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Armutsbericht 07 - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen

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Die soziale Spaltung <strong>der</strong> Stadt<br />

Denn wenn <strong>bei</strong>spielsweise in <strong>der</strong> Stadt<br />

<strong>Bremen</strong> bereits im städtischen Durchschnitt<br />

knapp drei, in Bremerhaven sogar vier von<br />

zehn Kin<strong>der</strong>n in einem einkommensarmen<br />

Haushalt aufwachsen, sind auch viele ›unterdurchschnittliche‹<br />

Kin<strong>der</strong>armutsquoten in<br />

an<strong>der</strong>en Teilen kein Entwarnungssignal.<br />

34 Ortsteile von <strong>Bremen</strong> weisen einen Anteil<br />

erwerbsfähiger Ar<strong>bei</strong>tslosengeld-II-Empfänger/innen<br />

auf, <strong>der</strong> über dem hohen Durchschnittswert<br />

von 15,3 Prozent im März 20<strong>07</strong> liegt.<br />

Allerdings tritt dieses Armutsrisiko deutlich<br />

stärker und verdichtet in wenigen Ortsteilen in<br />

den Vor<strong>der</strong>grund. So lebt in <strong>der</strong> Stadt <strong>Bremen</strong><br />

rund die Hälfte <strong>der</strong> erwerbsfähigen hilfebedürftigen<br />

Bezieher/innen von Ar<strong>bei</strong>tslosengeld II<br />

und Sozialgeld in zwanzig von 82 Ortsteilen.<br />

In einigen Ortsteilen ist da<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Anteil von<br />

Sozialleistungsempfängern und -empfängerinnen<br />

in den vergangenen Jahren stärker als<br />

im restlichen Stadtgebiet gestiegen.<br />

Auf <strong>der</strong> Grundlage kleinräumiger Sozialraumanalysen<br />

lässt sich feststellen, dass <strong>bei</strong><br />

den deutlich einkommensschwächeren Gebieten<br />

zwei Typen <strong>der</strong> Wohnbebauung im Vor<strong>der</strong>grund<br />

stehen. Zum einen handelt es sich<br />

um ältere, dicht bebaute industrie- und hafennah<br />

gelegene Wohngebiete beziehungsweise<br />

historische Ar<strong>bei</strong>terviertel, zum an<strong>der</strong>en um<br />

Ortsteile, in denen Großsiedlungen dominieren,<br />

die einen beson<strong>der</strong>s großen Bestand an<br />

Geschosswohnungen aufweisen. In den durch<br />

höheren Wohlstand gekennzeichneten Ortsteilen<br />

befinden sich größere Bestände an<br />

Einfamilienhäusern sowie Geschosswohnungen<br />

höherer Qualität, und zwar sowohl in suburbaner<br />

als auch citynaher Lage.<br />

Es zeigen sich enge Zusammenhänge<br />

zwischen den über Indikatoren abgebildeten<br />

sozioökonomischen Merkmalen von Personen<br />

und Haushalten mit ihrer Wohnsituation und<br />

Wohnstandortwahl. 9<br />

Die Ursachen <strong>der</strong> sozialen Segregation sind<br />

komplex, die Prozesse, die da<strong>bei</strong> ablaufen,<br />

recht langwierig. Die soziale Aufspaltung <strong>der</strong><br />

Stadt muss immer auch im Zusammenhang<br />

mit <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung demografischer Strukturen<br />

und sich differenzieren<strong>der</strong> Lebens- und<br />

Wohnformen betrachtet werden. Eine beson<strong>der</strong>e<br />

Rolle spielt da<strong>bei</strong> die starke Zuwan<strong>der</strong>ung<br />

aus dem Ausland.<br />

Wie die vorliegenden Analysen deutlich<br />

machen, ist das gegenwärtig entscheidende<br />

Kennzeichen <strong>der</strong> sozialen Segregation eine<br />

sozio-ökonomische Polarisierung, die sich<br />

innerhalb <strong>der</strong> Stadt auch räumlich abzeichnet<br />

und in einigen Gebieten zur Konzentration einkommensschwacher<br />

Haushalte führt. Innerhalb<br />

<strong>der</strong> Großstadt spiegelt sich damit die sozioökonomische<br />

Polarisierung auf <strong>der</strong> Ebene des<br />

Wohnungsmarkts: Haushalte mit beson<strong>der</strong>s<br />

geringen Einkommen werden tendenziell aus<br />

höherpreisigen Wohnlagen verdrängt und<br />

ziehen bevorzugt in Wohngebiete mit verhältnismäßig<br />

preisgünstigem Wohnraum. Die Polarisierung<br />

zeigt sich auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> ›sozial<br />

benachteiligten Stadtteile‹ beson<strong>der</strong>s als<br />

Häufung <strong>der</strong> Haushalte von Geringverdienern<br />

und Geringverdienerinnen und Transferleistungsbeziehern<br />

und -bezieherinnen.<br />

Alle Untersuchungen zum Thema <strong>der</strong> sozialen<br />

Spaltung und Polarisierung ar<strong>bei</strong>ten aber<br />

einen Aspekt sehr deutlich heraus: Die soziale<br />

und räumliche Segregation beruht auf einem<br />

Bündel von Ursachen; sie kann daher nicht<br />

effektiv und effizient durch isolierte Einzelmaßnahmen<br />

bekämpft werden. Wenn es gelingen<br />

soll, das ›Abgleiten‹ von Bevölkerungsteilen in<br />

gefährdeten Stadtgebieten aufzuhalten o<strong>der</strong><br />

zu verhin<strong>der</strong>n, dann müssen Instrumente einer<br />

sozialintegrativen Stadtpolitik neu entwickelt<br />

werden: Instrumente, die in <strong>der</strong> Zuständigkeit<br />

des Bundes und im Kompetenzbereich <strong>der</strong><br />

Län<strong>der</strong> liegen.<br />

Für den Bund gilt in diesem Zusammenhang,<br />

dass er seine Anstrengungen zur<br />

Armutsbekämpfung, die unter an<strong>der</strong>em in<br />

Teil-Initiativen wie ›Kin<strong>der</strong> raus aus Hartz IV‹<br />

figurieren, dringend zu einem umfassenden<br />

Programm verschmelzen muss. Maßgebend<br />

sollten da<strong>bei</strong> sein<br />

9 Vgl. Dangschat, Jens: Segregation; in: Häußermann, Hartmut<br />

(Hg.): Großstadt. Soziologische Stichworte, Opladen 2000,<br />

S. 209–213 sowie Häußermann, Hartmut/Siebel, Walter:<br />

Stadtsoziologie, Frankfurt/Main 2004.<br />

eine massive Bekämpfung <strong>der</strong> materiellen<br />

Armut von Paaren, Ehepaaren und Alleinerziehenden,<br />

die ihren Unterhalt aus eigenem<br />

Einkommen bestreiten könnten, durch ihre<br />

Kin<strong>der</strong> aber von Fürsorgeleistungen abhängig<br />

werden; eine deutliche Erhöhung des<br />

Kin<strong>der</strong>zuschlags nach § 6a des Bundeskin<strong>der</strong>geldgesetzes<br />

<strong>bei</strong> gleichzeitiger Aufhebung<br />

<strong>der</strong> Mindesteinkommensgrenzen, die<br />

Einführung eines Mietzuschlags sowie eine<br />

Überar<strong>bei</strong>tung <strong>der</strong> Wohngeldregelungen<br />

im Sinne <strong>der</strong> Betroffenen wären erste, wichtige<br />

Schritte;<br />

eine Erhöhung <strong>der</strong> Regelsätze des Ar<strong>bei</strong>tslosengeldes<br />

II von 347 auf 420 Euro;<br />

die Einführung eines gesetzlich geregelten,<br />

bundesweit geltenden Mindestlohns in Höhe<br />

von mindestens 7,50 Euro;<br />

schließlich die För<strong>der</strong>ung eines ›zweiten<br />

Ar<strong>bei</strong>tsmarktes‹, auf dem sozialversicherungspflichtige<br />

Beschäftigungsverhältnisse<br />

im öffentlichen Interesse entstehen können,<br />

die insbeson<strong>der</strong>e darauf abzielen, die<br />

durch Marktversagen entstandene Ar<strong>bei</strong>tslücke<br />

in den regionalen Teilar<strong>bei</strong>tsmärkten<br />

zu schließen.<br />

Ein grundsätzlich richtiger Ansatz zur Bekämpfung<br />

<strong>der</strong> sozialen Spaltung auf regionaler<br />

Ebene ist ohne Zweifel <strong>der</strong> Vorstoß, den die<br />

neue Landesregierung in <strong>Bremen</strong>/Bremerhaven<br />

mit ihrer ›sozialintegrativen Stadtentwicklungspolitik‹<br />

unternimmt. Zu Recht wird im<br />

Koalitionsvertrag darauf verwiesen, dass das<br />

Land <strong>Bremen</strong> zur Abwendung einer tief greifenden<br />

sozialen Spaltung einen integrativen<br />

Politikansatz entwickeln muss, <strong>der</strong> Mittel und<br />

Maßnahmen zur Hilfe auf die beson<strong>der</strong>s<br />

gefährdeten Wohnquartiere konzentriert. Wichtig<br />

erscheint uns in diesem Zusammenhang,<br />

dass die Integration <strong>der</strong> Teilpolitiken und die<br />

Formulierung eines Gesamtprogramms vom<br />

Standpunkt <strong>der</strong> sozialen Integration in den<br />

Stadtteilen zügig vorangetrieben werden.<br />

Wesentliche Bestandteile dieses Programms<br />

müssen sein:<br />

Die in <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven durchgeführten<br />

Stadterneuerungsprogramme (Soziale<br />

Stadt/Wohnen in Nachbarschaften – WiN,<br />

Städtebauliche Sanierung und Stadtumbau)<br />

sind zu verstärken. Die dafür breitzustellenden<br />

Haushaltsmittel sind – auch unabhängig<br />

von den vom Bund jährlich bereitgestellten<br />

Mitteln – gemäß dem gestiegenen Bedarf<br />

bedeutend aufzustocken.<br />

Integrative Handlungskonzepte in den Stadtteilen<br />

sind erfor<strong>der</strong>lich beziehungsweise<br />

weiterzuentwickeln. Die verschiedenen<br />

Ressortplanungen für das Stadtgebiet sind<br />

verbindlich auf die Aufgaben <strong>der</strong> sozialen<br />

Stadtentwicklung zu verpflichten (Wirtschaft,<br />

Ar<strong>bei</strong>t, Verkehr, Umwelt, Bildung,<br />

Gesundheit, Inneres, Justiz).<br />

Soziale Einrichtungen in den Ortsteilen sind<br />

bedarfsgerecht zu mo<strong>der</strong>nisieren. Innerhalb<br />

<strong>der</strong> kommenden Jahre müssen <strong>der</strong> Umbau<br />

von Schulen zu Ganztagseinrichtungen und<br />

die Integration vorschulischer Betreuungsangebote<br />

flächendeckend organisatorisch<br />

und finanziell bewältigt werden.<br />

Das Konzept des sozialen Quartiersmanagements<br />

in benachteiligten Stadtteilen hat<br />

sich bewährt. Im Interesse <strong>der</strong> Nachhaltigkeit<br />

<strong>der</strong> Programmför<strong>der</strong>ung ist es dringend<br />

erfor<strong>der</strong>lich, das Quartiersmanagement<br />

auch unabhängig von einer WiN-För<strong>der</strong>ung in<br />

problematischen Gebieten einzuführen.<br />

Wegen <strong>der</strong> langfristigen Perspektive <strong>der</strong><br />

Planungen und Maßnahmen ist eine verbindliche,<br />

mehrjährige Programm- und Finanzierungsplanung<br />

für die Stadterneuerung<br />

dringend erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Entscheidend für den Erfolg <strong>der</strong>artiger Programme<br />

wird sein, ob es in <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven<br />

gelingt, Instrumente und Zuständigkeiten<br />

für ihre dezentrale Steuerung zu entwickeln,<br />

eine realistische Berichterstattung<br />

über Fortschritte und Mängel einzurichten,<br />

schnelle, unbürokratische Entscheidungen zu<br />

ermöglichen und den Fortschritt aller Maßnahmen<br />

nicht nur zu dokumentieren, son<strong>der</strong>n<br />

auch systematisch evaluierend zu begleiten.<br />

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