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im Westen den Dharma in einer zeit- und kulturgemäßen<br />
Art und Weise nahe zu bringen. Und so gab er dem<br />
Ganzen das Logo „Stressbewältigung“, denn er wusste,<br />
dass wir im Westen damit etwas anfangen können.<br />
Die Auswirkungen von Stress spüren wir schließlich<br />
alle am eigenen Leibe.<br />
So konnte die Achtsamkeitspraxis Einzug in die Gesamtgesellschaft<br />
halten. Immer mehr Menschen machen<br />
sich die praktischen und alltagstauglichen Achtsamkeitsübungen<br />
für ein bewusstes und gesünderes Leben<br />
zueigen. Was lange Zeit als getrennt voneinander galt<br />
– östliche Weisheit und westliche Wissenschaft –, geht<br />
in der Achtsamkeitspraxis eine heilsame Verbindung<br />
zum Wohle des Menschen ein.<br />
Die Achtsamkeitsmeditation wird mittlerweile in<br />
vielen Gesundheitseinrichtungen und Krankenhäusern<br />
praktiziert, MBSR-Kurse an Volkshochschulen ebenso<br />
wie in den Führungsetagen der Wirtschaft angeboten.<br />
Auf wissenschaftlichen Kongressen diskutieren<br />
Experten über die Auswirkungen der Achtsamkeit,<br />
Mediziner belegen deren heilenden Effekt auf Körper<br />
und Gesundheit und Psychologen auf die Gefühlswelt.<br />
Kaum jemand würde heute noch die gesundheitsfördernden<br />
und stressreduzierenden Auswirkungen der<br />
Achtsamkeitspraxis anzweifeln. Diese Auswirkungen<br />
bezeugen weise Menschen zwar bereits seit mehr als<br />
2000 Jahren, doch erst jetzt, da wir wissenschaftliche<br />
Beweise dafür haben, beginnen wir dem Glauben zu<br />
schenken. Doch so sind wir nun mal, wir kopflastigen<br />
Westler. Erst wenn wir blinkende Bilder der Hirnzentren<br />
meditierender Mönche im Kernspin sehen, die durch die<br />
Meditation aktiviert oder gar vergrößert werden, lassen<br />
wir uns davon überzeugen, dass die Meditation etwas<br />
bewirkt. Wissen gilt in unserer Kultur seit jeher mehr<br />
als Erfahrung. Und was sich in unserem Gehirn abspielt,<br />
beeindruckt uns kulturgemäß immer schon mehr als das,<br />
was in unserem gesamten darunter liegenden Körper<br />
geschieht. Nicht von ungefähr sind es die Neurobiologen,<br />
die derzeit in der Gesellschaft höchstes Ansehen,<br />
ja geradezu Kultstatus, genießen.<br />
Doch alles Blinken und Forschen und Diskutieren<br />
nützt wenig, solange wir es nicht selbst tun. Denn Achtsamkeit<br />
ist ein Weg der Erfahrung. Ein Weg, der uns zu<br />
dem führen will, wonach wir uns in der hektischen und<br />
reizüberfluteten Welt der Gegenwart so sehr sehnen und<br />
es so schwer erlangen: innere Balance, Konzentration,<br />
Gelassenheit und Ruhe. Die Achtsamkeitspraxis bietet<br />
uns hierfür eine Vielzahl praktischer und alltagstauglicher<br />
Lösungen im Umgang mit Stress, schmerzhaften<br />
Emotionen, körperlichen Schmerzen und schwierigen<br />
zwischenmenschlichen Beziehungen. Wir lernen, so<br />
die Achtsamkeitslehrerin Linda Lehrhaupt, die Wellen<br />
des Lebens zu reiten. Auch wenn wir die Wellen des<br />
Lebens, die in Form von Krankheit, Verlust, Stress oder<br />
anderen schmerzlichen Erfahrungen auf uns zurollen,<br />
nicht aufhalten können, so können wir doch lernen, auf<br />
ihnen zu surfen anstatt in ihnen kopfüber unterzugehen.<br />
Hierfür gibt die Zen- und Achtsamkeitslehrerin Linda<br />
Lehrhaupt den Menschen in ihrem neuen Buch viele<br />
bewährte Übungen und Anregungen mit auf den Weg.<br />
Auch der vietnamesische Zen-Mönch Thich Nhât<br />
Hanh ist seit vielen Jahren ein wahrhaft geduldiger<br />
Lehrmeister, der uns zerstreuten Westlern eine Vielzahl<br />
von praktischen Achtsamkeitsübungen für den Alltag<br />
an die Hand gibt, angefangen beim achtsamen Essen,<br />
Duschen, Kochen bis hin zum Telefonieren und Autofahren.<br />
All diesen Achtsamkeitsübungen ist zueigen,<br />
dass sie in der Beschreibung sehr einfach anmuten,<br />
sich in der Praxis jedoch alles andere als easy erweisen.<br />
Nicht von ungefähr vergleicht die buddhistische Philosophie<br />
unseren Geist mit einer Affenhorde, die immer<br />
dann besonders wild wird, wenn wir uns für eine ruhige<br />
Achtsamkeitsübung entscheiden. Ein kleiner Trost an<br />
dieser Stelle mag sein, dass viele buddhistische Lehrer<br />
in der Achtsamkeit eine der wirklich herausfordernden<br />
Übungen auf dem spirituellen Weg erblicken. Und<br />
auf diesem Weg bleibt einem eines tatsächlich nicht<br />
erspart: die Bereitschaft, beharrlich zu üben und sich<br />
unverdrossen immer wieder auf das Meditationskissen<br />
zu setzen.<br />
Allen zerstreuten Zeitgenossen, die dabei ebenso wie<br />
ich immer wieder aus der Achtsamkeit fallen, seien zur<br />
Erbauung die Worte von Jon Kabat-Zinn mit auf den<br />
Weg gegeben: „Der Moment, in dem Sie bemerken,<br />
dass Sie nicht achtsam sind, ist ein Moment höchster<br />
Achtsamkeit“.<br />
Die Autorin Christa Spannbauer verbindet als Autorin und<br />
Journalistin in ihren Publikationen und Vorträgen die Weisheitswege<br />
aus Ost und West mit neuen Wissenschaftserkenntnissen.<br />
Sie ist u.a. Herausgeberin der Bücher „Connectedness.<br />
Warum wir ein neues Weltbild brauchen“ mit Gerald Hüther<br />
und „Es geht ums Tun und nicht ums Siegen“ von Bernard<br />
Glassman und Konstantin Wecker. Sie verfügt über langjährige<br />
Zen- und Achtsamkeitspraxis. Informationen: www.christaspannbauer.de<br />
Buchtipp:<br />
Thema Ost West<br />
Linda Lehrhaupt/Christa<br />
Spannbauer (Hg): Die Wellen<br />
des Lebens reiten. Mit Achtsamkeit<br />
zu innerer Balance.<br />
Kösel 2012.<br />
KGSBerlin 7-8/2012 19