1 Die Griechen in Ungarn gehören zu den sogenannten „Mikro ...
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<strong>Griechen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong><br />
1. Gruppenbezeichnungen<br />
2. Sprache<br />
3. Statistik und Demographie<br />
4. Siedlungsgebiet und -schwerpunkte<br />
5. Siedlungs- und Gruppengeschichte<br />
6. Religion, konfessionelle Struktur<br />
7. Politische und kulturelle Selbstorganisation<br />
8. Schulwesen<br />
9. Medien<br />
1<br />
<strong>Die</strong> <strong>Griechen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> <strong>gehören</strong> <strong>zu</strong> <strong>den</strong> <strong>sogenannten</strong> <strong>„Mikro</strong>-M<strong>in</strong>derheiten“. In ihrer<br />
eigenen Sprache bezeichnen sie sich als „ell<strong>in</strong>os“.<br />
2<br />
<strong>Die</strong> griechische Sprache ist e<strong>in</strong>es der ältesten Zweige der <strong>in</strong>do-europäischen<br />
Sprachfamilie. Im Zeitalter des Hellenismus hat sich die „ko<strong>in</strong>é“, die geme<strong>in</strong>same<br />
griechische Sprache, herausgebildet. Gleichzeitig hat sich aber auch e<strong>in</strong>e<br />
„Zweisprachigkeit“ entwickelt und im Laufe der Zeit vertieft; <strong>zu</strong>m e<strong>in</strong>en durch die<br />
Nachahmung der klassischen attischen Sprache <strong>in</strong> der Hochsprache (katharevusza =<br />
„re<strong>in</strong>e Sprache”), <strong>zu</strong>m anderen durch die Volkssprache als Umgangssprache<br />
(dimotiki). Nach dem griechischen Freiheitskampf (1821-1829) wurde die<br />
Hochsprache <strong>zu</strong>r offiziellen Staatssprache, 1976 übernahm die Dimotiki diese Rolle.<br />
In der ersten ungarischen Diaspora, im 16. bis 19. Jahrhundert, existierten<br />
Katharevusza und Dimotiki nebene<strong>in</strong>ander und beide wur<strong>den</strong> gepflegt. <strong>Die</strong> heute <strong>in</strong><br />
<strong>Ungarn</strong> leben<strong>den</strong> <strong>Griechen</strong> sprechen Dimotiki und verwen<strong>den</strong>, wenn sie griechisch<br />
schreiben, auch die griechische Schrift.
3<br />
2<br />
Bei der Volkszählung von 2001 bekannten sich 2.509 Personen bzw. 0,02% der<br />
Gesamtbevölkerung <strong>zu</strong>r griechischen Nationalität und 1.921 bzw. 0,02% <strong>zu</strong>m<br />
Griechischen als Muttersprache. <strong>Die</strong> Zahl der griechischen Muttersprachler stieg<br />
damit gegenüber 1990 um 281 Personen bzw. um 17%. <strong>Die</strong> <strong>Griechen</strong> selbst setzen<br />
ihre Zahl mit 3.000 bis 4.500 Personen an. Demgegenüber ist die Zahl der 2001<br />
registrierten Personen, die über e<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dung an die griechischen kulturellen Werte<br />
und Traditionen verfügen, mit 6.140 Personen außeror<strong>den</strong>tlich hoch.<br />
Bei <strong>den</strong> Volkszählungen des 20. Jahrhundert fielen die Personen mit griechischer<br />
Muttersprache bzw. Nationalität vor 1990, <strong>zu</strong>sammen mit <strong>den</strong> anderen kle<strong>in</strong>en<br />
Nationalitätengruppen, <strong>in</strong> die Kategorie „Sonstige“. Über die <strong>Griechen</strong> <strong>in</strong> Budapest<br />
verfügen wir lediglich über zwei Angaben, nämlich aus <strong>den</strong> Jahren 1930 und 1941,<br />
als 65 bzw. 46 <strong>Griechen</strong> registriert wur<strong>den</strong>. 1990 wur<strong>den</strong> <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> 1.640 Personen<br />
mit griechischer Muttersprache (0,02% der Gesamtbevölkerung) und 2.900<br />
griechisch sprechende Personen registriert, <strong>in</strong> Budapest 1.047 griechische<br />
Muttersprachler.<br />
Im Jahre 2001 lebten 1.522 Personen mit griechischer Nationalität <strong>in</strong> Budapest<br />
(60,7%), 588 <strong>in</strong> <strong>den</strong> Städten der Komitate (23,4%) und 399 <strong>in</strong> Landgeme<strong>in</strong><strong>den</strong><br />
(15,9%). Der Anteil an griechischen Muttersprachlern ist demgegenüber <strong>in</strong> der<br />
Hauptstadt und <strong>in</strong> <strong>den</strong> Geme<strong>in</strong><strong>den</strong> mit 61,7% bzw. 17,7% etwas höher, <strong>in</strong> <strong>den</strong><br />
Städten der Komitate mit 20,6% etwas niedriger. Im Falle der Personen mit B<strong>in</strong>dung<br />
an die griechischen kulturellen Werte und Traditionen gibt es – im Vergleich <strong>zu</strong> <strong>den</strong><br />
bei<strong>den</strong> anderen Kategorien – e<strong>in</strong>e beträchtliche Abweichung <strong>zu</strong>gunsten der<br />
Personen, die <strong>in</strong> <strong>den</strong> Städten der Komitate leben: ihr Anteil beträgt hier 34,3%,<br />
während <strong>in</strong> der Hauptstadt 51,2% und <strong>in</strong> <strong>den</strong> Geme<strong>in</strong><strong>den</strong> 14,5% wohnen.<br />
Auf dem Lande leben <strong>in</strong> allen Komitaten <strong>Griechen</strong>, größere Bevölkerungsgruppen<br />
s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs nur <strong>in</strong> <strong>den</strong> Komitaten Fejér, Pest und Borsod-Abaúj-Zemplén <strong>zu</strong><br />
f<strong>in</strong><strong>den</strong>.
Tabelle 1: <strong>Griechen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> 2001<br />
Griechische<br />
Griechische<br />
Griechische<br />
Nationalität<br />
Muttersprache<br />
kulturelle I<strong>den</strong>tität<br />
Komitat Zahl % Komitat Zahl % Komitat Zahl %<br />
3<br />
Budapest 1.522 60,7 Budapest 1.185 61,7 Budapest 3.145 51,2<br />
Fejér 324 12,9 Fejér 296 15,4 Pest 564 9,2<br />
Pest 177 7,1 Pest 124 6,5 Fejér 458 7,5<br />
Borsod-<br />
Abaúj-<br />
Zemplén<br />
136 5,4 Borsod-<br />
Abaúj-<br />
Zemplén<br />
90 4,7 Borsod-<br />
Abaúj-<br />
Zemplén<br />
278 4,5<br />
Insgesamt 2.159 86,1 Insgesamt 1.695 88,2 Insgesamt 4.445 72,4<br />
Übrige 16<br />
Komitate<br />
350<br />
13,9<br />
Übrige 16<br />
Komitate<br />
226<br />
11,8<br />
Übrige 16<br />
Komitate<br />
1.695<br />
Nach der Volkszählung von 2001 leben Personen griechischer Nationalität <strong>in</strong> 23<br />
Budapester Bezirken, <strong>in</strong> 80 Städten und <strong>in</strong> 72 Landgeme<strong>in</strong><strong>den</strong>. <strong>Die</strong> griechischen<br />
Muttersprachler verteilen sich auf 23 hauptstädtische Bezirke, 56 Städte und 56<br />
Geme<strong>in</strong><strong>den</strong>. Im Falle von Personen mit „B<strong>in</strong>dung an die griechischen kulturellen<br />
Werte und Traditionen“ betragen die Zahlen 23 bzw. 164 bzw. 316. Den höchsten<br />
Bevölkerungsanteil haben die <strong>Griechen</strong> im Dorf Beloiannisz im Komitat Fejér: die<br />
Personen mit griechischer Nationalität und die Personen mit griechischer kultureller<br />
I<strong>den</strong>tität machen dort 23,8% aus, die griechischen Muttersprachler 21,9%. In allen<br />
anderen Kommunen erreicht der Anteil der <strong>Griechen</strong> bestenfalls e<strong>in</strong>ige Tausendstel<br />
der Bevölkerung.<br />
2001 gab es <strong>in</strong>sgesamt 20 Kommunen, <strong>in</strong> <strong>den</strong>en die Zahl der <strong>Griechen</strong> – h<strong>in</strong>sichtlich<br />
m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>er der I<strong>den</strong>titätskategorien – 100 Personen übertraf. Darunter<br />
befan<strong>den</strong> sich 15 Budapester Bezirke, vier Komitatszentren (Miskolc, Pécs, Szeged,<br />
Debrecen) und das Dorf Beloiannisz. In diesen 20 Kommunen leben 74% bis 77%<br />
der Personen mit griechischer Nationalität oder Muttersprache bzw. 57% der<br />
Personen mit griechischer kultureller I<strong>den</strong>tität.<br />
27,6
Tabelle 2: Kommunen mit mehr als 100 Personen griechischer I<strong>den</strong>tität 2001<br />
4-5<br />
4<br />
Kommune Griechische<br />
Griechische Griechische kulturelle<br />
Nationalität Muttersprache<br />
I<strong>den</strong>tität<br />
Beloiannisz 273 259 273<br />
Budapest XIV. 198 151 341<br />
Budapest IX. 148 127 212<br />
Budapest XI. 129 110 227<br />
Miskolc 118 83 198<br />
Budapest X. 115 102 171<br />
Budapest XVIII. 106 74 168<br />
Budapest XIII. 103 76 257<br />
In der Geschichte der <strong>Griechen</strong> <strong>Ungarn</strong>s können zwei Phasen unterschie<strong>den</strong><br />
wer<strong>den</strong>:<br />
1) die Geschichte der Diaspora, die mit der Ausbreitung der Türken auf dem Balkan<br />
begann und bis <strong>zu</strong>m Ende des 19. Jahrhunderts andauerte;<br />
2) die Geschichte der Flüchtl<strong>in</strong>ge des griechischen Bürgerkriegs (1946 bis 1949) und<br />
ihrer Nachkommen.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Griechen</strong> kamen <strong>zu</strong>r Zeit der türkischen Eroberung <strong>in</strong> größerer Zahl nach<br />
<strong>Ungarn</strong>, <strong>zu</strong>meist als Händler. Ihre E<strong>in</strong>wanderung erhielt <strong>in</strong> <strong>den</strong> Jahrzehnten nach der<br />
Vertreibung der Türken aus <strong>Ungarn</strong> (von <strong>den</strong> 1690er bis <strong>zu</strong> <strong>den</strong> 1730er Jahren)<br />
sowie nach 1769 neuen Schwung. Auf dem heutigen Gebiet <strong>Ungarn</strong>s ließen sie sich<br />
im 16. bis 18. Jahrhundert – <strong>in</strong> <strong>in</strong>sgesamt 81 Siedlungen – neben Pest und Buda vor<br />
allem <strong>in</strong> <strong>den</strong> mittleren und östlichen Landesteilen, <strong>in</strong> <strong>den</strong> Komitaten Bács-Kiskun,<br />
Pest, Jász-Nagykun-Szolnok, Heves, Borsod-Abaúj-Zemplén, Szabolcs-Szatmár-<br />
Bereg, Hajdú-Bihar, Békés und Csongrád nieder.<br />
Den <strong>Griechen</strong> oblag die Abwicklung e<strong>in</strong>es großen Teils des Fernhandels, der vom<br />
Balkan über <strong>Ungarn</strong> <strong>in</strong> <strong>den</strong> Westen abgewickelt wurde sowie des Exports<br />
ungarischer Produkte und des Imports ausländischer Waren. Als türkische<br />
Untertaten konnten sie <strong>zu</strong>r Zeit der türkischen Beset<strong>zu</strong>ng im Tiefland ihre Waren frei<br />
verkaufen. Da sie über bedeutende Privilegien verfügten, haben sie im 17.
5<br />
Jahrhundert die ungarischen Händler auch aus dem <strong>in</strong>nerungarischen Warenverkehr<br />
verdrängt. Sie handelten mit Textilien, Tuch, Leder, Wolle, Reis, Tabak, Wachs und<br />
We<strong>in</strong>, mieteten Weideland und beschäftigten sich auch mit dem Viehhandel. Aus<br />
diesem Handelszweig wur<strong>den</strong> sie im 18. Jahrhundert von <strong>den</strong> Armeniern verdrängt.<br />
<strong>Die</strong> Produkte der ungarischen Textilmanufakturen wur<strong>den</strong> <strong>zu</strong>nächst von ihnen<br />
vertrieben. Griechische Händler führten <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> <strong>zu</strong>dem Neuerungen e<strong>in</strong> wie z.B.<br />
<strong>den</strong> Geschäftskredit, die Lieferfrist, <strong>den</strong> Wechsel, die Schuldverschreibung und die<br />
Aktie.<br />
In <strong>den</strong> 60er Jahren des 17. Jahrhunderts wur<strong>den</strong> die ersten griechischen<br />
Wirtschaftsgesellschaften, die <strong>sogenannten</strong> Kompanien, gegründet. Ihr Ziel war es,<br />
für die gegenseitige Unterstüt<strong>zu</strong>ng ihrer Teilhaber <strong>zu</strong> sorgen, Kredite ihrer Mitglieder<br />
gegenüber <strong>den</strong> Behör<strong>den</strong> und Gläubigern <strong>zu</strong> garantieren, <strong>in</strong> f<strong>in</strong>anzielle<br />
Schwierigkeiten geratenen Händlerkollegen mit Krediten aus<strong>zu</strong>helfen und für<br />
Wechsel e<strong>in</strong><strong>zu</strong>stehen. Darüber h<strong>in</strong>aus unterhielten die Kompanien auch Kirchen,<br />
Schulen, karitative Institutionen und Hospitäler und gründeten Bibliotheken und<br />
Stiftungen. <strong>Die</strong> erste griechische Kompanie wurde 1665 <strong>in</strong> Tokaj gegründet. Kurze<br />
Zeit später entstan<strong>den</strong> derartige Vere<strong>in</strong>igungen <strong>in</strong> Miskolc, Kecskemét und<br />
Gyöngyös. Bedeutende Handelsniederlassungen hatten sie unter anderem auch <strong>in</strong><br />
Eger, Vác, Pest, Karcag, Szeged, Szentes und Hódmezővásárhely.<br />
Nach dem Ausbruch des Österreichischen Erbfolgekrieges 1740/41 verpflichtete der<br />
Statthalterrat – entsprechend dem Willen von Maria Theresia – die griechischen<br />
Händler, die bis dah<strong>in</strong> türkische Untertanen waren, da<strong>zu</strong>, e<strong>in</strong>en Treueschwur auf die<br />
Monarch<strong>in</strong> ab<strong>zu</strong>legen. E<strong>in</strong>e wichtige Vorausset<strong>zu</strong>ng für <strong>den</strong> Treueschwur war, daß<br />
sich die betreffende Person endgültig <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> niederließ und die Übersiedlung<br />
se<strong>in</strong>er Familie nach <strong>Ungarn</strong> gewährleistete. Ab 1775 durften griechische Händler ihr<br />
Kapital nicht mehr <strong>in</strong> Industrieunternehmen <strong>in</strong>vestieren. Treueschwur und die<br />
Verordnung von 1775 spaltete die ungarischen <strong>Griechen</strong>, <strong>den</strong>n nicht alle legten <strong>den</strong><br />
Eid nieder und viele verließen <strong>Ungarn</strong>. Andere erwarben – aufgrund der<br />
Beschränkung des freien Unternehmertums bzw. im Interesse ihrer Integration <strong>in</strong> die<br />
e<strong>in</strong>heimische Elite – Grundbesitz, Häuser, städtische Bürgerrechte und Adelstitel. (35<br />
griechische Familien erhielten bzw. kauften e<strong>in</strong>en Adelstitel; <strong>den</strong> Titel Baron erhielt<br />
z.B. die Familie S<strong>in</strong>a, <strong>den</strong> Grafentitel die Familie Nako.)
6<br />
<strong>Die</strong> Integration der <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> verbliebenen <strong>Griechen</strong> wur<strong>den</strong> durch das Toleranzedikt<br />
von Joseph II. aus dem Jahre 1781 gefördert. <strong>Die</strong>ses ermöglichte ihnen, griechischorthodoxe<br />
Kirchen <strong>zu</strong> bauen. Kaiser Leopold II. und der ungarische Landtag von<br />
1790/1791 haben die orthodoxe Konfession <strong>in</strong> die Reihe der anerkannten<br />
Religionsgeme<strong>in</strong>schaften aufgenommen und die <strong>Griechen</strong> damit <strong>zu</strong><br />
gleichberechtigten Bürgern des Habsburgerreiches gemacht. Damit erhielten sie<br />
auch das Recht, Immobilien <strong>zu</strong> erwerben und öffentliche Ämter aus<strong>zu</strong>üben. Nahe<strong>zu</strong><br />
alle griechischen Kolonien unterhielten Schulen mit griechischer Unterrichtssprache.<br />
Um diese mit Lehrkräften <strong>zu</strong> versorgen, wurde 1811 <strong>in</strong> Pest e<strong>in</strong>e<br />
Lehrerausbildungsstätte gegründet. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kam es <strong>zu</strong><br />
e<strong>in</strong>em Aufschwung im griechischsprachigen Buchdruck und Verlagswesen, darunter<br />
auch bei der Publikation von Lehrbüchern. Ganz allgeme<strong>in</strong> blühte <strong>in</strong> dieser Zeit das<br />
griechische kulturelle Leben, die Literatur und die Geschichtsschreibung auf.<br />
Auf der Grundlage von Statistiken verschie<strong>den</strong>er Städte und Archivmaterial kann die<br />
Zahl der <strong>Griechen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> <strong>in</strong> der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf 10.000<br />
Personen geschätzt wer<strong>den</strong>. Infolge des griechischen Freiheitskampfes von 1821 bis<br />
1829 entstand das neue, selbständige <strong>Griechen</strong>land. Von da an begann die Zahl der<br />
<strong>Griechen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> allmählich <strong>zu</strong> s<strong>in</strong>ken. <strong>Die</strong> E<strong>in</strong>wanderung fand e<strong>in</strong> Ende, viele<br />
<strong>Griechen</strong> kehrten <strong>in</strong> ihre Heimat <strong>zu</strong>rück und schließlich beschleunigte sich auch der<br />
Prozeß ihrer Assimilation. Indiz dafür ist die steigende Zahl von Namensänderungen<br />
und die Übernahme der ungarischen Sprache. Bei der Volkszählung 1850 wur<strong>den</strong><br />
auf dem heutigen Gebiet <strong>Ungarn</strong>s mit Oberungarn <strong>zu</strong>sammen noch 6.288 <strong>Griechen</strong><br />
registriert. (Ihre Zahl auf dem heutigen ungarischen Territorium dürfte damals ca.<br />
5.000 Personen betragen haben.) <strong>Die</strong> Zahl ihrer Kirchengeme<strong>in</strong><strong>den</strong> begann <strong>zu</strong><br />
schrumpfen und die Zahl ihrer Gläubigen nahm ab. Es magyarisierten sich allmählich<br />
auch die Schulen, so daß sie als Institutionen mit griechischer Sprache aus<strong>zu</strong>sterben<br />
begannen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der <strong>Griechen</strong><br />
rasch ab. <strong>Die</strong> griechische Diaspora, die noch ihre Sprache verwendete und ihre<br />
Bräuche pflegte, verschwand <strong>in</strong> <strong>den</strong> ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts<br />
nahe<strong>zu</strong> vollständig. <strong>Die</strong> Zahl der Personen, die sich <strong>zu</strong> Beg<strong>in</strong>n des Jahrhunderts und<br />
zwischen <strong>den</strong> Weltkriegen als <strong>Griechen</strong> i<strong>den</strong>tifizierten, lag bei e<strong>in</strong>igen Hundert. In<br />
Budapest wur<strong>den</strong> 1930 65 und 1941 46 Personen mit griechischer Muttersprache<br />
registriert. Das Bewußtse<strong>in</strong> ihrer griechischen Herkunft überlebte aber <strong>den</strong>noch <strong>in</strong>
7<br />
ihrer I<strong>den</strong>tität. <strong>Die</strong>ses Bewußtse<strong>in</strong> trat bei der Volkszählung 2001 – wie bereits<br />
erwähnt – bei e<strong>in</strong>igen tausend Personen im Bekenntnis <strong>zu</strong> <strong>den</strong> “kulturellen Werte und<br />
Traditionen“ erneut an die Oberfläche.<br />
<strong>Die</strong> zweite griechische Diaspora setzt sich aus <strong>den</strong> Emigranten, die <strong>in</strong>folge des<br />
Bürgerkriegs von 1946 bis 1949 aus politischen Grün<strong>den</strong> nach <strong>Ungarn</strong> geflohen<br />
waren, sowie aus ihren Nachkommen <strong>zu</strong>sammen. Gegenwärtig bil<strong>den</strong> sie die<br />
überwältigende Mehrheit der <strong>in</strong> <strong>den</strong> Volkszählungen erfaßten Personen mit<br />
griechischer Muttersprache bzw. Nationalität.<br />
<strong>Die</strong> Gesamtzahl der Personen, die seit April 1948 nach <strong>Ungarn</strong> kamen, ist mit etwa<br />
10.000 bis 11.000 an<strong>zu</strong>setzen. Das bedeutet aber nicht, daß sich so viele <strong>Griechen</strong><br />
gleichzeitig <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> aufgehalten hätten. <strong>Die</strong> E<strong>in</strong>wanderungen erstreckten sich<br />
nämlich über Jahre und es erfolgten gleichzeitig – <strong>zu</strong>m Zwecke der<br />
Familien<strong>zu</strong>sammenführung – Austauschaktionen von griechischen Flüchtl<strong>in</strong>gen<br />
zwischen <strong>den</strong> sozialistischen Ländern sowie begrenzte Repatriierungsaktionen unter<br />
der Obhut des Internationalen Roten Kreuzes. Im Jahre 1951 wur<strong>den</strong> 9.000<br />
griechische Flüchtl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> registriert, danach sank ihre Zahl kont<strong>in</strong>uierlich. Im<br />
Februar 1953 hielten sich 7.537 <strong>Griechen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> auf. Nach der ungarischen<br />
Revolution von 1956 verstärkte sich die Abwanderung. 1960 war der Aufenthalt von<br />
nur noch 4.411 und 1965 von 4.358 griechischen Emigranten bekannt. Danach<br />
stagnierte die Zahl der <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> leben<strong>den</strong> <strong>Griechen</strong> für lange Zeit: im Mai 1967<br />
wur<strong>den</strong> 4.355 und im Mai 1975 4.280 Personen gezählt. Nach dem Sturz der<br />
griechischen Militärjunta 1974, der Wiedererrichtung der demokratischen<br />
Institutionen und der damit verbun<strong>den</strong>en Legalisierung der Griechischen<br />
Kommunistischen Partei geriet der Status der politischen Emigranten <strong>in</strong>s Wanken.<br />
1981 vere<strong>in</strong>barten die ungarische und die griechische Regierung, diesen<br />
Flüchtl<strong>in</strong>gsstatus auf<strong>zu</strong>heben. <strong>Die</strong> Betroffenen mußten sich nun entschei<strong>den</strong>, ob sie<br />
weiterh<strong>in</strong> als ungarische oder griechische Staatsbürger <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> oder als<br />
griechische Staatsbürger <strong>in</strong> <strong>Griechen</strong>land leben wollten. <strong>Die</strong>se Situation führte <strong>zu</strong>r<br />
letzten größeren Repatriierungswelle, die ungefähr 1.000 bis 1.500 Personen<br />
umfaßte.<br />
Für die Unterbr<strong>in</strong>gung der Flüchtl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> war bis <strong>zu</strong>r Mitte der 1960er Jahre<br />
die geographische Konzentration und Abgeschlossenheit charakteristisch. In ihrer<br />
Mehrzahl ließen sie sich <strong>in</strong> Budapest bzw. <strong>in</strong> dem für sie errichteten Dorf Beloiannisz
8<br />
nieder. In <strong>den</strong> 1950er und 1960er Jahren lebten etwa 50% der Flüchtl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> der<br />
Hauptstadt, 25% <strong>in</strong> dem genannten griechischen Dorf und weitere 25% gelangten <strong>in</strong><br />
die Industriestädte <strong>in</strong> verschie<strong>den</strong>en, weit ause<strong>in</strong>anderliegen<strong>den</strong> Landesteilen (vor<br />
allem nach Miskolc, Pécs, Tatabánya, Dunaújváros und Szeged). Ihre geographische<br />
Konzentration wurde anfänglich dadurch noch verstärkt, daß ihre Mehrheit <strong>in</strong> <strong>den</strong><br />
e<strong>in</strong>zelnen Städten ebenfalls <strong>in</strong> geschlossenen Blöcken lebte. Ende der 1950er Jahre<br />
wurde damit begonnen, die isolierten Massenquartiere allmählich auf<strong>zu</strong>lösen. <strong>Die</strong><br />
bislang <strong>zu</strong>sammenleben<strong>den</strong> <strong>Griechen</strong> wur<strong>den</strong> <strong>in</strong> normalen Wohnungen<br />
untergebracht. Damit vergrößerte sich allerd<strong>in</strong>gs auch ihre räumliche Distanz. Auf<br />
dem Lande verteilten sie sich auf immer mehr Siedlungen und gleichzeitig stieg ihr<br />
hauptstädtischer Bevölkerungsanteil auf 60%. Nach 1981 kehrte e<strong>in</strong> Drittel bis e<strong>in</strong><br />
Viertel aller <strong>Griechen</strong> <strong>in</strong> ihre Heimat <strong>zu</strong>rück. Gegen Ende der 1980er Jahre<br />
stabilisierte sich dann die Bevölkerungszahl der <strong>Griechen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong>.<br />
Parallel <strong>zu</strong>r Repatriierung und räumlichen Zerstreuung schritten auch die damit<br />
verbun<strong>den</strong>en Prozesse der Integration <strong>in</strong> die ungarische Gesellschaft und der<br />
Assimilation fort. Zu Zeit ihrer Ansiedlung hatten die griechischen Emigranten noch<br />
gehofft, daß sie bald <strong>in</strong> ihr Heimatland <strong>zu</strong>rückkehren könnten. Persönliche<br />
Beziehungen suchten die <strong>Griechen</strong> vor allem untere<strong>in</strong>ander und noch <strong>in</strong> <strong>den</strong> 1960er<br />
Jahren galt e<strong>in</strong> ungarischer Ehemann bzw. e<strong>in</strong>e ungarische Ehefrau bei <strong>den</strong><br />
<strong>Griechen</strong> als e<strong>in</strong>e große Ausnahme. Ihre Isolation konservierte ihre griechische<br />
I<strong>den</strong>tität und erleichterte die <strong>in</strong>nere Integration der Flüchtl<strong>in</strong>ge, die aus mehreren<br />
hundert Orten stammten, zweierlei Sprachen – Makedonisch und Griechisch – und<br />
mehrere Dutzend Dialekte sprachen und über unterschiedliche Traditionen verfügten.<br />
Gleichzeitig wurde dadurch aber auch ihre Anpassung an die ungarischen<br />
Verhältnisse erschwert. Ende der 1950er Jahre wurde immer mehr <strong>Griechen</strong> bewußt,<br />
daß sie die Illusion e<strong>in</strong>er baldigen Heimkehr aufgeben mußten. Bereits die Revolution<br />
von 1956, <strong>in</strong>sbesondere aber der Prager Frühl<strong>in</strong>g von 1968 spalteten die griechische<br />
Geme<strong>in</strong>schaft und stellten e<strong>in</strong> wesentliches Element ihrer Emigranteni<strong>den</strong>tität und<br />
ihrer <strong>in</strong>neren Kohäsion als Gruppe <strong>in</strong> Frage, nämlich ihre geme<strong>in</strong>same<br />
kommunistische Überzeugung. Zusammen mit dem Zerfall der geschlossenen<br />
Geme<strong>in</strong>schaft traten verschie<strong>den</strong>e <strong>in</strong>dividuelle, vom Kollektiv immer weniger<br />
kontrollierbare und von <strong>den</strong> früheren Gruppennormen abweichende Lebensformen<br />
sowie unterschiedliche Beziehungen <strong>zu</strong>r ungarischen und <strong>zu</strong>r griechischen
9<br />
Geme<strong>in</strong>schaft auf. Gleichzeitig nahm die Zahl der Mischehen <strong>zu</strong>. 1975 lebten von<br />
<strong>den</strong> 3.459 erwachsenen <strong>Griechen</strong> bereits 415 <strong>in</strong> Mischehen.<br />
Nach der letzten Repatriierungswelle beschleunigte sich auch der<br />
Transformationsprozeß <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e nationale M<strong>in</strong>derheit. Bis <strong>zu</strong> <strong>den</strong> 1980er Jahren fügte<br />
sich die Mehrheit der <strong>Griechen</strong> <strong>in</strong> die ungarische Gesellschaft e<strong>in</strong>: sie machten<br />
Karriere, erwarben e<strong>in</strong>e Wohnung, gründeten e<strong>in</strong>e Familie und schufen sich e<strong>in</strong><br />
Heim. <strong>Die</strong>jenigen Personen, die als K<strong>in</strong>der nach <strong>Ungarn</strong> kamen, sowie die<br />
Generation der bereits <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> geborenen <strong>Griechen</strong> durchliefen – h<strong>in</strong>sichtlich ihrer<br />
Sprache und Bräuche – <strong>den</strong> Prozeß e<strong>in</strong>er raschen Magyarisierung. Zu Beg<strong>in</strong>n der<br />
1980er Jahre, mit der Aufhebung ihres Status als politische Emigranten, wandelte<br />
sich auch das <strong>in</strong>stitutionelle System des griechischen Geme<strong>in</strong>schaftslebens: die<br />
1957 gegründete „Vere<strong>in</strong>igung der <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> leben<strong>den</strong> Griechischen Politischen<br />
Flüchtl<strong>in</strong>ge” machte 1982 dem „Kulturvere<strong>in</strong> der <strong>Griechen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong>” Platz. Letzterer<br />
war ke<strong>in</strong>e politische Vere<strong>in</strong>igung mehr, sondern hatte die Aufgabe, die griechische<br />
Geme<strong>in</strong>schaft auf nationaler und kultureller Grundlage <strong>zu</strong> organisieren. <strong>Die</strong> <strong>Griechen</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> nutzten schließlich die günstigen Bed<strong>in</strong>gungen des demokratischen<br />
Systemwechsels <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> und bauten ihre Unterrichts-, Kultur- und<br />
Informations<strong>in</strong>stitutionen aus, ergänzten sie mit neuen Elementen und riefen ihr<br />
System der Selbstverwaltung <strong>in</strong>s Leben. In Beloiannisz errichteten sie, 46 Jahre nach<br />
der Gründung der Geme<strong>in</strong>de, e<strong>in</strong>e griechisch-orthodoxe Kirche. Im Zuge der<br />
politischen Veränderungen strichen sie die früheren Jubiläen der kommunistischen<br />
Bewegung aus ihren Kalendern und behielten nur die bei<strong>den</strong> pan-griechischen<br />
Nationalfeiertage bei. Gleichzeitig nahmen sie die auch ethnisch geprägten Feiertage<br />
der orthodoxen Kirche <strong>in</strong> ihren Kalender auf. Zur Jahrtausendwende fand der Prozeß<br />
des Wandels der <strong>Griechen</strong> von e<strong>in</strong>er politischen Emigrantengruppe <strong>zu</strong> e<strong>in</strong>er<br />
nationalen M<strong>in</strong>derheit <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> se<strong>in</strong>en Abschluß.<br />
Sozialstruktur<br />
Über die Alters- und Sozialstruktur sowie über das Bildungsniveau der <strong>Griechen</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>Ungarn</strong> stehen ke<strong>in</strong>e aktuellen Daten <strong>zu</strong>r Verfügung. <strong>Die</strong> Masse der Emigranten,<br />
90% bis 92%, hatten bei ihrer Ankunft <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> e<strong>in</strong>en bäuerlichen<br />
Lebensh<strong>in</strong>tergrund. <strong>Die</strong> übrigen 8% bis 10% stammten aus der städtischen Arbeiter-,
10<br />
Intellektuellen- und Kle<strong>in</strong>bürgerschicht. 1960 waren von <strong>den</strong> aktiv Beschäftigten<br />
bereits 2.142 bzw. 83% Industriearbeiter. Unter ihnen befan<strong>den</strong> sich 1.473<br />
Facharbeiter (69% der Arbeiter). <strong>Die</strong> übrigen waren Hilfs- oder angelernte Arbeiter.<br />
202 bzw. 8% arbeiteten im Kle<strong>in</strong>handwerk, 85 bzw. 3% <strong>in</strong> der Landwirtschaft. 150<br />
bzw. 6% fan<strong>den</strong> ihr Auskommen <strong>in</strong> anderen Bereichen (Unterricht, Verwaltung,<br />
Gesundheitswesen usw.). 1975 hatten die Intellektuellen bereits e<strong>in</strong>en Anteil von<br />
15% und die Facharbeiter <strong>in</strong> der Industrie e<strong>in</strong>en Anteil von 60%. <strong>Die</strong> Geschichte der<br />
zweiten griechischen Diaspora ist somit auch die Geschichte e<strong>in</strong>er mit großer<br />
Geschw<strong>in</strong>digkeit verlaufen<strong>den</strong> sozialen Umstrukturierung und e<strong>in</strong>er ausgeprägten<br />
sozialen Mobilität der Emigranten. Zwischen 1951 und 1990 erhielten ca. 450<br />
<strong>Griechen</strong> e<strong>in</strong> Hochschul- oder Universitätsdiplom <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong>. Aus der e<strong>in</strong>wandern<strong>den</strong><br />
Geme<strong>in</strong>schaft mit e<strong>in</strong>er sozialen Rumpfstruktur entwickelte sich e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e und<br />
vollständigere Gesellschaft mit e<strong>in</strong>er differenzierten Sozialstruktur.<br />
6<br />
<strong>Die</strong> erste griechische Diaspora war e<strong>in</strong>heitlich orthodoxen (griechisch-orthodoxen,<br />
prawoslawischen) Glaubens. Nach dem Toleranzedikt von Joseph II. und<br />
Beschlüssen des ungarischen Landtags von 1790/1791 wurde e<strong>in</strong>e Reihe von<br />
griechisch-orthodoxen Kirchen errichtet. (Zuvor hatten die <strong>Griechen</strong> bestenfalls<br />
Gebetshäuser oder besuchten die Kirchen ihrer serbisch-orthodoxen<br />
Glaubensbrüder.) <strong>Die</strong> bekanntesten griechisch-orthodoxen Kirchen wur<strong>den</strong> an<br />
folgen<strong>den</strong> Orten errichtet: Hódmezővásárhely (1786), Szentes (1786), Dunaföldvár<br />
(1788), Békés (1789), Tokaj (1790), Eger (1792), Vác (1793), Karcag (1798), Pest<br />
(1801), Miskolc (1806), Gyöngyös (1809) und Kecskemét (1824).<br />
<strong>Die</strong> Liturgiesprache ihrer Kirchengeme<strong>in</strong><strong>den</strong> war das Griechische. Mit der<br />
sprachlichen Assimilation der <strong>Griechen</strong> seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde damit<br />
begonnen, die Kirchenbücher <strong>in</strong>s Ungarische <strong>zu</strong> übersetzen. <strong>Die</strong> Liturgiesprache<br />
blieb aber auch weiterh<strong>in</strong> das Griechische, weswegen die Zahl der<br />
griechischsprachigen Kirchengeme<strong>in</strong><strong>den</strong> <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>gehen begann. Im Jahre<br />
1868 übergaben die kirchlichen Führer von Pest, Szentes und Kecskemét dem<br />
Parlament im Namen der griechischen Kirchengeme<strong>in</strong><strong>den</strong> <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> e<strong>in</strong>
11<br />
Memorandum, <strong>in</strong> dem sie um Autonomie – vom rumänischen bzw. serbischen<br />
orthodoxen Metropoliten <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> – ersuchten. <strong>Die</strong>ser Initiative blieb allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong><br />
Erfolg versagt. Schrittweise g<strong>in</strong>g die griechisch-orthodoxe Kirche nun da<strong>zu</strong> über, die<br />
Kirchenbücher <strong>in</strong> ungarischer Sprache <strong>zu</strong> führen, und die Ratssit<strong>zu</strong>ngen der<br />
Kirchengeme<strong>in</strong><strong>den</strong> <strong>in</strong> ungarisch ab<strong>zu</strong>halten. Lediglich <strong>in</strong> <strong>den</strong> Gottesdiensten wurde<br />
das Griechische bis <strong>zu</strong>m Ersten Weltkrieg beibehalten. Im Jahre 1931 veränderten<br />
sich die griechischen Kirchengeme<strong>in</strong><strong>den</strong> – mit Ausnahme der von Szentes – <strong>zu</strong><br />
„griechisch gegründeten, griechisch-katholischen ungarischen“ Kirchengeme<strong>in</strong><strong>den</strong><br />
und riefen e<strong>in</strong>en Oberverwaltungsrat <strong>in</strong>s Leben.<br />
<strong>Die</strong> zweite Diaspora gehörte, entsprechend ihrer Sozialisation, ebenfalls <strong>zu</strong>m<br />
orthodoxen Kulturkreis, aber die überwiegen<strong>den</strong> Mehrheit der Emigranten war<br />
atheistisch. Das Kirchenleben, die Liturgie und die religiösen Feierlichkeiten gehörten<br />
lange Zeit nicht <strong>zu</strong>r ihrer Lebenswelt. Allerd<strong>in</strong>gs ließen sich immer mehr, <strong>zu</strong>m Teil<br />
aufgrund der Bed<strong>in</strong>gungen für ihre Repatriierung, <strong>zu</strong>m Teil wegen ihrer<br />
Rückbes<strong>in</strong>nung auf ihre kulturellen Wurzeln, nach dem Ritus der orthodoxen Kirche<br />
taufen. 1996 wurde die orthodoxe Kirche von Beloiannisz e<strong>in</strong>geweiht. Bei der<br />
Volkszählung 2001 bekannten sich 2.473 Personen <strong>zu</strong>r griechisch-orthodoxen<br />
Konfession. <strong>Die</strong>se Zahl bleibt kaum h<strong>in</strong>ter der Zahl der Personen mit griechischer<br />
Nationalität <strong>zu</strong>rück und übertrifft die Zahl der griechischen Muttersprachler um 500<br />
Personen.<br />
Gegenwärtig unterstehen die Kirchengeme<strong>in</strong><strong>den</strong> von Beloiannis und Budapest (Váci<br />
utca 55) der Kirchenoberhoheit des Wiener Metropoliten des Patriarchats von<br />
Konstant<strong>in</strong>opel. <strong>Die</strong> übrigen, von <strong>Griechen</strong> gegründeten ungarischen<br />
Kirchengeme<strong>in</strong><strong>den</strong> – die bekanntesten s<strong>in</strong>d die <strong>in</strong> Szentes, Karcag und am Petőfi-<br />
Platz <strong>in</strong> Budapest – <strong>gehören</strong> <strong>zu</strong>r Ungarischen Orthodoxen Diözese, die dem Wiener<br />
Metropoliten des Moskauer Patriarchen unterstellt ist.<br />
7<br />
Das politische Leben der zweiten griechischen Diaspora wurde ursprünglich im<br />
Rahmen der Griechischen Kommunistischen Partei <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> organisiert, später,<br />
nach der Aufnahme der Emigranten <strong>in</strong> die Organisationen der Partei der Ungarischen
12<br />
Werktätigen, im Rahmen des <strong>sogenannten</strong> „Volksausschusses” und <strong>in</strong> dessen<br />
Unterausschüssen. <strong>Die</strong> – bereits angesprochene – 1957 gegründete „Vere<strong>in</strong>igung<br />
der <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> leben<strong>den</strong> Griechischen Politischen Flüchtl<strong>in</strong>ge” stand unter der<br />
Aufsicht der Außenpolitischen Abteilung der Kommunistischen Partei, die nunmehr<br />
Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei hieß. Lokale Organisationen der Vere<strong>in</strong>igung<br />
gab es <strong>in</strong> Budapest, Beloiannis, Tatabánya, Miskolc und Pécs. 1982 wurde – wie<br />
bereits dargelegt – anstelle der Vere<strong>in</strong>igung der „Kulturvere<strong>in</strong> der <strong>Griechen</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>Ungarn</strong>” gegründet. Er stand unter der Leitung der Nationalitätenabteilung des<br />
Kultusm<strong>in</strong>isteriums. Seit 1989 ist die Organisation auf gesetzlicher Grundlage<br />
(Vere<strong>in</strong>igungsgesetz von 1989) als autonomer M<strong>in</strong>derheiten-Kulturvere<strong>in</strong> tätig.<br />
Auch die <strong>Griechen</strong> nutzten die durch das M<strong>in</strong>derheitengesetz von 1993 gewährten<br />
Rechte und gründeten lokale M<strong>in</strong>derheitenselbstverwaltungen sowie e<strong>in</strong>e<br />
hauptstädtische und e<strong>in</strong>e landesweite M<strong>in</strong>derheitenselbstverwaltung. 1994/1995<br />
konnten sie fünf Selbstverwaltungen aufstellen und damit im ersten Zyklus 10 bis 14<br />
Prozent ihrer Volksgruppe unmittelbar repräsentieren. 1998 wur<strong>den</strong> – neben <strong>den</strong><br />
bisherigen – 13 weitere griechische M<strong>in</strong>derheitenselbstverwaltungen gewählt. Alle<br />
<strong>zu</strong>sammen vertraten 46% der Personen mit griechischer kultureller I<strong>den</strong>tität und 62%<br />
der Personen mit griechischer Nationalität. <strong>Die</strong> 30 im Jahre 2002 gewählten<br />
Selbstverwaltungen repräsentieren gegenwärtig 64% bzw. 80% der <strong>Griechen</strong> <strong>in</strong> <strong>den</strong><br />
entsprechen<strong>den</strong> I<strong>den</strong>titätskategorien. Heute verfügen die <strong>Griechen</strong> <strong>in</strong> allen<br />
hauptstädtischen Bezirken – mit Ausnahme des XII., XXII. und XXIII. – über<br />
Selbstverwaltungen. Auf dem Lande haben sie <strong>in</strong> sechs Komitatszentren, zwei<br />
weiteren Städten und zwei Dörfern e<strong>in</strong>e Vertretung: <strong>in</strong> Budaörs und Biatorbágy im<br />
Komitat Pest, <strong>in</strong> Beloiannisz im Komität Fejér, <strong>in</strong> Tatabánya im Komitat Komárom, im<br />
Pécs im Komitat Baranya, <strong>in</strong> Sopron im Komitat Győr-Moson-Sopron, <strong>in</strong> Szekszárd<br />
im Komitat Tolna, <strong>in</strong> Szeged im Komitat Csongrád, <strong>in</strong> Eger im Komitat Heves und <strong>in</strong><br />
Miskolc im Komitat Borsod-Abaúj-Zemplén.
8<br />
13<br />
Für die vor dem Bürgerkrieg geflüchteten K<strong>in</strong>der begann der Unterricht <strong>in</strong><br />
griechischer Sprache im Schuljahr 1949/1950. <strong>Die</strong>ser wurde bald darauf durch<br />
Unterricht <strong>in</strong> Ungarisch und Makedonisch erweitert. In <strong>den</strong> 1950er Jahren wurde für<br />
K<strong>in</strong>der, die mit ihren Eltern nach <strong>Ungarn</strong> gekommen waren, <strong>in</strong> Budapest e<strong>in</strong>e eigene<br />
griechische Schule mit dem Namen „Manolisz Glezosz“ (Manolis Glezos, e<strong>in</strong><br />
führender Kommunist) e<strong>in</strong>gerichtet. Auch <strong>in</strong> Beloiannisz gab es e<strong>in</strong>e selbständige<br />
griechische Schule. In <strong>den</strong> 1960er Jahren stellte man <strong>den</strong> Unterricht <strong>in</strong> griechischer<br />
Sprache e<strong>in</strong> und schickte die K<strong>in</strong>der auf e<strong>in</strong>e ungarische Schule ihres Wohnortes.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs konnten Eltern <strong>in</strong> Schulen, <strong>in</strong> <strong>den</strong>en es m<strong>in</strong>destens fünf griechische K<strong>in</strong>der<br />
gab, e<strong>in</strong>en Antrag auf Unterricht <strong>in</strong> griechischer Sprache, Literatur, Geschichte und<br />
Geographie stellen. Mit Beg<strong>in</strong>n der 1980er Jahre, als die Möglichkeit der Heimkehr<br />
real wurde, wuchs das Interesse am griechischen Sprachunterricht. Auch außerhalb<br />
des Schulwesens wur<strong>den</strong> nun <strong>in</strong> Budapest, Miskolc und Pécs Sprachkurse<br />
organisiert. Seit <strong>den</strong> 1990er Jahren betrachten auch die Selbstverwaltungen <strong>den</strong><br />
Unterricht als e<strong>in</strong>e herausragende Aufgabe. Dem Unterricht der Muttersprache, der<br />
auf neuer Grundlage organisiert wurde, schlossen sich nun auch Sopron und Szeged<br />
an. Im Jahre 1996 nahmen so 300 Schüler <strong>in</strong> 20 Gruppen <strong>in</strong> – <strong>zu</strong>sammen mit<br />
Beloiannisz – <strong>in</strong>sgesamt sechs Kommunen am muttersprachlichen Unterricht teil.<br />
Seit <strong>den</strong> 1990er Jahren wird die Hilfe <strong>Griechen</strong>lands beim Sprachunterricht, bei der<br />
Beschaffung von Lehrbüchern und anderen Materialien sowie bei der Organisation<br />
von Sommerurlauben und -lagern <strong>in</strong> <strong>Griechen</strong>land für griechische K<strong>in</strong>der bzw. K<strong>in</strong>der<br />
griechischer Abstammung immer häufiger.<br />
9<br />
Von 1950 bis 1977 erschien die Zeitung „Laikosz Agonasz” (Volkskampf), bis 1975<br />
auf Griechisch und Makedonisch, von 1975 bis 1977 nur auf Griechisch. <strong>Die</strong>se<br />
Zeitung erschien teilweise als Tageszeitung, teilweise zweitägig, zweimal<br />
wöchentlich, wöchentlich und schließlich zweiwöchentlich. Als Publikation des<br />
Kulturvere<strong>in</strong>s der <strong>Griechen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> wurde 1984 das „Informationsbullet<strong>in</strong>“ publiziert
14<br />
bzw. ab 1985 „Pliroforiako Deltio – Egyesületi Szemle” (Informationsbullet<strong>in</strong>). Hieraus<br />
erwuchs die Zeitschrift „Ell<strong>in</strong>ismos” (<strong>Griechen</strong>tum), die zwischen 1984 und 1993 – mit<br />
Unterbrechungen – jährlich e<strong>in</strong>mal erschien. Seit April 1995 wird von der<br />
Griechischen Selbstbstverwaltung <strong>in</strong> der Hauptstadt vierteljährlich „Enimerotiko<br />
Deltio” (Informationsbullet<strong>in</strong>) herausgegeben. <strong>Die</strong>ses be<strong>in</strong>haltet Nachrichten, Berichte<br />
und Beiträge und umfaßt 12 bis 20 Seiten <strong>in</strong> griechischer und ungarischer Sprache.<br />
Seit Ende 1995 gibt die Landesselbstverwaltung der <strong>Griechen</strong> die politische und<br />
kulturelle Zeitschrift „Kafenio” (Kaffeehaus) heraus. <strong>Die</strong>se veröffentlicht historische,<br />
politische, literarische, ethnographische und künstlerische Artikel <strong>in</strong> ungarischer und<br />
griechischer Sprache. Darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d die <strong>Griechen</strong> auch im Magaz<strong>in</strong> „Barátság“<br />
(Freundschaft) vertreten, das monatlich ersche<strong>in</strong>t und sich mit allen M<strong>in</strong>derheiten <strong>in</strong><br />
<strong>Ungarn</strong> befaßt.<br />
Zwischen 1949 und 1983 gab es e<strong>in</strong>e griechische Sektion am Ungarischen Radio. Im<br />
ungarischen Radio wird seit Januar 1997 je<strong>den</strong> Donnerstag Abend e<strong>in</strong> halbstündiges<br />
Programm <strong>in</strong> griechischer Sprache ausgestrahlt: es bietet viel Musik, Nachrichten,<br />
Veranstaltungsh<strong>in</strong>weise, Populärwissenschaftliches, Kultur und Brauchtum. Im<br />
Programm „Rondó” (Rondo) des Ungarischen Fernsehens gibt es monatlich e<strong>in</strong>en<br />
10-m<strong>in</strong>ütigen Block <strong>in</strong> griechischer Sprache. Außerdem s<strong>in</strong>d die <strong>Griechen</strong> <strong>zu</strong>sammen<br />
mit anderen M<strong>in</strong>derheiten im Programm „Gyökerek” (Wurzeln) des kommerziellen<br />
Kanals von TV2 vertreten.<br />
István Kozma