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Goranen in Albanien 1. Die Eigenbezeichnung ist wie bei den ...

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<strong>Goranen</strong> <strong>in</strong> <strong>Albanien</strong><br />

<strong>1.</strong> Gruppenbezeichnungen<br />

2. Sprache<br />

3. Stat<strong>ist</strong>ik und Demographie<br />

4. Siedlungsgebiet und -schwerpunkte<br />

5. Siedlungs- und Gruppengeschichte<br />

6. Religion, konfessionelle Struktur<br />

7. Politische und kulturelle Selbstorganisation<br />

8. Schulwesen<br />

9. Medien<br />

<strong>1.</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Eigenbezeichnung</strong> <strong>ist</strong> <strong>wie</strong> <strong>bei</strong> <strong>den</strong> <strong>Goranen</strong> im angrenzen<strong>den</strong> Teil von<br />

Kosovo zum e<strong>in</strong>en naš<strong>in</strong>ci (‚die Unsrigen’), zum anderen Goranec, pl. Goranite<br />

(nach der Bezeichnung des von <strong>den</strong> <strong>Goranen</strong> besiedelten Landstrichs ‚Gora’,<br />

‚Bergland’, südlich von Prizren). Anders als <strong>in</strong> Kosovo <strong>ist</strong> die letztere<br />

Bezeichnung auch nur <strong>in</strong> dieser Form anzutreffen, da hier anders als dort<br />

ke<strong>in</strong>e serbische schriftsprachliche Überdachung greift. <strong>Die</strong> analoge<br />

Fremdbezeichnung der albanischen Umgebung <strong>ist</strong> <strong>in</strong> <strong>in</strong>def<strong>in</strong>iter Form<br />

Maskul<strong>in</strong>um Goran, pl. Goranë, belegt s<strong>in</strong>d aber auch die ansonsten vor allem<br />

aus Makedonien bzw. auch Bulgarien bekannten Begriffe torbesh(ë) und<br />

potur(ë).<br />

2.<br />

<strong>Die</strong> traditionelle und dom<strong>in</strong>ierende Sprachbezeichnung <strong>ist</strong> našenski (‚das<br />

Unsere’), vere<strong>in</strong>zelt wohl auch goranski. Strukturell gesehen handelt es sich<br />

um e<strong>in</strong> Kont<strong>in</strong>uum zum makedonischen Sprachsystem. E<strong>in</strong> entsprechendes<br />

makedonisches Sprachbewusstse<strong>in</strong> <strong>ist</strong> aber nicht vorhan<strong>den</strong>. Auch fehlen


2<br />

zahlreiche makedonische Charakter<strong>ist</strong>ika oder s<strong>in</strong>d nur rudimentär vorhan<strong>den</strong>.<br />

<strong>Die</strong> schriftsprachliche Überdachung war bis 1912 vermutlich am ehesten<br />

türkisch. Seit 1912 <strong>ist</strong> sie <strong>in</strong> albanischer Sprache erfolgt, was auf die<br />

gesprochene Verwendung deutlich zurückgewirkt hat. Zugleich mit teilweise<br />

weitgehen<strong>den</strong> Interferenzen mit dem Albanischen hat dies auch zu e<strong>in</strong>er<br />

spürbaren sprachlichen Differenzierung von <strong>den</strong> <strong>in</strong> serbischer Sprache<br />

literarisierten Kosovo-<strong>Goranen</strong> geführt.<br />

<strong>Die</strong> lokalen Fremdbezeichnungen der Sprache im Albanischen lauten nashke<br />

und shkenisht (von shka, pl. shqi; im übrigen e<strong>in</strong> Pejorativbegriff für „Slawe“).<br />

3. und 4.<br />

Das traditionelle, bereits für 1348 erstmals unter der Bezeichnung „Gora“<br />

belegte Siedlungsgebiet hängt geographisch mit demjenigen <strong>in</strong> Kosovo (s.<br />

dort) zusammen und bildete mit diesem bis zur Grenzziehung von 1923 e<strong>in</strong>e<br />

geme<strong>in</strong>same sprachliche Kle<strong>in</strong>region. Auf albanischem Territorium liegt deren<br />

kle<strong>in</strong>erer Teil, mit neben zehn oder elf albanisch bevölkerten, <strong>in</strong>sgesamt acht<br />

oder neun goranischen Ortschaften (<strong>in</strong> albanischer Schreibung): Borje,<br />

Cërneleva, Kosharisht, Ogushta, Oreshje, Pakisht, Sh<strong>ist</strong>avec, Zapod so<strong>wie</strong><br />

Oçikl. <strong>Die</strong> k.u.k. Volkszählung von 1918 hatte <strong>in</strong> der Rubrik „Sonstige“ und<br />

der Spezifizierung „Makedoslawen“ für die gesamte Gora (<strong>in</strong>klusive des später<br />

kosovarischen Teils) 6754 ausge<strong>wie</strong>sen, davon 6753 kompakt <strong>in</strong> <strong>den</strong> hier und<br />

im Artikel Kosovo: <strong>Goranen</strong> aufgel<strong>ist</strong>eten Ortschaften. In <strong>den</strong> acht als erste<br />

genannten Ortschaften auf nach 1923 weiterh<strong>in</strong> albanischem Gebiet betrug<br />

ihre Zahl damals 1652. Für das von Nazif Dokle als <strong>in</strong> unserer Gegenwart<br />

goranisch aufgeführte Oçikl we<strong>ist</strong> die Zählung von 1918 h<strong>in</strong>gegen nur 74<br />

ausschließlich albanische Bewohner aus. Im übrigen decken sich aber die<br />

Volkszählungsdaten von 1918 h<strong>in</strong>sichtlich des Ausweises von goranisch<br />

besiedelten Ortschaften für <strong>Albanien</strong> komplett mit <strong>den</strong> Angaben <strong>in</strong> der


3<br />

Literatur <strong>bei</strong> Nazif Dokle und mit der unter Kosovo: <strong>Goranen</strong> genannten<br />

Aufzählung der dortigen Ortschaften.<br />

<strong>Die</strong> Zahl von 1918 zugrunde gelegt, kann die heutige Zahl der <strong>Goranen</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Albanien</strong> 5000 nicht wesentlich überschreiten. <strong>Die</strong> Region <strong>ist</strong> re<strong>in</strong> ländlich und<br />

seit 1990 von Abwanderung betroffen.<br />

5.<br />

<strong>Die</strong> Islamisierung der Bevölkerung der Gora (als ganzes) hatte im Jahre 1571<br />

382 von 1355 Haushalten erfasst, dies nach <strong>den</strong> Angaben von Nazif Dokle<br />

aber fast ausschließlich unter dem albanischen Bevölkerungsteil der Region.<br />

<strong>Die</strong> Islamisierung der slawischen Bevölkerung (als Übertritt vom orthodoxen<br />

Chr<strong>ist</strong>entum) <strong>ist</strong> demzufolge im Wesentlichen wohl tatsächlich erst im 18.<br />

Jahrhundert erfolgt. Der erste Balkankrieg und die nachfolgende serbische<br />

Besetzung des Gebiets verursachten zusammen mit e<strong>in</strong>er Hungersnot zur Zeit<br />

des Ersten Weltkriegs e<strong>in</strong>en deutlichen Bevölkerungsrückgang. <strong>Die</strong><br />

Grenzziehung zwischen <strong>Albanien</strong> und dem Staat der Serben, Kroaten und<br />

Slowenen im Jahre 1923 führte (im Unterschied zur Grenzziehung von 1913,<br />

die alle goranischen Dörfer de jure auf albanischem Territorium zu liegen<br />

kommen hatte lassen) zur Teilung des goranischen Siedlungsgebiets. In <strong>den</strong><br />

Jahren dazwischen war das ganze Gebiet freilich jahrelang serbisch bzw.<br />

jugoslawisch besetzt gewesen, so<strong>wie</strong> 1916-1918 von österreichisch-<br />

ungarischen Truppen.<br />

6.<br />

Islam (Sunni). Aus der Perspektive von Kosovo-<strong>Goranen</strong> von heute haben die<br />

religiösen B<strong>in</strong>dungen der <strong>Albanien</strong>-<strong>Goranen</strong> unter der kommun<strong>ist</strong>ischen


4<br />

Diktatur im ab 1967 als athe<strong>ist</strong>isch deklarierten albanischen Staat sehr<br />

nachgelassen.<br />

7.<br />

Ethnopolitische und i<strong>den</strong>titäre Situation<br />

Von e<strong>in</strong>er gesonderten ethnopolitischen Lage der <strong>Albanien</strong>-<strong>Goranen</strong> <strong>in</strong>nerhalb<br />

ihres Staates kann kaum gesprochen wer<strong>den</strong>. Auf der I<strong>den</strong>titätsebene gibt es<br />

bis heute <strong>in</strong> der Praxis ke<strong>in</strong>e Anb<strong>in</strong>dung an e<strong>in</strong>e größere slawische Gruppe, und<br />

die lokale goranische I<strong>den</strong>tität sche<strong>in</strong>t häufig re<strong>in</strong> ethno-regional und mit e<strong>in</strong>er<br />

albanischen nationalen I<strong>den</strong>tität verbun<strong>den</strong> zu se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> empfun<strong>den</strong>en<br />

Unterschiede zu <strong>den</strong> <strong>Goranen</strong> auf kosovarischem Gebiet s<strong>in</strong>d erheblich und die<br />

Kontakte nach der jahrzehntelang von <strong>Albanien</strong> <strong>wie</strong> Jugosla<strong>wie</strong>n<br />

her<strong>bei</strong>geführten wechselseitigen Isolierung schwach; auch nach 1999<br />

bestehen kaum Ten<strong>den</strong>zen zur Bildung e<strong>in</strong>er grenzüberschreiten<strong>den</strong><br />

funktionalen Region (z. B. <strong>in</strong> Sachen Wirtschaft und Heiratsbeziehungen). <strong>Die</strong><br />

bis 2005 fortgeführte Eröffnung gleich mehrer Grenzübergänge auf engem<br />

Gebiet könnte diese Beziehungen mittelfr<strong>ist</strong>ig aber stärken. <strong>Die</strong> Übergänge<br />

bestehen allerd<strong>in</strong>gs zum Teil nur auf dem Papier.<br />

<strong>Die</strong> <strong>bei</strong><strong>den</strong> I<strong>den</strong>titätsoptionen, die von außen an die <strong>Goranen</strong> <strong>Albanien</strong>s<br />

herangetragen wer<strong>den</strong>, verfügen über ke<strong>in</strong>en oder fast ke<strong>in</strong>en belegbaren<br />

Widerhall <strong>bei</strong> <strong>den</strong> Betroffenen. Es <strong>ist</strong> dies e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong>e makedonische<br />

Option, <strong>wie</strong> sie von Vertretern der makedonischen M<strong>in</strong>derheit <strong>in</strong> <strong>Albanien</strong><br />

(siehe <strong>Albanien</strong>: Makedonen) und von der <strong>in</strong>teressierten Öffentlichkeit <strong>in</strong> der<br />

Republik Makedonien verfochten wird. <strong>Die</strong> <strong>Goranen</strong> wer<strong>den</strong> hier explizit als<br />

Makedonen def<strong>in</strong>iert und e<strong>in</strong>e entsprechde Behandlung durch <strong>den</strong> albanischen<br />

Staat gefordert. Resonanz darauf gibt es unter <strong>den</strong> betroffenen <strong>Goranen</strong><br />

bisher kaum (zur Ausnahme seitens e<strong>in</strong>es Vere<strong>in</strong>s mit nicht bestimmbarem


5<br />

Mitgliederrückhalt vgl. aber im nächsten Abschnitt). <strong>Die</strong> bosniakische Option,<br />

die <strong>in</strong> Teilen der bosnischen Öffentlichkeit und von Bosniaken und manchen<br />

<strong>Goranen</strong> <strong>in</strong> Kosovo betrieben wird, zielt primär auf die <strong>Goranen</strong> <strong>in</strong> Kosovo ab.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Goranen</strong> <strong>Albanien</strong>s wären im Zuge dieser Argumentation ebenfalls als<br />

Bosniaken zu verstehen. <strong>Die</strong>s wird aber me<strong>ist</strong> nicht explizit herausgear<strong>bei</strong>tet<br />

und wird unter <strong>den</strong> <strong>Albanien</strong>-<strong>Goranen</strong> selbst nirgends artikuliert.<br />

8. und 9.<br />

E<strong>in</strong>e offizielle Anerkennung der M<strong>in</strong>derheit <strong>ist</strong> noch nicht erfolgt. E<strong>in</strong><br />

eigensprachliches Schulwesen, eigene politische Parteien und Medien<br />

bestehen nicht. <strong>Die</strong> am 12. Juli 1991 behördlich zugelassene<br />

Kulturgesellschaft „Shoqëria kulturore ‚Gora’ (mit Sitz im nicht zur Gora<br />

zählen<strong>den</strong> benachbarten urbanen Zentrum Kukës) forderte unter ihrem<br />

langjährigen Gründungsvorsitzen<strong>den</strong> Nazif Dokle e<strong>in</strong> goranischsprachiges<br />

Schulwesen und e<strong>in</strong>e eigene Radiostation, versteht sich h<strong>in</strong>gegen nicht als<br />

politische Organisation. 2002 war der Vere<strong>in</strong> – oder, was nicht mit Sicherheit<br />

zu klären war, e<strong>in</strong> anderer, (fast) gleichnamiger? – als Gründungsmitglied der<br />

Dachorganisation „Vere<strong>in</strong>igung der Makedonen <strong>Albanien</strong>s“ beteiligt und hat<br />

sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Ausrichtung unter dem Vorsitzen<strong>den</strong> Mehmet Hoxha/Hod_a<br />

(Stand Ma<strong>in</strong> 2005) eventuell <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Forderungen und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Selbstverständnis „makedonisiert“ (vgl.: <strong>Albanien</strong>: Makedonen).<br />

Konrad Clew<strong>in</strong>g

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