STUDIEN ZUR - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
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Konfliktanalyse Bosnien und Herzegowina, November 2005<br />
gegen die Unabhängigkeitserklärung das bosnische Parlament verließen. Unter Führung des<br />
1995 wegen Kriegsverbrechen und Genozids angeklagten Ex-RS-Präsidenten Radovan<br />
Karadzic gründeten sie daraufhin ein Gegenparlament zu den gesamtstaatlichen Organen,<br />
das im Dayton-Vertrag völkerrechtlich anerkannt wurde.<br />
Da die Mehrheit <strong>der</strong> bosnisch-serbischen Akteure seit Gründung <strong>der</strong> Republika Srpska jeden<br />
Versuch, den bosnischen Gesamtstaat zu stärken, als Schwächung ihrer eigenen<br />
Kompetenzen auffasste, kommt die Infragestellung <strong>der</strong> in Dayton verankerten Son<strong>der</strong>rechte<br />
für die Entität bis heute einem Sakrileg gleich, das aufzugeben sicherlich noch einige Jahre<br />
in Anspruch nehmen wird. So halten die Wi<strong>der</strong>stände gegen eine Zusammenlegung <strong>der</strong><br />
bosnisch-serbischen Polizeieinheiten mit ihren Kollegen in <strong>der</strong> Fö<strong>der</strong>ation trotz <strong>der</strong><br />
Zustimmung des RS-Parlaments zur Polizeireform an; auch die bereits weiter<br />
vorangeschrittene Integration <strong>der</strong> ehemals verfeindeten Armeen wird von einigen Politikern<br />
in Banja Luka nach wie vor infrage gestellt.<br />
Die Perzeption, als Sündenbock behandelt zu werden, hat handfeste Ursachen. Wegen<br />
undurchsichtiger Finanzen und mangeln<strong>der</strong> Kooperation im Reformprozess entließ Ashdown<br />
im Juni 2004 den RS-Innenminister, den Parlamentspräsidenten sowie fast fünf Dutzend<br />
weitere bosnisch-serbische Offizielle, vor allem aus <strong>der</strong> einst von Karadzic mitgegründeten<br />
Serbischen Demokratischen Partei. Weitere Sanktionen folgten im Dezember desselben<br />
Jahres wegen mangeln<strong>der</strong> Kooperation mit Den Haag. Daraufhin reichten Außenminister<br />
Mladen Ivanic von <strong>der</strong> Partei <strong>der</strong> Demokratischen Prosperität (Partija Demokratskog<br />
Progresa/PDP) und RS-Premierminister Dragan Mikerevic (SDS) ihre Rücktritte ein.<br />
Zugleich gab es in den vergangenen an<strong>der</strong>thalb Jahren Signale, dass die Obstruktionspolitik<br />
alter Tage, die auch nach dem Machtwechsel von Milosevic zu Vojislav Kostunica als<br />
serbischem Präsidenten in Belgrad anhielt, nicht mehr auf den fruchtbaren Boden stößt wie<br />
in den neunziger Jahren. So hielt RS-Präsident Cavic im Juni 2004 eine vielbeachtete Rede,<br />
in <strong>der</strong> er das Srebrenica-Massaker von Juli 1995 als „schwarze Seite <strong>der</strong> Geschichte des<br />
serbischen Volkes“ bezeichnete: „Derjenige, <strong>der</strong> dieses Verbrechen begangenen hat und<br />
sich dabei womöglich auf das Volk, welchem er angehört, berief, beging ein Verbrechen<br />
gegen das eigene Volk“. Dem öffentlichen Schuldeingeständnis Cavics folgte ein halbes Jahr<br />
später <strong>der</strong> Abschlussbericht <strong>der</strong> bosnisch-serbischen Srebrenica-Untersuchungskommission,<br />
die die Zahl <strong>der</strong> Opfer mit 7.800 angab. Anfang Oktober 2005 schließlich legte die<br />
Kommission einen Bericht mit etwa 20.000 Namen von an dem Massaker beteiligten RS-<br />
Polizeibeamten und -Soldaten vor.<br />
Auch wenn bosnische Menschenrechtler und Angehörige von Opferverbänden Cavics<br />
Aussage als taktisch motivierte Konzession deuten und den Srebrenica-Bericht als von<br />
Ashdown oktroyiert bezeichnen, könnte <strong>der</strong> dadurch sichtbare Wandel innerhalb <strong>der</strong> SDS<br />
dazu führen, dass sich weitere Mitglie<strong>der</strong> von Parteigrün<strong>der</strong> Karadzic abwenden. Indizien<br />
dafür gibt es: So ließ Innenminister Matijasevic (SDS) im Februar 2005 erstmals einen vom<br />
Haager Tribunal gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher an das UNO-Gericht<br />
überstellen, bis Ende des Jahres waren es zehn. Auch zahlreiche in Serbien wohnhafte, für<br />
Verbrechen während des Bosnien-Krieges verantwortliche Generäle haben sich in den<br />
vergangenen Monaten gestellt. Weitere Bereitschaft, die Kooperation mit <strong>der</strong> internationalen<br />
Justiz Ernst zu nehmen, dürfte auch sichtbare Ergebnisse für die Bevölkerung bringen:<br />
zunächst im Abschluss eines Assoziierungsabkommens mit <strong>der</strong> EU; später in den mit <strong>der</strong><br />
Vorbeitrittsphase verknüpften finanziellen Unterstützungsprogrammen.<br />
Wie in vielen an<strong>der</strong>en Politikfel<strong>der</strong>n hat nur internationaler Druck zur Zusammenarbeit mit<br />
dem Haager Tribunal geführt. Ohne den Rückhalt, den das OHR und westliche Diplomaten<br />
RS-Präsident Cavic gewährten, hätte er dem Wi<strong>der</strong>stand, <strong>der</strong> ihm aus <strong>der</strong> eigenen Partei<br />
entgegen gebracht wurde, sicherlich nicht standgehalten. Szenarien, er und an<strong>der</strong>e<br />
Führungsfiguren könnten im Vorfeld <strong>der</strong> Parlamentswahlen im Oktober 2006 die SDS<br />
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