangestellt, welches einen guten Überblick gibt<br />

und schnellen Zugriff auf die jeweiligen Darstellungen der Rechtsprobleme<br />

gewährleistet. Es schließen sich sechs Abschnitte an:<br />

Nach der kurzen Einleitung folgen ,Die gesetzliche Erbfolge’, ,Gewillkürte<br />

Erbfolge’, ,Erbenhaftung’ und ,Pflichtteilsrecht’. Daran<br />

knüpft ein siebenseitiger Anhang mit Checklisten an. Sie bieten<br />

eine Grundlage für die Mandatsbearbeitung und gewähren einen<br />

schnellen Überblick über die zu klärenden sachverhalts- und die<br />

handlungsrelevanten Daten mit Hinweisen auf die einschlägigen<br />

Normen.<br />

Rohlfings Ton ist knapp und präzise. Das Erbrecht wird nach rein<br />

praktischen Erwägungen konzise dargestellt. Der Autor macht sogleich<br />

auf das gesetzgeberische Durcheinander aufmerksam, das<br />

mit der zeitlich versetzten Geltung von dem im Kindschaftsrechtreformgesetz<br />

enthaltenen neuen Abstammungsrecht und dem drei<br />

Monate früher in Kraft getretenen Erbrechtsgleichstellungsgesetz<br />

(welches das alte Abstammungsrecht nicht verändernde) einhergeht.<br />

Neben dem neuen Kindschaftsrechtsreformgesetz verarbeitet<br />

Rohlfing auch die Änderungen, die mit dem Handelsrechtreformgesetz<br />

einhergehen. Ausführlich behandelt er u. a. die Unterschiede<br />

und Kollisionen zwischen dem Recht der ehemaligen DDR und<br />

dem der BRD sowie das Adoptionsrecht.<br />

Im Rahmen seiner Ausführungen gibt Rohlfing zur Verdeutlichung<br />

immer wieder praxisrelevante Beispiele, anhand derer und deren<br />

Abwandlungen er die Unterschiede verschiedener Regelungen aufzeigt.<br />

Zudem gibt er Hinweise und Arbeitshilfen, geht auf besondere<br />

Haftungsrisiken ein und macht Formulierungsvorschläge<br />

für klare Lösungen bei der gewillkürten Erbfolge.<br />

Das Werk schließt, nach dem Literatur- und Abkürzungsverzeichnis,<br />

mit einem etwas knapp geratenen Sachregister. Dieses Manko<br />

wird letztlich durch das ausführliche Inhaltsverzeichnis ausgeglichen.<br />

Abschließend bleibt noch mitzuteilen, daß hiermit der rezensierte<br />

Titel in vollem Umfang empfohlen wird. Hubertus Rohlfings Erbrecht<br />

bildet die Basis für die erbrechtliche Praktikerbibliothek.<br />

Daniel Dingeldey


122<br />

l<br />

7<br />

Berufsrecht<br />

GG Art. 12; BRAO § 59b; BerufsO § 13<br />

Die Bundesrechtsanwaltsordnung ermächtigt nicht zum Erlass<br />

von Satzungsrecht, das die Erwirkung eines Versäumnisurteils<br />

von einer vorherigen Ankündigung gegenüber dem gegnerischen<br />

Anwalt abhängig macht.<br />

BVerfG, Erster Senat, Urt. v. 14.12.1999 – 1 BvR 1327/98<br />

Aus den Gründen: A. Das Verfahren betrifft die Frage, ob<br />

Rechtsanwälte ergänzend zur Zivilprozessordnung (ZPO) bei der<br />

Erwirkung von Versäumnisurteilen § 13 der Berufsordnung der<br />

Rechtsanwälte von 10.12.1996 (BRAK-Mitt. 1996, S. 241 – im folgenden:<br />

BORA) beachten müssen.<br />

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein Rechtsanwalt, vertrat einen<br />

Kl in einem Zivilrechtsstreit vor dem AG. Auch die beklagte Partei<br />

war anwaltlich vertreten. Zur mündlichen Verhandlung am<br />

30.5.1997 erschien deren Prozessbevollmächtigter nicht, obwohl<br />

der Termin in der Kanzlei notiert worden war; der Grund der<br />

Säumnis ist ihm nicht mehr erklärlich. Nach Aufruf der Sache wartete<br />

der Beschwerdeführer 15 Minuten und beantragte sodann ein<br />

Versäumnisurteil. Das Versäumnisurteil erging antragsgemäß.<br />

2. Der Rechtsanwalt, der den Termin versäumt hatte, beschwerte<br />

sich bei der Rechtsanwaltskammer wegen des unkollegialen Verhaltens.<br />

Diese erteilte dem Beschwerdeführer eine Rüge, weil er<br />

dem gegnerischen Kollegen nicht gem. § 13 BORA angedroht<br />

habe, im Falle der Säumnis ein Versäumnisurteil zu erwirken.<br />

§ 13 BORA lautet: Versäumnisurteil: Der Rechtsanwalt darf<br />

bei anwaltlicher Vertretung der Gegenseite ein Versäumnisurteil<br />

nur erwirken, wenn er dies zuvor dem Gegenanwalt angekündigt<br />

hat; wenn es die Interessen des Mandanten erfordern, darf er den<br />

Antrag ohne Ankündigung stellen.<br />

3. Nach Zurückweisung seines Einspruchs rief der Beschwerdeführer<br />

erfolglos das Anwaltsgericht an, das den Rügebescheid bestätigte:<br />

Der Beschwerdeführer habe gegen § 13 BORA verstoßen. Die<br />

Berufsordnung sei spätestens am 11.3.1997 wirksam in Kraft getreten<br />

und zu beachten. Danach genüge es nicht, dass er in seinem<br />

klagebegründenden Schriftsatz bereits einen Antrag auf Erlass<br />

eines Versäumnisurteils angekündigt habe. Diese Ankündigung<br />

habe sich auf § 331 Abs. 3 ZPO bezogen und Vorsorge für den Fall<br />

getroffen, dass ein schriftliches Vorverfahren gem. § 276 ZPO stattfinde;<br />

mit der Ankündigung eines Antrages auf Erlass eines Versäumnisurteils<br />

in der mündlichen Verhandlung gem. § 331 Abs. 1<br />

ZPO könne dies nicht gleichgestellt werden. Wolle der Beschwerdeführer<br />

nach Beendigung des schriftlichen Vorverfahrens im Termin<br />

der mündlichen Verhandlung gegen die säumige, jedoch anwaltlich<br />

vertretene Partei ein Versäumnisurteil erwirken, müsse er<br />

seine Absicht dem gegnerischen Kollegen ankündigen. Das Verhalten<br />

sei nicht ausnahmsweise deshalb gerechtfertigt, weil der Beschwerdeführer<br />

gemeint habe, im Interesse seines Mandanten handeln<br />

zu müssen. Diese in § 13 BORA vorgesehene Ausnahme sei<br />

eng auszulegen. Es müssten konkrete Umstände vorliegen, die die<br />

Interessen des Mandanten über die Interessen der anwaltlichen Berufsordnung<br />

stellten. Dazu habe der Beschwerdeführer in seiner<br />

Antragsschrift nicht substantiiert vorgetragen. Dies obliege ihm wegen<br />

des in § 13 BORA niedergelegten Regel-Ausnahme-Prinzips.<br />

II. Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer<br />

die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG geltend. Die Rüge der<br />

Rechtsanwaltskammer und der sie bestätigende Beschluss des Anwaltsgerichts<br />

griffen rechtswidrig in sein Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit<br />

ein, weil es hierfür keine rechtswirksame Grundlage<br />

gebe. seit der Entscheidung das BVerfG vom 14.7.1987 (BVerfGE<br />

76, 171) lasse sich das Verbot, ohne vorherige Ankündigung ein<br />

Versäumnisurteil zu beantragen, nicht mehr aus vorkonstitutionellem<br />

Gewohnheitsrecht herleiten. Als. Rechtsgrundlage komme daher<br />

allein § 13 BORA in Betracht. Diese Bestimmung sei jedoch<br />

unwirksam.<br />

AnwBl 2/2000<br />

Umstritten sei bereits, ob die von der Satzungsversammlung der<br />

Bundesrechtsanwaltskammer verabschiedete Satzung verfassungskonform<br />

ausgefertigt worden sei. Jedenfalls habe die Satzungsversammlung<br />

die ihr nach § 59b der Bundesrechtsanwaltsordnung (im<br />

folgenden: BRAO), eingefügt durch Gesetz vom 2.9.1994 (BGBl I<br />

S. 2278) eingeräumte Satzungsautonomie überschritten. § 13<br />

BORA greife einschneidend in die Rechtssphäre der rechtsuchenden<br />

Mandanten ein, in deren Interesse das Versäumnisurteil regelmäßig<br />

liege. Damit verschlechtere das Verbot die Rechtsposition<br />

der Mandanten insbesondere dann, wenn wegen des hierdurch eintretenden<br />

Zeitverlustes die Zwangsvollstreckung durch Vermögensverfall<br />

des Schuldners vereitelt werde. In jedem Fall führe das Verbot<br />

zu Vertagungen oder zum Ruhen des Verfahrens, also immer zu<br />

einer Prozessverlängerung. Eine derartige Regelung könne grundsätzlich<br />

nur durch den Gesetzgeber getroffen werden oder müsse zumindest<br />

im wesentlichen durch diesen in der Ermächtigungsnorm<br />

vorgezeichnet sein; dies sei jedoch in § 59b BRAO nicht geschehen.<br />

Die Rechtsetzungskompetenz der berufsständischen Selbstverwaltung<br />

sei grundsätzlich auf die Kammermitglieder beschränkt. Zwar<br />

ließen sich gewisse Rückwirkungen des berufsinternen Satzungsrechts<br />

auf Dritte nicht vermeiden. Je stärker jedoch Dritte betroffen<br />

seien, desto weniger bestehe eine Regelungskompetenz der Kammern.<br />

Den etwaigen Interessenwiderstreit zwischen dem Berufsstand<br />

der Rechtsanwälte einerseits und andererseits den Mandanten,<br />

die von einem Verbot, ein Versäumnisurteil zu beantragen, betroffen<br />

seien, könne nur der Gesetzgeber auflösen. § 13 BORA sei Ausdruck<br />

eines antiquierten standesegoistischen Zunftdenkens auf Kosten<br />

der Rechtspflege wie auch des rechtsuchenden Bürgers.<br />

Das Verbot sei auch materiell verfassungswidrig, weil nicht im<br />

Interesse des Gemeinwohls geeignet, erforderlich und zumutbar.<br />

Es diene nicht der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, wie die Erfahrungen<br />

nach 1987 gezeigt hätten und worauf auch der BGH zu<br />

Recht hingewiesen habe.<br />

III: Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium<br />

der Justiz namens der Bundesregierung, der Präsident des<br />

BGH, der Vorsitzende des 1. Senats des Bundesarbeitsgerichts, die<br />

Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein sowie<br />

als Beteiligte des Ausgangsverfahrens die Rechtsanwaltskammer<br />

für den Oberlandesgerichtsbezirk Koblenz Stellung genommen.<br />

1. Das Bundesministerium der Justiz hält die angegriffene Vorschrift<br />

für mit dem Grundgesetz vereinbar.<br />

Die Berufsordnung sei formell wirksam zustande gekommen,<br />

insbesondere ordnungsgemäß ausgefertigt und veröffentlicht worden.<br />

Die Veröffentlichung habe den Hinweis enthalten, dass die<br />

Berufsordnung am 10.12.1996 dem Bundesministerium der Justiz<br />

übermittelt worden sei und am 11.3.1997 in Kraft treten werde, soweit<br />

nicht das Bundesministerium der Justiz die Satzung oder Teile<br />

derselben bis zum 10.3.1997 aufhebe. Hierdurch sei die Berufsordnung<br />

der Öffentlichkeit förmlich zugänglich gemacht worden; die<br />

Betroffenen hätten sich verlässlich Kenntnis von ihrem Inhalt verschaffen<br />

können. Eine erneute Befassung der Satzungsversammlung<br />

nach der Aufhebung des § 21 BORA (Banz 1997, S. 2769)<br />

sei nicht erforderlich gewesen, weil sich die aufgehobene Regelung<br />

auf den übrigen Inhalt der Berufsordnung nicht ausgewirkt habe.<br />

Die Ermächtigung zur Regelung des beruflichen Verhaltens in<br />

§ 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO betreffe lediglich die Art und Weise der<br />

Berufsausübung. Sie beziehe sich auf Verhaltensweisen, die den<br />

kollegialen und fairen Umgang der Rechtsanwälte miteinander<br />

sicherstellten und sich in einer langen Tradition herausgebildet<br />

hätten. Die Norm ermächtige den Satzungsgeber dagegen nicht zu<br />

Eingriffen in die Rechtsstellung Dritter, insbesondere in die prozessualen<br />

Rechte des Mandanten. § 13 BORA sei durch diese Ermächtigung<br />

grundsätzlich gedeckt, bedürfe allerdings einer verfassungskonformen<br />

Auslegung, weil er bei wörtlicher Anwendung<br />

nachteilige Folgen für die außerhalb des Berufsstandes stehenden<br />

Mandanten haben könnte. Deren Interessen forderten, dass der<br />

Rechtsanwalt bereits bei einer Gefährdung der rechtlichen oder<br />

wirtschaftlichen Interessen seines Mandanten befugt bleibe, ein<br />

Versäumnisurteil auch ohne Ankündigung zu beantragen. Ein Vor-


AnwBl 2/2000 123<br />

Rechtsprechung l<br />

rang der Mandanteninteressen sei bereits dann anzunehmen, wenn<br />

nur Zweifel daran bestünden, ob die Verhaltenspflicht aus § 13<br />

BORA ohne Vernachlässigung berechtigter Mandanteninteressen<br />

eingehalten werden könne.<br />

In den übrigen Fällen sei dem Rechtsanwalt eine Ankündigung<br />

des Antrags auf Erlass eines Versäumnisurteils zumutbar. § 13<br />

BORA sei durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt<br />

und genüge dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die<br />

Vorschrift komme den Prozessparteien und dem Verfahren zugute.<br />

Sie trage dazu bei, Versäumnisurteile zu vermeiden, die in weiteren<br />

Prozessverlauf voraussichtlich keinen Bestand hätten. Insgesamt<br />

dürften ihre Auswirkungen in der gerichtlichen Praxis gering sein.<br />

In der Regel lasse sich der Grund des Ausbleibens eines Rechtsanwalts<br />

durch telefonische Rückfragen ohne größeren Aufwand klären.<br />

Bei einem Büroversehen oder einer unvorhergesehenen<br />

Terminüberschneidung könne die Verhandlung in der Mehrzahl der<br />

Fälle mit geringfügiger Verspätung dennoch durchgeführt werden.<br />

2. Der Präsident den BGH verweist auf die Beschlüsse des<br />

Senats für Anwaltssachen (AnwBl 1999, S. 553; NJW 1999, S.<br />

2678), wonach die Berufsordnung am 11.3.1997 ordnungsgemäß in<br />

Kraft getreten sei. Verfahrensrechtliche Bedenken bestünden nicht;<br />

insbesondere lasse sich der Bundesrechtsanwaltsordnung nicht entnehmen,<br />

dass Ausfertigung und Veröffentlichung der Satzung dem<br />

aufsichtsrechtlichen Prüfungsverfahren nachfolgen müssten.<br />

Der BGH habe bisher zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des<br />

§ 13. BORA keine Entscheidung getroffen, halte aber die Norm,<br />

die durch die Ermächtigung in § 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO gedeckt<br />

sei, bei verfassungskonformer Auslegung für verfassungsmäßig.<br />

Die Regelung diene der Vermeidung von Versäumnisurteilen.<br />

§ 337 ZPO mache i. V. m. § 344 ZPO deutlich, dass ein Versäumnisurteil<br />

nur dann ergehen solle, wenn die Versäumnis auf einem<br />

Verschulden beruhe. Der mit § 13 BORA getroffenen Regelung<br />

liege die Annahme des Satzungsgebers zugrunde, dass die Säumnis<br />

typischerweise unverschuldet sei. § 13 BORA könne daher in gewissem<br />

Sinne als Ergänzung des § 337 ZPO verstanden werden.<br />

Der weitere Aspekt des Schutzes säumiger Kollegen, denen es erspart<br />

werde, sich gegenüber dem eigenen Mandanten zu rechtfertigen,<br />

trete demgegenüber in den Hintergrund. § 13 BORA sei verfassungskonform<br />

dahin auszulegen, dass die Voraussetzungen,<br />

unter denen die Interessen des Mandanten den Antrag auf Erlass<br />

eines Versäumnisurteils erforderten, nicht hoch anzusetzen seien.<br />

Zwar werde das bloß abstrakte, theoretisch stets bestehende Risiko<br />

einer Vermögensverschlechterung des Gegners nicht ausreichen;<br />

sobald aber aufgrund konkreter Anhaltspunkte Zweifel daran bestünden,<br />

ob ohne Vernachlässigung der Interessen des Mandanten<br />

auf ein Versäumnisurteil verzichtet werden könne, werde man dem<br />

Rechtsanwalt, die Befugnis zur Antragstellung nicht absprechen<br />

dürfen.<br />

3. Nach Auffassung des 1. Senats des Bundesarbeitsgerichts,<br />

der bisher mit einschlägigen Rechtsfragen nicht befasst war, kollidiert<br />

die standesrechtliche Regelung in nicht unbedenklicher Weise<br />

mit Grundsätzen des Prozessrechts. Die Regelung des § 227 ZPO,<br />

nach der ein Termin nur aus erheblichen Gründen aufgehoben und<br />

verlegt werden dürfe, könne durch bloßes Fernbleiben unterlaufen<br />

werden. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren werde auf diese Weise<br />

das Gebot der obligatorischen Güteverhandlung entwertet. Außerdem<br />

führe die streitige Regelung im arbeitsgerichtlichen Verfahren<br />

insoweit zu einer Schieflage, als hier erst- und zweitinstanzlich als<br />

Prozessvertreter auch Vertreter von Gewerkschaften und Verbänden<br />

auftreten können, denen gegenüber die standesrechtliche Verpflichtung<br />

nicht gelte. § 13 BORA korrigiere Grundsätze des arbeitsgerichtlichen<br />

Verfahrens in störender Weise.<br />

4. Innerhalb der Bundesrechtsanwaltskammer besteht keine einheitliche<br />

Auffassung zur Verfassungsbeschwerde. Einheitlich wird<br />

lediglich angenommen, dass § 13 BORA formell ordnungsgemäß<br />

in Kraft gesetzt worden sei. Im übrigen werden in der Stellungnahme<br />

verschiedene Standpunkte mitgeteilt.<br />

a) Teilweise wird der Beschluss des Anwaltsgerichts zwar für<br />

rechtswidrig, nicht aber für verfassungswidrig gehalten. Die von<br />

§ 13 BORA geforderte Ankündigung könne bereits in der Klageschrift<br />

enthalten sein. Außerdem treffe den Anwalt nicht die Darlegungs-<br />

und Beweislast dafür, dass er im Interesse des Mandanten<br />

gehandelt habe, weil § 74a BRAO die Vorschriften der Strafprozessordnung<br />

für anwendbar erkläre.<br />

b) Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass § 13 BORA<br />

durch die Ermächtigung in § 59b Abs. 2 Nr. 5 Buchstabe a BRAO<br />

gedeckt werde. Indem der Gesetzgeber es ermöglicht habe, besondere<br />

Berufspflichten bei der Wahrnehmung das Mandats zu regeln,<br />

habe er die Satzungsversammlung mit Regelungskompetenz gegenüber<br />

Dritten ausgestattet. Bei verfassungskonformer Auslegung<br />

gebe es auch kein striktes Regel-Ausnahme-Prinzip. In Zweifelsfällen<br />

könnten die Interessen des Mandanten, die allerdings aufgrund<br />

konkreter Umstände feststellbar sein müssten, stets Vorrang<br />

haben. Die Norm greife auch nicht, unverhältnismäßig in die Berufsausübung<br />

ein. Versäumnisurteile führten auf seiten der säumigen<br />

Partei mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer Erhöhung<br />

der Prozesskosten, zu vermeidbarer Hinterlegung von Sicherheiten,<br />

zur Abwendung der Zwangsvollstreckung sowie zu Haftpflichtansprüchen<br />

und -prozessen. Unter den heutigen Bedingungen bestehe<br />

für jeden Rechtsanwalt die Gefahr, einen Termin zu versäumen.<br />

Der Nachteil des nicht säumigen Rechtsanwalts, der lediglich in einem<br />

nicht durch gebührenmäßige Vorteile aufgewogenen Zeitverlust<br />

bestehe, sei geringer einzuschätzen. Erst aufgrund einer durch<br />

§ 13 BORA geforderten Nachfrage beim Gegenanwalt werde der<br />

Richter in die Lage versetzt, gem. § 337 ZPO anhand von Tatsachen<br />

zu entscheiden, ob ein Fall schuldhafter Säumnis vorliege.<br />

c) Der Verfassungsrechtsausschuss hält die Verfassungsbeschwerde<br />

für begründet. Zwar werde die Berufsausübungsfreiheit<br />

durch § 13 BORA nicht unverhältnismäßig eingeschränkt. Die Vorschrift<br />

sei jedoch verfassungswidrig und unwirksam, weil die Satzungsversammlung<br />

die ihr nach § 59b BRAO eingeräumte Satzungsautonomie<br />

überschritten habe. Die Regelung bewirke Eingriffe in<br />

den Rechtskreis von Externen, die so erheblich seien dass die Satzungsermächtigung<br />

sie nicht umfasse. sie greife in die prozessuale<br />

Rechtsstellung der Partei eines Zivilrechtsstreits ein, weil nicht auf<br />

den subjektiven Willen des Mandanten, sondern auf die objektive<br />

Interessenlage abgestellt werde. Dabei komme es nicht darauf an,<br />

ob die Norm ein Regel-Ausnahme-Prinzip enthalte, weil die Befugnisse<br />

der Zivilprozessordnung selbst unter keinerlei Vorbehalt stünden.<br />

Der Eingriff habe auch besonderes Gewicht, weil ein Versäumnisurteil<br />

für den Begünstigten ein besonders effektives Mittel<br />

zur Durchsetzung seiner Rechte darstelle. Die Möglichkeit der Ankündigung<br />

beseitige den Eingriff nicht. Um die Norm nicht leer<br />

laufen zu lassen, werde deshalb auch im Schrifttum vertreten, dass<br />

pauschale Ankündigungen insoweit nicht ausreichten.<br />

5. Der Deutsche Anwaltverein hält die Verfassungsbeschwerde<br />

für begründet. § 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO ermächtige die Satzungsversammlung<br />

dazu, das berufliche Verhalten gegenüber anderen<br />

Mitgliedern der Rechtsanwaltskammer, insbesondere die sogenannten<br />

Kollegialitätspflichten, zu regeln. Inhaltlich sei die Ermächtigungsnorm<br />

jedoch keine ausreichende gesetzliche Grundlage für<br />

§ 13 BORA. Auch mittelbare Rückwirkungen des Satzungsrechts<br />

auf Dritte bedürften einer gesetzlichen Ermächtigung. Je stärker<br />

die mittelbaren Auswirkungen auf berufsfremde Dritte seien, desto<br />

weniger bestehe für den Satzungsgeber die Möglichkeit, ohne entsprechende<br />

gesetzgeberische Vorgaben in Rechtspositionen Dritter<br />

einzugreifen. Das Verbot, ohne vorherige Ankündigung ein Versäumnisurteil<br />

zu beantragen, wirke sich mittelbar nicht unerheblich<br />

auf Vermögensinteressen der Mandanten aus. Das geschehe nicht<br />

mehr oder weniger zufällig, sondern gezielt. Die Ermächtigungsnorm<br />

der Berufsordnung lasse jedoch nicht ansatzweise erkennen,<br />

dass der Gesetzgeber solche faktischen Eingriffe in die Rechtssphäre<br />

Dritter habe zulassen wollen.<br />

§ 13 BORA verstoße auch materiell gegen Art. 12 Abs. 1 GG,<br />

Der Zweck der Regelung, den fairen und kollegialen Umgang der<br />

Rechtsanwälte untereinander sicherzustellen, sei für eine funktionsfähige<br />

Rechtspflege allerdings wichtig. Werde von prozessrechtlich<br />

zulässigen Instrumenten Gebrauch gemacht, könne dies aber<br />

schwerlich als unkollegial bewertet werden. Sei die Säumnis verschuldet,<br />

gebe, es keinen Grund für kollegiale Rücksichtnahme.<br />

Für den Fall, dass Anhaltspunkte für eine unverschuldete Säumnis<br />

bestünden, sehe § 337 ZPO ohnedies die Vertagung von Amts wegen<br />

vor. § 13 BORA sei schon deshalb unverhältnismäßig im engeren<br />

Sinne, weil die Vermögensinteressen des Mandanten im Prozess<br />

von hoher Bedeutung und durch den Verzicht auf das Versäumnisurteil<br />

im Regelfall negativ betroffen seien. Verzögerungen des<br />

Rechtsstreits und der Verzicht auf die rasche Durchsetzung oder<br />

Sicherung des im Prozess geltend gemachten Anspruchs seien erhebliche<br />

Nachteile. Die Interessen des Mandanten erforderten den


124<br />

l<br />

Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils im Regelfall und nicht –<br />

wie § 13 BORA dies vorsehe – nur im Ausnahmefall.<br />

6. Die Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk<br />

Koblenz verteidigt den Rügebescheid. § 13 BORA sei wirksam in<br />

Kraft gesetzt. Die Norm sei auch inhaltlich verfassungsgemäß.<br />

Seitdem es Standesrichtlinien gebe, hätten sie die Rechtsanwälte<br />

Einschränkungen hinsichtlich der Möglichkeit, ein Versäumnisurteil<br />

zu erwirken, unterworfen. Die Regelung sei Ausdruck der Kollegialität,<br />

diene aber auch der Rechtspflege, selbst wenn sie nicht<br />

zu deren Aufrechterhaltung unerlässlich sei. Durch den Wegfall<br />

der Lokalisation werde sie noch, an Bedeutung gewinnen. Sie statuiere<br />

kein Regel-Ausnahme-Prinzip, sondern gebe den Interessen<br />

des Mandanten Vorrang. Sie greife daher nicht in die Rechte der<br />

Mandanten ein und sei als Berufsausübungsbestimmung durch Art.<br />

12 GG gedeckt, weil sie auf vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls<br />

beruhe und den Rechtsanwalt nicht übermäßig und unzumutbar<br />

treffe.<br />

IV. In der mündlichen Verhandlung haben sich der Bevollmächtigte<br />

des Beschwerdeführers, die Rechtsanwaltskammer für den<br />

Oberlandesgerichtsbezirk Koblenz, die Bundesrechtsanwaltskammer<br />

sowie der Deutsche Anwaltverein geäußert.<br />

B. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.<br />

Die dem Beschwerdeführer erteilte Rüge greift in sein Grundrecht<br />

auf freie Berufsausübung als Rechtsanwalt ein. Für diesen<br />

von dem Anwaltsgericht gebilligten Eingriff fehlt. bereits die gemäß<br />

Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG erforderliche gesetzliche Grundlage.<br />

§ 13 BORA ist durch die Ermächtigung in § 59b BRAO nicht gedeckt<br />

und daher nichtig.<br />

I. Die Vorschriften der Berufsordnung der Rechtsanwälte sind<br />

allerdings nicht deshalb unwirksam, weil Ausfertigung und Verkündung<br />

nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen genügten. Die<br />

Auffassung des BGH, dass die Ausfertigung der Berufsordnung<br />

vor Abschluss der Prüfung durch das Bundesministerium der Justiz<br />

Rechtsvorschriften nicht verletzt (NJW 1999, S. 2678), begegnet<br />

keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.<br />

II. Die Rechtsanwaltskammer und das Berufsgericht haben jedoch<br />

die Reichweite der gesetzlichen Ermächtigung verkannt.<br />

1. Gegen Berufsausübungsregelungen in Gestalt von Satzungen<br />

öffentlichrechtlicher Berufsverbände bestehen grundsätzlich keine<br />

verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfGE 94, 372 ; st.<br />

Rspr). Das zulässige Ausmaß von Beschränkungen der Berufsfreiheit<br />

hängt von Umfang und Inhalt der den Berufsverbänden vom<br />

Gesetzgeber erteilten Ermächtigung ab. Bei der Überantwortung<br />

der Rechtsetzungskompetenz muss er die durch Satzungsrecht<br />

möglichen Einschränkungen besonders deutlich vorgeben, wenn<br />

die Berufsangehörigen selbst in ihrer freien beruflichen Betätigung<br />

empfindlich beeinträchtigt werden (vgl. BVerfG 98, 49 ).<br />

Dies gilt erst recht, wenn der eigentliche Verantwortungsbereich<br />

des Satzungsgebers – nämlich die Regelung der inneren Angelegenheiten<br />

des Berufsstands – überschritten wird und die Interessen<br />

Dritter oder der Allgemeinheit an der Art und Weise der Tätigkeit<br />

berührt werden. Verbandsinterne Regelungen, die in fremde Befugnisse<br />

eingreifen oder gesetzlich geregelte Verfahren beeinflussen,<br />

können außenstehenden Dritten zum Nachteil gereichen oder Allgemeinwohlbelange<br />

beeinträchtigen. Insoweit birgt eine Rechtsetzung<br />

durch Berufsverbände besondere Gefahren in sich, da sie sich<br />

bei der Schaffung von Satzungsrecht typischerweise von Verbandsinteressen<br />

leiten lassen (vgl. BVerfGE 76, 171 ). Diese Gefahren<br />

muss der Gesetzgeber berücksichtigen, wenn er einem Verband<br />

die Ermächtigung zum Erlass von Satzungsrecht erteilt. Je<br />

stärker die Interessen der Allgemeinheit berührt werden, desto weniger<br />

darf sich der Gesetzgeber seiner Verantwortung dafür entziehen,<br />

dass verschiedene einander widerstreitende Interessen und<br />

Rechtpositionen gegeneinander abzuwägen und zum Ausgleich zu<br />

bringen sind (vgl. BVerfGE 33, 125 ; 71, 162 ; 76,<br />

171 ). Deshalb reichen Ermächtigungsnormen, die einer mit<br />

Autonomie ausgestatteten Körperschaft Regelungsspielräume zur<br />

Bestimmung von Berufspflichten eröffnen, die sich über den Berufsstand<br />

hinaus auswirken, nur so weit, wie der Gesetzgeber erkennbar<br />

selbst zu einer solchen Gestaltung des Rechts den Weg bereitet<br />

(vgl. BVerfGE 38, 373 ).<br />

2. Eine gewisse Berührung mit den Interessen und Rechten<br />

Dritter ist bei den Berufsregelungen, die von der Satzungsver-<br />

AnwBl 2/2000<br />

Rechtsprechung<br />

sammlung autonom auf der Grundlage der Bundesrechtsanwaltsordnung<br />

erlassen werden, unvermeidlich.<br />

Der Gesetzgeber hat die Regelungsbereiche mit Außenwirkung<br />

in § 59b Abs. 2 Nr. 5 bis 9 BRAO auch ausdrücklich genannt.<br />

Die dort aufgeführten Materien berühren das Verhältnis der Anwälte<br />

zu Mandanten, Gerichten und Behörden, zu Mitarbeitern<br />

und beim grenzüberschreitenden Rechtsverkehr; inhaltlich geht es<br />

um die Beratung, die Vertretung vor Gericht, die Vollstreckung,<br />

die Beitreibung von Kosten und die Beschäftigung von Mitarbeitern.<br />

Die Satzungsversammlung ist danach ermächtigt, Regelungen<br />

mit Augenwirkung für die genannten Sachverhalte und Personenkreise<br />

zu treffen.<br />

Die Ermächtigung ist allerdings eingebettet in den Regelungszusammenhang<br />

der Bundesrechtsanwaltsordnung sowie in die sonstigen<br />

gesetzlichen Vorschriften, die das Verhalten von Rechtsanwälten<br />

bei der Wahrnehmung eines Auftrags im Verhältnis zu den<br />

Gerichten, ihren Mandanten und den Rechtsanwaltskollegen steuern.<br />

Hierzu zählen vornehmlich die Prozessordnungen und die sonstigen<br />

das Verfahren, betreffenden Gesetze, aber auch die einschlägigen<br />

Vorschriften des Zivil- und Strafrechts. Das Berufsrecht der<br />

Rechtsanwälte greift insoweit lediglich ergänzend und konkretisierend<br />

ein.<br />

3. Die Vorschrift des § 13 BORA überschreitet jedoch die der<br />

Satzungsversammlung gezogenen Grenzen, weil sich der Bundesrechtsanwaltsordnung<br />

nicht entnehmen läßt, dass die Handlungsspielräume<br />

der Prozessparteien durch Satzungsrecht eingeengt werden<br />

dürfen; insoweit verstößt die Regelung gegen den Vorbehalt<br />

des Gesetzes. Sie missachtet zugleich den Vorrang, der den zivilprozessualen<br />

Regelungen des Versäumnisverfahrens zukommt.<br />

a) Diese Verstöße bestehen unabhängig davon, ob die Ermächtigungsgrundlage<br />

für § 13 BORA in § 59b Abs. 2 Nr. 5 Buchstabe<br />

a BRAO gesehen wird, wie dies die Bundesrechtsanwaltskammer<br />

in Übereinstimmung mit der Systematik der Berufsordnung ausgeführt<br />

hat, oder ob mit den Bundesministerium der Justiz und den<br />

Bundesgerichtshof die Grundlage eher der Nr. 8 entnommen wird.<br />

Die Regelung in § 13 BORA umfasst beide Arten von Berufspflichten,<br />

solche in Zusammenhang mit der Wahrnehmung eines<br />

Auftrags und solche des beruflichen Verhaltens gegenüber anderen<br />

Mitgliedern der Rechtsanwaltskammer. Sie fordert eine kollegiale<br />

Rücksichtnahme bis an die Grenze, die durch das unabweisbare Interesse<br />

das Mandanten gezogen wird. Insoweit geht es um Berufspflichten<br />

gegenüber anderen Rechtsanwälten. Zugleich stellt die<br />

Regelung die prozessuale Befugnis, zugunsten des eigenen Mandanten<br />

ein Versäumnisurteil zu erwirken, unter den Vorbehalt vorheriger<br />

Ankündigung. Insoweit betrifft sie Berufspflichten bei der<br />

Wahrnehmung eines Auftrags.<br />

b) Mit § 13 BORA wird das in der Zivilprozessordnung ausgeformte<br />

Versäumnisverfahren geändert. Dabei wird der Umfang der<br />

Ermächtigung in § 59b BRAO in beiden Alternativen überschritten.<br />

Das wird auch durch Zweck und Entstehungsgeschichte von<br />

§ 13 BORA belegt.<br />

aa) Die Vorschrift dient nach allgemeiner Meinung, die eine<br />

lange Tradition hat (vgl. Gerrit W. Hartung, Das anwaltliche Verbot<br />

des Versäumnisurteils, 1991), der Vermeidung von Versäumnisurteilen,<br />

bei denen von vornherein anzunehmen sei, dass gegen sie<br />

ein Einspruch erfolge und der Prozess streitig fortgesetzt werde.<br />

Dadurch würden überflüssiger Aufwand und Kosten vermieden,<br />

die mit dem – nach der Zivilprozessordnung rechtmäßigen – Erlass<br />

eines Versäumnisurteils verbunden sind. Nach Auffassung des<br />

BGH kann § 13 BORA in gewissem Sinne als Ergänzung des<br />

§ 337 ZPO verstanden werden; der Schutz des Anwalts, dem es erspart<br />

werde, sich gegenüber dem Mandanten zu rechtfertigen, trete<br />

daneben in den Hintergrund. Demgegenüber sieht der Deutsche<br />

Anwaltverein als Kehrseite kollegialer Rücksichtnahme eine gezielte<br />

Zurückstellung der Vermögensinteressen des eigenen Mandanten.<br />

Hingegen ist das Regelwerk der Zivilprozessordnung auf Beschleunigung<br />

angelegt. Anträgen auf Vertagung wird nur aus erheblichen<br />

Gründen stattgegeben (§ 227 ZPO). Zu den erheblichen<br />

Gründen zählt auch, wenn das Gericht dafür hält, dass die Partei<br />

ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert ist. Bei schuldhafter<br />

Säumnis gilt dies jedoch nicht; eine Vertagung kann also von<br />

einem Rechtsanwalt nicht einseitig durchgesetzt werden. Geht das<br />

Gericht davon aus, dass nach den bekanntgewordenen Umständen


AnwBl 2/2000 125<br />

Rechtsprechung l<br />

der säumige Rechtsanwalt nicht entschuldigt ist, wird antragsgemäß<br />

entweder nach Lage der Akten entschieden oder ein Versäumnisurteil<br />

erlassen (§ 331a ZPO);.anderenfalls wird das Ruhen des Verfahrens<br />

angeordnet (§ 251a ZPO). Das Erwirken eines Versäumnisurteils<br />

setzt nach der Zivilprozessordnung keine Ankündigung<br />

gegenüber den Gegner voraus. Es sichert in dem Konflikt zwischen<br />

Beschleunigung, Rechtssicherheit und Gerechtigkeit einstweilen die<br />

Durchsetzbarkeit des geltend gemachten Anspruchs ohne Sicherheitsleistung<br />

(§§ 330, 331, 708 Nr. 2 i. V. m.§§719,707ZPO).<br />

bb) Die erheblichen Nachteile für die säumige Prozesspartei,<br />

unter anderem auch die Kostenlast des § 344 ZPO, die ihrerseits<br />

wieder Haftungsansprüche gegenüber dem säumigen Anwalt zu<br />

begründen vermögen, haben seit mehr als einhundert Jahren dazu<br />

geführt, dass es unter den Anwälten als unkollegial gilt, ohne triftige<br />

Gründe ein Versäumnisurteil gegen einen Kollegen aus demselben<br />

Kammerbezirk zu erwirken. Die Ehrengerichte der Anwaltschaft<br />

haben dies immer wieder bestätigt (1892: EGH VI, S. 79;<br />

1898: EGH IX, S. 232; 1906: EGH XIII, S. 43; 1911: EGH XV, S.<br />

130; 1916; EGH XVII, S. 315). Lediglich das Reichsgericht (RGZ<br />

10, 25) führte im Jahre 1908 aus: „Derartige kollegiale Gewohnheiten<br />

haben nicht die Kraft und, wie ohne weiteres anzunehmen<br />

ist, auch nicht die Absicht, die dem Anwalt seiner Partei gegenüber<br />

obliegenden Pflichten irgend abzuändern oder einzuschränken.“<br />

Diese Auffassung hat sich indessen nicht durchgesetzt. Sowohl ein<br />

„Vademecum“ aus dem Jahre 1929 als auch die Richtlinien der<br />

Reichsrechtsanwaltskammer von 1934 sowie die nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg überarbeiteten Standesrichtlinien enthielten eine Vorschrift,<br />

nach der es unzulässig war, gegen die von einem Kollegen<br />

vertretene Partei ein Versäumnisurteil zu erwirken, wenn dies nicht<br />

rechtzeitig vorher angekündigt war (vgl. Lingenberg/Hummel,<br />

Kommentar zu den Grundsätzen des anwaltlichen Standesrechts,<br />

1981, Einl., Anm. 2; Noack, Kommentar zur Reichsrechtsanwaltsordnung,<br />

1937, S. 258 ff.; Kalsbach, Bundesrechtsanwaltsordnung<br />

und Richtlinien für die. Ausübung des Rechtsanwaltsberufs, 1960,<br />

nach § 43, S. 1<strong>65</strong> ff.; zusammenfassend Gerrit W. Hartung, aaO.).<br />

Nachdem das BVerfG im Jahre 1987 die berufsständischen Regelungen<br />

in Form von Richtlinien für verfassungswidrig erklärt<br />

hatte (BVerfGE 76, 171 und 76, 296), normierte die novellierte<br />

Bundesrechtsanwaltsordnung von 1994 neben der Generalklausel<br />

in § 43 BRAO die wichtigsten anwaltlichen Pflichten, unter anderem<br />

zur Wahrung der Unabhängigkeit und zur Verschwiegenheit,<br />

sowie das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen<br />

und Gebote zur Sachlichkeit und zur ständigen Fortbildung (§ 43a<br />

BRAO), ferner Regelungen zur Werbung (§ 43b BRAO), zu den<br />

Fachanwaltschaften (§ 43c BRAO), zur Berufshaftpflichtversicherung<br />

(§ 51 BRAO) und zur beruflichen Zusammenarbeit (§ 59a<br />

BRAO). Zum Versäumnisverfahren enthält die Bundesrechtsanwaltsordnung<br />

keine speziellen Vorschriften. Bis zum Erlass des<br />

§ 13 BORA war daher das anwaltliche Verhalten allein von den<br />

Vorschriften der Zivilprozessordnung bestimmt (vgl. BGH, NJW<br />

1991, S. 42 ; BVerfG, 2. Kammer des. Ersten Senats, NJW<br />

1993, S. 121 ).<br />

Die Satzungsversammlung (vgl. §§ 191a bis 191e BRAO), die<br />

zum Erlass des autonomen Satzungsrechts gebildet wurde, erachtete<br />

allerdings die hier angegriffene Regelung des § 13 BORA nach<br />

streitiger Beratung für unverzichtbar (vgl. die Nachweise in den<br />

Protokoll über die 5. Sitzung der Satzungsversammlung vom 28.-<br />

29.11.1996, S. 9 f.). Kollegialität und faire Verfahrensgestaltung<br />

ließen die Regelung weiterhin geboten erscheinen. Die Zurückdrängung<br />

von Mandanteninteressen wurde bis zu der von der Berufsordnung<br />

gezogenen Grenze für hinnehmbar erachtet.<br />

c) Die durch § 13 BORA bewirkte Änderung des Versäumnisverfahrens<br />

ist von erheblicher Tragweite.<br />

Die Wirkung dieser Änderung ist zwar in den Stellungnahmen<br />

zur vorliegenden Verfassungsbeschwerde verschiedentlich als geringfügig<br />

eingestuft worden, weil der erschienene Rechtsanwalt<br />

allenfalls eine Einbuße an Arbeitszeit ohne gebührenrechtlichen<br />

Anspruch erleide. Geringfügig ist sie aber nur aus der Sicht des betroffenen<br />

Rechtsanwalts. Für diesen stellt sich die kollegiale Rücksichtnahme<br />

als besonders wichtiger Belang dar. Unter den Rechtsanwälten<br />

tritt der kollegiale Gesichtspunkt besondere deutlich<br />

hervor, wenn man in den Blick nimmt, dass aufgrund der Satzungsregelung<br />

auch die schuldhafte Säumnis praktisch ohne haftungsrechtliche<br />

Konsequenzen bleibt.<br />

Dagegen führt diese Kollegialität zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen<br />

bei Dritten. Der Mandant, zu dessen Lasten auf eine<br />

vom Prozessrecht eingeräumte Befugnis verzichtet werden muss,<br />

wenn der Antrag auf Versäumnisurteil nicht angekündigt worden<br />

ist, erleidet typischerweise eine Vermögensgefährdung oder -einbuße,<br />

der regelmäßig auf seiner Seite keine wirtschaftlichen oder<br />

ideellen Vorteile gegenüberstehen. Die Modifizierung zivilprozessualer<br />

Rechte und Pflichten nützt daher im allgemeinen nicht dem<br />

einzelnen Mandanten, sondern der Anwaltschaft insgesamt. Nicht<br />

zuletzt wegen der Terminierungspraxis von Gerichten, die zeitliche<br />

Ungenauigkeiten und Sammeltermine in Kauf nehmen, ist auch für<br />

sorgfältig arbeitende Rechtsanwälte die Säumnis nicht immer vermeidbar.<br />

Dem Mandanten, in dessen Vertretung kein Versäumnisurteil<br />

erwirkt wird, stehen aber typischerweise keine Vorteile in<br />

Aussicht, die den Nachteil kompensieren könnten, der aus dem Verzicht<br />

auf die prozessuale Gestaltungsmöglichkeit durch ein Versäumnisurteil<br />

folgt. Er prozessiert in der Regel nicht fortlaufend<br />

und steht deshalb nicht in der Gefahr, selbst in einem anderen Verfahren<br />

säumig zu werden. Der Mandant ist seinem Prozessgegner<br />

auch nicht in kollegialer Weise verbunden.<br />

d) Zu einer solchen Änderung der zivilprozessualen Stellung<br />

des Mandanten im Wege autonomen Satzungsrechts ermächtigt die<br />

Bundesrechtsanwaltsordnung nicht.<br />

In der Bundesrechtsanwaltsordnung fehlen Hinweise dafür,<br />

dass das autonom gesetzte Berufsrecht ein Abweichen von den jeweiligen<br />

Prozessordnungen erlauben könnte, wenn die Parteien<br />

durch Rechtsanwälte vertreten sind. Die Bundesrechtsanwaltsordnung<br />

setzt vielmehr voraus, dass die Interessen der Mandanten in<br />

dem Umfang, wie sie durch die Prozessordnungen und das materielle<br />

Recht ausgeformt sind, vom Rechtsanwalt wahrgenommen<br />

werden. Ihn trifft zuvörderst die Pflicht, alles zu tun, was im Rahmen<br />

seines Auftrags zugunsten das Mandanten möglich ist. Schon<br />

deshalb bedürfte es einer ausdrücklichen und klaren gesetzlichen<br />

Grundlage, wenn die Satzungsversammlung ermächtigt sein sollte,<br />

Vorschriften zur Stärkung der Kollegialität so auszugestalten, dass<br />

die primären Verpflichtungen aus dem Mandantenvertrag zurückgedrängt<br />

oder abgeschwächt worden. Eine solche Ermächtigung ist<br />

aus dem Wortlaut und dem Regelungszusammenhang der Bundesrechtsanwaltsordnung<br />

nicht zu entnehmen. Das wird durch die Entstehungsgeschichte<br />

insoweit bekräftigt, als sich der Gesetzgeber<br />

bei der Novellierung der Bundesrechtsanwaltsordnung im Jahre<br />

1994 in besonderer Weise bewusst war, dass die wesentlichen<br />

Rechte und Pflichten von ihm selbst geregelt werden sollten. Dies<br />

folgte bereits aus den Entscheidungen des BVerfG zum anwaltlichen<br />

Standesrecht von 1987 (vgl. BVerfGE 76, 171 und 76, 196).<br />

Zu keinem Zeitpunkt standen aber bei der Neuordnung des anwaltlichen<br />

Berufsrechts durch den Gesetzgeber inhaltliche Korrekturen<br />

zivilprozessualer Rechte zur Debatte.<br />

4. Die Satzungsversammlung hat mit § 13 BORA zugleich den<br />

Vorrang des Gesetzes missachtet. Solange der Bundesgesetzgeber<br />

die Zivilprozessordnung nicht dahin einschränkt, dass der Antrag<br />

auf Erlass eines Versäumnisurteils prozessual gegenüber dem Gegner<br />

eine Ankündigung voraussetzt, besteht eine solche Pflicht<br />

nicht. Den untergesetzlichen Normen des Berufsrechts fehlt die<br />

Kraft zur inhaltlichen Änderung der Zivilprozessordnung.<br />

5. Die dargestellten Mängel des § 13 BORA lassen sich nicht<br />

durch verfassungskonforme Auslegung vermeiden.<br />

Die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung endet<br />

dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen<br />

das Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (vgl. BVerfGE 18,<br />

97 ; 98, 17 ; stRspr). Im Übrigen muss das Gesetz auch<br />

bei einer solchen Auslegung sinnvoll bleiben (vgl. BVerfGE 2, 266<br />

; 95, 64 ; stRspr). Beiden Voraussetzungen kann mittels<br />

Auslegung nicht genügt werden.<br />

a) Die protokollierte Vorgeschichte zu § 13 BORA (vgl. Protokoll<br />

der 1. Sitzung den Ausschusses 4 der Satzungsversammlung<br />

am 1./2.12.1995, S. 31 f.; Protokoll über die 4. Sitzung der Satzungsversammlung<br />

vom 13. - 15.6.1996, S. 6 f.; Protokoll über die<br />

5. Sitzung der Satzungsversammlung vom 28. - 29.11.1996, S. 9 f.)<br />

belegt den Willen der Satzungsversammlung, sich nicht auf eine<br />

Verdeutlichung ohnedies bestehender prozessualer Rechte und<br />

Pflichten zu beschränken. Die Norm dient vielmehr der Korrektur<br />

der nach der Zivilprozessordnung vorgefundenen Ausgangslage.<br />

Das sollte – wie dies in den angegriffenen Entscheidungen auch an-


126<br />

l<br />

genommen worden ist – durch ein Regel-Ausnahme-Verhältnis erreicht<br />

werden. Grundsätzlich sollte der Anwalt das Versäumnisurteil<br />

ohne Ankündigung nicht beantragen dürfen, es sei denn, dass<br />

die Interessen des Mandanten es objektiv erfordern. Ersichtlich<br />

kann dieser Inhalt der Norm nicht aufrechterhalten werden, wenn<br />

aus den oben dargelegten Gründen eine verfassungskonforme Auslegung<br />

abweichend davon geböte, regelmäßig im Interesse des eigenen<br />

Mandanten zu handeln. Maßt sich eine untergesetzliche<br />

Norm an, die Wahrnehmung prozessualer Rechte als unkollegial zu<br />

bezeichnen, so zielt sie auf eine Veränderung des Gesetzesrechts<br />

ab. Dies widerstreitet einer verfassungskonformen Auslegung zum<br />

Zwecke der Herstellung der gesetzlichen Ausgangslage.<br />

b) Bliebe die Norm bestehen, die nach ihrem Wortlaut regelmäßig<br />

voraussetzt, dass der Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils<br />

zuvor angekündigt wird, obwohl dies bei verfassungskonformer<br />

Auslegung gerade nicht der Regelfall ist, hätte dies zudem eine<br />

rechtsstaatlich bedenkliche Unklarheit über den Norminhalt zur<br />

Folge. Der publizierte Text wäre so weit von der durch verfassungskonforme<br />

Auslegung gewonnenen Rechtslage entfernt, dass<br />

er als Handlungsanweisung nicht mehr taugte. Die Rechtsanwendung<br />

wäre in erhöhten Maße irrtumsanfällig, ohne dass diese Vorgehensweise<br />

auch Vorteile mit sich brächte.<br />

c) Eine verfassungskonforme Auslegung soll zudem von der Absicht<br />

des Normgebers das Maximum dessen aufrechterhalten, was<br />

nach der Verfassung aufrechterhalten werden kann (vgl. BVerfGE 9,<br />

194 ; 93, 37 ; stRspr). Vorliegend verbleibt aber kein<br />

Restbestand der Norm, dessen Anwendung mit verfassungskonformer<br />

Auslegung gesichert werden könnte. Die Nichtigkeit der Norm<br />

führt auch nicht zu einer Regelungslücke. Schon der Mandatsvertrag<br />

verpflichtet den Anwalt, das Versäumnisurteil nur dann zu erwirken,<br />

wenn es im konkreten Fall tatsächlich den Interessen seines<br />

Mandanten entspricht. Dies ergibt sich bereits aus § 1 Abs. 3<br />

BORA. Kein Rechtsanwalt ist durch die Zivilprozessordnung gezwungen,<br />

ein Versäumnisurteil zu beantragen; insoweit bleibt auch<br />

Raum für kollegiale Rücksichtnahme.<br />

III. Die auf der verfassungswidrigen Vorschrift beruhende Rüge<br />

sowie der Widerspruchsbescheid und der Beschluss des Anwaltgerichtshofs<br />

entbehren der in Art. 12 Abs. 1 GG geforderten gesetzlichen<br />

Grundlage. Sie sind verfassungswidrig und aufzuheben.<br />

GG Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Rechtsstaatsprinzip (wirkungsvoller<br />

Rechtsschutz)<br />

Auch bei der Inanspruchnahme privater Kurierdienste für die<br />

Beförderung fristwahrender Schriftsätze genügt der Bürger der<br />

ihn treffenden Darlegungslast, wenn er die (mögliche) fristgerechte<br />

Einlieferung bei regelmäßigem Betriebsablauf vorträgt.<br />

(LS der Redaktion)<br />

BVerfG, 2. Kammer Erster Senat, Beschl. v. 23.8.1999 – 1 BvR<br />

1138/97<br />

Aus den Gründen: A. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich<br />

gegen die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand<br />

im Zusammenhang mit der Übermittlung eines fristwahrenden<br />

Schriftsatzes durch einen Kurierdienst.<br />

I. 1. Der Beschwerdeführer war bei der Bekl des Ausgangsverfahrens<br />

als Busfahrer beschäftigt. Die gegen eine fristlose Kündigung<br />

erhobene Kündigungsschutzklage wies das ArbG Aachen ab.<br />

Der Berufungsschriftsatz der Prozeßbevollmächtigten des Beschwerdeführers<br />

traf beim Landesarbeitsgericht Köln erst am<br />

6.3.1997, drei Tage nach Ablauf der Berufungsfrist ein. Hierüber<br />

wurde diese vom Landesarbeitsgericht telefonisch unterrichtet, wobei<br />

darauf hingewiesen wurde, daß der Schriftsatz nicht per Post,<br />

sondern durch den Kurierdienst des Aachener Anwaltsvereins<br />

transportiert worden sei.<br />

Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin fristgerecht Wiedereinsetzung<br />

in den vorigen Stand. Zur Begründung führte er aus, in<br />

der Kanzlei seiner Prozeßbevollmächtigten bestehe die allgemeine<br />

Anweisung, alle Schriftsätze, auf denen nicht der Vermerk „per<br />

Kurierdienst“ angebracht sei, mit normaler Post zu versenden. Entgegen<br />

dieser Anweisung sei die Berufungsschrift am Donnerstag,<br />

den 20.2.1997 durch eine Auszubildende der Prozeßbevollmächtigten<br />

in das Fach des Anwaltskurierdienstes beim AG Düren gegeben<br />

AnwBl 2/2000<br />

Rechtsprechung<br />

worden. Nach dem Fahrplan des Kurierdienstes werde das Landesarbeitsgericht<br />

Köln jede Woche dienstags und donnerstags angefahren.<br />

Danach hätte die Berufungsschrift, selbst wenn sie nicht mehr<br />

am Donnerstag, den 20.2.1998 mitgenommen worden sein sollte,<br />

spätestens am Dienstag, den 25.2.1997 beim Landesarbeitsgericht<br />

eingehen müssen. Der verspätete Eingang sei offensichtlich darauf<br />

zurückzuführen, daß von irgendeiner dritten Person nach Abgabe<br />

des Schriftsatzes beim Kurierdienst der handschriftliche Vermerk<br />

„OLG“ auf den Schriftsatz gesetzt worden sei. Der Schriftsatz sei<br />

infolgedessen zunächst irrtümlich an das OLG Köln übermittelt<br />

worden und von dort später an das Landesarbeitsgericht Köln.<br />

Neben einer eidesstattlichen Versicherung der Auszubildenden und<br />

einer Kopie des Kurier- und Botenausgangsbuches war dem Wiedereinsetzungsantrag<br />

der Fahrplan des Kurierdienstes beigefügt.<br />

2. Das Landesarbeitsgericht verwarf – nach Einholung einer<br />

dienstlichen Äußerung des beim Landesarbeitsgericht im Posteingang<br />

beschäftigten Angestellten – die Berufung des Beschwerdeführers<br />

als unzulässig. Der Wiedereinsetzungsantrag des<br />

Beschwerdeführers sei nicht begründet, da er nicht dargetan habe,<br />

daß er ohne Verschulden seiner Prozeßbevollmächtigten an der<br />

Fristeinhaltung gehindert gewesen sei.<br />

Das Landesarbeitsgericht vertrat die Auffassung, zur Sicherung<br />

der Fristwahrung gehöre nicht nur die Führung eines Fristenkalenders,<br />

sondern auch eine wirksame Ausgangskontrolle, durch die<br />

sichergestellt werde, daß der Fristenkalender am Abend eines jeden<br />

Arbeitstages von einer damit beauftragten qualifizierten Kraft kontrolliert<br />

und Fristen erst mit Erledigung der fristwahrenden Handlung<br />

gemäß Anweisung (Einreichung bei Gericht, Aufgabe zur<br />

Post) gelöscht würden. Aus dem Vortrag des Beschwerdeführers ergebe<br />

sich nicht, daß eine entsprechende Ausgangskontrolle bestanden<br />

habe. Hätte sie bestanden, so wäre bereits am Abend des<br />

20.2.1997 durch Prüfung des Fristenkalenders, insbesondere auch<br />

des Postausgangsbuches, festgestellt worden, daß der Berufungsschriftsatz<br />

entgegen der in der Kanzlei bestehenden Anweisung<br />

nicht durch Aufgabe zur Post, sondern entsprechend den Eintragungen<br />

im Kurier- und Botenausgangsbuch durch Abgabe beim<br />

Kurierdienst versandt worden sei. Das sich hierdurch ergebende<br />

Risiko eines fristgerechten Eingangs bei Gericht hätte sich bei<br />

Wiederholung der fristwahrenden Handlung durch ordnungsgemäße<br />

Aufgabe zur Post oder spätestens am letzten Tag der Berufungsfrist<br />

durch entsprechende Erkundigungen beim Landesarbeitsgericht<br />

Köln vermeiden lassen. Zwar müsse bei einem<br />

ordnungsgemäß adressierten und frankierten Schriftstück, das<br />

rechtzeitig zur Post gegeben werde, dessen Eingang bei Gericht<br />

nicht überwacht werden. Im vorliegenden Fall sei jedoch eine Aufgabe<br />

zur Post gerade nicht erfolgt.<br />

Die Einreichung fristgebundener Schriftsätze bei dem vom Anwaltsverein<br />

Aachen eingerichteten Kurierdienst stehe der Aufgabe<br />

zur Post nicht gleich, da dieser Kurierdienst das Landesarbeitsgericht<br />

Köln nur zweimal wöchentlich anfahre und deshalb nicht<br />

ohne weiteres erwartet werden könne, daß fristgebundene Schriftsätze<br />

rechtzeitig eingingen. Es sei auch nicht dargelegt worden,<br />

daß die Organisationsstruktur des Kurierdienstes eine zeitgerechte<br />

Beförderung erwarten ließe. Für das Gegenteil könne sprechen,<br />

daß die Berufungseinlegungsschrift, die nach den Darlegungen der<br />

Prozeßbevollmächtigten bereits am 20.2.1997 beim Kurierdienst<br />

abgegeben worden sei, ohne ersichtlichen Grund erst zwei Wochen<br />

später beim Landesarbeitsgericht eingegangen sei. Daß auch die<br />

Prozeßbevollmächtigten des Beschwerdeführers eine entsprechende<br />

Übermittlung des Berufungsschriftsatzes nicht für ausreichend<br />

angesehen hätten, ergebe sich daraus, daß auf dem Berufungsschriftsatz<br />

der Vermerk „per Kurierdienst“ fehle und der Schriftsatz<br />

demgemäß entsprechend der bestehenden Anweisung per Post zu<br />

versenden gewesen sei.<br />

II. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde<br />

die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Er meint, das Landesarbeitsgericht<br />

hätte zur Frage der Fristenkontrolle einen rechtlichen<br />

Hinweis geben müssen, dann hätte der Beschwerdeführer im einzelnen<br />

die bei seiner Prozeßbevollmächtigten bestehende Fristenkontrolle<br />

dargelegt.<br />

Unabhängig von der Frage der Fristenkontrolle könne ein Verschulden<br />

aber auch nicht in der Tatsache gesehen werden, daß die<br />

Berufungsschrift per Kurierdienst versandt worden sei. Anhaltspunkte<br />

für eine Unzuverlässigkeit des seit längerem bewährten<br />

Kurierdienstes hätten der Prozeßbevollmächtigten nicht vorgelegen.


AnwBl 2/2000 127<br />

Rechtsprechung l<br />

Die generelle Anweisung, nur Schriftstücke mit dem Kurierdienst<br />

zu versenden, auf denen diese Versendungsart ausdrücklich vermerkt<br />

worden sei, resultiere aus der Rechtsprechung, wonach darauf<br />

vertraut werden könne, daß per Post versandte Schriftstücke<br />

innerhalb der normalen Beförderungsdauer zugingen. Für die Benutzer<br />

des Kurierdienstes würden Fahrpläne herausgegeben, anhand<br />

derer die Beförderung nachvollzogen werden könne. Damit müsse<br />

der Benutzer genau wie bei der Versendung auf dem Postweg darauf<br />

vertrauen dürfen, daß die Schriftstücke, die rechtzeitig dem<br />

Kurierdienst übergeben würden, entsprechend dem bestehenden<br />

Plan vor Fristablauf eingingen und auch als rechtzeitig versandt<br />

gelten würden. Das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt,<br />

daß das Fristversäumnis offensichtlich auf einer Fehlleitung der<br />

Berufungsschrift durch den Kurierdienst zurückzuführen sei, die<br />

außerhalb der Sphäre der Prozeßbevollmächtigten liege.<br />

III. Zur Verfassungsbeschwerde haben der 3. Senat des Bundesarbeitsgerichts,<br />

der IX. Senat des BFH, der III. und IV. Zivilsenat<br />

des BGH, der 11. Senat des Bundessozialgerichts und der 2., 5.<br />

und 7. Revisionssenat sowie der 1. und 2. Wehrdienstsenat des<br />

BVerwG Stellung genommen.<br />

B.I. Die Kammer nimmt gem. § 93b BVerfGG die zulässige<br />

Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung<br />

des Anspruchs des Beschwerdeführers auf wirkungsvollen<br />

Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebot)<br />

angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).<br />

Der Verfassungsbeschwerde ist stattzugeben. Die Voraussetzungen<br />

des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Die für die Beurteilung<br />

maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das BVerfG<br />

bereits entschieden.<br />

1. Allerdings ergibt sich aus dem Fehlen eines rechtlichen Hinweises<br />

hinsichtlich der möglichen Relevanz der Ausgangskontrolle<br />

in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten des Beschwerdeführers<br />

kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Diese Vorschrift gebietet<br />

lediglich dann einen Hinweis, wenn das Gericht auf einen rechtlichen<br />

Gesichtspunkt abstellen will, mit dem auch ein gewissenhafter<br />

und kundiger Prozeßbevollmächtigter nicht zu rechnen brauchte<br />

(vgl. BVerfGE 84, 188 ). Dies ist hier nicht der Fall. Da die<br />

Prozeßbevollmächtigte des Beschwerdeführers den Wiedereinsetzungsantrag<br />

auch damit begründet hatte, daß entgegen der in ihrer<br />

Kanzlei bestehenden Anweisung der Berufungsschriftsatz nicht bei<br />

der Post, sondern bei dem Kurierdienst aufgegeben worden sei,<br />

hätte sich ein Vortrag zur Frage des Bestehens einer ordnungsgemäßen<br />

Ausgangskontrolle, bei der dieser Fehler hätte auffallen<br />

müssen, aufdrängen müssen.<br />

2. Allerdings ist der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen<br />

Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip)<br />

verletzt.<br />

a) Dieser Anspruch verbietet es den Gerichten, den Parteien<br />

den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz<br />

in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender<br />

Weise zu erschweren (vgl. BVerfGE 41, 23 ; 69, 381<br />

; Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG v.<br />

27.9.1995 – 1 BvR 414/95 – und vom 1.8.1996 – 1 BvR 121/95 –,<br />

AP Nr. 47 zu § 233 ZPO 1977). Die Gerichte dürfen daher bei der<br />

Auslegung der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand regelnden<br />

Vorschriften die Anforderungen an das, was der Betroffene<br />

veranlaßt haben muß, um Wiedereinsetzung zu erlangen, nicht<br />

überspannen. Dabei hat es das BVerfG insbesondere als nicht zulässig<br />

angesehen, dem Bürger Verzögerungen der Briefbeförderung<br />

oder Zustellung durch die Deutsche Bundespost als Verschulden<br />

anzurechnen (vgl. BVerfGE 41, 23 ; 53, 25 ; 62, 334<br />

; Beschl. der 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG vom<br />

15.5.1995 – 1 BvR 2440/94 –). In der Verantwortung des Absenders<br />

liegt es daher nur, das zu befördernde Schriftstück den postalischen<br />

Bestimmungen entsprechend und so rechtzeitig zur Post zu geben,<br />

daß es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen<br />

der Deutschen Bundespost bei regelmäßigem Betriebsablauf den<br />

Empfänger fristgerecht erreicht (vgl. BVerfGE 41, 23 ).<br />

b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird die angegriffene<br />

Entscheidung nicht gerecht. Sie überspannt die vom Beschwerdeführer<br />

zu erfüllende Darlegungslast hinsichtlich der Inanspruchnahme<br />

des Kurierdienstes und wälzt allgemein bestehende<br />

Beförderungsrisiken einseitig auf den rechtsuchenden Bürger ab.<br />

c) Es kann vorliegend dahinstehen, ob und in welchem Umfang<br />

die Grundsätze zur Postbeförderung nach der Einschränkung des<br />

Beförderungsmonopols der Deutschen Post AG und der Ausweitung<br />

des Angebots anderer professioneller Beförderungsdienstleister<br />

auf diese übertragen werden können.<br />

Die Beurteilung, welche Anforderungen an die Darlegung im<br />

Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrages gestellt werden, ist<br />

grundsätzlich Sache der Fachgerichte. Dies gilt auch im Hinblick<br />

auf die Nutzung privater Kurierdienste.<br />

Die Fachgerichte müssen aber berücksichtigen, daß der Bürger<br />

auf die Wahrnehmung professioneller Beförderungsdienstleistungen –<br />

sei es der Deutschen Post AG, sei es anderer Anbieter – angewiesen<br />

ist. Für den Bürger muß vorhersehbar bleiben, welche Anforderungen<br />

an seine Darlegungslast bei einem Antrag auf Wiedereinsetzung<br />

in den vorigen Stand gestellt werden, und es muß ihm zumutbar und<br />

möglich sein, diese Anforderungen zu erfüllen. Dies verbietet im<br />

Regelfall, die Darlegung von Vorgängen innerhalb der Organisationsstruktur<br />

der Dienstleistungsanbieter zu verlangen, da diese sich<br />

regelmäßig der Kenntnis des Nutzers entziehen. Hier besteht kein<br />

Unterschied zwischen der Beförderung durch die Deutsche Post AG<br />

und der durch andere Anbieter.<br />

d) Der Begründung des angegriffenen Beschlusses des Landesarbeitsgerichts<br />

Köln kann schon nicht entnommen werden, weshalb<br />

sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ergeben<br />

soll, daß die Organisationsstruktur des Kurierdienstes bei normalem<br />

Lauf der Dinge eine fristwahrende Beförderung des konkreten<br />

Schriftsatzes hätte erwarten lassen. Vielmehr enthalten der Vortrag<br />

des Beschwerdeführers und der vorgelegte Fahrplan die Fahrtrouten<br />

des Kurierdienstes und dessen regelmäßige Fahrtage. Daraus ist<br />

ohne weiteres ersichtlich, daß der Kurierdienst jeweils dienstags<br />

und donnerstags vom AG Düren aus das Landesarbeitsgericht Köln<br />

anfährt.<br />

Die Erwägung des Landesarbeitsgerichts, es könne nicht ohne<br />

weiteres erwartet werden, daß fristgebundene Schriftsätze mit dem<br />

Kurierdienst rechtzeitig eingingen, da dieser das Landesarbeitsgericht<br />

Köln nur zweimal wöchentlich anfahre, ist jedenfalls dann<br />

nicht überzeugend, wenn, wie hier, der Beschwerdeführer glaubhaft<br />

gemacht hat, daß der Schriftsatz elf Tage vor Fristablauf aufgegeben<br />

worden ist. Maßgeblich kann nur sein, ob die sich aus einer<br />

zweimaligen wöchentlichen Beförderung ergebende mögliche<br />

Verzögerung bei Aufgabe des Schriftsatzes hinreichend berücksichtigt<br />

wurde. Dies war hier offensichtlich der Fall. Daher spielt auch<br />

keine Rolle, daß auch die Prozeßbevollmächtigte des Beschwerdeführers<br />

zur Vermeidung von Verzögerungen normalerweise für fristwahrende<br />

Schriftsätze ausschließlich die Post in Anspruch nahm.<br />

Zu Unrecht schließt das Landesarbeitsgericht aus der konkreten<br />

Verspätung auf eine mögliche unzuverlässige Organisation des<br />

Kurierdienstes. Die vom Landesarbeitsgericht eingeholte Stellungnahme<br />

des auf der Posteingangsstelle des Landesarbeitsgerichts<br />

beschäftigten Angestellten weist im Gegenteil darauf hin, daß der<br />

verspätete Eingang auf eine irrtümliche Ablieferung der korrekt<br />

adressierten Berufungsschrift beim OLG statt beim Landesarbeitsgericht<br />

zurückzuführen ist. Eine solche einmalige Fehlleistung läßt<br />

keine Rückschlüsse auf allgemeine Organisationsmängel zu.<br />

Darüber hinaus sagt die angegriffene Entscheidung nichts dazu,<br />

was der Beschwerdeführer noch zur Organisationsstruktur des in<br />

Anspruch genommenen Kurierdienstes hätte vortragen können. Er<br />

hat dargelegt, auf welchem Weg und in welchen Zeitabständen die<br />

Beförderung erfolgt. Verlangt man weiteren Vortrag, so wird die Benutzung<br />

eines solchen Dienstes faktisch ausgeschlossen, denn dem<br />

Bürger ist es regelmäßig nicht möglich, bei Inanspruchnahme eines<br />

Kurierdienstes derart weitreichende Erkundigungen einzuholen. ...<br />

BGB §§ 133, 157, 433, 622; BRAO §§ 53, 55<br />

Zur Auslegung einer Vertragsbestimmung in einem Kaufvertrag<br />

über eine Rechtsanwaltspraxis, wonach der Erwerber, der<br />

gleichzeitig zum Abwickler bestellt ist, auf Kanzleikonten befindliche<br />

Fremdgelder zu sammeln und an die Berechtigten abzuführen<br />

hat.<br />

BGH, Urt. v. 7.7.1999 – VIII ZR 131/98<br />

Zum Sachverhalt: Im Kaufvertrag über die Praxis eines verstorbenen<br />

Rechtsanwalts hatten dessen Erben (Kl) mit dem Käufer und<br />

Abwickler (Bekl) vereinbart: „Die Guthaben auf den Anderkonten


128<br />

l<br />

Nr. beim Postgiroamt München und Nr. bei der Bayerischen Vereinsbank<br />

AG Filiale Regensburg gehen gemäß den Bedingungen<br />

der Geldinstitute für Anderkonten und Anderdepots von Rechtsanwälten<br />

in der Fassung von April 1979 (Ziff. 13) auf den Käufer<br />

und Abwickler über.<br />

Auf Kanzleikonten etwaig vorhandene weitere Fremdgelder<br />

werden auch noch auf diese Anderkonten überführt. Eingezogene<br />

Fremdgelder hat der Käufer an die berechtigten Auftraggeber abzuführen.<br />

Die Verkäufer verpflichten sich im übrigen, dem Käufer für<br />

die Abwicklung von Fremdgeldzahlungen dieser Mandate die erforderlichen<br />

Geldmittel zur Verfügung zu stellen“. Entgegen dem<br />

Wortlaut dieser Vertragsbestimmung waren beide Konten gegenüber<br />

den Banken nicht als Anderkonten geführt worden. Der Bekl<br />

übernahm die Kanzlei 1992.<br />

Danach hoben die Kl das Guthaben auf dem Konto der Bayerischen<br />

Vereinsbank ab. Die Auszahlung des Guthabens auf dem<br />

Postbank-Konto verweigerte die Postbank unter Hinweis auf die<br />

Stellung des Bekl als Abwickler. Beide Parteien beanspruchen die<br />

auf den Konten befindlichen Guthaben jeweils für sich. Zwischen<br />

ihnen besteht Streit über die Frage, ob es sich bei den Guthaben –<br />

ganz oder gegebenenfalls in welcher Höhe – um Fremdgelder<br />

oder – jedenfalls auch – um Eigengelder des Erblassers gehandelt<br />

habe.<br />

Aus den Gründen: II. ... B. Dagegen hält das Berufungsurteil<br />

den Rügen der Revision nicht stand, soweit es die Kaufpreisforderung<br />

in dem als begründet erachteten Umfang als durch Aufrechnung<br />

des Bekl mit dem Anspruch auf Rückzahlung des Guthabens<br />

aus dem Vereinsbank-Konto erloschen ansieht und den weiteren<br />

Anspruch der Kl auf Auszahlung des Guthabens auf dem Postbank-Konto<br />

verneint.<br />

1. Im Ansatz zutreffend stellt das angefochtene Urteil die von<br />

den Parteien in Nummer 8 des Vertrages vom 28.10.1992 getroffene<br />

Regelung in den Mittelpunkt seiner Erörterung.<br />

Zu Recht rügt die Revision jedoch, daß das BerG eine für beide<br />

Seiten interessengerechte Auslegung der in Nummer 8 des Vertrages<br />

getroffenen Regelung (§§ 133, 157 BGB) unterlassen hat. Das<br />

BerG hat sich den Blick für das von den Parteien Gewollte dadurch<br />

verstellt, daß es diese Bestimmung lediglich als Bestandteil des<br />

Praxiskaufvertrages betrachtet und in das Gegenseitigkeitsverhältnis<br />

kaufvertraglicher Rechte und Pflichten eingeordnet hat. Es hat<br />

nicht gesehen, daß in dem Praxiskaufvertrag zusätzlich zu den<br />

eigentlichen kaufvertraglichen Anordnungen ein Auftrag der Kl als<br />

Erben an den Bekl enthalten sein könnte, der unter anderem auf<br />

die Weiterleitung der auf den Konten des Erblassers bei der Bayerischen<br />

Vereinsbank in Regensburg und beim Postgiroamt München<br />

befindlichen Fremdgelder gerichtet ist. Aus diesem Grund hat das<br />

BerG den Streit der Parteien allein unter dem Gesichtspunkt des<br />

Wegfalls der Geschäftsgrundlage und des Irrtums geprüft. Hinzu<br />

kommt, daß das BerG die in Nummer 8 Abs. 4 des Vertrages abgegebenen<br />

Erklärungen der Parteien wegen eines Irrtums über deren<br />

rechtliche Grundlage mißverstanden hat, wenn es ausführt, die<br />

Konten seien „als Anderkonten bezeichnet und sollten als solche<br />

auf den Erwerber übergehen. Diese Regelung ist weder auslegungsfähig<br />

noch auslegungsbedürftig“. Aufgrund seiner Fehlvorstellung<br />

hinsichtlich der Absichten der Parteien ist das BerG zu –<br />

allerdings in sich nicht widerspruchsfreien – Folgerungen gelangt,<br />

die dem übereinstimmenden, in dem Vertrag zum Ausdruck gekommenen<br />

Willen der Parteien nicht entsprachen.<br />

Da das Revisionsgericht wegen dieser Rechtsfehler an die Feststellungen<br />

des BerG zum Inhalt des Vertrages nicht gebunden ist<br />

(vgl. § 561 Abs. 2 ZPO) und die Sache insoweit einer weiteren<br />

Aufklärung nicht bedarf, kann der Senat die erforderliche Auslegung<br />

selbst vornehmen (BGHZ <strong>65</strong>, 107, 112; BGH, Urt. v.<br />

17.9.1980 – IV b ZR 550/80, NJW 1981, 51 unter 3a und b und<br />

vom 12.12.1997 – V ZR 250/96, NJW 1998, 1219 unter II 3). Wie<br />

die Revision zutreffend darlegt, haben die Kl in Nummer 8 des<br />

Kaufvertrages dem Bekl den Auftrag erteilt (§ 662 BGB), die auf<br />

den Konten der Kanzlei befindlichen Fremdgelder in Besitz zu nehmen<br />

und an die Berechtigten auszukehren. Bei Zugrundelegung der<br />

bisherigen weiteren Feststellungen des BerG ist der Bekl aus diesem<br />

Vertragsverhältnis zur Herausgabe des Guthabens auf dem<br />

Postbank-Konto verpflichtet (§ 667 BGB), während eigene Ansprüche,<br />

die ihn zur Aufrechnung gegen die Kaufpreisforderung berechtigen<br />

könnten, nicht begründet sind.<br />

AnwBl 2/2000<br />

Rechtsprechung<br />

a) In Nummer 8 Abs. 4 des Vertrages heißt es, daß die beiden<br />

hier streitigen, ausdrücklich als „Anderkonten“ bezeichneten Bankkonten<br />

„gemäß den Bedingungen der Geldinstitute für Anderkonten<br />

und Anderdepots von Rechtsanwälten in der Fassung von April<br />

1979 (Ziffer 13) auf den Käufer und Abwickler über(gehen)“. Dem<br />

BerG kann nicht gefolgt werden, wenn es für offensichtlich – „weder<br />

auslegungsfähig noch auslegungsbedürftig“- hält, daß die Kl<br />

dem Bekl in Nummer 8 Abs. 4 die auf den dortigen Konten befindlichen<br />

Guthaben übertragen wollten und dabei möglicherweise von<br />

dem Irrtum beeinflußt worden waren, dort seien ausschließlich<br />

Fremdgelder eingezahlt worden. Das BerG hat den rechtlichen<br />

Hintergrund für diese Regelung nicht beachtet, der dem Bekl als<br />

Rechtsanwalt und künftigen Abwickler und dem juristischen Berater<br />

der Kl, Rechtsanwalt Pl., bekannt war.<br />

Nach § 13 Abs. 1 der Geschäftsbedingungen der Banken für<br />

Anderkonten und Anderdepots in der Fassung von Dezember<br />

1978 – diese ist in Nummer 8 Abs. 4 des Vertrages offensichtlich<br />

gemeint – (abgedruckt unter anderem in NJW 1979, <strong>144</strong>1, bei<br />

Baumbach/Hopt, HGB, 29. Aufl., Nr. (9), S. 1256 und Hadding in:<br />

Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch, Anh. zu § 38),<br />

auf die die Parteien in Nummer 8 Abs. 4 Bezug genommen haben,<br />

geht beim Tod des Kontoinhabers die Forderung aus dem Anderkonto<br />

nicht auf seine Erben, sondern allein auf den Abwickler<br />

über. Die in Nummer 8 des Vertrages in Bezug genommene Regelung<br />

von Nummer 13 der AGB-Anderkonten griff aber hier nicht<br />

ein, weil die beiden Konten den Banken gegenüber nicht als Anderkonten<br />

geführt wurden. Eine Übertragung der Guthaben beider<br />

Konten in Form der Abtretung der gegen die Banken gerichteten<br />

Forderungen seitens der Kl auf den Bekl ist in Nummer 8 Abs. 4<br />

des Vertrages entgegen der Annahme des BerG nicht erfolgt. Nach<br />

ihrem Wortlaut und den Umständen bei Vertragsschluß enthält die<br />

Vertragsbestimmung keine rechtsgeschäftliche Erklärung, sondern<br />

lediglich eine Wiedergabe dessen, was nach der Vorstellung der<br />

Parteien ohnehin aufgrund von Nummer 13 der AGB-Anderkonten<br />

eingetreten war. Für eine daneben vereinbarte Übertragung der<br />

Konten fehlte nach den Vorstellungen der – rechtskundigen bzw.<br />

juristisch beratenen – Parteien jeder Anlaß.<br />

b) Mit der Bestimmung der Nummer 8 Abs. 4 und 5 des Vertrages<br />

sollte der Bekl beauftragt werden, die Fremdgelder an die Berechtigten<br />

weiterzuleiten, sei es, daß sich diese auf den in Abs. 4<br />

genannten Konten, sei es, daß sie sich – wie in Nummer 8 Abs. 5<br />

bestimmt – auf weiteren Kanzleikonten befanden.<br />

Nummer 8 Abs. 4 und 5 betrifft die Verteilung der Fremdgelder,<br />

die, wirtschaftlich gesehen, nicht dem Erblasser zustanden.<br />

Das ergibt sich eindeutig aus der Bezeichnung der beiden in Abs. 1<br />

genannten Konten als „Anderkonten“ in Verbindung mit dem Umstand,<br />

daß beide Parteien bei Vertragsschluß davon ausgingen, auf<br />

diesen Konten seien nur Fremdgelder eingezahlt. Dies wird durch<br />

die detaillierte Regelung in Nummer 8 Abs. 5 bestätigt, die sprachlich<br />

und inhaltlich an den vorangehenden Absatz anknüpft und sich<br />

ausdrücklich nur mit der Behandlung der vom Erblasser vereinnahmten<br />

Fremdgelder befaßt.<br />

Die ursprünglich den Erblasser treffende Verpflichtung zur<br />

Auskehrung von Fremdgeldern an die Berechtigten war grundsätzlich<br />

nach § 1922 BGB auf die Kl übergegangen. An dieser Verpflichtung<br />

hatte auch die Bestellung des Bekl zum Abwickler der<br />

Kanzlei nichts geändert. Der Abwickler steht in einem öffentlichrechtlichen<br />

Rechtsverhältnis lediglich zur Justizverwaltung; die privatrechtlichen<br />

Rechtsbeziehungen bleiben bestehen, insbesondere<br />

ist auch das Verhältnis der Erben des verstorbenen Rechtsanwalts<br />

zum Abwickler – wie § 55 Abs. 3 Satz 1 BRAO i. V. m. § 53 Abs.<br />

9 BRAO zeigt – rein privatrechtlicher Natur (OLG Düsseldorf,<br />

AnwBl 1997, 226 f.; Feuerich/Braun, BRAO, 4. Aufl., § 55<br />

Rdnr. 17 und 31; Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1995, 224, 225<br />

f.). Die gesetzlichen Rechte und Pflichten des Abwicklers aus § 55<br />

Abs. 2, § 55 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 53 Abs. 10 BRAO sind von<br />

den Rechten und Pflichten der Erben des verstorbenen Rechtsanwalts<br />

unabhängig und bestehen neben ihnen.<br />

Daß sich die Kl ihrer fortbestehenden Verpflichtungen hinsichtlich<br />

der Fremdgelder nicht bewußt waren, ist angesichts der Tatsache<br />

auszuschließen, daß sie sich vor dem Praxisverkauf von<br />

Rechtsanwalt Pl. beraten ließen, der in einem Gutachten unter<br />

anderem feststellte, auf den beiden namentlich genannten Konten<br />

seien ausschließlich Fremdgelder. Dem Bekl als Rechtsanwalt war


AnwBl 2/2000 129<br />

Rechtsprechung l<br />

all dies bekannt. Wie Nummer 8 Abs. 5 zeigt, rechneten die Parteien<br />

darüber hinaus mit dem Vorhandensein weiterer Fremdgelder<br />

auf anderen Kanzleikonten.<br />

Vor diesem Hintergrund ist Nummer 8 des Vertrages als Auftrag<br />

der Kl an den Bekl aufzufassen, an ihrer Stelle die Fremdgelder<br />

aufzufinden, zu sammeln und bestimmungsgemäß zu verwenden.<br />

Wie sich aus Nummer 8 Abs. 4 und 5 ergibt, betrauten die Kl<br />

den Bekl als künftigen Praxisinhaber insgesamt mit der Bereinigung<br />

der Verbindlichkeiten des Erblassers aus der Einnahme von<br />

Fremdgeldern. Das Bestehen eines Auftragsverhältnisses zwischen<br />

den Parteien wird durch die den Kl in Nummer 8 Abs. 5 Satz 3<br />

auferlegte Verpflichtung verdeutlicht, dem Bekl die für die Abwicklung<br />

der Fremdgelder etwa noch erforderlichen Mittel zur Verfügung<br />

zu stellen. Eine solche Verpflichtung ist einem durch die<br />

Rechtsanwaltskammer bestellten Abwickler gegenüber nicht gegeben<br />

(vgl. § 55 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 53 Abs. 9 Satz 2 BRAO),<br />

wohl aber gegenüber einem durch rechtsgeschäftliche Erklärung<br />

Beauftragten (§ 669 BGB).<br />

c) Der in der Revisionserwiderung vertretenen Ansicht des<br />

Bekl, die Kl hätten ihm in Nummer 8 Abs. 4 und 5 des Vertrages<br />

das gesamte auf beiden Konten befindliche Guthaben ohne Rücksicht<br />

darauf, ob es zur Weiterleitung an Berechtigte benötigt wurde<br />

oder ob es sich um privates Vermögen der Erben handelte, zuwenden<br />

wollen, vermag der Senat nicht beizutreten. Für eine derartige<br />

Auslegung der Vereinbarung fehlt jeder Anhalt. Ein Recht des<br />

Bekl, die auf den Konten vorhandenen Gelder, die er nicht an<br />

Fremdberechtigte auskehren mußte, zu behalten, ist Nummer 8 des<br />

Vertrages nicht zu entnehmen. Der Auffassung des Bekl scheint<br />

zwar das BerG zuzuneigen, wenn es ausführt, die Kl könnten die –<br />

volle oder teilweise – Auszahlung der beiden Bankguthaben selbst<br />

dann nicht verlangen, wenn sich auf diesen Konten keine Fremdgelder<br />

befänden. Dieser Annahme ist aber die Grundlage dadurch<br />

entzogen, daß die Parteien, wie erwähnt, gerade nicht eine Übertragung<br />

der Guthaben auf den Konten vornehmen wollten. Im übrigen<br />

steht sie in diesem entscheidungserheblichen Punkt in Widerspruch<br />

zu den weiteren Erwägungen des BerG, die Kl seien darlegungsund<br />

beweisbelastet dafür, daß sich auf den beiden in Nummer 8<br />

Abs. 4 des Vertrages genannten Bankkonten keine Fremdgelder befunden<br />

hätten, sie hätten dies jedoch nicht dargelegt, geschweige<br />

denn bewiesen; dies setzt stillschweigend voraus, daß die auf den<br />

beiden Konten befindlichen Gelder den Kl gebühren würden, wenn<br />

und soweit es sich dabei nicht um Fremdgelder, sondern um eigene<br />

Mittel des verstorbenen Kanzleiinhabers handeln würde.<br />

Schließlich wäre die von der Revisionserwiderung vertretene<br />

Auslegung unvereinbar mit der unstreitigen Tatsache, daß beide<br />

Parteien bei Vertragsschluß davon ausgingen, die in Nummer 8<br />

Abs. 4 des Vertrages genannten Konten seien reine Anderkonten,<br />

auf denen sich lediglich Fremdgelder befänden; danach hatten die<br />

Parteien aus ihrer damaligen Sicht keinen Anlaß, dem Bekl auch<br />

etwaiges „Eigengeld“ des Erblassers als Pauschalentgelt zuzuwenden.<br />

Es ist auch kein Grund dafür gegeben, daß die Kl, die dem<br />

Bekl in Nummer 10 Abs. 3 des Vertrages als Vergütung für seine Tätigkeit<br />

als Abwickler die Gebührenansprüche aus bereits abgerechneten<br />

Mandaten überlassen hatten, unter Umständen noch zusätzlich<br />

– wirtschaftlich gesehen – zu seinen Gunsten auf einen Teil<br />

des Kaufpreises für die Praxis von 57.000 DM verzichten sollten.<br />

d) Der Bekl hat die auf dem Postscheckkonto noch vorhandenen<br />

Gelder an die Kl herauszugeben, weil diese den Auftrag widerrufen<br />

haben (§ 671 Abs. 1 BGB).<br />

Kraft des Auftrages wäre der Bekl an sich berechtigt, die zur<br />

Erfüllung des Auftrages nötigen Geldmittel zu verlangen und die<br />

Auszahlung des Guthabens auf dem Postbank-Konto zu verweigern,<br />

soweit sich darauf Fremdgelder befanden. Gemäß § 671 Abs. 1<br />

BGB waren die Kl aber zum jederzeitigen Widerruf des Auftrages<br />

berechtigt. Ein derartiger Widerruf seitens der Kl ist in der Abhebung<br />

des Guthabens auf dem Vereinsbank-Konto und dem Verlangen<br />

auf Auskehrung des Postbank-Guthabens zu sehen. Nach<br />

den Feststellungen des BerG haben die Kl eingeräumt, daß die<br />

Guthaben auf beiden Konten – auch wenn es sich dabei nicht um<br />

Anderkonten handelte, wie ihnen in der Zwischenzeit bekannt geworden<br />

war – jedenfalls teilweise, wenn auch in unbekannter<br />

Höhe, Fremdgelder waren. Wenn sie dann aber das gesamte Guthaben<br />

auf dem Vereinsbank-Konto, also einschließlich der darin<br />

auch nach ihrem Vorbringen enthaltenen Fremdgelder, abhoben und<br />

in gleicher Weise das gesamte Guthaben auf dem Postbank-Konto<br />

für sich beanspruchten, entzogen sie damit dem Bekl die zur Ausführung<br />

des zuvor erteilten Auftrags erforderlichen zweckgebundenen<br />

Mittel. Mit diesem Verhalten brachten sie aus der Sicht des<br />

Bekl zum Ausdruck, daß sie sich an den erteilten Auftrag nicht<br />

mehr gebunden fühlten. Dieser Widerruf des Auftrages hatte zur<br />

Folge, daß wieder die Kl selbst als Erben es übernommen hatten,<br />

die etwaigen Fremdgelder an die Berechtigten auszukehren.<br />

Infolge des Widerrufs des Auftrags entfiel die Verpflichtung der<br />

Kl, dem Bekl die Gelder zur Erfüllung seines Auftrages zu belassen,<br />

so daß schon aus diesem Grunde in der Abhebung des Guthabens<br />

vom Konto der Bayerischen Vereinsbank eine positive Vertragsverletzung<br />

durch die Kl nicht gesehen werden kann. Der Bekl<br />

hingegen hat die ihm überlassenen Gelder an die Kl herauszugeben<br />

(§ 667 BGB), soweit er sie nicht bereits in Ausführung des Auftrags<br />

weitergeleitet hatte, wobei er für die bestimmungsgemäße Verwendung<br />

der entsprechenden Beträge darlegungs- und beweispflichtig<br />

ist (BGH, Urt. v. 4.2.1991 – II ZR 246/89, NJW 1991, 1884 unter<br />

2b). Aus seinem Vorbringen in den Tatsacheninstanzen, er habe<br />

zur Auszahlung der auf dem Konto der Bayerischen Vereinsbank<br />

befindlichen Fremdgelder eigene Mittel einsetzen müssen, weil die<br />

Kl das dortige Guthaben abgehoben hätten, ließe sich ein Anspruch<br />

auf Aufwendungsersatz (§ 670 BGB) herleiten, den er im Wege der<br />

Aufrechnung gegen den Kaufpreisanspruch geltend machen könnte.<br />

2.a) Ein Widerruf des Auftrags durch die Kl würde aber dann<br />

nicht zur Herausgabepflicht des Bekl führen, wenn er noch in seiner<br />

Eigenschaft als amtlich bestellter Abwickler mit der Verteilung von<br />

auf dem PostbankKonto befindlichen Fremdgeldern befaßt wäre.<br />

Wie bereits erwähnt, standen dem Bekl jedenfalls zunächst unabhängig<br />

von den auftragsrechtlichen Beziehungen der Parteien die<br />

gesetzlichen Befugnisse und Verpflichtungen als Abwickler der<br />

Kanzlei des Erblassers zu. In dieser Eigenschaft war er gem. § 55<br />

Abs. 3 Satz 1 BRAO i. V. m. § 53 Abs. 10 Satz 1 BRAO berechtigt,<br />

das der anwaltlichen Verwahrung des Erblassers unterliegende<br />

Treugut in Besitz zu nehmen, herauszuverlangen und darüber zu<br />

verfügen. Er hatte die schwebenden Angelegenheiten abzuwickeln<br />

(§ 55 Abs. 2 Satz 1 BRAO). Diese dem Bekl in seiner Eigenschaft<br />

als Abwickler zustehenden Befugnisse und auferlegten Pflichten<br />

wurden durch den Widerruf des Auftrages seitens der Kl nicht berührt.<br />

Nach §§ 55 Abs. 3 Satz 1, 53 Abs. 10 Satz 2 und 3 BRAO<br />

ist der amtlich bestellte Abwickler an Weisungen nicht gebunden<br />

und darf in seiner Tätigkeit durch den Vertretenen – hier die<br />

Erben – nicht beeinträchtigt werden.<br />

b) Aus dem Gesagten folgt, daß der Bekl, soweit er nach wie<br />

vor als Abwickler tätig ist und das Guthaben auf dem Postbank-<br />

Konto zur Weitergabe von Fremdgeldern benötigt, zur Verweigerung<br />

der Herausgabe berechtigt ist. Falls er darüber hinaus als Abwickler<br />

Aufwendungen getätigt hätte, könnte er diese dem Anspruch<br />

der Kl auf Erstattung des nicht für die Fremdgelder<br />

verbrauchten Guthabens der Postbank und – aufrechnungsweise –<br />

dem Kaufpreisanspruch entgegenhalten; denn die Erben sind dem<br />

Abwickler gegenüber kraft Gesetzes zum Aufwendungsersatz verpflichtet<br />

(§§ 55 Abs. 3 Satz 1, 53 Abs. 9 Satz 2 BRAO, § 670<br />

BGB). Da die Bestimmungen der Bundesrechtsanwaltsordnung auf<br />

die Vorschriften der §§ 666, 667 BGB des Auftragsrechts verweisen,<br />

gilt für die Darlegungs- und Beweislast das oben Ausgeführte.<br />

3. Das angefochtene Urteil enthält indessen keine Feststellungen<br />

dazu, ob die bei Vertragsschluß bestehende Bestellung des<br />

Bekl zum Abwickler der Kanzlei des Erblassers im Zeitpunkt der<br />

Berufungsverhandlung noch andauerte.<br />

Anlaß, hieran zu zweifeln, besteht zum einen deshalb, weil bei<br />

der mündlichen Verhandlung vor dem BerG seit der Praxisübernahme<br />

des Bekl ein Zeitraum von über fünf Jahren verstrichen ist,<br />

während ein Abwickler nach § 55 Abs. 1 Satz 3 BRAO in der Regel<br />

für nicht länger als ein Jahr – wenngleich mit der Verlängerungsmöglichkeit<br />

nach § 55 Abs. 1 Satz 4 BRAO – bestellt werden<br />

soll, und zum anderen, weil im Falle der – hier erfolgten – Praxisveräußerung<br />

die Bestellung des Abwicklers widerrufen werden soll<br />

(Isele, Bundesrechtsanwaltsordnung, 1976 § 55 Anm. VII B).<br />

War der Bekl nicht mehr Abwickler, so ständen ihm wegen des<br />

wirksam erfolgten Widerrufs nunmehr Rechte aus dem Auftrag, der<br />

in dem Vertrag vom 28.10.1992 enthalten ist, nicht zu. Da er eine<br />

bestimmungsgemäße Verwendung des Guthabens der Postbank<br />

nicht dargetan hat, wäre nicht nur der Kaufpreisanspruch – der


130<br />

l<br />

Höhe nach, abzüglich des Minderungsbetrages von 10.000 DM,<br />

falls das BerG bei seiner Auslegung der Erklärung der Kl bleibt –,<br />

sondern auch der Anspruch auf das Postbank-Guthaben begründet.<br />

Ist die Abwicklung der Kanzlei noch nicht beendet, hat der Bekl<br />

weitergehende Rechte in bezug auf das Guthaben nur insoweit, als<br />

er beweisen kann, daß er diese zur Auszahlung der Fremdgelder<br />

verwandt hat bzw. noch weiterhin benötigt.<br />

III. Da das Berufungsurteil nach alledem von der gegebenen<br />

Begründung nicht getragen wird, war es aufzuheben (§ 564 Abs. 1<br />

ZPO). Die Sache war zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen<br />

gem. § 5<strong>65</strong> Abs. 1 ZPO an das BerG zurückzuverweisen,<br />

weil der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif ist.<br />

BGB § 675<br />

Zur vertraglichen Haftung des Mitglieds einer Scheinsozietät<br />

für die Veruntreuung von Mandantengeldern durch den sachbearbeitenden<br />

Rechtsanwalt bei der Verwaltung und Abwicklung<br />

eines Nachlasses.<br />

BGH, Urt. v. 8.7.1999 – IX ZR 338/97<br />

Aus den Gründen: Die Revision führt zur (teilweisen) Aufhebung<br />

des Berufungsurteils und insoweit zur Zurückverweisung der<br />

Sache an das Berufungsgericht (§§ 564, 5<strong>65</strong> Abs. 1 S. 1 ZPO).<br />

I. Im Rahmen des Klageantrags zu 1 verfolgt die Revision<br />

noch zugunsten der Erbengemeinschaft Ansprüche auf Ersatz von<br />

58.060,90 DM, die der Bekl zu 1 aufgrund eines Vertrages mit den<br />

Erben aus dem Nachlaßvermögen in der Zeit vom 11.9.1991 bis<br />

29.8.1994 erlangt und veruntreut haben soll, sowie auf Ersatz von<br />

Steuer- und Zinsschäden, die nach dem Klagevortrag entstanden<br />

sind, weil der Bekl zu 1 rückständige Steuern der Erblasserin und<br />

titulierte Pflichtteilsansprüche des Vaters der Erben vertragswidrig<br />

nicht aus dem verwalteten Nachlaßvermögen bezahlt habe. Insoweit<br />

hat sich die Kl auf die entsprechende Verurteilung des Bekl<br />

zu 1 durch das LG bezogen und dessen Schadensberechnung übernommen.<br />

1. Das LG hat zutreffend ausgeführt, daß die geltend gemachten<br />

Ansprüche, sollten sie bestehen, zum Nachlaßvermögen gehören<br />

(§ 2041 BGB) und die Kl Leistung an die ungeteilte Erbengemeinschaft<br />

verlangen darf (§ 2039 BGB).<br />

2. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob gemäß dem –<br />

bestrittenen – Klagevortrag eine Sozietät zwischen den Bekl bestanden<br />

hat; deswegen ist im Revisionsverfahren von der Richtigkeit<br />

dieses Vorbringens auszugehen. In diesem Falle kann die Bekl<br />

für die ordnungsmäßige Erfüllung der Anwaltspflichten des Bekl<br />

zu 1 als Gesamtschuldnerin haften, weil ein Sozietätsanwalt in der<br />

Regel ein ihm angetragenes Mandat auch im Namen der übrigen<br />

Sozietätsmitglieder annimmt (BGHZ 56, 355, 358 ff.; 70, 247, 248<br />

f.; 124, 47, 48 f. m. w. N.). Dies gilt auch, soweit das Mandat eine<br />

Treuhandtätigkeit umfaßt hat (BGH, Urt. v. 10.3.1988 – III ZR<br />

195/86, WM 1988, 986).<br />

Unabhängig davon kann die Bekl auch haften aufgrund der<br />

rechtsfehlerfreien Feststellung des Berufungsgerichts, die Bekl<br />

habe zumindest nach außen den Anschein einer solchen Sozietät<br />

erweckt, weil sie mit dem Bekl zu 1 ein gemeinsames Praxisschild<br />

und gemeinsame Briefbögen benutzt habe. Dann muß sich die<br />

Bekl nach den Grundsätzen der Duldungs- und Anscheinsvollmacht<br />

an dem von ihr gesetzten Rechtsschein einer Sozietät festhalten<br />

lassen (BGHZ 70, 247, 249; BGH, Urt. v. 24.1.1991 – IX<br />

ZR 121/90, NJW 1991, 1225). Daran ändert es nichts, wenn die<br />

Bekl – gemäß ihrer Behauptung – als freie Mitarbeiterin tätig war<br />

(vgl. BGHZ 124, 47, 51).<br />

3. Das Berufungsgericht hat den Klageanspruch auf Zahlung<br />

von 58.060,90 DM wegen Veruntreuung von Nachlaßvermögen<br />

durch den Bekl zu 1 abgewiesen, weil dieser die Nachlaßgelder<br />

nicht zur Ausübung einer anwaltstypischen Berufstätigkeit, sondern<br />

zu einer anwaltsfremden Verwaltung des Nachlaßvermögens für<br />

die Erben erhalten habe; dies spreche für ein Einzelmandat an den<br />

Bekl zu 1. Insoweit habe die Kl Rechtsbeziehungen zur Bekl nicht<br />

schlüssig dargelegt.<br />

Die Revision rügt mit Erfolg, daß diese tatrichterliche Feststellung<br />

auf einem Verstoß gegen § 286 ZPO beruht, weil das Berufungsgericht<br />

den Klagevortrag nicht umfassend gewürdigt hat, und<br />

AnwBl 2/2000<br />

Rechtsprechung<br />

daß die rechtliche Bewertung des vorgebrachten Sachverhalts<br />

durch das Berufungsgericht fehlerhaft ist.<br />

Die Kl hat zuletzt im wesentlichen – unter Beweisantritt – vorgebracht:<br />

Sie habe mit Einverständnis ihres Bruders beide Bekl beauftragt,<br />

nachdem ihr Vater Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche<br />

geltend gemacht habe. Das erste Gespräch habe sie –<br />

die Kl – etwa Ende Juni 1991 in der Anwaltskanzlei mit dem dort<br />

tätigen Referendar geführt. Diesem habe sie ihr Anliegen erläutert<br />

sowie Ablichtungen der Testamente der Erblasserin, der Nachlaßvollmachten,<br />

die die Erben ihrem Vater erteilt hatten, und einen<br />

Steuerbescheid überreicht. Sie habe das Mandat erteilt, die Interessen<br />

der Erben gegenüber ihrem pflichtteilsberechtigten Vater – unter<br />

Widerruf der diesem erteilten Vollmachten – wahrzunehmen, die gesamte<br />

Nachlaßabwicklung für die ungeteilte Erbengemeinschaft<br />

durchzuführen und diese vor Gerichten und Behörden zu vertreten.<br />

Der Bekl zu 1 habe damals den Erben erklärt, die Nachlaßgelder<br />

müßten sofort von den Bankkonten auf das Konto der Sozietät<br />

überwiesen werden, um sie vor dem Zugriff des Vaters der Erben<br />

zu sichern. Daraufhin hätten diese am folgenden Tage eine entsprechende<br />

Überweisung auf ein – unstreitig auf dem Briefbogen der<br />

beiden Bekl angegebenes – Konto Nr. ... bei der Stadtsparkasse N<br />

veranlaßt. Damals habe die Höhe des Nachlaßwertes noch nicht<br />

festgestanden, weil das Finanzamt rückständige Steuern verlangt<br />

und der Vater Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend<br />

gemacht habe.<br />

Die Bekl sei im Rahmen der Nachlaßverwaltung tätig geworden.<br />

Sie habe in dieser Angelegenheit – dies ist unstreitig – am<br />

2.9.1993 der Sparkasse N – auf einem Briefbogen der beiden Bekl<br />

– geschrieben; dieses Schreiben wird folgendermaßen eingeleitet:<br />

„Wir vertreten die Interessen von Herrn E G sowie von Frau<br />

U E. Entsprechende Vollmachten sind diesem Schreiben beigefügt.“<br />

Der Bruder der Kl habe im Zusammenwirken mit dem Bekl<br />

zu 1 versucht, einen großen Teil des Vermögens an seine Ehefrau<br />

zu verschieben, um die Vollstreckung eines Titels seines Vaters –<br />

wegen des Pflichtteilsanspruchs – zu verhindern; eine entsprechende<br />

„Schenkungsvereinbarung“ vom 20.11.1992 hätten – dies ist unstreitig<br />

– beide Bekl mit ihrer Unterschrift „bestätigt“.<br />

a) Dieses Klagevorbringen ist dahin zu werten, daß ein einheitliches<br />

Mandat beiden Bekl erteilt worden sei und die gesamte Verwaltung<br />

und Abwicklung des Nachlasses – bis zur ausstehenden<br />

Auseinandersetzung des Nachlasses unter den Miterben – umfaßt<br />

habe, insbesondere sich auf die notfalls gerichtliche Regelung der<br />

Ansprüche des pflichtteilsberechtigten Vaters und der Steuerforderungen<br />

erstreckt habe. Es ist nicht interessengerecht, diesen einheitlichen<br />

Sachverhalt in einen selbständigen Auftrag zur Vermögensverwaltung<br />

allein an den Bekl zu 1 und in ein weiteres<br />

Mandat an beide Bekl zur Führung der Vorprozesse gegen den Vater<br />

der Erben aufzuspalten.<br />

b) Die Revision beanstandet weiterhin zu Recht die Wertung<br />

des Berufungsgerichts, der behauptete Auftrag habe eine anwaltsfremde<br />

Vermögensverwaltung zum Gegenstand gehabt, so daß von<br />

einem Einzelmandat an den Bekl zu 1 auszugehen sei.<br />

Die Auslegung der wechselseitigen Erklärungen bei Abschluß<br />

eines Anwaltsvertrages kann wegen besonderer Umstände des Einzelfalls<br />

ergeben, daß einem Sozietätsanwalt ein Einzelmandat erteilt<br />

wird (BGHZ 56, 355, 361; 124, 47, 49). Dies ist im vorliegenden<br />

Falle, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, nicht<br />

schon deswegen anzunehmen, weil die Kl die Prozeß- und Verhandlungsvollmacht<br />

vom 15.7.1991 allein dem Bekl zu 1 erteilt hat<br />

(vgl. BGHZ 56, 355, 358). Ein Mandant will in der Regel die Vorteile<br />

eines Vertrages mit allen Sozietätsanwälten auch dann nutzen,<br />

wenn er weiß oder sogar Wert darauf legt, daß nur ein bestimmtes<br />

Mitglied der Sozietät seine Sache bearbeitet (BGHZ 124, 47, 50);<br />

die Erteilung einer Vollmacht an diesen Anwalt dient dann nur der<br />

Legitimation nach außen (BGHZ 56, 355, 358). Im vorliegenden<br />

Falle hatte die Kl ihr erstes Schreiben vom 9.7.1991 an beide Bekl<br />

gerichtet.<br />

Zwar kann ausnahmsweise die Annahme eines Einzelmandats<br />

an einen Sozietätsanwalt dann naheliegen, wenn dieser mit einer<br />

Tätigkeit betraut wird, die an sich außerhalb der eigentlichen Aufgaben<br />

eines Rechtsanwalts liegt (BGH, Urt. v. 10.3.1988, aaO). Das<br />

Berufungsgericht hat jedoch zu Unrecht angenommen, daß die von<br />

der Kl behauptete Verwaltung und Abwicklung des Nachlaßvermögens<br />

eine anwaltsfremde Aufgabe gewesen sei.


AnwBl 2/2000 131<br />

Rechtsprechung l<br />

aa) Ob im Einzelfall ein Anwaltsvertrag vorliegt mit der anwaltstypischen<br />

Verpflichtung, dem Auftraggeber rechtlichen Beistand<br />

zu leisten (§ 3 Abs. 1 BRAO), hängt vom Inhalt der Aufgabe<br />

ab, die dem Rechtsanwalt übertragen und von diesem durchgeführt<br />

wird. Die Rechtsberatung und -vertretung muß nicht der Schwerpunkt<br />

der anwaltlichen Tätigkeit sein. Ein Anwaltsvertrag kann<br />

auch anwaltsfremde Maßnahmen umfassen, falls diese in einem engen<br />

inneren Zusammenhang mit der rechtlichen Beistandspflicht<br />

stehen und auch Rechtsfragen aufwerfen können. Etwas anderes<br />

gilt nur dann, wenn die Rechtsbetreuung völlig in den Hintergrund<br />

tritt und deswegen als unwesentlich erscheint. Läßt die Gesamtwürdigung<br />

aller Umstände des Einzelfalls nicht die Feststellung zu, ob<br />

ein Anwaltsvertrag vorliegt oder nicht, so ist im Zweifel anzunehmen,<br />

daß derjenige, der die Dienste eines Rechtsanwalts in Anspruch<br />

nimmt, ihn auch in dieser Eigenschaft beauftragen will, weil<br />

er erwartet, daß der Rechtsanwalt bei seiner Tätigkeit auch die<br />

rechtlichen Interessen des Auftraggebers wahrnehmen werde (BGH,<br />

Urt. v. 2.7.1998 – IX ZR 63/97, NJW 1998, 3486 m. w. N.).<br />

bb) Auch eine Vermögensverwaltung kann entgegen der Ansicht<br />

des Berufungsgerichts zur typischen Berufstätigkeit eines Rechtsanwalts<br />

gehören.<br />

Aus § 1 Abs. 2 BRAGO ergibt sich nichts anderes. Diese Vorschrift<br />

bestimmt, daß die Tätigkeit eines Rechtsanwalts u. a. als<br />

Treuhänder oder in ähnlicher Stellung nicht nach der Bundesgebührenordnung<br />

für Rechtsanwälte (BRAGO) zu vergüten ist; eine<br />

Vergütung nach dieser Gebührenordnung setzt eine vertragliche<br />

Anwaltstätigkeit mit der dafür typischen Rechtsbeistandspflicht<br />

voraus (§ 1 Abs. 1 BRAGO; BGH, Urt. v. 2.7.1998, aaO). Auch die<br />

Anwendung der für den Rechtsanwalt vorteilhaften Verjährungsregelung<br />

des § 51b BRAO (= § 51 BRAO a. F.) hängt von dieser Voraussetzung<br />

ab (BGH, Urt. v. 27.1.1994 – IX ZR 195/93, NJW<br />

1994, 1405, 1406). Diese Vorschriften schließen es nicht aus, daß<br />

Mandant und Rechtsanwalt im Einzelfall einen Vertrag über Vermögensverwaltung<br />

und/oder Treuhandtätigkeit mit einer Pflicht zur<br />

Rechtsbetreuung abschließen. Ein Rechtsanwalt kann eine treuhänderische<br />

Tätigkeit ohne Rechtsberatung und -vertretung übernehmen<br />

(BGH, Urt. v. 1.12.1994 – III ZR 93/93, WM 1995, 344, 347);<br />

ihm kann eine Treuhandschaft aber auch mit der Aufgabe der<br />

Rechtsbetreuung übertragen werden (BGHZ 120, 157, 159). Dies<br />

gilt entsprechend für anwaltliche Anlageberatung (BGH, Urt. v.<br />

17.4.1980 – III ZR 73/79, NJW 1980, 1855, 1856; v. 27.1.1994,<br />

aaO) und Maklertätigkeit (BGH, Urt. v. 16.2.1977 – IV ZR 55/75,<br />

WM 1977, 551, 552; v. 10.6.1985 – III ZR 73/84, NJW 1985,<br />

2642; v. 31.10.1991 – IX ZR 303/90, NJW 1992, 681, 682).<br />

Auch ein Mandat zur Vermögensverwaltung kann im Einzelfall<br />

mit einer Rechtsbeistandspflicht des Rechtsanwalts verbunden und<br />

deswegen auf eine anwaltstypische Tätigkeit gerichtet sein. Aus<br />

dem Urteil des BGH vom 22.12.1966 (VII ZR 195/64, BGHZ 46,<br />

268 = NJW 1967, 876), auf das das Berufungsgericht verweist, ergibt<br />

sich nichts anderes. In dieser Entscheidung wird ausgeführt,<br />

daß eine vertragliche Vermögensverwaltung in der Regel nicht zur<br />

Berufstätigkeit eines Rechtsanwalts gehöre, wenn das Interesse des<br />

Auftraggebers dahin gehe, das vorhandene Vermögen zu erhalten<br />

und eine angemessene Verzinsung zu erzielen; dieser Fall lag im<br />

damals entschiedenen Streit vor, weil Miethäuser nach den Grundsätzen<br />

der Rentabilität zu verwalten waren (BGHZ 46, 268, 270 f.,<br />

276). Zugleich wird in jenem Urteil aber klargestellt, daß ausnahmsweise<br />

eine anwaltliche Vermögensverwaltung („Wirtschaftsmandat“)<br />

auch eine Pflicht zur Rechtsbetreuung umfassen kann<br />

(BGHZ 46, 268, 270 f.).<br />

cc) Im vorliegenden Streitfall hat der von der Kl behauptete<br />

Auftrag zur Verwaltung und Abwicklung des Nachlasses in erheblichem<br />

Umfang auch eine Rechtsberatung und -vertretung gegenüber<br />

dem Vater der Erben wegen der Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche<br />

und gegenüber der Finanzbehörde wegen der<br />

Steuerforderungen zum Gegenstand gehabt, so daß das Mandat entgegen<br />

der Ansicht des Berufungsgerichts zumindest auch auf eine<br />

anwaltstypische Tätigkeit gerichtet war; dementsprechend ist dieses<br />

gemäß dem Klagevortrag durch die Bekl – auch unter Inanspruchnahme<br />

der Gerichte – durchgeführt worden. Danach kann es dahinstehen,<br />

ob, wie das Berufungsgericht meint, Sozietätsmitglieder<br />

nicht für eine anwaltsuntypische Vertragstätigkeit eines Kollegen<br />

haften.<br />

c) Nach alledem hat die Kl schlüssig dargelegt, daß die Bekl<br />

für die vertragswidrige Veruntreuung von Nachlaßvermögen durch<br />

den Bekl zu 1 aus dem einheitlichen Anwaltsvertrag als Gesamtschulderin<br />

haftet. Die vertragliche Mithaftung aufgrund einer tatsächlichen<br />

oder scheinbaren Sozietät erstreckt sich darauf, daß ein<br />

Sozietätsanwalt durch vorsätzliche Verletzung seiner Vertragspflichten<br />

Mandantengelder beeinträchtigt (BGHZ 70, 247, 251 f.).<br />

Daran ändert es nichts, daß eine solche Vertragsverletzung zugleich<br />

eine unerlaubte Handlung und Straftat sein kann (§ 823 Abs. 2<br />

BGB mit §§ 246, 263, 266 StGB, § 826 BGB). Ein rein deliktisches,<br />

vertragsunabhängiges Verhalten des Bekl zu 1, für das eine<br />

Mithaftung der Bekl entfallen kann (vgl. BGZ 45, 311, 312 f.), ist<br />

insoweit nicht behauptet worden.<br />

d) Zur Bescheidung des Klageanspruchs sind tatrichterliche<br />

Feststellungen erforderlich, weil die Bekl dem Klagevorbringen<br />

entgegengetreten ist.<br />

aa) Ihre Behauptung, sie sei mit dem Bekl zu 1 nicht in einer<br />

Sozietät verbunden gewesen, ist allerdings unerheblich, weil das<br />

Berufungsgericht aufgrund des vorliegenden Sach- und Streitstandes<br />

eine Scheinsozietät rechtsfehlerfrei festgestellt hat.<br />

bb) Rechtserheblich ist das unter Beweis gestellte Vorbringen<br />

der Bekl, bei Vertragsschluß hätten die Kl und der Bekl zu 1 deutlich<br />

gemacht, daß ein Vertrag nur zwischen ihnen geschlossen werden<br />

solle. Da die Bekl damit den Ausnahmefall eines Einzelmandats<br />

behauptet, hat sie dieses zu beweisen. Insoweit hat sie Beweis<br />

angetreten. Bei der Würdigung des Beweisergebnisses kann das<br />

Berufungsgericht berücksichtigen, daß einerseits die Vollmachten<br />

der Erben allein dem Bekl zu 1 ausgestellt worden sind, andererseits<br />

die Bekl an der Durchführung des Mandats mitgewirkt hat.<br />

cc) Rechtserheblich ist weiterhin der Vortrag der Bekl, die Kl<br />

und ihr Bruder hätten von vornherein den Bekl zu 1 eingeschaltet,<br />

um mit dessen Hilfe die Durchsetzung des Pflichtteilsanspruchs<br />

des Vaters der Erben in unzulässiger Weise zu vereiteln. Unstreitig<br />

haben die Erben im Oktober 1991 und April 1993 – und die Ehefrau<br />

des Bruders der Kl im August 1993 – dem Bekl zu 1 hohe<br />

Darlehen gewährt; nach dem Vorbringen der Kl sollten diese Darlehen,<br />

die zurückgezahlt sein sollen, einen Zugriff des Vaters auf<br />

Nachlaßmittel verhindern. Nach der Behauptung der Bekl hat die<br />

Kl ihre Lohnansprüche an den Bekl zu 1 abgetreten, um gegenüber<br />

dem Vater als mittellos zu erscheinen.<br />

Sollte sich das Vorbringen der Bekl, Vertragsgegenstand sei von<br />

Anfang an eine unzulässige Vereitelung der Ansprüche des Vaters<br />

der Erben gewesen, als richtig erweisen, so kann der Vertrag wegen<br />

Sittenwidrigkeit nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB) oder wegen anwaltsfremden<br />

Inhalts allein mit dem Bekl zu 1 geschlossen worden<br />

sein. Die Beweislast trägt insoweit die Bekl.<br />

4. Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend, soweit<br />

der Bekl zu 1 nach dem Klagevortrag infolge schuldhafter Verletzung<br />

seiner Vertragspflichten Nachlaßverbindlichkeiten nicht oder<br />

nicht rechtzeitig aus dem Nachlaßvermögen erfüllt hat.<br />

a) Dies betrifft zunächst die Tilgung der Steuerrückstände der<br />

Erblasserin. Insoweit hat die Kl Ansprüche auf Ersatz von Säumniszuschlägen<br />

in Höhe von 18.629 DM sowie von Vollstreckungskosten<br />

in Höhe von insgesamt 1.168 DM schlüssig dargelegt.<br />

b) Dies gilt auch für die Ansprüche auf Ersatz von Zinsen in<br />

Höhe von insgesamt 197.262,17 DM, die entstanden sein sollen,<br />

weil der Bekl zu 1 infolge schuldhafter Vertragsverletzung titulierte<br />

Pflichtteilsansprüche des Vaters der Erben nicht aus dem Nachlaßvermögen<br />

beglichen habe.<br />

c) Auch insoweit erfordert das dargelegte rechtserhebliche Vorbringen<br />

der Bekl tatrichterliche Feststellungen.<br />

II. Nach den vorstehenden Ausführungen hat das Berufungsgericht<br />

auch den mit dem Klageantrag zu 3 verfolgten Klageanspruch<br />

auf Ersatz eines Teilbetrages von 62.000 DM, den der Bekl zu 1 an<br />

den Bruder der Kl statt an die Erbengemeinschaft ausgezahlt haben<br />

soll, mit der unzutreffenden Begründung abgewiesen, ein solches<br />

Vorgehen falle ausschließlich in den anwaltsuntypischen Aufgabenbereich<br />

eines Vertrages mit dem Bekl zu 1 über die Verwaltung des<br />

Nachlaßvermögens.<br />

1. Nach dem Klagevortrag haben die Erben mit den Bekl bezüglich<br />

der Verwaltung des Nachlasses einen Anwaltsvertrag mit<br />

der anwaltstypischen Pflicht zur Rechtsbetreuung geschlossen. Ist<br />

dieser Vertrag rechtswirksam, so hat die Bekl für dessen ordnungsmäßige<br />

Abwicklung einzustehen, wenn sie mit dem Bekl zu 1 tatsächlich<br />

oder scheinbar in einer Sozietät verbunden war. Die ein-


132<br />

l<br />

schlägigen vorstehenden Ausführungen (zu Ziffer 1) gelten entsprechend.<br />

2. a) Die Kl hat bezüglich dieses Schadensersatzanspruchs eine<br />

schuldhafte Verletzung der Pflichten aus dem behaupteten Anwaltsvertrag<br />

schlüssig dargelegt.<br />

Sie hat dazu vorgetragen: Jedem Erben hätten aus der Erbschaft<br />

478.906,45 DM zugestanden. Die Bekl hätten jedoch an den Bruder<br />

der Kl 571.447 DM gezahlt; von der Zuvielleistung in Höhe<br />

von 92.540,54 DM (richtig: 92.540,55 DM) solle ein Teilbetrag von<br />

62.000 DM der Erbengemeinschaft erstattet werden. Die Ehefrau<br />

des Bruders der Kl habe den gezahlten Betrag zur Errichtung eines<br />

Hauses verwendet; der Bruder der Kl habe die eidesstattliche Versicherung<br />

gem. § 807 ZPO abgegeben.<br />

Sollte dieses Vorbringen richtig sein, so beruhte die Auszahlung<br />

allein an den Bruder der Kl statt an die Erbengemeinschaft auf<br />

einer zumindest fahrlässigen anwaltlichen Pflichtverletzung. Da im<br />

vorliegenden Falle der verwaltete Nachlaß gemeinschaftliches Vermögen<br />

beider Miterben und Mandanten in ungeteilter Erbengemeinschaft<br />

war (§ 2032 Abs. 1 BGB), hatten Zahlungen aus dem<br />

Nachlaß nicht an einen Miterben allein, sondern in einer Weise zu<br />

erfolgen, die dem Recht der Miterben zur gemeinschaftlichen Verwaltung<br />

des Nachlasses (§ 2038 BGB) entsprach und eine ordnungsmäßige<br />

Auseinandersetzung des Nachlaßvermögens zwischen<br />

den Miterben (§ 2042 BGB) sicherstellte. Bei einer Zuwendung<br />

von Nachlaßmitteln an nur einen Miterben bestand erkennbar die –<br />

nach der Behauptung der Kl eingetretene – Gefahr, daß dieses<br />

Nachlaßvermögen der Mitverwaltung durch den anderen Miterben<br />

und wegen Insolvenz des begünstigten Miterben der Auseinandersetzung<br />

entzogen wird.<br />

b) Da die Bekl insoweit einen Schaden der Kl bestritten hat,<br />

wird die Kl im weiteren Berufungsverfahren für ihren Schadensersatzanspruch<br />

noch substantiiert darzulegen haben, daß ihrem<br />

Bruder und Miterben bei der Auseinandersetzung des Nachlaßvermögens<br />

gem. § 2642 BGB nur ein Betrag zugeflossen wäre, der<br />

geringer ist als die erhaltene Summe von 571.447 DM.<br />

ZPO § 233, § 234<br />

Zur Frage, wann der Rechtsanwalt bei Vorlage einer Akte auf<br />

Vorfristanordnung mit der Bearbeitung der Sache beginnen<br />

muss, sowie zur Zulässigkeit nachgeschobenen Vorbringens nach<br />

Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist.<br />

BGH, Beschl. v. 5.10.1999 – VI ZB 22/99<br />

Aus den Gründen: II. Das gem. § 519b Abs. 2 ZPO zulässige<br />

Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses<br />

und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht (§ 575 ZPO),<br />

weil es für die Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung<br />

in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung<br />

weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf.<br />

1. Das Berufungsgericht hat die Versagung von Wiedereinsetzung<br />

in den vorigen Stand in erster Linie darauf gestützt, dass die<br />

Unterlassung einer Anweisung zur Eintragung von Vorfristen als<br />

Ursache für die Fristversäumung in Frage komme und nach dem<br />

Vorbringen der Kl davon auszugehen sei, dass im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten<br />

Vorfristen nicht vermerkt würden.<br />

a) Mit dieser Begründung kann der angefochtene Beschluss<br />

keinen Bestand haben, weil das Vorbringen der Kl in dem am<br />

29.4.1999 eingegangenen Schriftsatz unberücksichtigt geblieben<br />

ist, wonach eine Anweisung zur Eintragung von Vorfristen bestehe<br />

und vorliegend auch befolgt worden sei. Zwar kann davon ausgegangen<br />

werden, dass dieser Schriftsatz dem Berufungsgericht<br />

bei seiner die Wiedereinsetzung versagenden Entscheidung vom<br />

23.4.1999 noch nicht bekannt war. Indessen hat der Beschluss<br />

gem. § 329 Abs. 2 ZPO erst durch seine Herausgabe am 3.5.1999<br />

Wirksamkeit erlangt, so dass zuvor eingegangenes Vorbringen<br />

hätte berücksichtigt werden müssen, wenn es erheblich war. Das<br />

ist hier der Fall.<br />

b) Dieser Vortrag der Kl konnte auch nicht deshalb unberücksichtigt<br />

bleiben, weil er nach Ablauf der Zwei-Wochenfrist des<br />

§ 234 Abs. 2 ZPO eingegangen ist. Zwar müssen nach §§ 234<br />

Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO alle Tatsachen, die für die Gewährung der<br />

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein kön-<br />

AnwBl 2/2000<br />

Rechtsprechung<br />

nen, innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist vorgetragen werden.<br />

Indessen dürfen erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben,<br />

deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre,<br />

noch nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden (Senatsbeschl.<br />

v. 12.5.1998 – VI ZB 10/98 – NJW 1998, 2678, 2679<br />

sowie BGH, Beschl. v. 6.5.1999 – VII ZB 6/99 – NJW 1999, 2284,<br />

jeweils m. w. N.). Vorliegend hat die Kl den Wiedereinsetzungsantrag<br />

auf das Versehen der Bürovorsteherin gestützt, die gegen<br />

die geltende Anweisung zur Überprüfung und Korrektur der fiktiven<br />

Berufungsbegründungsfrist verstoßen habe. Hierauf hat die Kl<br />

ihre Darlegungen zunächst beschränkt und, sie erst dann hinsichtlich<br />

der Vorfristeintragung ergänzt, nachdem die Bekl in ihren Stellungnahmen<br />

zum Wiedereinsetzungsgesuch diesen Gesichtspunkt<br />

angesprochen haben. Bei dieser Sachlage liegt kein unzulässiges<br />

Nachschieben von Gründen vor, wie es etwa dann anzunehmen<br />

wäre, wenn nach einer in sich geschlossenen Sachverhaltsdarstellung<br />

im Wiedereinsetzungsantrag mit der Beschwerde neuer Tatsachenvortrag<br />

über büroorganisatorische Maßnahmen in der Kanzlei<br />

des Prozessbevollmächtigten nachgeschoben wird, auf deren Fehlen<br />

das Berufungsgericht die Versagung von Wiedereinsetzung gestützt<br />

hat (Senatsbeschl. v. 12.5.1998 und BGH, Beschl. v.<br />

6.5.1999, jeweils aaO m. w. N.). Vielmehr haben die Bekl eine<br />

Lücke im Vorbringen der Kl aufgezeigt, so dass diese nicht gehindert<br />

war, ihre Darstellung insoweit zu ergänzen. Hierbei hat sie zur<br />

Eintragung der Vorfrist im konkreten Fall Einzelheiten vorgetragen,<br />

die eines konkreten Nachweises fähig sind und jedenfalls noch der<br />

Glaubhaftmachung bedürfen, bevor abschließend über den Wiedereinsetzungsantrag<br />

entschieden werden kann.<br />

c) Das Vorbringen der Kl zur Eintragung der Vorfrist war<br />

schließlich auch nicht deshalb unerheblich, weil eine Vorfrist von<br />

nur vier Tagen notiert war, während das Berufungsgericht eine Vorfrist<br />

von einer Woche für erforderlich hält und meint, dass nur bei<br />

einer solchen Frist – nämlich 12.3.1999 der drohende Fristablauf<br />

bei Vorlage zur Vorfrist noch rechtzeitig bemerkt worden wäre.<br />

Insoweit hat das Berufungsgericht allerdings übersehen, dass<br />

die am 12.2.1999 bei der gemeinsamen Eingangsstelle eingegangene<br />

Berufungsschrift fälschlicherweise an das LG adressiert war und<br />

beim Berufungsgericht erst am 15.2.1999 eingegangen ist. Mithin<br />

ist die Berufung erst an diesem Tag eingelegt worden (§ 518 Abs. 1<br />

ZPO), so dass die Frist für ihre Begründung gem. § 519 Abs. 2 S. 2<br />

Halbs. 2 ZPO ebenfalls erst am 15.2.1999 zu laufen begann und<br />

erst am 15.3.1999 ablief. Dies war der Tag, an dem nach dem Vorbringen<br />

der Kl die Akte aufgrund der Vorfristenanordnung auf den<br />

Schreibtisch der sachbearbeitenden Rechtsanwältin gelegt wurde,<br />

die jedoch an diesem Tag nicht im Büro war und deshalb die Akte<br />

erst am 16.3.1999 bearbeiten wollte. Bei dieser Sachlage kommt es<br />

darauf an, ob die Rechtanwältin verpflichtet war, die Akte bereits<br />

am Tag der Vorlegung zu überprüfen, weil sie dann noch rechtzeitig<br />

hätte bemerken können, dass der Ablauf der Begründungsfrist<br />

unmittelbar bevorstand und sie die drohende Fristversäumnis durch<br />

Einreichung eines Verlängerungsantrages hätte abwenden können.<br />

Indessen ist ein solcher Pflichtenverstoß nach Lage des Falles<br />

zu verneinen. Der erkennende Senat hat mehrfach ausgesprochen,<br />

dass es kein Verschulden des Rechtsanwalts begründet, wenn er bei<br />

Vorlegung einer ausdrücklich als Vorfristsache gekennzeichneten<br />

Akte sowohl die Bearbeitung als auch die gebotene Prüfung, ob das<br />

Fristende richtig ermittelt und festgehalten ist, nicht bereits am<br />

Tage der Vorlage, sondern erst am nächsten Tag vornimmt (Senatsbeschl.<br />

v. 27.5.1997 – VI ZB 10/97 – VersR 1997, 1252 f.; vom<br />

August 1997 – VI ZB 13/97 – NJW 1997, 3243 f. und vom<br />

9.3.1999 – VI ZB 3/99 – VersR 1999, 866 f.; ebenso BGH, Beschl.<br />

v. 17.6.1999 – IX ZB 32/99 – NJW 1999, 2680). Hierfür ist die Erwägung<br />

maßgeblich, dass der Rechtsanwalt bei fristgebundenen<br />

Prozesshandlungen grundsätzlich die gesetzliche Frist voll ausschöpfen<br />

darf und deshalb nicht bereits in der Vorlage der Sache<br />

zur Vorfrist gezwungen sein kann, die Sache sofort zu bearbeiten.<br />

Insoweit ist auch zu bedenken, dass es sich bei der Vorfrist nicht<br />

um eine gesetzlich festgelegte Frist handelt, sondern um eine zusätzliche<br />

Anforderung, die von der Rechtsprechung im Rahmen der<br />

Organisationspflicht des Rechtsanwalts entwickelt worden ist und<br />

die ausschließlich dem Zweck dient, die Einhaltung der Hauptfrist<br />

dadurch zu sichern, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten<br />

und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit<br />

verbleibt. Von daher muss die Vorfrist zur Berufungsbegründung<br />

entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts


AnwBl 2/2000 133<br />

Rechtsprechung l<br />

nicht notwendig eine Woche betragen, auch wenn dies üblicher<br />

Handhabung entsprechen mag. Die Dauer der Vorfrist hängt vielmehr<br />

von den Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere dem<br />

Umfang und Schwierigkeitsgrad der Sache, daneben auch von der<br />

Arbeitsbelastung im Anwaltsbüro und vom persönlichen Arbeitsstil<br />

des Rechtsanwalts. Deshalb war unter den Umständen des<br />

Streitfalls die nach dem Klägervortrag eingetragene Frist von vier<br />

Tagen ausreichend. Da die sachbearbeitende Rechtsanwältin aufgrund<br />

der im Anwaltsbüro bestehenden Übung, eine Vorfrist von<br />

vier Tagen einzutragen, mit einer solchen Fristdauer rechnen<br />

konnte, hätte es ausgereicht, wenn sie die Fristenprüfung, die aufgrund<br />

der Vorlage zur Vorfrist erforderlich geworden war, mit der<br />

Bearbeitung der Sache verbunden hätte, die nach dem Klägervortrag<br />

für den 16.3.1999 vorgesehen war.<br />

2. Die Versagung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand<br />

wird auch nicht von der Auffassung des Berufungsgerichts getragen,<br />

dass die anwaltlichen Vorkehrungen zur Ermittlung und Notierung<br />

der tatsächlichen Berufungsbegründungsfrist unzureichend<br />

seien. Zwar weist das Berufungsgericht mit Recht darauf hin, dass<br />

die Übung, bei Urteilseingang die Berufungsfrist und zugleich die<br />

Berufungsbegründungsfrist zu notieren, wegen der Möglichkeit,<br />

dass die Berufungsfrist des § 516 ZPO nicht voll ausgeschöpft<br />

wird und sich hierdurch die Berufungsbegründungsfrist verkürzt,<br />

eine Fehlerquelle darstellt (vgl. BGH, Beschl. v. 26.3.1996 – X ZB<br />

2/96 – VersR 1996, 1561 f.). Indessen hat die Kl dargelegt und<br />

glaubhaft gemacht, dass dieser Gefahr durch die von ihr vorgetragene<br />

Anweisung hinreichend vorgebeugt wird und die Frist im<br />

konkreten Fall nur deshalb versäumt worden ist, weil Frau B gegen<br />

diese Anweisung verstoßen hat.<br />

Die Kl hat nämlich vorgetragen, dass die Mappe mit der Gerichtspost<br />

der Bürovorsteherin sogleich nach Einlieferung der Berufungsschrift<br />

bei Gericht vorgelegt worden sei, so dass bei Befolgung<br />

der Anweisung, das Datum der Quittung mit der vorläufig<br />

eingetragenen fiktiven Berufungsbegründungsfrist zu vergleichen<br />

und dieses ggf. zu korrigieren, die Fristversäumnis vermieden worden<br />

wäre.<br />

3. Soweit das Berufungsgericht es für erforderlich hält, die Begründungsfrist<br />

bei Eingang der gerichtlichen Bestätigung über den<br />

Eingang der Berufungsschrift nochmals zu überprüfen, entspricht<br />

dies zwar den Anforderungen der Rechtsprechung (BGH, Beschl.<br />

v. 9.12.1993 – IX ZB 70/93 VersR 1994, 1086; vom 13.6.1996 –<br />

VII ZB 7/96 – NJW 1996, 2514 und vom 24.4.1997 – IX ZB 29/<br />

97 – NJW 1997, 1860). Eine solche Verpflichtung kommt indessen<br />

nur dann in Betracht, wenn dem Prozessbevollmächtigten tatsächlich<br />

eine gerichtliche Eingangsmitteilung zugeht. Vorliegend kann<br />

nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Zweitbekl in ihrer Stellungnahme<br />

zur sofortigen Beschwerde darauf hingewiesen hat, die<br />

Versendung von Eingangsmitteilungen sei nicht bei allen Senaten<br />

des Berufungsgerichts üblich. ...<br />

Gebührenrecht<br />

BRAGO §§ 12 Abs. 1 S. 1, 12 Abs. 1 S. 2, 83 Abs. 1, 83 Abs. 2,<br />

84 Abs. 1, 95; RPflG § 11; StPO: §§ 464b S. 3, 311 Abs. 2, 44 S. 2<br />

1. Spätestens seit der Neufassung des § 11 RPflG durch das<br />

3. RPflÄndG vom 6.8.1998 (BGBl. I, 2030) bestimmt sich die Anfechtungsfrist<br />

gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Rpflegers<br />

in Strafsachen nach § 464b S. 3 StPO nach der einschlägigen<br />

Regelung der Strafprozessordnung, welche für die Einlegung des<br />

Rechtsmittels der sofortigen Beschwerde die Wochenfrist des<br />

§ 311 Abs. 2 StPO vorsieht.<br />

2. Dem Vertreter des Nebenkl steht nach § 95 BRAGO grundsätzlich<br />

der gleiche Gebührenanspruch wie dem Verteidiger zu,<br />

da seine Tätigkeit nicht von minderer Bedeutung ist.<br />

3. Die Geltendmachung der Höchstgebühr im Rahmen des § 12<br />

Abs. 1 S. 1 BRAGO erfordert, dass mehrere Bewertungsmerkmale<br />

überdurchschnittliches Gewicht aufweisen und diese dem<br />

Verfahren in seiner Gesamtheit ein außergewöhnliches Gepräge<br />

verleihen.<br />

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.11.1999 – 3 Ws 132/99<br />

Aus den Gründen: ... II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig;<br />

sie ist auch teilweise begründet.<br />

1. Allerdings hat der Angekl sein Rechtsmittel nicht binnen<br />

Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegt, da diese bereits mit<br />

Ablauf des 3.5.1999 endete (§ 43 Abs. 1, 1. HS StPO). An dieser<br />

Säumnis trifft ihn jedoch kein Verschulden, weshalb ihm von Amts<br />

wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war<br />

(§§ 44 S. 2, 45 StPO). Wie den vorgelegten Hauptakten zu entnehmen,<br />

war der Angekl im Kostenfestsetzungsbeschluss vom<br />

19.4.1999 nämlich ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass<br />

er die Entscheidung innerhalb einer „Notfrist von zwei Wochen<br />

nach Zustellung“ anfechten könne. Die in dieser Rechtsmittelbelehrung<br />

genannte Frist entspricht zwar einer in Literatur und Rechtsprechung<br />

weit verbreiteten Ansicht, diese ist jedoch mit dem<br />

Grundgedanken der in § 464b S. 3 StPO enthaltenen Regelung<br />

nicht vereinbar; auch entspricht sie nicht den Intensionen, welche<br />

der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 11 RPflG durch das<br />

Dritte Gesetz zur Änderung des Rpflegergesetzes und anderer<br />

Gesetze vom 6.8.1998 (BGBl. I, 2030 ff.) verbunden hat. Spätestens<br />

seit dieser Neufassung bestimmt sich die Anfechtungsfrist<br />

gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Rpflegers nach § 464b<br />

S. 3 StPO nach der einschlägigen Regelung der Strafprozessordnung,<br />

welche für die Einlegung des Rechtsmittels der sofortigen<br />

Beschwerde die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO vorsieht.<br />

a) Gem. § 11 RPflG n. F. ist gegen die Entscheidung des Rpflegers<br />

nunmehr das Rechtsmittel gegeben, das nach den allgemeinen<br />

verfahrensrechtlichen Vorschriften zulässig ist. An die Stelle der<br />

damit abgeschafften Durchgriffserinnerung sollen mithin die allgemeinen<br />

Rechtsbehelfe des Verfahrensrechts treten, regelmäßig – je<br />

nach Verfahrensart – also die Beschwerde oder die sofortige Beschwerde,<br />

ggf. aber auch besondere Rechtsbehelfe, wie etwa die<br />

Erinnerung nach §§ 732, 766 ZPO. Gegen die Entscheidung des<br />

Rpflegers ist nunmehr grundsätzlich das Gleiche Rechtsmittel wie<br />

gegen eine solche des Richters statthaft. Für die Zulässigkeit, die<br />

Einlegung, Form und Frist, die Abhilfebefugnis und die Vorlage an<br />

das Beschwerdegericht gelten danach die Bestimmungen, die der<br />

jeweiligen Verfahrensordnung eigen sind (Rellermeyer Rpfleger<br />

1998, 309 f.; Hansens Rpfleger 1999, 105 ff.; OLG Karlsruhe<br />

Rpfleger 1999, 64 ff.). Damit richtet sich beispielsweise auch die<br />

Frage, ob der Rpfleger bei eingelegtem Rechtsmittel noch zur Abhilfe<br />

befugt ist, nach der Besonderheiten der jeweiligen Verfahrensordnung;<br />

während dies für das Kostenfestsetzungsverfahren nach<br />

§ 577 Abs. 3 S. 3 ZPO nunmehr weit gehend verneint wird (zum<br />

Streitstand, vgl. verneinend: OLG Karlsruhe aaO; OLG Frankfurt<br />

Rpfleger 1999, 119 ff.; Hansens Rpfleger 1999, 105, 108 f.; bejahend:<br />

OLG Stuttgart Rpfleger 1998, 509; OLG Köln Rpfleger<br />

1999, 121), steht diese Befugnis beispielsweise für Entscheidungen<br />

des Rpflegers in Patentsachen oder im Beratungshilfeverfahren<br />

außer Frage (vgl. Rellermeyer Rpfleger 1998, 311; im Einzelnen<br />

Arnold/Meyer-Stolte/Hansens, RPflG, 1999, § 11 Rdnr. 22 ff., 42).<br />

b) Der Gesetzgeber hat mit dem Dritten Gesetz zur Änderung<br />

des Rpflegergesetzes nicht nur, wie von ihm intendiert, die Stellung<br />

des Rpflegers in der Gerichtsverfassung gestärkt und seiner<br />

tatsächlichen Bedeutung als Organ der Rpfleger angemessen Rechnung<br />

getragen (vgl. BT-Drucks. 13/10244, Seite 6 ff.), durch die<br />

Änderung der Rechtsbehelfe gegen dessen Entscheidungen, insbesondere<br />

der Abschaffung der Durchgriffserinnerung, wurde der Sache<br />

nach auch die besondere Bedeutung der jeweiligen Verfahrensordnung<br />

für den Fortgang der Entscheidung über den Rechtsbehelf<br />

betont (vgl. BT-Drucks. aaO).<br />

Obwohl die gesetzliche Neufassung keine unmittelbare Regelung<br />

der seit langem in der obergerichtlichen Rechtsprechung und<br />

Literatur umstrittenen Frage enthält, ob für die sofortige Beschwerde<br />

gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse in Strafsachen nach § 464b<br />

StPO die sofortige Beschwerde nach § 577 Abs. 2 ZPO mit einer<br />

Beschwerdefrist von zwei Wochen gilt (sog. zivilprozessuale Lösung,<br />

vgl.: OLG München AnwBl 1986, 107 f.; OLG Koblenz<br />

Rpfleger 1989, 78 f.; KK – Franke, StPO, 4. Auflage 1999, § 464b<br />

Rdnr. 4 m. w. N.) oder § 311 Abs. 2 StPO mit einer Frist von einer<br />

Woche Anwendung findet (sog. strafprozessuale Lösung, vgl. nur:<br />

KG NJW 1955, 35; dass. MDR 1982, 251 f.; BayObLG NJW<br />

1954, 568 f.; OLG Düsseldorf NStE Nr. 2 zu § 464 b StPO; OLG<br />

Stuttgart, Beschl. v. 13.7.1999, – 2 W 133/99 –; LG Stuttgart,<br />

Beschl. v. 30.8.1999, 12 Qs 51/99; LG Karlsruhe, Beschl. v.<br />

19.7.1999, 1 Qs 13/99; LG Zweibrücken MDR 1994, 844; Klein-


134<br />

l<br />

knecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage 1999, § 464b Rdnr. 7<br />

m. w. N.), spricht die nunmehrige besondere Betonung der jeweiligen<br />

Verfahrensordnung dafür, der strafprozessualen Lösung den<br />

Vorzug zu geben.<br />

c. Nach § 464b S. 3 StPO sind auf das Verfahren der Kostenfestsetzung<br />

und auf die Vollstreckung der Entscheidung die Vorschriften<br />

der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Dass<br />

die zivilprozessualen Vorschriften, auf deren lediglich entsprechende<br />

Anwendung verwiesen wird, aber nur insoweit Geltung beanspruchen<br />

können, als die Strafprozessordnung selbst eine Regelungslücke<br />

aufweist bzw. die zivilrechtliche Regelung mit dem<br />

Grundgedanken des Strafverfahrens überhaupt in Einklang zu bringen<br />

ist, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats. So<br />

gilt beispielsweise im Kostenfestsetzungsverfahren das Verschlechterungsgebot<br />

des § 536 ZPO gerade nicht (Senat MDR 1986, 694;<br />

OLG Düsseldorf NStE Nr. 2 zu § 464b StPO mit Hinweis auf<br />

BGHSt 5, 52; KG MDR 1982, 251; Kleinknecht/Meyer-Goßner,<br />

aaO, Rdnr. 8; a. A. OLG Hamm Rpfleger 1972, 266; OLG München<br />

AnwBl 1979, 198 ff.). Es wäre auch sinnwidrig, im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

– wie in der Zivilprozessordnung bei Verfahren<br />

vor dem LG vorgesehen – in Strafsachen Anwaltszwang<br />

vorzusehen oder auf die in Strafsachen nach § 35a StPO obligatorisch<br />

vorgesehene Rechtsmittelbelehrung zu verzichten (vgl. im<br />

weiteren hierzu OLG Düsseldorf aaO). Die Unterschiede zwischen<br />

straf- und zivilprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren zeigen<br />

sich auch daran, dass sich bei den Erstgenannten nicht immer Angekl<br />

und Nebenkl quasi als „Parteien“ gegenüberstehen, sondern<br />

insbesondere in Fällen des Freispruchs oder des Teilfreispruchs<br />

alleiniger Kostenschuldner die Staatskasse ist. Auch die Beteiligung<br />

des Bezirksrevisors ist dem zivilprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren<br />

fremd (näher eingehend hierzu: LG Karlsruhe,<br />

Beschl. v. 19.7.1999, 1 Qs 13/99).<br />

d) Das Argument der Gegenansicht, bei Anwendung der Frist<br />

des § 311 Abs. 2 StPO komme es zu einer Aufspaltung der Anfechtungsfristen<br />

insoweit, als für die Einlegung der Erinnerung die<br />

Zweiwochenfrist gelte (vgl. nur OLG München AnwBl 1986, 107),<br />

während für die sofortige Beschwerde die Wochenfrist Anwendung<br />

finde, ist im übrigen durch die Neuregelung des § 11 Abs. 1 RPflG<br />

und die Abschaffung der Durchgriffserinnerung überholt (LG<br />

Karlsruhe aaO). Danach ist gegen Entscheidungen des Rpflegers<br />

nämlich dasjenige Rechtsmittel gegeben, das nach allgemeinen<br />

Vorschriften zulässig ist (§ 11 Abs. 1 S. 1 RPflG). Ist ein Rechtsmittel<br />

nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften<br />

aber nicht gegeben, so bestimmt sich die Frist zur Geltendmachung<br />

der Erinnerung nach derjenigen für die sofortige Beschwerde (§ 11<br />

Abs. 2 S. 1 RPflG). In Kostenfestsetzungsverfahren in Strafsachen<br />

beträgt diese ebenfalls eine Woche (so auch Arnold/Meyer-Stolte/<br />

Hansens, aaO, § 11 Rdnr. 48).<br />

2. Das Rechtsmittel bleibt im wesentlichen ohne Erfolg.<br />

a) Die Gebühren der Vertreterin der Nebenkl, die diese nach<br />

§ 102 Abs. 2 S. 2 BRAGO vom dem Angekl zusätzlich zu den von<br />

der Staatskasse auf Grund der erfolgten Beiordnung bereits erhaltenen<br />

Zahlungen verlangen kann, ergeben sich der Höhe nach aus<br />

§ 95 BRAGO, der insoweit auf die Vorschriften der §§ 83 bis 93<br />

BRAGO verweist. Da hier die Verhandlung vor dem Schwurgericht<br />

stattfand, beträgt danach der Gebührenrahmen der Vorverfahrensgebühr<br />

nach § 84 Abs. 1 BRAGO 85 DM bis 1.270 DM (Mittelgebühr<br />

677,50 DM), für den ersten Kalendertag der Hauptverhandlung<br />

nach § 83 Abs. 1 BRAGO 170 DM bis 2.540 DM<br />

(Mittelgebühr 1.355 DM) und für die Folgetage nach § 83 Abs. 2<br />

BRAGO 170 DM bis 1.270 DM (Mittelgebühr 720 DM). Bei diesen<br />

Gebühren handelte es sich um Rahmengebühren, die der<br />

Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände,<br />

insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und<br />

der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögensund<br />

Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen<br />

festsetzt (§ 12 Abs. 1 S. 1 BRAGO). Dabei steht dem Vertreter<br />

des Nebenkl auch nach Auffassung des Senates grundsätzlich<br />

der gleiche Gebührenanspruch zu wie dem Verteidiger. Eine Kürzung<br />

seiner Vergütung etwa deshalb, weil er nur neben dem Staatsanwalt<br />

tätig wird oder seine Tätigkeit gegenüber dem Verteidiger<br />

nur von minderer Bedeutung wäre, ist nicht angezeigt (vgl. hierzu<br />

OLG Düsseldorf JurBüro 1990, 859; dass. JMBl NW 1996, 202 f.;<br />

Gerold/Schmidt-Madert, BRAGO, 14 Aufl. 1999, § 12 Rdnr. 16).<br />

Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, so ist die vom Ne-<br />

AnwBl 2/2000<br />

Rechtsprechung<br />

benklägervertreter getroffene Bestimmung indes dann nicht verbindlich,<br />

wenn sie unbillig ist (§ 12 Abs. 1 S. 2 BRAGO). Dies ist<br />

allerdings nicht bereits dann der Fall, wenn der Kostenbeamte<br />

selbst eine andere Gebührenhöhe für zutreffend erachtet. Denn das<br />

Gesetz hat nicht dem Kostenbeamten, sondern dem Rechtsanwalt<br />

die Ausübung des billigen Ermessens eingeräumt (Senat StV 1989,<br />

402 f.). Maßgebend ist danach, ob die nähere Nachprüfung anlässlich<br />

der beantragten Festsetzung zu dem Ergebnis führt, dass eine<br />

Bewertung des Sachverhalts nach den Merkmalen des § 12 Abs. 1<br />

S. 1 BRAGO unter Berücksichtigung der gebotenen Gleichbehandlung<br />

gleichartiger Fälle eine Gebühr ergibt, die von der von dem<br />

Rechtsanwalt bestimmten Gebühr derart abweicht, dass die Abweichung<br />

im Sinne der Gebührengerechtigkeit nicht mehr hinnehmbar<br />

ist (Senat aaO; vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf JMBl. NW 1996,<br />

203; Madert AnwBl 1994, 379 ff., 381).<br />

b) Wann dies der Fall ist, lässt sich nach übereinstimmender<br />

Meinung in Rspr. und Lit. nicht allgemein festlegen (vgl. hierzu im<br />

einzelnen Gerold/Schmidt-Madert, aaO, 12 Rdnr. 5 f.; OLG Hamm<br />

StV 1998, 612 f.) und bedarf vorliegend auch keiner abschließenden<br />

Entscheidung, denn jedenfalls war der Ansatz der Höchstgebühren<br />

weder für das vorbereitende Verfahren (§ 84 Abs. 1<br />

BRAGO) noch für die Ersten beiden Hauptverhandlungstage<br />

(§§ 83 Abs. 1, Abs. 2 BRAGO) veranlasst.<br />

Der Ansicht, die Geltendmachung der Höchstgebühr komme<br />

nur in Betracht, wenn alle in § 12 BRAGO genannten Kriterien<br />

überdurchschnittlich seien, schließt sich der Senat jedoch nicht an<br />

(vgl. OLG Bamberg JurBüro 1988, 11<strong>65</strong> f.; LG Berlin JurBüro<br />

1998, 25; vgl. auch KG, Beschl. v. 15.8.1997, 5 Ws 500/97), denn<br />

diese verkennt, dass es sich – wie sich aus der Einfügung des Wortes<br />

insbesondere in den Gesetzestext ergibt – bei den genannten<br />

Merkmalen lediglich um beispielhaft aufgezählte Faktoren handelt,<br />

die es in ihrer Gesamtheit abzuwägen gilt. So entspricht es der<br />

ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung, dass die Geltendmachung<br />

des Höchstbetrages auch dann als billig und angemessen<br />

angesehen werden kann, wenn nur eines der Bemessungsmerkmale<br />

das Durchschnittsmass nicht übersteigt (OLG München AnwBl<br />

1977, 171 f.; dass. AnwBl 1980, 469; KG JurBüro 1980, 1022 ff.;<br />

Gerold/Schmidt-Madert, aaO, § 12 Rdnr. 10). Erforderlich ist nach<br />

Ansicht des Senates aber, dass mehrere Bewertungsmerkmale überdurchschnittliches<br />

Gewicht aufweisen und diese dem Verfahren in<br />

seiner Gesamtheit ein außergewöhnliches Gepräge verleihen (vgl.<br />

auch KG JurBüro 1980, 1022 ff, 1025; Hansens, BRAGO, 8. Aufl.<br />

1995, § 12 Rdnr. 4).<br />

c) Dies ist vorliegend nicht der Fall. Zwar war das Verfahren<br />

für die Nebenkl, die noch heute an den Folgen des an ihr begangenen<br />

Verbrechens leidet, von erheblicher Bedeutung, auch wenn die<br />

Geltendmachung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche gegen<br />

den Angekl nicht im Raume stand. Bedingt durch die psychischen<br />

Folgen der Tat war die Vertreterin der Nebenkl sowohl im Vorverfahren<br />

als auch in der Hauptverhandlung zudem ein erheblicher<br />

zeitlicher Betreuungsaufwand für ihre Mandantin entstanden, den<br />

es im Rahmen der Gebührenbemessung auszugleichen gilt. Andererseits<br />

war die Sache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einfach<br />

gelagert. Da der Angekl geständig war, gilt es in der Hauptverhandlung<br />

nur zu entscheiden, ob er wegen versuchten Totschlags<br />

oder versuchten Mordes abzuurteilen ist (vgl. auch OLG<br />

Bamberg JurBüro 1978, 1506 f.). Auch die Einkommensverhältnisse<br />

der Nebenkl, die selbst Prozesskostenhilfe beantragt hat, wirken<br />

sich insgesamt gesehen mindernd aus.<br />

d) Bei Anwendung dieser Grundsätze entsprach die Geltendmachung<br />

der Höchstgebühren durch die Nebenklägervertreterin nicht<br />

die Billigkeit, weshalb die Rpflegerin eine eigene Gebührenbestimmung<br />

vornehmen durfte (OLG Düsseldorf AnwBl 1982, 262 f;<br />

dass. MDR 1971, 778). Zutreffend ist sie dabei von der jeweiligen<br />

Mittelgebühr ausgegangen, die sie wegen der besonderen Bedeutung<br />

einzelner Bewertungsmerkmale des § 12 BRAGO erhöht hat<br />

(Madert AnwBl 1994, 445; KG Beschl. v. 27.8.1998, 5 Ws 264/98).<br />

Soweit sie die Gebühr nach § 84 Abs. 1 BRAGO wegen der durch<br />

die Tat hervorgerufenen körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen<br />

und des hierdurch gestiegenen Betreuungsaufwandes und<br />

die Gebühr nach § 84 Abs. 2 BRAGO insbesondere wegen der<br />

Dauer des zweiten Hauptverhandlungstermins von etwa sieben<br />

Stunden auf jeweils 1.000 DM festgesetzt hat, gibt dies zu keiner<br />

Beanstandung Anlass. Für den ersten Sitzungstermin (§ 83 Abs. 1<br />

BRAGO) sieht der Senat jedoch in Abweichung von der Bestim-


AnwBl 2/2000 135<br />

Rechtsprechung l<br />

mung durch die Rpflegerin lediglich einen Betrag von 1.950 DM<br />

als angemessen an. Zwar wurde die Nebenkl an diesem Tage durch<br />

das Gericht als Zeugin vernommen, in Anbetracht des Geständnisses<br />

des Angekl kann der für die Vertreterin der Nebenkl mit der<br />

Vorbereitung verbundene Betreuungsaufwand jedoch nicht als derart<br />

aussergewöhnlich hoch angesehen werden, als dass er mit 2.200<br />

DM eine Gebühr knapp unter dem Höchstsatz des Gebührenrahmens<br />

rechtfertigen könnte. Der Senat hielt auch hier die Festsetzung<br />

eines ungefähr dem arithmetischen Mittel zwischen Höchstund<br />

Mittelgebühr entsprechenden Betrages für angezeigt.<br />

In diesem Umfang – zuzüglich der gesetzlichen Mehrwertsteuer<br />

– war der Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Mannheim<br />

vom 19.4.1999 daher zu Gunsten der Angekl abzuändern. Die übrigen<br />

von der Nebenklägervertreterin geltend gemachten Gebühren,<br />

Kosten und Auslagen, die, mit Ausnahme der Kopierkosten, die<br />

reduziert wurden, von der Rpflegerin entsprechend dem Kostenfestsetzungsantrag<br />

vom 29.12.1998 bewilligt wurden, entsprechend<br />

den gesetzlichen Vorschriften, weshalb der Beschwerde insoweit<br />

der Erfolg versagt bleiben musste.<br />

Mitgeteilt von dem 3. Strafsenat des OLG Karlsruhe<br />

BRAGO §§ 12, 83, 95; StPO § 46a Abs. 2; ZPO § 91 Abs. 2<br />

1. Der als Nebenkl zugelassene Rechtsanwalt, der sich selbst vertritt,<br />

kann die einem bevollmächtigten Rechtsanwalt zustehenden<br />

Gebühren und Auslagen erstattet verlangen.<br />

2. Zur Festsetzung einer unter der Mittelgebühr liegenden Gebühr<br />

in einem Verfahren wegen versuchten Mordes, in dem der<br />

Angekl von Anfang an geständig war.<br />

OLG Hamm, Beschl. v. 7.7.1999 – 2 Ws 179/99<br />

Aus den Gründen: II.2. Das Rechtsmittel hat (auch) in der<br />

Sache teilweise Erfolg.<br />

a) Zutreffend ist allerdings die Auffassung der Rpflegerin des<br />

LG, wonach die Nebenkl, die sich selbst vertreten hat, dafür die<br />

Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts erstattet verlangen<br />

kann. Gem. § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO gehören zu den notwendigen<br />

Auslagen eines Beteiligten auch die Gebühren und Auslagen eines<br />

Rechtsanwalts, soweit sie nach § 91 Abs. 2 ZPO erstattungsfähig<br />

sind. Nach § 91 Abs. 2 S. 4 ZPO sind dem Rechtsanwalt in eigener<br />

Sache die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren<br />

und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen<br />

könnte. Diese Vorschrift findet nach Auffassung des Senats<br />

über § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO auch für den (vorliegenden) Fall<br />

Anwendung, daß sich ein als Nebenkl zugelassener Rechtsanwalt<br />

selbst vertritt.<br />

Dies ist – soweit ersichtlich – in Rechtsprechung und Literatur<br />

heute weitgehend unbestritten (vgl. u. a. Kleinknecht/Meyer-Goßner,<br />

aaO, § 464a Rdnr. 14; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert,<br />

BRAO, 13. Aufl., § 1 Rdnr. 92; Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO,<br />

24. Aufl., § 464a StPO Rdnr. 48, jeweils m. w. N.). Etwas anderes<br />

folgt nicht aus dem Beschluß des BVerfG vom 28.11.1983 (2 BVR<br />

209/81, NJW 1984, 911). In dieser Entscheidung hat das BVerfG<br />

nämlich lediglich festgestellt, daß die Gegenmeinung, nach der der<br />

Rechtsanwalt, der als Nebenkl in eigener Sache auftritt, kostenrechtlich<br />

so zu behandeln sei wie der Rechtsanwalt, der Beschuldigter<br />

in einem Strafverfahren oder Betroffener in einem Bußgeldverfahren<br />

ist, er also keine Gebührenerstattung verlangen könne<br />

(vgl. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO, m. w. N.) nicht verfassungswidrig<br />

sei. Die Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit des<br />

§ 91 Abs. 2 S. 4 ZPO im Fall des § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO hat<br />

das BVerfG aber ausdrücklich offen gelassen. Mit dem Leiter des<br />

Dezernats 10 ist der Senat jedoch der Auffassung, daß der Rechtsanwalt,<br />

der sich als Nebenkl selbst vertritt, die Erstattung von Anwaltsgebühren<br />

verlangen kann. Die StPO läßt es grundsätzlich zu,<br />

daß sich ein Rechtsanwalt, der als Nebenkl zugelassen worden ist,<br />

selbst vertritt. Die Stellung des Beschuldigten bzw. die des Betroffenen<br />

mit der des Nebenkl im Strafverfahren nicht vergleichbar. Es<br />

ist daher kein Grund ersichtlich, warum der sich selbst vertretende<br />

Rechtsanwalt dann nicht die Erstattung von Gebühren und Auslagen<br />

verlangen können soll. Allein der Umstand, daß der Nebenkl<br />

nur neben der Staatsanwaltschaft sozusagen als deren „Gehilfe“<br />

tätig wird, rechtfertigt die Verneinung des Gebührenanspruchs<br />

jedenfalls nicht.<br />

b) Nach §§ 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO, 91 Abs. 2 ZPO hat der<br />

ehemalige Angekl der Nebenkl die Gebühren und Auslagen zu erstatten,<br />

die sie als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten<br />

Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte. Darunter sind bei den<br />

Rahmengebühren in Strafsachen, die Gebühren zu verstehen, die<br />

die Nebenkl nach §§ 95, 83 ff. BRAGO unter Zugrundelegung der<br />

Bemessungskriterien des § 12 Abs. 1 S. 1 BRAGO berechnen<br />

kann.<br />

Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO ist die von der Nebenkl<br />

vorgenommene Gebührenbestimmung, der sich die Rpflegerin angeschlossen<br />

hat, jedoch dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig<br />

ist. Wann eine Gebührenbestimmung unbillig ist, ist in Rechtsprechung<br />

und Literatur nicht allgemein festgelegt und braucht auch<br />

hier nicht abschließend entschieden zu werden. Denn nach übereinstimmender<br />

Meinung in Rechtsprechung und Literatur, der sich<br />

der Senat angeschlossen hat (vgl. Senat in StV 1998, 612 = JurBüro<br />

1998, 588 = AnwaltsGebührenSpezial 1998, 136), ist eine die<br />

als billig erscheinende Gebühr um zumindest mehr als 20% übersteigende<br />

Gebührenfestsetzung als unverbindlich anzusehen.<br />

Nach § 12 Abs. 1 S. 1 BRAGO bestimmt der Rechtsanwalt die<br />

Gebühr unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der<br />

Bedeutung der Angelegenheit und der Schwierigkeit der anwaltlichen<br />

Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse<br />

des Auftraggebers, vorliegend also der eigenen. Unter<br />

Berücksichtigung dieser Grundsätze erscheint die von der Nebenkl<br />

hier jeweils vorgenommene Bestimmung der Mittelgebühr nach<br />

den §§ 83 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, 95 BRAGO als unbillig. Die<br />

zu beachtenden Bemessungskriterien sind von der Nebenkl nämlich<br />

nicht angemessen berücksichtigt worden.<br />

Abzustellen ist zunächst auf die Bedeutung der Angelegenheit.<br />

Diese ist für die Nebenkl als Opfer eines Mordversuchs allerdings<br />

hoch. Nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils hat die<br />

Nebenkl einen Schock erlitten, unter dem sie offenbar auch heute<br />

noch leidet. Sie ist jedoch nicht körperlich verletzt worden. Insgesamt<br />

liegt daher nach Auffassung des Senats die Bedeutung der<br />

Sache auch insoweit (nur) im durchschnittlichen Bereich. Überdurchschnittlich<br />

sind hingegen die Vermögens- und Einkommensverhältnisse<br />

der Nebenkl, die als Rechtsanwältin tätig ist und in<br />

einem ihrem Vater gehörenden Mehrfamilienhaus eine Wohnung<br />

bewohnt, einzuordnen.<br />

Entsprechend der Stellungnahme des Leiters des Dezernats<br />

vom 9.6.1999 sind Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit<br />

als deutlich unterdurchschnittlich anzusehen. Im Vorverfahren<br />

ist die Nebenkl allein mit ihrem Schreiben vom 19.11.1997,<br />

mit dem sie ihre Zulassung beantragt hat, tätig geworden. Ihre Vernehmung<br />

als Zeugin am 3.11.1997 ist keine anwaltliche Tätigkeit<br />

und hat daher in diesem Zusammenhang außer Betracht zu bleiben.<br />

Auch die Tätigkeiten der Nebenkl im Hauptverfahren waren unterdurchschnittlich.<br />

Die Nebenkl hat nur ein weiteres kurzes Schreiben<br />

verfaßt, mit dem sie nochmals die Zulassung der Nebenklage<br />

beantragt hat, Akteneinsicht hat sie nicht erhalten. Die Nebenkl hat<br />

dann an den beiden Hauptverhandlungsterminen teilgenommen.<br />

Von denen hat der erste 5 Stunden 40 Minuten und der zweite<br />

knapp vier Stunden gedauert, was für ein Schwurgerichtsverfahren<br />

nicht über-, sondern eher unterdurchschnittlich lang ist. In diesen<br />

Terminen sind neben der Nebenkl fünf weitere Zeugen vernommen<br />

und zwei Sachverständige gehört worden. In ihrem Plädoyer hat<br />

sich die Nebenkl der Staatsanwalt angeschlossen.<br />

Auch die Schwierigkeit der Sache war unterdurchschnittlich.<br />

Der ehemalige Angekl war von Anfang an geständig, der angeklagte<br />

Sachverhalt war übersichtlich.<br />

Unter angemessener Berücksichtigung dieser Umstände erscheint<br />

dem Senat eine unter den jeweiligen Mittelgebühren liegende<br />

Gebühr angemessen und ausreichend. Dabei hat der Senat über<br />

die o. a. Kriterien hinaus auch noch berücksichtigt, daß der Gesetzgeber<br />

der in der Regel größeren Bedeutung von Schwurgerichtssachen<br />

allgemein bereits durch einen erheblich erhöhten Gebührenrahmen<br />

gegenüber sonstigen Strafsachen, die vor einer großen<br />

Strafkammer verhandelt werden, Rechnung getragen hat. Demgemäß<br />

erschien gem. §§ 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 Nr. 1, 95 BRAGO<br />

für das Vorverfahren eine Gebühr von 200 DM, für den ersten<br />

Hauptverhandlungstag gem. §§ 83 Abs. 1 Nr. 1, 95 BRAGO eine<br />

Gebühr von 1.000 DM und für den zweiten Hauptverhandlungstag


136<br />

l<br />

gem. §§ 83 Abs. 2 Nr. 2, 95 BRAGO eine Gebühr von 500 DM angemessen.<br />

Demgegenüber hat die Nebenkl – und ihr folgend die<br />

Rpflegerin des LG – jeweils die Mittelgebühr – nämlich 1.355 DM<br />

für den ersten Hauptverhandlungstag bzw. 720 DM für den zweiten<br />

Hauptverhandlungstag – als angemessen angesehen und festgesetzt.<br />

Da diese Gebühren die als angemessen angesehenen Gebühren um<br />

mehr als 20% überschreiten, sind sie unbillig und ist ihre Bestimmung<br />

durch die Nebenkl nicht bindend.<br />

III. Demgemäß ergibt sich folgende Abrechnung, zu der vorab<br />

auf folgendes hinzuweisen ist: Die Nebenkl hat zwar im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

die ihr nach den §§ 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 Nr. 1,<br />

95 BRAGO zustehende Vorverfahrensgebühr nicht geltend gemacht.<br />

Dies hindert jedoch, worauf der Leiter des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung<br />

zutreffend hinweist, nicht deren Festsetzung im<br />

Beschwerdeverfahren, da auch in diesem ein Austausch von Kostenpositionen<br />

noch erfolgen kann. Nach allgemeiner Meinung kann der<br />

Beschwerdeführer nicht die Herabsetzung einer erhöhten Gebühr<br />

verlangen, wenn sich die Festsetzung dieses Betrages aus anderen<br />

Gründen als zutreffend erweist (vgl. Eicken/Lappe/Madert, Kostenfestsetzung,<br />

17. Aufl., Anm. B 70 ff. und B 171).<br />

Folgende Gebühren waren daher festzusetzen:<br />

Vorverfahrensgebühr<br />

gem. §§ 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 Nr. 1, 95 BRAGO 200,– DM<br />

Gebühr gem. §§ 83 Abs. 1 Nr. 1, 95 BRAGO 1.000,– DM<br />

Gebühr gem. §§ 83 Abs. 2 Nr. 1, 95 BRAGO 500,– DM<br />

Gebühr gem. § 26 S. 2 BRAGO 30,– DM<br />

Umsatzsteuer gem. § 25 Abs. 2 BRAGO<br />

in Höhe von 15% 259,50 DM<br />

insgesamt also 1.989,50 DM<br />

Dieser Betrag ist entgegen dem landgerichtlichen Beschluß<br />

nicht zu verzinsen. § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO setzt einen (Verzinsungs-)<br />

Antrag voraus, dieser liegt jedoch nicht vor.<br />

Mitgeteilt von Richter am OLG Detlef Burhoff, Ascheberg<br />

BRAGO § 52 Abs. 1<br />

Umfangreicher neuer Sach- und Streitstoff rechtfertigt die Zuerkennung<br />

der Verkehrsanwaltsgebühr im Berufungsrechtszug.<br />

(LS der Redaktion)<br />

OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 28.4.1999 – 25 W 29/99<br />

Aus den Gründen: Die Auffassungen darüber, unter welchen<br />

Voraussetzungen die Kosten für einen Verkehrsanwalt oder für eine<br />

Informationsreise der Partei zur Kanzlei ihres Prozeßbevollmächtigten<br />

im Berufungsrechtszug als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung<br />

oder Rechtsverteidigung notwendig (vgl. § 91 Abs. 1<br />

ZPO) angesehen werden können, sind geteilt (vgl. zum Meinungsstand<br />

z. B. Zöller-Herget, ZPO, 21. Aufl., § 91 Rdnr. 13, Stichwort<br />

„Verkehrsanwalt“, Anm. 2 „Rechtsmittelverfahren“; Baumbach-<br />

Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 56. Aufl., § 91 Rdnr. 216, 229<br />

f. und 242 – jeweils m. w. N. –). Der Senat hat insoweit keine Bedenken<br />

gegen die wohl als herrschend zu bezeichnende und auch<br />

in dem angefochtenen Beschluß vertretene Auffassung, daß an die<br />

Erstattungsfähigkeit solcher Kosten im Berufungsrechtszug in der<br />

Regel strengere Anforderungen zu stellen sind als in der ersten<br />

Tatsacheninstanz (vgl. z. B. OLG Düsseldorf, MDR 1985, 774;<br />

OLG Koblenz VersR 1987, 1225 und 1988, 839; OLG München<br />

MDR 1992, 308). Diese Auffassung rechtfertigt sich aus der Überlegung,<br />

daß durch das gerichtliche Verfahren im ersten Rechtszug<br />

und das ergangene Urteil der rechtlich zu würdigende Sachverhalt<br />

häufig bereits so weitgehend geklärt ist, daß sich der Prozeßbevollmächtigte<br />

im Berufungsrechtszug davon auch ohne weitergehende<br />

Unterrichtung durch die Partei ein ausreichendes Bild<br />

machen kann, zumal wenn – wie es hier bei den Kl der Fall war –<br />

die Vertretung in beiden Instanzen durch dieselbe Anwaltskanzlei<br />

erfolgt (vgl. OLG München, aaO).<br />

Indes ist, was auch in dem angefochtenen Beschluß nicht verkannt<br />

wurde, eine schematische Beurteilung zu vermeiden, weil<br />

sich die Frage der Notwendigkeit der Einschaltung eines Verkehrsanwalts<br />

bzw. einer Informationsreise der Partei zu ihrem Prozeßbevollmächtigten<br />

im Berufungsrechtszug nur unter Berücksichtigung<br />

der Umstände des einzelnen Falles beantworten läßt. Die Erstat-<br />

AnwBl 2/2000<br />

Rechtsprechung<br />

tungsfähigkeit solchermaßen aufgewendeter Kosten kann daher<br />

auch im Berufungsrechtszug jedenfalls dann zu bejahen sein, wenn<br />

es sich um einen Rechtsstreit handelt, der aufgrund besonderer<br />

Umstände nicht dem oben angesprochenen Regelfall entspricht,<br />

zum Beispiel weil sich durch neues Sachvorbringen im Berufungsrechtszug<br />

die tatsächliche Grundlage des Rechtsstreits wesentlich<br />

ändert (vgl. z. B. OLG München, aaO). Auch dies ist zwar in dem<br />

angefochtenen Beschluß nicht verkannt worden, jedoch wurde das<br />

Vorliegen solcher besonderen Umstände zu Unrecht verneint.<br />

Allerdings ist es zutreffend, daß es im Berufungsrechtszug im<br />

wesentlichen um eine schon in der ersten Instanz zwischen den Parteien<br />

streitig erörterte Frage ging, nämlich darum, ob und inwieweit<br />

bei der Ermittlung des Nachlaßwerts ein der Bekl vom Erblasser zu<br />

Lebzeiten eingeräumtes Wohnrecht an dem zum Nachlaß gehörenden<br />

Hausgrundstück zu berücksichtigen sei. Mit ihrer Berufung bekämpfte<br />

die Bekl die im Urteil des LG vertretene Auffassung, das<br />

Wohnrecht mindere den Wert des Nachlasses nicht, weil es zu Lebzeiten<br />

des Erblassers – wegen eines Widerrufsrechts – nur eine<br />

„rechtliche Hülle ohne Wert“ dargestellt habe und der Bekl erst mit<br />

dem Tod des Erblassers unentgeltlich zugewandt worden sei. Zur<br />

Begründung ihrer gegenteiligen Ansicht hat die Bekl in ihrer Berufungsbegründung<br />

indes in erheblichem Umfang neuen Tatsachenvortrag<br />

in den Prozeß eingeführt, der vor allem die Gestaltung ihrer Lebensgemeinschaft<br />

mit dem Erblasser – insbesondere auch in<br />

finanzieller Hinsicht – betraf und darauf abzielte, daß die Einräumung<br />

des Wohnrechts nicht als unentgeltliche Zuwendung, sondern<br />

als Gegenleistung des Erblassers für Aufwendungen der Bekl zu<br />

charakterisieren sei, und daß das Wohnrecht absprachegemäß nur für<br />

den Fall einer Abwendung der Bekl vom Erblasser widerruflich<br />

habe sein sollen. In Zusammenhang mit ihrem gegenüber der ersten<br />

Instanz in wesentlichen Teilen neuen Tatsachenvortrag hat die Bekl<br />

auch neue Beweismittel in den Rechtsstreit eingeführt.<br />

Bei dieser Sachlage konnte es den Kl nicht verwehrt werden,<br />

den Inhalt der Berufungsbegründung, namentlich im Hinblick auf<br />

die neu aufgestellten Tatsachenbehauptungen, mit einem Rechtsanwalt<br />

ihres Vertrauens im einzelnen durchzugehen und zu erörtern,<br />

sowie den Anwalt über ihren diesbezüglichen Kenntnisstand<br />

unmittelbar ins Bild zu setzen. Der – neue – Streitstoff war von erheblichem<br />

Umfang und nicht so überschaubar und unkompliziert,<br />

als daß die Kl sich darauf verweisen lassen müßten, sie hätten –<br />

wie die Bekl ohne nähere Begründung einwendet – mit ihrem Prozeßbevollmächtigten<br />

auf schriftlichem Wege kommunizieren können.<br />

Insbesondere kann den Kl entgegen der Auffassung der Bekl<br />

angesichts der wesentlichen Erweiterung des tatsächlichen Streitstoffs<br />

im Berufungsrechtszug nicht entgegengehalten werden, der<br />

Sach- und Streitstand sei durch das erstinstanzliche Verfahren „bereits<br />

aufgearbeitet“ gewesen. Danach ist hier aufgrund der besonderen<br />

Umstände des Einzelfalles davon auszugehen, daß es für die<br />

Kl zur zweckentsprechenden Verteidigung gegen die Berufung der<br />

Bekl erforderlich war, ein Informationsgespräch mit ihrem Anwalt<br />

zu führen, zumal die Berufung den überwiegenden Teil (jeweils<br />

rund 27.500 DM) der ihnen im ersten Rechtszug zuerkannten<br />

Pflichtteilsansprüche zum Gegenstand hatte.<br />

Danach sind aber hier auch die geltend gemachten Kosten für<br />

einen Verkehrsanwalt erstattungsfähig. Denn wegen der weiten<br />

Entfernung von bzw. zur Kanzlei ihres am Sitz des Berufungsgerichts<br />

in ansässigen Prozeßbevollmächtigten war den Kl eine<br />

Informationsreise zum Prozeßbevollmächtigten nicht zuzumuten.<br />

Da somit die geltend gemachten Verkehrsanwaltsgebühren im<br />

noch streitigen Umfang zu Unrecht als nicht erstattungsfähig abgesetzt<br />

worden sind, war der angefochtene Beschluß aufzuheben. Es<br />

erscheint dem Senat untunlich, die erforderliche korrigierte Kostenausgleichung<br />

selbst vornehmen, weshalb die erforderliche Anordnung<br />

der Rechtspflegerin beim LG übertragen wird (§ 575 ZPO). ...<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Björn Demuth, Stuttgart<br />

Anmerkung:<br />

Das OLG Frankfurt hatte sich mit der immer wieder streitigen<br />

Frage zu befassen, wann Verkehrsanwaltsgebühren im Berufungsverfahren<br />

notwendige Aufwendungen i. S. d. §§ 91 ff. ZPO sind.<br />

Das OLG hat sich in der Entscheidung zunächst der wohl herrschenden<br />

Auffassung angeschlossen, daß an eine Erstattungsfähigkeit<br />

von Verkehrsanwaltsgebühren im Berufungsrechtszug strengere


AnwBl 2/2000 137<br />

Rechtsprechung l<br />

Anforderungen als an die Erstattungfähigkeit in 1. Instanz zu stellen<br />

sind, weil durch die Entscheidung in erster Instanz der Sachverhalt<br />

bereits so weitgehend geklärt sei, daß sich der Prozeßbevollmächtigte<br />

zweiter Instanz grundsätzlich ohne weitergehende<br />

Unterrichtung der Parteien ein ausreichendes Bild über den Streitstoff<br />

machen könne. Eine pauschale Würdigung sei jedoch nicht<br />

angezeigt. Vielmehr müßten jeweils die Umstände des Einzelfalls<br />

Berücksichtigung finden. Bei jeder Abweichung von dem genannten<br />

Regelfall käme deshalb eine Erstattungsmöglichkeit in Betracht,<br />

insbesondere, wenn im Berufungsrechtszug neuer Sachvortrag<br />

zu einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Grundlage<br />

des Rechtsstreits führe. Zur Präzisierung führt das OLG aus: Es<br />

komme weniger darauf an, ob in erster Instanz schon zwischen den<br />

Parteien Fragen streitig erörtert wurden (vorliegend die Ermittlung<br />

eines Nachlaßwertes). Ausreichend sei, wenn sich die Argumentation<br />

in wesentlichen Teilen auf neue Tatsachen und sogar auch auf<br />

neue Beweise stützen würde, dann sei die Verkehrsanwaltsgebühr<br />

erstattungsfähig.<br />

Das OLG erweitert und präzisiert damit die bisher doch viel zu<br />

engen und unklaren Grundsätze der Rechtsprechung, wann eine<br />

Verkehrsanwaltsgebühr als notwendig anzusehen ist.<br />

Den Beschwerdewert ermittelt das OLG Frankfurt zutreffend<br />

aus der Höhe der nicht berücksichtigten Verkehrsanwaltsgebühren<br />

gemindert um den nicht erstattungsfähigen Anteil gem. der Kostenquote.<br />

Die Entscheidung des OLG Frankfurt hat insofern wesentliche<br />

Bedeutung, als sie präzisiert, unter welchen Voraussetzungen Verkehrsanwaltsgebühren<br />

auch im Berufungsverfahren erstattungsfähig<br />

sind und welches die Voraussetzungen für eine wesentliche Änderung<br />

der tatsächlichen Grundlagen des Rechtsstreits sind. Die<br />

Entscheidung erweitert dadurch die Erstattungsmöglichkeiten und<br />

unterstützt somit die gerichtsortsfremde Partei, die bereits wegen<br />

der örtlichen Distanz zum Prozeßgericht vor zusätzliche Probleme<br />

gestellt ist und insbesondere die damit verbundene höhere Kostenlast<br />

zu tragen hat. Der Entscheidung kommt auch unter dem Gesichtspunkt<br />

der „Waffengleichheit“ besondere Bedeutung zu und<br />

ist sehr zu begrüßen.<br />

Rechtsanwalt Dr. Björn Demuth, Stuttgart<br />

BRAGO § 114 Abs. 7;VwGO § 164<br />

Ein Verfahren, das auf Aussetzung der Abschiebung (Duldung)<br />

gerichtet ist, ist ein Verfahren über einen Akt der Zwangsvollstreckung<br />

i. S. d. § 114 Abs. 7 BRAGO, so daß der Rechtsanwalt<br />

hierfür lediglich drei Zehntel der in § 31 BRAGO bestimmten<br />

Gebühr erhält (im Anschluß an VGH Bad.-Württ., Beschl. v.<br />

19.12.1995 – 13 S 3199/94 –,VBlBW 1996, 152; a. A. OVG Berlin,<br />

Beschl.v. 7.7.1998 – 7 K 26/98 –, NVwZ 1998, 992).<br />

VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 12.1.1999 – 9 S 3097/98<br />

Aus den Gründen: Die Beschwerde ist nicht durch § 80<br />

AsylVfG ausgeschlossen (vgl. Senat, Beschl. v. 14.8.1998 – 9 S<br />

1552/98 –, VBlBW 1999, 33), ohne Zulassung statthaft und auch<br />

sonst zulässig. Sie ist indes nicht begründet. Der Urkundsbeamte<br />

der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts hat die zu erstattenden<br />

Kosten auf 192,51 DM festgesetzt, der Einzelrichter des Verwaltungsgerichts<br />

die hiergegen gerichtete Erinnerung der Antragstellerinnen<br />

zurückgewiesen. Beides läßt sich nicht beanstanden.<br />

1. Dem Prozeßbevollmächtigten stehen lediglich drei Zehntel<br />

der in § 31 BRAGO bestimmten Gebühren zu. Das ergibt sich aus<br />

§ 114 Abs. 7 BRAGO. Gegen die Anwendung dieser Vorschrift<br />

wenden sich die Antragstellerinnen ohne Erfolg. Dem Kostenfestsetzungsgesuch<br />

liegt ein Verfahren über einen Akt der Zwangsvollstreckung<br />

(des Verwaltungszwangs) zugrunde. Die Antragstellerinnen<br />

haben nämlich beim Verwaltungsgericht beantragt, dem<br />

Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu<br />

untersagen, sie in ihren Heimatstaat abzuschieben. Die Abschiebung<br />

aber ist ein Akt der Verwaltungsvollstreckung, mit dem die<br />

gesetzliche Ausreisepflicht des Ausländers vollzogen wird (vgl.<br />

§ 42 Abs. 1, § 49 Abs. 1 AuslG). Demzufolge hält sich auch das<br />

Begehren, die Abschiebung zeitweise auszusetzen (§ 55 Abs. 1<br />

AuslG), im gegenständlichen Rahmen der Verwaltungsvollstrekkung.<br />

Es ist – sofern es den alleinigen Gegenstand des Rechtsstreits<br />

darstellt – nicht mit einer vollen Gebühr, sondern lediglich mit<br />

einer 3/10-Gebühr abzugelten (ebenso Hutschenreuther-von Emden,<br />

NVwZ 1998, 714 m. w. N.; vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v.<br />

19.12.1995 – 13 S 3199/94 –, VBlBW 1996, 152, und vom<br />

22.9.1998 – 11 S 1469/98 –; a. A. OVG Berlin, Beschl. v.<br />

7.7.1998 – 7 K 26/98 –, NVwZ 1998, 992).<br />

Hiergegen läßt sich nicht einwenden, § 114 Abs. 7 BRAGO<br />

gelte nur für Verfahren über Akte der Verwaltungsvollstreckung,<br />

die dem Vollzug einer Grundverfügung dienten, nicht aber bei Vollzug<br />

unmittelbar gesetzlicher Pflichten wie der Ausreisepflicht. Für<br />

die angesprochene Unterscheidung bietet § 114 Abs. 7 BRAGO<br />

keinen Anhaltspunkt. Es trifft auch nicht zu, daß der typische Aufwand<br />

im Vollstreckungsverfahren geringer wäre – und so die geringere<br />

Gebühr rechtfertige –, wenn der Verwaltungszwang sich auf<br />

den Vollzug einer Grundverfügung richtet. Davon könnte allenfalls<br />

dann die Rede sein, wenn bereits die Grundverfügung Gegenstand<br />

einer gerichtlichen Überprüfung gewesen ist. Wo dies nicht der<br />

Fall war, kann deren Rechtmäßigkeit durchaus auch – incidenter –<br />

im Verfahren über Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung zu<br />

prüfen sein, ohne daß deshalb der Anwendungsbereich von § 114<br />

Abs. 7 BRAGO verlassen würde. Im übrigen gehen Abschiebungen<br />

zwar nicht immer, wohl aber in aller Regel auf „Grundverfügungen“<br />

gerichtete Verfahren voraus, seien dies ausländerrechtliche<br />

Verfahren um eine Aufenthaltsgenehmigung, seien es Asylverfahren<br />

aufgrund eines Asylantrags (§ 13 AsylVfG).<br />

Gegen die Anwendbarkeit von § 114 Abs. 7 BRAGO läßt sich<br />

ferner nicht einwenden, Gegenstand des Verfahrens sei eigentlich<br />

die Verpflichtung der Behörde zur Erteilung einer Duldung, was<br />

den Sachbereich der Verwaltungsvollstreckung überschreite. Zum<br />

einen hat sich der Rechtsschutzantrag der Antragstellerinnen im<br />

vorliegenden Verfahren ausdrücklich nicht auf die Erteilung von<br />

Duldungen, sondern auf eine vorläufige Untersagung der befürchteten<br />

Abschiebung gerichtet. Zum anderen würde auch bei anderer<br />

Antragsfassung der Sachbereich der Verwaltungsvollstreckung<br />

nicht verlassen. Denn die Duldung ist nichts anderes als die Kehrseite<br />

einer Aussetzung der Abschiebung; sie wird nur erteilt, wenn<br />

der Abschiebung Hindernisse entgegenstehen (vgl. § 55 Abs. 2<br />

und 3 AuslG), und widerrufen, wenn diese entfallen (§ 56 Abs. 5<br />

AuslG). Sie stellt insbesondere keinen besonderen Aufenthaltstitel<br />

dar; der geduldete Ausländer bleibt vielmehr ausreisepflichtig<br />

(§ 56 Abs. 1 AuslG). Die Duldung erweist sich damit als ein besonderes<br />

Rechtsinstitut der ausländerrechtlichen Verwaltungsvollstreckung.<br />

Zwar hat der Gesetzgeber die Duldung in gewisser Weise<br />

formalisiert und gesichert (§ 56 AuslG). Dies geschah jedoch<br />

vornehmlich aus sozial- und arbeitsrechtlichen Gründen, ohne daß<br />

hierdurch für das Ausländerrecht der vollstreckungsrechtliche Kontext<br />

verlassen würde.<br />

Schließlich läßt sich auch nicht einwenden, ein auf Aussetzung<br />

der drohenden Abschiebung gerichtetes Verfahren verursache für<br />

den Rechtsanwalt typischerweise einen größeren Arbeitsaufwand<br />

als ein Verfahren über Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung<br />

in anderen Rechtsgebieten. Das mag zwar zutreffen; doch kann es<br />

allenfalls den Gesetzgeber dazu veranlassen, die – schmale – Vergütung<br />

nach § 114 Abs. 7 BRAGO im Wege der Gesetzesänderung<br />

anzuheben. Dem Gericht ist eine solche Gesetzeskorrektur verwehrt.<br />

Dies umso mehr, als eine Anhebung der 3/10-Gebühr nicht<br />

notwendig sogleich auf eine 10/10-Gebühr erfolgen müßte; vielmehr<br />

erschiene auch eine Anhebung auf eine 5/10-Gebühr als systemgerecht<br />

(vgl. § 50 BRAGO für Verfahren über Anträge auf<br />

Verlängerung einer Räumungsfrist bei Wohnraum nach § 721,<br />

§ 794a ZPO). ...<br />

Mitgeteilt von Richter am VGH Dr. Rennert, Mannheim<br />

BRAGO § 114 Abs. 7<br />

Verwaltungsgerichtliche Verfahren, in denen isoliert um eine Aussetzung<br />

der Abschiebung nach den §§ 53, 54 AuslG und die Erteilung<br />

einer entsprechenden Duldung gestritten wird, sind vom<br />

Anwendungsbereich des § 114 Abs. 7 S. 1 BRAGO ausgenommen.<br />

OVG Bremen, Beschl. v. 8.12.1998 – 1 BB 469/98<br />

Aus den Gründen: II. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.<br />

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, daß<br />

der Prozeßbevollmächtigte der Antragstellerinnen für das gerichtliche<br />

Abschiebungsschutzverfahren einen Anspruch auf Erstattung


138<br />

l<br />

der vollen Gebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO hat. § 114<br />

Abs. 7 S. 1 BRAGO findet keine Anwendung.<br />

Gem. § 114 Abs. 7 S. 1 BRAGO (in der Fassung des Gesetzes<br />

vom 18.6.1997, BGBl. I S. 1430 [<strong>144</strong>3], zuvor § 114 Abs. 6 S. 1<br />

BRAGO) erhält der Rechtsanwalt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren<br />

über einen Akt der Zwangsvollstreckung (des Verwaltungszwangs)<br />

3/10 der in § 31 bestimmten Gebühr. Die Vorschrift<br />

betrifft Verfahren, die isoliert die Rechtmäßigkeit einzelner Maßnahmen<br />

der Verwaltungsvollstreckung zum Gegenstand haben, in<br />

denen also die sachlichen Voraussetzungen für die Anwendung des<br />

Verwaltungszwangs nicht zur Überprüfung stehen. Die Reduzierung<br />

der anwaltlichen Gebühren findet in diesen Fällen ihre Rechtfertigung<br />

darin, daß der Umfang der rechtlichen Prüfung und der<br />

Tätigkeit des Rechtsanwalts regelmäßig – wenn auch nicht notgedrungen<br />

– geringer ist als in einer Streitigkeit, die die materiellen<br />

Voraussetzungen des Verwaltungszwangs betrifft (vgl. zur Gesetzesbegründung<br />

BT-Drucks. 2/2545, S. 269 zu § 112 BRAGO a. F.).<br />

Leitbild des Gesetzgebers war das in den Verwaltungsvollstrekkungsgesetzen<br />

des Bundes und der Länder näher ausgeformte Vollstreckungsverfahren<br />

mit der Grundverfügung einerseits (vgl. § 6<br />

Abs. 1 VwVG) und den Maßnahmen der Vollstreckung andererseits<br />

(vgl. § 9 ff. VwVG).<br />

Das Ausländergesetz enthält eigene vollstreckungsrechtliche<br />

Vorschriften (§ 49 ff. AuslG), die dadurch gekennzeichnet sind, daß<br />

sie in einer für das allgemeine Verwaltungsvollstreckungsrecht<br />

nicht bekannten Weise materiell-rechtliche Fragestellungen einbeziehen.<br />

Das betrifft insbesondere die Prüfung zielstaatsbezogener<br />

Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG. Die Prüfung steht häufig<br />

hinsichtlich ihres inhaltlichen Niveaus der Prüfung von Asylgründen<br />

nicht nach; nicht umsonst sieht § 31 Abs. 3 AsylVfG vor,<br />

daß bei Ausländern, die einen Asylantrag gestellt haben, das Bundesamt<br />

für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die entsprechende<br />

Prüfung vorzunehmen hat. Materiell-rechtliche Fragestellungen<br />

sind aber auch einzubeziehen, wenn der Ausländer sich<br />

etwa auf eine Anordnung der obersten Landesbehörde nach § 54<br />

AuslG beruft. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist vorgesehen, daß,<br />

solange die Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen<br />

unmöglich ist oder aufgrund einer Anordnung der obersten<br />

Landesbehörde ausgesetzt worden werden soll, eine Duldung zu erteilen<br />

ist (§ 55 Abs. 2 AuslG). Bei der Duldung handelt es sich um<br />

ein Rechtsinstitut, an das in verschiedener Hinsicht Rechtsfolgen<br />

geknüpft sind (vgl. § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG: Wegfall der Strafbarkeit<br />

des Aufenthalts; §§ 30 Abs. 3, 35 Abs. 1 S. 3 AuslG: Grundlage<br />

für Aufenthaltsgenehmigung; § 9 Abs. 2 DVAuslG: Voraussetzung<br />

für Aufenthaltsgenehmigung nach Einreise).<br />

Die genannten Regelungen verdeutlichen, daß die vollstrekkungsrechtlichen<br />

Vorschriften des Ausländergesetzes sich in wesentlichen<br />

Punkten vom allgemeinen Verwaltungsvollstreckungsrecht<br />

gelöst haben. Die auf das allgemeine Verwaltungsvollstrekkungsrecht<br />

zugeschnittene Gebührenregelung in § 114 Abs. 7 S. 1<br />

BRAGO kann wegen dieser inhaltlichen und verfahrensrechtlichen<br />

Besonderheiten, die den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften des<br />

Ausländergesetzes ein eigenes Gesicht verleihen, nur eingeschränkt<br />

Anwendung finden.<br />

Der vorliegende Sachverhalt belegt das. Den Antragstellerinnen<br />

sind seit Oktober 1993 im Hinblick auf die Bürgerkriegsverhältnisse<br />

und die ethnischen Spannungen in ihrer Heimat Duldungen<br />

erteilt worden. Nachdem die Antragsgegnerin zu einer Verlängerung<br />

der Duldung nicht bereit war und eine Abschiebungsandrohung<br />

erlassen hatte, haben die Antragstellerinnen vor dem Verwaltungsgericht<br />

Rechtsschutz nachgesucht. Ein gesondertes Verfahren,<br />

in dem – wie bei einer Grundverfügung – die sachlichen Voraussetzungen<br />

für die Anwendung von Verwaltungszwang geprüft worden<br />

wären, existiert in einem solchen Fall nicht. Vielmehr konzentrieren<br />

sämtliche inhaltlichen Fragen sich auf das Abschiebungsschutzverfahren.<br />

Eine Anwendung von § 114 Abs. 7 S. 1 BRAGO<br />

widerspräche unter diesen Umständen dem objektiven Zweck des<br />

Gesetzes. Verwaltungsgerichtliche Verfahren, in denen isoliert um<br />

eine Aussetzung der Abschiebung nach §§ 53, 54 AuslG und die<br />

Erteilung einer entsprechenden Duldung gestritten wird, sind deshalb<br />

vom Anwendungsbereich des § 114 Abs. 7 S. 1 BRAGO auszunehmen<br />

(im Ergebnis ebenso OVG Berlin, B. v. 7.7.1998, NVwZ<br />

1998, S. 292; anderer Ansicht: Hutschenreuther-v. Emden, NwVZ<br />

1998, S. 714).<br />

AnwBl 2/2000<br />

Rechtsprechung<br />

Ob dies auch dann gilt, wenn das Duldungsbegehren nicht auf<br />

die Verhältnisse im Heimatstaat, sondern auf persönliche, im Inland<br />

begründete Umstände des Ausländers gestützt wird, kann<br />

dahinstehen. Es mag sein, daß die vorstehende Einschränkung<br />

dann nicht zum Zuge kommt, wenn die Grundverpflichtung zur<br />

Ausreise außer Frage steht und lediglich zur Abwendung individueller<br />

Härten ein zeitweiliger Aufschub der Abschiebung erstrebt<br />

wird. Die Verfahrenskonstellation weist in diesen Fällen eine größere<br />

Nähe zu dem gesetzlichen Leitbild einer Verwaltungsvollstreckung<br />

auf, das § 114 Abs. 7 S. 1 BRAGO zugrunde liegt. Einer<br />

abschließenden Klärung bedarf diese Frage hier indes nicht.<br />

Mitgeteilt von dem Veröffentlichungsreferenten des OVG Bremen<br />

BRAGO § 114 Abs. 7, § 31<br />

Für ein Verfahren, das auf Aussetzung der Abschiebung (Duldung)<br />

gerichtet ist, erhält der Rechtsanwalt des Antragstellers<br />

drei Zehntel der in § 31 BRAGO bestimmten Gebühren, weil die<br />

Entscheidung über eine ausländerrechtliche Duldung ein Akt<br />

der Zwangsvollstreckung i. S. d. § 114 Abs. 7 BRAGO ist (wie<br />

VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.1.1999 – 9 S 3097/98 –, VBlBW<br />

1999, 190 f., im Anschluß an den Senatsbeschl.v. 19.12.1995 – 13<br />

S 3199/94 –,VBlBW 1996, 152; a. A. OVG Berlin, Beschl.v. 7.7.1998<br />

– 7 K 26/98 –, NVwZ 1998, 992 und Bay.VGH, Beschl. v.<br />

26.10.1998 – 10 C 98.1971 –, NVwZ-Beilage 11999, 12).<br />

VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 3.5.1999 – 13 S 2427/98<br />

Aus den Gründen: Die nach § 146 Abs. 1 VwGO zulässige Beschwerde<br />

der Antragsteller gegen die Kostenfestsetzung ist nicht<br />

begründet. Zu Recht haben der Kostenfestsetzungsbeamte durch<br />

Kostenfestsetzungsbeschl. v. 10.6.1998 die zu erstattenden Kosten<br />

auf 322,25 DM festgesetzt und das Verwaltungsgericht durch<br />

Beschl. v. 23.7.1998 die Erinnerung gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluß<br />

zurückgewiesen.<br />

Die Höhe der Gebühr, die den Prozeßbevollmächtigten der Antragsteller<br />

zusteht, richtet sich entgegen ihrer Auffassung nach<br />

§ 114 Abs. 7 BRAGO. Danach erhält der Rechtsanwalt „im gerichtlichen<br />

Verfahren über einen Akt der Zwangsvollstreckung<br />

(des Verwaltungszwangs) drei Zehntel der in § 31 bestimmten Gebühren“<br />

(§ 114 Abs. 7 S. 1 BRAGO). Diese Regelung greift ihrem<br />

Wortlaut und Zweck nach nur dann ein, wenn es sich bei dem<br />

Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens um einen „Akt der<br />

Zwangsvollstreckung“ handelt und vom Gericht nicht die Rechtmäßigkeit<br />

des Grundverwaltungsaktes überprüft wird. Denn dies<br />

rechtfertigt eine Reduzierung der Gebühr auf drei Zehntel. Ist dagegen<br />

Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens neben<br />

dem Vollstreckungsakt auch der (kraft Gesetzes oder behördlicher<br />

Anordnung sofort vollziehbare) Grundverwaltungsakt, so ist § 114<br />

Abs. 7 BRAGO nicht anwendbar (siehe hierzu im einzelnen den<br />

Senatsbeschl. v. 19.12.1995, VBlBW 1996, 152, 153 m. w. N.).<br />

Hieraus folgt zunächst, daß § 114 Abs. 7 S. 1 BRAGO auch<br />

dann anzuwenden ist, wenn das gerichtliche Verfahren (sei es ein<br />

Eil- oder Klageverfahren) eine Abschiebungsandrohung zum Gegenstand<br />

hat (Senatsbeschl. v. 19.12.1995, VBlBW 1996, 152 und<br />

vom 3.5.1999 – 13 S 2529/98 –; ferner die Beschlüsse des VGH<br />

Bad.-Württ. vom 12.2.1996, NVwZ-RR 1997, 261 und vom<br />

22.9.1998 – 11 S 1469/98 –, NVwZ-Beilage 1 1999, 13; Hutschenreuther-von<br />

Emden, NVwZ 1998, 714, 715). Denn bei der Abschiebungsandrohung<br />

und auch bei der nachfolgenden Abschiebung<br />

handelt es sich um Akte des für das Ausländerrecht<br />

spezifischen Verwaltungszwangs und damit um Vollstreckungsakte.<br />

Im vorliegenden Verfahren haben die Antragsteller im Wege der<br />

einstweiligen Anordnung das Absehen von aufenthaltsbeendenden<br />

Maßnahmen beantragt. Gegenstand des Verfahrens waren damit ausländerrechtliche<br />

Duldungen. Auch wenn der Prozeß eine ausländerrechtliche<br />

Duldung zum Gegenstand hat, ist § 114 Abs. 7 S. 1<br />

BRAGO anzuwenden, so daß der Rechtsanwalt hierfür lediglich drei<br />

Zehntel der in § 31 BRAGO bestimmten Gebühr erhält (VGH Bad.-<br />

Württ., Beschl. v. 19.1.1999 – 9 S 3097/98 –; VBlBW 1999, 190 f.;<br />

Verwaltungsgericht Sigmaringen, Beschl. v. 12.5.1997 – A 8 K<br />

20310/96 –; Hutschenreuther-von Emden, NVwZ 1998, 714, 715;<br />

a. A. OVG Berlin, Beschl. v. 7.7.1998, NVwZ 1998, 992 und<br />

Bay.VGH, Beschl. v. 26.10.1998, NVwZ-Beilage I 1999, 12). Die<br />

Duldung ist nach ihrer Legaldefinition in § 55 Abs. 1 AuslG die


AnwBl 2/2000 139<br />

Rechtsprechung l<br />

zeitweise Aussetzung der Abschiebung. Weil die Abschiebung selbst<br />

ihrer Rechtsnatur nach eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung<br />

ist(Hailbronner,AuslR,§49AuslGRdnr.2m.w.N.),istauchdie<br />

zeitweise Aussetzung der Abschiebung eine vollstreckungsrechtliche<br />

Maßnahme. Hierfür spricht auch die Gesetzessystematik, welche die<br />

Duldung im vierten Abschnitt des Ausländergesetzes „Beendigung des<br />

Aufenthalts“ unter der Überschrift „2. Durchsetzung der Ausreisepflicht“<br />

regelt. Dementsprechend bleibt die Ausreisepflicht eines geduldeten<br />

Ausländers unberührt (§ 56 Abs. 1 AuslG) und erlischt die<br />

Duldung mit der Ausreise des Ausländers (§ 56 Abs. 4 AuslG). Dies<br />

belegen auch der Normzweck und die Entstehungsgeschichte. Das<br />

Rechtsinstitut der Duldung soll dem Umstand Rechnung tragen, daß<br />

die Ausreisepflicht eines Ausländers nicht in allen Fällen ohne Verzögerung<br />

durchgesetzt werden kann. Um die Funktion der Duldung als<br />

Aufenthaltstitel für Fälle faktischer Aufenthaltsgewährung zu beseitigen<br />

(so die weit verbreitete Praxis zu § 13 Abs. 1 AuslG 19<strong>65</strong>), wurde<br />

die Erteilung einer Duldung an die tatbestandlichen Voraussetzungen<br />

eines gesetzlich normierten Duldungsgrundes geknüpft. Dadurch soll<br />

die Erfüllung der gesetzlichen Abschiebepflicht besser gewährleistet<br />

werden. Der Gesetzgeber wollte die Duldung mithin auf ihre eigentliche<br />

vollstreckungsrechtliche Funktion zurückführen (BVerwG, Urt. v.<br />

25.9.1997, NVwZ 1998, 297, 298 m. w. N.; Hailbronner, aaO, § 55<br />

AuslG Rdnr. 2).<br />

Diese rein vollstreckungsrechtliche Funktion der ausländerrechtlichen<br />

Duldung wird weder durch die Formvorschriften noch<br />

durch die Rechtswirkungen der Duldung um weitere Funktionen<br />

angereichert (so aber Bay.VGH, Beschl. v. 26.10.1998, aaO S. 13).<br />

Es ist nicht zu erkennen, warum die Schriftform (§ 66 Abs. 1 S. 1<br />

AuslG) der Duldung über das Vollstreckungsrecht hinaus eine weitere<br />

Funktion zuweisen soll. Grund für das Schriftformerfordernis<br />

sind die Rechtsstaatlichkeit, die Rechtssicherheit, die Rechtsklarheit<br />

und die Ermöglichung eines effektiven Rechtsschutzes für den<br />

Betroffenen (Hailbronner, aaO, § 66 AuslG Rdnr. 3 unter Verweis<br />

auf BT-Drucks. 11/6321, S. 79). Zum rechtlichen Charakter und<br />

der rechtlichen Funktion der Duldung ergibt sich hieraus nichts.<br />

Eine weitere Funktion der Duldung über das Vollstreckungsrecht<br />

hinaus folgt auch nicht daraus, daß die Duldung ein unentbehrliches<br />

ausländerpolitisches Instrument zur Regelung des Status eines Ausländers<br />

wäre, der zwar mangels eines Aufenthaltsrechts zum Verlassen<br />

des Bundesgebiets verpflichtet ist, dessen Ausreisepflicht aber aus<br />

humanitären, rechtlichen oder sonstigen Gründen nicht durchgesetzt<br />

werden kann oder soll. Diese Funktion, auf die sich das OVG Berlin<br />

beruft (Beschl. v. 7.7.1998, aaO), hatte die Duldung nach § 17 AuslG<br />

19<strong>65</strong> in der Praxis erhalten. Ziel der Neuregelung in § 55 AuslG war<br />

es dagegen gerade, die Duldung wieder auf ihre vollstreckungsrechtliche<br />

Funktion zu beschränken (vom OVG Berlin, aaO, werden die<br />

Funktionen der Duldung nach dem alten und dem neuen Ausländerrecht<br />

verwechselt und daher auch Hailbronner, aaO, nicht zutreffend<br />

zitiert). Eine weitere Funktion über das Vollstreckungsrecht hinaus ergibt<br />

sich auch nicht daraus, daß die Duldung für ihren Geltungszeitraum<br />

den Aufenthalt des Ausländers legalisiert (Hailbronner, aaO,<br />

§ 55 Rdnr. 5) und die Strafbarkeit entfallen läßt (§ 92 Abs. 1 Nr. 1<br />

AuslG). Weil die Duldung kein Instrument zur Regelung eines Daueraufenthalts<br />

ist (BVerwG, Beschl. v. 20.7.1994, InfAuslR 1995, 4), sondern<br />

wieder auf ihre vollstreckungsrechtliche Funktion zurückgeführt<br />

wurde, kann ihr auch keine „statusregelnde Funktion“ neben der vollstreckungsrechtlichen<br />

Funktion zukommen.<br />

Gegen die Anwendbarkeit von § 114 Abs. 7 BRAGO kann im<br />

übrigen weder der individuelle Arbeitsaufwand noch das Fehlen<br />

einer vollstreckbaren Grundverfügung im Hinblick auf die gesetzliche<br />

Ausreisepflicht eingewandt werden (vgl. den Senatsbeschl. v.<br />

19.12.1995, aaO und den Beschluß des 9. Senats des erkennenden<br />

Gerichtshofs vom 19.1.1999, aaO). Unverständlich sind schließlich<br />

die Einwendungen der Antragsteller in der Beschwerdebegründung,<br />

daß es sich in der Hauptsache nicht um die Prüfung eines<br />

reinen Vollstreckungsaktes, sondern um die Rechtmäßigkeit eines<br />

Grundverwaltungsaktes handle, denn das gerichtliche Verfahren hat<br />

ausschließlich den Erlaß einer auf Duldung gerichteten einstweiligen<br />

Anordnung zum Gegenstand.<br />

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 S. 1<br />

VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt<br />

aus § 13 Abs. 2 GKG.<br />

Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).<br />

Mitgeteilt von Richter am VGH Jaeckel-Leight, Mannheim<br />

BGB §§ 222, 225<br />

Hat der Erblasser auf die Einrede der Verjährung gegen einen<br />

Gebührenanspruch seines Rechtsanwaltes verzichtet und verweigert<br />

die Rechtsnachfolgerin (Ehefrau) die Annahme eines<br />

Zahlungsaufforderungsschreibens, so muß der Gläubiger<br />

(Rechtsanwalt) in verständiger Würdigung der Verhältnisse<br />

nunmehr den Eindruck gewinnen, ohne Anrufung des Gerichts<br />

nicht zu seinem Recht zu kommen und alsbald Klage erheben.<br />

OLG Koblenz, Urt. v. 23.12.1997 – 5 U 694/97<br />

Aus den Gründen: Die Berufung ist ohne Erfolg. Das LG hat<br />

die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.<br />

1. Grundsätzlich steht dem Kl ein – im Ausgangspunkt urkundlich<br />

belegter und im übrigen in seinen tatsächlichen Voraussetzungen<br />

unstreitiger (vgl. dazu BGHZ 62, 286, 289 ff.) – Anspruch in<br />

Höhe von 10000 DM gegen die Bekl zu. In diesem Umfang hatte<br />

sich nämlich Herr Z am 29.4.1993 vertraglich zur Honorarzahlung<br />

verpflichtet, um kurz zuvor geleistete anwaltliche Dienste des Kl<br />

pauschal zu entgelten (§§ 611 Abs. 1, 675 BGB), und dafür muß<br />

die Bekl als Erbin einstehen (§ 1967 Abs. 1 BGB). Insoweit ist<br />

ohne Belang, daß die Bekl behauptet, nicht allein, sondern in Gemeinschaft<br />

mit ihrer Tochter geerbt zu haben. Denn auch in einem<br />

solchen Fall hat sie gem. § 2058 BGB uneingeschränkt für die Verbindlichkeiten<br />

Herr Z aufzukommen; die besonderen Voraussetzungen<br />

des § 2059 Abs. 1 S. 1 BGB, die es der Bekl gestatten würden,<br />

auf einen Urteilsvorbehalt gem. § 780 ZPO hinzuwirken (Edenhofer<br />

in Palandt, BGB, 56. Aufl., § 2059 Rdnr. 2), sind nicht dargetan<br />

(vgl. Strieder in Baumgärtel, Handbuch der Beweislast, § 2059<br />

Rdnr. 1).<br />

2. Der Zahlungsanspruch ist indessen nicht durchsetzbar, weil<br />

ihm die Bekl mit Erfolg die Einrede der Verjährung entgegenhält<br />

(§ 222 Abs. 1 BGB). Auch dies läßt sich aufgrund des unstreitigen<br />

Sachverhalts feststellen, so daß der Kl gem. § 597 Abs. 1 ZPO mit<br />

seinem Anspruch endgültig abzuweisen ist (vgl. BGHZ 62, 286,<br />

289).<br />

a) Die Honorarverpflichtung von Herrn Z wurde – entsprechend<br />

der mit dem Kl getroffenen Vereinbarung – im Verlaufe des<br />

Jahres 1993 fällig; damit verjährte sie grundsätzlich Ende 1995<br />

(§§ 196 Abs. 1 Nr. 15, 201 BGB). Zu einer Unterbrechung der Verjährung<br />

ist es nicht gekommen. Die Verzichtserklärung Herr Z v.<br />

22.8.1994 läßt sich nicht als Anerkenntnis im Sinne des § 208<br />

BGB begreifen, weil sie keine Aussage über den materiellen Bestand<br />

der Honorarschuld beinhaltete (Peters in Staudinger, BGB,<br />

13. Aufl., § 208 Rdnr. 5).<br />

b) Damit war die Erklärung v. 22.8.1994 aber nicht von vornherein<br />

bedeutungslos. Teilt ein Schuldner – wie Herr Z dies hier<br />

getan hat – dem Gläubiger vor Ablauf der Verjährungsfrist mit, daß<br />

er auf die Einrede der Verjährung verzichte, kann ihm der Gläubiger,<br />

falls er sich in einem nachfolgenden Rechtsstreit gleichwohl<br />

auf die inzwischen eingetretene Verjährung beruft, ungeachtet der<br />

Vorschrift des § 225 S. 1 BGB unter Umständen mit dem Arglisteinwand<br />

begegnen (BGH NJW 1991, 974, 975; Heinrichs in<br />

Palandt, BGB, 56. Aufl., § 225 Rdnr. 2; Walter in Soergel BGB,<br />

12. Aufl., § 225 Rdnr. 3). Die Erhebung der Verjährungseinrede<br />

stellt sich regelmäßig als Verstoß gegen Treu und Glauben dar,<br />

wenn der Gläubiger aufgrund des Schuldnerverhaltens den Eindruck<br />

hatte gewinnen dürfen, er könne mit der Einreichung einer<br />

Klage über den Ablauf der Verjährungsfrist hinaus zuwarten, ohne<br />

dadurch die Durchsetzbarkeit seiner Forderung zu gefährden. Das<br />

rechtfertigt sich aus der praktischen Erwägung, daß der Gläubiger<br />

ohne Zeitdruck in der Lage sein soll, auf eine außergerichtliche<br />

Klärung der Angelegenheit hinzuwirken.<br />

c) Mit dieser Erwägung sind freilich auch gleichzeitig die Wirksamkeitsgrenzen<br />

eines Verzichts auf die Verjährungseinrede aufgezeigt.<br />

Ein abgegebener Verzicht wird nicht erst durch die willensbekundung<br />

des Schuldners hinfällig, daß er davon abrücke (vgl.<br />

dazu BGH MDR 1978, 479; BGH NJW 1986, 1861; Feldmann in<br />

Münchener Kommentar, BGB, 3. Aufl., § 225 Rdnr. 3), sondern<br />

verliert seine Wirkung bereits immer dann, wenn der Gläubiger in<br />

verständiger Würdigung der Verhältnisse den Eindruck gewinnen<br />

muß, ohne die Anrufung des Gerichts nicht zu seinem Recht zu<br />

kommen (OLG Hamm VersR 1967, 587, 588 f.) und dann nicht alsbald<br />

Klage erhebt (BGH NJW 1979, 866, 867; BGH NJW 1991,<br />

974, 975; Walter aaO, § 225 Rdnr. 3). Die bloße subjektive Auffas-


140<br />

l<br />

sung des Gläubigers, er könne sich mit der gerichtlichen Geltendmachung<br />

seines Anspruchs noch Zeit lassen, ist belanglos (BGH<br />

NJW 1981, 2<strong>65</strong>, 266). Genausowenig entlastet es den Gläubiger,<br />

wenn er – wie dies der Kläger neuerlich für sich behauptet – die<br />

tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten nicht vollständig<br />

überblickt und, weil er sich zunächst über die Person seines<br />

Schuldners oder dessen Rechtsnachfolgers nicht im klaren ist, mit<br />

der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs abwartet.<br />

d) Vor diesem Hintergrund gilt: Zwar hat weder Herr Z noch<br />

in dessen Rechtsnachfolge die Bekl die Verzichtserklärung v.<br />

22.8.1994 ausdrücklich widerrufen. Aber der Kl durfte spätestens<br />

im Anschluß an seine Zahlungsaufforderung v. 27.6.1995 an die<br />

Erbin nicht mehr davon ausgehen, daß die gütliche Einziehung seiner<br />

Forderung möglich sei. Durch ihre Weigerung, das Schreiben<br />

entgegenzunehmen, gab die Bekl zu erkennen, daß sie mit den Angelegenheiten<br />

ihres verstorbenen Ehemanns jedenfalls im Verhältnis<br />

zum Kl nichts zu tun haben wollte. Ein solcher Eindruck mußte<br />

sich um so mehr aufdrängen, als der Kl – seinem eigenen Vortrag<br />

zufolge – annahm, die Bekl habe von der streitigen Forderung gewußt.<br />

Im Hinblick darauf konnte er nicht mit einer freiwilligen<br />

Leistung rechnen und mußte, wenn er die Durchsetzbarkeit seines<br />

Anspruchs erhalten wollte, spätestens nunmehr kurzfristig Klage<br />

erheben. Das ist jedoch nicht geschehen. Der Kl ist erst 1997 gerichtlich<br />

gegen die Bekl vorgegangen.<br />

Im übrigen wäre die Erwartung des Kl, die Bekl werde ebenso<br />

wie Herr Z aus dem Ablauf der Verjährungsfrist keinen Vorteil für<br />

sich herleiten, auch unabhängig davon fragwürdig gewesen, daß<br />

die Bekl die Annahme des Schreibens v. 27.6.1995 verweigerte.<br />

Ohne eine besondere Erklärung der Bekl war der rechtskundige Kl<br />

schwerlich schutzbedürftig. Der Verzicht von Herr Z auf die Verjährungseinrede<br />

schuf für den Kl keinen Vertrauenstatbestand, sich<br />

nach dessen Tod zeitlich mehr oder weniger unbegrenzt an dessen<br />

Erben halten zu können.<br />

Nach alledem greift die von der Bekl geltend gemachte Verjährungseinrede.<br />

Sie ist nicht wegen eines Verstoßes gegen Treu und<br />

Glauben unbeachtlich.<br />

Mitgeteilt von Vors. Richter am OLG Hans Helmut Bischof,<br />

Koblenz<br />

ZPO § 3<br />

Der Streitwert der Klage auf Herausgabe eines Kraftfahrzeugbriefes<br />

bestimmt sich nach dem Interesse des Kl an der Verfügungsgewalt<br />

über das Dokument. Für die Bewertung dieses<br />

Interesses sind die Umstände des Einzelfalles maßgeblich.<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.5.1999 – 11 W 23/99<br />

Aus den Gründen: Die zulässige Beschwerde hat teilweise Erfolg.<br />

Der Streitwert ist auf 24.300 DM festzusetzen.<br />

Der Streitwert der Klage auf Herausgabe des Kfz-Briefes bestimmt<br />

sich weder nach dessen Sachwert noch nach dem vollen<br />

Wert des Fahrzeuges, sondern nach dem Interesse an der Verfügungsgewalt<br />

über das Dokument (vgl. OLG Saarbrücken, JurBüro<br />

1990, 1661; OLG Neustadt, JurBüro 1963, 764; OLG Köln, JurBüro<br />

1962, 168; LG Bochum, AnwBl 1984, 202; Schneider, Streitwertkommentar,<br />

11. Aufl., Rdnr. 2415 ff. m. w. N.).<br />

Das Interesse der Kl an der Herausgabe des Briefes ist höher<br />

zu bewerten als die Kosten der Beschaffung eines neuen Briefes<br />

und eines etwaigen Aufgebots des alten Briefes. Andererseits kann<br />

auch nicht der volle Wert des Fahrzeuges zugrunde gelegt werden,<br />

da in dem herausverlangten Dokument nicht der Sachwert des<br />

Fahrzeuges verbrieft wird. Maßgeblich ist damit das Interesse an<br />

der Verfügungsgewalt und eine mögliche erhebliche Gefährdung<br />

der Vermögensinteressen der Kl infolge des durch die Bekl zurückgehaltenen<br />

Kfz-Briefes. Bei der Bestimmung des Interesses kann<br />

demnach der Wert des Fahrzeuges und der Grund des Streites zwischen<br />

den Parteien über die Herausgabepflicht des Briefes nicht<br />

ganz unberücksichtigt bleiben.<br />

Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin entspricht vorliegend<br />

das Interesse der Kl an der Herausgabe des Kfz-Briefes wertmäßig<br />

nicht 1/10 des Fahrzeugwertes. Dies mag in Fällen ausreichen,<br />

wo es lediglich um die Herausgabe des Kfz-Briefes geht,<br />

Beeinträchtigungen der Kfz-Nutzung aber nicht gegeben und auch<br />

die Eigentumsverhältnisse geklärt sind. So liegt der Fall jedoch<br />

nicht. Zwar war die Kl in der Nutzung des Fahrzeuges nicht eingeschränkt,<br />

denn der Wagen war – wenn auch auf den Namen der ursprünglichen<br />

Verkäuferin, der Firma K – zugelassen und befand<br />

sich im Besitz der Kl. Jedoch verweigerte die Bekl die Herausgabe<br />

des Kfz-Briefes mit dem Hinweis, nicht die Kl, sondern sie selbst<br />

sei Eigentümerin. Da das Eigentum an dem Kfz-Brief dem Eigentum<br />

an dem Fahrzeug selbst folgt und mithin dieses der zentrale<br />

Streitpunkt zwischen den Parteien war, wäre mit 1/10 des Fahrzeugwertes<br />

das Vermögensinteresse der Kl an dem Rechtsstreit<br />

unterbewertet.<br />

Andererseits muß aber auch berücksichtigt werden, daß die Kl<br />

in ihrer Verfügungsmacht über den Wagen auch ohne den Kfz-<br />

Brief aktuell nicht beeinträchtigt war. Es mag in den Fällen, in denen<br />

der Kfz-Brief u. a. deshalb herausverlangt wird, weil das Fahrzeug<br />

weiterveräußert werden soll, gerechtfertigt sein von 1/2 des<br />

Fahrzeugwertes als Streitwert auszugehen, da der Fahrzeugbesitzer<br />

unter diesen Umständen in seiner Verfügungsgewalt nachhaltig beeinträchtigt<br />

ist.<br />

Da sich die Kl vorliegend aber weder in solch einer vergleichbaren<br />

Situation befand noch ersichtlich ist, daß eine erhebliche Gefährdung<br />

ihrer Vermögensinteressen zu besorgen war, hält der<br />

Senat es für angemessen, aber auch ausreichend, 1/3 des Fahrzeugwertes<br />

für die Bemessung des Streitwertes in Ansatz zu bringen.<br />

Ausgehend von einem Nettobetrag in Höhe von rund 81.000<br />

DM und einem Wertverlust von ca. 10% im laufenden ersten Jahr<br />

ist ein Fahrzeugwert von 72.900 DM zugrundezulegen. Unter Berücksichtigung<br />

des Wertansatzes von 1/3 des Fahrzeugwertes ergibt<br />

sich danach ein Streitwert in Höhe von 24.300 DM. ...<br />

Mitgeteilt von Richter am OLG W. Müller, Düsseldorf<br />

Prozessrecht<br />

AnwBl 2/2000<br />

Rechtsprechung<br />

ZPO §§ 41, 42; BRAO § 20 Abs. 1 Nr. 2<br />

1. Die Ehe des zur Entscheidung berufenen Richters mit einer<br />

angestellten Rechtsanwältin der die Partei vertretenden Sozietät<br />

begründet für sich genommen keine Besorgnis der Befangenheit,<br />

wenn die angestellte Rechtsanwältin in der rechtshängigen Sache<br />

nicht gearbeitet hat.<br />

2. Zum Regelungsbereich des § 20 BRAO Abs. 1 Nr. 2 (LS der<br />

Red.)<br />

LG Stendal, Beschl. v. 22.9.1999 – 22 AR 23/99<br />

Aus den Gründen: Das Ablehnungsgesuch der Antragsgegnerin<br />

hat ... in der Sache keinen Erfolg.<br />

Ein Ausschlussgrund im Sinne des § 41 ZPO liegt offenkundig<br />

nicht vor.<br />

Auch im Übrigen vermag die aktenkundige Verfahrensleitung<br />

durch den abgelehnten Richter nicht die Besorgnis der Befangenheit<br />

rechtfertigen (§ 42 ZPO).<br />

Gem. § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der<br />

Befangenheit abgelehnt werden. Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet<br />

wegen Besorgnis der Befangenheit eine Ablehnung statt, wenn ein<br />

objektiver Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die<br />

Unparteilichkeit eines Richters zu begründen. Hierbei kommen nur<br />

solche Umstände in Betracht, die bei vernünftiger Betrachtung von<br />

dem Standpunkt einer objektiv verständig urteilenden Prozesspartei<br />

die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht<br />

unvoreingenommen gegenüber. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen<br />

einer Partei scheiden hierbei aus. Nicht erforderlich ist<br />

ferner, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Maßgebend ist<br />

allein, ob aus der verobjektivierten Sicht des Ablehnenden genügend<br />

objektive Gründe gegeben sind, die nach Meinung einer ruhig<br />

und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der – unter dem<br />

verfassungsrechtlichen Gebot des Artikels 101 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz<br />

zu fordernden zweifelsfreien, auch den Anschein der Voreingenommenheit<br />

ausschließenden – Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit<br />

des abgelehnten Richters Zweifel zu hegen (vgl.<br />

BayOLG Deutsche Richterzeitung 1977, 244/245; OLG Saarbrücken<br />

NJW-RR 1994, 763/764; Vollkommer in Zöller, ZPO,


AnwBl 2/2000 141<br />

Rechtsprechung l<br />

20. Auflage, § 42 ZPO Rdnr. 9; Thomas/Putzo, ZPO, 20. Auflage,<br />

§ 42 ZPO Rdnr. 9).<br />

Das Vorliegen solcher Umstände hat die Gesuchsführerin hier<br />

weder schlüssig vorgetragen noch nach Maßgabe des § 44 Abs. 2<br />

ZPO glaubhaft gemacht.<br />

Soweit die Antragsgegnerin ihr Ablehnungsgesuch auf die nahen<br />

persönlichen Beziehungen des abgelehnten Richters zu der in<br />

dem konkreten Verfahren nicht sachbearbeitenden Rechtsanwältin<br />

H.-S. stützt, vermag indes die Ehe des zuständigen Abteilungsrichters<br />

mit einem nicht sachbearbeitenden Sozietätsmitglied der Verfahrensbevollmächtigten<br />

der Gegenseite für sich genommen noch<br />

nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen.<br />

Zwar können besondere, nahe persönliche Beziehungen, wie<br />

etwa nahe Verwandtschaft, Ehe oder Verlöbnis, des Richters mit einem<br />

Prozessbeteiligten grundsätzlich einen Ablehnungsgrund darstellen<br />

(vgl. Feiber in Münchener Kommentar, § 42 ZPO Rdnr. 8 ff.;<br />

Vollkommer in Zöller, ZPO, 21. Auflage, § 42 ZPO Rdnr. 13).<br />

Unter Prozessbeteiligten sind in diesem Zusammenhang nicht<br />

nur die Parteien, sondern auch deren Vertreter zu verstehen (vgl.<br />

Feiber in Münchener Kommentar, aaO, § 42 ZPO Rdnr. 8). Das auf<br />

die Ehe mit einem Prozessbeteiligten beruhende Näheverhältnis<br />

vermag jedoch nur dann eine Ablehnung zu rechtfertigen, wenn<br />

die persönlichen Beziehungen in dem konkreten Verfahren nach<br />

außen hervorgetreten sind und eine intensive Verknüpfung belegen,<br />

so dass aus der Sicht einer objektiv verständig urteilenden Partei<br />

zu besorgen ist, dass sich die persönliche Beziehung auch auf das<br />

Streitverhältnis auszuwirken vermag (vgl. Feiber in Münchener<br />

Kommentar, ZPO, § 42 ZPO Rdnr. 9).<br />

So liegt der Fall hier aber nicht. Die Tatsache, dass die Ehefrau<br />

des abgelehnten Richters in der die Antragstellerin vertretenden<br />

Rechtsanwaltssozietät angestellt ist, lässt bei einer ruhig und vernünftig<br />

denkenden Partei nicht den Eindruck entstehen, der Richter<br />

werde der Sache nicht mehr unvoreingenommen gegenüberstehen.<br />

Denn die Ehefrau des abgelehnten Richters ist mit dem rechtsanhängigen<br />

Verfahren aktenkundig nicht befasst gewesen. Bei<br />

Dienstverhältnissen und Mitgliedschaften kommt es hierbei einerseits<br />

auf die Größe des Betriebes und dessen Organisation, andererseits<br />

auf die Stellung und das Tätigkeitsgebiet des Betroffenen innerhalb<br />

dieser Organisation an (vgl. Feiber in Münchener<br />

Kommentar, ZPO, § 42 ZPO, Rdnr. 9). Danach wird eine Besorgnis<br />

der Befangenheit nur in den Fällen angenommen werden können,<br />

in denen der Ehepartner des Richters mit der Bearbeitung des Prozessstoffes<br />

anwaltlich in irgend einer Form befasst ist (vgl. Vollkommer<br />

in Zöller, ZPO, 21. Auflage, § 42 ZPO, Rdnr. 13; Feiber<br />

in Münchener Kommentar, ZPO, § 42 ZPO, Rdnr. 9). Daran fehlt<br />

es hier jedoch, da ausweislich der Gerichtstakte die Rechtsanwältin<br />

H.-S. keine anwaltliche Tätigkeit in dem einstweiligen Verfügungsverfahren<br />

entfaltet hat.<br />

Entgegen der Ansicht der Gesuchsführerin ist die im Rahmen<br />

der Prüfung der Anwaltszulassung maßgebende Wertung des § 20<br />

Nr. 2 BRAO nicht ohne weiteres und uneingeschränkt auf die das<br />

konkret rechtshängige Verfahren betreffende Entscheidung über die<br />

Besorgnis der Befangenheit eines Richters nach § 42 ZPO übertragbar.<br />

Während im Rahmen des § 20 I Nr. 2 BRAO die Versagung<br />

der Rechtsanwaltszulassung auf die bei Vorliegen einer<br />

nach § 20 I Nr. 1-3 BRAO benannten persönlichen Beziehung als<br />

Regelfall angesehene abstrakte Gefährdung der Integrität der<br />

Rechtspflege gestützt wird (vgl. BGH NJW-RR 1999, 572/573),<br />

beruht die Entscheidung über ein Befangenheitsgesuch nach § 42<br />

ZPO unter Zugrundelegung eines parteiobjektiven Maßstabes auf<br />

den in dem konkreten Verfahren zutagegetretenen Umständen des<br />

jeweiligen Einzelfalles ab. Deshalb – und insoweit abweichend von<br />

der Auffassung des BGH (BGH NJW-RR 1999, 572 f.) – kann die<br />

Kammer erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zulassungsversagungsermächtigung<br />

des § 20 I Nr. 2 BRAO, welche<br />

die Berufsausübungsfreiheit des Rechtsanwaltes aus Art. 12 Abs. 1<br />

GG im Schutzbereich der auch dem Rechtsanwalt gewährten Institutsgarantie<br />

der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) zu Lasten der bestehenden<br />

oder vergangenen Ehe des Rechtsanwaltes sachwidrig, nämlich in<br />

einer Weise, die für die in der Gegenwart vielfältigen und oft nicht<br />

minder intensiven nichtehelichen Beziehungen von Rechtsanwälten<br />

nicht vorgesehen ist. (Art. 3 Abs. 1 GG), eingeschränkt, hier offen<br />

lassen.<br />

In dem her anhängigen einstweiligen Verfügungsverfahren hat<br />

die Antragsgegnerin aus der Sicht einer verständig urteilenden Partei<br />

nicht den Eindruck gewinnen können, der abgelehnte Richter<br />

habe aufgrund der verwandtschaftlichen Zuordnung zu einem<br />

(nicht sachbearbeitenden) Sozietätsmitglied der Verfahrensbevollmächtigten<br />

der Gegenseite die Antragstellerin einseitig begünstigt<br />

und zu einem ungerechtfertigten Erfolg verholfen. Es ist auch hier<br />

nichts dafür ersichtlich, dass die persönliche Beziehung des abgelehnten<br />

Richters zu einem Sozietätsmitglied geeignet erscheinen,<br />

sich auf das Verhältnis des Abteilungsrichters zu einer der Partei<br />

auszuwirken. Denn die Ehefrau des abgelehnten Richters ist in keiner<br />

Weise erkennbar an dem Verfahren beteiligt gewesen.<br />

Mitgeteilt von Richterin Astrid Göbel, Stendal<br />

ZPO §§ 181, 233, 418; PostG § 16 Abs. 1<br />

Eine Wiedereinsetzung in der vorigen Stand wegen Versäumung<br />

der Einspruchsfrist gegen ein Versäumnisurteil ist zu versagen,<br />

wenn der Betreffende noch vor Ablauf der Einspruchsfrist von<br />

der Urteilszustellung so rechtzeitig Kenntnis erlangt hat, daß<br />

ihm die Wahrung der Frist möglich war. Eine Ersatzzustellung<br />

durch die Deutsche Bundespost ist wegen deren Beleihung jedenfalls<br />

bis zum 31.12.1997 wirksam. Der Einwurf der Benachrichtigung<br />

von der Niederlegung in einem Gemeinschaftsbriefkasten<br />

steht der Wirksamkeit der Zustellung nicht entgegen,<br />

wenn dies dem üblichen Verfahren des Zustellers entspricht.<br />

Grundsätzlich kommt es auf die vom Postzusteller beim einzelnen<br />

Zustellungsadressaten praktizierte und von diesem jedenfalls<br />

hingenommene Übung an; was für sonstige Post erkennbar<br />

„üblich“ ist, reicht auch für die Abgabe der Mitteilung.<br />

OLG München, Beschl. v. 3.3.1998 – AZ 21 W 3310/97<br />

Aus den Gründen: . . . Die Wiedereinsetzung ist mangels des<br />

erforderlichen Zusammenhangs mit der Fristversäumung zu versagen,<br />

da der Bekl noch vor Ablauf der Einspruchsfrist von der Urteilszustellung<br />

so rechtzeitig Kenntnis erhielt, daß ihm die Wahrung<br />

der Frist möglich war. Dem steht nicht entgegen, daß dem<br />

Bekl nicht zugleich mit der Kenntniserlangung von dem Erlaß des<br />

Versäumnisurteils eine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden ist.<br />

Dem Bekl war spätestens am 27.7.1997 eine Mitteilung darüber<br />

zugegangen, daß gegen ihn in vorliegender Sache am 16.7.1997<br />

ein Versäumnisurteil ergangen war. Aus seinem Schreiben vom<br />

27.7.1997 folgt, daß er spätestens an diesem Tag den Kostenfestsetzungsantrag<br />

des Klägervertreters vom 16.7.1997 erhalten hatte. In<br />

dem Kostenfestsetzungsantrag vom 16.7.1997 sind der Betreff, sowie<br />

das „heutige Versäumnisurteil“ genannt, von dem ebenfalls die<br />

Erteilung einer vollstreckbaren und mit Zustellbescheinigung versehenen<br />

Ausfertigung beantragt wird. Wie sich aus dem Schreiben<br />

des Bekl vom 27.7.1997 ebenfalls ergibt, war dem Bekl ferner klar,<br />

um welchen Streitgegenstand es sich handelte, sowie daß er mit einer<br />

entsprechenden Klage hatte rechnen müssen. Ein Überraschungsmoment<br />

fehlte. Der Bekl behauptet nicht, das ihn ein Irrtum<br />

über die Dauer der Anfechtungsfrist abgehalten habe,<br />

rechtzeitig Einspruch einzulegen. Von dem Bekl war danach in seiner<br />

Lage bei Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles<br />

verständigerweise zu erwarten, sich unverzüglich Gewißheit<br />

über den Fristenlauf zu verschaffen, einen Entschluß über die auf<br />

das Versäumnisurteil hin zu treffenden Maßnahmen zu fassen und<br />

einen Rechtsanwalt zu unterrichten, zumal da er bereits in seinem<br />

Schreiben vom 27.7.1997 darauf hinwies, daß er (durch seinen späteren<br />

Prozeßbevollmächtigten) anwaltlich vertreten werde. Der<br />

Bekl handelte schuldhaft, indem er untätig blieb und den Rechtsanwalt<br />

erst Wochen später beauftragte, so daß dieser erst mit Schriftsatz<br />

vom 25.8.1997, per Fax eingegangen am 26.8.1997, die erforderlichen<br />

Anträge stellen konnte.<br />

Die Ersatzzustellung des Versäumnisurteils vom 16.7.1997 nach<br />

dem Zustellversuch am 23.7.1997 durch Niederlegung am 24.7.<br />

1997 (§ 182 ZPO) ist wirksam. Die Einwände des Bekl gegen die<br />

Wirksamkeit der nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost<br />

bewirkten Zustellung sind unbegründet. Infolge der Beleihung der<br />

Deutschen Post AG durch § 16 Abs. 1 PostG in der Fassung des Gesetzes<br />

vom 14.9.1994 (BGBl. 1, Seite 2325, berichtigt durch BGBl.<br />

1996 I Seite 103) kann für die Übergangszeit jedenfalls bis<br />

31.12.1997 von der Wirksamkeit der Zustellungen ausgegangen


142<br />

l<br />

werden (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 20. Aufl., § 193 Rdnr. 2; OLG<br />

Frankfurt, NJW 1996, 3159 sowie BFH NJW 1997, 3264). Das<br />

PostG war nach dessen § 31 im Zeitpunkt der Zustellung nicht<br />

außer Kraft (vgl. auch § 19 Post-Kundenschutzverordnung vom<br />

19.12.1995, BGBl. I Seite 2016).<br />

Die Voraussetzungen für eine Ersatzzustellung durch Niederlegung<br />

sind im vorliegenden Fall erfüllt.<br />

Der vorherige vergebliche Zustellungsversuch an den Zustellungsadressaten<br />

in seiner Wohnung ergibt sich aus der Zustellungsurkunde<br />

(Nr. 7.1.). Für die Zustellungsurkunde gilt § 418 ZPO<br />

(Thomas/Putzo aaO, § 181 Rdnr. 13; § 190 Rdnr. 5). Aber auch<br />

dann, wenn den Postzustellungsurkunden nach der Postreform der<br />

öffentliche Glaube abgesprochen würde (vgl. Verwaltungsgericht<br />

Frankfurt NJW 1997, 3329), ist im vorliegenden Fall von einer<br />

wirksamen Zustellung auszugehen. Denn die Postzustellungsurkunde<br />

stellt selbst nach dieser Auffassung immer noch ein Beweismittel<br />

dar, das hier durch die eidesstattliche Versicherung des Bekl<br />

und seiner Mutter nicht entkräftet wird. (wird ausgeführt)<br />

Aus der Urkunde folgt ferner, daß eine schriftliche Mitteilung<br />

„– wie bei gewöhnlichen Briefen üblich – in den Hausbriefkasten<br />

eingelegt“ wurde. Der eidesstattlichen Versicherung der Mutter des<br />

Bekl läßt sich auch insoweit nichts Gegenteiliges entnehmen. Gleiches<br />

gilt für die eidesstattliche Erklärung des Bekl vom 6.9.1997.<br />

Darin will der Bekl „durchaus nicht ausschließen, daß die Benachrichtigungsscheine<br />

von meiner Mutter bereit gehalten waren und ich<br />

sie nur nicht gesehen habe“. Für die Wirksamkeit der Zustellung<br />

kommt es nicht darauf an, ob der Zustellungsadressat von der Mitteilung<br />

auch tatsächlich Kenntnis genommen hat (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,<br />

ZPO, 56. Aufl., § 182 Rdnr. 13 m. w. N.).<br />

Der Einwurf der Benachrichtigung in einem Gemeinschaftsbriefkasten<br />

(ob der Briefkasten vom Bekl zusammen mit seiner<br />

Mutter oder auch von weiteren Mietparteien benutzt wird, ist nicht<br />

vorgetragen) steht der Wirksamkeit nicht entgegen. Grundsätzlich<br />

kommt es auf die vom Postzusteller beim einzelnen Zustellungsadressaten<br />

praktizierte und von diesem jedenfalls hingenommene<br />

Übung an; was für sonstige Post erkennbar „üblich“ ist, reicht auch<br />

für die Abgabe der Mitteilung (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann<br />

aaO § 182 Rdnr. 10; Zöller/Stöber, ZPO, 20. Aufl., § 182<br />

Rdnr. 3). Die Benachrichtigung entsprach hier einer solchen<br />

Übung; die Mutter des Bekl hat in ihrer eidesstattlichen Versicherung<br />

sogar wiederholte, auf diese Weise vorgenommene Zustellungen<br />

bestätigt.<br />

Den Anforderungen an die Niederlegung ist genügt (vgl. Zöller/<br />

Stöber aaO § 182 Rdnr. 2). Örtliche Postanstalt ist im Kontext des<br />

§ 16 Abs. 1 PostG die örtliche Filiale oder Agentur der Deutschen<br />

Post AG. Deren Mitarbeiterin im Innendienst war zur Niederlegung<br />

bevollmächtigt. Sie hat mit ihrer Unterschrift bestätigt, daß die Zustellkraft<br />

das Schriftstück bei der Postagentur niedergelegt hat.<br />

Nach § 191 Nr. 1 ZPO muß die Zustellungsurkunde die Zeit<br />

der Zustellung enthalten. Hierfür genügt die Angabe des Datums.<br />

Die Angabe der Uhrzeit mag zweckmäßig sein, ist aber für eine<br />

ordnungsgemäße Zustellungsurkunde und zur Wirksamkeit der Zustellung<br />

nicht erforderlich (vgl. Thomas/Putzo aaO § 191 Rdnr. 2).<br />

Mitgeteilt von Richter am OLG Reinhard Knapp, München<br />

ZPO § 233<br />

Fristwahrende Maßnahmen dürfen vor ihrer Durchführung im<br />

Kalender erst dann als erledigt gekennzeichnet werden, wenn sie<br />

eingeleitet sind und allgemein dafür Sorge getragen ist, daß dieser<br />

einleitende Vorgang zuverlässig zum Abschluß der fristwahrenden<br />

Maßnahme führt. Mit dem Einlegen fristwahrender<br />

Schriftsätze in ein Postausgangsfach hat die Einreichung bei<br />

dem Adressaten nur begonnen, wenn diese Post anschließend unmittelbar<br />

zu dem Adressaten verbracht wird.<br />

BGH, Beschl. v. 9.9.1997 – IX ZB 80/97<br />

Aus den Gründen: Das gem. § 519b Abs. 2 ZPO zulässige<br />

Rechtsmittel hat keinen Erfolg.<br />

1. Die Bekl hat zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs<br />

vorgetragen:<br />

Im Büro ihres Prozeßbevollmächtigten pflege man – einer allgemein<br />

erteilten Weisung entsprechend – gefertigte und unterschrie-<br />

AnwBl 2/2000<br />

Rechtsprechung<br />

bene Fristsachen in ein Postausgangsfach zu legen. Anschließend<br />

würden die Fristen im Terminkalender gelöscht. Abends werde das<br />

Postausgangsfach geleert und sein Inhalt in den Nachtbriefkasten<br />

des betreffenden Gerichts eingeworfen.<br />

In der vorliegenden Sache sei die Berufungsbegründungsschrift<br />

am 7.10.1996 fertiggestellt und in das Postausgangsfach gelegt<br />

worden. Die Frist sei im Kalender gelöscht worden. Danach habe<br />

der Prozeßbevollmächtigte dem Ausgangsfach die gesamte Post<br />

entnommen und auf seinen Schreibtisch gelegt, um sie anschließend<br />

zum Nachtbriefkasten zu befördern. Später habe die Bürovorsteherin<br />

noch Prozeßkostenhilfe-Unterlagen aufgefunden. Sie habe<br />

die auf dem Schreibtisch des Prozeßbevollmächtigten liegende Berufungsbegründungsschrift<br />

an sich genommen, die Prozeßkostenhilfe-Unterlagen<br />

angeheftet und sodann den so ergänzten Schriftsatz<br />

nicht wieder auf den Schreibtisch, sondern in das bereits<br />

geleerte Postausgangsfach gelegt, ohne den Prozeßbevollmächtigten<br />

hiervon zu verständigen. Im Postausgangsfach sei der Schriftsatz<br />

dann bis zum nächsten Tag verblieben.<br />

2. Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, ein der Bekl zuzurechnendes<br />

Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten an der Fristversäumung<br />

auszuschließen.<br />

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH gehört es zu<br />

den Aufgaben des Prozeßbevollmächtigten, dafür zu sorgen, daß ein<br />

fristgebundener Schriftsatz hergestellt wird und rechtzeitig bei dem<br />

zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muß der Prozeßbevollmächtigte<br />

eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren. Er<br />

muß sicherstellen, daß die im Fristenkalender vermerkten Fristen<br />

erst gestrichen oder in anderer Weise als erledigt gekennzeichnet<br />

werden, wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt, ein fristwahrender<br />

Schriftsatz also gefertigt und zumindest postfertig gemacht<br />

worden ist (BGH, Beschl. v. 18.10.1993 – II ZB 7/93, VersR<br />

1994, 703; v. 8.12.1993 – XII ZE 155/93, BGHR ZPO § 233 – Fristenkontrolle<br />

31; v. 15.2.1995 – XII ZB 229/94, BGHR ZPO § 233 –<br />

Fristenkontrolle 39; v. 26.2.1996 – II ZB 7/95, NJW 1996, 1540,<br />

1541; v. 14.3.1996 – III ZB 13/96, BGHR ZPO § 233 – Ausgangskontrolle<br />

5; v. 10.7.1997 – IX ZB 57/97, z. V. b.).WirdfürdieFristenkontrolle<br />

bereits daran angeknüpft, daß der fristwahrende<br />

Schriftsatz postfertig gemacht worden ist, muß die Beförderung zu<br />

der Stelle, für die der Schriftsatz bestimmt ist, organisatorisch so<br />

weit vorbereitet sein, daß sie durch Versehen, welche die eigentliche<br />

Beförderung nicht betreffen, nicht mehr verhindert werden kann.<br />

b) So war der Bürobetrieb bei den Prozeßbevollmächtigten der<br />

Bekl nicht organisiert.<br />

Die Bekl hat nicht vorgetragen, ob ihr Prozeßbevollmächtigter es<br />

stets so handhabt, daß er die Post, die er in den Nachtbriefkasten einwerfen<br />

will, nicht unmittelbar dem Postausgangsfach entnimmt, sondern<br />

sie vorübergehend auf seinem Schreibtisch ablegt. Wenn dem so<br />

ist, hat er seinen Bürobetrieb nicht so organisiert, wie es erforderlich<br />

wäre. Ist hingegen allgemein vorgesehen, daß die Post unmittelbar aus<br />

dem Ausgangsfach an ihren Bestimmungsort gelangen soll und ist der<br />

Prozeßbevollmächtigte nur an dem fraglichen Tag in der beschriebenen<br />

Weise davon abgewichen, trifft ihn ebenfalls ein Verschulden.<br />

Daß fristwahrende Maßnahmen im Kalender bereits als erledigt<br />

gekennzeichnet werden, bevor sie durchgeführt, nämlich erst eingeleitet<br />

sind, ist nur dann gerechtfertigt, wenn allgemein dafür Sorge<br />

getragen ist, daß dieser einleitende Vorgang zuverlässig zum Abschluß<br />

der fristwahrenden Maßnahme führt. Mit dem Einlegen fristwahrender<br />

Schriftsätze in ein Postausgangsfach hat die Einreichung<br />

bei dem Adressaten nur begonnen, wenn diese Post anschließend unmittelbar<br />

zu dem Adressaten verbracht wird. Bürointern ist das Postausgangsfach<br />

dann die „letzte Station“. Im vorliegenden Fall hat der<br />

Prozeßbevollmächtigte, indem er die ausgehende Post aus dem dafür<br />

vorgesehenen Fach entnahm und sie auf seinem Schreibtisch deponierte,<br />

eine weitere „Station“ angehängt, nämlich seinen Schreibtisch,<br />

und damit den Vorgang der Einreichung unterbrochen. Einem<br />

Versehen – sei es durch den Prozeßbevollmächtigten selbst, sei es<br />

durch sein Personal – ist hier Tür und Tor geöffnet.<br />

An dieser Beurteilung ändert nichts, falls die Bürovorsteherin<br />

des Prozeßbevollmächtigten – wie in der Beschwerdebegründung<br />

vorgetragen – die Berufungsbegründungsschrift nicht wieder in das<br />

Postausgangsfach gelegt haben sollte. Jedenfalls hat sie die Schriftsätze<br />

auf dem Schreibtisch nicht als die ausgehende Post erkannt.


AnwBl 2/2000 143<br />

Rechtsprechung l<br />

ZPO §§ 263, 511, 523<br />

Der Kläger kann das erstinstanzliche Urteil nicht mit der Berufung<br />

in der Weise anfechten, daß er den weiterverfolgten Klageanspruch<br />

in erster Linie auf einen neuen Lebenssachverhalt und<br />

hilfsweise auf den erstinstanzlichen Klagegrund stützt (Anschluß<br />

an BGH, Urt. v. 14.2.1996 – VIII ZR 68/95, NJW-RR<br />

1996, 7<strong>65</strong> unter Aufgabe von BGH, Beschl. v. 9.11.1995 – IX ZB<br />

<strong>65</strong>/95, NJW 1996, 320).<br />

BGH, Urt. v. 6.5.1999 – IX ZR 250/98<br />

Aus den Gründen: I. ... 2. ... a) Das Berufungsgericht ist zutreffend<br />

davon ausgegangen, daß die Berufung nur dann zulässig ist,<br />

wenn der Berufungskl die Beschwer infolge des erstinstanzlichen<br />

Urteils beseitigen will. Eine Berufung ist unzulässig, wenn sie den<br />

im ersten Rechtszug erhobenen Klageanspruch nicht wenigstens<br />

teilweise weiterverfolgt, also eine erstinstanzliche Klageabweisung<br />

gar nicht in Zweifel zieht, sondern lediglich im Wege der Klageänderung<br />

einen neuen, bisher nicht geltend gemachten Anspruch<br />

zur Entscheidung stellt. Die Änderung der Klage im Berufungsverfahren<br />

(§§ 263, 523 ZPO) kann nicht allein das Ziel des Rechtsmittels<br />

sein, sondern setzt dessen Zulässigkeit voraus (BGH, Urt. v.<br />

12.7.1994 – VI ZB 43/93, NJW-RR 1994, 1404; Beschl. v.<br />

9.11.1995 – IX ZB <strong>65</strong>/95, NJW 1996, 320; Urt. v. 14.2.1996 -- VIII<br />

ZR 68/95, NJW-RR 1996, 7<strong>65</strong>; v. 13.6.1996 – 111 ZR 40/96, NJW-<br />

RR 1996, 1276; v. 18.6.1996 – VI ZR 325/95, NJW-RR 1996,<br />

1210, 1211; v. 13.11.1997 – VII ZR 100/97, WM 1998, 1141). Die<br />

gegenteilige Ansicht im Schrifttum (Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO<br />

21. Aufl. Einl. vor § 511 Rdnr. 72 f; Altmeppen ZIP 1992, 449,<br />

454, 459 und ZIP 1993, <strong>65</strong>, 66 f.; Oellers EwiR 1992, 407, jeweils<br />

m. w. N.) gibt keinen Anlaß zu einer anderen Beurteilung. Prozeßwirtschaftliche<br />

Gründe haben kein solches Gewicht, als daß sie es<br />

rechtfertigen könnten, das grundlegende Erfordernis aller Rechtsmittel<br />

aufzugeben, wonach der Angriff des Rechtsmittelführers auf<br />

die Beseitigung der im vorinstanzlichen Urteil enthaltenen Beschwer<br />

gerichtet sein muß (BGH, Urt. v. 13.6.1996, aaO).<br />

b) Das Berufungsgericht hat die Berufungsbegründung dahin<br />

ausgelegt, daß die Kl ihr Berufungsbegehren in erster Linie auf<br />

einen neuen Streitgegenstand gestützt hat. Der Senat teilt diese<br />

Wertung der Prozeßerklärung, die er selbst auslegen darf (BGH,<br />

Urt. v. 18.6.1996, aaO).<br />

Nach der prozeßrechtlichen Auffassung vom Streitgegenstand<br />

im Zivilprozeß, der sich der BGH (BGHZ 117, 1, 5 f.; BGH, Urt.<br />

v. 13.6.1996, aaO; v. 11.7.1996 – III ZR 133/95, NJW 1996, 3151,<br />

3152) angeschlossen hat, wird mit der Klage nicht ein bestimmter<br />

materiellrechtlicher Anspruch geltend gemacht; Gegenstand des<br />

Rechtsstreits ist vielmehr der eigenständige prozessuale Anspruch.<br />

Dieser wird bestimmt durch den Klageantrag, in dem sich die vom<br />

Kl geltend gemachte Rechtsfolge konkretisiert, und durch den<br />

Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund), aus dem der Kl die begehrte<br />

Rechtsfolge herleitet. Der Vortrag neuer Tatsachen, die eine andere<br />

Norm des materiellen Rechts erfüllen, verschafft dem neuen Verfahren<br />

nicht notwendig einen anderen Streitgegenstand. Zum Klagegrund<br />

sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen<br />

Betrachtungsweise aus der Sicht der Parteien zu dem Sachverhalt<br />

gehören, den der Kl mit seinem Vortrag zur Begründung seines Begehrens<br />

der gerichtlichen Entscheidung unterbreitet.<br />

aa) Im ersten Rechtszug hat die Kl ihrem Klageanspruch auf<br />

Zahlung von 60.000 DM nebst Zinsen folgendes Vorbringen zugrunde<br />

gelegt: Der Bekl habe nicht dafür gesorgt, daß sich der Vermieter<br />

im Vergleich zur Öffnung des Rolltores des Geschäftslokals<br />

verpflichtet habe; außerdem habe der Bekl nach Abschluß des Vergleichs<br />

ihr – der Kl – abredewidrig nicht den Zugang zum Geschäftslokal<br />

ermöglicht. Deswegen habe sie Nachmietinteressenten<br />

nicht die Geschäftsräume zeigen können; infolgedessen seien ihr<br />

eine Nachvermietung und eine damit verbundene Veräußerung des<br />

Inventars und des Geschäftswertes nicht möglich gewesen. Dadurch<br />

sei ihr ein Schaden von 60.000 DM entstanden. Die Nachmietinteressenten<br />

B. und S. seien bereit gewesen, diesen Betrag als<br />

„Abstandssumme“ bzw. als „Kaufpreis“ zu zahlen. Davon hätten<br />

diese jedoch abgesehen, weil die Besichtigung der Geschäftsräume<br />

nicht möglich gewesen sei.<br />

Danach hat die Kl zunächst einen Schadensersatzanspruch geltend<br />

gemacht, weil ihr der Bekl unter Verletzung einer Mandatspflicht<br />

nicht den Zugang zum Geschäftslokal verschafft habe, so<br />

daß es ihr unmöglich gewesen sei, Nachmietinteressenten die<br />

Geschäftsräume zu zeigen und bei einer Nachvermietung für das<br />

Inventar und den Wert ihres aufgegebenen Geschäfts 60.000 DM<br />

zu erhalten.<br />

bb) In ihrer Berufungsbegründung hat die Kl den weiterverfolgten<br />

erstinstanzlichen Zahlungsanspruch auf folgenden Vortrag gestützt:<br />

Der Bekl habe dem Vermieter den Nachmietinteressenten B.<br />

nicht – gemäß Nr. 2 des Vergleichs – vor dem 15.5.1993 benannt.<br />

Dieser hatte für die Einrichtung und den Wert des Geschäfts<br />

60.000 DM an sie – die Kl – gezahlt, wenn der Vermieter mit ihm<br />

einen Mietvertrag zu den Bedingungen geschlossen hätte, die dem<br />

früheren Mietinteressenten M. eingeräumt worden seien. B. hätte<br />

bei Abschluß eines solchen Mietvertrages 60.000 DM an sie – die<br />

Kl – gezahlt, ohne sich zuvor die Geschäftsräume anzusehen; diese<br />

und die Einrichtungsgegenstände seien ihm bekannt gewesen. Das<br />

habe sie – die Kl – dem Bekl wenige Tage nach dem Vergleich<br />

mitgeteilt mit der Bitte, diesen Mietinteressenten dem Vermieter zu<br />

benennen und diesen aufzufordern, einen Mietvertrag mit B. spätestens<br />

bis zum 15.5.1993 abzuschließen. Der Bekl habe erklärt, er<br />

werde sich um alles kümmern. Dies habe der Bekl jedoch unterlassen.<br />

Danach hat die Kl insoweit ihr Begehren im Berufungsverfahren<br />

– anders als im ersten Rechtszug – auf eine andere Pflichtverletzung<br />

des Bekl gegründet, die nicht mehr den fehlenden Zugang<br />

zum Geschäftslokal, sondern die unterbliebene Benennung des<br />

Mietinteressenten B. betrifft.<br />

cc) Mit ihrer Berufungsbegründung hat die Kl zwar den erstinstanzlichen<br />

Klageantrag weiterverfolgt und damit Ersatz desselben<br />

Schadens begehrt, der nach ihrer Behauptung in der entgangenen<br />

Vergütung für die Einrichtung und den Wert des aufgegebenen<br />

Geschäfts besteht. Dennoch hat die Kl mit ihrem hauptsächlichen<br />

Berufungsvorbringen den Klagegrund geändert (vgl. §§ 263, 264<br />

Nr. 1, 523 ZPO).<br />

Im ersten Rechtszug hat die Kl zur Begründung ihres Schadensersatzanspruchs<br />

geltend gemacht, der Bekl habe eine Mandatspflicht<br />

verletzt, ihr durch eine entsprechende Gestaltung des Vergleichs<br />

vom 18.3.1993 oder nach diesem Vergleich den Zugang<br />

zum Geschäftslokal zu verschaffen. Eine entsprechende Vertragspflicht<br />

des Bekl kann nach dem erstinstanzlichen Vorbringen der<br />

Bekl bestanden haben aufgrund seines Auftrags, die Interessen der<br />

Kl im einstweiligen Verfügungsverfahren wahrzunehmen, oder aufgrund<br />

eines anschließenden neuen Mandats, der Kl den Zugang zu<br />

den Geschäftsräumen zu ermöglichen, um diese Nachmietinteressenten<br />

zeigen zu können.<br />

In ihrer Berufungsbegründung hat die Kl ihren aufrechterhaltenen<br />

Schadensersatzanspruch nicht auf diesen im ersten Rechtszug<br />

behaupteten Klagegrund gestützt. Vielmehr hat sie ihr Berufungsbegehren<br />

damit begründet, der Bekl habe pflichtwidrig dem Vermieter<br />

nicht rechtzeitig den Mietinteresenten B. benannt. Danach<br />

hat dem Klageanspruch ein anderer Lebenssachverhalt als im ersten<br />

Rechtszug zugrunde gelegen, nämlich ein – von der Kl behaupteter<br />

– neuer Auftrag an den Bekl, den Mietinteressenten dem<br />

Vermieter zum Abschluß eines Mietvertrages zu benennen. Ein solcher<br />

Auftrag gehörte nicht mehr zur Betreuung der Kl im einstweiligen<br />

Verfügungsverfahren, das mit dem Vergleich vom 18.3.1993<br />

beendet worden war. Dieser bezieht sich in Nr. 2 auf einen „von<br />

der Antragstellerin zu stellenden Nachmieter ... bis zum<br />

15.5.1993“; nach ihrem Vortrag hat die Kl den Bekl damit betraut,<br />

ihre entsprechende eigene Vergleichspflicht wahrzunehmen. Ein<br />

solcher Auftrag, auf den sich das Schreiben des Bekl an den Vermieter<br />

vom 10.5.1993 bezogen haben kann, war auch nicht mehr<br />

umfaßt von einem erstinstanzlich behaupteten Mandat, der Kl den<br />

Zugang zu den Geschäftsräumen zu ermöglichen, um diese den<br />

Mietinteressenten zeigen zu können.<br />

II. Das Berufungsgericht hat zu Recht die Berufung auch insoweit<br />

für unzulässig gehalten, als die Kl in der Berufungsbegründung<br />

ihren Schadensersatzanspruch in Höhe von 7.832 DM hilfsweise<br />

darauf gestützt hat, sie hätte diesen Betrag nicht in der Zeit<br />

vom 16.5.1993 bis 31.10.1993 als Nutzungsentschädigung an den<br />

Vermieter zahlen müssen, wenn der Bekl den Mietinteressenten B.<br />

rechtzeitig dem Vermieter benannt und abredegemäß für die Öffnung<br />

des Rolltors gesorgt hätte. Auch insoweit hat die Kl gemäß<br />

der zutreffenden Auslegung des Berufungsgerichts ihr Berufungsbegehren<br />

auf einen geänderten Klagegrund gestützt. Sie hat Ersatz


<strong>144</strong><br />

l<br />

eines anderen Schadens geltend gemacht, der nach ihrem Vorbringen<br />

im Zusammenhang mit dem – erstmals im Berufungsverfahren –<br />

behaupteten Auftrag an den Bekl steht, den Mietinteressenten dem<br />

Vermieter zu benennen.<br />

III. 1. Die Berufung ist nicht deswegen zulässig, weil die Kl in<br />

ihrer Berufungsbegründung „vorsorglich“ ihren Klageanspruch auf<br />

ihr erstinstanzliches Vorbringen gestützt hat. Dies hat das Berufungsgericht<br />

zutreffend dahin ausgelegt, die Kl habe damit ihr erstinstanzliches<br />

Schadensersatzbegehren hilfsweise weiterverfolgt. Es<br />

kann dahinstehen, ob diese Rechtsmittelbegründung – gemäß der<br />

Ansicht des Berufungsgerichts – § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nicht entspricht.<br />

Der Senat gibt seine Ansicht (Beschl. v. 9.11.1995, aaO)<br />

auf, eine Berufung sei zulässig, wenn der Berufungskl in erster<br />

Linie einen neuen Antrag stelle, hilfsweise aber den erstinstanzlichen<br />

Antrag weiterverfolge. Es ist nicht folgerichtig, die Zulässigkeit<br />

eines neuen Hauptantrags allein aus derjenigen eines Hilfsantrags<br />

herzuleiten, der nur für den Fall gestellt wird, daß der<br />

Hauptantrag unbegründet ist (BGH, Urt. v. 14.2.1996, aaO). Dementsprechend<br />

konnte die Kl das erstinstanzliche Urteil nicht mit<br />

der Berufung in der Weise anfechten, daß sie den weiterverfolgten<br />

Klageanspruch in erster Linie auf einen neuen Lebenssachverhalt<br />

und hilfsweise auf den erstinstanzlichen Klagegrund gestützt hat.<br />

2. Die Kl konnte die Zulässigkeit ihrer Berufung nicht mehr erreichen,<br />

soweit sie nach Ablauf der Frist zur Berufungsbegründung<br />

(§ 519 ZPO) erklärt hat, sie mache einen geänderten Klagegrund<br />

hilfsweise zum aufrechterhaltenen erstinstanzlichen Begehren oder<br />

beide Klagegründe nebeneinander geltend. Auf eine solche Weise<br />

kann nicht nachträglich die Beseitigung einer Beschwer durch das<br />

erstinstanzliche Urteil zum Gegenstand und Ziel der Berufungsbegründung<br />

gemacht werden (vgl. Thomas/Putzo, ZPO 21. Aufl.<br />

§ 519 Rdnr. 19).<br />

ZPO § 519<br />

Dem Erfordernis einer von dem beim BerG postulationsfähigen<br />

Prozeßbevollmächtigten unterzeichneten Berufungsbegründung<br />

genügt es nicht, wenn diese nur mit einer Unterschrift des nicht<br />

postulationsfähigen Bevollmächtigten versehen eingeht und lediglich<br />

ein getrennt von der Berufungsbegründung eingereichtes<br />

Wiedereinsetzungsgesuch die Unterschrift des postulationsfähigen<br />

Bevollmächtigten trägt.<br />

LG Köln, Beschl. v. 1.10.1999 - 25 S 21/99<br />

Aus den Gründen: Die Berufung ist gem. § 519b I 2 ZPO als<br />

unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht entsprechend der Regelung<br />

des § 519 II ZPO fristgerecht begründet worden ist.<br />

Es fehlt an der rechtzeitigen Einreichung eines von dem beim<br />

LG Köln zugelassenen und damit hier postulationsfähigen Prozeßbevollmächtigten<br />

der Bekl unterzeichneten Begründungsschriftsatz.<br />

Ein solcher wäre Voraussetzung für das Vorliegen einer formgültigen<br />

Berufungsbegründung (BGHZ 37, 156).<br />

Der Schriftsatz vom 29.6.1999 trägt lediglich die Unterschrift<br />

von Herrn Rechtsanwalt Sch. Der alleine von Herr Rechtsanwalt<br />

R. unterzeichnete Wiedereinsetzungsantrag vom 1.7.1999 ist nicht<br />

geeignet, über den Mangel der Unterschrift hinwegzuhelfen.<br />

Der BGH hat es allerdings als ausreichend angesehen, daß eine<br />

nicht unterschriebene Berufungsbegründung gemeinsam mit einem<br />

unterschriebenen Begleitschreiben eingereicht wurde, welches mit<br />

der Berufungsbegründung fest verbunden war (BGH MDR 86,<br />

667). Indes fehlt es vorliegend an der unabdingbaren Voraussetzung<br />

einer eindeutigen Verbindung von Berufungsbegründung und<br />

Unterschrift. Das Erfordernis der Unterschriftsleistung dient der<br />

Klarstellung, daß die Berufungsbegründung von dem postulationsfähigen<br />

Rechtsanwalt stammt. Das mag durch ein fest verbundenes<br />

Begleitschreiben wie auch durch die Einreichung der allein unterschriebenen<br />

zweiten Urschrift des betreffenden Schriftsatzes (vgl.<br />

OLG Schleswig VersR 83, <strong>65</strong>) mit hinreichenden Klarheit festgestellt<br />

werden können. Der von Herrn Rechtsanwalt R. unterzeichnete<br />

Wiedereinsetzungsantrag vermag entsprechende Wirkungen<br />

nicht zu entfalten, weil er noch nicht einmal gleichzeitig mit der<br />

Berufungsbegründung abgefaßt und bei Gericht eingereicht worden<br />

ist. Dies läßt bereits für sich gesehen die Möglichkeit offen, daß<br />

die Berufungsbegründung innerhalb der Frist von Herrn Rechts-<br />

AnwBl 2/2000<br />

Rechtsprechung<br />

anwalt R. als dem aufgrund seiner Zulassung beim LG Köln maßgeblichen<br />

Bevollmächtigten noch nicht gebilligt wurde.<br />

Der Mangel der Unterschrift wird auch nicht aufgrund der verfassungsrechtlich<br />

gebotenen Gleichbehandlung mit anderen, der<br />

Unterschrift nicht bedürfenden Möglichkeiten der Berufungsbegründung<br />

geheilt. Das BVerfG hat in einer älteren Entscheidung<br />

in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, daß die Berufungsbegründung<br />

auch durch ein Fernschreiben eingereicht werden<br />

könne, das seiner Natur nach nicht unterschrieben sei (BVerfG<br />

MDR 87, 728). Dem ist für den vorliegenden Fall keine Bedeutung<br />

abzugewinnen. Denn da eine Fax-Vorlage ohne weiteres unterschrieben<br />

werden kann, bedarf es in bezug auf die Unterschrift keines<br />

Abrückens von deren Notwendigkeit (so auch BGH FamRZ<br />

98, 425 = NJW 98, 762).<br />

Nach allem kommt es auf die behaupteten technischen Störungen<br />

in der Nacht des 30.6.1999 nicht an. Es mag zudem dahinstehen,<br />

ob wirklich keine Möglichkeit bestanden hat, eine von Herrn<br />

Rechtsanwalt R. unterzeichnete Berufungsbegründung über das<br />

Faxgerät von Herrn Rechtsanwalt Sch. zu versenden. Weitere Überlegungen<br />

erübrigen sich, da noch nicht einmal mit dem Wiedereinsetzungsantrag<br />

die nach § 236 II 2 ZPO erforderliche Einreichung<br />

einer von Herrn Rechtsanwalt R. unterzeichneten Begründungsschrift<br />

vorgenommen werden ist. Die erst mit Schriftsatz vom<br />

24.9.1999 eingereichte, von Herrn Rechtsanwalt R. unterzeichnete<br />

Ausfertigung ist, ohne daß ein Grund hierfür ersichtlich wäre, nicht<br />

in der zweiwöchigen Frist des § 234 I ZPO eingegangen.<br />

Der Wiedereinsetzungsantrag ist als unzulässig zu verwerfen,<br />

weil es auf die insoweit maßgebliche Frage der Fristwahrung nicht<br />

ankommt.<br />

Mitgeteilt von Vors. Richter am LG Dr. Burkhard Gehle, Köln<br />

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BLZ 38050000. Anzeigen: MD Medien Dienste GmbH, Ingrid<br />

Oestreich (v. i. S. d. P.), Baumweg 19, 60316 Frankfurt a. M.,<br />

Tel. 069/943331-0, Fax 069/4990386. Technische Herstellung:<br />

Hans Soldan GmbH, Bocholder Str. 259, 45356 Essen, Tel. 0201/<br />

8612208, Fax 0201/8612241. Erscheinungsweise: Monatlich zur<br />

Monatsmitte. Bezugspreis: Jährlich 198,– DM (inkl. MWSt.) zzgl.<br />

Versandkosten, Einzelpreis 18,– DM (inkl. MWSt.). Für Mitglieder<br />

des Deutschen Anwaltvereins ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag<br />

enthalten. Bestellungen: Über jede Buchhandlung und beim<br />

Verlag; Abbestellungen müssen einen Monat vor Ablauf des Kalenderjahres<br />

beim Verlag vorliegen. Zuschriften: Für die Schriftleitung<br />

bestimmte Zuschriften sind nur an die Adresse des Herausgebers<br />

zu richten. Honorare werden nur bei ausdrücklicher<br />

Vereinbarung gezahlt. Copyright: Alle Urheber-, Nutzungs- und<br />

Verlagsrechte sind vorbehalten. Das gilt auch für Bearbeitungen<br />

von gerichtlichen Entscheidungen und Leitsätzen. Der Rechtsschutz<br />

gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen Einrichtungen.<br />

Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich der Einwilligung<br />

des Herausgebers. ISSN 0171-7227.<br />

w


XX<br />

4<br />

9 Online Informationsdienst urbs-media<br />

GbR ergänzt die Palette der juristischen<br />

Informationen im Internet um<br />

ein griffiges und praktisches Angebot.<br />

Mit wenig manuellem Aufwand erreicht<br />

man die dort geführten aktuellen<br />

Nachrichten zu den Bereichen Unternehmen,<br />

Recht, Beruf und Steuern. Sie<br />

erscheinen bei Aufruf der Homepage<br />

gleich als erster Punkt. Die dort stehenden<br />

Meldungen überliest man<br />

andernorts gerne und findet sie bei Bedarf<br />

dann nicht mehr. So zum Beispiel<br />

„Seit 1.12.1999 gelten neue Vorschriften<br />

zur Kfz-Hauptuntersuchung (TÜV)<br />

oder „Zu den Voraussetzungen der<br />

Haftung des Betreibers einer Homepage<br />

für Hyperlink auf eine Seite<br />

mit rechtswidrigem Inhalt“ (Bereich<br />

Recht). Derartige Meldungen werden<br />

wöchentlich ergänzt. Im Bereich<br />

Steuern findet sich ein Hinweis auf<br />

„Höhere Verdienstgrenze für eigenes<br />

Einkommen der Kinder beim Anspruch<br />

auf Kindergeld (Urteil des Nieders.<br />

FG, EFG 99, 1137).<br />

Zusätzlich erscheinen alle zwei<br />

Monate ergänzte Schwerpunkt-Themen,<br />

beispielsweise „Verjährungsfristen“<br />

mit Verjährungslexikon oder<br />

„Reiserecht“.<br />

urbs-media betreibt auch eine Versandbuchhandlung.<br />

http://www.urbs.de (HIT)<br />

9 Metaposition nennt sich ein Service<br />

der aiacs GmbH und der WebEffekt<br />

Internet GmbH. Damit läßt sich die<br />

Bekanntheit bzw. Position der eigenen<br />

Homepage in einigen gängigen Suchmaschinen<br />

nachprüfen. Dazu gibt man<br />

im Suchfenster zunächst den URL der<br />

zu prüfenden eigenen Webseite ein.<br />

Sodann einen beliebigen Suchbegriff,<br />

in dessen Trefferliste man die eigene<br />

Seite gerne sehen würde. Im Falle des<br />

DAV wären das z. B. „www.dav.de“<br />

und „Anwaltverein“.<br />

http://www.MetaPosition.de (HIT)<br />

9 Die Bundesversicherungsanstalt für<br />

Angestelle hat eine optisch ansprechende<br />

Website ins Netz gestellt.<br />

Inhaltlich ist vor allem das Formularangebot<br />

hervorzuheben. Unter „Aktuelles“<br />

erhält man die Möglichkeit Vordrucke<br />

zur Rentenversicherung oder<br />

Internet –Aktuell<br />

zu Rentenleistungen downzuloaden oder<br />

auszudrucken. Das sind beispielsweise<br />

Anträge auf Kontenklärung, Fragebögen<br />

zu Ersatz- oder Anrechnungszeiten.<br />

Verfügbar ist auch ein „Komplettpaket<br />

Kontenklärung“. Die BfA<br />

bietet ferner ein umfangreiches Rentenlexikon<br />

mit einschlägigen Begriffen.<br />

http://www.bfa.de (HIT)<br />

9 Umfangreich bestückt ist das Angebot<br />

an online lesbaren Publikationen<br />

der international tätigen Sozietät<br />

Bender, Zahn, Tigges. Der aktuelle<br />

Hinweis liegt auf der Neuerscheinung<br />

„Werbung und Recht im Internet von A<br />

bis Z“ der Partner Dr. Andreas Freitag<br />

und Dr. Martin Mitschke, Büro Hamburg.<br />

Dieses Werk ist allerdings nicht<br />

online abrufbar. Eine Vielzahl der sonstigen<br />

Veröffentlichungen in Fachzeitschriften<br />

dagegen schon. Sie wurden<br />

eingeteilt in die Rubriken Immobilienrecht,<br />

Gesellschaftsrecht, Onlinerecht<br />

und Wettbewerbs- und Kartellrecht.<br />

Im Onlinerecht warten zur Zeit 14 Artikel<br />

von RA Dr. Andreas Freitag und<br />

RA Dr. Klaus Kemen auf den Leser.<br />

http://www.bender-zahn-tigges.de<br />

(HIT)<br />

9 Zur Computermesse CeBIT 2000 in<br />

Hannover will die Deutsche Telekom<br />

AG ein neues spezielles Zertifikat zur<br />

sicheren Datenkommunikation anbieten:<br />

Mit OnlinePass kann sich ein<br />

Nutzer gegenüber einem online-Anbieter<br />

bzw. Unternehmen ausweisen.<br />

Anwendungsbereiche sind: Beidseitige<br />

authentische Kommunikation zwischen<br />

Kunde und Anbieter, Versenden von<br />

verschlüsselten und signierten Mails,<br />

Online-Bestellungen. Im Angebot ist<br />

bereits ServerPass, welches in erster<br />

Linie der Identifizierung von Unternehmen<br />

gegenüber Benutzern dient<br />

(korrekter Server). Das weitere Produkt<br />

TelekomPass befindet sich in der<br />

Testphase.<br />

http://www.dtag.de/<br />

zertifikate/html/index.htm (HIT)<br />

9 Bei der Europäischen Kommission<br />

wurde ein Informationspool eingerichtet,<br />

der vor allem kleinen und mittleren<br />

Unternehmen bei der Orientierung im<br />

Binnenmarkt helfen soll. Dieser „One<br />

Stop Internet Shop“ besteht aus eine<br />

Reihe von eigenen, also bei der Kommission<br />

verfügbaren Daten, sowie aus<br />

Links auf andere Adressen, die soweit<br />

ersichtlich ebenfalls kostenfrei sind.<br />

Der Shop bedient Fragestellungen<br />

wie:<br />

Geschäftsabschluß im Binnenmarkt,<br />

Procedere von Produktzertifikationen,<br />

Geschäftspartnersuche, Angebot für<br />

Öffentliche Aufträge, Informationsquellen<br />

im Binnenmarkt.<br />

Intergriert wurde u. a. der Zugriff auf<br />

eigene Rechtsdatenbanken und Amtsblatt.<br />

Im Bereich Binnenmarktvorschriften<br />

findet sich ferner ein Link<br />

auf das juristische Internetverzeichnis<br />

„The World Law Guide“ in den Niederlanden.<br />

Nach Angabe mit über<br />

4.000 weiteren Links zu juristischer<br />

Information in über 40 Ländern<br />

(http://www.lexadin.nl/wlg/).<br />

Das Angebot wird abgerundet durch<br />

eine Reihe von „Praktische Informationen“.<br />

Neben Verweisen auf Wirtschaftsnachrichten,<br />

Kurznachrichten<br />

und dem „European Business Directory“<br />

schien vor allem die Zugriffsmöglichkeit<br />

auf „Messen und Ausstellungen“<br />

interessant: neptun Verlag Inc.,<br />

USA, listet unter der Adresse http://<br />

www.messenweltweit.com dreisprachig<br />

u. a. 18.000 Messedaten bei 1.400<br />

Messestädten, 310.000 Ausstellern.<br />

Auch Kongresse werden aufgenommen.<br />

Der Einstieg in den One Stop Internet<br />

Shop der EU-Kommission erfolgt über<br />

die Adresse:<br />

http://europa.eu.int/business/ (HIT)<br />

Zusammengestellt von Rechtsanwalt<br />

Timm Hitzfeld, Augsburg (HIT)<br />

und Rechtsanwalt Udo Henke, DAV,<br />

Bonn (HEN).


XXII<br />

4<br />

(Fortsetzung von Seite IV)<br />

9 Datum: 9.5.2000<br />

Ort: Augsburg,<br />

Stadthalle<br />

Gersthofen,<br />

Hauptsaal,<br />

Rathausplatz 2,<br />

86368 Gersthofen<br />

Seminarleitung: RA Riedmeyer<br />

Die Teilnahme ist kostenlos.<br />

Infoanfragen und Anmeldungen bitte<br />

an die GTÜ, Jahnstraße 12, 70597<br />

Stuttgart, Telefon: 07 11 /97 67 60,<br />

Telefax: 07 11 /97 67 699<br />

AG Internationaler Rechtsverkehr<br />

im DAV und Deutsche Institution<br />

für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS)<br />

Ihr Mandat als Schiedsrichter<br />

(Wiederholungsseminar)<br />

Das Seminar wendet sich sowohl an<br />

Praktiker, die den Ersteinstieg in die<br />

Schiedsgerichtsbarkeit suchen als auch<br />

an bereits erfahrene Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte.<br />

Es werden folgende interessante Themen<br />

behandelt:<br />

9 Aufgaben des Schiedsrichters<br />

9 Schiedsrichtervertrag<br />

9 Auswahl und Ernennung des Vorsitzenden<br />

9 Vorbereitung und Organisation eines<br />

Verfahrens<br />

9 Durchführung des Verfahrens<br />

9 Abfassung des Schiedsspruchs<br />

9 Versicherungsschutz des Schiedsrichters<br />

Zeit und Ort:<br />

24./25. März 2000<br />

Steigerberger Inselhotel, Konstanz<br />

Gebühren:<br />

Der Teilnehmerbeitrag umfasst die<br />

Tagungsgebühr, das Mittag- und<br />

Abendessen am 24.3.2000 sowie die<br />

Konferenz- und Pausenetränke.<br />

Für Mitglieder der DIS und ARGE<br />

Internationaler Rechtsverkehr im DAV<br />

638 DM, für Nichtmitglieder 812 DM,<br />

für Mitglieder des Forums Junger<br />

Rechtsanwälte und Rechtsanwälinnen<br />

im DAV 348 DM.<br />

Info und Anmeldung:<br />

Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit<br />

e.V., Adenauerallee 148,<br />

53113 Bonn, Telefon: 02 28 / 104-2711,<br />

Fax: 02 28 / 104-2714, Internet:<br />

www.dis-arb.de<br />

Deutsche Anwaltakademie<br />

Seminare im März 2000<br />

9 Das familienrechtliche Mandat<br />

Harald Schulze, Rechtsanwalt,<br />

Fachanwalt für Familienrecht, Hamm<br />

4. März 2000 in Nürnberg<br />

Seminar: R 11212-00<br />

9 Anwaltliche Taktik in<br />

Kündigungsschutzsachen<br />

Dr. Ulrich Baeck, Rechtsanwalt,<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht,<br />

Frankfurt a. M.<br />

10. März 2000 in Koblenz<br />

Seminar: R 11008-00<br />

9 Rationelle Kanzleiführung –<br />

Kostenverbesserung und<br />

Leistungssteigerung<br />

Dr. Eberhard Fedtke,<br />

Rechtsanwalt und Notar, Essen<br />

11. März 2000 in Heidelberg<br />

Seminar: R 12612-00<br />

9 Verhandlungen auf Französisch<br />

Christoph Kocks, Rechtsanwalt,<br />

Brüssel<br />

17.-18. März 2000 in Aachen<br />

Seminar: R 21807-00<br />

9 Pflegeversicherung in der Praxis<br />

Dr. Michael Neumann, Direktor des<br />

Sozialgerichts Schleswig<br />

18. März 2000 in Würzburg<br />

Seminar: R 12002-00<br />

9 Schadensfälle durch<br />

Jahr-2000-Fehler<br />

Prof. Dr. Jochen Marly,<br />

Universität Heidelberg<br />

24. März 2000 in Frankfurt a. M.<br />

Seminar, R 52806-00<br />

Anmeldung und Info: Deutsche Anwaltakademie,<br />

Ellerstr. 48, 53119 Bonn,<br />

Telefon: 0228/98366-77, Fax: 98366-66<br />

(Fortsetzung auf Seite XXIV)


XXIV<br />

4<br />

(Fortsetzung von Seite XXII)<br />

DACH<br />

Die 22. DACH-Tagung wird vom 18.-<br />

20.5.2000 in Strassburg durchgeführt.<br />

Das Thema lautet: „Die Bedeutung des<br />

GATS (General Agreement on Trade in<br />

Services) für die Rechtsanwälte“.<br />

Die 23. DACH-Tagung wird vom 14.-<br />

16.9.2000 in Amsterdam stattfinden.<br />

Das Thema lautet: „Rechtsprobleme<br />

bei elektronischem Handel (E-Commerce)<br />

und Internet“.<br />

Die Mitglieder der DACH erhalten die<br />

Einladungen rechtzeitig zugestellt. Nichtmitglieder<br />

können sie anfordern bei:<br />

DACH, Europäische Anwaltsvereinigung,<br />

Kappelergasse 14, CH-8022 Zürich (Tel.<br />

++4112110777; Fax ++4112110778).<br />

Münchner Steuerfachtagung<br />

Am 22. und 23.3.2000 findet die 39.<br />

Münchner Steuerfachtagung im Hilton<br />

München Park Hotel statt. Das Programm<br />

ist traditionell hochaktuell und weitgespannt.<br />

Es enthält folgende Themenbereiche:<br />

Aktuelle Fragen des Steuerrechts<br />

und der Steuerpolitik; Neues zu Gestaltungsmöglichkeiten<br />

im Steuerrecht; Bundesrichter<br />

zu aktuellen Fragen des Steuerrechts<br />

und der Steuerrechtsprechung;<br />

Berufliche und private Nutzung von<br />

Wirtschaftsgütern; Anwendung von<br />

Doppelbesteuerungsabkommen auf<br />

Personengesellschaften.<br />

Der Bundesminister der Finanzen wird<br />

am 22.3. zur Eröffnung der Tagung ein<br />

Referat halten mit dem Thema „Die Zukunft<br />

der Steuergesetzgebung, besonders<br />

die Unternehmenssteuerreform“.<br />

Der Tagungsbeitrag beträgt 690 DM<br />

bzw. 740 DM bei Anmeldungen nach<br />

dem 12.2.2000.<br />

Weitere Informationen und Anmeldungen:<br />

c/o Münchner Steuerfachtagung<br />

e.V., Rondell Neuwittelsbach 8, 80639<br />

München, Telefon 0 89 / 13 99 04 30,<br />

Telefax 0 89 /13 99 04 33.<br />

University of California,<br />

Davis, in Zusammenarbeit mit der<br />

Universität zu Köln<br />

und dem Deutschen Anwaltverein<br />

3. Deutsch-Amerikanisches<br />

Graduierten- und Praktikerseminar<br />

Dozenten werden Professoren der Universitäten<br />

Davis, Berkeley und Köln<br />

sein, die jeweils auf ihrem Gebiet<br />

Fachleute von internationalem Ruf<br />

sind. Die Seminarveranstaltung wird<br />

ausschließlich in englischer Sprache<br />

stattfinden. Die Teilnahme an diesem<br />

Seminar kann genutzt werden, um einen<br />

Teil der Anforderungen an den<br />

akademischen Grad des „Master’s Degree<br />

in International Commercial<br />

Law“ (MCL) der University of California,<br />

Davis, zu erfüllen. Für den MCL,<br />

der in drei aufeinanderfolgenden Sommern<br />

erreicht wird – davon zu zwei<br />

Dritteln in Kalifornien – benötigen die<br />

Teilnehmer insgesamt 24 sog. „credits“,<br />

von denen vier durch die Teilnahme<br />

an diesem Seminar erworben<br />

werden können. Teilnahmevoraussetzung<br />

ist die Zulassung als Rechtsanwalt<br />

sowie der Nachweis der erforderlichen<br />

Englischkenntnisse durch<br />

Vorlage eines TOEFL-Tests (mind. 550<br />

Punkte) oder einer vergleichbaren Prüfung.<br />

Themen werden sein:<br />

9 Doing Business: Comparitive Views<br />

of Establishment and Operation of<br />

Corporations;<br />

9 U.S. Contract Law for International<br />

Practitioners;<br />

9 Arbitrating and Litigating Disputes<br />

in International Transactions, European<br />

and U.S. Views;<br />

9 International Enforcement of Court<br />

Judgements and Arbitration Awards;<br />

9 Tax Treatment of International<br />

TransactionsU.S. Real Estate Transactions<br />

for International Practitioners;<br />

9 White Collar Criminal Liability<br />

Under U.S. Law.<br />

Zeit und Ort:<br />

19. – 30. Juni 2000, Rechtszentrum für<br />

europäische und internationale Zusammenarbeit<br />

(R.I.Z.), Hardefuststraße 1,<br />

D – 50677 Köln<br />

Teilnahmegebühr:<br />

US $ 2.000 inkl. Seminargebühr,<br />

Tagungsunterlagen, Begrüßungs- und<br />

Abschiedsessen.<br />

Anmeldeschluß: 1. Mai 2000<br />

Info und Anmeldung:<br />

International Law Programs<br />

University of California, Davis<br />

1333 Research Park Drive<br />

USA - Davis, CA 95616-4852<br />

Tel.: +1/530 /757 85 69,<br />

Fax: +1 /530 / 757 85 96,<br />

e-mail: Law@unexmail.ucdavis.edu<br />

Anwaltsmarketing<br />

Die vom Deutschen Anwaltverein und<br />

der IIR Deutschland GmbH veranstaltete<br />

Fachkonferenz „Erfolgreiche Marketing-Strategien<br />

für Anwaltskanzleien –<br />

Der seriöse Weg zur Mandantenakquisition“<br />

in Frankfurt wird verlegt (vergleiche<br />

AnwBl 12/99, Seite <strong>65</strong>3 ff.).<br />

Diese Konferenz findet nicht vom 19.<br />

bis zum 21. Januar 2000, sondern von<br />

8. bis 10. März 2000 in Frankfurt<br />

statt. Des weiteren beträgt die Ermäßigung<br />

für Mitglieder des Deutschen<br />

Anwaltvereins auf den Teilnahmebeitrag<br />

nunmehr 30%.<br />

Weitere Informationen erhalten Sie<br />

von Herrn Thomas Jakobi, Marketing-<br />

Manager, IIR Deutschland GmbH,<br />

Tel.: 0 61 96 – 5 85-271, Fax: 0 61 96 –<br />

5 85 – 240.<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski, Bonn<br />

Universität Hamburg<br />

3. Hamburger<br />

Wirtschaftsrechtstag 2000<br />

„Umweltrecht und Wirtschaft“ ist das<br />

Thema des 3. Hamburger Wirtschaftsrechtstages,<br />

der am 11.4.2000 unter<br />

der Leitung von Prof. Dr. R. Stober<br />

stattfindet. Die Veranstaltung beschäftigt<br />

sich mit den Anforderungen der<br />

Unternehmen an das Umweltrecht. Sie<br />

will ein Diskussionsforum für die Wissenschaft<br />

und Praxis sein und ist sowohl<br />

intra- als auch interdisziplinär<br />

angelegt. Zunächst wird das geltende<br />

Umweltrecht kritisch untersucht. Dann<br />

wird das geplante Umweltrecht analysiert,<br />

insbesondere unter Berücksichtigung<br />

der unternehmerischen Belange.<br />

Referenten sind u. a. Prof. Dr. R.<br />

Schmidt, Dr. Hüwels vom DIHT, Prof.<br />

Dr. Frenz, RA Dr. J. Fluck, Prof. Dr.<br />

Peter M. Huber, Prof. Dr. Hendler und<br />

Prof. Dr. Gunther Engelhardt. Die<br />

Teilnehmerzahl ist begrenzt.<br />

Auskünfte und Anmeldung: Handelskammer<br />

Hamburg, Herr stellv. Geschäftsführer<br />

Christian Graf, Adolphsplatz<br />

1, 20457 Hamburg, Tel.: 0 40 /<br />

36 13 80, Fax: 0 40 /36 13 86 35.


4<br />

AG Verkehrsrecht des DAV<br />

Regionale Veranstaltungen<br />

Datum/Orte: 19.2. 2000,<br />

Bad Bramstedt<br />

26.2.2000, Oldenburg<br />

Thema: Der Verdienstausfall im<br />

Schadensersatzrecht –<br />

mit Berechnungsbeispielen<br />

–<br />

Referent: RA Janke,<br />

Leitender Referent<br />

LVM Versicherung<br />

Datum/Ort: 19.2.2000,<br />

Neubrandenburg<br />

Thema: Fahrlässigkeitshaftung<br />

und Gefährdungshaf-<br />

Referent:<br />

tung – Typische Probleme<br />

des Haftungsgrundes<br />

in der Praxis –<br />

RiBGH Dr. Lepa<br />

Datum/Ort: 26.2.2000,<br />

Neukirchen (b. Marburg)<br />

Thema: Leasing und Drittfinanzierung<br />

von Kraftfahrzeugen<br />

Referent: RA Dr. Reinking<br />

Datum/Ort. 26.2.2000,<br />

Homburg/Saar<br />

Thema: Prozeßtaktik im Haftpflichtprozeß<br />

Referent: RiBGH Römer<br />

Gebühr: 150 DM für Mitglieder<br />

der ARGE und Referendare;<br />

250 DM für Nichtmitglieder<br />

Datum/Ort: 4.3.2000, Hannover<br />

Thema: Der Verkehrsstrafprozess<br />

– Tägliche Probleme in<br />

der Praxis –<br />

Referent: Prof. Dr. Dencker<br />

Datum/Ort: 25.3.2000, Düsseldorf<br />

Thema: Der Verdienstausfall im<br />

Schadensersatzrecht<br />

– mit Berechnungsbeispielen<br />

–<br />

Referent: RA Jahnke,<br />

Leitender Referent<br />

LVM Versicherungen<br />

Datum/Ort: 25.3.2000, Erfurt<br />

Thema: Fahrlässigkeitshaftung<br />

und<br />

Gefährdungshaftung<br />

– Typische Probleme<br />

des Haftungsgrundes in<br />

der Praxis –<br />

Referent: Richter am BGH<br />

Dr. Lepa<br />

Datum/Ort: 25.3.2000, Berlin<br />

Thema: Der Verkehrsunfall in<br />

seinen versicherungsrechtlichen<br />

Folgen<br />

Referent: Richter am BGH Römer<br />

Datum/Ort: 25.3.2000, Nürnberg<br />

Thema: Prozesstaktik im<br />

Haftpflichtprozess<br />

Referent: Richter am OLG<br />

Heinz Diehl, Frankfurt<br />

Gebühr: 150 DM für Mitglieder<br />

der ARGE und Referendare;<br />

250 DM für Nichtmitglieder<br />

Bundesweite Veranstaltung<br />

Datum/Ort: 10./11.3.2000<br />

in Bad Kreuznach<br />

Thema: Zweite verkehrsstrafrechtliche<br />

Tagung<br />

Aktuelle Probleme der<br />

Fahrerlaubnisverordnung,<br />

der Reform des<br />

Ordnungswidrigkeitenrechts<br />

und der Unfall<br />

flucht<br />

Gebühr: 400 DM für Mitglieder<br />

der ARGE und Referendare;<br />

500 DM für Nichtmitglieder<br />

(inkl. Mittagessen)<br />

Sonderveranstaltungen<br />

Datum/Ort: 19./20.2.2000, Aachen<br />

Thema: Verkehrsrecht für junge<br />

Kollegen und<br />

Referendare<br />

Referenten: RA Gebhardt,<br />

RAuN Fleischmann<br />

Gebühr: 250 DM für Rechtsanwälte;<br />

150 DM für<br />

Datum/Ort:<br />

Referendare<br />

25./26.3.2000, Dresden<br />

Thema: Verkehrsrecht für junge<br />

Kollegen und Referendare<br />

Referenten: RA Hillmann III,<br />

Oldenburg<br />

RA Oskar Riedmeyer,<br />

München<br />

Gebühr: 250 DM für Rechtsanwälte,<br />

150 DM für<br />

Referendare<br />

(Anmeldung s. u.)<br />

AG Strafrecht des DAV<br />

XXV<br />

Fortbildungsveranstaltungen<br />

Datum/Ort: 5.2.2000, Berlin<br />

Thema: Aktuelles Straf- und<br />

Referenten:<br />

Strafprozeßrecht (I)<br />

RA Gillmeister, RA Hiebl<br />

Datum/Ort: 26.2.2000,<br />

Hannover<br />

Thema: Revisionsrecht<br />

Referenten: RA Prof. Dr. Schlothauer,<br />

RA Neuhaus<br />

Gebühr: 200 DM für Mitglieder<br />

der ARGE; 300 DM für<br />

Nichtmitglieder<br />

Datum/Ort: 18.3.2000, Lübeck<br />

Thema: Grundlagen der<br />

Strafverteidigung<br />

Referenten: RA Amelung<br />

RAin Marberth-Kubicki<br />

Datum/Ort: 25.3.2000, Mainz<br />

Thema: Betäubungsmittelstrafrecht<br />

*<br />

Referenten: RA Johnigk,<br />

RA Wesemann<br />

Gebühr: 200 DM für Mitglieder<br />

der ARGE; 300 DM für<br />

Nichtmitglieder<br />

Bundesweite Veranstaltung<br />

Datum/Ort: 10./11.3.2000,<br />

Bad Kreuznach<br />

Thema: Zweite<br />

verkehrsstrafrechtliche<br />

Fachtagung<br />

Aktuelle Probleme der<br />

Fahrerlaubnisverordnung,<br />

der Reform des<br />

Ordnungswidrigkeitenrechts<br />

und der Unfallflucht<br />

*<br />

Gebühr: 400 DM für Mitglieder<br />

der ARGE und Referendare;<br />

500 DM für Nichtmitglieder<br />

(inkl. Mittagessen)<br />

* Fortbildung nach § 15 Fachanwaltsordnung<br />

Anmeldungen (bitte schriftlich) und<br />

weitere Informationen:<br />

Arbeitsgemeinschaften Verkehrs- und<br />

Strafrecht, Veranstaltungsorganisation,<br />

Hirschmannstraße 7, 53359 Rheinbach<br />

Telefon: 0 22 26 /91 20 91, Telefax:<br />

0 22 26 / 91 20 95


XXVI<br />

4<br />

Der Berichterstattervermerk<br />

– Eine Regreßfalle für den Anwalt –<br />

Rechtsanwalt und Notar Dr. Thomas Doms, Celle<br />

Eine alltägliche Situation im Gerichtssaal: Das Gericht entscheidet<br />

– letztinstanzlich – über eine Berufung. Ein oder<br />

mehrere Zeugen werden vernommen. Die beteiligten Anwälte<br />

erklären ihr Einverständnis mit der Abfassung eines<br />

Berichterstattervermerkes anstelle einer förmlichen Protokollierung<br />

der Zeugenaussage(n). Was im einzelnen der Berichterstatter<br />

notiert, wissen sie allerdings nicht.<br />

I.<br />

1. Grundsätzlich besteht gem. § 159 ZPO für jede mündliche<br />

Verhandlung Protokollzwang. Das gilt auch für die<br />

Beweisaufnahme als Teil der mündlichen Verhandlung. Darum<br />

sind gem. § 160 III Ziff. 4 ZPO im Protokoll die Aussagen<br />

der Zeugen, Sachverständigen und der vernommenen<br />

Parteien festzustellen. Mit „feststellen“ meint das Gesetz<br />

die möglichst wortgetreue Wiedergabe der Aussagen. Thomas-Putzo<br />

und Baumbach-Lauterbach 1 empfehlen, zumindest<br />

die Kernsätze einer Aussage in direkter Rede wiederzugeben.<br />

So ist auch die allgemeine Handhabung.<br />

a) Die Protokollierung ist in der ZPO sehr genau geregelt<br />

vom eigentlichen Aufzeichnungsvorgang (§ 160 ZPO) über<br />

die Prüfung (§ 162 ZPO) und die Genehmigung (§ 163 ZPO),<br />

die Berichtigung (§ 164 ZPO), bis hin zum Antrag auf Protokollierung<br />

bestimmter einzelner Vorgänge (§ 160, IV ZPO)<br />

und dem Umfang der Beweiskraft des Protokolls (§ 1<strong>65</strong><br />

ZPO). All diese Regelungen zeigen die außerordentliche<br />

Bedeutung des Protokolls für das gerichtliche Verfahren.<br />

b) Eine Erleichterung enthält § 161 ZPO. Danach kann<br />

(„brauchen nicht“) die förmliche Protokollierung von Zeugenaussagen,<br />

Angaben eines Sachverständigen und/oder Erklärungen<br />

einer Partei unterbleiben, wenn das in der Sache<br />

selbst entscheidende Gericht eine Vernehmung oder den<br />

Augenschein durchführt. Weitere Voraussetzung ist, daß gegen<br />

das nachfolgende Urteil weder Berufung noch Revision<br />

zulässig sind.<br />

Jedoch gilt diese Vorschrift nicht für den beauftragten oder<br />

den ersuchten Richter. Diese Richter haben ein förmliches<br />

Protokoll zu fertigen auch dann, wenn die weitere Voraussetzung<br />

für die Anwendung von § 161 I ZPO gegeben<br />

wäre und das Endurteil der Berufung oder Revision nicht<br />

unterliegt. Maßgeblich ist nämlich, daß der/die entscheidende<br />

Richter einen eigenen, unmittelbaren Eindruck von den<br />

Aussagen und/oder der Örtlichkeit gewinnen.<br />

Gleichfalls ist eine förmliche Protokollierung nicht erforderlich<br />

gem. § 161 I Ziff. 2 ZPO, wenn sich die Parteien<br />

verglichen haben oder die Klage zurückgenommen und/<br />

oder wenn ein Anerkenntnis abgegeben oder ein Verzicht<br />

erklärt wurde. Nach der Interessenlage der Beteiligten wird<br />

in diesen Fällen regelmäßig kein Bedürfnis für eine förmliche<br />

Protokollierung bestehen, wenn der Prozeß nicht<br />

durch eine Entscheidung des Gerichts, sondern aufgrund<br />

der Parteiherrschaft zu einem Abschluß kommt.<br />

2. Schon seit langem hat sich die Übung herausgebildet, daß<br />

an die Stelle einer förmlichen Protokollierung von Zeugenaussagen<br />

die handschriftliche Notiz der Bekundungen des<br />

Zeugen durch den Berichterstatter, also den sachbearbeitenden<br />

Richter, tritt. Dieser sog. Berichterstattervermerk bietet<br />

erhebliche Verfahrensvorteile, weil gerade umfangreiche Beweisaufnahmen<br />

besser zu bewältigen sind. Außerdem fallen<br />

Berichterstattervermerke regelmäßig ausführlicher und eingehender<br />

aus als förmlich protokollierte Zeugenaussagen.<br />

Zwingend erforderlich bleibt aber die Protokollierung der<br />

Personalien des Zeugen und der sonstigen Voraussetzungen<br />

für seine Aussage.<br />

a) Der BGH hat zum Berichterstattervermerk (früher: Aktenvermerk)<br />

und seiner Handhabung verschiedene Grundsätze<br />

aufgestellt. 2 Dabei wird nicht unterschieden danach,<br />

ob der Berichterstattervermerk in einem der Revision unterliegenden<br />

oder in einem nichtrevisiblen Verfahren gefertigt<br />

wurde. Ohne Einfluß bleibt es deshalb, ob das Urteil rechtsmittelfähig<br />

ist oder nicht. Stets sind beim Berichterstattervermerk<br />

die vom BGH aufgestellten Grundsätze zu wahren.<br />

Das gilt auch in Fällen des § 161 I Ziff. 1 ZPO. 3<br />

b) Was der Berichterstatter von den Bekundungen eines Zeugen<br />

oder Sachverständigen notiert und in welcher Form dies<br />

geschieht (Stichworte, Kurzschrift usw.) bleibt ihm überlassen.<br />

Entscheidendes Gewicht legt der BGH aber darauf, was<br />

mit dem Berichterstattervermerk nach dem Termin geschieht,<br />

nämlich wie und wann er den Parteien zugänglich gemacht<br />

wird. Der Berichterstattervermerk ist in jedem Falle mitzuteilen,<br />

weil andernfalls der Anspruch auf Gewährung von<br />

rechtlichem Gehör (Art. 103, I GG) verletzt würde. 4<br />

c) Es ist zu unterscheiden danach, ob ein Urteil unmittelbar<br />

im Anschluß an die Beweisaufnahme (§ 310, I, 1. Altern.<br />

ZPO) verkündet wird oder ob die Verkündung in einem<br />

gesonderten Termin (§ 310, I, 2. Altern. ZPO) bis zu 3 Wochen<br />

nach der letzten mündlichen Verhandlung erfolgt.<br />

aa) Aus der Natur der Sache heraus folgt, daß bei sofortiger<br />

Urteilsverkündung der Berichterstattervermerk nicht mehr<br />

zugänglich gemacht werden kann. 5 Etwaige Mißverständnisse<br />

beim Berichterstatter/Gericht werden geklärt, weil aus<br />

dem Plädoyer des Anwaltes dessen Verständnis vom Inhalt<br />

einer Aussage und dem Ergebnis der Beweisaufnahme erkennbar<br />

wird. Das Gericht wird noch in der mündlichen<br />

Verhandlung darauf hinweisen, daß es die Aussage anders<br />

verstanden hat.<br />

Allerdings ist der Berichterstattervermerk, zusammen mit<br />

dem vollständig abgefaßten Urteil, den Parteien zu übersenden.<br />

Sowohl für die obsiegende als auch die unterliegende<br />

Anmerkungen:<br />

1 Baumbach-Lauterbach-Hartmann, 54. Aufl. 1995, § 160, Rdnr. 11; Thomas-<br />

Putzo, 19. Aufl. 1995, § 160, Rdnr. 6. Unumgänglich ist die wörtliche Wiedergabe<br />

bei der Beeidigung eines Zeugen, Sachverständigen oder einer Partei (vgl.<br />

Zöller, 19. Aufl. 1995, § 160, Rdnr. 8).<br />

2 Häufiger genannt wird eine nicht veröffentlichte Entscheidung des BGH (Urteil<br />

vom 16.1.1957 – IV ZR 82/55 –). Die in diesem Zusammenhang interessierende<br />

Passage des Urteils lautet: „Die Frage aber, ob die bei Anwendung des<br />

§ 161 ZPO erforderliche Wiedergabe des Beweisergebnisses im Urteil durch<br />

eine Bezugnahme auf den Inhalt einer Aufzeichnung des Berichterstatters ersetzt<br />

werden könne, ist ... (folgen Zitate) von der herrschenden Meinung bejaht<br />

worden. Auch der Bundesgerichtshof hat sich dem angeschlossen. Allerdings<br />

wird dabei für den Regelfall vorausgesetzt, daß die das Beweisergebnis enthaltende<br />

Aufzeichnung den Parteien rechtzeitig vor der Urteilsfällung mitgeteilt<br />

worden ist. Sie müssen Abschriften davon erhalten, damit sie in der Lage sind,<br />

den Inhalt des Schriftstückes bei ihrem mündlichen Vortrag in der Schlußverhandlung<br />

zu verwerten“.<br />

3 BGH VersR 89, 189; NJW 87, 1200.<br />

4 BGH NJW 72, 1673; MK ZPO, 1992, § 161, Rdnr. 8; Baumbach-Lauterbach,<br />

aaO, § 161, Rdnr. 6 m. w. N.<br />

5 BGH ZZP, 71. Bd, 104 (105); FamRZ 91, 43 (45).


4<br />

Partei bestünde andernfalls Gefahr, daß das Revisionsgericht<br />

von einem unrichtigen Sachverhalt ausgeht. 6 Enthält<br />

der Berichterstattervermerk Unrichtigkeiten oder Mißverständnisse,<br />

dann kann in entsprechenden Anwendungen der<br />

Vorschriften über die Protokollberichtigung (§ 164 ZPO)<br />

verfahren werden.<br />

bb) Im Fall der Urteilsverkündung im gesonderten Termin<br />

hat der BGH bereits 1960 ausgeführt, es sprächen gewichtige<br />

Gründe dafür, den Berichterstattervermerk („die das Ergebnis<br />

der Vernehmung enthaltende Aufzeichnung“) den<br />

Parteien vor dem Verkündungstermin bekannt zu machen,<br />

ihnen also eine Abschrift/Reinschrift zugänglich zu machen.<br />

Nur so ist es möglich, daß vor der Verkündung Irrtümer<br />

oder Mißverständnisse aufgeklärt werden können. Bei<br />

berechtigten Beanstandungen wird der Anwalt die Wiedereröffnung<br />

der mündlichen Verhandlung beantragen. Außerdem<br />

kann ein Antrag auf Protokollberichtigung gestellt<br />

werden, wobei § 164 ZPO und das dortige Verfahren, welches<br />

zunächst nur für das förmliche Protokoll gilt, entsprechend<br />

auf den Berichterstattervermerk Anwendung finden<br />

kann. Gem. § 156 ZPO kann das Gericht die Wiedereröffnung<br />

der mündlichen Verhandlung anordnen. Der BGH<br />

geht davon aus, daß dies in berechtigten Fällen auch geschieht.<br />

Eine solche Handhabung bietet die Gewähr dafür, daß die<br />

der Urteilsfindung zugrundeliegenden Tatsachen und die<br />

Feststellungen dazu nicht von Mißverständnissen und Irrtümern<br />

des Berichterstatters beeinflußt sind. Maßgeblich ist<br />

nach der Rechtsprechung des BGH somit der Schutz aller<br />

Verfahrensbeteiligten vor unrichtigen tatsächlichen Feststellungen<br />

über das Beweisergebnis.<br />

3. Gefahr für den Anwalt besteht weniger bei revisiblen<br />

Verfahren, sondern dann, wenn das Oberlandesgericht/das<br />

Landgericht letztinstanzlich entscheidet. Hier ist die Praxis<br />

zum Berichterstattervermerk ganz unterschiedlich. Teilweise<br />

wird der Berichterstattervermerk zusammen mit dem Urteil<br />

übersandt, manchmal schon vorher und manchmal überhaupt<br />

nicht. Als Beleg mögen zunächst zwei Zitate dienen:<br />

„... teile ich mit, daß ein Berichterstattervermerk in diesem Sinne<br />

nicht existiert; ich habe mir lediglich handschriftliche Notizen gemacht,<br />

die sich auf den Rückseiten des für den Senat bestimmten<br />

Votums befinden.“<br />

oder<br />

„... wird mitgeteilt, daß ein Berichterstattervermerk keinesfalls bei<br />

jeder Beweisaufnahme üblich ist. Es genügt prozessual die Auseinandersetzung<br />

mit dem Beweisergebnis in den Entscheidungsgründen.“<br />

Bereits diese beiden Beispiele zeigen die erhebliche Gefahr,<br />

die für den Anwalt besteht, wenn von einer förmlichen<br />

Protokollierung abgesehen und statt dessen ein Berichterstattervermerk<br />

gefertigt wird. Die Aufzeichnungen<br />

des Berichterstatters werden nämlich wegen des zeitlichen<br />

Abstandes zur mündlichen Verhandlung und bei mehreren<br />

Beweisterminen gerade in der Beratung ein zunehmend<br />

wichtigeres Hilfsmittel sein. Wird der Berichterstattervermerk<br />

nicht vor Urteilsverkündung zugänglich gemacht,<br />

dann werden die Schwierigkeiten erst zu einem Zeitpunkt<br />

offenkundig, zu welchem eine Einwirkungsmöglichkeit<br />

nicht mehr besteht. Es sind Irrtümer oder Mißverständnisse<br />

möglich, weil der Berichterstatter eine Bemerkung des Zeugen<br />

nicht aufgeschrieben oder mißverstanden hat. Solche<br />

Mißverständnisse sind auch nicht dadurch auszuschließen,<br />

XXVII<br />

daß über das Beweisergebnis im Anschluß an die Beweisaufnahme<br />

verhandelt wird (übliche Eintragung im Protokoll:<br />

„Die Parteien verhandeln mit den bisherigen Anträgen<br />

streitig zur Sache und zum Ergebnis der Beweisaufnahme“).<br />

Sicherlich läßt sich die Gefahr von Mißverständnissen nie<br />

ausschließen. Daraus kann dem Anwalt auch kein Vorwurf<br />

entstehen, wenn Erklärungen eines Zeugen vom Gericht<br />

falsch gedeutet werden. Ein Vorwurf trifft den Anwalt allerdings<br />

dann, wenn er nicht den „sichersten Weg“ gewählt<br />

hat. Der Anwalt muß sich stets für eine prozessuale Vorgehensweise<br />

entscheiden, die die bestmögliche Gewähr bietet,<br />

um gerade aus Mißverständnissen folgende Fehler auszuschließen.<br />

Wird eine Zeugenaussage förmlich protokolliert, dann treten<br />

Mißverständnisse schon während der Beweisaufnahme<br />

zutage. Der Anwalt kann sofort eingreifen. Eine solche<br />

Möglichkeit besteht bei der Fertigung eines Berichterstattervermerks<br />

jedoch nur dann, wenn der Berichterstattervermerk<br />

– so wie vom BGH gefordert – noch vor dem Verkündungstermin<br />

(zweckmäßigerweise zusammen mit dem<br />

Terminsprotokoll) den Parteien zugänglich gemacht wird.<br />

II.<br />

Der Anwalt hat, wenn er sich mit einem Berichterstattervermerk<br />

einverstanden erklärt, darauf zu achten, daß die<br />

Grundsätze der Rechtsprechung des BGH eingehalten werden.<br />

Darum muß er dafür Sorge tragen, daß der Berichterstattervermerk<br />

noch vor dem Verkündungstermin den Beteiligten<br />

vorliegt.<br />

a) Werden durch einen Prozeß erhebliche wirtschaftliche<br />

Belange berührt oder besteht die Möglichkeit von Aussagedelikten,<br />

dann sollte der Anwalt auf eine formelle Protokollierung<br />

der Zeugenaussagen dringen. Das kann sich, je<br />

nach Sachlage, auch dann empfehlen, wenn beispielsweise<br />

Zeugen, deren Aussagen für ein Verfahren von entscheidender<br />

Bedeutung sind, ihrerseits am Ausgang des Verfahrens<br />

mittelbar oder unmittelbar, etwa weil sie Familienangehörige<br />

sind, ein Interesse haben.<br />

Regelmäßig wird das Gericht in einer solchen Situation bereits<br />

von sich aus die förmliche Protokollierung veranlassen<br />

und sich einer entsprechenden Bitte der Beteiligten nicht<br />

verschließen.<br />

b) Wenn ein Berichterstattervermerk gefertigt wird, dann<br />

muß der Anwalt verlangen, daß ihm dieser Berichterstattervermerk<br />

vor dem Verkündungstermin zugänglich gemacht<br />

wird, so daß ggf. eine Stellungnahme noch möglich ist. Der<br />

bei allen prozessualen Handlungen vom Anwalt verlangte<br />

„sicherste Weg“ kann es deshalb erforderlich machen, daß<br />

der Anwalt förmlich zu Protokoll erklärt (§ 160 IV ZPO),<br />

er wolle den Berichterstattervermerk noch vor dem Verkündungstermin<br />

erhalten.<br />

Abschließend ist zur Klarstellung zu sagen, daß die Zweckmäßigkeit<br />

und die Vorteile eines Berichterstattervermerkes<br />

unbestreitbar sind. Jedoch muß sich der Anwalt stets bewußt<br />

sein, welche Gefahr damit verbunden ist und wie er<br />

sich im Interesse des Mandanten und damit gleichzeitig zur<br />

Vermeidung von Regreßfällen verhält.<br />

6 Vgl. Mezger, NJW 61, 1701 ff. (1703).<br />

7 BGH LM § 554 ZPO, Nr. 23.

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