Muße
Muße
Muße
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Muße</strong>stunden - heiliges Kleinod<br />
Was bedeutet mir <strong>Muße</strong>?<br />
„Müßiggang ist aller Laster<br />
Anfang und des Teufels<br />
Ruhebank“, behauptet<br />
ein deutsches Sprichwort.<br />
Friedrich Schlegel<br />
dagegen bezeichnet die<br />
<strong>Muße</strong> als „heiliges Kleinod“,<br />
als „einziges Fragment<br />
der Gottähnlichkeit,<br />
das uns noch aus dem<br />
Paradies blieb“. Und was<br />
ist sie für mich? Doch<br />
eher „heiliges Kleinod“<br />
als „des Teufels Ruhebank“.<br />
„Des Teufels<br />
Ruhebank“<br />
<strong>Muße</strong>stunden waren mir<br />
schon in meiner Jugend<br />
kostbar. Sie waren und<br />
sind für mich selten Stunden<br />
des Nichtstuns. Am<br />
liebsten lese ich ein gutes<br />
Buch, das nicht einfach<br />
nur unterhält, sondern<br />
zum Nachdenken anregt.<br />
Zur <strong>Muße</strong> gehört für<br />
mich eine sie fördernde<br />
Atmosphäre. Besonders<br />
gern mag ich eine Naturidylle:<br />
ein lauschiges<br />
Plätzchen, möglichst<br />
8<br />
schattig, mit freiem Blick<br />
in den Himmel und in die<br />
Landschaft, aufs Meer,<br />
von einer Anhöhe in ein<br />
Tal oder auf schneebedeckte<br />
Berge. Aber auch<br />
in einer solchen Idylle<br />
darf das gute Buch nicht<br />
fehlen.<br />
<strong>Muße</strong>stunden waren mir<br />
während meiner Berufstätigkeit<br />
noch kostbarer<br />
als jetzt im „Ruhestand“,<br />
weil es schwerer war,<br />
<strong>Muße</strong>zeiten zu finden.<br />
Auch in Sachen <strong>Muße</strong><br />
gilt, dass die Knappheit<br />
der Güter ihren „Preis“<br />
bestimmt: Etwas ist um<br />
so kostbarer, je schwerer<br />
es erlangt werden kann.<br />
Wenn ich eine Art von<br />
„<strong>Muße</strong>-Bilanz“ ziehe, so<br />
haben sich mir die <strong>Muße</strong>stunden<br />
auf dem Gipfel<br />
eines hohen Berges nach<br />
einem stundenlangen<br />
anstrengenden Aufstieg<br />
(teilweise mit meiner<br />
Frau und meinen Kindern)<br />
tief und bleibend<br />
eingeprägt: ein prächtiges<br />
Alpen-Panorama, das mir<br />
die Schönheit der Schöpfung<br />
und die Größe des<br />
Schöpfers fast überwältigend<br />
bewusst machte, so<br />
dass mir eines meiner<br />
Lieblingslieder in den<br />
Sinn kam: das von Franz<br />
Schubert vertonte „O wie<br />
schön ist deine Welt, Vater,<br />
wenn sie golden<br />
strahlet...“<br />
Aber auch die Endlichkeit<br />
unseres Lebens wird<br />
mir in solchen <strong>Muße</strong>stunden<br />
manchmal besonders<br />
bewusst, so dass sie auch<br />
zu einer Art von<br />
„Einübung ins Sterben“<br />
(ars moriendi) werden<br />
können. Dann fallen<br />
mir die Verse von Joseph<br />
von Eichendorff ein:<br />
„Und meine Seele spannte<br />
/ Weit ihre Flügel<br />
aus, / Flog durch die stillen<br />
Lande / Als flöge sie<br />
nach Haus“.<br />
Dr. Johannes Schwarte<br />
Mitglied des AChoM