einleitung zu dem für den mathemati- schen teil der deutschen ...
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[Copies of this article were preaented to the members of the congress for use in<br />
visiting the German University Exhibit. Editors.]<br />
EINLEITUNG ZU DEM FÜR DEN MATHEMATI-<br />
SCHEN TEIL DER DEUTSCHEN UNIVERSI-<br />
TÄTSAUSSTELLUNG AUSGEGEBENEN<br />
SPECIALKATALOG.<br />
VON<br />
WALTHER DYCK IN MÜNCHEN.<br />
DIE Deutsche Universitätsausstelluag iii Chicago, auf Veranlassung<br />
<strong>der</strong> Königlich Preussi<strong>schen</strong> Unterrichtsverwaltung ins Leben<br />
gerufen, bezweckt ein <strong>zu</strong>sammenfassendes und möglichst anschauliches<br />
Bild von <strong>dem</strong> Stand und <strong>der</strong> Bedeutung <strong>der</strong> Deut<strong>schen</strong><br />
Universitäten nach ihren Aufgaben <strong>der</strong> Lehre und Forschung <strong>zu</strong><br />
.geben.<br />
Fällt die vornehmliche Aufgabe eines <strong>zu</strong>sammenfassen<strong>den</strong><br />
Berichtes von <strong>der</strong> histori<strong>schen</strong> EntWickelung unserer Hochschulen,<br />
von <strong>der</strong>en Einfluss auf <strong>den</strong> Fortschritt <strong>der</strong> einzelnen<br />
Wissenschaften, von ihrer gegenwärtigen Stellung im Leben <strong>der</strong><br />
Nation, <strong>dem</strong> <strong>für</strong> die Ausstellung vorbereiteten Sammelwerke<br />
"Die Deut<strong>schen</strong> Universitäten" <strong>zu</strong>, so ist <strong>für</strong> die Ausgestaltung<br />
<strong>der</strong> einzelnen Gruppen <strong>der</strong> Ausstellung selbst um so mehr<br />
<strong>der</strong> Spielraum gegeben, je nach richtigem Ermessen sei es die<br />
historische, sei es die pädagogische, sei es die rein wissenschaftliche<br />
Seite des speciellen Faches <strong>zu</strong>r Vorführung <strong>zu</strong> bringen und<br />
durch diese Mannigfaltigkeit das Gesamtbild <strong>zu</strong> beleben.<br />
Die <strong>mathemati</strong>sche Ausstellung will von unserer mo<strong>der</strong>nen<br />
Forschung und von unseren gegenwärtigen Metho<strong>den</strong> und Hülfsmitteln<br />
des höheren <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Unterrichtes Zeugnis geben,<br />
und fasst dabei, wie dies in unserem Fache <strong>den</strong> gemeinsamen<br />
Aufgaben entspricht, die Thätigkeit unserer Deut<strong>schen</strong> Universitäten<br />
und Techni<strong>schen</strong> Hochschulen <strong>zu</strong>sammen.<br />
Die Mittelgruppe <strong>der</strong> Ausstellung führt in <strong>der</strong> Kolossalbüste<br />
von Gauss, in <strong>den</strong> Bildnissen von Jacobi, Dirichlet und<br />
Kiemann die Männer vor Augen, <strong>der</strong>en fundamentale Werke die
DEUTSCHE UNIVERSITÄTSAUSSTELLUNG. 45<br />
Marksteine <strong>der</strong> <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Arbeit unseres Jahrhun<strong>der</strong>ts in<br />
Deutschland bezeichnen*.<br />
Die Zusammenstellung n euer er deutscher <strong>mathemati</strong>scher<br />
Literatur (vergl. Teil II des Specialkataloges <strong>der</strong> <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong><br />
Ausstellung) soll, ohne Anspruch auf Vollständigkeit <strong>zu</strong> machen,<br />
die wesentlichsten Richtungen unserer heutigen <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong><br />
Forschung im Einzelnen <strong>zu</strong> verfolgen gestatten und so das von<br />
F. Klein in <strong>dem</strong> eben erwähnten Sammelwerke über die<br />
Deut<strong>schen</strong> Universitäten gegebene Bild ihrer Entwicklung ergänzen.<br />
Wir unterschei<strong>den</strong> die Schriften <strong>der</strong> Aka<strong>dem</strong>ieen, <strong>der</strong> Universitäten,<br />
die <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Zeitschriften und <strong>den</strong> eigentlichen<br />
buchhändleri<strong>schen</strong> Verlag.<br />
Die Aka<strong>dem</strong>ie©n haben, soweit wir von ihrem weiteren, die<br />
Gesamtheit <strong>der</strong> Natur- und Geisteswissenschaften einheitlich umfassen<strong>den</strong><br />
Wirkungskreis absehen, und auf <strong>den</strong> geson<strong>der</strong>ten des<br />
speciellen Faches eingehen, sich einmal die Aufgabe gestellt, die<br />
Werke <strong>der</strong> hervorragendsten Deut<strong>schen</strong> Mathematiker heraus<strong>zu</strong>geben—so<br />
die K. Preussische Aka<strong>dem</strong>ie <strong>der</strong> Wissenschaften <strong>zu</strong><br />
Berlin die Werke von Dirichlet, Jacobi, Steiner und neuerdings<br />
die von Kronecker; die K. Gesellschaft <strong>der</strong> Wissenschaften<br />
<strong>zu</strong> Göttingen Gauss' und Weber's Werke; die K. Sachs.<br />
Gesellschaft d. W. <strong>zu</strong> Leipzig die von Möbius und neuerdings<br />
die von Grass m an n; die K. Bayer. Aka<strong>dem</strong>ie <strong>der</strong> Wissenschaften<br />
<strong>zu</strong> München die Schriften von Fraunhofer und gegenwärtig die<br />
von Hesse. An<strong>der</strong>erseits sollen die Sit<strong>zu</strong>ngsberichte und die<br />
Abhandlungen dieser Gesellschaften Gelegenheit bieten <strong>zu</strong><br />
rascherer Publikation kürzerer wissenschaftlicher Mit<strong>teil</strong>ungen,<br />
wie <strong>zu</strong> <strong>der</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> Einzelnen <strong>zu</strong> kostspieligen Drucklegung<br />
umfangreicherer Denkschriften.<br />
Die Schriften <strong>der</strong> Aka<strong>dem</strong>ieeii und vornehmlich die <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong><br />
Zeitschriften enthalten wohl <strong>den</strong> wesentlichen Teil<br />
unserer neueren <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Forschungen und sie haben sich<br />
dabei nicht auf Deutschland allein beschränkt. Heben wir hier<br />
* Eine geson<strong>der</strong>te Gaus s-W e b e r-Ausstellung giebt in histori<strong>schen</strong> Dokumenten,<br />
Apparaten, Schriftstücken und Photographieen des physikali<strong>schen</strong> Instituts, <strong>der</strong><br />
Sternwarte und des Gaussi<strong>schen</strong> Erdmagneti<strong>schen</strong> Observatoriums <strong>zu</strong> Göttingen<br />
ein Bild von <strong>der</strong> gemeinsamen Thätigkeit <strong>der</strong> bei<strong>den</strong> grossen Gelehrten. (Vergl.<br />
<strong>den</strong> allgein. Katalog <strong>der</strong> U niversitäts-Ausstellung pg. 4.8.)
46 WALTHER DYCK.<br />
<strong>zu</strong>vör<strong>der</strong>st die älteste dieser Zeitschriften, das 1826 von Grelle<br />
gegründete,jetzt bis <strong>zu</strong>m 111. Bande gediehene "Journal <strong>für</strong> die<br />
reine und angewandte Mathematik" hervor. Mit Recht konnten<br />
Kronecker und Weierstrass <strong>zu</strong>r Einleitung des 100. Bandes<br />
(1887) sagen : " Die Geschichte <strong>der</strong> Entwickelung dieses Journales,<br />
welches noch von Gau s s, Poisson, Poncelet Beiträge erhalten<br />
hat, welches die Mehrzahl <strong>der</strong> Werke Abel's, Jacobi's, Lejeune-<br />
Dirichlet's, Steiner's <strong>zu</strong>erst veröffentlicht hat, welches Hauptarbeiten<br />
Riemann's und -Abhandlungen von vielen <strong>der</strong> bedeutendsten<br />
unter <strong>den</strong> noch leben<strong>den</strong> älteren und jüngeren<br />
Mathematikern und <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Physikern aller Nationen<br />
enthält, welches also vier <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Generationen als Stätte<br />
<strong>für</strong> Publicationen gedient hat, stellt einen guten Teil <strong>der</strong> Geschichte<br />
<strong>der</strong> Entwickelung dar, welche die Mathematik selbst in <strong>den</strong><br />
vergangenen sechzig Jahren genommen." Im Jahre 1846 entstand<br />
das u Archiv," 1856 die "Zeitschrift <strong>für</strong> Mathematik und Physik,"<br />
beide beson<strong>der</strong>s die Bedürfnisse <strong>der</strong> Lehrer an höheren Unterrichtsanstalten,<br />
die letztere vor<strong>zu</strong>gsweise auch die Geschichte <strong>der</strong><br />
Wissenschaft betonend. 1868 rief R. A. Clebsch in Verbindung<br />
mit G. Neumann die "Mathemati<strong>schen</strong> Annaleii" ins Leben, die<br />
heute in einer Reihe von 42 Bän<strong>den</strong> <strong>zu</strong>sammen mit <strong>den</strong> genannten<br />
Journalen von <strong>der</strong> Intensität und <strong>der</strong> Vielseitigkeit mit <strong>der</strong> die<br />
<strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Wissenschaften in Deutschland betrieben wer<strong>den</strong>,<br />
berichten.<br />
Neben die Aufgabe unserer Fachzeitschriften, jeweils <strong>den</strong><br />
actuellen Stand <strong>der</strong> <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Forschung <strong>zu</strong> umfassen, stellt<br />
sich noch eine zweite, welche das "Jahrbuch über.die Fortschritte<br />
<strong>der</strong> Mathematik" in <strong>der</strong> Zusammenstellung und Berichterstattung<br />
über die gesamte mo<strong>der</strong>ne <strong>mathemati</strong>sche Literatur sich gestellt<br />
hat, eine Aufgabe, welche neuerdings die "Jahresberichte <strong>der</strong><br />
deut<strong>schen</strong> Mathematiker-Vereinigung" durch <strong>zu</strong>sammenhängende<br />
Darstellungen einzelner Gebiete <strong>der</strong> neueren Forschung <strong>zu</strong> ergänzen<br />
suchen.<br />
Den deut<strong>schen</strong> <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Verlag kennzeichnet das<br />
verhältnismässige Zurücktreten <strong>der</strong> Lehrbücher <strong>für</strong> <strong>den</strong> höheren<br />
<strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Unterricht, ein Umstand <strong>der</strong> in <strong>der</strong> individuellen<br />
Ausgestaltung auch <strong>der</strong> einführen<strong>den</strong> <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong><br />
Vorlesungen an unseren Hochschulen, wie sie die Vorbildung <strong>der</strong><br />
Schüler, Neigungen <strong>der</strong> Docenten haben entstehen lassen, seine
DEUTSCHE UNIVERS1TÄTSAUSBTBLLTJNG. 47<br />
Begründung findet. Um so mehr zeichnet sich dieser Buchverlag<br />
durch das Vorhan<strong>den</strong>sein einer grossen Anzahl specieller, <strong>der</strong><br />
eigentlichen Forschung angehören<strong>der</strong> Werke aus und so kommen,<br />
auch in diesen Veröffentlichungen die Richtungen unserer neueren<br />
deut<strong>schen</strong> <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Forschung <strong>zu</strong>m Ausdruck. Weiter<br />
seien hier die Sammelwerke hervorgehoben, welche sich die<br />
Aufgabe stellen, die klassi<strong>schen</strong>, <strong>für</strong> <strong>den</strong> Fortschritt <strong>der</strong> Wissenschaft<br />
fundamentalen Werke in handlichen Ausgaben allgemein<br />
<strong>zu</strong>gänglich <strong>zu</strong> machen.<br />
Mit <strong>der</strong> Vorführung <strong>der</strong> bis <strong>zu</strong>m Jahre 1850 <strong>zu</strong>rückreichen<strong>den</strong><br />
Inauguraldissertationen <strong>zu</strong>r Erlangung <strong>der</strong> Doctorwürde,<br />
wie <strong>der</strong> venia legeiidi, welche durch das Entgegenkommen <strong>der</strong><br />
Universitätsbibliothek <strong>zu</strong> Marburg ermöglicht wurde, leiten<br />
wir in das Gebiet des <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Unterrichtes über.<br />
Wir glauben unseni Lesern einen Dienst <strong>zu</strong> erweisen, wenn wir<br />
im Kataloge die ausführliche Liste <strong>der</strong> Dissertationen (Teil II,<br />
Abschnitt 5) geben. Spricht tiich doch in <strong>den</strong> verschie<strong>den</strong>en<br />
Richtungen und mannigfachen Arbeitsgebieten, welchen diese<br />
Abhandlungen entnommen sind, <strong>der</strong> individuelle Charakter <strong>der</strong><br />
einzelnen Hochschulen, wie er nach <strong>den</strong> Forschungsgebieten <strong>der</strong><br />
Lehrer auch im Unterrichte sich gestaltet, am klarsten aus, und<br />
kommt gerade hier die Wirksamkeit <strong>der</strong> <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong><br />
Seminare <strong>zu</strong>m vollen Ausdruck.<br />
Es mögen einige Bemerkungen über Entstehung und Zweck<br />
dieser Seminare, wie sie jetzt an allen deut<strong>schen</strong> Hochschulen<br />
bestehen und wie sie aufs engste mit <strong>dem</strong> ganzen Uiiterrichtsplane<br />
<strong>der</strong>selben <strong>zu</strong>sammenhängen, hier Platz fin<strong>den</strong>.<br />
Über die Vorgeschichte des in Königsberg 1834< ins<br />
Leben getretenen ersten <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Seminars schreibt<br />
Richelot in einem Berichte an das K. Preussische Unterrichtsministerium<br />
(welcher im beson<strong>der</strong>en die Stellung <strong>der</strong> sog. allgemein<br />
bil<strong>den</strong><strong>den</strong> Fächer <strong>zu</strong> <strong>den</strong> speciellen Fachstudien bespricht*).<br />
"Die von unwissenschaftlichen Nichtkemiern Einseitigkeit genannte<br />
wissenschaftliche Vertiefung wurde von einem Manne<br />
(nämlich Bessel) hierher verpflanzt, <strong>der</strong> in allen fünf Welt<strong>teil</strong>en<br />
berühmt war und bleiben wird, und <strong>dem</strong> es im Laufe von wenig<br />
* Die hier gegebene Mit<strong>teil</strong>ung über das Königsberger Seminar verdanke ich <strong>der</strong><br />
Güte von Herrn F. Lin<strong>dem</strong>ann.
48 WALTHEB DYCK.<br />
Jahren eben durch dies Mittel gelang, einer bis dahin in <strong>den</strong><br />
exacten Wissenschaften völlig unbedeuten<strong>den</strong> Universität gerade<br />
in dieser Richtung einen bedeuten<strong>den</strong> Namen <strong>zu</strong> verschaffen.<br />
Sein Unterricht wurde sehr bald <strong>der</strong> einzige, <strong>der</strong> von <strong>den</strong> hiesigen<br />
Mathematikern benutzt wurde, obgleich er seine Zuhörer meist<br />
nur in einem speciellen Teile des <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Wissens, in <strong>der</strong><br />
<strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Astronomie vertiefte. Als seit 1826 <strong>der</strong> grossartige<br />
Geist Jacobi's hier <strong>zu</strong> wirken begann, wur<strong>den</strong> durch <strong>den</strong><br />
erweiterten Umfang <strong>der</strong> hier gelehrten <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Disciplinen<br />
die jungen Mathematiker noch mehr <strong>den</strong> ihrer Wissenschaft ferner<br />
liegen<strong>den</strong> Studien entzogen; . . . Beide grosse Mathematiker<br />
verschmähten es nicht, einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit und<br />
Kraft <strong>der</strong> Ausbildung ihrer Schüler <strong>zu</strong> opfern, und es gelang<br />
ihnen bald, <strong>den</strong> Lehranstalten <strong>der</strong> Provinz <strong>zu</strong>nächst solche Lehrer<br />
<strong>zu</strong><strong>zu</strong>führen, die <strong>den</strong> <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Unterricht auf eine in<br />
Deutschland nicht geahnte Höhe brachten . . . Nach<strong>dem</strong> Neumann's<br />
unvergleichliche Lehr Wirksamkeit in <strong>der</strong> <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong><br />
Physik hier Wurzel gefasst und bald ihre fast einzige<br />
Pflanzstätte in Deutschland gefun<strong>den</strong> hatte, w'ur<strong>den</strong> namentlich<br />
durch die Gründung des <strong>mathemati</strong>sch-physikali<strong>schen</strong> Seminars<br />
die Studien <strong>der</strong> hiesigen Mathematiker auf reine Mathematik,<br />
<strong>mathemati</strong>sche Physik und theoretische Astronomie und Mechanik<br />
concentrirt."<br />
/ In <strong>der</strong> That war Jacob i <strong>der</strong> erste, <strong>der</strong> es unternahm, auch die<br />
neuesten und <strong>zu</strong>r Zeit höchsten Probleme seiner Wissenschaft in<br />
seinen Vorlesungen <strong>den</strong> Studiren<strong>den</strong> dar<strong>zu</strong>legen, wie es jetzt in<br />
<strong>den</strong> Specialvorlesungen und Seminaren allenthalben an unseren<br />
Hochschulen <strong>zu</strong> geschehen pflegt. Auch heute noch liegt <strong>der</strong><br />
wesentlichste Teil des Seminarunterrichtes in <strong>der</strong> Anleitung <strong>zu</strong><br />
eigener wissenschaftlicher Thätigkeit und in <strong>der</strong> Einführung in<br />
die <strong>mathemati</strong>sche Literatur. Mittelbar kommt diese Ausbildung<br />
auch <strong>dem</strong> prakti<strong>schen</strong> Berufe des künftigen Lehrers <strong>zu</strong> gute,<br />
insoferne Gründlichkeit und Klarheit durch sie geför<strong>der</strong>t wird.<br />
Der eigentlichen pädagogi<strong>schen</strong> Ausbildung aber dienen beson<strong>der</strong>e,<br />
an <strong>den</strong> Mittelschulen errichtete Seminare. Von ihnen sei das<br />
durch mehr* als dreissig Jahre unter Schellbach's Leitung<br />
stehende Berliner Seminar hervorgehoben, <strong>dem</strong> auch eine Reihe<br />
unserer heutigen Hochschuldocenten angehört hat.<br />
Was die beson<strong>der</strong>e Glie<strong>der</strong>ung des <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Unter-
DEUTSCHE UNI VERSITÄTS AUSSTELLUNG. 49<br />
richtes in <strong>den</strong> einleiten<strong>den</strong> und allgemeinen wie <strong>den</strong> speciellen<br />
Vorlesungen und Seminaren betrifft, so sei auf die Ausführungen<br />
des Sammelwerkes, wie auf die in <strong>der</strong> Ausstellung aufgelegten<br />
Jahresberichte und Studienpläne <strong>der</strong> einzelnen Hochschulen<br />
verwiesen. Hier sei nur noch eine Seite <strong>der</strong> Entwickelung unseres<br />
mo<strong>der</strong>nen Unterrichtes hervorgehoben, <strong>der</strong>en Vorführung unsere<br />
<strong>mathemati</strong>sche Ausstellung im Beson<strong>der</strong>en gewidmet ist: die<br />
Entstehung <strong>der</strong> Sammlungen <strong>mathemati</strong>scher Modelle,<br />
Apparate und Instrumente.<br />
Das Interesse <strong>für</strong> die räumliche Gestaltung geometrischer<br />
Gebilde geht, wenn wir von früheren <strong>zu</strong>meist auf ebene Gebilde<br />
bezüglichen gestaltlichen Untersuchungen absehen, auf Monge<br />
und seine Schüler <strong>zu</strong>rück. Der systematische Ausbau <strong>der</strong> darstellen<strong>den</strong><br />
Geometrie, die Anwendungen <strong>der</strong> Differentialrechnung auf<br />
geometrische Fragen, Anwendungen <strong>der</strong> Mathematik auf physikalische<br />
und technische Probleme, veranlassten eine Fülle von<br />
gestaltlichen Untersuchungen. Der von Monge umfassend angelegte<br />
Unterrichtsplan <strong>der</strong> dcole polytechnique wies diesen Fächern<br />
einen breiten Raum <strong>zu</strong>; hier erwiesen sich zweckentsprechende<br />
Modelle und Apparate als ein fruchtbares Hülfsniittel des Verständnisses,<br />
So entstan<strong>den</strong>, von Schülern von Monge geför<strong>der</strong>t,<br />
weiterhin durch die Thätigkeit des conservatoire des arts et<br />
metiers unterstützt, in Paris die bekannten Sammlungen von<br />
Modellen von Brocchi, Olivier, Bardin, Muret, de Saint Venaiit.<br />
Gleichzeitig traten auch in Deutschland mit <strong>den</strong> Schöpfungen<br />
von Steiner, Möbius, Plücker, Hesse rein geometrische Untersuchungen<br />
in <strong>den</strong> Vor<strong>der</strong>grund des Interesses, und so war es naturgemäss,<br />
dass auch hier <strong>der</strong> Sinn <strong>für</strong> gestaltliche Fragen praktische Bethätigung<br />
fand. Die von Fiedler und von Chr. Wiener ausgeführten<br />
Modelle von Flächen dritter Ordnung, die <strong>den</strong> Formenreichtum<br />
algebraischer Flächen <strong>zu</strong>erst veranschaulichen<strong>den</strong><br />
Plücker'<strong>schen</strong> Complexflächen, die Modelle <strong>zu</strong>r Theorie <strong>der</strong><br />
Strahlensysteme, <strong>zu</strong>r Krümmungstheorie, <strong>zu</strong> Flächen vierter<br />
Ordnung von Kummer, mögen als die ersten hier genannt sein.<br />
Das grösste Interesse und eine Fülle neuer Anregung bot dann<br />
die im Jahre 1876 <strong>zu</strong> London im South Kensington Museum<br />
veranstaltete Ausstellung wissenschaftlicher Apparate, Auf ihr<br />
gelangten neben <strong>den</strong> eben genannten noch insbeson<strong>der</strong>e elegant<br />
ausgeführte Modelle von Fabre de Lagrange, die Steiner'sche<br />
c. P. 4
50 * WALTHER DYOK.<br />
Fläche, Ball's Cylindroid, Zeichnungen Maxwell's <strong>zu</strong>r Krtimmungstheorie<br />
u* a. m. <strong>zu</strong>r Vorführung; weiter Rechenmaschinen und<br />
Integraphen (Thomson's harmonischer Analysator), sowie die<br />
mannigfachsten Instrumente und Apparate <strong>der</strong> angewandten<br />
Mathematik (wir erwähnen insbeson<strong>der</strong>s die Apparate Reuleaux's<br />
<strong>zu</strong>r Kinematik).<br />
Die gegenwärtige Ausstellung zeigt die weitere Entwickelung<br />
-unseres Gebietes in Deutschland. Sie enthält in, möglichster<br />
Vollständigkeit all' die vielerlei Modelle und graphi<strong>schen</strong> Darstellungen,<br />
wie sie <strong>zu</strong>nächst im Anschluss an geometrische Untersuchungen<br />
in <strong>den</strong> <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Seminaren an unseren<br />
Universitäten und techni<strong>schen</strong> Hochschulen entstan<strong>den</strong>-sind und<br />
wie sie weiterhin nicht blos rein geometrische, son<strong>der</strong>n auch<br />
^functionen-theoretische Fragen und solche <strong>der</strong> Mechanik und<br />
<strong>mathemati</strong><strong>schen</strong>> Physik umfasst haben. Wir müssen betreffs <strong>der</strong><br />
eingehen<strong>den</strong> Beschreibung <strong>der</strong> einzelnen Objecte auf <strong>den</strong> Specialkatalog<br />
selbst verweisen. Hier aber sei noch ein wesentlicher<br />
Gesichtspunkt <strong>für</strong> die Zusammenstellung hervorgehoben: Die<br />
Gesamtheit aller dieser verschie<strong>den</strong>en räumlichen Darstellungen,-<br />
'all' dieser Gestalten aus Gips, aus Holz und Metall, will nicht <strong>den</strong><br />
Eindruck erwecken, als bilde sie die unentbehrliche Rüstkammer<br />
des gegenwärtigen <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Unterrichtes, als erfor<strong>der</strong>e ein •<br />
mo<strong>der</strong>nes <strong>mathemati</strong>sches Institut diesen ganzen umfangreichen<br />
Apparat und <strong>dem</strong> entsprechende Mittel. Neben eine Reihe von<br />
grundlegen<strong>den</strong> Formen, welche man heut<strong>zu</strong>tage wol nicht mehr<br />
wird missen wollen, neben eine weitere Reihe von Darstellungen,<br />
welche <strong>den</strong> höheren <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Unterricht ganz wesentlich<br />
<strong>zu</strong> erleichtern im Stande sind, stellt sich noch eine Zahl von<br />
Modellen, welche in ihrer Entstehung, in <strong>der</strong> vom Verfertiger <strong>zu</strong><br />
ihrer Herstellung aufgewendeten Arbeit, ihren nächsten Zweck<br />
und ihre Bedeutung haben. Hier soll die Notwendigkeit, eine im<br />
Seminare gestellte Aufgabe in allen ihren Teilen durch<strong>zu</strong><strong>den</strong>ken<br />
und durch<strong>zu</strong>rechnen vor Allem <strong>zu</strong>r Geltung gelangen. Desshalb<br />
ist kein Be<strong>den</strong>ken getragen, auch <strong>der</strong>artige primitive, mit möglichst<br />
geringen Mitteln hergestellte Modelle vor<strong>zu</strong>führen. Gerade solche<br />
gelegentlich entstan<strong>den</strong>e Modelle sind in ihrer Einfachheit geeignet,<br />
Veranlassung <strong>zu</strong> ähnlichen Versuchen <strong>für</strong> die Schüler <strong>zu</strong> geben;<br />
und weiter: gerade solche Darstellungen, in ihrer Ursprünglich -<br />
keit, in ihrem individuellen Charakter, wer<strong>den</strong> nicht blos ein
DEUTSCHE UNIVERSITÄTSAUSSTELLUNG. 51<br />
belebendes Element des Unterrichtes bil<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n sie vermögen<br />
auch <strong>der</strong> Forschung selbst mannigfache Anregung <strong>zu</strong> bieten,<br />
Die Sammlung <strong>der</strong> Modelle ist noch ergänzt durch eine Reihe<br />
<strong>mathemati</strong>scher Instrumente, <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Hiilfsmittel von<br />
Rechnung (Rechenmaschinen, Planmieter, Integraphen) und Zeichnung<br />
(Teilungszirkel, Pantographen). Hier haben lediglich solche<br />
Apparate Aufnahme gefun<strong>den</strong>, welche ein specielles <strong>mathemati</strong>sches<br />
Interesse bieten, während beispielsweise Präcisionsinstrumente als<br />
solche, bei <strong>den</strong>en die beson<strong>der</strong>e technische Anordnung o<strong>der</strong><br />
Vollendung das wesentliche Merkmal bildet, ausgeschlossen<br />
wur<strong>den</strong>*.<br />
Bei <strong>der</strong> Zusammenstellung <strong>der</strong> Modelle und Apparate war es<br />
<strong>dem</strong> Unterzeichneten von wesentlichem Nutzen, auf die Vorbereitungen<br />
einer im Vorjahre in Nürnberg geplanten <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong><br />
Ausstellung (die jetzt in München stattfin<strong>den</strong> wird) <strong>zu</strong>rückgreifen<br />
<strong>zu</strong> können, Insbeson<strong>der</strong>e konnte auch ein grosser Teil <strong>der</strong> <strong>zu</strong>r<br />
Erläuterung <strong>der</strong> einzelnen Modelle etc, dienen<strong>den</strong> Aufsätze und<br />
Noten direct <strong>dem</strong> <strong>für</strong> jene Ausstellung veröffentlichten Kataloge•["<br />
entnommen wer<strong>den</strong>. Für eine Reihe neuer Beiträge, welche die<br />
Vorführung <strong>der</strong> an unseren deut<strong>schen</strong> Hochschulen entstan<strong>den</strong>en<br />
Lehrmittel wesentlich vervollständigt haben, ist <strong>der</strong> Unterzeichnete<br />
<strong>den</strong> einzelnen Institutsvorstän<strong>den</strong> <strong>zu</strong> beson<strong>der</strong>em Danke verpflichtet.<br />
Möge es gelungen sein, in <strong>der</strong> gegenwärtigen Ausstellung in<br />
grossen Zügen von <strong>der</strong> <strong>mathemati</strong><strong>schen</strong> Arbeit in Deutschland<br />
nach Forschung und Lehre berichtet <strong>zu</strong> haben—soweit dies durch<br />
Schrift und Bild möglich ist. Möge die in Verbindung mit <strong>der</strong><br />
Ausstellung geplante Mathematik er-Versammlung Gelegenheit<br />
geben, das Vorgeführte durch das lebendige Wort <strong>zu</strong> beleben !<br />
MÜNCHEN, im Mai 1893.<br />
* Hierhergehörige Instrumente fin<strong>den</strong> sich in <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Deut<strong>schen</strong> Gesellschaft<br />
<strong>für</strong> Mechanik und Optik veranstalteten Ausstellung.<br />
t Katalog <strong>mathemati</strong>scher und <strong>mathemati</strong>sch-physikalischer Modelle, Apparate<br />
und Instrumente. Im Auftrag des Vorstandes <strong>der</strong> deut<strong>schen</strong> Mathematiker-Vereinigung<br />
herausgegeben v. W. Dyck, München 1892.<br />
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