Wie Euthanasie!" - "Würdevolles Sterben! - Ethikinstitut
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Streitgespräch zwischen Robert Spaemann und Barholomäus Grill<br />
[in: STERN 48/2006, 42-48]<br />
"<strong>Wie</strong> <strong>Euthanasie</strong>!" - "<strong>Würdevolles</strong> <strong>Sterben</strong>!"<br />
© Andreas Oertzen<br />
Robert Spaemann, 79, und Bartholomäus Grill, 52, Anfang November in Spaemanns Haus in Stuttgart<br />
Der Philosoph Robert Spaemann vergleicht die Sterbehilfe mit der NS-<strong>Euthanasie</strong>. Der<br />
Journalist Bartholomäus Grill hat seinen Bruder in den Freitod begleitet. Im stern-<br />
Gespräch prallen nun zwei überzeugungen aufeinander.<br />
GRILL: Die letzte Reise meines krebskranken Bruders zu den Ster- behelfern von<br />
"Dignitas" nach Zürich muss für Sie eigentlich in höchstem Maße verwerflich sein.<br />
SPAEMANN: Über die Entscheidung eines einzelnen Menschen urteile ich nicht, ich werde sie auch<br />
nicht verwerfen. Ich bin nicht betroffen von einer solchen Situation. Mein Interesse beginnt dort,<br />
wo die Dinge verallgemeinert werden, wo also nicht die Frage gestellt wird: "Hat Ihr Bruder Recht<br />
oder Unrecht getan?", sondern: "Sollte es solche Einrichtungen geben?" Einem Menschen, der in<br />
Not ist, kann man diesen Ausweg nicht vorwerfen, selbst dann nicht, wenn man einen solchen<br />
Ausweg in generalisierter Form falsch findet.<br />
Sie haben einmal geschrieben, dass Sie den Freitod für einen Ausdruck verminderter<br />
Zurechnungsfähigkeit halten.<br />
Ich habe nicht behauptet, dass jeder, der sich selbst tötet oder sich töten lässt, nicht<br />
zurechnungsfähig sei. Wohl gibt es sehr viele Selbsttötungen, die in einem Zustand der<br />
Unzurechnungsfähigkeit begangen werden.<br />
Mein Bruder hat vor seinem Todestag alle Schmerzmittel abgesetzt, um im Vollbesitz<br />
seiner geistigen Kräfte zu sein. Ich habe ihn noch nie so stark erlebt wie in seinen<br />
letzten Stunden.<br />
Ich meine, am Anfang einer solchen Entscheidung stehen Hilflosigkeit und Schwäche. Ob dieser<br />
Weg dann ein Weg der Stärke oder der Schwäche ist, das will ich gar nicht entscheiden.<br />
In Ihren Veröffentlichungen gehen Sie stets davon aus, dass alle Menschen eine<br />
fundamentale Solidarität verbindet. Wenn ich Sie recht verstehe, haben wir, die<br />
begleitenden Geschwister, durch unser Tun diese Solidarität zerstört. Sie postulieren<br />
weiter, dass eine Gesellschaft barbarisch werde, wenn sie diese Solidarität aufgebe.<br />
Ja, so habe ich mich einmal ausgedrückt, aber das habe ich auf den Arzt bezogen, der tötet. Ihre<br />
Sterbebegleitung war nicht ein Akt der Entsolidarisierung.
Ich finde, wir haben die schwierigste Solidarität überhaupt geleistet. Wir sind unserem<br />
Bruder beigestanden. Er war sich sehr wohl bewusst, welche Zumutung er uns da<br />
aufbürdet. Aus unserer Sicht war es nicht ein Akt der Barbarei, sondern der<br />
Barmherzigkeit.<br />
Ich nehme an, dass in Ihrem Fall das tatsächlich so ist, aber ich würde nicht so einen krassen<br />
Gegensatz zwischen Barbarei und Mitleid machen. Mitleid ist eine zweideutige Sache.<br />
Mitleidstötungen, die man ja immer wieder erlebt, auch in Altenheimen, geschehen oft aus<br />
"Mitleid", weil man sich nämlich selbst das Mitleiden ersparen will. Und so meine ich, dass sich<br />
auch eine Begleitung des eigenen Angehörigen auf diesem Weg mit einer klaren Missbilligung<br />
dessen, was er tut, verbinden kann. Ich habe versucht, als ich Ihre eindrucksvolle Schilderung<br />
gelesen habe, mir vorzustellen: "<strong>Wie</strong> hättest du selber gehandelt?" Nun sind alle diese<br />
Vorstellungen nicht sehr zuverlässig, denn man weiß nicht, was man im Ernstfall wirklich tun<br />
würde. Aber so, wie ich die Sache in dem Augenblick gesehen habe, als ich das las, dachte ich: "Ja,<br />
ich könnte meinen Bruder begleiten und könnte sagen, ich verlasse dich nicht bis zum letzten<br />
Augenblick, ich gehe mit dir, aber du weißt, dass ich es falsch finde, was du tust." Denn man kann<br />
jemanden auch begleiten auf einem falschen Weg. Aber ich kann nicht sagen: "Es soll dich nicht<br />
mehr geben." Neuere Untersuchungen zeigen, dass in der weitaus größten Zahl der Fälle der<br />
Suizid-Wunsch verschwindet, wenn der Patient erlebt: Es gibt jemanden, dem daran liegt, dass ich<br />
noch lebe.<br />
Genau darüber haben wir im Kreise der Familie immer wieder diskutiert. Am Ende aber<br />
mussten wir entscheiden.<br />
Was mussten Sie entscheiden?<br />
Wir mussten entscheiden, ob wir seinen Weg billigen, um überhaupt mitgehen zu<br />
können.<br />
Sie hätten sich auch entscheiden können zu sagen: "Nein, wir können das nicht billigen, aber wir<br />
gehen mit."<br />
Lassen Sie mich noch einmal auf die Gefahren der Entsolidarisierung durch eine<br />
freizügigere Sterbehilfe zurückkommen ...<br />
Die Entsolidarisierung fängt meines Erachtens da an, wo jemand die Selbsttötung akzeptiert, weil<br />
er sagt, das erspart mir die Aufwendungen, die auf mich zukommen, wenn der Kranke am Leben<br />
bleibt.<br />
Sie meinen die explodierenden Kosten im Krankenhaus, wenn das Leben künstlich<br />
verlängert wird.<br />
Ja. Denn bei jeder Art von Institutionalisierung der aktiven Sterbehilfe kommen diese Motive<br />
massiv nach vorne.<br />
Sie befürchten also, dass aktive Sterbehilfe, wie sie zum Beispiel in den Niederlanden<br />
oder Belgien erlaubt ist, zu einem rein nutzbringenden Handeln führt, das nur noch von<br />
Zweckmäßigkeit geleitet wird?<br />
Ja, und zwar ist das nicht nur eine vage Sorge, sondern eine Prognose, die man mit ziemlicher<br />
Sicherheit stellen kann, weil die Menschen nun einmal so sind, wie sie sind. Man sieht doch, dass<br />
die Tötung ohne Verlangen - also genau das, was die Nazis machten - die Beurteilung eines Lebens<br />
als nicht lebenswert voraussetzt. Menschen werden, ohne je danach verlangt zu haben, getötet,<br />
und zwar in einer jährlich wachsenden Zahl. Es gibt in den Niederlanden Fälle, in denen der Arzt<br />
sagt: Ich musste das schnell machen, weil ich die Betten brauchte. Das ist die Realität. Und über<br />
die kann man gar nicht hart genug sprechen.<br />
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"<strong>Wie</strong> <strong>Euthanasie</strong>!" - "<strong>Würdevolles</strong> <strong>Sterben</strong>!"<br />
© Andreas Oertzen<br />
In seiner Reportage "Ich will nur fröhliche Musik" - Ende 2005 in der "Zeit" veröffentlicht - beschreibt<br />
Bartholomäus Grill den Weg seines krebskranken Bruders in den Freitod<br />
Sie erinnern in Ihren Beiträgen zur Debatte immer wieder an die NS-Zeit und verweisen<br />
auf den fürchterlichen Propagandafilm "Ich klage an". Darin verabreicht ein Arzt seiner<br />
an Multipler Sklerose erkrankten Frau ein tödliches Gift und wird wegen Mordes<br />
angeklagt. Dieser Film von 1941 ist ein zynisches Plädoyer für die <strong>Euthanasie</strong>. Sie ziehen<br />
also Parallelen von der damaligen zur heutigen Entwicklung. Ich kann das Wollen und<br />
Tun meines Bruders überhaupt nicht in diesen ungeheuerlichen Zusammenhang stellen.<br />
Er selber empfand diese Gleichsetzung als Beleidigung, ja, als Infamie.<br />
Ich kann das aus der Sicht eines Menschen, der Sterbehilfe in Anspruch nehmen will,<br />
nachvollziehen. Aber meine Gleichsetzung bezieht sich doch auf die Tötung "lebensunwerten<br />
Lebens" ohne Verlangen, und die gibt es. Wenn Sie den Film heute in einem Kino spielen, müssten<br />
Sie vielleicht zwei Minuten rausstreichen, und der Rest des Filmes würde großen Beifall ernten. Man<br />
würde ihn überhaupt nicht fürchterlich finden. Denn er argumentiert fast genau so, wie heute<br />
argumentiert wird. Er klagt eine Justiz an, die so erbarmungslos ist, dass sie einen todkranken<br />
Menschen zum Leben zwingt.<br />
Auch ich halte die Praxis der aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden für höchst<br />
problematisch. Ein holländischer Professor hat unlängst beim Kongress der<br />
Palliativmediziner in Hamburg über die zunehmende Zahl von Grenzfällen gesprochen<br />
und davor gewarnt, dass sich der Prozess verselbstständigt. Dennoch halte ich Ihre<br />
Befürchtungen für vollkommen überzogen. Ihr Vergleich ist ungeheuerlich. Ich sehe kein<br />
Vernichtungsprogramm aufscheinen. Man kann die Barbarei der Nazis doch nicht<br />
ernsthaft mit der umstrittenen Praxis in Holland verknüpfen. Es ist ein fundamentaler<br />
Gegensatz, ob viele Menschen von einer Vernichtungsmaschinerie gegen ihren Willen<br />
systematisch ermordet werden oder ob ein Individuum die schwere Entscheidung trifft,<br />
freiwillig seine Qualen zu beenden.<br />
Das ist ein großer Unterschied. Aber in den Niederlanden werden Menschen auch ohne ihren Willen<br />
getötet. Ich kann es ja auch nicht für Zufall halten, dass der Ruf nach Legalisierung der <strong>Euthanasie</strong><br />
in einem Augenblick laut wird, wo wir uns auf eine enorme Überalterung der Gesellschaft<br />
hinbewegen. Freunde weisen es entrüstet von sich, wenn ich sage: "Es wird hier vielleicht nicht<br />
planmäßig, aber tatsächlich ein Ausweg vorbereitet für die Lösung eines Problems." Laut Umfragen<br />
sind zwei Drittel in Deutschland für die aktive Sterbehilfe. Aber wenn sie in den Altenheimen<br />
nachfragen, sind 90 Prozent der Leute dagegen, weil sie Angst haben.<br />
Sie halten also eine Perversion, wie wir sie in unserer Geschichte hatten, durchaus<br />
wieder für möglich?<br />
Ja.<br />
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Sie haben in diesem Zusammenhang von einer "zwingenden Logik" gesprochen,<br />
derzufolge aus dem Recht auf Sterbehilfe unvermeidlich eine Pflicht wird. Das müssen<br />
Sie mir genauer erklären.<br />
Wenn ich ein Recht habe und es nicht in Anspruch nehme, dann habe ich normalerweise die Folgen<br />
dafür zu tragen, dass ich es nicht tue. Das ist dann meine freie Entscheidung. In der<br />
gegenwärtigen Rechtslage ist es so, dass Angehörige all die Mühen, das Geld und die Opfer für<br />
Pflegefälle aufbringen müssen, weil sie sich in der Solidargemeinschaft befinden. Das ist hart und<br />
bedrückend für den Schwerkranken - aber es lässt sich nicht ändern. In dem Augenblick, wo ich<br />
das Recht habe, meine Tötung zu verlangen, kehrt sich die Sache um. Da kann jeder zu mir sagen:<br />
Du lädst den anderen all diese Lasten auf, du könntest sie ganz leicht davon befreien. In dem<br />
Augenblick wird die Verantwortungslast auf ihn abgewälzt, er ist jetzt schuld. Ich sehe nicht, wie<br />
sich das vermeiden ließe.<br />
Der Opa ist zu teuer, er soll endlich freiwillig sterben - Sie unterstellen den Angehörigen<br />
die allerfinstersten Absichten. Im Klartext heißt das: Es kommt bei einer liberalisierten<br />
Sterbehilfe automatisch zu einem Dammbruch, weil die Menschen von ökonomischen<br />
Motiven geleitet werden.<br />
Nein, ich meine das viel schlichter. Es sind gar nicht die böswilligen Angehörigen. Aber der Kranke<br />
muss das Gefühl haben: Alles, was sie für mich tun, könnte ich ihnen ersparen, und zwar auf legale<br />
Weise. Wenn ich es nicht tue, dann belädt es mich mit einer großen Verantwortung. Und dann kann<br />
ich mir vorstellen, dass mancher wirklich nicht mehr gerne leben möchte.<br />
Aber es gibt doch die ausweglose Situation, in der ein unheilbar kranker, schwer<br />
leidender Mensch einfach nur seine Qualen beenden will. Er muss sagen können: Da ist<br />
keine Hoffnung mehr, ich möchte sterben. Es muss die Möglichkeit geben, dass er von<br />
seiner letzten Freiheit Gebrauch macht, die ihm noch geblieben ist: Ich scheide aus<br />
freien Stücken aus dem Leben.<br />
Gewiss, das ist ein anderer Fall. Hier muss man aber unterscheiden zwischen dem Gebrauch der<br />
eigenen Freiheit und der Inanspruchnahme anderer. Wenn ein Mensch einen anderen Menschen in<br />
Anspruch nimmt, um sich töten zu lassen, tritt das Gesetz der menschlichen Solidargemeinschaft,<br />
von der wir sprachen, in Kraft. Wenn man diese Grenze durchbricht, dann hat man einen sehr<br />
weitgehenden Schritt getan, der nicht mehr gedeckt wird von dem Autonomierecht. Denn dieses<br />
kann sich nur auf das beziehen, was ich selbst tue.<br />
Absolut einverstanden - wenn es um die aktive Sterbehilfe in Form einer tödlichen<br />
Injektion geht. Im medizinischen Alltag gibt es nun aber viele Fälle, wo wir von einer<br />
indirekten aktiven Sterbehilfe sprechen können. Die terminale Sedation, also die extrem<br />
erhöhte Gabe von schmerzstillenden Mitteln unter Inkaufnahme des Todes, ist gang und<br />
gäbe, man spricht nur nicht darüber. Das könnte man genauso als Form der Tötung ohne<br />
Verlangen bezeichnen.<br />
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"<strong>Wie</strong> <strong>Euthanasie</strong>!" - "<strong>Würdevolles</strong> <strong>Sterben</strong>!"<br />
© Andreas Oertzen<br />
Robert Spaemann zählt zu den bedeutendsten deutschsprachigen Philosophen der Gegenwart. Der gebürtige<br />
Berliner lehrte in Stuttgart, Heidelberg und München<br />
Es gibt eine Dunkelzone, einen gleitenden Übergang, aber hier spielt doch die Motivation eine ganz<br />
entscheidende Rolle. Denn zunächst ist es ja nicht Absicht, durch erhöhte Gaben von<br />
schmerzstillenden Mitteln das Leben zu verkürzen, sondern ein schweres Leiden zu lindern.<br />
Meistens ist es ja auch so, dass die Dosis, die in der Absicht zu töten gegeben wird, viel stärker<br />
erhöht wird, als wenn jemand sie in schmerzstillender -Êalso palliativer - Absicht gibt. Für die<br />
direkte Tötung müssen Sie mehr geben, als medizinisch gerechtfertigt ist.<br />
Aber auch im Fall der palliativen Absicht nehmen viele Ärzte längst in Kauf, dass der<br />
Patient sterben kann.<br />
Man nimmt das mit Recht in Kauf, ja. Aber wir nehmen ja auch sonst Risiken in Kauf. Der<br />
Unterschied in der Absicht muss aber doch erkennbar bleiben. Diese Schweizer Sterbe-<br />
einrichtungen sind mir eben doch sehr unheimlich. Ich verstehe, dass Ihr Bruder sie aufgesucht<br />
hat. Aber wenn ich mir den Arzt vorstelle, dessen Beruf es ist, Menschen zu töten, dann wird mir<br />
wirklich ganz schlecht. Wo jemand eine Profession daraus macht, Menschen zu töten, da<br />
überkommt mich ein ähnlicher Schauer, wie er die Menschen immer überkommen hat gegenüber<br />
Henkern.<br />
In der Schweiz gibt es die gesetzlich erlaubte Praxis des begleiteten Freitodes schon seit<br />
vielen Jahren, und trotzdem ist unser Nachbarland nicht zu einer "Zivilisation des Todes"<br />
entartet. Dieses Horrorszenario, das Sie gelegentlich heraufbeschwören, sehe ich nicht.<br />
Ich halte die Schweiz für ein hoch kultiviertes Land mit einem ausgeprägten Freisinn.<br />
Eine Professionalisierung des Tötens ist ausdrücklich verboten. Die Sterbehelfer von<br />
"Exit" oder "Dignitas" erbringen eine freiwillige Dienstleistung, hinter der kein<br />
Profitstreben stehen darf.<br />
Aber die Ärzte, die bei "Dignitas" tätig sind, machen das doch professionell.<br />
"Dignitas" besorgt das letale Schlafmittel, der Patient oder Klient nimmt es ganz allein<br />
ein, niemand darf ihm dabei helfen. Die Ärzte begleiten den Prozess nur und bekommen<br />
dafür kein Honorar.<br />
Ja, wovon leben die denn?<br />
Von ihrer regulären Arbeit. Bei "Dignitas" sind sie nur ehrenamtlich tätig. Wenn Ludwig<br />
Minelli, der Leiter von "Dignitas", Gewinne aus dieser Dienstleistung machen würde,<br />
wäre das sein Ende. Wir haben natürlich sehr genau geprüft, was mit dem Geld unseres<br />
Bruders passiert. Man zahlt für die Mitgliedschaft im Verein, für das tödliche Schlafmittel,<br />
für das Krematorium und die Heimführung der Urne. Jedes Honorar aber ist nach<br />
Schweizer Gesetz verboten.<br />
Wenn das so ist, dann muss ich mich korrigieren.<br />
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Und es geht hier auch nicht um aktive Sterbehilfe, nicht um eine Tötung auf Verlangen.<br />
Weil der Betreffende das Gift selber nimmt.<br />
Niemand darf bei der Einnahme auch nur seinen zitternden Arm stützen.<br />
Aber sagen Sie bitte, warum gehen denn da die Leute in die Schweiz? Das können sie doch überall<br />
haben, wenn es keine aktive Sterbehilfe ist. Die Weise, wie "Dignitas" und "Exit" das Gesetz<br />
formalistisch austricksen, ist doch pure Heuchelei.<br />
Wenn mir in Deutschland jemand ein tödliches Gift verabreicht, so kann er das<br />
ungestraft tun. Beihilfe zum Suizid ist hierzulande nicht verboten - solange der Helfer<br />
nicht die Tatherrschaft übernimmt, denn dann handelte er ja mit eigener Absicht und<br />
könnte wegen Tötung oder gar Mord belangt werden. Nur: Wenn Sie einem Menschen<br />
beim Freitod geholfen haben, müssen Sie anschließend sofort dafür sorgen, dass sein<br />
Magen ausgepumpt wird - sonst machen Sie sich wegen unterlassener Hilfeleistung<br />
strafbar. Und das ist genau die absurde Situation, in die Sie unser Gesetz bringt. In der<br />
Schweiz ist das klar geregelt, hierzulande werden die verzweifelten Menschen allein<br />
gelassen, vom Gesetzgeber, von den Ärzten, von den Kirchen sowieso.<br />
Ich habe viele gute Freunde unter Ärzten, die in der Tat sagen: Das gehört nicht zu unserem Beruf,<br />
wir heilen, wir retten Leben, wenn auch nicht um jeden Preis. Ich glaube, dass der verstärkte Ruf<br />
nach <strong>Euthanasie</strong> auch damit zusammenhängt, dass man seit Jahrzehnten extreme Formen von<br />
Lebensverlängerung praktiziert, über jedes vernünftige Maß hinaus. Und dann taucht die Frage auf:<br />
"Sollte man nicht lieber ein Ende machen?" Ich habe schon vor 30 Jahren geschrieben, dass der<br />
Ruf nach <strong>Euthanasie</strong> kommen wird. Man lässt die Leute nicht mehr in Frieden sterben. Und die<br />
Mentalität derer, die das Leben endlos verlängern, gleicht oft denen, die dann am Ende töten. Es<br />
soll immer etwas gemacht werden, Leben oder Tod. Man will nicht zurücktreten und sagen, jetzt<br />
lassen wir die Natur ihren Gang gehen.<br />
Es gibt eben auch auf diesem Felde massive ökonomische Interessen. Die künstliche<br />
Verlängerung von Leben ist ja sehr profitabel.<br />
Ja, diesen inneren Zusammenhang muss man sehen. Manchmal wird das Leben nur in einem<br />
Fremdinteresse verlängert. Jemand wird an Apparate angeschlossen, damit er noch lebt für den<br />
Zweck einer Organentnahme.<br />
Nochmals: Die Kirche lässt die Menschen in diesen Situationen allein und stürzt sie in<br />
schwere Gewissenskonflikte. Denn wer den assistierten Freitod vollzieht, begeht nach<br />
ihrer Lehre eine Todsünde. Gott hat das Leben gegeben, Gott nimmt es. Man erwartet<br />
von den Menschen, ihr Leid wie Jesus am Kreuz zu ertragen - aber sie haben nicht die<br />
Kraft des Herrn. Was sagt man diesen Menschen?<br />
Der Arzt, der einem Patienten sagt, es sei für ihn lebensgefährlich, täglich 40 Zigaretten zu<br />
rauchen, stürzt auch diesen Menschen in schwere innere Konflikte. Vielleicht kann der Mensch nicht<br />
aufhören. Soll der Arzt deshalb sagen: "Es ist schon gut, es ist ja nicht so schlimm"? Wenn die<br />
Kirche - in Übereinstimmung mit Philosophen wie Sokrates, Platon, Kant und Wittgenstein - glaubt,<br />
der Mensch schade seiner Seele durch den Selbstmord, wieso lässt sie ihn im Stich, wenn sie ihm<br />
das sagt? Sie würde ihn aufgeben, wenn sie es ihm nicht sagte. Sie respektiert ja seine Freiheit,<br />
ihrer Warnung nicht zu folgen. Und ein Seelsorger sollte ihn auch dann nicht im Stich lassen.<br />
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"<strong>Wie</strong> <strong>Euthanasie</strong>!" - "<strong>Würdevolles</strong> <strong>Sterben</strong>!"<br />
© Andreas Oertzen<br />
"Die kirche drückt sich um antworten"<br />
Bartholomäus Grill<br />
Ich kenne Fälle, in denen Priester vor solchen Problemen davongelaufen sind.<br />
Sie waren offenbar der Situation nicht gewachsen.<br />
Deswegen haben viele Menschen das Gefühl, dass sich die Kirche um Antworten drückt.<br />
Das verstehe ich nicht. Sie gibt doch eine Antwort! Das wirft man ihr ja gerade vor.<br />
In Deutschland fordern nicht nur Sterbehelfer Gesetzesänderungen, die Mehrheit der<br />
Bevölkerung ist für eine liberalisierte Sterbehilfe.<br />
Da würde ich entschieden widersprechen. Der Gesetzgeber schützt die Menschen.<br />
Aber er kriminalisiert sie in puncto Sterbehilfe.<br />
Er kriminalisiert das Töten. Die Legalisierung des Tötens, sei es auf Verlangen oder ohne<br />
Verlangen, öffnet eine Schleuse - mit unabsehbaren Folgen.<br />
Aber er kriminalisiert eben auch den assistierten Freitod.<br />
Beihilfe zum Selbstmord ist doch bei uns nicht strafbar. Ich bin allerdings wie Sie der Meinung,<br />
dass diese Regelung konsequenterweise auch reformbedürftig ist - aber in umgekehrter Richtung.<br />
Auch die Beihilfe zum Selbstmord sollte strafbar sein.<br />
Damit aber würden man die Betroffenen eher noch mehr kriminalisieren als weniger.<br />
Ja, so ist es.<br />
In Artikel eins des Grundgesetzes heißt es: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."<br />
Dieser Artikel schützt uns bis zuletzt. Das heißt, jeder Bürger hat nicht nur ein Recht auf<br />
ein menschenwürdiges Leben, sondern auch auf ein menschenwürdiges <strong>Sterben</strong>.<br />
Der Artikel kann nicht schützen vor grässlichen Verletzungen und Beeinträchtigungen durch Natur<br />
und Schicksal. Er schützt den Menschen vor dem Menschen. Das Grundgesetz kann nicht schützen<br />
vor dem Tod. Es schützt vor der Tötung durch Menschen. Und geschützt werden muss auch die<br />
letzte Phase des Lebens, das <strong>Sterben</strong>. Es muss zuerst geschützt werden gegen die fanatische<br />
Lebensverlängerung, die es dem Menschen nicht erlaubt, zu sterben, wenn es so weit ist.<br />
... und die ihm die Menschenwürde raubt.<br />
Ja. Aber das tut auch die Tötung. <strong>Sterben</strong> ist ein Teil des Lebens, und wir müssen es vor zwei<br />
Seiten schützen: vor den Leuten, die Menschen zum Leben zwingen wollen, und vor jenen, die den<br />
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Sterbeprozess gewaltsam verkürzen wollen.<br />
Dennoch muss ein schwerkranker Mensch sagen können: Ich will nicht mehr.<br />
Das kann er sagen, aber dann muss er abwarten. Und wenn er sich selber töten will, dann soll er<br />
es tun. Aber er kann dabei nicht die Hilfe anderer in Anspruch nehmen.<br />
Ob aktive, passive oder indirekte Sterbehilfe - ich habe den Eindruck, dass hierzulande<br />
alle Möglichkeiten unter kriminellem Generalverdacht stehen. Dabei haben wir es im<br />
Bereich des <strong>Sterben</strong>s und der Sterbehilfe stets mit höchst individuellen und konkreten<br />
Schicksalen zu tun. Unsere geltenden rechtlichen und moralischen Normen aber sind<br />
höchst allgemein und alles andere als konkret.<br />
Allgemeine Gesetze können niemals jeden Einzelfall wirklich erfassen. Das kann man bei Platon<br />
schon nachlesen: Allgemeine Gesetze haben immer irgendein ungerechtes Moment, weil sie dem<br />
Einzelfall nicht gerecht werden. Aber was folgt daraus? Dass man die extremen Fälle<br />
verallgemeinert und legalisiert? Oder dass man sagt: Wir müssen das einfach hinnehmen,<br />
unvergleichliche Einzelfälle gehören zum menschlichen Dasein? Wenn jemand aus Freundschaft zu<br />
einem Menschen ihn auf seinem Weg nicht nur begleitet, sondern ihm aktiv behilflich ist, dann<br />
muss er, wenn es ihm ernst ist, auch eine Strafe akzeptieren wie das Gandhi schon vorgemacht<br />
hat. Er wird sagen: Ich habe nach meinem Gewissen gehandelt, ich würde es auch wieder tun.<br />
Aber ich sehe ein, dass eine allgemeine Legalisierung meiner Handlungsweise sehr viel mehr Übel<br />
zur Folge hätte als Gutes, und darum akzeptiere ich die Strafe. Das würde mir sehr großen<br />
Eindruck machen.<br />
Ein Argument oder besser, eine Prämisse, die für jeden zählt, haben Sie einmal so<br />
niedergeschrieben: Liebe tut alles für den, den man liebt.<br />
Ja.<br />
Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Denn wenn die Liebe wirklich alles täte, dann<br />
müsste sie auch auf Verlangen töten.<br />
Nein.<br />
Der Bruder sagt: Tue es, wenn du mich liebst.<br />
Dann würde ich antworten: Mein lieber Bruder, ich kann es nicht tun. Ich kann nicht sagen: Du,<br />
mein Bruder, sollst nicht mehr existieren. Das kann ich nicht. Alles andere: ja.<br />
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