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Bewegungstraining im Roboteranzug - Berufsgenossenschaftliches ...

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40 KUV-Jahresbericht<br />

<strong>Bewegungstraining</strong> <strong>im</strong> <strong>Roboteranzug</strong><br />

BG Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum testet Exoskelett bei querschnittgelähmten Menschen<br />

Am Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum startet die deutschlandweit<br />

erste umfassende Patientenstudie mit dem japanischen Exoskelett-System HAL (Hybrid Assistive L<strong>im</strong>b). Der<br />

„<strong>Roboteranzug</strong>“ soll helfen, die Bewegungsfähigkeit gelähmter oder in ihren Bewegungsabläufen stark<br />

eingeschränkter Menschen zu verbessern.<br />

Normalerweise sitzt Rolf Kalinski* wegen einer Querschnittlähmung<br />

<strong>im</strong> Rollstuhl. Mit dem Gehwagen schafft er nur wenige<br />

Schritte, dann verlässt ihn die Kraft. Jetzt ist sein Körper in einer<br />

Hängevorrichtung über einem Laufband fixiert, sodass seine<br />

Füße auf dem Laufband aufliegen. Sein Unterkörper und seine<br />

Beine stecken in einer Art Stützgerüst; Motoren und mechanische<br />

Gelenke sind an seinen Gliedmaßen fixiert. Mit den Armen<br />

stützt er sich beidseits auf Holzstangen ab. Dann beginnt er zu<br />

gehen, setzt einen Fuß vor den anderen, während die Motoren<br />

an seinen Beinen leise, surrende Geräusche von sich geben.<br />

Futuristisch wirkt er, dieser „<strong>Roboteranzug</strong>“. Er unterstützt die<br />

Bewegungsabläufe seines Trägers, die dennoch erstaunlich fließend<br />

und natürlich wirken. Kalinski ist einer der ersten Proban-<br />

den, die den <strong>Roboteranzug</strong> mit Namen HAL <strong>im</strong> Rahmen einer<br />

umfangreichen Studie am „Bergmannsheil“ in Bochum testen.<br />

Dies ist die erste deutsche Patientenstudie zum HAL überhaupt.<br />

Was sich zunächst wie das Drehbuch eines Science-Fiction-Films<br />

anhört, hat also einen sehr soliden und wissenschaftlichen<br />

Hintergrund: Die Forscher interessiert, ob regelmäßiges Training<br />

mit dem <strong>Roboteranzug</strong> die Bewegungsfähigkeit querschnittgelähmter<br />

Menschen verbessern kann.<br />

Nerven<strong>im</strong>pulse aktivieren die Muskeln<br />

Vom Prinzip her handelt es sich bei HAL um ein sogenanntes<br />

Exoskelett, also ein System, das dem Körper von außen eine zusätzliche<br />

Stützfunktion verleiht. Es soll Menschen mit Lähmungen<br />

oder Bewegungseinschränkungen dabei helfen, zumindest


einen Teil ihrer Mobilität zurückzugewinnen. Weil es überwiegend<br />

aus Spezialkunststoffen gefertigt ist, ist es sehr leicht:<br />

Lediglich 14 Kilogramm wiegt das Unterkörpermodell, mit dem<br />

Rolf Kalinski trainiert. Mittels computergesteuerter Motoren,<br />

die am Körper fixiert sind, werden ausgefallene Körperfunktionen<br />

ersetzt. Querschnittgelähmte sind damit unter best<strong>im</strong>mten<br />

Vo raussetzungen in der Lage, Bewegungsabläufe wie stehen<br />

oder gehen ausführen zu können.<br />

Entwickelt wurde HAL von Prof. Dr. Yoshiyuki Sankai, der an<br />

der Universität Tsukuba in Japan arbeitet. Dort ist es bereits an<br />

vielen Kliniken <strong>im</strong> Einsatz, Gehbehinderte und Schlaganfallpatienten<br />

arbeiten mit dem System. HAL ist nicht das einzige<br />

Exoskelett auf der Welt, das als so technisch ausgereift und<br />

funktionsfähig gilt, um es bei Patienten einsetzen zu können.<br />

Auch andere Entwickler beispielsweise in den USA und in Israel<br />

arbeiten an solchen Systemen.<br />

Einzigartig ist hier jedoch das Steuerungsprinzip: „Das Besondere<br />

an dem HAL-System ist, dass es durch die Nerven<strong>im</strong>pulse<br />

des Patienten gesteuert wird“, erläutert Prof. Dr. Thomas Schildhauer,<br />

Ärztlicher Direktor und zugleich Direktor der Chirurgischen<br />

Klinik des „Bergmannsheil“. Die elektrischen Nerven<strong>im</strong>pulse,<br />

die zur Bewegung eines Muskels führen, werden von Sensoren<br />

auf der Haut des Patienten registriert. Ein Computer, der am<br />

Exoskelett befestigt ist, empfängt diese Signale und wertet sie<br />

aus. Er setzt sie in Bewegungsbefehle um und leitet diese an<br />

die Elektromotoren weiter, die an den Gliedmaßen des Patienten<br />

fixiert sind. Die Motoren übernehmen also die Funktion<br />

der Muskeln und bewegen die Gelenke ihres Trägers. Sie sorgen<br />

auf diese Weise für ein zielgerichtetes Ausführen der Bewegungsabläufe,<br />

die etwa für das Gehen erforderlich sind.<br />

Patientenstudie: dreijähriger Testlauf des „<strong>Roboteranzug</strong>s“<br />

Seit Februar 2012 wird das HAL-System in einzelnen Anwendungen<br />

am „Bergmannsheil“ getestet. Anschließend beginnt<br />

die reguläre Studienphase: In einem Zeitraum von drei Jahren<br />

werden voraussichtlich 30 Frauen und Männer mit einer Querschnittlähmung<br />

den <strong>Roboteranzug</strong> erproben. Dabei werden<br />

Probanden mit unterschiedlich ausgeprägten Querschnittsymptomatiken<br />

einbezogen, ebenso wie Patienten mit frischen<br />

und älteren Verletzungen. „Wir wollen herausfinden,<br />

ob und inwieweit sich die Symptomatik bei den Patienten<br />

ver bessert, wenn sie mit dem Exoskelett trainieren“, erklärt<br />

Prof. Schildhauer.<br />

Die Probanden trainieren dazu täglich mit dem System. Jeweils<br />

vor und nach dem Training werden Gehtests gemacht,<br />

wird das Gangbild mit einer Videokamera aufgezeichnet,<br />

werden Vitalparameter gemessen und Weiteres mehr. So soll<br />

ermittelt werden, ob und inwieweit sich beispielsweise die<br />

KUV-Jahresbericht 41<br />

benötigte Zeit und Schrittzahl für das Zurücklegen einer Zehnmeterdistanz<br />

durch das Training verändert. Eine Testeinheit dauert<br />

etwa 15 bis 20 Minuten, unterbrochen von Pausen. Denn<br />

das Laufen <strong>im</strong> <strong>Roboteranzug</strong> geht keineswegs kinderleicht vor<br />

sich: Der Patient soll schließlich eigene Muskelkraft aufbauen<br />

und die Unterstützung durch das Exoskelett nur so weit nutzen,<br />

wie es für das Training erforderlich ist.<br />

Keine Wundermaschine<br />

„Sollten sich unsere Annahmen bestätigen, dann könnte<br />

der Trainingseffekt des Exoskeletts genutzt werden, um die<br />

Bewegungsfähigkeit insbesondere von frisch verletzten<br />

Querschnittgelähmten auch dauerhaft zu unterstützen und zu<br />

fördern“, sagt Prof. Dr. Schildhauer. Die Forscher vermuten,<br />

dass durch das HAL-Training die Weiterleitung der Nervensignale<br />

zwischen Gehirn und Muskeln verbessert wird: Ver-<br />

lorene Funktionen könnten sich somit zumindest teilweise<br />

regenerieren. Spastiken könnten reduziert, Muskeln aufgebaut<br />

und das gesamte Gangbild verbessert werden. Auch<br />

mögliche positive Effekte beispielsweise für das Herz-Kreis -<br />

lauf-System und das psychische Wohlbefinden sind Aspekte,<br />

die die Bochumer Forscher interessieren. Allerdings: Wunder<br />

vollbringen kann der <strong>Roboteranzug</strong> sicher nicht. Im Moment<br />

sehen Prof. Dr. Schildhauer und sein Team Erfolg versprechende<br />

Anwendungsmöglichkeiten von HAL nur bei Patienten mit inkompletten<br />

Querschnittlähmungen.<br />

Nur wenige entsprechen dem Studienprofil<br />

Rolf Kalinski jedenfalls ist froh, dass er an der Studie teilnehmen<br />

kann. Es hatten sich sehr viele Betroffene angeboten, als<br />

Probanden mitzuwirken. Doch nur wenige passen von ihrer<br />

Symptomatik und ihrem sonstigen körperlichen Zustand in das<br />

Anforderungsprofil. Vor allem müssen be<strong>im</strong> Träger, der mit<br />

dem HAL-System arbeitet, gewisse Restfunktionen in den betroffenen<br />

Gliedmaßen vorhanden sein. Denn nur, wenn die Nerven<strong>im</strong>pulse<br />

eine ausreichende Signalstärke haben, können sie von<br />

den Sensoren registriert und weiterverarbeitet werden. Außerdem<br />

müssen die Testpersonen eine gute körperliche Fitness<br />

mitbringen – denn anstrengend ist das Training allemal: „Am<br />

Anfang war es sehr ungewohnt, den Anzug zu steuern, aber<br />

mittlerweile fühlt er sich <strong>im</strong>mer mehr wie ein Teil meines eigenen<br />

Körpers an“, sagt Kalinski. Ob und wann allerdings Exoskelette<br />

wie das HAL-System in Deutschland regulär vertrieben werden<br />

können, sodass sie eine wirksame und kosteneffiziente Therapiemöglichkeit<br />

darstellen, ist derzeit noch unklar. Fakt ist,<br />

dass sie für Menschen mit Behinderungen eine neue Perspektive<br />

eröffnen könnten. Immerhin: Noch vor wenigen Jahren<br />

galten solche Roboteranzüge als reine Zukunftsvision –<br />

mittlerweile sind sie Realität.<br />

*Name geändert.

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