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MEDIATHEK_HÖRSPIEL<br />

James Joyce’ „Ulysses“ ist nicht zuletzt ein<br />

virtuoses Kunstwerk der Stimmen und Sprachen.<br />

Und doch erscheint der legendäre, klassische<br />

Roman erst jetzt als Hörspiel. Das Projekt mit<br />

Starschauspielern ist eine Meisterleistung.<br />

Weltliteratur<br />

als Sprach-Oper<br />

TEXT: WOLFGANG SCHNEIDER<br />

D er<br />

„Ulysses“ ist die Bibel der Moderne.<br />

Kein anderes Buch hat mit solcher<br />

Kühnheit literarische Konventionen aufgesprengt<br />

und neue Erzählweisen ausprobiert.<br />

Zugleich ist der Roman eine Pionierleistung<br />

des erweiterten Realismus. Der<br />

„Ulysses“ bietet eine Fülle plastischer Charaktere<br />

und Originale – Menschen von einer<br />

physischen Präsenz, wie es sie zuvor in der<br />

Literatur nicht gab. An diesem einen Tag in<br />

Dublin, dem 16. Juni 1904, lernen wir das<br />

ganze Leben der Hauptfi guren kennen. Nur<br />

dass nicht alles schön der Reihe nach von A<br />

bis Z erzählt, sondern wie ein Puzzlespiel in<br />

Tausenden verstreuten Teilen dargeboten<br />

wird. Jedes Detail ist passgenau. Aber man<br />

muss es erst einmal fi nden.<br />

Deshalb ist das Lesevergnügen bekanntlich<br />

nicht ohne Mühe zu haben. Auch das<br />

opulente, bloomsdaylange Hörspiel ist<br />

eine Herausforderung – eine großartige.<br />

Kein Spannungs-Hörkino, sondern eine<br />

Sprach-Oper, die die polyphone Stilvielfalt<br />

und Wortmusik des „Ulysses“ sinnlich erfahrbar<br />

macht. Unter der Regie von Klaus<br />

Buhlert agiert ein hochklassiges Ensemble,<br />

darunter Dietmar Bär als Annoncenakquisiteur<br />

Leopold Bloom und Birgit Minichmayr<br />

als seine laszive Ehefrau Molly. Jens<br />

Harzer spricht den fragilen Intellektuellen<br />

Stephen Dedalus. Besonders toll: Thomas<br />

Thieme, dessen bärbeißiger Bass die grobianischen<br />

Rollen im Alleingang übernimmt<br />

und mit leicht sächsischem Einschlag ins<br />

Komische hinüberspielt – auch den Part<br />

des patriotischen „Kyklopen“, der Bloom<br />

üblen antisemitischen Anwürfen aussetzt.<br />

Stimmen, Musik, Motivarbeit: Buhlert<br />

zieht Fäden durchs Labyrinth, öff<strong>net</strong> Zugänge<br />

auch in die hermetischen Partien, darunter<br />

das Sirenen-Kapitel, ein aus Leitmotiven<br />

und Lautmalerei komponierter Text,<br />

in dem die Sprache zum Gesang wird. 150<br />

Seiten des Romans wurden bereits von Joyce<br />

als eine Art Hörspiel geschrieben: das Kirke-<br />

Kapitel, ein phantasmagorisches Traumspiel<br />

im Bordellviertel. Es ist ein Höhepunkt<br />

des Hör-„Ulysses“, ein verwegenes Ragout<br />

aus Sauerei, Satire und subtilem Nonsens.<br />

Großartig klingt auch Joyce’ eigene Lieblingsepisode,<br />

das Heimkehr-Kapitel „Ithaka“.<br />

Es ist in Interviewform gehalten: lauter<br />

ziemlich bizarre Fragen, die ausschweifende<br />

und absonderliche Antworten verlangen,<br />

ein wunderbares Duett für einen Vater, der<br />

einen Sohn, und einen Sohn, der keinen<br />

Vater sucht.<br />

Eminent hörspieltauglich sind die vielen<br />

Parodien und Sprachspiele, etwa wenn Corinna<br />

Harfouch den sentimentalen Kitschromanstil<br />

im Nausikaa-Kapitel liest, wo<br />

Bloom voyeuristische Höhepunkte mit Gerty<br />

MacDowell (Anna Thal bach) erlebt, wäh-<br />

Lesezeichen<br />

j<br />

James Joyce: Ulysses. Gelesen<br />

von Corinna Harfouch,<br />

Dietmar Bär, Manfred Zapatka<br />

u.a. Der Hörverlag, 23 CDs,<br />

<strong>99</strong>,<strong>99</strong> € (D / A) • 139,– sFr.<br />

rend sich das Feuerwerk in den Himmel<br />

über Dublin ergießt. Und wie schildert man<br />

zwei müde Männer, die nach ausschweifenden<br />

Erlebnissen im Hafenviertel angetrunken<br />

nach Hause schwanken? Indem man<br />

auch die Sprache stolpern lässt und sie überfrachtet<br />

mit matten Wendungen, Floskeln,<br />

Verhedderungen und sich verlaufenden Assoziationen.<br />

Eine „müde Ein-Uhr-nachts-<br />

Schreibe“ hat Anthony Burgess das genannt<br />

– und sie wird wunderbar hemdsärmelig<br />

und zerfahren gelesen von Jürgen Holtz.<br />

James Joyce war ein hochmusikalischer<br />

Ohrenmensch. Der „Ulysses“ ist ein erlauschtes<br />

Buch: Die Welt ist Ton und<br />

Sprachklang – und nun auch das beste Hörspiel<br />

des Jahres. <br />

46<br />

Bloomsday im Tonstudio (von<br />

oben): Corinna Harfouch und<br />

Regisseur Klaus Buhlert,<br />

Stefan Wilkening, Jens Harzer<br />

buchjournal 3_2012<br />

alle © SWR / Conny Fischer / Hörverlag

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