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Der Archivar, Heft 4, Nov. 2002 - Archive in Nordrhein-Westfalen

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sich auf Herrscher, den Adel, die M<strong>in</strong>isterialen sowie Städte und<br />

e<strong>in</strong>zelne Bürger.<br />

Fuhrmann setzt sich zu Beg<strong>in</strong>n grundsätzlich <strong>in</strong> kritischen<br />

Anmerkungen mit der Anwendung der klassischen Methoden<br />

der Diplomatik, dem Schrift- und Diktatvergleich, ause<strong>in</strong>ander.<br />

In den vergleichbaren Untersuchungen von Urkunden des Frühund<br />

Hochmittelalters gilt der Schriftvergleich als die Methode zur<br />

näheren Bestimmung der verschiedenen Schreiber. <strong>Der</strong> Gesamte<strong>in</strong>druck<br />

der Schrift und die Hervorhebung <strong>in</strong>dividueller Schriftelemente<br />

dienen als Kriterien für die Zuweisung der Urkunden<br />

zu e<strong>in</strong>zelnen Schreibern. Für die Urkunden des beg<strong>in</strong>nenden<br />

Spätmittelalters bedeutet die Bewertung des Schriftvergleichs,<br />

dass bei der Feststellung von Übere<strong>in</strong>stimmungen im Gesamte<strong>in</strong>druck<br />

von Schriftgruppen die übere<strong>in</strong>stimmenden Schriftmerkmale<br />

höher bewertet werden als <strong>in</strong>dividuelle Merkmale, um die<br />

Zuweisungen zu e<strong>in</strong>zelnen Schreibern gesichert zu treffen. Hilfreich<br />

für die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse s<strong>in</strong>d die Def<strong>in</strong>itionen<br />

der Begriffe „der Kanzlei- und Empfängerausfertigungen<br />

sowie der Ausfertigung der Dritten und der unbestimmbaren<br />

Hand“ (S. 59 f.).<br />

Das Ziel des Schrift- und Diktatvergleiches besteht dar<strong>in</strong>, die<br />

Kanzleiausfertigungen von den Empfängerausfertigungen, den<br />

Ausfertigungen von unbestimmbarer Hand, der dritten Hand<br />

sowie den Fälschungen zu unterscheiden; diese Arbeit wird im<br />

historisch-chronologischen Teil (S. 73–299) geleistet. Im systematischen<br />

Teil (S. 299–403) werden ferner die <strong>in</strong>neren und äußeren<br />

Merkmale der Urkunden, die Urkundenarten, die Entstehung der<br />

Urkunden sowie die Beteiligung Dritter an der Beurkundung dargestellt.<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf das untersuchte umfangreiche Material von<br />

ca. 1300 Urkunden s<strong>in</strong>d folgende Ergebnisse festzuhalten:<br />

1) Unter Erzbischof Konrad von Hochstaden s<strong>in</strong>d 21 erzbischöfliche<br />

Schreiber mit 183 Urkunden <strong>in</strong> 189 Ausfertigungen nachweisbar,<br />

36 Empfängerschreiber mit 93 Urkunden, 156 unbestimmbare<br />

Hände, die 194 Urkunden <strong>in</strong> 217 Ausfertigungen mundierten.<br />

2) Unter Erzbischof Engelbert von Falkenburg werden acht Kanzleischreiber,<br />

von denen drei bereits unter se<strong>in</strong>em Vorgänger tätig<br />

waren, sieben Empfängerhände mit neun Urkunden <strong>in</strong> zwölf<br />

Ausfertigungen und 29 Urkunden <strong>in</strong> 31 Ausfertigungen durch die<br />

unbestimmbare Hand nachweisbar. 3) Im Laufe des Pontifikats<br />

des Erzbischofs Siegfried von Westerburg steigt die Urkundenausstellung<br />

wieder an; 13 Kanzleihände mit 125 Urkunden <strong>in</strong> 131<br />

Ausfertigungen stehen 11 Empfängerhände <strong>in</strong> 33 Ausfertigungen<br />

und 88 unbestimmbare Hände mit 94 Urkunden <strong>in</strong> 98 Ausfertigungen<br />

gegenüber.<br />

In Anlehnung an die heute übliche Konvention <strong>in</strong> der Term<strong>in</strong>ologie<br />

der diplomatischen Forschung wird auch die Kanzlei der<br />

Erzbischöfe von Köln als „die Gesamtheit der Ausstellerschreiber“<br />

(S. 54) bezeichnet; unter dem Begriff „Kanzlei“ wird also auch im<br />

13. Jahrhundert ke<strong>in</strong>e <strong>in</strong>stitutionalisierte Verwaltungse<strong>in</strong>heit subsumiert.<br />

<strong>Der</strong> Amtstitel e<strong>in</strong>es erzbischöflichen „notarius“ ist nachweisbar,<br />

ohne jedoch die genauen Kompetenzen und Funktionen<br />

se<strong>in</strong>es Amtes def<strong>in</strong>ieren zu können (S. 406). Dem Ergebnis des<br />

Diktatvergleichs kommt vergleichsweise e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Verwertbarkeit<br />

zu, die auf die starke Straffung des Formulars im Laufe des<br />

13. Jahrhunderts zurückzuführen ist. In zwei Anhängen werden<br />

detailliert <strong>in</strong> Formularlisten die verschiedenen Wortlaute des klassischen<br />

Urkundenformulars aufgeführt und <strong>in</strong> anschließenden<br />

Formulartabellen die e<strong>in</strong>zelnen Bestandteile von der Invocatio bis<br />

h<strong>in</strong> zur Corroboratio und Datierung den e<strong>in</strong>zelnen Schreibern<br />

zugeordnet. E<strong>in</strong> Orts- und Personen<strong>in</strong>dex schließt die Arbeit ab,<br />

die als grundlegende Aufarbeitung der Kanzleigeschichte der Erzbischöfe<br />

von Köln im 13. Jahrhundert zu gelten hat.<br />

Pulheim Hans Budde<br />

<strong>Der</strong> furnehmbste Schatz. Ortsgeschichtliche<br />

Quellen <strong>in</strong> <strong>Archive</strong>n. Vorträge e<strong>in</strong>es quellenkundlichen<br />

Kolloquiums im Rahmen der Heimattage Baden-<br />

Württemberg am 23. Oktober 1999 <strong>in</strong> Pfull<strong>in</strong>gen. Hrsg.<br />

von der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg.<br />

Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2001. 99 S. mit 10 Abb.,<br />

geh. 10,– C.<br />

Seit e<strong>in</strong>igen Jahren nutzt die Landesarchivdirektion das Forum<br />

der Baden-Württembergischen Heimattage erfolgreich, um <strong>in</strong><br />

Kooperation mit den <strong>Archive</strong>n vor Ort die angestammte Klientel,<br />

also Ortshistoriker und heimatkundlich Interessierte aber auch<br />

das breitere Publikum auf archivische Problemfelder aufmerksam<br />

zu machen und über archivische Nutzungsmöglichkeiten zu<br />

unterrichten. Geme<strong>in</strong>sam mit dem Staatsarchiv Sigmar<strong>in</strong>gen und<br />

dem Kreisarchiv Reutl<strong>in</strong>gen veranstaltet, galt die Tagung 1999 <strong>in</strong><br />

Pfull<strong>in</strong>gen ortsgeschichtlichen Quellen <strong>in</strong> den unterschiedlichen<br />

Archivtypen.<br />

In zwei e<strong>in</strong>leitenden Referaten werden zunächst die jüngeren<br />

Tendenzen <strong>in</strong> der ortsgeschichtlichen Forschung <strong>in</strong> Baden-Württemberg<br />

(Andreas Schmauder), namentlich auch die Darstellung<br />

der Zeit des „Dritten Reiches“ (Benigna Schönhagen)<br />

beleuchtet. Mit der seit Anfang des 19. Jahrhunderts bestehenden<br />

amtlichen Kreisbeschreibung und der heute noch <strong>in</strong> Deutschland<br />

e<strong>in</strong>zigartigen amtlich-<strong>in</strong>stitutionalisierten „Landesbeschreibung“<br />

hat die Ortsgeschichte hier e<strong>in</strong>e bedeutende Tradition,<br />

deren Existenz unter f<strong>in</strong>anzpolitischem Druck immer e<strong>in</strong>mal wieder<br />

– glücklicherweise erfolglos – zur Disposition gestellt wird.<br />

Mit der wissenschaftlichen Akzeptanz der Sozial- und Mikrogeschichte<br />

ist seit den späten 70er Jahren e<strong>in</strong> wahrer Boom ortsgeschichtlicher<br />

Literatur zu verzeichnen, 40 bis 50 neue Titel pro<br />

Jahr: von der immer stärker arbeitsteilig und <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är<br />

angelegten wissenschaftlichen Ortsgeschichte über das „Heimatlob“<br />

älterer Prägung aus e<strong>in</strong>er Hand, bis h<strong>in</strong> zu der <strong>in</strong>sbesondere<br />

von e<strong>in</strong>igen kommunalen <strong>Archive</strong>n wie Stuttgart und Heilbronn<br />

gepflegten und nicht ganz unumstrittenen Chronik-Form.<br />

Am Beispiel des Fürstlich Thurn- und Taxischen Depositums<br />

Obermarchtal im Staatsarchiv Sigmar<strong>in</strong>gen stellt Annegret<br />

Wenz-Haubfleisch die Aussagekraft von Privatarchiven zur<br />

Grundherrschaft dar. Anhand des Salemschen Lehengutes Kernen<br />

<strong>in</strong> Spöck führt sie zunächst dessen vielfältigen dokumentarischen<br />

Niederschlag <strong>in</strong> den verschiedenen Quellentypen beispielhaft<br />

für das Jahr 1725 vor: Lehensbrief bzw. -revers, Verhörbücher,<br />

Urbare, Parzellenkarten und Rechnungen, um dann die e<strong>in</strong>zelnen<br />

Quellentypen mit ihrer Entstehungsgeschichte, Aussagekraft und<br />

Problematik e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en kritischen Würdigung zu unterziehen.<br />

Visitationsprotokollen, also dem schriftlichen Niederschlag<br />

sozialdiszipl<strong>in</strong>ierender kirchlicher Aufsichtstätigkeit, widmet<br />

sich Irmtraud Betz-Wischnath, denn „anders als die Quellen<br />

normativen Charakters unterrichten diese über den tatsächlichen<br />

Zustand des Kirchenwesens“. Neben der Kirchengeschichte<br />

selbst s<strong>in</strong>d es eben gerade die Orts- und Regionalgeschichte, die<br />

nachhaltig von diesen Quellen zehren, gewähren diese doch (fast)<br />

ungeschönt „E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die <strong>in</strong>neren Verhältnisse der Pfarreien,<br />

der Städte und Dörfer“, <strong>in</strong>sbesondere dann, wenn, wie im Herzogtum<br />

Württemberg, jährlich und tatsächlich vor Ort visitiert<br />

wurde.<br />

E<strong>in</strong> bisher nicht annähernd gehobener Schatz s<strong>in</strong>d die für das<br />

Herzogtum Württemberg eigentümlichen sogenannten „Inventuren<br />

und Teilungen“, amtlich aufgenommene Inventarverzeichnisse<br />

der Mobilien und Immobilien e<strong>in</strong>es jedes Bürgers anlässlich<br />

von Eheschließung und Tod, die e<strong>in</strong>geführt wurden, um Erbause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

vorzubeugen. Rolf Bidl<strong>in</strong>gmaier stellt diese<br />

für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, die Lokalgeschichte,<br />

die Entwicklung der Sachkultur oder die schwäbische Mentalität<br />

ganz allgeme<strong>in</strong> unvergleichlichen Quellen kundig und mit Verweis<br />

auf die reichlich vorhandene zeitgenössische Verwaltungsliteratur<br />

vor. Die Inventarpflicht wurde 1555 gesetzlich e<strong>in</strong>geführt<br />

und blieb bis zur E<strong>in</strong>führung des BGB am 1. 1. 1900 akribisch<br />

geübte Praxis. Tausende solcher überaus detailreicher Inventare<br />

lagern <strong>in</strong> jedem württembergischen Kommunalarchiv; Bidl<strong>in</strong>gmaier<br />

rechnet hoch, dass landesweit etwa 4 Mio. solcher Inventare<br />

auf Auswertung warten. Und es ist diese Fülle, an der bisher alle<br />

Forschungsprojekte gescheitert s<strong>in</strong>d.<br />

Norbert Hoffmann schließlich gibt vor dem H<strong>in</strong>tergrund der<br />

jeweiligen Behördengeschichte e<strong>in</strong>en Überblick über die „alles<br />

andere als homogene“ Überlieferung der württembergischen Prov<strong>in</strong>zialbehörden<br />

des 19. Jahrhunderts, also Kreisgerichtshöfe,<br />

Kreisregierungen, Kreisf<strong>in</strong>anzkammern, und rundet damit das<br />

ansprechend aufgemachte Bändchen ab, das jedem an lokal- oder<br />

358 <strong>Der</strong> <strong>Archivar</strong>, Jg. 55, <strong>2002</strong>, H. 4

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