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20 Mit<br />

zeitbild<br />

W I S S E N<br />

JAHRE DEUTSCHE EINHEIT<br />

Kopiervorlagen für den handlungsorientierten Unterricht<br />

Jahrgang 52<br />

September 2010


DAS JAHR 1989<br />

DIE MAUER FÄLLT...<br />

„Wenn wir zu spät kommen, bestraft uns das<br />

Leben sofort“ – dieser Ausspruch des sowjetischen<br />

Parteichefs Michail Gorbatschow<br />

ist im Oktober 1989 in aller Munde. Binnen<br />

kurzer Zeit bewahrheitet er sich – erst an<br />

der Herrschaft der SED, schließlich an der<br />

DDR selbst und 1991 an der Sowjetunion.<br />

Während Zehntausende aus dem Osten<br />

Deutschlands in den Westen fl üchten, gehen<br />

daheim in der DDR Hunderttausende auf die<br />

Straße.<br />

im Überblick ..................................................16 Ermutigt fühlt sich die Bürgerbewegung durch die Entwicklung<br />

in den anderen Staaten des Warschauer Pakts: durch<br />

Die innere Einheit ......................................20 den Sieg der freien Gewerkschaft Solidarno in Polen,<br />

Deutschland in Europa<br />

die<br />

............................22<br />

Öffnung der ungarisch-österreichischen Grenze und durch die<br />

Reformpolitik Gorbatschows in der Sowjetunion.<br />

... und in der Welt ......................................23<br />

Anfangs, im September 1989, versuchen Polizei und Staatssicherheit<br />

noch, die Proteste gewaltsam zu unterbinden. Immer wieder<br />

gibt es Festnahmen. Doch als am 9. Oktober in Leipzig vor den<br />

Teil 2<br />

Augen der Weltöffentlichkeit 70.000 Menschen demonstrieren,<br />

ist der Bann gebrochen. Von nun an ist klar, dass die Herrschaft<br />

Kopiervorlagen für den der SED ihrem Ende entgegengeht. Eine wichtige Rolle spielen die<br />

Kirchen. Schon in den 70er- und frühen 80er-Jahren boten sie Frie-<br />

handlungsorientierten dens- Unterricht und Umweltgruppen .....24 Unterschlupf und Raum für Diskus-<br />

Ein kleiner „Mauerspecht“ bei der Arbeit. Wie das junge Mädchen sionen. 1989 sind die Friedensgebete in den Kirchen regelmäßig<br />

begannen kurz nach dem Mauerfall zahlreiche Menschen, die Ausgangspunkt der Demonstrationen, die von Mal zu Mal größere<br />

Mauer zu zerkleinern und sich als Souvenir ein Stück Geschichte<br />

zu sichern. Dimensionen annehmen.<br />

Am 18. Oktober tritt SED-Generalsekretär Erich Honecker zurück,<br />

doch die Proteste gegen das Regime gehen weiter. Die Menschen<br />

protestieren gegen staatliche Bevormundung und Bespitzelung,<br />

gegen Umweltzerstörung und sozialistische Misswirtschaft. Am 4.<br />

<strong>No</strong>vember demonstrieren<br />

Hunderttausende auf dem<br />

Berliner Alexanderplatz,<br />

drei Tage später treten die<br />

Regierung der DDR und<br />

das SED-Politbüro zurück.<br />

Am 9. <strong>No</strong>vember 1989 ist<br />

es soweit: Mit der Mauer<br />

in Berlin fällt das verhasste<br />

Friedensgottesdienst<br />

Symbol der Teilung zwischen<br />

in der Nikolaikirche in<br />

Ost- und Westdeutschland –<br />

Leipzig. Die regelmäßigen<br />

Friedensgebete<br />

und Millionen Ostdeutsche<br />

waren ab Herbst 1989<br />

nutzen in den kommen-<br />

der Ausgangspunkt für<br />

den Tagen und Wochen ihre<br />

die Montagsdemon-<br />

neue Freiheit nach 40 Jahren<br />

strationen gegen das<br />

SED-Regime.<br />

Abschottung.<br />

Zwei Grenzsoldaten<br />

stehen auf Posten und starren in<br />

Richtung Bundesrepublik.<br />

“Woran denkst du jetzt?“,<br />

unterbricht der eine das Schweigen.<br />

“Daran, woran auch du denkst.“<br />

“Dann muss ich dich jetzt<br />

verhaften!“<br />

2 Zeitbild Wissen<br />

Teil 1<br />

Inhalt<br />

Die Mauer fällt ................................................4<br />

... und ein System bricht zusammen ....5<br />

Wegbereiter der Einheit ...........................7<br />

Vollendung der Einheit ...............................9<br />

Der Neuanfang ............................................12<br />

Die wirtschaftliche Entwicklung


Die Deutsche Einheit ist in unserer Geschichte<br />

etwas Einzigartiges.<br />

Zum ersten Mal leben die Menschen in Deutschland<br />

dauerhaft in Einheit, Freiheit und<br />

freundschaftlichen Beziehungen zu allen unseren Nachbarn<br />

in Europa und vielen Partnern auf der ganzen Welt<br />

zusammen. Damit haben wir etwas Großes<br />

geschafft und geschaffen.<br />

Die Einheit ist erreicht: In der Nacht zum 3. Oktober 1990 versammeln sich Hunderttausende vor dem<br />

Reichstag in Berlin, der im Einigungsvertrag festgelegten neuen alten deutschen Hauptstadt,<br />

als kurz vor Mitternacht die schwarz-rot-goldene Fahne zum Zeichen der Einheit aufgezogen wird.<br />

Die Freiheitsglocke läutet. Um null Uhr ist die Deutsche Einheit erreicht, die Spaltung überwunden.<br />

In ganz Deutschland wird dieses Ereignis mit Straßenfesten und Feuerwerk gefeiert.<br />

Die Bilanz der Deutschen Einheit ist<br />

insgesamt positiv, auch wenn sich<br />

nicht alle Träume erfüllt haben und<br />

noch vieles zu tun bleibt. Der völlige<br />

gesellschaftliche und wirtschaftliche<br />

Umbruch hat von den Menschen im Osten eine<br />

enorme Bereitschaft zur Um- und Neuorientierung<br />

in allen Lebensbereichen verlangt. Die Menschen<br />

im Westen haben beeindruckende Solidarleistungen<br />

für den Aufbau Ost aufgebracht. Zu den<br />

Folgen zählt allerdings auch ein überdurchschnittlicher<br />

Anstieg der Staatsverschuldung. Die Modernisierung<br />

der Wirtschaft nach 40 Jahren zentraler<br />

Planwirtschaft und Abschottung vom Weltmarkt<br />

erweist sich als schwieriger und langwieriger Prozess.<br />

Doch die Menschen in den Neuen und den<br />

alten Ländern haben gemeinsam eine gewaltige<br />

Aufbauleistung vollbracht. Ohne den Mut derer,<br />

die sich 1989 gegen die SED-Diktatur aufgelehnt<br />

hatten, wäre das alles nicht möglich gewesen.<br />

Zeitbild Wissen<br />

3


DAS JAHR 1989<br />

DIE MAUER FALLT<br />

„Wenn wir zu spät kommen, bestraft uns<br />

das Leben sofort.“ Dieser Ausspruch des<br />

sowjetischen Staats- und Parteichefs Michail<br />

Gorbatschow war im Oktober 1989 in aller<br />

Munde. Binnen kurzer Zeit bewahrheitete<br />

er sich – erst an der Herrschaft der SED,<br />

schließlich an der DDR selbst und 1991 an<br />

der Sowjetunion. Während Hunderttausende<br />

aus dem Osten Deutschlands in den Westen<br />

fl üchteten, gingen daheim in der DDR Hunderttausende<br />

auf die Straße.<br />

Ein kleiner „Mauerspecht“ bei der Arbeit. Wie das junge Mädchen<br />

beginnen kurz nach dem Mauerfall zahlreiche Menschen, die<br />

Mauer zu zerkleinern und sich als Souvenir ein Stück Geschichte<br />

zu sichern.<br />

Zwei Grenzsoldaten<br />

stehen auf Posten und starren in<br />

Richtung Bundesrepublik.<br />

“Woran denkst du jetzt?“,<br />

unterbricht der eine das Schweigen.<br />

“Daran, woran auch du denkst.“<br />

“Dann muss ich dich jetzt<br />

verhaften!“<br />

4 Zeitbild Wissen<br />

Friedensgottesdienst<br />

in der Nikolaikirche<br />

in Leipzig.<br />

Die regelmäßigen<br />

Friedensgebete sind<br />

ab Herbst 1989 der<br />

Ausgangspunkt für<br />

die Montagsdemonstrationen<br />

gegen das<br />

SED-Regime.<br />

Ermutigt fühlte sich die Bürgerbewegung durch die Entwicklung<br />

in den anderen Staaten des Warschauer Pakts:<br />

durch die erste halbfreie Wahl in Polen, die Öffnung der<br />

ungarisch-österreichischen Grenze und durch die Reformpolitik<br />

Gorbatschows in der Sowjetunion.<br />

Anfangs, im September 1989, versuchten Polizei und Staatssicherheit<br />

noch, die Proteste gewaltsam zu unterbinden. Immer<br />

wieder gab es Festnahmen. Doch als am 9. Oktober 70.000<br />

Menschen – weit mehr als die Sicherheitskräfte erwartet hatten<br />

– demonstrierten, war der Bann gebrochen. Von nun an ging<br />

die Herrschaft der SED ihrem Ende entgegen. Eine wichtige<br />

Rolle spielten die Kirchen. Schon in den 70er- und frühen<br />

80er-Jahren hatten sie Friedens- und Umweltgruppen Unterschlupf<br />

und Raum für Diskussionen geboten. 1989 waren die<br />

Friedensgebete in den Kirchen regelmäßig Ausgangspunkt der<br />

Demonstrationen, die von Mal zu Mal größere Dimensionen<br />

annahmen.<br />

Am 18. Oktober trat SED-Generalsekretär Erich Honecker<br />

zurück, doch die Proteste gegen das Regime gingen weiter.<br />

Die Menschen protestierten gegen staatliche Bevormundung und<br />

Bespitzelung, gegen Umweltzerstörung<br />

und sozialistische<br />

Misswirtschaft. Am 4.<br />

<strong>No</strong>vember demonstrierten<br />

Hunderttausende auf dem<br />

Berliner Alexanderplatz, drei<br />

Tage später traten die<br />

Regierung der DDR und das<br />

SED-Politbüro zurück. Am<br />

9. <strong>No</strong>vember 1989 war es<br />

so weit: Mit der Mauer in Berlin<br />

fi el das verhasste Symbol<br />

der Teilung – und Millionen<br />

Ostdeutsche nutzten in<br />

den kommenden Tagen und<br />

Wochen ihre neue Freiheit.


Zahlen zur deutschen Teilung<br />

• Gesamtlänge der Berliner Mauer: 155 Kilometer<br />

• Länge der innerdeutschen Grenze: 1.378 Kilometer<br />

• Todesopfer an der Berliner Mauer und an der innerdeutschen Grenze: mehr als 1.000* 000*<br />

• Stasi-Unterlagen: 160 Kilometer Akten<br />

• Flucht- und Ausreisebewegung aus der SBZ/DDR in die Westzonen/Bundesrepublik k<br />

Deutschland (1945–1990): 4.617.331, davon (illegale) Flüchtlinge: 3.148.547<br />

• Zahl der MfS-Mitarbeiter 1989: 91.000 hauptamtliche Mitarbeiter, 189.000 Inoffizielle izielle Mitarbeiter<br />

(inkl. Auslandsgeheimdienst Hauptverwaltung Aufklärung)<br />

* Vorstudie von Prof. Dr. Detlef Schmiechen-Ackermann, Leibniz-Universität Hannover, Juli 2006. Über die genaue Anzahl der Todesopfer an der innerdeutschen Grenze zu den alten<br />

Bundesländern gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse.<br />

UND EIN SYSTEM<br />

BRICHT<br />

ZUSAMMEN<br />

Die wachsende politische und wirtschaftliche Unzufriedenheit<br />

führte zu einer Massenfl ucht der Menschen aus der DDR.<br />

Hunderttausende drängten unter Zurücklassung ihrer<br />

gesamten Habe über die Grenzen oder fl üchteten sich in die<br />

Botschaften der Bundesrepublik in Prag und Warschau, weil sie die<br />

frustrierenden und hoffnungslosen Zustände, die leeren Versprechen<br />

und die Reformunwilligkeit in der Heimat satt hatten. Sie verließen<br />

die DDR wegen der fehlenden Meinungs- und Reisefreiheit, wegen<br />

der Bespitzelung durch die Staatssicherheit, wegen Zensur und systematischer<br />

politischer Verfolgung und Unterdrückung. Und nicht<br />

zuletzt wandten sich die Menschen von der DDR ab, weil den<br />

Machtinhabern jede demokratische Legitimation durch freie Wahlen<br />

fehlte. Die Menschen liefen aber auch vor einem wirtschaftlichen<br />

System davon, das die Lebenschancen einschränkte und die sozialistischen<br />

Staaten des „Ostblocks“ an den Rand des Abgrundes<br />

gewirtschaftet hatte.<br />

Ostblock<br />

Als „Ostblock“ bezeichnete man nach dem Zweiten Weltkrieg die<br />

kommunistischen Staaten, die im Militärverbund des Warschauer<br />

Pakts und im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW)<br />

zusammengeschlossen waren. Dies waren in Europa neben der<br />

Sowjetunion, die das Bündnis beherrschte, die DDR, Polen, die<br />

Tschechoslo-wakei, Ungarn und Bulgarien sowie mit Einschränkungen<br />

auch Rumänien und Albanien.<br />

Ab Mitte der 80er-Jahre lockerte der neue Generalsekretär<br />

der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), Michail<br />

Gorbatschow, im Zeichen von „Glasnost“ und „Perestroika“<br />

(Transparenz und Umbau der Gesellschaft) die Zügel im Ostblock<br />

und gestattete den Verbündeten mehr Freiheiten, aber damit auch<br />

mehr Eigenverantwortlichkeit. Während Polen und Ungarn<br />

vorangingen, versuchte die Führung der DDR, jedwede freiheitliche<br />

Reformen zu verhindern. Nach dem Mauerfall beschleunigte<br />

sich die friedliche Revolution in Mittel- und Osteuropa und<br />

führte dazu, dass sich nach Polen und Ungarn und der damaligen<br />

Tschechoslowakei schließlich auch Bulgarien und Rumänien von<br />

ihren kommunistischen Diktaturen befreien konnten.<br />

Der Vielvölkerstaat der Sowjetunion (Union der Sozialistischen<br />

Sowjet-Republiken – UdSSR) hörte Ende 1991 auf zu existieren.<br />

Zuvor hatten sich bereits Litauen, Georgien, Estland und Lettland<br />

sowie Weißrussland, die Ukraine, Moldau, Kirgisien, Usbekistan,<br />

Tadschikistan, Armenien, Aserbaidschan, Turkmenistan, Kasachstan<br />

und endlich auch die eigentliche Führungsmacht der Sowjetunion,<br />

nämlich Russland, für unabhängig erklärt.<br />

1989 stand die DDR am Rande des politischen<br />

und wirtschaftlichen Bankrotts. Fehlende<br />

Freiheiten und Menschenrechtsverletzungen<br />

standen neben Versorgungsengpässen bei<br />

Gütern des täglichen Bedarfs auf der Tagesordnung.<br />

Dazu marode Städte, zerfallende<br />

Infrastruktur und eine teilweise<br />

zerstörte Umwelt.<br />

‘‘<br />

“Bürger, können Sie sich ausweisen?“,<br />

fragt der Volkspolizist.<br />

“Wieso, kann man das jetzt<br />

schon selber tun?“<br />

Bundeskanzlerin Angela Merkel:<br />

Die DDR war auf Unrecht gegründet.<br />

Es gab keine legale Opposition.<br />

Es gab keine unabhängige Justiz. Es gab<br />

keine kritischen Medien.<br />

Bevormundung, Unterdrückung von<br />

Widerspruch, Überwachung und Bespitzelung<br />

waren ständig anwesende Begleiter<br />

des täglichen Lebens. Hinter dem<br />

Schießbefehl stand nichts anderes als<br />

pure Menschenverachtung.<br />

Zeitbild Wissen<br />

5


Schon in einem frühe-<br />

6 Zeitbild Wissen<br />

ren Gutachten hatte<br />

Gerhard Schürer, der<br />

Vorsitzende der staatlichen<br />

Plankommission der DDR,<br />

darauf hingewiesen, dass die<br />

DDR auf dem Weg in eine<br />

kritische wirtschaftliche Si-<br />

tuation sei. Einschneidende<br />

Maßnahmen seien erforder-<br />

lich, vor allem radikale Schnitte bei den bisherigen staatlichen<br />

Preisstützungen für Sozialleistungen. In erster Linie davon be-<br />

troffen waren die Miet- und Energiepreise sowie Ausgaben<br />

für Bildung, Gesundheit, Kultur, Sport und Erholung. Honecker<br />

reagierte so, wie er bis zum Ende der DDR anderthalb Jahre<br />

später stets reagieren sollte: Er weigerte sich, die Tatsachen<br />

zur Kenntnis zu nehmen. Doch wenige Tage nach Honeckers<br />

Rücktritt von allen Ämtern wurden seine Erben von der Wahr-<br />

1:<br />

Die sieben Wunder der DDR<br />

Wunder IN DER DDR GIBT ES KEINE ARBEITSLOSIGKEIT.<br />

2:<br />

Wunder OBWOHL KEINER ARBEITSLOS IST, ARBEITET NUR DIE HÄLFTE.<br />

3:<br />

Wunder OBWOHL NUR DIE HÄLFTE ARBEITET, WIRD DAS PLAN-SOLL IMMER ERFÜLLT.<br />

4:<br />

DER<br />

OFFEN-<br />

BARUNGSEID<br />

WAR<br />

UNVERMEIDLICH<br />

heit eingeholt. Als am 1. <strong>No</strong>-<br />

vember 1989 der kurzzeitige<br />

Honecker-Nachfolger Egon<br />

Krenz zu seinem Antritts-<br />

besuch nach Moskau reiste,<br />

hatte er niederschmetternde<br />

Erkenntnisse im Gepäck. Im<br />

Gespräch mit Gorbatschow<br />

legte er dar, wie es wirk-<br />

lich um die DDR stand: Das<br />

Wachstum sei rückläufig, der Fünf-Jahres-Plan unerfüllbar.<br />

Würde die Wahrheit ans Licht kommen, würde dies einen<br />

Schock auslösen; denn ohne neue Großkredite aus dem Wes-<br />

ten sei eine Senkung des Lebensniveaus in der DDR um 25 bis<br />

30 Prozent zu erwarten. Da die kompletten Exporterlöse der<br />

DDR nicht einmal mehr für den Schuldendienst im<br />

Westen reichten, war der staatliche Offenbarungseid<br />

unvermeidlich.<br />

Wunder OBWOHL DAS PLAN-SOLL IMMER ERFÜLLT WIRD, GIBT ES NICHTS ZU KAUFEN.<br />

5:<br />

Wunder OBWOHL ES NICHTS ZU KAUFEN GIBT, SIND ALLE GLÜCKLICH UND ZUFRIEDEN.<br />

6:<br />

Wunder OBWOHL ALLE ZUFRIEDEN SIND, GIBT ES REGELMÄSSIG DEMONSTRATIONEN.<br />

7:<br />

Wunder OBWOHL REGELMÄSSIG DEMONSTRIERT WIRD, WÄHLEN 99,9 PROZENT UNSERE<br />

KANDIDATEN DER NATIONALEN FRONT.


WEGBEREITER DER EINHEIT<br />

Bundeskanzler Helmut<br />

Kohl präsentierte bereits<br />

zweieinhalb Wochen<br />

nach dem Fall der Mauer<br />

sein „Zehn-Punkte-Programm“<br />

zur Überwindung<br />

der Teilung Deutschlands<br />

und Europas, das frühzeitig<br />

einen Weg zur Wiederherstellung<br />

der Deutschen<br />

Einheit skizzierte. Durch<br />

eine kluge Politik, mit der<br />

er sich die Unterstützung<br />

der westlichen Verbündeten<br />

sicherte und die<br />

Kooperation der Sowjetunion<br />

erreichte, wurde<br />

Kohl zum „Kanzler<br />

der Einheit“.<br />

Die Menschen wollen die rasche Einheit<br />

Schon im <strong>No</strong>vember 1989 war aus der Parole „Wir sind<br />

das Volk“ der Ruf „Wir sind ein Volk“ geworden. Nicht im<br />

Westen, sondern im Osten wurde zuerst deutlich und unüberhörbar<br />

der Ruf nach der Wiedervereinigung laut.<br />

Am 18. März 1990 fanden die ersten freien Wahlen in der<br />

Geschichte der DDR seit ihrer Gründung im Jahr 1949 statt. Bei<br />

einer Wahlbeteiligung von mehr als 93 Prozent brachten sie jenen<br />

Parteien eine klare Mehrheit, die für eine rasche Wiedervereinigung<br />

mit dem Westen Deutschlands eingetreten waren. Bereits<br />

am 1. März hatte die aus dem Demokratischen Aufbruch (DA),<br />

der Deutschen Sozialen Union (DSU) und der CDU gebildete<br />

Allianz erklärt, sie wolle die Einheit durch Beitritt zur Bundesrepublik<br />

Deutschland. Die „Allianz für Deutschland“ gewann die Wahl<br />

überraschend klar. Die CDU, mit 40 Prozent der Wählerstimmen<br />

stärkste Partei, stellte mit Lothar de Maizière den Ministerpräsidenten<br />

einer Koalition aus Allianz für Deutschland, SPD und Liberalen.<br />

Auch aus den Kommunalwahlen (6. Mai 1990) ging die CDU<br />

als stärkste Partei hervor. Das Plebiszit für die Deutsche Einheit<br />

ebnete den Weg zur raschen Wiedervereinigung. Tatsächlich war<br />

diese erste freie Volkskammerwahl zugleich auch die letzte, denn<br />

die DDR würde es schon in naher Zukunft nicht mehr geben.<br />

Mehr als 100.000 Menschen jubeln Bundeskanzler Helmut Kohl (Mitte) im Februar 1990 bei<br />

einer Wahlkampfveranstaltung der „Allianz für Deutschland“ in Erfurt zu.<br />

10 Punkte-<br />

Programm<br />

Das Zehn-Punkte-Programm sah einen<br />

schrittweisen Prozess der Deutschen Einheit<br />

vor. Er sollte mit humanitären Sofortmaßnahmen<br />

beginnen und über die Zwischenstufen<br />

einer „Vertragsgemeinschaft“<br />

und „konföderativer Strukturen“ zur<br />

Wiedervereinigung Deutschlands führen.<br />

Der Prozess sollte in die gesamteuropäische<br />

Entwicklung eingebettet sein. Der Zeitplan<br />

wurde bewusst offengelassen, um die notwendige<br />

Flexibilität zu behalten. Bundeskanzler<br />

Kohl rechnete aber mit einer Dauer<br />

des Prozesses von vier bis fünf Jahren.<br />

Die Bedeutung von Kohls Zehn-Punkte-<br />

Programm lag darin, dass es der politischen<br />

Diskussion in Deutschland, in Europa und<br />

zwischen den beiden damaligen Weltmächten<br />

USA und Sowjetunion schon zu einem frühen<br />

Zeitpunkt eine Richtung und ein klares<br />

Ziel vorgab; denn Kohl sprach öffentlich aus,<br />

was in diesem Moment die meisten Menschen<br />

im Westen kaum zu denken wagten.<br />

Zeitbild Wissen<br />

7


Währungs-,<br />

Wirtschaftsund<br />

Sozialunion<br />

8 Zeitbild Wissen<br />

Bereits am 7. Februar 1990 hatte die Bundesregierung der DDR<br />

eine Währungs- und Wirtschaftsunion in Aussicht gestellt. Auch<br />

wenn sie ökonomische Risiken barg, ließ der fortschreitende DDR-<br />

Zusammenbruch ein Hinauszögern dieser Entscheidung kaum zu.<br />

In den folgenden Wochen fanden Vorgespräche zwischen den innerdeutschen<br />

Kommissionen statt. Die eigentlichen Verhandlungen begannen aber erst<br />

nach Bildung der demokratisch legitimierten DDR-Regierung. Wichtige Verhandlungsthemen<br />

waren der künftige Umtauschkurs, Eigentumsfragen, das<br />

System der sozialen Sicherung und die Privatisierung der ostdeutschen<br />

Betriebe. Besonderen Wert legte die ostdeutsche Seite auf die Gleichrangigkeit<br />

von Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, die Anschubfi nanzierungen<br />

im Sozialbereich in Milliardenhöhe einschloss.<br />

Kontrovers war vor allem die Frage nach dem Kurs, zu dem die Mark der<br />

DDR in DM umgetauscht werden sollte. Die Bundesbank, die eine allgemeine<br />

Erschütterung der fi nanziellen und wirtschaftlichen Stabilität befürchtete,<br />

warnte vor den Folgen einer allzu hohen Bewertung der ostdeutschen<br />

Währung und lehnte zunächst einen Umtauschkurs von 1:1 zugunsten eines<br />

Umtausches von 2 :1 ab. Schließlich einigte man sich auf die Umstellung 1:1<br />

für alle laufenden Zahlungen und nach Alter gestaffelten Sparbeträgen bis<br />

zu 6.000 Mark. Darüber hinausgehende Beträge wurden 2 :1 umgestellt. Insgesamt<br />

ergab sich damit ein Kurs von 1,8 : 1.<br />

Einführung der Sozialen Marktwirtschaft<br />

Mit dem Inkrafttreten der Währungs-,<br />

Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990<br />

wurde die DDR-Währung auf DM umgestellt. Die<br />

DDR verlor ihre Souveränität in Finanzangelegen-<br />

heiten und übertrug die geldpolitische Verant-<br />

wortung der Bundesbank in Frankfurt am Main.<br />

Weiteres Kernstück des Vertrags war die Einfüh-<br />

rung der Sozialen Marktwirtschaft in der DDR. Die<br />

DDR verpfl ichtete sich, die Rahmenbedingungen<br />

für freie Preisbildung, die Abschaffung der staat-<br />

lichen Monopole, Entfaltung der Marktkräfte und<br />

der Privatinitiative und die Einführung der west-<br />

lichen Umweltschutz-Anforderungen zu schaffen.<br />

Arbeitsrechtsordnung und Sozialversicherungs-<br />

systeme der Bundesrepublik<br />

Deutschland wurden übernom-<br />

men. Laut Vertrag erklärte sich<br />

die Bundesrepublik bereit, der<br />

DDR zweckgebundene Finanz-<br />

zuweisungen zum Haushaltsaus-<br />

gleich für das zweite Halbjahr<br />

1990 in Höhe von 22 Milliarden<br />

D-Mark und für 1991 in Höhe<br />

von 35 Milliarden D-Mark<br />

zu gewähren.


VOLLENDUNG<br />

DER EINHEIT<br />

Während des Vereinigungsprozesses<br />

arbeiteten die Politiker und Parlamente auf<br />

beiden Seiten der noch bestehenden<br />

innerdeutschen Grenze aufs Engste zusammen.<br />

In einem politischen Kraftakt ohnegleichen<br />

wurden die Rechtsgrundlagen für die<br />

Vereinigung der beiden Staaten geschaffen.<br />

Die erste frei gewählte Volkskammer<br />

der DDR bewältigte in kurzer Zeit ein<br />

riesiges Arbeitspensum: Sie verabschiedete<br />

einschneidende Verfassungsänderungen und<br />

beschloss die Wiedereinführung der 1952<br />

von der SED abgeschafften Länder.<br />

Am 23. August 1990 beschloss die Volkskammer in einer<br />

nächtlichen Sondersitzung den Beitritt der DDR zur<br />

Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 23 des<br />

Grundgesetzes mit Wirkung zum 3. Oktober 1990.<br />

Während die Menschen in Ost und West im Alltag bereits<br />

die Vereinigung praktizierten, wurden mit dem am 31. August<br />

unterzeichneten Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik<br />

Deutschland und der DDR die entscheidenden rechtlichen<br />

Rahmenbedingungen festgelegt. Am 20. September wurde der<br />

Einigungsvertrag von beiden Parlamenten mit Zweidrittelmehrheit<br />

verabschiedet. Vier Tage später verließ die DDR den Warschauer<br />

Pakt. Am 2. Oktober löste sich die Volkskammer auf.<br />

Parallel waren die letzten außenpolitischen Hindernisse aus<br />

dem Weg geräumt worden. Eine von Bundestag und Volks-<br />

‘‘<br />

Helmut Kohl über ein Gespräch<br />

mit Michail Gorbatschow im Juni 1989:<br />

Wir saßen auf der Mauer unten am Rhein.<br />

Es war Mitternacht, eine wunderbare Sommernacht. Unten gingen die Bonner Liebespaare vorbei;<br />

sie haben ziemlich entgeistert festgestellt, wer da auf der Mauer sitzt und sind dann<br />

weitergeschlendert. (...) Ich zeigte auf den Rhein und sagte:<br />

,Der Rhein fl ießt ins Meer. Sie können ihn stauen, doch dann tritt<br />

das Wasser über die Ufer und zerstört sie. Aber es gelangt schließlich doch ins<br />

Meer. So sicher, wie der Rhein ins Meer gelangt, so sicher kommt<br />

die Deutsche Einheit – und übrigens auch die Europäische.<br />

Quelle: „Welt am Sonntag“ vom 27.09.1992<br />

Von Berlin aus reisen am 1. September 1994 die letzten russischen Soldaten<br />

zurück nach Moskau. Dazu hat sich die Sowjetunion im Zwei-plus-Vier-<br />

Vertrag verpfl ichtet. Mit dem Truppenabzug endet nach fast 50 Jahren die<br />

sowjetische bzw. russische Militärpräsenz in Deutschland.<br />

kammer verabschiedete Entschließung zur Anerkennung der<br />

Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze sowie mehrtägige<br />

Verhandlungen zwischen Bundeskanzler Kohl und dem sowjetischen<br />

Staatschef Gorbatschow Mitte Juli 1990 brachten den<br />

endgültigen Durchbruch. Die Sowjetunion stimmte einer Mitgliedschaft<br />

des wiedervereinigten Deutschlands in der NATO<br />

zu und gab grünes Licht für den Abzug ihrer Truppen aus<br />

dem Gebiet der DDR. Am 12. September 1990 wurde in<br />

Moskau das Abschlussdokument der Zwei-plus-Vier-Gespräche<br />

unterzeichnet.<br />

Seit dem 3. Oktober 1990 sind Brandenburg, Mecklenburg-<br />

Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Länder<br />

der Bundesrepublik Deutschland. Deutschland ist wieder ein<br />

vereintes und souveränes Land.<br />

Zeitbild Wissen<br />

9


10 Zeitbild Wissen<br />

Die Zwei-plus-Vier-Gespräche zwischen der DDR und der Bundesrepublik<br />

Deutschland sowie den Vier Mächten – den USA, der Sowjetunion,<br />

Großbritannien und Frankreich – begannen im Mai 1990 und endeten mit<br />

dem Zwei-plus-Vier-Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf<br />

Deutschland im September 1990. Er regelte die außenpolitischen<br />

Grundsatzfragen der deutschen Vereinigung und entsprach faktisch einer<br />

abschließenden friedensvertraglichen Regelung zwischen Deutschland und<br />

den früheren Kriegsalliierten. Der Vertrag beendete die<br />

Vier-Mächte-Verantwortung in Bezug auf Berlin und Deutschland auf dem<br />

Territorium der alten Bundesrepublik, der DDR und Berlins; Deutschland<br />

erlangte die volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten.<br />

Zugleich bestätigte Deutschland seinen Verzicht auf atomare,<br />

chemische und biologische Waffen und reduzierte die Bundeswehr<br />

von 500.000 auf 370.000 Mann.<br />

Die Rolle<br />

der<br />

Vier Mächte<br />

Zwei-plus-Vier<br />

Unmittelbar nach dem Fall der Mauer hatten die Vier<br />

Mächte ihre gemeinsame Verantwortung gegenüber<br />

Deutschland betont. Die Reaktionen auf die sich abzeichnende<br />

Wiedervereinigung 1989/90 fi elen in Paris, London, Moskau<br />

und Washington allerdings unterschiedlich aus. Wegen Bedenken<br />

vor einem politisch und wirtschaftlich zu starken Deutschland im<br />

Zentrum Europas akzeptierten Frankreich und vor allem Großbritannien<br />

nur zögernd die Vereinigung der beiden deutschen<br />

Staaten. Die Sowjetunion lehnte ursprünglich eine Vereinigung<br />

kategorisch ab, bis im Februar 1990 der sowjetische Staats- und<br />

Parteichef Michail Gorbatschow zum ersten Mal sein grundsätzliches<br />

Einverständnis zur Deutschen Einheit signalisierte und<br />

wenige Monate später auch endgültig einer gesamtdeutschen<br />

NATO-Mitgliedschaft zustimmte.<br />

Die Regierung in Washington sprach sich von Anfang an uneingeschränkt<br />

für die Deutsche Einheit aus. Freiheit und Selbstbestimmung<br />

für alle Deutschen – das war das tragende Motiv von US-<br />

Präsident George Bush sen., als er Helmut Kohl bei der deutschen<br />

Wiedervereinigung 1989/90 entscheidend den Rücken stärkte.<br />

So wie die großzügige Aufbauhilfe in der Nachkriegszeit den<br />

wirtschaftlichen, politischen und moralischen Wiederaufstieg im<br />

Westen Deutschlands und den Aufbau einer stabilen Demokratie<br />

überhaupt erst möglich gemacht hatte, so war auch die Rolle der<br />

USA beim Prozess der Wiedervereinigung von unschätzbarem<br />

Wert. Auf diese Weise haben die Vereinigten Staaten von Amerika<br />

in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend<br />

zum glücklichen Verlauf der deutschen Geschichte beigetragen.<br />

US-Präsident George Bush (links)<br />

und der sowjetische Staatschef<br />

Michail Gorbatschow bei einem<br />

Gipfeltreffen vor der Mittelmeerinsel<br />

Malta. Am Ende des<br />

Treffens verkündet Gorbatschow<br />

das Ende des Kalten Krieges<br />

(Dezember 1989).


Die Erblast der SED<br />

Die völlige Umwandlung der zentral gelenkten sozialistischen Kommandowirtschaft der DDR war von<br />

Beginn an ein beispielloses Unterfangen. Praktisch eine komplette Volkswirtschaft musste<br />

den Sprung vom „VOLKSEIGENTUM” – also Staatseigentum – in die Soziale Marktwirtschaft und in<br />

den internationalen Wettbewerb schaffen. Unter der SED war der Staat Arbeitgeber, Versicherer, Steuer -<br />

behörde und Sozialinstitution – ein allgegenwärtiges Betreuungs- und zugleich Überwachungsinstrument. Die<br />

Wirtschaft wurde zentral von oben geplant und gelenkt. Der Absatz der Betriebe war garantiert, ein Qualitäts-<br />

wettbewerb fand nicht statt. Menschliche Arbeit war billig, die verdeckte Arbeitslosigkeit hoch. Technisch hoch-<br />

wertige Maschinen wurden wegen chronischer Devisenknappheit nur im <strong>No</strong>tfall gekauft. Die Folgen: schlechte<br />

Produktivität und kaum Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten.<br />

Die Einführung der D-Mark in der damaligen DDR am 1. Juli 1990<br />

durch die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion deckte den maroden Zustand der DDR-Wirtschaft auf.<br />

Es zeigte sich, dass der Standard und die Leistungsfähigkeit der DDR-INDUSTRIE WEIT<br />

ÜBERSCHÄTZT worden waren. Ausgerichtet auf die Erfordernisse und Direktiven des RGW-Binnen-<br />

marktes, abgeschottet vom Weltmarkt mit seinem Know-how, seiner Konkurrenz, seinen Anreizen zur<br />

Innovation, war die DDR-Wirtschaft, ebenso wie die der anderen sozialistischen Staaten, weit hinter<br />

der internationalen Entwicklung zurückgeblieben. 1990/91 fi el der frühere Handel im geschlossenen<br />

Schutzraum des RGW und mit der Sowjetunion weg, und mit der Weltmarktkonkurrenz<br />

konnten die meisten DDR-Produkte nicht mithalten. Gleichzeitig bedeuteten die nunmehr in DM zu<br />

zahlenden Löhne und Gehälter, die überdies schnell stiegen, für die Betriebe<br />

eine Kostenbelastung, der meist keine entsprechende Leistungskraft gegenüberstand.<br />

Die Folgen waren ein massiver Rückgang der industriellen Produktion und ein schneller ANSTIEG DER<br />

ARBEITSLOSIGKEIT. Auf dem Gipfelpunkt 1992 war nahezu ein Drittel der Erwerbsfähigen in den<br />

Neuen Ländern entweder arbeitslos (rd. 15 Prozent) oder in einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme.<br />

Dies alles waren Folgewirkungen von vierzig Jahren verfehlter<br />

Politik, wie sie so oder noch krasser seit 1990 überall in den ehemaligen Staaten des RGW zu ver-<br />

zeichnen waren. Die Menschen in der DDR waren nicht weniger tüchtig als ihre Landsleute im Westen. Aber<br />

die systembedingten Fehler der ZENTRALVERWALTUNGSWIRTSCHAFT – das Fehlen marktgebildeter<br />

Preise als Knappheitsanzeiger, die Fehlsteuerung von Ressourcen, der im Planungsverfahren implizierte Anreiz<br />

zur Aufstellung „weicher Pläne“, das Fehlen von Wettbewerbsdruck und Innovationsanreizen u. a. – und dazu<br />

noch der Mangel an Investitionen machten viele ihrer Bemühungen zunichte und führten dazu, dass die DDR<br />

an ihrem Ende auch wirtschaftlich vor dem Kollaps stand.<br />

Im Mittelpunkt des Aufbaus Ost standen daher seit 1990 die Modernisierung und der<br />

Neuaufbau einer konkurrenzfähigen Industrie. Hierzu war es nötig, die Rahmenbedingungen zu verbessern<br />

– funktionierende Verwaltung, leistungsfähige Infrastruktur – und Investitionen und Neugründungen zu fördern.<br />

Was würde<br />

passieren,<br />

wenn die Wüste<br />

-kommunistisch wäre?<br />

Eine Zeitlang gar nichts<br />

und dann würde der<br />

Sand knapp<br />

werden.<br />

Zeitbild Wissen<br />

11


Seit 1990<br />

stand der wirtschaftliche,<br />

soziale und ökologische Wie-<br />

deraufbau in den fünf Neuen Bundesländern<br />

im Zentrum der deutschen Politik. Von Beginn an sollten<br />

möglichst schnell die Voraussetzungen für eine sich mittelfristig selbsttragende,<br />

dynamische Wirtschaftsentwicklung geschaffen werden. Der erste Schritt<br />

dazu war der am 1. Juli 1990 in Kraft getretene Vertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und<br />

Sozialunion. Mit der Einführung der D-Mark und der Sozialen Marktwirtschaft wurden bereits drei Monate<br />

vor der staatlichen Vereinigung wesentliche Bereiche einander angeglichen.<br />

Um die Finanzausstattung der künftigen Neuen Länder und ihrer Kommunen sicherzustellen, wurde schon im Mai<br />

1990 der „Fonds Deutsche Einheit“ eingerichtet und bis Ende 1994 mit insgesamt 160,7 Milliarden DM ausgestattet.<br />

DER<br />

NEUANFANG<br />

12 Zeitbild Wissen


Die Schlüsselfunktion bei der Umstrukturierung der ostdeutschen Wirtschaft kam zunächst der<br />

Treuhandanstalt zu. Dieser noch zu DDR-Zeiten gegründeten gigantischen Staatsholding „gehörte“<br />

zunächst fast alles – logische Folge der „volkseigenen“ Konstruktion während der vier Jahrzehnte<br />

SED-Herrschaft. Der Wert der DDR-Wirtschaft wurde jedoch von Anfang an weit überschätzt. <strong>No</strong>ch<br />

im Mai 1990 erwartete man einen Erlös von mehr als 600 Milliarden DM. Tatsächlich<br />

beendete die Treuhand ihre Arbeit mit einem Minus von rund 200 Milliarden DM.<br />

Über 6.500 Unternehmen wurden insgesamt bis zur Aufl ösung der Treuhand (Ende 1994)<br />

privatisiert, knapp 1.600 reprivatisiert und über 3.700 mussten geschlossen werden.<br />

Für den Erhalt von über 1,5 Millionen Arbeitsplätzen musste die Treuhand im Schnitt jeweils<br />

100.000 DM aufwenden; der Erhalt eines einzigen Arbeitsplatzes auf einer ostdeutschen<br />

Werft kostete durchschnittlich sogar ein Vielfaches. Von den über 200 Milliarden DM Gesamtverbindlichkeiten<br />

der Treuhand zum 31. Dezember 1994 entfi elen allein etwa 135<br />

Milliarden DM auf die Sanierung, Privatisierung und Stilllegung ostdeutscher Betriebe.<br />

Trotz Kritik an ihrer Arbeit ist es der Treuhand insgesamt gelungen, die Grundlagen einer konkurrenz-<br />

fähigen und zukunftsorientierten Industriestruktur in den Neuen Ländern zu schaffen.<br />

Gemeinschaftswerk<br />

„Aufschwung Ost“<br />

Als wichtige Aufgabe in der Zeit nach 1990 galt es, die<br />

notwendigen einschneidenden Maßnahmen für die<br />

Menschen in den Neuen Ländern erträglich zu gestalten.<br />

Diese Zielsetzung mündete in das umfassende Aufbauprogramm<br />

„Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost”, dessen tragende Elemente<br />

sich in den folgenden Jahren bewährten. Wirtschaftsförderung und<br />

Infrastrukturerrichtung waren dabei von zentraler Bedeutung.<br />

In den Jahren 1991 und 1992 wurden insgesamt 24,4 Milliarden<br />

DM eingesetzt, die zum einen schnellen Anschub- und Übergangsfi<br />

nanzierungen dienten – unter anderem<br />

für verbesserte Absatzbedingungen<br />

für ostdeutsche Produkte und für<br />

den Einsatz eines arbeitsmarktpolitischen<br />

Instrumentariums<br />

zur sozialen Abfederung des unvermeidlichen<br />

Strukturumbruchs.<br />

Zum anderen führten sie zu einer<br />

raschen Verbesserung der konkreten<br />

Lebensverhältnisse in den<br />

Bereichen Verkehr, Wohnungs-<br />

und Städtebau, Infrastruktur,<br />

Umweltschutz sowie im Hochschulbereich.<br />

Die Treuhand<br />

Wann erreicht der Trabbi<br />

seine Höchstgeschwindigkeit? Wenn er<br />

abgeschleppt wird!<br />

Mit dem letzten<br />

„Trabbi“<br />

in eine neue Zeit<br />

Auf ihn mussten viele<br />

DDR-Bürger über zehn Jahre<br />

warten. Geliebt und gehasst<br />

zugleich, begleitete der Trabbi<br />

das Leben in der DDR seit Ende<br />

der 50er-Jahre wie kaum ein<br />

anderes Produkt. Ursprünglich<br />

als ostdeutscher „Volks“-<br />

Wagen gefeiert, verwandelte<br />

sich der Zweitakter aufgrund<br />

mangelnder Innovationen bald<br />

in ein Sinnbild für die stagnierende<br />

DDR-Wirtschaft. Am<br />

30. April 1991 rollte der letzte<br />

von insgesamt rund 3,1 Millionen<br />

Trabbis vom Band – das defi nitive<br />

Ende einer Epoche.<br />

Zeitbild Wissen<br />

13


SOLIDARPAKT 1<br />

SOLIDARPAKT II<br />

Der Leipziger Hauptbahnhof im Jahr 1990<br />

14 Zeitbild Wissen<br />

Der Leipziger<br />

Hauptbahnhof<br />

nach der Sanierung<br />

im Jahr 1998<br />

WOHNEN: SANIERUNG DER BAUSUBSTANZ<br />

UND DER INNENSTÄDTE<br />

Mit dem Solidarpakt kam es drei Jahre nach der Wiedervereinigung<br />

zu einer Neuordnung des bundesstaatlichen<br />

Finanzausgleichs, die 1995 in Kraft trat. Danach wurden<br />

die ostdeutschen Länder in den Länderfi nanzausgleich einbezogen<br />

und erhielten Transferleistungen in Höhe von insgesamt 105 Milliarden<br />

Euro sowie zusätzliche überproportionale Fördermittel.<br />

Zur Teilfi nanzierung der hohen Leistungen des Bundes wurde ab<br />

1995 ein Solidaritätszuschlag von 7,5 Prozent auf die Einkommen-<br />

und Körperschaftsteuer eingeführt. Der Zuschlagsatz konnte ab<br />

1998 auf nunmehr 5,5 Prozent gesenkt werden.<br />

Der Solidarpakt II gilt seit dem 1. Januar 2005. Er löste<br />

den von 1995 bis 2004 geltenden Solidarpakt I ab. Bis<br />

zum Jahr 2019 stehen insgesamt 156 Milliarden Euro<br />

im Solidarpakt II bereit.<br />

Mit dem Solidarpakt II verbindet sich die Erwartung, dass die ostdeutschen<br />

Länder in den nächsten Jahren zunehmend auf eigenen<br />

Füßen stehen können und ab 2020 keinen teilungsbedingten<br />

Nachholbedarf mehr geltend machen müssen. Im Zentrum der<br />

Anstrengungen stehen<br />

• die gezielte Förderung der Wirtschaft (Investitionszulage,<br />

Investorenwerbung),<br />

• Bildung, Innovation, Forschung und Entwicklung,<br />

• Verkehr (Verkehrsprojekte Deutsche Einheit),<br />

• Wohnungs- und Städtebau<br />

(Städtebauförderung, Soziale Wohnraumförderung) und<br />

• die weitere Beseitigung ökologischer Altlasten<br />

(Standortsanierung).<br />

Viele historische Stadtkerne im Osten Deutschlands waren 1990 dem Verfall preisgegeben. Der größte Teil<br />

der Bauten stammte aus der Zeit vor 1945; Wohnungen mit Ofenheizung waren die Regel. Im Neubaubereich<br />

herrschten mangelhafte Billigprodukte vor. Inzwischen sind Millionen Wohnungen saniert und modernisiert<br />

worden. Massive steuerliche Anreize auf der einen und besondere Wohngeldregelungen auf der anderen<br />

Seite haben es ermöglicht, verfallende Häuser und Wohnungen instand zu setzen und zugleich die Mieten<br />

bezahlbar zu halten. Zahlreiche historische Innenstädte wurden restauriert und erstrahlen in neuem Glanz.<br />

Das Wohnen hat in Ostdeutschland eine völlig andere Qualität gewonnen.


SANIERUNG UND AUSBAU DER INFRASTRUKTUR<br />

1990 waren die Fernstraßen in Ostdeutschland sowie der Gleiskörper der Deutschen Reichsbahn stark sanierungsbedürftig.<br />

Völlig überaltert war auch das Wasserstraßensystem. Zwischen 1991 und 2009 wurden in die Schienenwege<br />

sowie die Bundesfern- und Bundeswasserstraßen der Neuen Bundesländer rund 75 Milliarden Euro investiert.<br />

Knapp 200.000 Kilometer Straßen wurden und werden im Rahmen der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit fertig<br />

gestellt. Alle wichtigen Wirtschaftszentren wurden mit leistungsfähigen Strecken verbunden und die Neuen Bundesländer<br />

konnten in relativ kurzer Zeit in den Eurocity-, Intercity- und Interregioverkehr einbezogen werden.<br />

Das war auch deshalb sehr wichtig, weil mit der Erweiterung der EU die bisherigen <strong>No</strong>rd-Süd-Verkehrsströme<br />

durch neue Verkehrsbeziehungen in Ost-West-Richtung überlagert wurden. So sind auch die Neuen Länder zu<br />

einer Drehscheibe des internationalen Handels und Verkehrs geworden.<br />

Gleichzeitig fand eine Revolution auf dem Feld der Telekommunikation statt. Die Telefonleitungen und<br />

-anschlüsse waren 1990 häufi g nur wenig über Vorkriegsstandard – in der gesamten DDR gab es nur 1,8 Millionen<br />

Telefonanschlüsse und 22.000 Münztelefone. Dank hoher Investitionen ist hier in wenigen Jahren eines<br />

der modernsten Telekommunikationsnetze der Welt entstanden.<br />

Ostdeutschland ist von der weltweiten<br />

Wirtschafts- und Finanzkrise nicht so stark<br />

betroffen wie Westdeutschland, da die vielen<br />

kleinen und mittleren Unternehmen auf<br />

veränderte Rahmenbedingungen flexibler<br />

reagieren können und ihre Abhängigkeit vom<br />

Export geringer ist.<br />

Dennoch haben die von der Bundesregierung<br />

beschlossenen beiden Konjunkturpakete in Höhe<br />

von insgesamt 80 Milliarden Euro auch im Osten<br />

Deutschlands mit dazu beigetragen, die Konjunktur<br />

zu stabilisieren und die Auswirkungen<br />

der weltweiten Krise abzufedern. Ganz besonders<br />

profi tieren die ostdeutschen Bundesländer<br />

von Zukunftsinvestitionen der Kommunen und<br />

Länder in die Bildung und in die Infrastruktur<br />

sowie von der verstärkten Förderung der Investitionen<br />

und der regionalen Wirtschaftsstruktur.<br />

HILFEN AUS BRÜSSEL FÜR DIE NEUEN BUNDESLÄNDER<br />

Aus den EU-Strukturfonds erhalten die Neuen Länder von 2007 bis<br />

2013 rund 15,1 Milliarden Euro an Fördergeldern. Dazu kommen<br />

weitere Mittel für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in Höhe<br />

von 1,5 Milliarden Euro sowie 1,3 Milliarden Euro für wichtige arbeitsmarktpolitische<br />

und Ausbildungsmaßnahmen.<br />

Darüber hinaus erhalten die Neuen Länder für ihre ländliche Entwicklung<br />

Mittel in Höhe von 4,7 Milliarden Euro im Rahmen der<br />

Gemeinsamen Agrarpolitik der EU.<br />

Der rekultivierte Silbersee im Jahr 1998<br />

DIE KONJUNKTURPAKETE I UND II<br />

Einleitung von<br />

Abwässern am<br />

Ufer des Silbersees<br />

Anfang der<br />

Neunzigerjahre<br />

Zeitbild Wissen<br />

15


DIE WIRTSCHAFTLICHE ENT<br />

Mit der Wiedervereinigung begann ein mühsamer wirtschaftlicher Aufholprozess. Trotzdem<br />

haben die Deutschen gemeinsam viel geschaffen in den letzten 20 Jahren.<br />

Investitionen in Verkehr und Telekommunikation, Infrastruktur und Arbeitsmarkt, Verwaltung und<br />

Justiz, Landwirtschaft und Gesundheitswesen, Bildung, Forschung und Technologie, Wohnungsbau<br />

und Kultur haben die ostdeutschen Bundesländer von Grund auf verändert und modernisiert.<br />

Besonders hervorzuheben sind auch die Leistungen für die ostdeutschen Rentnerinnen und<br />

Rentner sowie die umfassenden Anstrengungen zur Aufarbeitung der verheerenden<br />

ökologischen Altlasten.<br />

Drei Phasen lassen<br />

sich im Rückblick unterscheiden:<br />

1 Phase 1991 bis 1996<br />

Die ersten Jahre nach der Wiedervereinigung brachten ein starkes<br />

Wirtschaftswachstum in den Neuen Ländern. Das Bruttoinlandsprodukt<br />

(BIP) je Einwohner stieg von 42,8 Prozent im Jahr 1991<br />

(Neue Länder ohne Berlin: 33,5 Prozent) auf 68,3 Prozent des<br />

westdeutschen Niveaus im Jahr 1996. Mit Hilfe großer Finanztransfers<br />

wurden die marode Infrastruktur erneuert und zahlreiche<br />

dringend renovierungsbedürftige Bauten instand gesetzt. Das<br />

führte zu einem Boom im ostdeutschen Baugewerbe und in den<br />

damit verbundenen Industrie- und Dienstleistungsbereichen.<br />

16 Zeitbild Wissen<br />

2 Phase 1997<br />

bis 2000<br />

Das Auslaufen des Baubooms brachte den Aufholprozess vorübergehend<br />

fast zum Erliegen. Die auf die Einwohnerzahl<br />

bezogene Wirtschaftsleistung ging im Vergleich zu Westdeutschland<br />

sogar wieder leicht zurück, auf 67,2 Prozent des westdeutschen<br />

Niveaus im Jahr 2000.<br />

3 Phase 2001<br />

bis heute<br />

Der wirtschaftliche Aufholprozess ist wieder in Gang gekommen, wenn<br />

auch mit geringerem Tempo als zu Beginn der 90er-Jahre. Das BIP je<br />

Einwohner ist in diesem Zeitraum auf 73 Prozent des westdeutschen<br />

Durchschnittsniveaus gestiegen. Gleichzeitig haben sich die Produktivität<br />

(von 75 Prozent des westdeutschen Niveaus im Jahr 2000 auf<br />

81 Prozent im Jahr 2009) und die Selbstständigenquote (von 84 Prozent<br />

des westdeutschen Niveaus im Jahr 2000 auf 106 Prozent im Jahr<br />

2009) signifi kant erhöht. Besonders das verarbeitende Gewerbe ist in<br />

den letzten Jahren dynamisch gewachsen, seit dem Jahr 2000 um fast<br />

55 Prozent. Es kommt jetzt darauf an, die noch bestehende Differenz<br />

in der Wirtschaftskraft weiter abzubauen.<br />

90 %<br />

80 %<br />

70 %<br />

60 %<br />

50 %<br />

40 %<br />

44,5<br />

BIP<br />

67,1<br />

Bruttoinlandsprodukt pro Erwerbstätiger<br />

West = 100 %<br />

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008<br />

Quelle: Arbeitskreis VGR der Länder<br />

Seit 1991 ist das<br />

Bruttoinlandsprodukt<br />

(BIP) je Erwerbstätiger<br />

in Ostdeutschland auf<br />

79 Prozent des Wertes in Westdeutschland<br />

gestiegen. Während<br />

das BIP in Westdeutschland<br />

zwischen 2006 und 2008 nur<br />

um 4,3 Prozent zunahm, stieg<br />

es in Ostdeutschland um<br />

7,5 Prozent.<br />

73,6<br />

74,8<br />

78,4 78,7 79,0<br />

Neue Bundesländer<br />

mit Berlin


WICKLUNG IM ÜBERBLICK<br />

Arbeit<br />

80 %<br />

70 %<br />

60 %<br />

50 %<br />

40 %<br />

30 %<br />

20 %<br />

10 %<br />

10,3<br />

6,3<br />

69,8<br />

60,1<br />

Erwerbstätige<br />

Arbeitslose<br />

67,3<br />

Arbeitslosen- und Erwerbstätigenquote<br />

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009<br />

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Statistisches Bundesamt<br />

Die positive Wirtschaftsentwicklung<br />

hat sich auch auf<br />

dem Arbeitsmarkt<br />

niedergeschlagen. Von 2005 bis<br />

August 2010 hat sich die Zahl<br />

der Arbeitslosen in den Neuen<br />

Ländern um gut 600.000 Personen,<br />

von 19,0 auf 11,5 Prozent,<br />

verringert. Im Sommer 2010<br />

sank die Arbeitslosigkeit erstmals<br />

seit 1990/91 wieder unter die<br />

Grenze von einer Million.<br />

Mit einer Erwerbstätigenquote<br />

von über 68 Prozent liegen die<br />

Neuen Länder noch nicht auf<br />

dem westdeutschen Durchschnittsstand<br />

(71 Prozent), aber<br />

schon über dem Durchschnittswert<br />

der EU. Der weitere Abbau<br />

der Arbeitslosigkeit bleibt eine<br />

der zentralen Aufgaben.<br />

61,1<br />

16,7<br />

10,1<br />

70,9<br />

62,5<br />

18,8<br />

8,7<br />

70,4<br />

63,8<br />

20,1<br />

9,4<br />

Alte Bundesländer<br />

73,6<br />

Neue Bundesländer<br />

Neue Bundesländer<br />

13,1<br />

6,4<br />

Alte Bundesländer<br />

70,3<br />

1990–1993<br />

1994–1997<br />

1998–2001<br />

2002–2005<br />

2006–2009<br />

Ost und West jeweils ohne Berlin<br />

Quelle: Statistisches Bundesamt<br />

Wanderungen zwischen Ost- und Westdeutschland<br />

272,9<br />

390,8<br />

366,9<br />

375,8<br />

338,7<br />

Abwanderung<br />

510,2<br />

531,1<br />

644,9<br />

615,7<br />

943,4<br />

Personen in 1.000<br />

Zuzüge aus den Neuen Ländern<br />

in die alten Länder<br />

Fortzüge aus den alten Ländern<br />

in die Neuen Länder<br />

Zwischen 1990 und 2009 sind über 3,2 Millionen<br />

Menschen aus den Neuen in die alten Länder gezogen,<br />

während rund 1,7 Millionen die umgekehrte Richtung<br />

wählten. Die Neuen Länder verloren in diesem Zeitraum<br />

per Saldo rund eineinhalb Millionen Einwohner durch Abwanderung.<br />

Insbesondere junge Menschen verließen bisher ihre Heimat im Osten,<br />

darunter waren in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung<br />

überdurchschnittlich häufi g junge Frauen. Abgesehen von einem geringfügigen<br />

Anstieg in den Jahren 2007/2008, nahm die Zahl der<br />

Menschen, die von Ost nach West abwanderten, seit 2001 kontinuierlich<br />

ab. Nach vorläufi gen Schätzungen erreichte sie im<br />

Jahr 2009 mit insgesamt 120.500 Zuzügen aus den Neuen in die<br />

alten Länder den tiefsten Wert seit der Wiedervereinigung.<br />

Zeitbild Wissen<br />

17


DIE WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG IM ÜBERBLICK<br />

Renten<br />

Zu den eindeutigen Gewinnern der Deutschen Einheit<br />

gehören die Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland.<br />

Die durchschnittlichen Renten * liegen dort sowohl bei den<br />

Männern mit ca. 1.069 Euro als auch bei den Frauen mit<br />

702 Euro über denjenigen in den alten Ländern mit ca. 990 Euro für<br />

Männer und ca. 487 Euro für Frauen (Stand: 31. Dezember 2009).<br />

Das hängt entscheidend mit den überwiegend geschlossenen Versicherungsbiografi<br />

en der Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland<br />

zusammen, was vor allem bei den Frauen zu höheren<br />

Durchschnittsrenten führt.<br />

Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Renten im Osten<br />

häufi g das einzige Einkommen im Alter sind. Ansprüche aus betrieblicher<br />

Altersversorgung, wie sie im Westen sehr verbreitet sind,<br />

bestehen bei der heutigen Rentnergeneration im Osten kaum.<br />

Dennoch: Wer in der DDR höchstens eine Mini-Rente in Ost-Mark<br />

zu erwarten gehabt hätte, steht heute ungleich besser da; immerhin<br />

sind die Renten von 1990 bis heute in den Neuen Ländern im<br />

Vergleich zu den alten Ländern um ein Vielfaches gestiegen.<br />

* Die angeführten Zahlen beziehen sich auf den durchschnittlichen Rentenzahlbetrag,<br />

der sich von der Modellrechnung Standardrente unterscheidet.<br />

1 . 000 B<br />

800 B<br />

600 B<br />

400 B<br />

200 B<br />

0 B<br />

18 Zeitbild Wissen<br />

587 B<br />

Westdeutschland<br />

Quelle: Deutsche Rentenversicherung<br />

Entwicklung der Altersrente<br />

492 B<br />

+ 18,7 %<br />

Ostdeutschland<br />

+ 67,9 %<br />

697 B<br />

Westdeutschland<br />

826 B<br />

Ostdeutschland<br />

1992 2008<br />

20<br />

1 5<br />

1 0<br />

5<br />

300<br />

250<br />

200<br />

1 1 , 2<br />

Westdeutschland<br />

1990<br />

1 8 , 9<br />

Ostdeutschland<br />

Emissionen pro Einwohner<br />

1 0 , 9<br />

Westdeutschland<br />

Quelle: Hentrich/Komar/Weisheimer (2000), Umweltschutz in den neuen Bundesländern<br />

150<br />

100<br />

50<br />

Umwelt<br />

1 3,9<br />

Westdeutschland<br />

1990<br />

2 7 2,1<br />

Ostdeutschland<br />

Emissionen pro Einwohner<br />

CO in Tonnen 2<br />

1 1 , 2<br />

1995<br />

Ostdeutschland<br />

Ob in der Landwirtschaft, in der Industrie oder in den<br />

Städten und Gemeinden: Zu den schlimmsten Erblasten<br />

der SED gehörte die dramatische<br />

Belastung der Umwelt. 1990 waren nur drei Prozent<br />

der Wasserläufe und ein Prozent der stehenden Gewässer<br />

ökologisch in Ordnung. Sauberes Trinkwasser war keine Selbstverständlichkeit.<br />

Milliarden Kubikmeter Industrieabwasser fl ossen zu<br />

95 Prozent ungeklärt in die Gewässer. Nur 36 Prozent der<br />

Menschen hatten Anschlüsse an Kläranlagen.<br />

Dazu kamen weitere Probleme: die Sanierung der<br />

Braunkohlereviere, die Sanierung umfangreicher, durch den Uranabbau<br />

radioaktiv kontaminierter Flächen sowie der<br />

Rückbau und die Entsorgung der stillgelegten Kernkraftwerke<br />

sowjetischer Bauart. Heute sind auch in Ostdeutschland saubere<br />

Luft, saubere Böden, sauberes Trinkwasser und saubere Flüsse<br />

selbstverständlich. Hohe Investitionen und gezielter<br />

Technologietransfer haben alle alten „Dreckschleudern“ beseitigt,<br />

und die Einführung umweltverträglicher<br />

Produktionsverfahren und der sparsamere Einsatz von Energie<br />

haben ihre Wirkung getan.<br />

8 , 9<br />

Westdeutschland<br />

Quelle: Hentrich/Komar/Weisheimer (2000), Umweltschutz in den neuen Bundesländern<br />

SO 2<br />

in Kilogramm<br />

9 9,4<br />

1995<br />

Ostdeutschland


85<br />

80<br />

7 5<br />

70<br />

65<br />

1991/1993<br />

1992/1994<br />

1993/1995<br />

1994/1996<br />

1995/1997<br />

Quelle: Statistisches Bundesamt<br />

1996/1998<br />

Lebenserwartung<br />

(in Jahren)<br />

1997/1999<br />

Gesundheit<br />

W<br />

ie sehr sich die<br />

gesundheitliche<br />

Situation in den<br />

Neuen Ländern<br />

seit der Wiedervereinigung verbessert<br />

hat, wird an der gestiegenen<br />

Lebenserwartung sichtbar.<br />

Sie ist seit 1990 bei Männern<br />

um rund vier, bei Frauen um fast<br />

fünf Jahre gestiegen und hat<br />

sich damit dem westdeutschen<br />

Durchschnitt stark angenähert.<br />

Die ambulante ärztliche Versorgung<br />

ist voll gewährleistet; die<br />

technische Ausstattung der Arztpraxen<br />

und der Krankenhäuser<br />

hat sich tiefgreifend verbessert.<br />

Auch die Arzneimittelversorgung<br />

entspricht dem Niveau der<br />

alten Länder.<br />

1998/2000<br />

1999/2001<br />

2000/2002<br />

2001/2003<br />

2002/2004<br />

2003/2005<br />

2004/2006<br />

Frauen West<br />

Frauen Ost<br />

Männer West<br />

Männer Ost<br />

2005/2007<br />

2006/2008<br />

100 %<br />

80 %<br />

60 %<br />

40 %<br />

20 %<br />

20 %<br />

98,3 %<br />

Langlebige Gebrauchsgüter in ostdeutschen Haushalten<br />

49,2 %<br />

71,7 %<br />

35,9 %<br />

94,7 %<br />

Telefon PKW Waschmaschine/<br />

Waschvollautomat<br />

Hochwertige<br />

Konsumgüter/Lebensstandard<br />

1990<br />

Zeitbild Wissen<br />

2008<br />

Quelle: SOEPmonitor<br />

1984–2008<br />

In immer mehr Lebensbereichen erreichen die<br />

Neuen Länder das im Westen Deutschlands<br />

gewohnte Niveau. So hat etwa der stürmische<br />

Motorisierungsboom dazu geführt, dass in<br />

der Relation „Pkw pro Einwohner“ die Neuen<br />

Länder sich inzwischen an europäische<br />

Spitzenwerte heranarbeiten; Ähnliches gilt<br />

für die Ausstattung der privaten Haushalte<br />

mit CD- und DVD-Spielern, Tiefkühlgeräten,<br />

Spülmaschinen und Mikrowellengeräten.<br />

Und auch in der Statistik der Auslandsreisen<br />

schlagen die Menschen in den Neuen Ländern<br />

immer stärker zu Buche.<br />

19


DIE INNERE<br />

EINHEIT<br />

Mit dem Aufbau demokratischer Strukturen,<br />

einer unabhängigen Justiz, der Gewährleistung<br />

der Grundrechte wie etwa Meinungs-,<br />

Rede- und Reisefreiheit in den Neuen Ländern<br />

wurden zentrale Forderungen der friedlichen<br />

Revolutionäre von 1989 erfüllt.<br />

Doch die Spuren von 40 Jahren SED-<br />

Herrschaft in allen Bereichen des Lebens sind<br />

tief; ihre Beseitigung dauert länger<br />

als ursprünglich erhofft und beschränkt sich<br />

nicht nur auf Gesetzgebung und<br />

Verwaltung. Vielmehr bleibt es eine Herausforderung<br />

für die ganze Gesellschaft, den Weg<br />

zu gleichwertigen Lebensverhältnissen und<br />

einem Miteinander, bei dem „Ost“ und „West“<br />

keine entscheidende Rolle mehr spielen, Schritt<br />

für Schritt gemeinsam weiterzugehen.<br />

20 Zeitbild Wissen<br />

Deutschland positiv<br />

Wiedervereinigung für<br />

85 % (Ost)<br />

Ziel der Politik ist es, bis zum Auslaufen des Solidarpaktes II im Jahr<br />

2019 ein selbsttragendes Wachstum zu erreichen und möglichst<br />

gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen.<br />

Ein Hauptproblem bleibt die weiterhin kritische Lage auf dem Arbeitsmarkt,<br />

die dazu führt, dass zu viele Menschen in den Westen<br />

abwandern, um dort eine Beschäftigung zu fi nden. Gleichzeitig ist<br />

die Überalterung der Gesellschaft mit all ihren Schwierigkeiten in<br />

den Neuen Bundesländern stärker als im Westen Deutschlands.<br />

Dazu kommen die Tiefe und die Schnelligkeit des Umbruchs in den<br />

Neuen Ländern: Im Alltagsleben vieler Ostdeutscher bleibt kaum<br />

ein Stein auf dem anderen, was auch zu Orientierungsproblemen<br />

führt. Auch haben viele Menschen den Eindruck, dass ihre Lebensleistung,<br />

die sie unter den schwierigen Bedingungen der DDR<br />

erbracht haben, nicht genügend gewürdigt wird.<br />

Das führt manchmal zu einer nachträglichen Idealisierung der<br />

DDR, die übersieht, wogegen die Menschen 1989/90 hauptsächlich<br />

demonstriert haben: eingeschränkte Freiheiten, Bespitzelung und<br />

Tpolitische Unterdrückung.<br />

Trotz noch zu lösender Probleme können die Menschen in Ost und<br />

West heute stolz auf das gemeinsam Erreichte sein. Großer Respekt<br />

gilt dabei vor allem den Menschen in den Neuen Ländern, die mit<br />

viel Tatendrang und Mut die weitaus schwierigeren Herausforderungen<br />

einer gewaltigen Veränderung in allen Lebensbereichen<br />

gemeistert haben. Gleichzeitig wäre ohne die Solidarität und die<br />

massiven Hilfen der alten Länder die Modernisierung im Osten<br />

sicherlich nicht so schnell und erfolgreich gelungen.<br />

Die gemeinsame Erfahrung der vergangenen 20 Jahre hat die<br />

Zusammengehörigkeit zwischen Ost und West verstärkt. Bei<br />

der „Jahrhundertfl ut“ entlang der Elbe in Sachsen und Sachsen-<br />

Anhalt im Jahr 2002 kommt Unterstützung aus ganz Deutschland:<br />

79 % (West)


Menschen aus Bayern helfen genauso mit wie Brandenburger oder<br />

Berliner. Mehr als 500 Millionen Euro werden insgesamt gespendet.<br />

Auch die Fußball-WM 2006 in Deutschland hat deutlich gezeigt:<br />

Die Farben Schwarz-Rot-Gold sind das gemeinsame Symbol aller<br />

EDeutschen.<br />

Es ist ein neues Deutschland entstanden, das etwas anderes<br />

ist als nur die Fortsetzung der alten Bundesrepublik in<br />

größeren Grenzen: Schon heute ist die Ostsee das beliebteste<br />

Urlaubsziel der Deutschen. Schon heute kommt weltweit jede<br />

sechste Solarzelle aus Ostdeutschland. Schon heute spielen bei den<br />

Jugendlichen die Begriffe „Ossis“ und „Wessis“ keine Rolle mehr.<br />

Es ist selbstverständlich, dass junge Menschen aus den Neuen<br />

Ländern ihre Ausbildung an westdeutschen Einrichtungen absolvieren.<br />

Aber auch umgekehrt: Immer mehr westdeutsche Jugendliche<br />

entscheiden sich für ein Studium im Osten.<br />

Um die Lebensbedingungen in den Neuen Ländern weiter zu<br />

verbessern, müssen vorhandene Unternehmen wachsen und neue<br />

Unternehmen in ganz neuen Industrien entstehen. Dies erfordert<br />

Erfi ndergeist und entsprechende Anstrengungen auf allen Stufen<br />

des Bildungssystems. Investitionen in die Bildung sind daher das Fundament<br />

allen technischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts.<br />

Sie waren entscheidend dort, wo der Aufbau Ost Erfolg hat, und<br />

sie werden künftig entscheidend sein, wenn es darum geht, die<br />

wirtschaftsschwachen Regionen in ganz Deutschland zu stabilisieren<br />

und fortzuentwickeln.<br />

Dies hat eine kluge Förderpolitik bei der Vergabe von Finanzmitteln<br />

zu bedenken, wobei es nicht nur um den Technologiebereich<br />

und die entsprechende Qualifi zierung der Menschen gehen kann,<br />

sondern auch um die weitere Entwicklung kultur- und tourismusorientierter<br />

Regionen.<br />

Optimismus für<br />

Wie sehen die Deutschen<br />

die friedliche Revolution<br />

und die Einheit?<br />

Für die Menschen in Ost und West war die Wiedervereinigung<br />

mit großen Emotionen verbunden. In Umfragen gibt fast jeder<br />

zweite Deutsche an, dass ihm bei allem, was sich damals<br />

zutrug, irgendwann einmal die Tränen gekommen seien.<br />

Heute wird die Wiedervereinigung von einer großen Mehrheit<br />

der Deutschen als Erfolg gesehen. Auf die Frage „War die<br />

Wiedervereinigung für Deutschland alles in allem betrachtet<br />

eher positiv oder eher negativ?“ gaben in einer Umfrage im<br />

Mai 2009 insgesamt 80 Prozent der Befragten (79 Prozent<br />

in den alten, 85 Prozent in den Neuen Ländern) die Antwort<br />

„positiv“. Nur 15 Prozent insgesamt (16 Prozent in den alten,<br />

neun Prozent in den Neuen Ländern) antworteten „negativ“.<br />

Auf die Frage „Haben sich die Hoffnungen/Erwartungen, die<br />

Sie damals mit der Vereinigung verbunden haben, erfüllt oder<br />

nicht erfüllt?“ gaben 54 Prozent insgesamt (53 Prozent der<br />

Westdeutschen, 60 Prozent der Ostdeutschen) die Antwort,<br />

die Erwartungen hätten sich im Großen und Ganzen oder in<br />

wichtigen Teilen erfüllt. Und im Jahr 2009 bezeichneten sich<br />

in den Neuen Ländern 65 Prozent als „Gewinner“, 20 Prozent<br />

als „Verlierer der Einheit“ (Vergleich 2004: 54 zu 30 Prozent).<br />

Dem entsprechen auch die Zukunftserwartungen. „Sehen Sie<br />

persönlich der Zukunft eher optimistisch oder eher pessimistisch<br />

entgegen?“ beantworteten 64 Prozent insgesamt (65<br />

Prozent im Westen, 62 Prozent in den östlichen Ländern) mit<br />

„eher optimistisch“, gegenüber rund einem Drittel, die eher<br />

pessimistisch waren.<br />

Quelle: 20 Jahre nach dem Mauerfall. Eine Erhebung der TNS Infratest Politikforschung Berlin, Mai 2009.<br />

die Zukunft<br />

64 % der Deutschen<br />

Zeitbild Wissen<br />

21


DEUTSCHLAND IN EUROPA ...<br />

Die Europäische Union ist aus den Erfahrungen zweier verheerender Weltkriege entstanden<br />

und hat unserem Land nach dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte den Weg zu<br />

gleichberechtigter Partnerschaft in Europa und in der Welt gebahnt. Sie hat – gemeinsam mit der<br />

Verankerung der Bundesrepublik Deutschland im westlichen Verteidigungsbündnis – entscheidend<br />

dazu beigetragen, dass die deutsche Einigung auf friedlichem Wege und mit Zustimmung<br />

aller Nachbarn unter dem europäischen Dach möglich wurde.<br />

Auf einer Wiese am Oderufer<br />

in Frankfurt (Oder) sitzt<br />

am 30. April 2004 auf einer<br />

Europafahne Julia Wagner-<br />

Krawczyk mit ihrem Mann Sven<br />

Wagner und der einjährigen<br />

Tochter Lily-Marie. Die<br />

28-jährige Polin ist Studentin<br />

an der Europa-Universität Viadrina<br />

und seit 15 Monaten<br />

mit dem 27-jährigen deutschen<br />

Zimmerermeister verheiratet.<br />

Die drei verfolgen vom Oderufer<br />

aus die Feierlichkeiten.<br />

Unter dem Motto „Aus<br />

Nachbarn werden<br />

Partner“ feiern die<br />

Einwohner von<br />

Frankfurt (Oder)<br />

und der polnischenNachbarstadt<br />

Slubice den<br />

Beitritt Polens zur<br />

Europäischen<br />

Union.<br />

(Quelle: picture-alliance)<br />

22 Zeitbild Zei Zi Zei ZZei Zi Zei Ze Zei Zeitb tbi tb tbi ttb ttb tbi tb tbi tb tbi tbild b i ld Wi Ws Wis Wi Wis Wi Wis Wi W Wis WWissen ssse<br />

se sen se sen se sen se sen se sen en<br />

Europa bedeutet für jeden einzelnen Bürger ein Mehr<br />

an persönlicher Bewegungsfreiheit: Wegfall der Grenzkontrollen,<br />

Niederlassungsfreiheit für Unternehmer<br />

und Arbeitnehmer, gegenseitige Anerkennung von<br />

Diplomen, Liberalisierung des Geld- und Kapital- sowie<br />

des Dienstleistungsverkehrs.<br />

Die wirtschaftliche Bilanz ist genauso eindeutig wie die<br />

politische: Über die vergangenen Jahrzehnte hinweg ist der prozentuale<br />

Anteil der Exporte in die Länder der EU am Gesamtvolumen<br />

der deutschen Ausfuhren kontinuierlich bis auf mehr als 65 Prozent<br />

gestiegen. Ein eindrucksvollerer Beleg für die überragende Bedeutung,<br />

die der EU-Binnenmarkt für das geeinte Deutschland besitzt, lässt sich<br />

kaum denken. Für die Zukunft gilt, dass die Deutschen den globalen<br />

Wettbewerb nur in der Gemeinschaft der Europäer werden bestehen<br />

können.<br />

Der Mauerfall und die Epochenwende von 1989/1990 haben es auch<br />

ermöglicht, dass inzwischen – neben Zypern und Malta – die neutralen<br />

Staaten Österreich, Schweden und Finnland und auch zehn Län-<br />

der Mittel- und Osteuropas Mitglieder der EU geworden sind. Denn<br />

noch 1989 standen sich an der innerdeutschen Grenze, hinter Mauer<br />

und Todesstreifen, mit der NATO und dem Warschauer Pakt zwei bis<br />

an die Zähne bewaffnete feindliche Militärbündnisse gegenüber.


Was damals in Polen begann und sich in den Botschaften der<br />

Bundesrepublik in Warschau, in Budapest und in Prag fortsetzte,<br />

endete in einer Epochenwende der europäischen Geschichte,<br />

die zugleich das Ende des Kalten Krieges und die<br />

Überwindung des hergebrachten Ost-West-Konfl iktes sbedeutete. Im Rückblick wird noch deutlicher, dass dieser eser<br />

„Kalte Krieg“ überhaupt nur durch eine massenhafte te<br />

Bewegung von unten, durch den friedlichen Aufstand der er<br />

Menschen in Ost- und Mitteleuropa zu überwinden war.<br />

Nachdem alle ehemaligen Länder des Ostblocks sich von n<br />

ihren kommunistischen Machthabern befreit und eine deemokratische Ordnung errichtet hatten, hörte Ende 1991 auch<br />

die Sowjetunion auf zu existieren. Damit trat gut 70 Jahre nach der<br />

Oktoberrevolution das ehemalige kommunistische Weltreich der<br />

UdSSR fast lautlos von der Bühne ab.<br />

Beim Prozess der Erweiterung der EU nach Osten ging es darum,<br />

endlich auch jene Länder, die zuvor jahrzehntelang unter kommunistischer<br />

Zwangsherrschaft, unter Willkür und Unfreiheit freiheit<br />

gelitten hatten, in die „Familie“ der demokratischen und<br />

freiheitlichen Staaten Europas aufzunehmen.<br />

Bereits im Februar 1992 unterzeichneten die Außen- n-<br />

und Finanzminister der – damals – zwölf EG-Staaten en<br />

in den Niederlanden den Vertrag von Maastricht –<br />

die bedeutendste Fortentwicklung der europäischen en<br />

Eini-gung seit den Römischen Verträgen 35 Jahre zuvor.<br />

Kernstück der Maastrichter Vereinbarungen sind<br />

Irland<br />

die Verträge über eine Wirtschafts- und Währungsunion i<br />

mit gemeinsamer europäischer Währung. Am 1. Januar 2002 02<br />

erfolgte der Umtausch der nationalen Banknoten und Münzen zen<br />

gegen Euro-Banknoten und Euro-Münzen; seither ist der Euro o in<br />

16 der heute insgesamt 27 Mitgliedstaaten der EU alleiniges ge-<br />

setzliches Zahlungsmittel geworden.<br />

Unter dem Strich haben die Menschen im vereinten Deutschland<br />

jeden Grund, Europa dankbar zu sein. Die Einigung Europas ist und<br />

bleibt im existenziellen Interesse Deutschlands.<br />

... UND IN DER WELT<br />

Nach außen hat die Einheit den Deutschen<br />

mehr Gewicht verliehen, und das heißt in vielen Fällen<br />

vor allem: mehr Verantwortung in der Welt.<br />

Denn der Mauerfall hat den europäischen<br />

Kontinent und die Koordinaten der Weltpolitik<br />

verändert. Die Herstellung der Deutschen<br />

Einheit bedeutete auch die friedliche<br />

Beseitigung eines Spannungsherdes mitten<br />

in Europa, der jahrzehntelang Kristallisationspunkt<br />

des Kalten Krieges und damit eine<br />

massive Bedrohung des Weltfriedens war. Heute leben die Deutschen<br />

in international anerkannten, sicheren Grenzen und werden<br />

von ihren Nachbarn nicht mehr als Bedrohung, sondern als wichtiger<br />

Partner in Europa und der Welt wahrgenommen.<br />

Deutschland nimmt diese Herausforderung im Rahmen des<br />

atlantischen Sicherheitsbündnisses an. Durch ihre Integration in die<br />

NATO konnte die „alte“ Bundesrepublik den Ost-West-Konfl ikt<br />

unbeschadet bestehen und letztlich zugunsten der Einheit auf-<br />

Zypern<br />

Griechenland<br />

Luxemburg<br />

Frankreich<br />

Belgien<br />

Deutschland<br />

D<br />

Finnland<br />

Niederlande<br />

Spanien Sp<br />

Malta<br />

Italien<br />

Slowenien<br />

Slowakei<br />

Portugal<br />

Österreich<br />

Öst Ös Öst Ös Öst Ös Öst Ös Öst Öt Öst Ös Öst Öt Öst Ös Öt Öst Öt Ös Öt Ös Öst Ös Öst Ös Öst Ös Öst Öt Öst Ös Öst Ös Öst Ös Öst Ös Öst Ös Öste st s err e eich<br />

lösen. Mit dem Ende der alten Machtblöcke in Ost und West und<br />

der Etablierung einer neuen, multipolaren Weltordnung haben sich<br />

die Aufgaben der NATO – und damit auch Deutschlands – im<br />

Sinne eines globalen Stabilitätsfaktors gewandelt. Deutsche Soldaten<br />

tragen heute gemeinsam mit ihren Verbündeten in vielen<br />

Teilen der Welt zur Konfl iktlösung bei; militärisches Eingreifen ist<br />

dabei nur dann gerechtfertigt, wenn alle Mittel der friedlichen<br />

Konfl iktbewältigung versagen.<br />

Je mehr Menschen in Freiheit leben, desto weniger gewaltsame<br />

Konfl ikte gibt es. Deshalb unterstützt Deutschland auch das Bemühen<br />

der Vereinten Nationen um die weltweite Durchsetzung<br />

der Menschenrechte. Die Vision einer Welt, in der nicht das Recht<br />

des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts gilt und in der sich<br />

Starke wie Schwächere gut aufgehoben fühlen, ist auch Leitbild<br />

des wiedervereinigten Deutschlands.<br />

Zeitbild Wissen<br />

23<br />

Die 16 Euro-Länder


24 Zeitbild Wissen<br />

Einsatz im Unterricht<br />

Methodisch-didaktische Hinweise<br />

Die heutigen Schülergenerationen haben den Fall der Mauer nicht miterlebt, für sie ist die<br />

Deutsche Einheit eine Selbstverständlichkeit. Im vorliegenden Unterrichtsmaterial steht die<br />

deutsche Geschichte seit diesem historisch bedeutsamen Ereignis im Mittelpunkt.<br />

Die folgenden 24 Arbeitsblätter behandeln die Deutsche Einheit und ihre politische,<br />

wirtschaftliche, soziale und gesellschaftspolitische Entwicklung. Es wird diskutiert, inwieweit sich die<br />

ehemals getrennten Teile Deutschlands 20 Jahre nach der Wiedervereinigung angenähert haben.<br />

Die Unterrichtsmaterialien eignen sich für den fächerübergreifenden Unterricht in Politik, Geschichte,<br />

Wirtschaft und Sozialkunde. Die einzeln heraustrennbaren Arbeitsblätter können für den Einsatz im<br />

Unterricht kopiert werden und bieten genügend Möglichkeiten, die Themen unabhängig voneinander<br />

und in anderer Reihenfolge in der Klasse zu behandeln. Die Arbeitsblätter sind auch zur persönlichen<br />

Unterrichtsvorbereitung geeignet.<br />

Jedes Arbeitsblatt enthält schülergerechte Aufgaben für eine aktive, selbstständige und vertiefende<br />

Auseinandersetzung mit dem entsprechenden Thema und zur Kontrolle des zuvor Erlernten.<br />

Als Hilfestellung fi nden Sie Lösungen zu den Schüleraufgaben am Ende des Magazins auf Seite 51.<br />

Mit den ersten drei Arbeitsblättern über die wichtigsten Stationen der Deutschen<br />

Einheit können die Schülerinnen und Schüler den Mauerfall, seine Auswirkungen sowie Ursachen<br />

und Verlauf der Wiedervereinigung kennenlernen.<br />

Mit den Arbeitsblättern 4 und 6 bis 10 zu den Themen Staatssicherheit, Leben in der DDR, Grenzfl<br />

ucht und DDR-Mythen können sich die Schülerinnen und Schüler intensiv mit der SED-Diktatur<br />

auseinandersetzen und begreifen, warum die DDR-Bevölkerung die Wiedervereinigung gefordert<br />

hat. Arbeitsblatt 5 regt zur Spurensuche in Berlin an, wo noch heute Spuren der Mauer und der DDR<br />

zu fi nden sind.<br />

Mit den Arbeitsblättern 11 bis 22 werden den Schülerinnen und Schülern die Auswirkungen<br />

der Wiedervereinigung und die Annäherung von Ost- und Westdeutschland aufgezeigt. Die<br />

Schülerinnen und Schüler können die Erfolge und Probleme der Deutschen Einheit herausarbeiten.<br />

Einen etwas persönlicheren Ansatz bieten hierbei die Arbeitsblätter 11, 12 und 13: die Porträts<br />

zweier Wendekinder (AB 11) und die Erinnerungen eines Journalisten, der 15 Jahre alt war, als die<br />

Mauer fi el (AB 12). Joachim Gauck refl ektiert die friedliche Revolution in seiner Rede zum 10. Jahres-<br />

tag des Mauerfalls (AB 13). Die wirtschaftlichen Auswirkungen – Soziale Marktwirtschaft, Solidarpakt –<br />

werden auf den Arbeitsblättern 14 bis 16 herausgestellt und die ökologischen auf Arbeitsblatt 18.<br />

Arbeitsblatt 17 liefert konkrete Zahlen zur Ost-West-Annäherung, die Arbeitsblätter 19 und<br />

20 beziehen sich auf das Demokratieverständnis und die Politische Kultur.<br />

Mit Arbeitsblatt 23 erhalten die Schülerinnen und Schüler die wichtigsten Fakten über Deutsch-<br />

land auf einen Blick.<br />

Abschließend können die Schülerinnen und Schüler im Deutschland-Quiz ihr Wissen über Deutschland<br />

prüfen. Das Blatt mit den Quizlösungen kann im Anschluss daran ausgeteilt werden, so dass die Schü-<br />

lerinnen und Schüler selbst herausfi nden können, wie gut sie über Deutschland Bescheid wissen.


1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

10<br />

11<br />

12<br />

ZEIT DER TEILUNG<br />

DER WEG IN DIE FREIHEIT<br />

20 JAHRE DEUTSCHE EINHEIT<br />

FLUCHT UNTER EINSATZ DES LEBENS ...<br />

WO STAND EIGENTLICH DIE MAUER?<br />

JEDER KONNTE EIN SPITZEL SEIN ...<br />

DER VERGANGENHEIT INS AUGE SEHEN<br />

WIE WAR DAS IN DER DDR EIGENTLICH ...<br />

VERKLÄRUNG ODER WIRKLICHKEIT?<br />

LEBEN IN DER DDR<br />

ICH HATTE TANZSTUNDE ...<br />

ZWEI VON 1.786.134<br />

Inhalt der Arbeitsblätter<br />

13<br />

14<br />

15<br />

16<br />

17<br />

18<br />

19<br />

20<br />

21<br />

22<br />

23<br />

24<br />

JOACHIM GAUCK ZUM THEMA<br />

FRIEDLICHE REVOLUTION<br />

VON DER ZENTRALVERWALTUNGSWIRTSCHAFT<br />

ZUR SOZIALEN MARKTWIRTSCHAFT<br />

„OPERATION WURST“:<br />

EIN UNTERNEHMERPORTRÄT<br />

UNTERSTÜTZUNG FÜR DEN OSTEN<br />

FAKTEN ZWISCHEN AACHEN UND ZWICKAU<br />

UMWELTVERSCHMUTZUNG<br />

DEMOKRATIE – NEIN DANKE?<br />

WIE STEHT’S UM DIE POLITISCHE KULTUR?<br />

GO EAST!<br />

ZITATESAMMLUNG<br />

DEUTSCHLAND AUF EINEN BLICK<br />

DEUTSCHLAND-QUIZ<br />

Lösungen Deutschland-Quiz<br />

Zeitbild Wissen<br />

25 2


1<br />

7. Mai 1945:<br />

Durch die Unterzeichnung der<br />

bedingungslosen Kapitulation aller<br />

deutschen Streitkräfte endet der<br />

Zweite Weltkrieg in Europa.<br />

5. Juni 1945:<br />

Die Siegermächte Sowjetunion,<br />

USA, Großbritannien und Frankreich<br />

übernehmen die oberste<br />

Regierungsgewalt in Deutschland.<br />

Das Land wird in vier Besatzungszonen<br />

und Berlin in vier Sektoren<br />

aufgeteilt.<br />

20. Juni 1948:<br />

Die Westmächte schaffen in den<br />

westlichen Besatzungszonen die<br />

wertlos gewordene Reichsmark<br />

ab und führen die Deutsche Mark<br />

als neues Zahlungsmittel ein. Die<br />

Sowjetunion reagiert drei Tage<br />

später mit einer eigenen Währungsreform<br />

in ihrer Zone.<br />

24. Juni 1948:<br />

Die Sowjetunion sperrt die Land-<br />

und Wasserwege nach West-Berlin,<br />

nur die Luftwege bleiben offen. Die<br />

Westmächte versorgen die West-<br />

Berliner über die „Luftbrücke“ mit<br />

Lebensmitteln („Rosinenbomber“).<br />

Die Berlin-Blockade endet am<br />

12. Mai 1949.<br />

26 Zeitbild Wissen<br />

Zeit der Teilung<br />

23. Mai 1949:<br />

Mit Inkrafttreten des Grundgesetzes<br />

wird die Bundesrepublik Deutschland<br />

gegründet. Konrad Adenauer<br />

wird erster Bundeskanzler.<br />

7. Oktober 1949:<br />

Der nicht aus Wahlen hervorgegangene<br />

„Deutsche Volksrat“ setzt<br />

die „Verfassung der Deutschen<br />

Demokratischen Republik“ in Kraft.<br />

Damit ist die DDR gegründet.<br />

17. Juni 1953:<br />

Der Arbeiter- und Volksaufstand in<br />

Ost-Berlin und in der DDR gegen<br />

die DDR-Regierung und für freie<br />

Wahlen wird gewaltsam mithilfe<br />

sowjetischer Truppen und Panzer<br />

niedergeschlagen.<br />

1955:<br />

Die Bundesrepublik wird in das<br />

westliche Militärbündnis der NATO<br />

und die DDR in das östliche Militärbündnis<br />

des Warschauer Pakts als<br />

Mitglied aufgenommen.<br />

13. August 1961:<br />

Auf Befehl der SED beginnt der<br />

Bau der Berliner Mauer zwischen<br />

Ost- und West-Berlin. Damit wird<br />

die massenhafte Abwanderung<br />

der Bevölkerung in Richtung<br />

Westen gestoppt.<br />

19. März 1970:<br />

Bundeskanzler Willy Brandt und<br />

der Vorsitzende des Ministerrats<br />

der DDR Willi Stoph treffen sich<br />

in Erfurt zum ersten innerdeutschen<br />

Gipfelgespräch. Am 21. Mai<br />

erfolgt der Gegenbesuch Stophs<br />

in Kassel.<br />

12. August 1970:<br />

In Moskau wird der deutschsowjetische<br />

Vertrag unterzeichnet.<br />

Er enthält die Verpfl ichtung auf<br />

Gewaltverzicht und die Unverletzlichkeit<br />

aller Grenzen in Europa.<br />

21. Dezember 1972:<br />

Grundlagenvertrag zwischen der<br />

Bundesrepublik und der DDR;<br />

Bundesregierung übergibt „Brief<br />

zur Deutschen Einheit“.<br />

18. September 1973:<br />

Die Bundesrepublik und die DDR<br />

werden in die Vereinten Nationen<br />

(UNO) aufgenommen.<br />

Ordne folgende Bilder den oben genannten<br />

Ereignissen zu:<br />

1<br />

2<br />

1. August 1975:<br />

Die Bundesrepublik und die DDR<br />

unterschreiben die KSZE-Schlussakte<br />

in Helsinki.<br />

29. Juni 1983:<br />

Die Bundesrepublik verbürgt sich<br />

für einen Kredit in Höhe von einer<br />

Milliarde DM, den die DDR von<br />

westdeutschen Banken erhält. Als<br />

Gegenleistung beginnt die DDR<br />

mit dem Abbau der Selbstschussanlagen<br />

an der innerdeutschen<br />

Grenze.<br />

März 1985:<br />

Michail Gorbatschow übernimmt<br />

die Führung in der Sowjetunion.<br />

Mit Glasnost (Offenheit) und Perestroika<br />

(Umgestaltung) leitet er<br />

Reformen in der Sowjetunion ein.<br />

Dadurch gerät der Ostblock in<br />

Bewegung, was auch die Rahmenbedingungen<br />

der SED-Führung<br />

spürbar verändert.<br />

Arbeitsauftrag<br />

3


2. Mai 1989:<br />

Zwischen Ungarn und Österreich<br />

wird mit dem Abbau der<br />

Grenzbefestigungen begonnen.<br />

7. Mai 1989:<br />

In der DDR fi nden Kommunalwahlen<br />

statt. Nachdem oppositionelle<br />

Bürgerrechtsgruppen die Fälschung<br />

der Wahlergebnisse nachweisen<br />

können, beginnen im Herbst 1989<br />

die Demonstrationen mit dem Ruf<br />

„Wir sind das Volk!“.<br />

11. September 1989:<br />

Mit Öffnung der ungarischen Westgrenze<br />

beginnt die Massenfl ucht<br />

über die ungarisch-österreichische<br />

Grenze in die Bundesrepublik. Bis<br />

Monatsende fl iehen ca. 30.000<br />

DDR-Bürger. Andere DDR-Bürger<br />

fl üchten in die bundesdeutschen<br />

Botschaften in Prag und Warschau.<br />

9. Oktober 1989:<br />

Auf der bis dahin größten Leipziger<br />

Montagsdemonstration fordern ca.<br />

70.000 Menschen grundlegende<br />

politische Reformen. Die Sicherheitskräfte<br />

sind zu schwach und<br />

greifen nicht ein.<br />

18. Oktober 1989:<br />

SED-Generalsekretär Erich Honecker<br />

tritt zurück.<br />

7./8. <strong>No</strong>vember 1989:<br />

Rücktritt der DDR-Regierung.<br />

Die Bundesregierung fordert die<br />

Führung der DDR zu systemändernden<br />

Reformen auf: Verzicht<br />

auf das Machtmonopol der<br />

SED, Zulassung unabhängiger<br />

Parteien und Organisationen,<br />

Anberaumung freier Wahlen.<br />

9. <strong>No</strong>vember 1989:<br />

Öffnung der Mauer: Gegen Mitternacht<br />

vom 9. zum 10. <strong>No</strong>vember<br />

öffnen sich unter dem Druck von<br />

Tausenden von DDR-Bürgern die<br />

Schlagbäume. In den nächsten<br />

Stunden drängen Hunderttausende<br />

an die Grenze.<br />

28. <strong>No</strong>vember 1989:<br />

Bundeskanzler Helmut Kohl stellt<br />

das Zehn-Punkte-Programm vor,<br />

in dem ein schrittweiser Prozess<br />

zur Wiedergewinnung der Deutschen<br />

Einheit umrissen wird.<br />

Dabei wird der Zeitrahmen absichtlich<br />

offengelassen.<br />

Der Weg in die Freiheit<br />

15. Januar 1990:<br />

Tausende Bürger stürmen die<br />

Zentrale des Ministeriums für<br />

Staatssicherheit in der Ost-<br />

Berliner <strong>No</strong>rmannenstraße, um<br />

Stasi-Akten vor dem Reißwolf zu<br />

retten. Die Aufl ösung der Stasi<br />

nimmt ihren Lauf.<br />

18. März 1990:<br />

Erste und letzte freie und demokratische<br />

Volkskammerwahlen in der<br />

DDR. Sieg der „Allianz für Deutschland“<br />

(DA, DSU und CDU).<br />

18. Mai 1990:<br />

Unterzeichnung des Staatsvertrags<br />

zwischen der Bundesrepublik<br />

Deutschland und der<br />

DDR über die Schaffung einer<br />

Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion.<br />

17. Juni 1990:<br />

Die Volkskammer beschließt das<br />

Treuhandgesetz. Damit erhält<br />

die Treuhandanstalt, die noch auf<br />

einen Beschluss der Modrow-Regierung<br />

zurückgeht, den Auftrag,<br />

die staatseigenen Betriebe der<br />

DDR zu privatisieren.<br />

1. Juli 1990:<br />

Die Währungs-, Wirtschafts- und<br />

Sozialunion tritt in Kraft. Die D-<br />

Mark wird offi zielles Zahlungsmittel<br />

in der DDR.<br />

15./16. Juli 1990:<br />

Besuch von Bundeskanzler<br />

Helmut Kohl, Außenminister<br />

Hans-Dietrich Genscher und<br />

Finanzminister Theo Waigel im<br />

Kaukasus. Einvernehmen über<br />

die Deutsche Einheit und Abzug<br />

der sowjetischen Truppen.<br />

23. August 1990:<br />

Die Volkskammer beschließt den<br />

Beitritt der DDR zur Bundesrepu-blik<br />

nach Art. 23 des Grundgesetzes.<br />

31. August 1990:<br />

Unterzeichnung des Einigungsvertrags.<br />

2<br />

12. September 1990:<br />

Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-<br />

Vertrags zwischen der Bundesrepublik<br />

Deutschland und der DDR<br />

plus vier Alliierte über die Zukunft<br />

des vereinigten Deutschlands.<br />

3. Oktober 1990:<br />

Tag der Deutschen Einheit. Beitritt<br />

der DDR zur Bundesrepublik<br />

und damit Ende der Spaltung<br />

Deutschlands. Das Grundgesetz<br />

gilt jetzt für ganz Deutschland.<br />

Arbeitsauftrag<br />

1) Was waren Gründe der Menschen<br />

in der DDR, in die<br />

Bundesrepublik zu flüchten?<br />

a) _____________________________________<br />

b) _____________________________________<br />

c) _____________________________________<br />

d) _____________________________________<br />

2) Die vier Zitate in der Tabelle gingen in die<br />

Geschichte ein. Doch wann genau wurden sie<br />

ausgesprochen? Ordnet jedes Datum dem<br />

richtigen Zitat und dem entsprechenden<br />

geschichtlichen Hintergrund zu.<br />

Datum: 9. <strong>No</strong>vember 1989, 19. Januar 1989,<br />

15. Juni 1961, 7. Oktober 1989<br />

Zeitliche Einordnung: zwei Monate vor Mauerbau;<br />

Tag der Maueröffnung; zehn Monate vor Mauerfall;<br />

40. Jahrestag der DDR<br />

Zitat Datum Zeitliche Einordnung<br />

Michail Gorbatschow: „Wenn wir zu spät kommen, bestraft uns das<br />

Leben sofort.“<br />

Erich Honecker: „Die Mauer wird ... so lange bleiben, wie die Bedingungen<br />

nicht geändert werden, die zu ihrer Errichtung geführt haben.<br />

Sie wird in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben, wenn die<br />

dazu vorhandenen Gründe noch nicht beseitigt sind.“<br />

Walter Ulbricht: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“<br />

Günter Schabowski: „Privatreisen nach dem Ausland können ohne<br />

Vorliegen von Voraussetzungen ... beantragt werden. Die Genehmigungen<br />

werden kurzfristig erteilt. ... Ständige Ausreisen können über<br />

alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD erfolgen. ... Das tritt<br />

nach meiner Erkenntnis – ist das sofort – unverzüglich.“<br />

7. Oktober 1989<br />

zehn Monate vor Mauerfall<br />

Zeitbild Wissen 27


3<br />

14. Oktober 1990<br />

Landtagswahlen in den fünf Neuen<br />

Bundesländern Brandenburg,<br />

Mecklenburg-Vorpommern,<br />

Sachsen, Sachsen-Anhalt und<br />

Thüringen, die aus den 14 ostdeutschen<br />

Bezirken entstanden waren.<br />

Juni 1995<br />

Der Reichstag wird für zwei<br />

Wochen verhüllt – mit mehr als<br />

100.000 m2 Spezialstoff. Rund fünf<br />

Millionen Menschen lockt das Kunstwerk<br />

des Künstlerpaares Christo<br />

und Jeanne-Claude an.<br />

ER<br />

22. <strong>No</strong>vember 2005<br />

Mit Angela Merkel wird nicht<br />

nur die erste Frau, sondern auch<br />

die erste ostdeutsche Politikerin<br />

Bundeskanzlerin der Bundesrepublik<br />

Deutschland.<br />

TS<br />

28 Zeitbild Wissen<br />

HE<br />

ES<br />

CH<br />

30. April 1991<br />

In Zwickau rollt der letzte Trabant<br />

vom Band.<br />

LI<br />

Arbeitsauftrag<br />

20 Jahre Deutsche Einheit<br />

3. Dezember 1992<br />

Erich Honecker übernimmt als<br />

Angeklagter in einer persönlichen<br />

Erklärung vor dem Berliner Landgericht<br />

die Verantwortung für den<br />

Mauerbau.<br />

WU<br />

August 2001<br />

Beschluss des Bund-Länder-Programms<br />

„Stadtumbau Ost“: Von<br />

2002 bis 2009 werden insgesamt<br />

2,5 Milliarden Euro bereitgestellt,<br />

um den Leerstand ostdeutscher<br />

Wohnungen zu bekämpfen und die<br />

Attraktivität der Städte zu steigern.<br />

NT<br />

EI<br />

2. Dezember 1990<br />

In der Bundesrepublik fi nden die<br />

ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen<br />

statt. Als Ergebnis setzen<br />

CDU/CSU und FDP ihr Regierungsbündnis<br />

fort.<br />

R<br />

August 2002<br />

Ganz Deutschland hilft: Die<br />

Jahr hundert-Flut an der Elbe verursacht<br />

Schäden von über neun<br />

Milliarden Euro, vor allem ostdeutsche<br />

Länder sind betroffen. 500<br />

Millionen Euro werden gespendet<br />

und Freiwillige aus dem gesamten<br />

Bundesgebiet unterstützen die<br />

Hilfsorganisationen.<br />

U<br />

17. Januar 1991<br />

Der Bundestag wählt Helmut Kohl<br />

zum ersten gesamtdeutschen<br />

Bundeskanzler.<br />

Z<br />

N<br />

29. Mai 2010<br />

Germany – 12 Points! Mehr als 125<br />

Millionen Menschen auf der ganzen<br />

Welt sehen zu, wie Deutschland<br />

den Eurovision Song Contest in<br />

Oslo gewinnt. Die 19-jährige Lena<br />

Meyer-Landrut überzeugt Jury<br />

und Zuschauer mit ihrem Song<br />

„Satellite“.<br />

ND<br />

31. Dezember 1994<br />

Die Treuhandanstalt wird aufgelöst.<br />

Insgesamt wurden über 6.500<br />

Unternehmen privatisiert, knapp<br />

1.600 reprivatisiert und über 3.700<br />

Unternehmen mussten geschlossen<br />

werden.<br />

H<br />

19. März 2002<br />

Volkswagen eröffnet die Gläserne<br />

Manufaktur in Dresden. Besucher<br />

und Kunden können hier die<br />

Herstellung eines Automobils<br />

mitverfolgen.<br />

DE<br />

1. Januar 1995<br />

Inkrafttreten des Solidarpakts I: Bis<br />

2004 erhalten die Neuen Bundesländer<br />

vom Bund 105 Milliarden<br />

Euro für den Aufbau von Wirtschaft<br />

und Infrastruktur. Anschließend wird<br />

der Pakt verlängert (Solidarpakt<br />

II): Bis 2019 werden weitere 156<br />

Milliarden Euro bereitgestellt.<br />

V<br />

CH<br />

Februar 1992<br />

Bei den Olympischen Winterspielen<br />

in Albertville treten erstmals seit<br />

1964 wieder Sportlerinnen und<br />

Sportler aus Ost- und Westdeutschland<br />

gemeinsam an.<br />

CK<br />

20. Juni 1991<br />

Der Bundestag in Bonn beschließt<br />

die Verlegung des Parlaments- und<br />

Regierungssitzes von Bonn nach<br />

Berlin. Acht Jahre später, im September<br />

1999, beginnt der Bundestag<br />

offi ziell seine Arbeit im umgebauten<br />

Reichstagsgebäude.<br />

EN<br />

8. September 1994<br />

Vor dem Brandenburger Tor in<br />

Berlin werden die Streitkräfte der<br />

westlichen Alliierten verabschiedet.<br />

Einige Tage zuvor haben die letzten<br />

russischen Soldaten die Bundesrepublik<br />

verlassen.<br />

SC<br />

G<br />

2. Januar 1992<br />

Erste Bürgerinnen und Bürger<br />

nehmen Einsicht in ihre Stasi-Akten,<br />

die in der „Behörde des Bundesbeauftragten<br />

für die Unterlagen<br />

des Staatssicherheitsdienstes der<br />

ehemaligen DDR“ aufbewahrt<br />

werden. Bis 2009 haben über 2,6<br />

Millionen Bürger einen Antrag auf<br />

Akteneinsicht gestellt.<br />

LÜ<br />

9. <strong>No</strong>vember 2009<br />

Feuerwerk und internationale Gäste<br />

am Brandenburger Tor: Am Jahrestag<br />

des Mauerfalls feiert Deutschland<br />

20 Jahre friedliche Revolution.<br />

Ordne die Bilder den richtigen Ereignissen zu und bringe Bilder und Ereignisse in eine zeitliche Reihenfolge.<br />

Bei richtiger Reihenfolge ergeben die angegebenen Buchstaben folgende Lösung:<br />

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – , – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – !<br />

LA


Flucht unter Einsatz des Lebens ...<br />

Am frühen Sonntagmorgen des 13. August 1961 beginnt die<br />

DDR, die Sektorengrenze in Berlin und die Grenze West-Berlins zum<br />

Umland zunächst mit Stacheldraht und Barrikaden, wenige Tage später mit<br />

Mauern abzuriegeln. Die Mauer verläuft quer durch Berlin, reißt Straßen,<br />

Stadtviertel, Freunde und Familien auseinander. Damit versucht die DDR-<br />

Führung die massiv anwachsende Fluchtbewegung der eigenen Bürger in<br />

die Bundesrepublik zu stoppen und ihre Macht zu stärken. Seit 1949 waren<br />

über zweieinhalb Millionen – überwiegend junge – Menschen aus der<br />

DDR gefl ohen, da sie vor allem mit dem politischen und wirtschaftlichen<br />

System dort nicht einverstanden waren.<br />

In den nächsten Jahren werden die Grenzanlagen immer weiter ausgebaut<br />

und perfektioniert. Die Betonmauer wächst, Drahtgitterzäune und<br />

weiträumige Sperrgebiete entstehen, die SED-Führung lässt Sperrgräben,<br />

Beobachtungstürme, Hundelaufanlagen, Minenfelder und Selbstschussanlagen<br />

einrichten. Die innerdeutsche Grenze, die sich auf insgesamt<br />

1.378 km erstreckt, gehört bald zu der am stärksten bewachten auf der<br />

Welt. Einen besonderen Abschnitt davon bildet die Berliner Mauer, die<br />

Westberlin umschließt.<br />

Trotz Stacheldraht und Mauer gelingt es immer wieder Flüchtlingen, unter Einsatz ihres Lebens die Grenze zu überwinden. 461.605 Menschen<br />

fl iehen zwischen 1961 und 1989 in die Bundesrepublik Deutschland; 38.101 davon sind sogenannte Sperrbrecher, die es direkt über die Grenzbefestigungen<br />

in den Westen schaffen. Sie nutzen Bulldozer, leere Tanks und Kofferräume mit doppeltem Boden, falsche Papiere und Uniformen, bauen Tunnel<br />

und Flugapparate. Vielen gelingt die Flucht jedoch nicht. Mehrere Hundert sterben. Sie werden von den Grenzsoldaten erschossen, ertrinken in den<br />

Grenzgewässern oder erleiden tödliche Unfälle auf der Flucht.<br />

‘‘<br />

Die Flucht.<br />

Aus einem Zeitzeugengespräch mit Ulrich Pfeifer<br />

4<br />

DIE BERLINER MAUER<br />

„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“<br />

Walter Ulbricht, Staatsratsvorsitzender der DDR am 15. Juni 1961<br />

Mauerbau-Beginn 13. August 1961<br />

Öffnung 9. <strong>No</strong>vember 1989<br />

Todesopfer an der Berliner Mauer 136<br />

Gesamtlänge der Berliner Mauer 155,0 km<br />

Beobachtungstürme 302<br />

Bunker 20<br />

Hundelaufanlagen 259<br />

Kontakt- bzw. Signalzaun 127,5 km<br />

Hunde 992<br />

Angehörige der Grenztruppen 11.504<br />

Quelle: www.chronik-der-mauer.de<br />

Meine Flucht lief in der Nacht vom 7. zum 8. September 1961. Wir haben uns nachts um eins in der Gleimstraße getroffen.<br />

Wir waren zu sechst, der siebente war der sogenannte Deckelmann. Das war derjenige, der, nachdem alle eingestiegen waren, den Deckel wieder zumachen<br />

musste. Wir haben so bis um halb zwei in einem Hauseingang gewartet, bis es auf der Straße ruhig war. Wir beiden Männer haben dann erst mal diesen<br />

Deckel mithilfe von Haken aufgemacht. Dann ging es los. Der andere Mann ist als Erster eingestiegen, dann nacheinander die vier Mädchen. Wir waren alle<br />

so im gleichen Alter, zwischen 20 und 25 Jahren. Ich bin als Letzter hinterher und habe dabei dem Mädchen vor mir fürchterlich auf die Finger getreten. Ich<br />

hörte noch, wie der Deckel oben zuging. Am Anfang hatte der Kanal vielleicht eine Höhe von einem Meter dreißig. Man musste also gebückt gehen.<br />

Weiter Richtung Wedding wurde er dann aber immer größer. Das war so ein alter gemauerter Hauptsammler, ein Mischsystem, also Schmutzwasser und<br />

Regenwasser zusammen. Es war eigentlich sehr ekelhaft, aber das spielte in dem Moment keine Rolle. In der Ferne sahen wir schon das Aufblitzen einer<br />

Taschenlampe. Wir wussten ja, dass Studenten auf der Westseite in der Kanalisation sind und uns erwarten. Ein Problem gab es noch, das war uns erst gar<br />

nicht so klar. An der Grenze war schon ein Gitter in der Kanalisation eingebaut. Es hatte aber unten Bodenfreiheit. Wenn man nicht allzu dick war, konnte<br />

man unten drunter durchrutschen. Man musste also wirklich auf Deutsch gesagt in die Scheiße tauchen. Die Kanalisation machte dann so einen Knick im<br />

Westen und war vom Osten nicht mehr einsehbar. Dort wurden wir von den Studenten empfangen. Über dem<br />

‘‘<br />

Gullydeckel stand ein Bus.<br />

Wir sind rein in den Bus, Deckel zu und weggefahren. Das war also meine Flucht.<br />

Quelle: www.berliner-mauer-dokumentationszentrum.de/de/ulrich-pfeifer-534.html<br />

Arbeitsauftrag<br />

Dieses Foto geht um die Welt: Mit einem<br />

gewagten Sprung über den Stacheldraht fl ieht<br />

am 15. August 1961 der NVA-Soldat Hans<br />

Conrad Schumann aus der DDR in den Westen.<br />

Was machte die Mauer zum Todesstreifen“?<br />

“<br />

Guck dir den Film der Deutschen Welle „EINGEMAUERT!<br />

Die innerdeutsche Grenze“ an und notiere, mit welchen Mitteln<br />

die DDR-Führung die Grenzanlage sicherte.<br />

Wofür stehen Begriffe wie „Stalinrasen“, „Aktion ,Ungeziefer’”,<br />

„Signalzaun“?<br />

Den Film fi ndest du im Internet unter:<br />

www.dw-world.de/dw/article/0,,4434532,00.html<br />

e Audios und Videos zum Thema<br />

Zeitbild Wissen 29


30<br />

Der Eiserne Vorhang lief als Mauer<br />

mitten durch sie hindurch. Seit der<br />

Wiedervereinigung hat wahrscheinlich<br />

jeder Berliner, der Gäste von außerhalb<br />

der Stadt empfangen hat, die Frage gehört:<br />

„Wo stand eigentlich die Mauer?“<br />

Dieses Arbeitsblatt zeigt dir einige Beispiele,<br />

wo in Berlin noch heute Spuren<br />

der Mauer und der DDR zu fi nden sind.<br />

Der Berliner Mauerweg<br />

Der als Rad- und Wanderroute konzipierte<br />

Berliner Mauerweg ist etwa 160<br />

Kilometer lang und führt über 14 Einzelstrecken<br />

rund um das einstige West-<br />

Berlin. An mehr als 40 Stationen bietet<br />

er mehrsprachige Informationen rund<br />

um das geteilte Deutschland. Von ehemaligen<br />

Grenzanlagen über Mauerreste<br />

bis hin zu ehemaligen Kontrollpunkten<br />

gibt es einiges zu entdecken.<br />

www.berlin.de/mauer<br />

Gedenkstätte<br />

Berliner Mauer an der<br />

Bernauer Straße<br />

Die Bernauer Straße erzählt eine<br />

besonders dramatische Geschichte der<br />

Teilung Berlins: Während sich der<br />

Gehweg in West-Berlin befand, lagen<br />

die Häuser wiederum schon im sowjetischen<br />

Sektor und damit in Ost-<br />

Berlin. Um Fluchten nach Westen zu<br />

verhindern, mauerten die Grenztrup-<br />

Wo stand eigentlich die Mauer? 5Berlin ist eine geschichtsträchtige Stadt.<br />

Zeitbild Wissen<br />

Orte des Erinnerns<br />

Arbeitsauftrag<br />

pen die Fenster der unteren Etagen zu;<br />

Fluchtwillige versuchten daraufhin, aus<br />

den oberen Stockwerken nach West-<br />

Berlin zu entkommen.<br />

www.berliner-mauergedenkstaette.de<br />

East Side Gallery<br />

Die East Side Gallery ist ein noch erhaltener<br />

1,3 Kilometer langer Abschnitt der<br />

Berliner Mauer, der von Künstlern aus<br />

aller Welt bemalt worden ist. Mehr als<br />

100 Bilder erzählen von der Geschichte<br />

Deutschlands und Berlins und gaben der<br />

Mauer in der Zeit nach 1989 ein neues<br />

Gesicht. Die Galerie ist weit über die<br />

Grenzen Deutschlands hinaus zu einem<br />

Denkmal für Freiheit geworden.<br />

www.eastsidegallery.com<br />

Checkpoint Charlie<br />

und das Mauermuseum<br />

Checkpoint Charlie war einer der bekanntesten<br />

Grenzübergänge zwischen West-<br />

und Ost-Berlin; heute erinnert daran ein<br />

nachgebildetes Wachhäuschen. Unmittelbar<br />

neben der Touristenattraktion<br />

befindet sich außerdem das Mauermuseum,<br />

das über die Geschichte der<br />

Mauer, spektakuläre Fluchten und den<br />

weltweiten Einsatz für Menschenrechte<br />

informiert.<br />

www.mauermuseum.de<br />

Stasi-Museum<br />

(Forschungs- und Gedenkstätte<br />

<strong>No</strong>rmannenstraße)<br />

In der vom Volksmund als Stasi-Museum<br />

bezeichneten Forschungs- und Gedenkstätte<br />

<strong>No</strong>rmannenstraße können Besucher<br />

u. a. die Original-Büroräume Erich<br />

Mielkes (ehemaliger Minister für Staatssicherheit<br />

in der DDR) besichtigen. Zu<br />

DDR-Zeiten war in dem Gebäude die<br />

Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit<br />

(„Stasi“) untergebracht.<br />

www.stasimuseum.de<br />

Ehemaliges Stasi-Gefängnis<br />

(Gedenkstätte Berlin-<br />

Hohenschönhausen)<br />

Gebäude und Einrichtung der Gedenkstätte<br />

vermitteln ein authentisches Bild<br />

vom ehemaligen Untersuchungsgefängnis<br />

des Ministeriums für Staatssicherheit.<br />

Die Besucher werden meist von früheren<br />

Gefangenen über das Gelände geführt,<br />

die aus eigener Erfahrung über die Haftbedingungen<br />

und Verhörmethoden des<br />

DDR-Staatssicherheitsdienstes berichten<br />

können.<br />

www.stiftung-hsh.de<br />

Unten siehst du die Umrisse von Berlin. Markiere rot, wo die Mauer verlief.<br />

Zeichne dann die Grenzen der vier ehemaligen Sektoren ein (USA, Vereinigtes<br />

Königreich, Frankreich, Sowjetunion).


Leben und Alltag in der DDR werden<br />

oftmals mit Stasi, Bespitzelung<br />

und staatlicher Überwachung der<br />

Bevölkerung in Verbindung gebracht.<br />

Doch was genau war die<br />

Staatssicherheit in der DDR?<br />

1950 wurde das Ministerium<br />

für Staatssicherheit (MfS),<br />

im Volksmund auch Stasi genannt,<br />

von der SED als Geheimpolizei und<br />

geheimer Nachrichtendienst der<br />

DDR gegründet. Im<br />

Laufe der Zeit<br />

entwickelte sich das Ministerium<br />

zu einem umfassenden Spitzelapparat<br />

und sorgte somit für eine<br />

fl ächendeckende Überwachung<br />

der eigenen Bürger. Jeder vermeintliche<br />

oder echte Gegner des<br />

SED-Regimes wurde überwacht<br />

und kontrolliert.<br />

Im Jahr der 6Gesamt<br />

Mitarbeiter des MfS: Aufl ösung 1989 1950 –1989<br />

Jeder konnte ein Spitzel sein ...<br />

Das MfS hat zahlreiche Methoden<br />

und Hilfsmittel entwickelt, um die<br />

Bevölkerung in allen Lebensbereichen<br />

verdeckt überwachen zu<br />

können. So wurden Telefongespräche<br />

abgehört, Räume durchsucht,<br />

die Post kontrolliert und Verdächtige<br />

permanent beobachtet. Hinzu<br />

kamen Repressionen wie Verhaftungen,<br />

Gewaltanwendung, Unterdrückung<br />

und<br />

Ausbürgerung, um<br />

politisch Andersdenkende einzuschüchtern<br />

und deren Aktivitäten<br />

zu unterbinden.<br />

90.000 Briefe und 60.000 Pakete wurden pro Tag kontrolliert.<br />

Neben den hauptamtlichen<br />

Mitarbeitern, die direkt<br />

und offi ziell beim MfS beschäftigt<br />

waren, gab es die größere Gruppe<br />

der Inoffiziellen Mitarbeiter<br />

(kurz IM).<br />

Günter Guillaume – der Kanzlerspion<br />

Vom MfS ausgebildet, siedelt Günter Guillaume 1956 als geheimer<br />

DDR-Agent in die Bundesrepublik und wird später ein enger Mitarbei-<br />

ter und Vertrauter des Bundeskanzlers Willy Brandt. Er erhält Zugang<br />

zu vertraulichen Akten und Informationen des Bundeskanzleramts und<br />

gibt sie an die Staatssicherheit weiter. Seine Enttarnung 1974 löst einen<br />

Skandal in der Bundesrepublik aus und zieht den Rücktritt von Bundeskanzler<br />

Brandt nach sich. Guillaume wird wegen Landesverrats zu 13<br />

Jahren Haft verurteilt und 1981 in die DDR entlassen.<br />

Hauptamtliche Mitarbeiter: 91.000 250.000<br />

Inoffi zielle Mitarbeiter: 189.000 * 600.000<br />

* inkl. Auslandsgeheimdienst Hauptverwaltung Aufklärung<br />

Quelle: BStU<br />

Die Inoffi ziellen Mitarbeiter<br />

waren die „Hauptwaffe“ des MfS<br />

– die direkte Verbindung zwischen<br />

dem Ministerium und der Bevölkerung.<br />

Ohne direktes Arbeitsverhältnis<br />

und unter einem Decknamen<br />

sammelte jeder<br />

IM Informationen,<br />

beispielsweise über verdächtige<br />

Personen oder die gesellschaftliche<br />

Stimmung. Sie beobachteten dabei<br />

nicht nur ihnen fremde Menschen,<br />

sondern auch Kollegen und Nachbarn<br />

bis hin zu eigenen Familienmitgliedern.<br />

Die Berichte wurden an das<br />

Ministerium weitergegeben und in<br />

den Stasi-Akten festgehalten.<br />

Erstürmung des MfS:<br />

Am 15. Januar 1990 wird die Zentrale<br />

der Staatssicherheit in der<br />

Ost-Berliner <strong>No</strong>rmannenstraße<br />

gestürmt. Die Ost-Berliner wollen<br />

damit die Vernichtung der Stasi-<br />

Akten stoppen, die kurz nach dem<br />

Mauerfall begonnen hatte. Mit Beitritt<br />

der DDR zur Bundesrepublik<br />

ist das MfS endgültig aufgelöst.<br />

160 Kilometer Akten<br />

16.000 Säcke vorvernichteter Akten (Papierschnipsel)<br />

1) Wofür stehen folgende Abkürzungen?<br />

Was waren/sind die Aufgaben der dahinter stehenden Institutionen und Personen?<br />

Abkürzung Name Aufgaben<br />

MfS:<br />

IM:<br />

BStU:<br />

2) In welchen Ländern gibt es heute noch politische Gefangene?<br />

Aus welchen Gründen werden sie inhaftiert?<br />

3) Schau dir den Film „Das Leben der Anderen“ an.<br />

Skizziere stichwortartig deine ersten Eindrücke von dem Film.<br />

Welche Methoden der Stasi werden in dem Film klar herausgestellt?<br />

Am Tag der Wiedervereinigung,<br />

dem 3. Oktober 1990, wird<br />

Joachim Gauck zum Bundesbeauftragten<br />

für die Unterlagen des<br />

Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen<br />

Deutschen Demokratischen<br />

Republik (BStU) ernannt.<br />

Die Behörde des Bundesbeauftragten<br />

(kurz: Gauck-Behörde)<br />

sichert die Stasi-Akten und stellt sie<br />

der Öffentlichkeit zur Verfügung. Die<br />

Behörde, von 2000 bis 2010 unter<br />

der Leitung von Marianne Birthler,<br />

trägt massiv zur Aufarbeitung des<br />

MfS und der SED-Diktatur bei. Sie<br />

informiert die Öffentlichkeit über<br />

Methoden, Struktur und Wirkungsweise<br />

des MfS.<br />

Arbeitsauftrag<br />

Zeitbild Wissen<br />

31 3


7<br />

Seit dem Jahr 2000 ist Marianne<br />

Birthler Bundesbeauftragte<br />

für die Unterlagen<br />

des Staatssicherheitsdienstes<br />

der ehemaligen DDR und<br />

setzt sich aktiv für die Aufarbeitung<br />

der Stasi-Akten ein.<br />

2006 wurde sie vom Bundestag<br />

mit großer Mehrheit in<br />

diesem Amt bestätigt. Die<br />

Behörde der Bundesbeauftragten<br />

(BStU) bewahrt in<br />

ihren Archiven die Unterlagen<br />

des Ministeriums für Staatssicherheit<br />

der DDR auf: insgesamt<br />

160 Kilometer Akten,<br />

Karteikarten, Filme, Tondokumente,<br />

Mikrofi ches. Bürgerinnen und Bürger sowie Institutionen können<br />

dort nach den gesetzlichen Vorschriften des Stasi-Unterlagen-Gesetzes<br />

(StUG) eine Akteneinsicht beantragen. Seit 1991 sind etwa 6,5 Millionen<br />

Anträge und Ersuche eingegangen. Außerdem unterrichtet die Behörde<br />

die Öffentlichkeit über die Herrschaftsmethoden der ehemaligen SED als<br />

kommunistische Staatspartei der DDR und über ihre Geheimpolizei.<br />

Frage: _______________________________________________<br />

32 Zeitbild Wissen<br />

Der Vergangenheit ins Auge sehen<br />

_______________________________________________ ?<br />

„Ich komme aus einer Ost-Berliner Familie, die sich, solange ich zurückdenken<br />

kann, in einer kritischen Distanz zur DDR befand. Darum bin ich<br />

mit einer DDR-kritischen Haltung aufgewachsen.“<br />

Frage: _______________________________________________<br />

_______________________________________________ ?<br />

„Meine Mutter hat nicht öffentlich der herrschenden Politik widersprochen.<br />

Aber sie hat uns zu Hause so etwas wie die Liebe zur Freiheit<br />

eingepfl anzt. Wir haben Radio und Fernsehen aus dem Westen empfangen.<br />

Wir haben die Übertragungen von Bundestagsdebatten angeschaut.<br />

Unsere Mutter hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie die Bundesrepublik<br />

für eine Demokratie hält, in der die Menschen in Freiheit leben.<br />

Die DDR dagegen war in ihren Augen ohne Zweifel eine Diktatur.“<br />

Frage: _______________________________________________<br />

_______________________________________________ ?<br />

Arbeitsauftrag<br />

„Selbstverständlich hat man öffentlich nicht darüber gesprochen, auch<br />

in der Schule nicht. Aber viele Menschen wussten voneinander, dass sie<br />

Westsender einschalten. Und privat wurde darüber auch diskutiert, über<br />

Nachrichten oder auch darüber, welcher Krimi im Fernsehen gelaufen ist.<br />

Allerdings muss man sich klar machen: Ich spreche jetzt von der späten<br />

DDR. Da waren die Verhältnisse im Land schon etwas anders.“<br />

Frage: _______________________________________________<br />

_______________________________________________ ?<br />

„In den Oppositionsgruppen waren wir uns nur einig, wogegen wir sind.<br />

Wir haben uns gegen die bestehenden Verhältnisse in der DDR eingesetzt.<br />

Wir wollten mehr Selbstbestimmung, wir wollten nicht mehr länger<br />

bevormundet werden. Konkrete Vorstellungen oder Zukunftsvisionen<br />

hatten wir nicht. Für uns stand die Auseinandersetzung mit den konkreten<br />

Missständen im Staat an oberster Stelle. Aber ein klares Bild von dem, was<br />

einmal daraus werden soll, das hatten wir nicht.“<br />

Frage: _______________________________________________<br />

_______________________________________________ ?<br />

„Natürlich war ich überglücklich, als sich die Grenze nach Westen öffnete.<br />

Aber der Fall der Mauer war nur ein Tag in einer ganzen Reihe von Ereignissen.<br />

Ihm ging etwas voraus, was das historische Ereignis erst möglich<br />

machte. Und das war die friedliche Revolution. Sie war entscheidend für<br />

die Entwicklung in der DDR – ohne sie wäre die Mauer nicht gefallen. Wir<br />

waren unendlich erleichtert, dass die SED-Diktatur auf diese friedliche<br />

und unblutige Weise ein Ende fand.“<br />

Frage: _______________________________________________<br />

_______________________________________________ ?<br />

„Vor allem, weil ich es für wichtig halte, dass sich Menschen über ihre<br />

eigene Vergangenheit klar werden. Wir müssen wissen, wie Diktaturen<br />

funktionieren, und wie sich Menschen unter den Bedingungen einer Diktatur<br />

verhalten. Das trägt dazu bei, Freiheit und Demokratie wertzuschätzen<br />

und nicht für selbstverständlich zu halten. Das ist wichtig, wenn es darum<br />

geht, Demokratie zu gestalten.“<br />

Frage: _______________________________________________<br />

_______________________________________________ ?<br />

„Nein. Das wäre doch eine Illusion. Wie sollte das aussehen? Dann<br />

müssten wir auch Interviews wie dieses verbieten oder den Unterrichtsstoff<br />

über die DDR aus den Schulen entfernen. In einer Demokratie ist so<br />

ein Schlussstrich überhaupt nicht machbar – zum Glück.“<br />

Im Interview mit Marianne Birthler sind alle Interview-Fragen<br />

verschwunden. Versetze dich in die Rolle eines Reporters, lies<br />

aufmerksam die Antworten von Frau Birthler und formuliere<br />

die passenden Fragen dazu. Welche Frage würdest du der<br />

Beauftragten für die Stasi-Unterlagen zusätzlich stellen?<br />

Manche halten es für besser, sich heute nicht mehr mit dem Thema<br />

DDR-Vergangenheit auseinanderzusetzen. Was meinst du?<br />

Begründe deine Aussage mit mindestens drei Argumenten.<br />

Quelle: „Deutschland“ magazine, April/Mai 2009, Oliver Sefrin


Wie war das in der DDR eigentlich ...<br />

8<br />

... mit der Meinungs- und Pressefreiheit? Das Witzblatt „Kobold“ – ein Beispiel für die Willkür<br />

der Staatsmacht in der DDR<br />

Im Jahr 1953 beschlossen der Elftklässler Rudhard Klaus Müller und seine<br />

Klassenkameraden, einen Verein und die Monatszeitschrift „Kobold“ zu<br />

Kommt ein Mann zur Volkspolizei und sagt, er<br />

möchte in die DDR ausreisen. „Aber, guter Mann“, wird<br />

er unterrichtet, „Sie sind doch in der DDR.“ „Nein, nein“,<br />

antwortet der, „ich möchte in die DDR, die jeden Abend<br />

in den Nachrichten gezeigt wird.“<br />

Art. 27 Abs. 2 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik<br />

vom 9. April 1968: „Die Freiheit der Presse, des Rundfunks und<br />

des Fern sehens ist gewährleistet.“<br />

WIRKLICH?<br />

Printmedien und Rundfunk waren<br />

in der DDR das „Sprachrohr“ der<br />

Partei, wie und worüber berichtet<br />

wurde, bestimmte der Staat. Das<br />

Motto lautete: „Unsere Presse,<br />

die schärfste Waffe der<br />

Partei.“ Journalisten wurden<br />

zentral an der „Sektion Journalistik<br />

der Karl-Marx-Universität“ in<br />

Leipzig ausgebildet, „Marxismus-<br />

Leninismus“ war Pfl ichtfach.<br />

Eine förmliche Zensur gab es zwar<br />

nicht, aus dem „Presseamt beim<br />

Vorsitzenden des Ministerrats“<br />

bekamen die Redaktionen jedoch<br />

mehrmals wöchentlich die kuriosesten<br />

Anweisungen auf den Tisch:<br />

• „Kein Protokollobst auf<br />

den Tischen fotografi eren<br />

(sonst wird die Bevölkerung<br />

neidisch).“<br />

• „Nichts über selbstgebaute<br />

Fluggeräte (sonst hauen uns<br />

die Leute ab).“<br />

• „Nichts über Bratwurststände<br />

(die Leute essen<br />

schon genug Fleisch).“<br />

(Quelle: Gunter Holzweißig, Bundesarchiv Berlin,<br />

1997: Zensur ohne Zensor)<br />

Häufi g sahen die Titelseiten der<br />

zahlreichen DDR-Tageszeitungen<br />

erstaunlich gleich aus.<br />

Grund waren Anweisungen wie<br />

diese:<br />

„Für die Ausgaben vom<br />

Sonnabend erhaltet Ihr den<br />

,Aufruf zum Jahrestag der<br />

Gründung der DDR‘. Wir<br />

bitten Euch, den Schriftgrad<br />

so zu wählen, dass die Seiten<br />

1 und 2 ausschließlich diesen<br />

Materialien gewidmet sind.“<br />

(Quelle: ebd.)<br />

Arbeitsauftrag<br />

Lies dir folgende Quelle<br />

aufmerksam durch:<br />

„Information = von Klasseninteressen<br />

bestimmte Übermittlung von<br />

Erkenntnissen an Menschen und<br />

Menschengruppen mit dem Ziel, auf ihr<br />

Denken, Fühlen und Handeln einzuwirken.“<br />

aus: Wörterbuch der sozialistischen Journalistik,<br />

Karl-Marx-Universität Leipzig, 1981<br />

Diskutiere:<br />

Welche Auswirkungen hat<br />

diese Definition auf die<br />

Praxis des Journalismus?<br />

gründen. Von diesem – in Form einer Hochzeitszeitung aufgemachten<br />

– Witzblatt, das keine einzige politische Anspielung enthielt, erschien<br />

genau eine Ausgabe. Dann kam es zum Prozess. Am letzten Tag vor<br />

den Osterferien hatten die Jugendlichen vor einer Vollversammlung<br />

zu erscheinen, zu der sich nicht nur die Lehrer und restlichen Schüler,<br />

sondern auch der Kreisschulrat, der Erste Sekretär der FDJ-Kreisleitung<br />

und der Zweite Sekretär der SED-Kreisleitung zusammengefunden<br />

hatten. Der aus der Luft gegriffene Vorwurf: staatsfeindliches Verhalten.<br />

Die Eltern des „Vereinspräsidenten“ und des „Chefredakteurs“ des<br />

Witzblatts erhielten nach dem Schauprozess ein Schreiben, in dem<br />

ihnen mitgeteilt wurde, ihre Söhne seien „mit sofortiger Wirkung vom<br />

weiteren Oberschulbesuch beurlaubt. Grund: Bildung und Organisation<br />

einer jugendlichen Geheimorganisation.“ Lediglich ihrer Hartnäckigkeit<br />

und ihren anhaltenden Protesten ist es zu verdanken, dass die<br />

beiden jungen Männer schließlich „nur“ an zwei verschiedene Schulen<br />

in benachbarten Städten verbannt wurden. Heute ist Rudhard Klaus<br />

Müller Professor für Forensische Toxikologie.<br />

... mit der Reisefreiheit?<br />

Einfach mal die Freundin im Westen besuchen? Urlaub in Süddeutschland<br />

machen? Das war ab 1961 nicht mehr möglich. Ausnahmen<br />

wurden, wenn überhaupt, nur auf Antrag gewährt – bei Familienfesten<br />

oder dem Tod eines Verwandten und nur als Einzelperson. Reisen ins Ausland<br />

waren nur in europäische sozialistische Länder, wie Polen oder die<br />

damalige Tschechoslowakei (heute: Tschechien und Slowakei), erlaubt.<br />

... mit der<br />

Berufsfreiheit?<br />

Bäcker werden, Ärztin oder Ingenieur?<br />

Welche Ausbildung oder<br />

welchen Arbeitsplatz man bekam,<br />

hing nicht nur von der schulischen<br />

Leistung ab – Jugendliche aus oppositionellen<br />

oder christlichen Familien<br />

beispielsweise hatten kaum<br />

eine Chance auf Abitur und Studium.<br />

Voraussetzung, um in der<br />

DDR studieren zu können, war<br />

eine positive Einstellung gegenüber<br />

dem „Arbeiter- und Bauernstaat“,<br />

die sich z. B. durch die Mitgliedschaft<br />

in der Freien Deutschen<br />

Jugend (FDJ) belegen ließ.<br />

Zeitbild Wissen<br />

33


Jahre nach d920<br />

er Wiedervereinigung blicken<br />

manche Ostdeutsche zurück und sind<br />

der Meinung: Eigentlich war das Leben in der<br />

DDR doch gar nicht so übel.<br />

„Man dachte nicht mehr an die Todesschüsse<br />

an der Mauer und an die Stasi, sondern an<br />

die schönen Seiten seiner eigenen Vergangenheit.<br />

Auch in der DDR hat man schließlich viel<br />

Freude haben können, man hat geheiratet,<br />

Feste gefeiert, Kinder großgezogen und schöne<br />

Urlaubszeiten an der Ostsee erlebt. Diese Dinge<br />

fanden nicht statt, weil wir Ostdeutschen von<br />

der SED regiert wurden, sondern obwohl! Es gab<br />

privates Glück, Freiheit aber gab es nicht.“<br />

(Rainer Eppelmann, Vorstandsvorsitzender der<br />

Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur,<br />

3. Juni 2008, Reuchlinhaus Pforzheim)<br />

Als positive Aspekte in der DDR<br />

werden häufi g das Fehlen von<br />

Arbeitslosigkeit und ein besseres<br />

Gesundheitssystem genannt. Viele,<br />

vor allem jüngere Menschen, glauben<br />

außerdem, die Stasi sei nur<br />

ein „gewöhnlicher Geheimdienst“<br />

gewesen. Mythos oder Wirklichkeit<br />

– was steckt dahinter?<br />

„In der DDR gab es<br />

keine Arbeitslosigkeit. “<br />

In der DDR hatte jeder Bürger ein<br />

Recht auf Arbeit, offi ziell herrschte<br />

Vollbeschäftigung. In Wahrheit jedoch<br />

gab es eine hohe verdeckte<br />

Arbeitslosigkeit. Wie das ifo Institut<br />

für Wirtschaftsforschung e. V. im<br />

Jahr 1990 ermittelte, gab es in der<br />

DDR Hunderttausende unproduktive<br />

Arbeitsplätze; die verdeckte<br />

Arbeitslosigkeit lag somit bei 15<br />

bis 30 Prozent.<br />

34 Zeitbild Wissen<br />

Verklärung oder Wirklichkeit?<br />

„In der DDR gab es<br />

ein besseres<br />

Gesundheits system. “<br />

Die Lebenserwartung der<br />

Menschen in Ostdeutschland lag<br />

zu DDR-Zeiten etwa vier Jahre<br />

unter der in Westdeutschland.<br />

Ein Grund hierfür war die<br />

Situation des staatlichen Gesundheitswesens.<br />

Zwar ist es richtig,<br />

dass Ärzte und Krankenhauspersonal<br />

in der DDR gut ausgebildet<br />

waren – häufi g unerwähnt<br />

bleiben jedoch der Mangel an<br />

Fachkräften und Medikamenten<br />

und das Fehlen medizinisch-<br />

technischer Geräte.<br />

„In der DDR gab es<br />

freie Wahlen. “<br />

Wahlen in der DDR waren, um es<br />

mit den Worten von Zeitzeugen<br />

zu sagen, reines Zettelfalten. Die<br />

„Wähler“ bekamen eine Einheitsliste<br />

und in der Theorie die Möglichkeit,<br />

einzelne Namen darauf<br />

durchzustreichen. Schon wer eine<br />

Wahlkabine nutzte, machte sich<br />

jedoch verdächtig; Streichungen<br />

wurden nicht berücksichtigt. Bekannt<br />

gegeben wurde regelmäßig<br />

eine Zustimmung der vorgegebenen<br />

Einheitsliste von mehr als 99<br />

Prozent – in einer Demokratie mit<br />

freien Wahlen undenkbar.<br />

Arbeitsauftrag Setzt euch in Kleingruppen<br />

zusammen und überlegt:<br />

Welche Mythen über andere<br />

Kapitel der deutschen<br />

Geschichte, z. B. über das<br />

Dritte Reich, gibt es?<br />

Präsentiert eure<br />

Überlegungen der Klasse.<br />

„Die Stasi<br />

war ein gewöhnlicher<br />

Geheimdienst. “<br />

Das Ministerium für Staatssicherheit<br />

der DDR war kein reiner Geheimdienst,<br />

es verfügte auch über<br />

polizeiliche und staatsanwaltliche<br />

Vollmachten. Die Stasi war berechtigt,<br />

„Staatsfeinde“ zu verhaften,<br />

nicht selten wurden Häftlinge<br />

unter Folter zu „Geständnissen“<br />

gezwungen. Zahllose Männer und<br />

Frauen wurden von den offi ziellen<br />

und Inoffi ziellen Mitarbeitern (IM)<br />

der Stasi bespitzelt. Von der SED<br />

wurde die Stasi als „Schild und<br />

Schwert“ der Partei bezeichnet.


‘‘<br />

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist in der<br />

DDR aufgewachsen und hat das Leben dort bis zur<br />

Wiedervereinigung unmittelbar miterlebt. In der<br />

ARD-Sendung „Menschen bei Maischberger“ erzählt<br />

sie über ihre Erfahrungen von damals:<br />

Die DDR war auf Unrecht gebaut und konnte damit<br />

kein Rechtsstaat mehr werden. Das heißt, Lüge war immer<br />

das Thema auf der Tagesordnung, wenn es an den<br />

Machtanspruch der Arbeiterklasse und der SED ging.<br />

Man konnte die Wahrheit sagen, aber immer wenn es<br />

um Macht ging, hat man Menschen in ihrer Wahrheit<br />

eingeschränkt.<br />

Doch das Leben funktionierte auch normal. Das private<br />

Leben war ein Leben, das mit gleichen Werten wie im<br />

Westen getragen war. Es gab Freundschaften, man<br />

hatte miteinander die Wahrheit ausgetauscht und sich<br />

persönlich nicht belogen. Man hat sich geholfen. Man<br />

hatte gut und schlecht gelaunte Eltern. Man hatte schöne<br />

Weihnachtsferien und wunderbare Urlaube. Es gab<br />

Ehrenamt. Das Leben bestand nicht nur aus Staat.<br />

Mit der Staatssicherheit haben wir auf eine bestimmte<br />

Art auch gelebt. In jeder Gruppe von zwanzig Menschen<br />

war immer einer, der gespitzelt hat. Wir haben oft in<br />

Gaststätten an die Lampe geklopft und gesagt: „Wenn<br />

ein Mikrofon drin ist – einschalten!“. Man hat versucht,<br />

sich von der Stasi nicht kirre machen zu lassen und es<br />

nicht immer existent sein zu lassen. Es gab Bürgerrechtler,<br />

die mit sehr viel Einsatz und Kraft gegen das Regime<br />

gekämpft haben.<br />

Wir hatten eine Partei mit Allmachtsanspruch, das heißt<br />

man konnte keine weitere Partei gründen. Recht auf<br />

freie Meinungsäußerung, freies Wahlrecht und Religionsfreiheit<br />

im umfassenden Sinne hatten wir nicht. All das,<br />

was wir heute als die Grundrechte des Grundgesetzes<br />

bezeichnen – das war in der DDR nicht vorhanden.<br />

Quelle: Angela Merkel, Auszüge aus einem Interview in der<br />

ARD-Sendung „Menschen bei Maischberger“ vom 19. Mai 2009)<br />

Arbeitsauftrag<br />

Lies dir beide Texte durch und<br />

beantworte folgende Frage:<br />

Was gab es Positives in der DDR<br />

und was war weniger schön für die<br />

DDR-Einwohner? Erstelle eine<br />

Übersicht mit deinen Ergebnissen und<br />

diskutiere in der Klasse, was davon<br />

den größten Einfluss auf das Leben<br />

in der DDR hatte.<br />

Frage deine Großeltern oder<br />

Bekannte, was sie dir über das<br />

Leben in der DDR erzählen<br />

können. Tragt die Ergebnisse in<br />

der Klasse zusammen.<br />

‘‘<br />

‘‘<br />

Julia Barczak, Schülerin einer 9. Klasse aus<br />

Hannover, hat die DDR nicht persönlich erlebt.<br />

Trotzdem hat sie sich mit dem Leben in der<br />

DDR auseinandergesetzt:<br />

Bevor man sich mit dem Wie und Warum der Deutschen<br />

Einheit beschäftigt, sollte man sich erst mal ein<br />

paar grundlegende Fragen zum Leben in der Deutschen<br />

Demokratischen Republik (DDR) stellen. Man hört oft<br />

kontroverse Aussagen zu diesem recht schwierigen Thema.<br />

Viele Leute (auch gerade ehemalige DDR-Bürger) behaupten,<br />

es sei alles „gar nicht so schlimm“ gewesen,<br />

während man oft vom „menschenverachtenden Regime“<br />

der DDR spricht.<br />

Unbestritten ist, dass es in der DDR einige wirtschaftliche<br />

Schwierigkeiten gab, obwohl die Industrie sich im<br />

Ostblock gut entwickelt hatte. Der Lebensstandard der<br />

Bevölkerung war nicht sehr hoch, aber der Staat befriedigte<br />

die elementaren Grundbedürfnisse der Menschen.<br />

Hauptnahrungsmittel wie Brot und Kartoffeln waren<br />

sehr billig. Nur exklusive Lebensmittel wie Bananen,<br />

Schokolade, Kaffee und andere Genussmittel konnte<br />

man sich nicht immer leisten. Einfacher Lebensstil wurde<br />

großgeschrieben. (...)<br />

Das ist aber nur die eine Seite der DDR. Denn weit<br />

hergeholt ist das mit dem „menschenverachtenden<br />

Regime“ der DDR leider auch nicht.<br />

Das rigorose System der DDR machte vielen Leuten<br />

Schwierigkeiten. Es gab keine Reisefreiheit, Ausreise war<br />

strengstens verboten, es herrschte Pressezensur und es<br />

gab kein Demonstrationsrecht. Somit war die Politik alles<br />

andere als demokratisch, die Grundrechte wurden eingeschränkt.<br />

All das machte das Leben schwierig.<br />

Quelle: Julia Barczak<br />

auf www.jugend-themenguide.de<br />

Ein genaueres Bild über das Leben in der<br />

DDR kannst du dir im Internet machen,<br />

denn dort fi ndest du viele Fotos und<br />

Berichte. Suche ein oder zwei Bilder und<br />

präsentiere sie der Klasse.<br />

Diese Links könnten dir helfen:<br />

www.ddr-fotos.de,<br />

www.gruesse-aus-der-ddr.de<br />

10<br />

‘‘<br />

Leben in der DDR<br />

Zeitbild Wissen 35


11<br />

Am 7. Mai 2009 erschien<br />

in der „Frankfurter<br />

Allgemeinen Zeitung“<br />

eine Sonderbeilage zum<br />

Thema Mauerfall. Einer<br />

der Autoren, Marcus<br />

Jauer, sinniert, wie sein<br />

Leben verlaufen wäre,<br />

wenn die Mauer nicht<br />

gefallen wäre. Wenn es<br />

keine Wiedervereinigung<br />

gegeben hätte. Zu<br />

einem wirklichen Schluss<br />

kommt er nicht.<br />

Mit Sicherheit sagen<br />

kann er nur: Ich wäre<br />

heute vierunddreißig<br />

Jahre alt. Wahrlich<br />

interessant aber sind die<br />

Erinnerungen, die er an<br />

die Zeit der DDR hat.<br />

Die Erinnerungen eines<br />

ganz normalen jungen<br />

Mannes, der 15 Jahre alt<br />

war, als die Mauer fi el.<br />

36 Zeitbild Wissen<br />

Arbeitsauftrag<br />

Ich hatte Tanzstunde ...<br />

Am Abend, an dem die Mauer fi el, hatte ich Tanzstunde. ... Ich weiß noch, wie ich unter meinem<br />

Anorak zu schwitzen begann. Dann kam Atze und sagte, die Mauer sei offen.<br />

Ich weiß noch, wie wir in der Schule einmal einen Aufsatz geschrieben haben über das Jahr 2000,<br />

wenn alle Kohle aus der Erde geholt sein würde. Wir sollten uns vorstellen, wie schön es dann sei,<br />

die Gruben zu Seen gefl utet, Strände, Häfen, Promenaden, Radwege entlang der Ufer, neuer Wald. Im Grunde<br />

ist es genauso gekommen. Nur eben anders.<br />

Jedes Jahr vor den großen Ferien fragte unsere Klassenleiterin ab, was wir werden wollen. ... Alle Wünsche wurden<br />

auf dem Elternabend verlesen, wobei die Lehrerin gleich darauf verwies, dass unsere Volkswirtschaft so viele<br />

Automechaniker und Kindergärtnerinnen nicht gebrauchen könne und dass einige Jungs darüber nachdenken<br />

sollten, in die Armee zu gehen und einige Mädchen in die Brikettfabriken. Es war wie mit jeder Wahl in diesem<br />

Land, am Ende musste das Ergebnis stimmen.<br />

Das letzte Mal, dass wir gefragt wurden, bevor dann keiner mehr fragte, wollte ich tropische Landwirtschaft studieren.<br />

Die Lehrerin hatte von so einem Studium noch nie gehört. Aber ich wusste, dass es in Leipzig angeboten<br />

wurde und dass man damit später zum Beispiel nach Angola oder Moçambique kam, Länder, die als irgendwie<br />

sozialistisch galten. Ein Berufswunsch wie ein Ausreiseantrag. Ich frage mich, wie ich darauf gekommen bin. Ich<br />

wollte doch gar nicht weg.<br />

Ich war bei den Jungpionieren, den Thälmannpionieren und der Freien Deutschen Jugend. Ich habe immer gedacht,<br />

dass ich niemanden kannte, der nicht dabei war. Aber das stimmt nicht.<br />

Als im Herbst vor zwanzig Jahren die ersten Leute in Leipzig auf die Straßen gingen, habe ich im Staatsbürgerkundeunterricht<br />

den Führungsanspruch der Partei verteidigt, weil ich glaubte, dass jemand auf den Sozialismus aufpassen<br />

muss. ... Ich kann gar nicht sagen, wie ich zum Bürger dieses Staates geworden war. Mir gefi el das Kämpferische der<br />

Arbeiterlieder, der Zug der Massen bei den Demonstrationen, mir gefi el die Vorstellung, dass es eine Aufgabe gibt,<br />

die uns alle verbindet.<br />

Ich wohne heute allein in einer<br />

Wohnung, die fast doppelt so<br />

groß ist wie die Plattenbauwohnung,<br />

in der ich anfangs<br />

mit meinen Eltern und meinem<br />

Bruder wohnte. Es gibt in meinem<br />

Leben keine Aufgabe, die<br />

mich über meine Arbeit hinaus<br />

mit anderen verbindet. Ich habe<br />

für nichts Verantwortung außer<br />

für mich selbst. Ich habe nicht<br />

einmal ein Haustier. Als mich<br />

letztens jemand fragte, was ich<br />

für die Gesellschaft tue, habe<br />

ich gesagt, ich sei in der gesetzlichen<br />

Krankenkasse. Es war ein<br />

Witz, aber auch die Wahrheit.<br />

Es gibt eine Erinnerung an ein Gespräch mit meinem Vater, darüber, was aus mir werden soll. Was es auch sei, sagt<br />

er, es wäre gut, wenn ich dafür mit achtzehn in die Partei ginge. Ich konnte nicht erkennen, ob er es richtig fand<br />

oder nur hilfreich, und es störte mich, dass eine Sache, die als freiwillig galt, es auf einmal doch nicht war. Aber<br />

davon abgesehen, könnte ich nicht sagen, warum ich heute nicht in der Partei wäre.<br />

Quelle: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 7. Mai 2009, Marcus Jauer<br />

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.<br />

Stell dir vor, die Mauer wäre nicht gefallen.<br />

Wie wäre das Leben in Deutschland in den Neuen<br />

und den alten Bundesländern verlaufen?<br />

Lass deiner Fantasie freien Lauf und schreib eine<br />

kurze Geschichte (etwa eine DIN-A4-Seite).


12<br />

Geboren 1989/1990: In Deutschland können das insgesamt 1.786.134 junge Deutsche<br />

Zwei von 1.786.134<br />

über sich sagen. Wie ist die „Generation Wendekinder“ in einem wiedervereinten Deutschland ohne<br />

Grenzen zwischen Ost und West aufgewachsen? Wie leben sie heute und was ist ihnen wichtig?<br />

Was bedeutet ihnen die Deutsche Einheit? Zwei Jugendliche im Porträt:<br />

Der Verantwortungsbewusste<br />

Name: Kim-Fabian von Dall`Armi<br />

Geboren: 10.12.1989<br />

@home: Hamburg<br />

Die Grenze ist für seine Generation überwunden – davon ist Kim-Fabian<br />

überzeugt. Der 20-Jährige aus Hamburg kann sich schwer vorstellen, wie<br />

es für ihn gewesen wäre, in einem geteilten Deutschland aufzuwachsen.<br />

Das Land, das er kennt, ist das wiedervereinte Deutschland. Und dafür<br />

habe seine Generation Verantwortung. Kim-Fabian kennt die Neuen Bundesländer.<br />

Bereits als Kind begleitete er seinen Vater, einen Journalisten, der<br />

viel über die Länder des ehemaligen Ostblocks berichtete, auf dessen<br />

Reisen und verbrachte mit seinen Eltern die Ferien auf der Ostseeinsel<br />

Usedom. „Ich bin gerne im Osten unterwegs“, erzählt Kim-Fabian. Neben<br />

Berlin zählen zu seinen Lieblingsorten in Ostdeutschland der Harz, die<br />

Mecklenburgische Seenplatte und die Kulturstädte Weimar und Dessau.<br />

Mit Freunden aus Mecklenburg- Vorpommern hat er sich intensiver über<br />

die DDR ausgetauscht. Diskutieren, Themen aus<br />

Politik und Gesellschaft aus einer anderen<br />

Perspektive betrachten. Das will<br />

Kim-Fabian auch als Macher des Hamburger<br />

Jugendmagazins „Blickwechsel“.<br />

„Ich habe den Wunsch, in meinem<br />

Leben Dinge zu gestalten“, sagt<br />

der junge Hamburger. Sein späterer<br />

Berufswunsch Architekt passt gut zu<br />

dieser Einstellung.<br />

Arbeitsauftrag<br />

Die Nachwuchsreporterin<br />

Name: Tina Oerlecke<br />

Geboren: 30.6.1989<br />

@home: Haldensleben (Sachsen-Anhalt)<br />

Tina hat ihren eigenen Weg gefunden, die DDR-Vergangenheit<br />

aufzuarbeiten: Die 21-Jährige aus Sachsen-<br />

Anhalt hat im vorletzten Sommer ihre Abiturprüfung in<br />

Geschichte abgelegt und sich im Unterricht näher mit<br />

dem Mauerbau 1961 beschäftigt. Außerdem schreibt<br />

sie seit Ende 2008 als Nachwuchsjournalistin für das<br />

Projekt „Reporter `89“ der Stiftung Demokratische Jugend<br />

in Berlin. Die Idee: Jugendliche recherchieren Themen<br />

oder führen Interviews zur DDR-Geschichte und zum Mauerfall und<br />

schreiben darüber Reportagen. Für ihren ersten Artikel hat Tina mit einer<br />

Frau, die in der DDR gelebt hat, gesprochen und sie dazu befragt, wie sie<br />

die Mauer erlebt hat. „Ich begeistere mich für Geschichte und interessiere<br />

mich dafür, darüber zu schreiben“, erzählt die junge Frau, die gerne liest,<br />

Klavier spielt und seit einigen Monaten in Magdeburg Journalismus und<br />

Medienmanagement studiert. Für Wendekinder wie sie selbst sei die DDR<br />

etwa durch Erzählungen der Eltern noch präsent, sagt Tina. Ihre Generation<br />

sei schon etwas Spezielles – zwischen dem, was früher die DDR war<br />

und heute das geeinte Deutschland ist. „Bei mir gibt es aber keine Teilung<br />

mehr zwischen Ost und West. Im wiedervereinten Deutschland stehen<br />

mir viele Möglichkeiten offen.“ Als Reporterin des Jugendprojekts möchte<br />

sie vor allem einer Frage noch genauer nachgehen: Wie ist der Staat in der<br />

DDR mit oppositionellen Regimegegnern umgegangen?<br />

Quelle: „Deutschland“ magazine, April/Mai 2009, Oliver Sefrin.<br />

Es hat Annäherung zwischen Ost und West gegeben. Recherchiere und schreibe auf, was sich seit<br />

dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung in den folgenden Lebensbereichen verändert hat :<br />

- Reisefreiheit: .............................................................................................................................<br />

.............................................................................................................................<br />

- Ausbildung: .............................................................................................................................<br />

.............................................................................................................................<br />

- Schule: .............................................................................................................................<br />

.............................................................................................................................<br />

- Mediennutzung: .............................................................................................................................<br />

.............................................................................................................................<br />

Denken junge Leute immer noch zuerst als Ost- oder Westdeutsche?<br />

Begründe deine Antwort. Welche Kategorien sind statt Ost und West in deinem Leben wichtig?<br />

Zeitbild Wissen<br />

37


13 Joachim Gauck<br />

zum Thema friedliche Revolution<br />

Während ich Sie, George Bush, begrüße, schaut über Ihre Schultern Martin Luther , von dem wir hier im Osten 1989 gelernt<br />

haben, ohne Gewalt mächtig zu werden. Während ich Sie, Michail Sergejewitsch Gorbatschow, anspreche und begrüße, schaut Ihnen Andrej Sacharow<br />

über die Schulter mit seiner Fähigkeit, Denken und Widerstehen zusammenzubringen. (...)<br />

Liebe Landsleute und Gäste, wir alle haben gemerkt, dass die Deutschen in diesen Tagen nicht unbeschwert feiern. Manchmal gibt es gerade bei denen,<br />

die damals aktiv waren, Trauer und Wehmut, weil sie auch etwas verloren haben, nämlich die Aufbruchstimmung dieser so hektischen, lebendigen Zeit<br />

des heißen Herbstes 1989. Dieses Laboratorium der Politik, das damals entstand, hatte etwas so Lebendiges und Anrührendes: Basisgruppen in den<br />

Städten. Recht, Verfassung, Bildung, Kultur, Wahlrecht, Verwaltung, Justiz: Alles sollte neu erfunden werden, bei manchen auch die Wirtschaft, denn sie<br />

suchten nach dem sogenannten dritten Weg. Überall Aktivität der Inaktiven und Engagement der lange Entmündigten. Da mochtet ihr vom Westen<br />

lange ulken: Freunde, das Rad ist doch schon erfunden, mochtet „rührend“ fi nden, was sich unter uns vollzog. Es war aber traumhaft für jeden, der mittat,<br />

und riss selbst viele SED-Genossen mit: Es war ein Traum vom Leben und ganz wirklich!<br />

Wenn wir aber aus der nostalgischen Rückschau über den Verlust dieses Zustandes heraustreten, erkennen wir zweierlei, einmal etwas Vergängliches:<br />

Der schöne Frühling währt auch in der Politik nicht lange. Und auch etwas Bleibendes: Nicht in dem, was in dieser Zeit in den Bewegungen<br />

und Basisgruppen erfunden wurde, lag das Neue; das Neue waren der Anspruch und die Haltungen derer, die in der Regel zum ersten Mal in ihrem<br />

Leben politisch aktiv wurden. Als wir damals sagten „Wir sind das Volk“, knüpften wir an jene Tradition von Aufbegehrenden an, die einst in Frankreich<br />

, Egalité, Fraternité gefordert und sich in der Verfassung der Vereinigten Staaten selbstbewusst zum Souverän erhoben hatten<br />

mit dem Satz: „We, the people ...“. Wir waren nicht länger Objekt der Politik, sondern begannen selber zu gestalten. Wir ermächtigten uns, indem wir an<br />

unsere neue Rolle glaubten und sie annahmen. Manche lernten dabei, Bürgermeister zu sein, andere Abgeordnete und einige gar Minister. Laienspieler<br />

wurden diese ersten Aktiven von Beobachtern aus dem Westen, liebe Bayern, und aus dem Osten, liebe Berliner, gerne genannt. Wer damals mittat,<br />

weiß: Ein schönes Laienspiel war das.<br />

Hätte es doch länger gedauert, dass die Laien in der Politik mitspielten, und, so setzen wir hinzu, käme es doch auch jetzt häufi ger vor, dass ganz normale<br />

Mitbürger mitspielen! (...)<br />

Befreiung war also der erste Schritt. Der Wunsch nach Einheit stand in der ersten Zeit nicht im Vordergrund, und gerade die Bürgerrechtler<br />

waren spät dran mit dieser Erkenntnis. Es waren Intuition und Ungeduld des Volkes, die aus dem „Wir sind das Volk“ das<br />

„Wir sind “ machten. Der erste Satz hatte uns die Würde zurückgegeben. Der zweite ließ nicht nur die lange verschüttete<br />

Sehnsucht nach der Einheit der Nation aller Deutschen wieder aufl eben, er gab uns den Realismus, er enthielt die Weisheit des nächsten Schrittes:<br />

Nicht eine neu zu erfi ndende Demokratie war die Hoffnung der Massen, sondern die real existierende Demokratie vom Rhein.<br />

Uns Deutschen in West wie Ost war die Perspektive der Einheit ja fast gänzlich abhanden gekommen. Haben wir nicht geradezu herablassend über<br />

Ronald Reagan gelächelt, als er dem sowjetischen Staatschef vor dem Brandenburger Tor über die Mauer hinweg seine berühmten Worte zuraunte:<br />

„Please, Mr. Gorbatschow, “? An dieser Stelle sei auch an jene erinnert – der Herr Präsident hat es schon getan –, die nicht<br />

auf eine ferne Einheit warten wollten und einzeln ihren Weg ins Freie suchten: Ausreiser und Flüchtlinge. An sie zu denken heißt auch, sich derer zu<br />

erinnern, die ihren persönlichen Traum von der Freiheit mit dem Leben bezahlt haben. Beschämt denke ich manchmal daran, dass auch wir dagebliebenen<br />

Oppositionellen den Freiheitswillen der Weggehenden nicht richtig würdigen konnten. Tatsächlich hatten sie aber die individuelle Selbstbestimmung<br />

im Leben lange vor anderen umgesetzt. (...)<br />

Tatsächlich haben die Ostdeutschen mit ihrer – freilich kurzen – Revolution nicht nur sich selbst, sondern allen Deutschen ein<br />

historisches Geschenk gemacht. Wir alle gehören nun zur Familie der Völker, die durch Freiheitsrevolutionen gekennzeichnet<br />

sind, und haben für unsere niederländischen, französischen, polnischen und tschechischen Nachbarn ein besseres, vertrauenswürdigeres<br />

Gesicht. (...)<br />

Quelle: Rede von Joachim Gauck anlässlich der Sonderveranstaltung „10. Jahrestag des Mauerfalls“ im Deutschen Bundestag am 9.11.1999, www.bundestag.de<br />

Joachim Gauck ist evangelischer Pastor,<br />

Bürgerrechtler und war erster<br />

Bundesbeauftragter für die Unterlagen<br />

des Staatssicherheitsdienstes der<br />

ehemaligen DDR.<br />

38 Zeitbild Wissen<br />

Arbeitsauftrag<br />

Vervollständige den Text, indem<br />

du folgende Wörter in die<br />

entsprechenden Lücken einfügst :<br />

Liberté, tear down this wall,<br />

King, ein Volk


Von der Zentralverwaltungswirtschaft<br />

zur Sozialen Marktwirtschaft<br />

Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik<br />

Deutschland wurde am 3. Oktober<br />

1990 die Deutsche Einheit besiegelt. Nun<br />

waren wir Deutschen EIN Volk. Die Schaffung<br />

gleichwertiger Lebensverhältnisse für<br />

alle Deutschen – darum ging es in den<br />

Folgejahren.<br />

Alles lief nach Plan -<br />

oder etwa nicht?<br />

In der Zentralverwaltungswirtschaft, dem<br />

Wirtschaftssystem der DDR, beschließt der<br />

Staat einen Plan für die gesamte Produktion<br />

und Zuteilung der Waren. Diese Pläne<br />

führten meist dazu, dass am Bedarf der<br />

Menschen vorbei produziert wurde. Im<br />

Alltag waren viele für uns heute selbstverständliche<br />

Waren nicht so einfach zu kaufen.<br />

Südfrüchte oder Fernseher, Jeans oder<br />

Kakao waren Mangelware.<br />

Mit der Deutschen Einheit zeigte sich, wie<br />

wirtschaftlich zerrüttet die DDR in Wirklichkeit<br />

war. Produktionspläne nach Behördenvorgabe, künstliche Vollbeschäftigung<br />

und fehlender Wettbewerb hatten den DDR-Staat faktisch in<br />

den Ruin getrieben. Zum Aufbau der Infrastruktur und für Wirtschaftshilfen<br />

in den Neuen Bundesländern wurde im Jahr 1991 der Solidaritätszuschlag<br />

im Rahmen des Solidarpakts eingeführt. Zur Zeit liegt er bei<br />

5,5 Prozent der Einkommensteuer und gilt auch für die Einkommen in<br />

Ostdeutschland.<br />

In den letzten 19 Jahren wurde mit den Milliarden des Programms<br />

„Aufbau Ost“ viel erreicht. Die Lebensverhältnisse haben sich in den<br />

Neuen Bundesländern erheblich verbessert, die Wirtschaft wächst,<br />

und neue Arbeitsplätze sind entstanden. Doch immer noch liegt die<br />

Arbeitslosigkeit über der im Westen. Es ist viel erreicht worden, aber<br />

es gibt auch noch viel zu tun.<br />

Setze die passenden Begriffe in richtiger grammatischer Form in die<br />

Lücken ein und vervollständige so die Definitionen für<br />

Zentralverwaltungswirtschaft und Soziale Marktwirtschaft.<br />

Beachte dabei, dass du einige Begriffe mehrmals einfügen kannst.<br />

Streiche anschließend die überflüssigen Begriffe durch.<br />

Staatseigentum, Privateigentum, Nachfrage, Staat,<br />

Mangelwirtschaft, Wettbewerb, soziale Sicherheit,<br />

Ludwig Erhard, Bundesbank, Konrad Adenauer,<br />

Kartelle, Euro, Angebot, Preis,<br />

Überwachungsinstrument, Börse, Helmut Kohl,<br />

D-Mark, Manager, Arbeitnehmer, Löhne<br />

14<br />

Zentralverwaltungs wirtschaft in der DDR:<br />

In der Zentralverwaltungswirtschaft, auch<br />

„Planwirtschaft“ genannt, gibt es kein<br />

. Alles gehört dem<br />

, der auch die Produktion<br />

sowie die Einkommens- und Güterverteilung<br />

regelt. Der Staat ist Arbeitgeber, Versicherer,<br />

Steuerbehörde und Sozialinstitution<br />

– ein allgegenwärtiges Betreuungs- und zugleich<br />

. Ein Qualitätswettbewerb<br />

fi ndet nicht statt. Der Versuch, zentral<br />

alle Wirtschaftsabläufe zu kontrollieren, führt in<br />

der Praxis regelmäßig zu Fehlsteuerungen und<br />

.<br />

Soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik<br />

Deutschland:<br />

Sie setzt auf Markt, Privatinitiative, Stabilität und<br />

Wettbewerb. Sie beruht auf einer gemeinsamen<br />

Verantwortung von und<br />

Arbeitgebern. Sie verhindert, dass der Mensch<br />

Spielball wirtschaftlicher Macht wird, und dient<br />

der . Der ist verantwortlich<br />

für die Einhaltung der Spielregeln der Sozialen Marktwirtschaft. Als<br />

Vater der Sozialen Marktwirtschaft gilt der erste Wirtschaftsminister der<br />

Bundesrepublik Deutschland (1897–1977). Er plädierte<br />

vehement für die freie Preisbildung, schuf<br />

als neue Währung, die mit der Währungsreform am 20. Juni 1948 in Westdeutschland<br />

eingeführt wurde. Die Freiheit des Einzelnen sollte allerdings<br />

nicht grenzenlos sein. Die Soziale Marktwirtschaft schuf Wettbewerbsregeln<br />

gegen und zu viel Macht der Anbieter. Sie<br />

erlaubte Arbeitnehmern und Unternehmern, sich zusammenzuschließen<br />

und die in Tarifverhandlungen zu fi nden. Die Geldpolitik<br />

wurde unabhängig und bei der angesiedelt,<br />

die auch für die Bankenaufsicht zuständig wurde.<br />

Arbeitsauftrag<br />

Zeitbild Wissen<br />

39


15eine<br />

Preisliste über die Tischplatte,<br />

von Ost nach West gewissermaßen.<br />

„Damit können Sie gleich wieder<br />

gehen“, sagt die Dame hinter dem<br />

Schreibpult. Krone schluckt, dann<br />

traut er sich was. Vergisst das Papier<br />

und packt seine Wurstkonserven auf<br />

den Tisch. Er schwärmt von der Geschichte<br />

der Wurst, bietet der Frau<br />

an zu kosten. Am Ende stört die<br />

Einkaufsleiterin nur das Design der<br />

Dose. „Machen Sie die Braut hübsch,<br />

Karlheinz Krone – vom<br />

dann nehmen wir sie.“<br />

sozialistischen Werksdirektor<br />

zum GmbH-Geschäftsführer<br />

Die Operation Wurst für den Westen<br />

hat begonnen. Es wird ein harter<br />

Der Kapitalismus trägt Stöckelschuhe Kampf, aber die erste Schlacht ist ge-<br />

und hat Haare auf den Zähnen. Er wonnen. Seine DDR-Ware darf in die<br />

lauert hinter einem Schreibpult in Regale des kapitalistischen Westens.<br />

einer großen Einkaufszentrale im Als die Mauer fällt, wird aus dem<br />

westdeutschen Minden. Es ist Anfang sozialistischen Werksdirektor Krone<br />

der 90-er Jahre, und Karlheinz Krone, der GmbH-Geschäftsführer Krone.<br />

Geschäftsführer der Halberstädter „Was eine GmbH war, musste ich<br />

Würstchen- und Konservenfabrik erst mal nachschlagen“, sagt Krone.<br />

aus der gerade aufgelösten DDR, Betriebswirtschaftlich betrachtet, ist<br />

muss Märkte erobern. Er schiebt die Wurstfabrik pleite, als sie in der<br />

Wie ist Karlheinz Krone der wirtschaftliche Erfolg<br />

gelungen? Welche waren die größten Schwierigkeiten<br />

für die DDR-Betriebe, die sie überwinden mussten,<br />

um auf dem neuen Markt zu bestehen?<br />

Wer war die Treuhand?<br />

Recherchiere im Internet unter:<br />

www.bpb.de/themen/VYQSWV,1,0,Probleme_der_<br />

inneren_Einigung.html<br />

Übertrage die Unternehmensgründungen aus der<br />

Grafik in die Tabelle.<br />

Ermittle die Differenz zu den Unternehmens -<br />

liquidationen. Analysiere die Ergebnisse<br />

und recherchiere nach möglichen Erklärungen<br />

für die vorliegende Entwicklung.<br />

40 Zeitbild Wissen<br />

Arbeitsauftrag<br />

„Operation Wurst“:<br />

ein Unternehmerporträt<br />

Unternehmensgründungen in den<br />

Neuen Ländern seit 1991<br />

Marktwirtschaft ankommt. „Finden<br />

Sie einen Investor, halten Sie das<br />

Unternehmen so lange am Leben<br />

– und investieren Sie kein Geld“,<br />

sagen die Treuhand-Manager zu<br />

Krone. Sie hätten ebenso gut sagen<br />

können: Fliegen Sie zum Mond.<br />

Krone packt es trotzdem an. Er<br />

durchwühlt die westdeutschen Branchenverzeichnisse<br />

der Fleischindustrie<br />

auf der Suche nach Geldgebern.<br />

Gut 30 Investoren überredet er<br />

1992, Halberstadt zu besuchen.<br />

„Abreißen“, sagt der erste. „Abreißen“,<br />

sagt der 29. Die 27 dazwischen<br />

sagen das auch. Die westdeutsche<br />

Fleischindustrie hätte 100 Millionen<br />

Menschen ernähren können. Niemand<br />

bräuchte eine Brühwurst-Bude<br />

aus dem sozialistischen Nirgendwo.<br />

„Das hat geschmerzt“, sagt Krone.<br />

Es hätte das Aus bedeutet, wäre<br />

nicht Ulrich Nitsch die Nummer<br />

30 gewesen. Ein Lehrter Kaufmann,<br />

der in Niedersachsen bereits ein<br />

2008 2003 1999 1995 1991 Jahr<br />

150.000<br />

120.000<br />

90.000<br />

60.000<br />

30.000<br />

Unternehmensgründungen<br />

140.000<br />

1991<br />

kleines Fleisch- und Wurstimperium<br />

besitzt. Ein zurückhaltender<br />

Investor mit Verständnis für die<br />

Tradition. Er und Krone verstehen<br />

sich sofort, vielleicht weil sie sehen,<br />

dass sie in verschiedenen Systemen<br />

groß wurden und ihre Lebenswege<br />

sich dennoch ähneln. Fortan geht<br />

es für beide gemeinsam um die<br />

Halberstädter Wurst.<br />

Nitsch behält Krone als Geschäftsführer.<br />

Krone wiederum wirbt bei<br />

der Belegschaft um Verständnis für<br />

den Geldgeber aus dem Westen.<br />

250 Arbeitsplätze, verspricht Nitsch,<br />

werde er sichern. Die Mitarbeiter<br />

sehen, dass er investiert. Gut 30 Millionen<br />

Euro über die Jahre. Nitsch<br />

lässt Gebäude sanieren, schafft neue<br />

Technik an, investiert in Marketing<br />

und Vertrieb. Aus den sozialistischen<br />

Verarbeitungshallen wird ein Produktionsbetrieb,<br />

der mit den Marktführern<br />

im Westen mithält.<br />

Quelle: „Handelsblatt“, 21.10.2009, Sven Prange<br />

+ 25,3 %<br />

76.000<br />

Quelle: BMWi (Juli 2010), Wirtschaftsdaten Neue Bundesländer<br />

1995 1999 2003 2008<br />

Unternehmen in den Neuen Ländern seit 1991<br />

Unternehmensliquidationen<br />

11.000<br />

49.000<br />

87.500<br />

86.100<br />

75.500<br />

104.200<br />

110.700<br />

70.700<br />

Differenz


Der Beitritt zur Bundes-<br />

republik hat für die ehemalige DDR immen-<br />

se wirtschaftliche Folgen: Die DDR-Währung wird wertlos,<br />

Unternehmen und Betriebe schließen ihre Tore, Ost-Produkte verschwinden aus<br />

den Regalen, Menschen werden arbeitslos. Das ganze Ausmaß der wirtschaftlichen Misslage und<br />

der maroden Infrastruktur der ostdeutschen Länder wird sichtbar: Versorgungsmängel bei Lebensmitteln, Kleidung<br />

und Autos, ein schlecht ausgebautes Verkehrsnetz, eine veraltete und rückständige Industrie, verfallende Innenstädte, Ma-<br />

terialknappheit, viele unbewohnbare Wohnungen und eine stark zerstörte Umwelt. Die Lebensverhältnisse in Ost- und<br />

Westdeutschland unterscheiden sich spürbar. Diese anzugleichen war ein Ziel nach der Wiedervereinigung.<br />

Viele Maßnahmen und Projekte werden initiiert, um Wirtschaft und Infrastruktur in den Neuen Bundesländern aufzubauen.<br />

Der Aufbau Ost beginnt.<br />

Die Bundesregierung und die westdeutschen Bundesländer unterstützen den Aufbau Ost – auch mit fi nanziellen Mitteln.<br />

Im Rahmen des Solidarpakts I erhalten die Neuen Bundesländer von 1993 bis 2004 insgesamt 105 Milliarden Euro.<br />

Nach zwölf Jahren läuft der Solidarpakt I aus und man stellt fest: Trotz der fi nanziellen Unterstützung wird der Osten nicht<br />

so schnell auf die Beine kommen, wie erhofft. Der Pakt zwischen Bund und Ländern wird um weitere 15 Jahre verlängert.<br />

Mit dem Solidarpakt II stellt der Bund den ostdeutschen Ländern für den Zeitraum von 2005 bis 2019 insgesamt 156,8<br />

Milliarden Euro zur Verfügung.<br />

Eingesetzt werden die Gelder aus dem Solidarpakt unter anderem für den Ausbau des Straßen- und Schienennetzes, die<br />

Modernisierung des Telefonnetzes sowie die Sanierung von Wohnungen und Innenstädten. Zur Finanzierung führt die Bun-<br />

desregierung im Jahr 1991 den Solidaritätszuschlag, kurz Soli, ein. Jeder Bürger in Ost- und Westdeutschland, der lohnsteuer-<br />

pfl ichtig ist, muss den Solidaritätszuschlag zahlen. Dieser beträgt zur Zeit 5,5 Prozent der Lohnsteuer und wird zusätzlich<br />

zur Lohnsteuer erhoben.<br />

Ergänzend zu den Geldern aus dem Solidarpakt wird der wirtschaftliche Aufbau Ostdeutschlands mit Fördergeldern<br />

aus den EU-Strukturfonds unterstützt. Zwischen 2007 und 2013 erhalten die Neuen Bundesländer insgesamt<br />

15,1 Milliarden Euro. Die Mittel werden hauptsächlich für die Bereiche Investition, Innovation, Forschung und Entwicklung<br />

eingesetzt. Hinzu kommen 1,5 Milliarden Euro für Verkehrsprojekte und 1,3 Milliarden Euro für Maßnahmen zur Verbesserung<br />

des Arbeits- und Ausbildungsmarktes.<br />

1) Berechne den Solidaritätszuschlag:<br />

Familien- Monatl. SteuerLohn- Beruf Alter Wohnort<br />

stand Einkommen klassesteuer Florist 23 J. Bamberg ledig 1.600,00 € I 129,41 €<br />

Manager 50 J. Dresden verheiratet 10.000,00 € III 2.573,50 €<br />

Arbeitsauftrag<br />

Bürokauffrau 37<br />

verheiratet,<br />

J. Berlin<br />

2 Kinder<br />

2.750,00 € V 710,00 €<br />

2) Diskutiere in der Klasse das Für und Wider, ob die Neuen Bundesländer<br />

weiter finanziell unterstützt werden sollen!<br />

Bedenke dabei<br />

- die momentane wirtschaftliche und finanzielle Situation<br />

in Westdeutschland,<br />

- die hohe Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland.<br />

Soli<br />

16<br />

Unterstützung für den Osten<br />

Zeitbild Wissen 41


17<br />

Ziel nach der Wiedervereinigung war es,<br />

gleichwertige Lebensverhältnisse in<br />

Ost und West zu schaffen. Wie ist die<br />

Bilanz nach zwei Jahrzehnten?<br />

Entwicklung der Altersrente (in Euro)<br />

1 . 000 B<br />

800 B<br />

600 B<br />

400 B<br />

200 B<br />

0 B<br />

587 B<br />

Westdeutschland<br />

Quelle: Deutsche Rentenversicherung<br />

Arbeitsauftrag<br />

Interpretiere die Grafiken:<br />

Wo haben sich West- und<br />

Ostdeutschland angeglichen<br />

und wo gibt es noch<br />

Unterschiede?<br />

Diskutiere in der Klasse<br />

über die Gründe,<br />

warum noch<br />

Unterschiede herrschen.<br />

42 Zeitbild Wissen<br />

492 B<br />

+ 18,7 %<br />

Ostdeutschland<br />

+ 67,9 %<br />

697 B<br />

Westdeutschland<br />

Fakten zwischen Aachen und Zwickau<br />

826 B<br />

Ostdeutschland<br />

1992 2008<br />

Ausstattung der Haushalte mit Verbrauchsgütern (in Prozent)<br />

100 %<br />

80 %<br />

60 %<br />

40 %<br />

20 %<br />

20 %<br />

98,3 %<br />

49,2 %<br />

Bruttoinlandsprodukt je Einwohner (in Euro in jeweiligen Preisen)<br />

35.000 B<br />

30.000 B<br />

2 5.000 B<br />

20.000 B<br />

1 5.000 B<br />

1 0.000 B<br />

5.000 B<br />

22.981<br />

Arbeitslosenquote (in Prozent)<br />

25 %<br />

20 %<br />

1 5 %<br />

10 %<br />

5 %<br />

9.442<br />

71,7 %<br />

35,9 %<br />

94,7 %<br />

Telefon PKW Waschmaschine/<br />

16.350<br />

24.585<br />

Waschvollautomat<br />

1990<br />

2008<br />

Quelle: SOEPmonitor<br />

1984–2008<br />

Westdeutschland<br />

Ostdeutschland<br />

mit Berlin<br />

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009<br />

Quelle: Arbeitskreis VGR der Länder<br />

10,3<br />

6,6<br />

14,9<br />

19,5<br />

11,0<br />

17.810<br />

26.956<br />

19.389<br />

28.577<br />

Alte Bundesländer<br />

32.282<br />

22.879<br />

Neue Bundesländer<br />

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008<br />

Quelle: Bundesagentur für Arbeit<br />

18,9<br />

8,3<br />

20,6<br />

11,0<br />

16,8<br />

13,1<br />

6,4


UMWELTverSCHmUTZung<br />

Zu den Hinterlassenschaften der DDR gehörte eine in einigen Teilen<br />

des Landes völlig zerstörte Umwelt. Europaweit war die DDR einer der<br />

größten Umweltsünder. Kein anderes Land wies eine so hohe Schadstoffbelastung<br />

der Luft auf. 1989 galten nur drei Prozent der Fließgewässer<br />

und nur ein Prozent der stehenden Gewässer als ökologisch intakt. Der<br />

Waldbestand war zu 50 Prozent krank oder tot. Viele Böden waren vergiftet.<br />

Das Abwassersystem war marode, die landwirtschaftlichen Flächen<br />

durch Dünger und Pestizide verseucht. Die hohe Umweltbelastung ist<br />

einer der Gründe, die für die im Vergleich mit der Bundesrepublik geringere<br />

Lebenserwartung in der DDR genannt werden.<br />

Erfolgreiche Sanierung<br />

der Altlasten<br />

Zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung sind die giftigen Hinterlassenschaften<br />

der einstigen DDR verschwunden. Zu den wichtigsten Aufgaben<br />

des neuen Deutschlands gehörten die Sanierung des ehemaligen Uranerzbergbaus<br />

im Erzgebirge, die Renaturierung der ehemaligen Braunkohletagebaustätten<br />

in der Lausitz und südlich von Leipzig, die Maßnahmen zur<br />

Luftreinhaltung, vor allem in den großen Städten und im Ballungsraum<br />

Halle/Bitterfeld, und die Gewässersanierung, v. a. der Elbe und der Werra.<br />

Ziel dieser milliardenteuren Maßnahmen war und ist es, die betroffenen<br />

Regionen wieder lebenswert und attraktiv zu machen. Durch die Umweltsanierung<br />

entstanden Tausende von Arbeitsplätzen; die Umwelttechnik<br />

in Deutschland ist mittlerweile ein Sektor mit hohem Innovations- und<br />

Wachstumspotenzial geworden und weltweit führend.<br />

Umwelt- und Innovations -<br />

technologien in Ostdeutschland<br />

Die fünf Neuen Bundesländer<br />

sind heute<br />

attraktive Standorte für<br />

die Neuansiedlungen<br />

junger, innovativer Unternehmen<br />

und Forschungseinrichtungen.<br />

Umwelt- und Energietechnologien<br />

sind hier<br />

überdurchschnittlich<br />

stark vertreten. Besonders<br />

die Regionen um<br />

Freiberg (Sachsen), Bitterfeld-Wolfen (Sachsen-Anhalt) und Frankfurt/<br />

Oder (Brandenburg) haben sich inzwischen als Solarstandorte fest etabliert.<br />

Dazu kommen Informations- und Kommunikationstechnologien, die<br />

Nanotechnologie und optische Technologien, die wirtschaftliche Chancen<br />

und Perspektiven in hoch innovativen Bereichen schaffen.<br />

Zukunftsregion<br />

Biosphärenreservate<br />

Aber nicht nur die Umweltsanierung und die Entwicklung von Umwelttechnologien<br />

sind Erfolgsbeispiele für die Deutsche Einheit – die Ausweisung<br />

von großen Biosphärenreservaten als Schutzgebiete für eine nachhaltige<br />

Entwicklung und das Zusammenwirken von Mensch und Natur<br />

wurden bereits durch die letzte (demokratisch gewählte) Volkskammer<br />

der DDR initiiert. Hier entstehen umweltverträgliche Lebens- und Wirtschaftsweisen<br />

im Zusammenwirken von Mensch und Natur. Biosphärenreservate<br />

in den Neuen Ländern sind beispielsweise der Spreewald, Südost-Rügen<br />

und die Flusslandschaft Elbe-Brandenburg.<br />

18<br />

Arbeitsauftrag<br />

Zeichne die oben beschriebenen<br />

Regionen um Freiberg (Sachsen),<br />

Bitterfeld-Wolfen (Sachsen-Anhalt)<br />

und Frankfurt/Oder (Brandenburg),<br />

die Biosphärenreservate<br />

Spreewald und Südost-Rügen<br />

sowie die Lausitz, die Elbe<br />

und das Erz gebirge mit<br />

verschiedenen Farben in die<br />

Deutschlandkarte ein.<br />

Zeitbild Wissen<br />

43


91<br />

Umfragen zeigen: In den Neuen Bundesländern ist Kritik sowohl an der Demokratie als auch an der Gesell-<br />

44 Zeitbild Wissen<br />

Demokratie – nein danke?<br />

schaftsordnung in Deutschland häufi ger zu vernehmen als in den alten Bundesländern. Die Verhältnisse in der<br />

DDR hingegen werden häufi g verklärt. Martina und Felix haben diskutiert, warum das so sein könnte.<br />

Ich glaube, viele Menschen in Ostdeutschland sind einfach enttäuscht,<br />

dass es ihnen in materieller Hinsicht bis heute nicht sehr gut geht.<br />

Aber die Situation ist doch hier eine ganz andere. Die Menschen<br />

aus der DDR hatten es einfach nicht leicht. Überleg mal, was die alles<br />

verloren haben. Als es zur Wiedervereinigung kam, hat fast alles, was sie<br />

besaßen, an Wert verloren: das Auto, die Wohnungseinrichtung ... Auch die<br />

berufl iche Situation und der Umgang mit der Politik wurden auf einmal<br />

ganz anders. Von einem Tag auf den anderen gab es<br />

das Leben, das sie kannten, nicht mehr. Da fragen sie sich<br />

natürlich: Was bleibt von dem, was ich geleistet habe?<br />

Was haben die Menschen in der DDR geleistet?<br />

<strong>No</strong>tiere Stichworte und stelle sie deiner Klasse vor.<br />

Lies folgende Geschichte aufmerksam durch:<br />

Wegen der ständigen Differenzen zwischen Peking und Moskau<br />

fl iegt der sowjetische Parteichef nach Peking zu Mao.<br />

Und tatsächlich kann man alle Probleme lösen.<br />

„Genosse Mao! Weil unser Gipfeltreffen so gut gelaufen ist,<br />

haben Sie drei Wünsche frei!“<br />

„Hmmm! Wir brauchten 10.000 Autos!“<br />

„Die werdet Ihr bekommen, Genosse Mao!“<br />

„Und dann brauchten wir noch 100.000 Fahrräder!“<br />

„Kein Problem, Genosse Mao! Die liefern wir euch umgehend!“<br />

„Ach ja, und noch 100.000 Sack Reis!“<br />

„Genosse Mao, das geht leider nicht! Meines Wissens wird<br />

in der DDR Reis nicht angebaut ...“<br />

Was sagt dir der Text über den Stellenwert<br />

der DDR-Wirtschaft? Recherchiere und<br />

überprüfe deine Überlegungen.<br />

Felix Martina<br />

Aber einen Abstand gibt es immer noch. Das Deutsche Institut für<br />

Wirtschaftsforschung (DIW) sagt, dass ostdeutsche Haushalte, was das<br />

Vermögen betrifft, nur noch knapp 35 Prozent des Niveaus in<br />

Westdeutschland erreichen ...<br />

Trotzdem: So ein Gefälle zwischen Ost- und Westdeutschland<br />

ist einfach nicht fair!<br />

Moment! In den meisten Haushalten im Osten hat es doch Mitte der<br />

90er-Jahre einen deutlichen Anstieg des Wohlstands gegeben. Er liegt bei<br />

90 Prozent des Westniveaus, das ist doch gar nicht so schlecht.<br />

Das mag ja sein. Zur Wiedervereinigung lag der besagte Anteil aber<br />

nur bei etwas über zehn Prozent. Das macht doch ganz deutlich,<br />

dass die Benachteiligungen noch aus der Zeit der DDR stammen –<br />

und nicht erst in der wiedervereinigten Bundesrepublik entstanden<br />

sind. Deshalb muss man doch nicht demokratieverdrossen werden.<br />

Immer spricht man nur von dem Gefälle zwischen Ost und West. Aber<br />

schau dir doch zum Beispiel mal die Unterschiede des Wohlstands<br />

in Hamburg und Niedersachsen an: Die sind genau so groß wie die<br />

zwischen Ost- und Westdeutschland.<br />

Ja, du hast völlig recht. Die Ostdeutschen mussten wirklich sehr<br />

fl exibel sein. Deshalb fi nde ich ja: Sie können sehr stolz auf sich sein!<br />

Sie haben viel geleistet – und vor allem haben sie es geschafft, die<br />

Diktatur in der DDR friedlich und ohne jede Gewalt zu stürzen.<br />

Von diesem mutigen Einsatz könnten sich viele Menschen noch<br />

eine Scheibe abschneiden.<br />

Arbeitsauftrag<br />

West<br />

27<br />

Quelle: Prof. Dr. Klaus Schroeder in der FAZ, 06.01.2010<br />

Geteiltes Demokratieverständnis<br />

So viel Prozent der Bundesbürger<br />

sind der Meinung, dass ... Ost<br />

... mit der Demokratie<br />

die Probleme in Deutschland<br />

eher nicht oder gar nicht<br />

gelöst werden können.<br />

52<br />

Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung, Studie 2008


20<br />

Die doppelte Geschichte Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg hat Spuren hinterlassen. Vor allem im Bereich<br />

Wie steht’s um die Politische Kultur?<br />

der Politischen Kultur lassen sich heute, 20 Jahre nach der Wiedervereinigung, noch Unterschiede zwischen<br />

Ost und West feststellen. Als Summe der Einstellungen, Meinungen und Wertorientierungen der Menschen zu<br />

einem bestimmten Zeitpunkt wird Politische Kultur an verschiedenen Fragen gemessen, zum Beispiel:<br />

Wie schätzt die Mehrheit die<br />

wirtschaftliche Ordnung ein<br />

23,0<br />

17,9<br />

24,1<br />

27,3<br />

?<br />

Was ist den Menschen in Ost und<br />

West wichtiger: Freiheit oder Gleichheit<br />

Arbeitsauftrag<br />

29,8<br />

Wie fi nden die Bürger in Ost und West<br />

die Demokratie als Staatsform generell<br />

?<br />

Was denken die Menschen über Parteien und<br />

Politiker? Vertrauen sie den politischen Institutionen<br />

26,7<br />

14,6<br />

Politische Kultur<br />

? ?<br />

Welche Aufgaben soll der Staat übernehmen<br />

Für die Demokratie als Staatsform spielen Wahlen eine entscheidende<br />

Rolle. Damit gelten sie auch als wichtige Zeichen der Politischen<br />

Kultur einer Gesellschaft. Hier findest du die Ergebnisse bei der<br />

letzten Bundestagswahl 2009 in den Neuen und alten Ländern.<br />

Welche Unterschiede fallen dir auf? Diskutiere über mögliche<br />

Erklärungen in der Klasse.<br />

Zweitstimmenanteile in Prozent in den Neuen und alten Ländern bei der Bundestagswahl 2009<br />

10,6<br />

15,4<br />

11,9<br />

28,5<br />

Gesamtdeutschland<br />

Neue Bundesländer<br />

Alte Bundesländer<br />

SPD CDU FDP Die Linke Grüne CSU Sonstige<br />

8,3<br />

?<br />

Wie verhalten sich die Menschen bei Wahlen<br />

Gehen sie zur Wahl und wen wählen sie<br />

10,7<br />

6,8<br />

11,5<br />

6,5<br />

Wie stehen die Menschen<br />

zu Rechtsextremismus,<br />

Fremdenfeindlichkeit und<br />

Antisemitismus<br />

Welche Einstellungen zum Sozialismus<br />

und zur DDR-Vergangenheit überwiegen<br />

Quelle: Der Bundeswahlleiter<br />

0<br />

7,9<br />

?<br />

? ?<br />

6,0 6,3 5,9<br />

?


46<br />

Go East! 21„Dass ich einen<br />

Zeitbild Wissen<br />

„Ein Studium<br />

in Sachsen:<br />

Besser<br />

hätte ich es<br />

nicht treffen<br />

können!<br />

Hier gibt es keine<br />

Studien gebühren und<br />

die Lebenshaltungskosten<br />

sind im Vergleich zu<br />

Hamburg sehr gering.<br />

Ich kann mir eine<br />

geräumige Wohnung<br />

leisten und bin in zehn<br />

Minuten mitten in der<br />

Stadt und in 15 Minuten<br />

an der Hochschule. Wäre<br />

ich daheim geblieben,<br />

müsste ich bei meinen<br />

Eltern wohnen und hätte<br />

eine Stunde Fahrtweg<br />

zur Hochschule.“<br />

Annette, Geoinformation<br />

und Vermessung an der<br />

HTW Dresden<br />

Ausbildungsplatz<br />

in Jena bekam, hat mich riesig<br />

gefreut. Denn High-Tech hat mich<br />

immer fasziniert und wegziehen<br />

wollte ich nicht. Hier ist außerdem<br />

immer was los, vielleicht weil viele<br />

junge Menschen da sind.“ Martin,<br />

Ausbildung als Mechatroniker, Jena<br />

„Wegziehen?<br />

Die Frage stellt sich für uns<br />

überhaupt nicht. Wir fühlen<br />

uns wohl in Leipzig – nicht<br />

nur, weil wir uns hier kennengelernt<br />

haben. Die Stadt<br />

hat sich in den letzten Jahren<br />

sehr verändert: Viel wurde<br />

umgebaut und alles ist heute<br />

viel schicker. Überhaupt kann<br />

man hier ganz gut leben.“<br />

Nina und Thomas, Leipzig<br />

Arbeitsauftrag<br />

Lasst eurer Kreativität freien Lauf und<br />

entwickelt ein kurzes Werbekonzept für<br />

eine Stadt in Ostdeutschland. Präsentiert<br />

eure Ideen vor der Klasse und überzeugt<br />

eure Mitschülerinnen und Mitschüler von<br />

der Attraktivität der ausgesuchten Stadt.<br />

Folgende Arbeitsschritte sollen euch dabei<br />

unterstützen:<br />

Recherchiert nach Sehenswürdigkeiten,<br />

interessanten geschichtlichen Ereignissen,<br />

berühmten Persönlichkeiten, die mit dieser<br />

Stadt in Verbindung stehen.<br />

Checkt die aktuelle Lebenssituation in<br />

dieser Stadt: Wie sieht es aus mit Miete,<br />

Preisen, Lebensqualität, Freizeitangeboten,<br />

Schulen, Ausbildungsmöglichkeiten, Unis etc?<br />

Zitate von Besuchern und Einwohnern,<br />

z. B. aus Reiseberichten oder auf<br />

Internetforen, können euch dabei<br />

ebenfalls behilflich sein.<br />

Tipp: Gute Beispiele für eure<br />

Projekte fi ndet ihr auch auf<br />

dem Internetportal der<br />

Motivationskampagne<br />

„Pack Dein Studium –<br />

am besten in Sachsen“ unter<br />

www.pack-dein-studium.de.<br />

„Bis vor einigen Jahren wäre ich<br />

sofort nach der Schule in den<br />

Westen gezogen. Viele meiner<br />

Freunde sind damals weggegangen, da<br />

sie hier keine Arbeit fi nden konnten.<br />

Doch heute ändert sich die Situation<br />

langsam. Immer mehr Unternehmen<br />

siedeln sich hier an, und ich glaube,<br />

dass ich inzwischen gute<br />

Chancen auf einen Job<br />

habe.“ Katja, Erfurt<br />

Insgesamt haben rund 3,2<br />

Millionen Menschen seit 1991<br />

Ostdeutschland verlassen und<br />

sind in den Westen gezogen.<br />

<strong>No</strong>ch 2007 dachte jeder Dritte<br />

darüber nach, in die alten<br />

Bundesländer umzuziehen.<br />

Die umgekehrte Richtung –<br />

von West nach Ost – haben<br />

im gleichen Zeitraum über 1,7<br />

Millionen Menschen gewählt.<br />

Den Abwanderungsstrom zu stoppen<br />

stellt heute eine große Herausforderung<br />

dar. Das gelingt allerdings nur, wenn<br />

junge Leute vor Ort ihre guten beruflichen<br />

Perspektiven erkennen. Gleichzeitig<br />

ist es wichtig, dass vor allem junge<br />

Menschen im Westen mehr über die<br />

Vorteile ostdeutscher Städte erfahren.<br />

Schließlich war fast die Hälfte<br />

aller Westdeutschen noch nie<br />

oder nur einmal in den Neuen<br />

Bundesländern.<br />

„Go East!“ lohnt sich, so zum<br />

Beispiel beim Studium: Universitäten,<br />

Hoch- und Fachhochschulen im Osten<br />

bieten heute im Vergleich zum Westen<br />

deutlich bessere Studienbedingungen.<br />

Ob Betreuung, Lebensqualität und<br />

technische Ausstattung – bei einer<br />

Umfrage unter 75.000 Studierenden<br />

liegt der Osten fast durchweg an der<br />

Spitze. Die Bestnote vergeben die<br />

Jugendlichen an Sachsen-Anhalt, gefolgt<br />

von Thüringen, Mecklenburg-<br />

Vorpommern und Sachsen.


‘‘<br />

‘‘<br />

‘‘<br />

‘‘<br />

‘‘<br />

In der DDR hat man von mir eine<br />

Weltanschauung verlangt,<br />

‘‘<br />

ohne dass<br />

ich die Welt anschauen durfte.<br />

Manfred Krug, Schauspieler<br />

Das Beste an der DDR war ihr Ende.<br />

Freya Klier, DDR-Bürgerrechtlerin,<br />

Autorin und Regisseurin<br />

Zitatesammlung<br />

‘‘<br />

22<br />

Niemand hat die Absicht,<br />

eine Mauer zu errichten.<br />

‘‘<br />

‘‘<br />

Unser „Yes we can“ heißt<br />

„Wir sind das Volk“.<br />

Joachim Gauck,<br />

DDR-Bürgerrechtler<br />

Ich wusste immer:<br />

Irgendwann spielen wir drüben,<br />

‘‘<br />

und die Scheißmauer bleibt auch nicht ewig stehen.<br />

Eines Tages – vielleicht in Jahren,<br />

Die ist so was von krank, völlig absurd, geht nicht.<br />

vielleicht erst in Jahrzehnten –<br />

wird hoffentlich die Deutsche Einheit<br />

so selbstverständlich sein, dass es<br />

uns merkwürdig vorkommen mag,<br />

Das Beste an der DDR war<br />

der Traum, den wir<br />

‘‘ ‘‘<br />

sie eigens zu feiern.<br />

Johannes Rau (1931–2006),<br />

ehem. Bundespräsident<br />

von ihr hatten.<br />

Hermann Kant, Schriftsteller<br />

Zum ersten Mal bilden wir<br />

Deutschen keinen Streitpunkt<br />

auf der europäischen<br />

Tagesordnung. Unsere Einheit<br />

In manchen Ländern hat man<br />

wurde niemandem aufgezwungen,<br />

angestrebt, dass es einem<br />

sondern friedlich vereinbart.<br />

‘‘<br />

Bürger nicht gestattet ist, die<br />

Richard von Weizsäcker,<br />

ehem. Bundespräsident<br />

Gegend, in der er zufällig geboren<br />

ist, zu verlassen. Der Sinn dieses<br />

Gesetzes liegt auf der Hand:<br />

Dieses Land ist so schlecht regiert,<br />

und wird so schlecht regiert,<br />

dass wir jedem verbieten, es zu<br />

verlassen, weil es sonst die ganze<br />

‘‘<br />

Bevölkerung verlassen würde.<br />

‘‘<br />

‘‘<br />

Arbeitsauftrag<br />

‘‘<br />

‘‘<br />

Bei drei Zitaten ist der Urheber nicht angegeben.<br />

Die Aussagen wurden von folgenden Personen gemacht:<br />

SED-Chef Walter Ulbricht am 15. Juni 1961<br />

Voltaire, französischer Schriftsteller, 1778<br />

Udo Lindenberg, Musiker<br />

Wer hat was gesagt?<br />

Ordne die Namen den jeweiligen Zitaten zu.<br />

Zeitbild Wissen 47


23<br />

48 Zeitbild Wissen<br />

Deutschland auf einen Blick<br />

Hauptstadt: Berlin (3,4 Mio. Einwohner)<br />

Staatswappen: Adler<br />

Nationalfeiertag: 3. Oktober, Tag der Deutschen Einheit<br />

Parlament: Deutscher Bundestag (622 Abgeordnete im 17. Bundestag)<br />

Hymne: Dritte Strophe vom „Lied der Deutschen“, verfasst von<br />

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Melodie von Joseph Haydns „Kaiserhymne“<br />

Einwohner:<br />

81,8 Millionen – Deutschland ist<br />

das bevölkerungsreichste Land der<br />

Europäischen Union.<br />

Quelle: Statistisches Bundesamt, Stand: 31.12.2009<br />

Arbeitsauftrag<br />

In der Deutschlandkarte<br />

fehlen die Namen der 16<br />

Bundesländer und ihrer<br />

Hauptstädte.<br />

Fülle die Karte<br />

entsprechend aus!<br />

Größe: 357.021 km 2<br />

Nachbarstaaten: Schweiz,<br />

Österreich, Tschechien, Polen,<br />

Dänemark, Niederlande, Belgien,<br />

Luxemburg, Frankreich<br />

Höchstgelegene Stadt:<br />

Oberwiesenthal<br />

(914 Meter über NN)<br />

Älteste Stadt: Trier<br />

(Gründung „Augusta Treverorum“<br />

16 v. Chr.)


1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

Jetzt bist du dran:<br />

Teste dein Wissen über Deutschland.<br />

Wie gut kennst du dich aus?<br />

Wer verfasste die deutsche<br />

Nationalhymne?<br />

A) Johann Wolfgang von Goethe<br />

B) August Heinrich Hoffmann von<br />

Fallersleben<br />

C) Patrick Süskind<br />

Wie wurden die Bundesrepublik<br />

und die DDR zu einem Staat?<br />

A) Die DDR ist der Bundesrepublik<br />

beigetreten.<br />

B) Die Bundesrepublik hat die DDR eingenommen.<br />

C) Die vier Siegermächte haben die Einigung<br />

befohlen.<br />

Am 13. August 1961<br />

A) wurde die D-Mark eingeführt.<br />

B) fand das Fußball-WM-Spiel zwischen der<br />

DDR und der Bundesrepublik statt.<br />

C) begann die DDR, die Berliner Mauer zu<br />

bauen.<br />

Wer war der erste gesamtdeutsche<br />

Bundeskanzler nach<br />

der Wiedervereinigung?<br />

A) Willy Brandt<br />

B) Helmut Kohl<br />

C) Gerhard Schröder<br />

In welcher Stadt fanden die ersten<br />

Montagsdemonstrationen statt?<br />

A) Leipzig<br />

B) Bonn<br />

C) Berlin<br />

Der Solidaritätszuschlag wird von<br />

der deutschen Bevölkerung gezahlt<br />

zur Unterstützung<br />

A) der Gewerkschaften.<br />

B) des Aufbaus Ost.<br />

C) kinderreicher Familien.<br />

7<br />

8<br />

9<br />

10<br />

11<br />

Was war die Stasi?<br />

A) Supermarktkette der DDR<br />

B) staatliche Sportinstitution der DDR<br />

C) Geheimpolizei und geheimer<br />

Nachrichtendienst der DDR<br />

Wer wurde zum ersten Bundesbeauftragten<br />

für die Unterlagen<br />

des Staatssicherheitsdienstes<br />

der ehemaligen DDR ernannt?<br />

A) Erich Honecker<br />

B) Günter Guillaume<br />

C) Joachim Gauck<br />

Wer hat den Zwei-plus-Vier-<br />

Vertrag unterzeichnet?<br />

A) Bundesrepublik, DDR, Frankreich,<br />

Großbritannien, Sowjetunion, USA<br />

B) Bundesrepublik, Großbritannien,<br />

Frankreich, Sowjetunion, USA, Italien<br />

C) DDR, Großbritannien, Frankreich,<br />

Sowjetunion, USA, China<br />

Was ist Checkpoint Charlie?<br />

A) jährlicher Treffpunkt für Hundeliebhaber<br />

in Worpswede<br />

B) früherer Grenzübergang zwischen<br />

West- und Ost-Berlin<br />

C) Charlie-Chaplin-Museum<br />

Wofür war die Treuhandanstalt<br />

zuständig?<br />

A) für die Aufbewahrung von Wertpapieren<br />

B) für die Renaturierung der Elbe<br />

C) für die Reprivatisierung der volkseigenen<br />

Betriebe der DDR<br />

24<br />

Deutschland-Quiz<br />

Zeitbild Wissen 49


Vergleiche deine<br />

Antworten mit den<br />

Lösungen.<br />

Für jede richtige<br />

Antwort erhältst<br />

du einen Punkt.<br />

Zähle alle Punkte<br />

zusammen und<br />

finde heraus,<br />

wie gut du<br />

Deutschland<br />

kennst.<br />

Frage Lösung<br />

50 Zeitbild Wissen<br />

1 B<br />

2 A<br />

3 C<br />

4 B<br />

5 A<br />

6 B<br />

7 C<br />

8 C<br />

9 A<br />

10 B<br />

11 C<br />

Lösungen zum Deutschland-Quiz<br />

0-4 Punkte:<br />

Oh je, das war leider noch<br />

nicht so gut. Schau dir<br />

die Arbeitsblätter noch<br />

einmal genauer an.<br />

5-8 Punkte:<br />

Das ist schon nicht schlecht. Du weißt bereits<br />

einiges über Deutschland. Aber es geht noch<br />

besser. Schau dir die Arbeitsblätter noch<br />

einmal genauer an.<br />

9-11 Punkte:<br />

WOW, du kennst dich<br />

sehr gut aus<br />

mit Deutschland.<br />

Weiter so!


AB 1<br />

Bild 1 – 13. August 1961: Mauerbau<br />

Bild 2 – 24. Juni 1948: Rosinenbomber<br />

Bild 3 – 17. Juni 1953: Arbeiter- und Volksaufstand<br />

AB 2<br />

1) Gründe der DDR-Bürger, in die Bundesrepublik zu fl üchten:<br />

• mangelnde Freiheiten (z. B. Reisefreiheit, Meinungsfreiheit),<br />

Verbote und Einschränkungen im gesellschaftlichen Leben<br />

• Perspektivlosigkeit (z. B. eingeschränkte berufl iche Möglichkeiten)<br />

• schlechte wirtschaftliche Lage und Unzufriedenheit mit der<br />

Versorgungslage – erhoffter höherer Lebensstandard in der<br />

Bundesrepublik<br />

• politische Gründe: Ablehnung des DDR-Regimes<br />

• familiäre Gründe: zerrissene Familien durch Teilung Deutschlands<br />

2)<br />

Zitat Datum Zeitliche Einordnung<br />

Michail Gorbatschow 7. Oktober 1989 40. Jahrestag der DDR<br />

Erich Honecker 19. Januar 1989 zehn Monate vor Mauerfall<br />

Walter Ulbricht 15. Juni 1961 zwei Monate vor Mauerbau<br />

Günter Schabowski 9. <strong>No</strong>vember 1989 Tag der Maueröffnung<br />

AB 6<br />

1)<br />

Abkürzung Name Aufgaben<br />

MfS: Ministerium für<br />

Staatssicherheit<br />

2) Länder: z. B. Libyen, Syrien, Indonesien, China, Iran, Irak, Äthiopien, <strong>No</strong>rdkorea,<br />

Ägypten, Simbabwe, Demokratische Republik Kongo<br />

Gründe für die Verhaftung:<br />

• Kritik an den Machthabern und/oder dem politischen System<br />

• Handeln im Sinne der Menschenrechte (Meinungsfreiheit,<br />

Informationsfreiheit, Glaubensfreiheit, Reisefreiheit)<br />

• Protest gegen Menschenrechtsverletzungen<br />

AB 8<br />

Lösungen Arbeitsblätter<br />

Journalismus leistet, zu Zeiten der DDR genauso wie heute, einen wichtigen<br />

Beitrag zur Meinungsbildung in einer Gesellschaft. Aufgrund der Macht, den der<br />

Journalismus durch seinen Einfl uss auf die öffentliche Meinung und damit auch<br />

auf die Staatsgewalt besitzt, wird er häufi g als vierte Gewalt im Staat bezeichnet.<br />

Die Berichterstattung eines Journalisten sollte frei und unabhängig sein und die<br />

Informationen, die er an die Öffentlichkeit weitergibt, sollten aus unabhängigen<br />

Quellen stammen. Defi niert man „Information“ jedoch auf die hier zitierte Weise,<br />

kann Berichterstattung nicht frei und unabhängig sein. Der Zweck, „von Klasseninteressen<br />

bestimmte“ Erkenntnisse weiterzugeben, führt zu einem Missbrauch des<br />

Journalismus als „Sprachrohr der Partei“, als welches die Presse zu Zeiten der DDR<br />

ja auch bezeichnet worden ist.<br />

AB 9<br />

Geheimpolizei und geheimer<br />

Nachrichtendienst der DDR;<br />

Überwachung der DDR-<br />

Bevölkerung<br />

IM: Inoffi zieller Mitarbeiter Sammeln von Informationen,<br />

Bespitzelung von verdächtigen<br />

Personen<br />

BStU: Bundesbeauftragte für<br />

die Unterlagen des<br />

Staatssicherheitsdienstes<br />

der ehemaligen DDR<br />

Aufbewahrung der Stasi-Akten,<br />

Bereitstellung der Unterlagen für<br />

die Öffentlichkeit<br />

z. B. „Im Dritten Reich gab es kaum Kriminalität“, „Hitler hat die Autobahn erfunden“,<br />

„Im Nazi-Deutschland gab es keine Arbeitslosigkeit“<br />

AB 13<br />

Lückentext: King, Liberté, ein Volk, tear down this wall<br />

AB 14<br />

• Lückentext Zentralverwaltungswirtschaft: Privateigentum, Staat,<br />

Überwachungsinstrument, Mangelwirtschaft<br />

• Lückentext Soziale Marktwirtschaft: Arbeitnehmern, sozialen Sicherheit, Staat,<br />

Ludwig Erhard, die D-Mark, Kartelle, Löhne, Bundesbank<br />

• Begriffe, die durchgestrichen werden müssen: Staatseigentum, Nachfrage,<br />

Wettbewerb, Konrad Adenauer, Euro, Angebot, Preis, Börse, Helmut Kohl,<br />

Manager<br />

AB 16<br />

1) Berechnung des Solidaritätszuschlags: Lohnsteuer x 5,5 %<br />

Beruf Monatl. Einkommen Lohnsteuer Soli<br />

Florist 1.600,00 € 129,41 € 7,12 €<br />

Manager 10.000,00 € 2573,50 € 141,54 €<br />

Bürokauffrau 2.750,00 € 710,00 € 39,05 €<br />

2) Argumente für und gegen die fi nanzielle Unterstützung der Neuen Bundesländer<br />

Befürworter Kritiker<br />

Abstand in der Wirtschaftsleistung<br />

zwischen Ost und West weiter<br />

verringern<br />

mehr Arbeitsplätze schaffen; hohe<br />

Arbeitslosigkeit senken<br />

Angleichung der Lebensverhältnisse<br />

an den Westen<br />

Abwanderung von Ost nach West<br />

stoppen bzw. die (Rück-)Wanderung<br />

von West nach Ost fördern<br />

Förderung von (Zukunfts-)Branchen,<br />

z. B. Tourismus, Umwelt, Forschung<br />

AB 19<br />

• Leben und Arbeiten unter den widrigen Umständen der DDR-Diktatur<br />

• gewaltloser Kampf für die Freiheit und Sturz des SED-Regimes durch Massenproteste<br />

und Massenausreise<br />

• Grundsteinlegung der Wiedervereinigung durch friedliche Revolution und<br />

Stimmabgabe bei der ersten freien Volkskammerwahl (klare Befürwortung der<br />

Wiedervereinigung)<br />

• Wiederaufbau Ostdeutschlands nach Beitritt zur Bundesrepublik und damit<br />

weitreichende Veränderungen in allen Lebenslagen<br />

AB 22<br />

Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.<br />

SED-Chef Walter Ulbricht am 15. Juni 1961<br />

Ich wusste immer: ...<br />

Udo Lindenberg, Musiker<br />

In manchen Ländern hat man angestrebt, ...<br />

Voltaire, französischer Schriftsteller, 1778<br />

Schuldenabbau bedenken<br />

strukturschwache Gebiete in<br />

Westdeutschland benötigen<br />

ebenfalls fi nanzielle Unterstützung;<br />

gleiche Förderung in Ost und West<br />

westdeutsche Kommunen<br />

müssen Kredite aufnehmen, um<br />

ihren Verpfl ichtungen im Solidarpakt<br />

nachzukommen<br />

die Neuen Länder sollen<br />

wirtschaftlich auf eigenen Beinen<br />

stehen<br />

kaum spürbare Auswirkungen der<br />

Unterstützung in den letzten Jahren,<br />

denn Aufbau Ost kommt langsamer<br />

voran als erwartet<br />

Zeitbild Wissen<br />

51


Weiterführende Informationen<br />

Links:<br />

• www.bstu.bund.de<br />

• www.bundesregierung.de/1989-2009<br />

• www.chronik-der-mauer.de<br />

• www.chronikderwende.de<br />

• www.ddr-geschichte-vermitteln.de<br />

• www.ddr-im-unterricht.de<br />

• www.dhm.de/lemo/home.html<br />

• www.freiheit-und-einheit.de<br />

• www.friedlicherevolution.de<br />

• www.herzlichen-glueckwunsch-deutschland.de<br />

• www.jugendopposition.de<br />

• www.mdr.de/damals-in-der-ddr/lexikon<br />

• www.revolution89.de<br />

• www.stiftung-aufarbeitung.de/20_Jahre/<br />

• www.zeitzeugenportal8990.de/<br />

Bildnachweise:<br />

Filme:<br />

• Good bye, Lenin! (2003)<br />

• Das Leben der Anderen (2006)<br />

• Der rote Kakadu (2006)<br />

• EINGEMAUERT!<br />

Die innerdeutsche Grenze (2009)<br />

•<br />

Bücher:<br />

Ulrich Plenzdorf:<br />

Die neuen Leiden des jungen W.<br />

•<br />

•<br />

Uwe Tellkamp:<br />

Der Turm<br />

Monika Maron:<br />

Bitterfelder Bogen. Ein Bericht<br />

S. 1: Zeile 1: picture alliance, Visum Images, iStockphoto; Zeile 2: picture alliance, Zeile 3: Bundesbildstelle, ullstein bild; S. 2 (v. o. n. u.): iStockphoto, picture alliance, picture alliance,<br />

picture alliance; S. 3: picture alliance; S. 4: ullstein bild; S. 5: picture alliance; S. 7: picture alliance; S. 8: picture alliance; S. 9: picture alliance; S. 10: picture alliance; S. 12/13: iStockphoto,<br />

S. 14: Bundesbildstelle; S. 15: Bundesbildstelle; S. 20/21: iStockphoto; S. 22: Europäische Zentralbank; S. 23: picture alliance; S. 26 (v. l. n. r.): AKG, AKG, ullstein bild; S. 28 (v. o. n. u.):<br />

Bundesbildstelle, Automobilmanufaktur Dresden GmbH, picture alliance, picture alliance, picture alliance, Bundesbildstelle; S. 29: Leibing/Keystone; S. 30: Joachim F. Thurn/Bundes-<br />

archiv; S. 32: Y. Maecke/G.A.F.F./SUPERillu; S. 33: ullstein bild; S. 34: picture alliance; S. 36: picture alliance; S. 37: Ronald Frommann (li.), Harald Krieg; S. 39: Erik Liebermann; S. 40:<br />

Maximilian Lautenschläger; S. 43: BMU; S. 46: Zeile 1: iStockphoto; Zeile 2: SMWK, iStockphoto.<br />

Impressum:<br />

Zeitbild Wissen „20 Jahre Deutsche Einheit“, gefördert vom Bundesministerium des Innern.<br />

V.i.S.d.P.: Bernd Woischnik, Zeitbild Stiftung, Reichenbachstraße 1, 80469 München,<br />

September 2010.<br />

Wissenschaftliche Beratung: Dr. Thomas Gundelach.<br />

Gesamtherstellung: Zeitbild Stiftung. Druck: Schätzl Druck & Medien e. K., Donauwörth.<br />

Wir erklären mit Blick auf die genannten Internetlinks, dass wir keinerlei Einfl uss auf<br />

Gestaltung und Inhalte der Seiten haben und uns diese Inhalte nicht zu eigen machen.

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