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Ausgabe 3-2005 - Europa-Union Deutschland e.V.

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Was nun, <strong>Europa</strong>?<br />

Die Krise der EU kann auch ihre Chance sein, wenn<br />

die Politik den Menschen vermittelt, welchen Sinn<br />

der Zusammenschluss macht<br />

In Frankreich und den Niederlanden hat<br />

der Souverän gesprochen. Die Franzosen<br />

haben „Non“, die Niederländer „Nee“ gesagt.<br />

Bei der in den vergangenen Wochen intensiv<br />

geführten Diskussion in beiden Ländern<br />

ging es leidenschaftlich zu. Wozu jedoch die<br />

Menschen „Non“ und „Nee“ gesagt haben,<br />

ist sehr unterschiedlich. Die einen hatten<br />

Angst vor zu viel Souveränitätsverlust ihres<br />

Landes, die anderen beklagten, dass <strong>Europa</strong><br />

gerade zu wenige Probleme gelöst habe und<br />

zu wenig sozial sei. Die einen wollten weniger<br />

Zuwanderung, die anderen ein weltoffeneres<br />

Heimatland. Viele wollten generell<br />

ihren Missmut gegenüber den Regierenden<br />

ausdrücken und haben ihnen einen Denkzettel<br />

verpasst. Bei den Sozialisten in Frankreich<br />

degenerierte das Referendum gar zu<br />

einem Ausscheidungsrennen um die Präsidentschaftskandidatur.<br />

KEINE EFFIZIENZ DURCH NIZZA<br />

Bedauerlich ist, dass die wenigsten dieser<br />

Gründe etwas mit der Verfassung zu tun haben,<br />

im Gegenteil: Die Verfassung hätte insbesondere<br />

die Politik auf EU-Ebene deutlich<br />

leistungsfähiger und bürgernäher gemacht.<br />

Es wäre daher eine fatale Fehleinschätzung,<br />

würde man nun zu einem „dann eben nicht“<br />

übergehen und mit dem Vertrag von Nizza<br />

weiter leben wollen. Denn dieses Ungetüm<br />

an Regelwerk führt gerade zu jener Politik,<br />

die kein effizientes Arbeiten möglich macht,<br />

und damit diffusen Unmut gegenüber der<br />

politischen Klasse nur verstärkt.<br />

BEFREIUNGSSCHLAG NÖTIG –<br />

INHALTE ERKLÄREN<br />

<strong>Europa</strong> muss also den Blick nach vorne<br />

richten. Ein Befreiungsschlag ist nötig. Die<br />

Verbesserungen und Zwecke der Verfassung<br />

müssen letztlich kommen – aber sie müssen<br />

den Bürgern auch einmal erklärt werden. Die<br />

politische Klasse hat dies weit gehend versäumt.<br />

Wie sonst ist es zu erklären, dass die<br />

Franzosen und die Niederländer die Verfas-<br />

sung ablehnen, um die EU-Mitgliedschaft<br />

der Türkei zu verhindern – wo doch gerade<br />

die Verfassung die Messlatte für die Türkei<br />

viel höher legen soll (Grundrechtscharta!)<br />

als heute? Wie sonst ist es zu erklären, dass<br />

die Menschen befürchteten, ihr Land hätte<br />

nichts mehr zu sagen, obwohl doch gerade<br />

die Stimmengewichtung sich mehr an der<br />

Bevölkerungszahl orientieren und die nationalen<br />

Parlamente gestärkt werden sollen?<br />

Wie sonst ist zu erklären, dass die Bürger eine<br />

bürgernähere Politik wünschen, wo doch die<br />

Verfassung gerade Ratssitzungen öffentlich<br />

machen, Bürgerbegehren ermöglichen und<br />

das direkt vom Volk gewählte Parlament<br />

stärken will? All dies – die Inhalte – wurden<br />

nicht vermittelt.<br />

EUROPA IST SACHE DES HERZENS<br />

Wichtiger noch als die konkreten Inhalte<br />

der Verfassung ist die allgemeine Stimmung<br />

zu <strong>Europa</strong>. Hier liegt ein noch schwereres<br />

Versäumnis der politischen Elite und der<br />

Wirtschaft vor. <strong>Europa</strong> ist zu einer Sache des<br />

Schacherns und zu einer mit dem Argument<br />

der Realpolitik gerechtfertigten Windfähnchenpolitik<br />

geworden. Niemand hat den<br />

Menschen den wahren Nutzen der Erweiterung<br />

des vergangenen Jahres erklärt, etwa<br />

eine Kosten-Nutzen-Aufstellung veröffentlicht.<br />

Niemand hat den Menschen vermittelt,<br />

dass die EU die kostengünstigste Garantie<br />

für Frieden, Freiheit und Wohlstand bei uns<br />

und unseren Nachbarländern ist. Wie soll ein<br />

Nationalstaat allein in der globalen Ordnung<br />

politisch und wirtschaftlich die Interessen<br />

seiner Bürger noch wahrnehmen können?<br />

Was passiert, wo die EU abwesend ist, konnte<br />

man auf dem Balkan in den 90er Jahren<br />

sehen. Aber auch die Grenzen <strong>Europa</strong>s bleiben<br />

diffus und damit beängstigend für die<br />

Bürger. Es wäre nötig gewesen, dies bis zu<br />

den Stammtischen zu vermitteln – mehr<br />

noch, es bleibt nötig. Denn sonst passiert<br />

mit <strong>Europa</strong> das, was auch auf Bundesebene<br />

passiert, wenn diese Vermittlung ausbleibt:<br />

Das Volk entfernt sich von dem Projekt.<br />

Doch die Politik hält auch selbst die Instrumente<br />

der Problemlösung in der Hand.<br />

Anders als zu Zeiten von Adenauer und<br />

Schuman oder Kohl und Mitterand ist heute<br />

keinerlei charismatische Führung in der EU<br />

erkennbar. <strong>Europa</strong> ist keine Sache des Herzens<br />

mehr. Das lässt sich ändern. Es muss<br />

sich ändern. Wo liegt die Alternative?<br />

WEITER RATIFIZIEREN<br />

Kommentar<br />

Elmar Brok MdEP war Mitglied des Europäischen<br />

Konvents und kämpft seit Jahren für effektivere<br />

Strukturen der EU. Bild: EP-Pressedienst<br />

In der Zwischenzeit gehen die Ratifikationen<br />

der Verfassung weiter, die ja gerade<br />

identitätsstiftend und werteverankert<br />

wirken soll. Ein Abbruch der Ratifikationen<br />

wäre nicht nur gegen den Wortlaut der Verfassung,<br />

er würde auch den 11 Völkern nicht<br />

gerecht, die bereits nach intensiven Debatten<br />

mit „Ja“ gestimmt haben – zuletzt am<br />

2. Juni Lettland. Doch natürlich darf auch<br />

das „Non“ der Franzosen und das „Nee“ der<br />

Niederländer nicht übergangen werden. Die<br />

EU und insbesondere die Länder mit Ratifikationsproblemen<br />

müssen, so steht es in<br />

Erklärung 30 der Verfassungsschlussakte,<br />

im Rat zusammentreffen und nach Lösungen<br />

suchen.<br />

AUF „NEIN-SAGER“ ZUGEHEN<br />

Der Vertrag von Nizza reicht nicht für<br />

die EU mit 25 Mitgliedern und bleibt<br />

zwingend hinter den Erwartungen der<br />

Bürger zurück – der Unmut würde auf<br />

Dauer nur größer und verbreiteter. Einen<br />

Teil der Verfassung umzusetzen wäre<br />

ebenso wenig möglich, da er nur als Paket<br />

die Zustimmung fand. Jeder Teil, den<br />

man weglassen wollte, würde einen Kritiker<br />

hervorbringen, der nur wegen dieses<br />

Teiles andere Teile akzeptiert hatte.<br />

Löst man dieses Paket, dann zerfällt es<br />

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