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Neue Gemeindeformen - Evangelische Kirche von Westfalen

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Berichtsgruppe: 1<br />

1<br />

Bericht <strong>Gemeindeformen</strong> 2010<br />

für die <strong>Kirche</strong>nleitung der <strong>Evangelische</strong>n <strong>Kirche</strong> <strong>von</strong> <strong>Westfalen</strong><br />

Conring, LKR Dr. (Leitung)<br />

Damke, OKRin<br />

Moskon-Raschick, LKRin<br />

Munsonius , Dr., <strong>Kirche</strong>nrechtliches Institut der EKD<br />

Neserke, Superintendent <strong>Kirche</strong>nkreis Hattingen-Witten<br />

Isenburg, Pfr. im Amt für Missionarische Dienste, Beauftragter für Stadtkirchenarbeit<br />

Lindemann, Dr., Professor em. für <strong>Neue</strong>s Testament<br />

„Freiheit sei der Zweck des Zwanges, wie man eine Rebe bindet, daß sie, statt im<br />

Staub zu kriechen, froh sich in die Lüfte windet.“ (F.W. Weber) 2<br />

1. Einleitung<br />

Übersicht<br />

2. Auftragsgemäße Vielfalt in einer geformten <strong>Kirche</strong><br />

Exkurs: gemeindlichen Struktur im Urchristentum (Prof. Dr. Lindemann)<br />

Exkurs: Presbyterial-Synodale Ordnung (PSO) (Dr. Conring)<br />

3. Vielfalt, die es in der einen <strong>Kirche</strong> schon gibt und geben kann<br />

Exkurs: Impulspapier der EKD, Leuchtfeuer 2<br />

Exkurs: mission shaped church (Prf. Isenburg)<br />

4. Förderung des Auftrages und Unterstützung der Vielfalt<br />

5. Zusammenfassung<br />

1<br />

Eingeladen zur Mitwirkung waren darüber hinaus: Pfr. Ursula Harfst, (Pfr. in Essen), Dr. Michael Herbst (Inst.<br />

für Evangelisation und Gemeindeentwicklung, Greifswald), Frau Köckler-Beuser, Stv. Vors. des<br />

<strong>Kirche</strong>nordnungsausschusses der EKiR, Frau Dr. Dorothea Sattler (Inst. für Oekumene, Münster), Prof. Dr. habil<br />

Johannes Zimmermann (Inst. Für Evangelisation und Gemeindeentwicklung, Greifswald), ,<br />

2<br />

Das Zitat stammt <strong>von</strong> dem westfälischen Dichter Friedrich Wilhelm Weber (*25. Dez. 1813 in Ahlhausen bei<br />

Driburg, Westf. +5. April 1894 in Nieheim–Höxter) aus dem Werk „Dreizehnlinden“, dort Abschnitt XVII. „Des<br />

Priors Lehrsprüche“ Ziff 5.; Das Zitat wird auch anderen (bekannteren) Dichtern zugeschrieben, so J.W.v.<br />

Goethe (Inschrift in einer Kaserne in Niedersachsen) oder Rilke (so Prof. Dr. Isensee in einem Vortrag)<br />

G:\Daten\Winword\Dezernat_14\<strong>Kirche</strong>norganisation\Konzeptionen\<strong>Kirche</strong>ngemeinden\<strong>Gemeindeformen</strong>\EKvW\<strong>Gemeindeformen</strong> 2010<br />

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1. Einleitung<br />

2<br />

Die <strong>Kirche</strong>nleitung hatte mit Beschluss vom 13. August 2008 den Auftrag zur weiteren Bearbeitung<br />

des Themenfeldes „<strong>Gemeindeformen</strong>“ gegeben:<br />

Das Kurzgutachten „<strong>Neue</strong> <strong>Gemeindeformen</strong>“ soll als Diskussionsgrundlage für die<br />

weitere Befassung mit der Thematik genutzt werden. Unter Beteiligung des Ständigen<br />

Theologischen Ausschusses und des Ständigen <strong>Kirche</strong>nordnungsausschusses<br />

(Federführung) sollen die Fragestellung vertieft und Überlegungen für die Weiterarbeit<br />

vorbereitet werden.<br />

Im Protokoll war vermerkt worden, dass in einem Zeitraum <strong>von</strong> bis zu drei Jahren die Aufbereitung<br />

der Thematik erfolgen sollte. Ziel bleibe es Freiräume zum Wachsen der <strong>Kirche</strong> Jesu Christi zu<br />

entdecken und zu beschreiben.<br />

Das Ergebnis <strong>von</strong> drei Studientagen zu (neuen) <strong>Gemeindeformen</strong> 3 ist dieser Bericht.<br />

3<br />

I. 20. April 2009<br />

II. 20. Januar 2010<br />

III. 12. April 2010.<br />

G:\Daten\Winword\Dezernat_14\<strong>Kirche</strong>norganisation\Konzeptionen\<strong>Kirche</strong>ngemeinden\<strong>Gemeindeformen</strong>\EKvW\<strong>Gemeindeformen</strong> 2010<br />

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2. Auftragsgemäße Vielfalt in einer geformten <strong>Kirche</strong><br />

3<br />

Die Gemeinde Jesu Christi kann viele Formen haben. Auch innerhalb einer gewachsenen und<br />

organisierten <strong>Kirche</strong> gibt es unterschiedliche Formangebote für Gemeinde. Das ist gewollt und<br />

sinnvoll, weil Ziel und Zweck der kirchlichen Organisation die Erfüllung eines grundsätzlich<br />

formungebundenen Auftrages ist, und nicht zuerst die Nutzung oder der Fortbestand einer<br />

konkreten historisch gewachsenen Sozialgestalt. Die EKD hat diesen Zusammenhang im Impulspapier<br />

2006 mit dem auffordernden Satz „Nicht klammern an Strukturen, beweglich in den Formen“<br />

aufgegriffen. Die Auftragsausführung in historisch gewachsenen Formen ist aber kein formaler<br />

Traditionalismus, sondern sie erfüllt den institutionellen Zweck der geordneten und damit<br />

qualitätsgesicherten, generationsübergreifenden Kommunikation unabhängig <strong>von</strong> den konkret<br />

handelnden Personen.<br />

Der kirchliche Auftrag wurzelt nicht in der <strong>Kirche</strong>nordnung, sondern findet sich in den<br />

Bekenntnisschriften der <strong>Kirche</strong>, die ihrerseits das Evangelium zur Grundlage haben. Die Frage nach<br />

der gemeindlichen Struktur im Urchristentum ist deshalb gewinnbringend, weil sie die<br />

Traditionslinien bis heute zeigt und uns hilft, gegenwärtige Strukturbilder und evangelische notae<br />

nicht zu verwechseln.<br />

Exkurs: gemeindlichen Struktur im Urchristentum (Prof. Dr. Lindemann)<br />

Auch in einer Gemeinde, die sich als „Leib“ bzw. als „Leib Christi“ mit vielen gleichwertigen<br />

Gliedern versteht (1 Kor 12,12-27), wird auf unterschiedliche Weise Verantwortung wahrgenommen;<br />

dies begründet keine Hierarchie, trägt aber zu einem geordneten Miteinander der „Glieder“ bei.<br />

Paulus verdeutlicht dies, indem er nach der Aussage in 12,27 („Ihr aber seid der Leib Christi und<br />

jeder <strong>von</strong> euch ein Glied.“) da<strong>von</strong> spricht, dass Gott „in der Gemeinde eingesetzt hat erstens<br />

Apostel, zweitens Propheten, drittens Lehrer, dann Wundertäter, dann Gaben, gesund zu machen,<br />

zu helfen, zu leiten und mancherlei Zungenrede“ (V. 28), verbunden mit der Kette rhetorischer<br />

Fragen (V. 29f.): „Sind alle Apostel? Sind alle Propheten? Sind alle Lehrer? Sind alle Wundertäter?<br />

Haben alle die Gabe, gesund zu machen? Reden alle in Zungen? Können alle auslegen?“, die<br />

natürlich alle mit „Nein“ beantwortet werden sollen. Es fällt auf, dass die „Gabe (Charisma) der<br />

Leitung“ nicht etwa an der Spitze steht, sondern nur als eine unter mehreren genannt wird.<br />

Paulus selber nimmt in den Gemeinden Verantwortung wahr, indem er sich in Briefen an sie wendet<br />

und sie auf die eine oder andere Weise berät. Dabei ist die <strong>von</strong> ihm so praktizierte Verantwortung<br />

mit einer geistlichen Vollmacht ausgestattet, wie die häufigen Hinweise auf den Heiligen Geist<br />

erkennen lassen; zugleich aber leitet Paulus daraus keine „übernatürliche“ Vollmacht ab, sondern<br />

appelliert an die Urteilskraft der Adressaten (vgl. 1 Kor 10,15: „Ich rede doch zu verständigen<br />

Menschen; beurteilt ihr, was ich sage“). Paulus agiert also im Rahmen dessen, was dann in der<br />

Reformation mit der Wendung sine vi sed verbo zum Ausdruck gebracht wurde.<br />

Inwieweit paulinische Gemeinden wie etwa die in Korinth im organisatorischen Sinne „Strukturen“<br />

aufwiesen, wissen wir nicht. Die Apostelgeschichte und vor allem der Erste Clemensbrief lassen aber<br />

erkennen, dass es spätestens in den 90er Jahren des 1. Jahrhunderts ein Presbyteramt gab, das<br />

freilich zumindest in Korinth nicht unumstritten war.<br />

Der Epheserbrief nennt unter dem Namen des „Paulus“ als des fiktiven Verfassers Ämter, die (der<br />

erhöhte) Christus eingesetzt habe (4,11-12a: „Und er selbst hat die einen als Apostel eingesetzt, die<br />

anderen als Propheten, andere als Verkündiger des Evangeliums und wieder andere als Hirten und<br />

Lehrer, um die Heiligen auszurüsten für die Ausübung ihres Dienstes.“), und er leitet daraus ab<br />

(V. 12b.13), dass „so der Leib Christi aufgebaut wird, bis wir alle zur Einheit des Glaubens und der<br />

Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen und zum vollkommenen Menschen heranwachsen und die<br />

volle Reife in der Fülle Christi erlangen“ (Zürcher Bibel). Am Ende des Gedankengangs heißt es dann<br />

(V. 15-16): „Wir wollen aufrichtig sein in der Liebe und in allen Stücken hinanwachsen zu ihm, der<br />

das Haupt ist, Christus. Von ihm aus wird der ganze Leib zusammengefügt und gehalten durch jedes<br />

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4<br />

Band, das ihn stützt mit der Kraft, die jedem einzelnen Teil zugemessen ist. So wird der Leib in<br />

seinem Wachstum gefördert, damit er aufgebaut werde in Liebe.“ 4<br />

Klar ist durch V. 16, dass das Wachstum des Leibes durch Christus erfolgt, nicht durch das Wirken<br />

der Amtsträger.<br />

Eine deutlich andere Phase der Entwicklung kirchlicher Strukturen ist in den Pastoralbriefen<br />

erkennbar: Sie zeigen einerseits (den fiktiven) Paulus als den Apostel, der wie auch sonst in seinen<br />

Briefen Verantwortung wahrnimmt, wobei diese Briefe nun an die „Schüler“ gerichtet sind, die aber<br />

andererseits nun selber Verantwortung übernehmen und sogar an andere delegieren sollen. Die in<br />

Tit 1,5-7 geschilderte Situation („Deswegen ließ ich dich in Kreta, dass du vollends ausrichten<br />

solltest, was noch fehlt, und überall in den Städten Älteste [presbyteroi] einsetzen, wie ich dir<br />

befohlen habe: wenn einer untadelig ist, Mann einer einzigen Frau, der gläubige Kinder hat, die<br />

nicht im Ruf stehen, liederlich oder ungehorsam zu sein. Denn ein Bischof [episkopos] soll untadelig<br />

sein als ein Haushalter Gottes“), ist zwar historisch gesehen fiktiv, spiegelt aber wohl doch die<br />

aktuelle Situation (oder die aktuell angestrebten Verhältnisse) zur Zeit der Abfassung der<br />

Pastoralbriefe. Offensichtlich ließen sich die in den paulinischen Gemeinden gegebenen Strukturen<br />

auf Dauer nicht halten; aber es ist ein Zeichen für die Bedeutung des Kanons, dass darin nicht nur<br />

die Pastoralbriefe als „<strong>Kirche</strong>nordnungen“, sondern auch die authentischen Paulusbriefe bewahrt<br />

werden. Ende Exkurs: gemeindlichen Struktur im Urchristentum (Lindemann)<br />

Meist wird heute 5 unter „Gemeinde“ die örtliche <strong>Kirche</strong>ngemeinde verstanden, also jene Einheit in<br />

einer <strong>Kirche</strong>, die als Körperschaft mit Mitgliedern strukturiert ist und <strong>von</strong> einem Leitungsorgan<br />

geführt wird. Diese <strong>Kirche</strong>ngemeinde in der Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts<br />

4<br />

Man kann V. 11-12 entweder so übersetzen, dass die Apostel usw. den Auftrag haben, „die Heiligen auszurüsten … und den<br />

Leib Christi aufzubauen“, oder aber so, dass „die Heiligen“ so ausgerüstet werden, dass dann sie den Dienst der Auferbauung<br />

wahrnehmen.<br />

5<br />

Vgl. den historischen Kurzabriss bei Lüttgert, G, <strong>Evangelische</strong>s <strong>Kirche</strong>nrecht in Rheinland und <strong>Westfalen</strong>, Gütersloh 1905, S.<br />

150, 151 [§ 36, 1. Begriff, Umfang und Rechtsstellung der Gemeinde, I. Unterschied <strong>von</strong> Parochie und Gemeinde]:<br />

„In den älteren Zeiten der <strong>Kirche</strong> verbanden sich die Christen da, wo das Evangelium mit Erfolg gepredigt wurde, zu freien<br />

Glaubensgemeinschaften. Nachdem später die <strong>Kirche</strong> die volle Herrschaft über die Völker genommen hatte, bildete sich eine<br />

geographische Teilung des christlichen Abendlandes in bischöfliche Diözesen und in örtliche Parochien (Pfarreien,<br />

<strong>Kirche</strong>nsprengel, Kirchspiele) aus. Unter letzterem verstand das mittelalterlich-kanonische Recht die Zusammenfassung der<br />

an einem Orte wohnenden <strong>Kirche</strong>nmitglieder. Diese kamen nun als Gegenstand der Amtstätigkeit des Pfarrers in Betracht<br />

(Parochianen, Pfarrgenossen, Kirchspielgenossen, Laien). Damit war der Begriff der Gemeinde im Sinn einer selbsttätigen<br />

Glaubensvereinigung verschwunden. Die Reformatoren behielten diese örtliche Zusammenfassung bei. Da nach Luther die<br />

<strong>Kirche</strong> die Versammlung der Gläubigen ist, in der das Wort Gottes recht gepredigt und die Sakramente schriftgemäß<br />

verwaltet werden, so stellte zwar die Einzelgemeinde als die eigentliche Versammlung der Gläubigen jetzt die <strong>Kirche</strong> auf<br />

grundlegender Stufe dar. Diese Anschauung blieb aber im Gebiet der lutherischen Reformation auf das rein religiöse Leben<br />

beschränkt. Der kanonische Parochialbegriff wurde nicht verändert. Der Pfarrbezirk erstreckte sich daher auf alle in ihr<br />

Wohnenden, auch Andersgläubige. Die Gemeinde war nichts anderes als ein örtlicher Verwaltungsbezirk für die<br />

landesherrliche <strong>Kirche</strong>nregierung, und die Mitglieder waren der „Pösel“, der unter der Zucht des Wortes und der Polizei jenes<br />

Regimentes stand. So war es auch in den unter reiner Konsistorialverfassung stehenden lutherischen Gebieten <strong>von</strong> Rheinland<br />

und <strong>Westfalen</strong>, namentlich in Minden-Ravensberg.<br />

Anders die reformierte <strong>Kirche</strong>. Sie ging nach Calvins Lehre da<strong>von</strong> aus, daß die an einem Ort wohnenden Christen zur<br />

Herstellung eines irdischen Gottesreiches berufen seien. Durch die Einrichtung der Presbyterien, die das Amt des Pfarrers<br />

mitumfaßten, wurde die Selbständigkeit und Selbsttätigkeit des örtlichen Christenkreises gesichert. Es bildete sich der<br />

reformierte Begriff der „Gemeinde“ als der genossenschaftlichen und freikirchlichen Form der Gemeinschaft, im Gegensatz<br />

zu der Parochie als der anstaltlichen und staatlichen Form. Die Geschichte der reformierten <strong>Kirche</strong> , sowohl im Ausland als<br />

am Niederrhein, zeigt aber, daß der reine Gemeindebegriff sich nicht völlig durchführen ließ. Je mehr die altferomierten<br />

Gemeinden aufhörten, Bekennergemeinden zu sein, um so größer wurde die Zahl derer, die sich zur Teilnahme an der<br />

Selbsttätigkeit nicht eigneten. Sie wurden gleich denen, die noch kein Bekenntnis abgelegt oder sich nicht durch ein<br />

<strong>Kirche</strong>nzeugnis ausgewiesen hatten, nur als „Pfarrgenossen“ betrachtet. Damit aber war der Begriff der Parochie unbewußt<br />

wieder aufgenommen.<br />

Zumal die <strong>Kirche</strong>nordnung <strong>von</strong> 1835, für die früher reformierten und lutherischen Gemeinden ausgleichende Einrichtungen<br />

schaffend, hält den Unterschied zwischen Parochie und Gemeinde aufrecht. Den Ausdruck Parochie, den die jülich-clevischen<br />

<strong>Kirche</strong>nordnungen des 17. Jahrunderts nicht kennen, hat sie, im Anschluss an den Ministerialentwurf <strong>von</strong> 1817, dem<br />

preußischen Landrecht entlehnt. Sie versteht darunter die durch räumliche Grenzen bestimmte Niederlassung der<br />

<strong>Evangelische</strong>n, während der Ausdruck Gemeinde die Vereinigung zum Gottesdienst und christlichen Leben und die Verfassung<br />

unter einem Presbyterium bezeichnet. Persönliche Anmeldung und Übernahme religiöser und sittlicher Pflichten macht die<br />

<strong>Kirche</strong>nordnung zur Vorbedigngung des Genusses <strong>von</strong> Gemeinderechten und legt so der reformierten Überzeugung folgend,<br />

den Schwerpunkt auf den Gemeindebegriff. Der Parochialbegriff wird nur als Notwendigkeit der äußeren Ordnung<br />

hinzugenommen. Waren aber schon bei Einführung der <strong>Kirche</strong>nordnung jene Unterscheidungen im Bewusstsein des kirchlichen<br />

Lebens sehr zurückgetreten, so sind sie seitdem fast völlig verschwunden. Man pflegt heute als Gemeinde sowohl die<br />

Gesamtheit der Eingepfarrten nach der räumlichen Ausdehnung, in diesem Sinne Parochie gleichbedeutend, als auch die<br />

genossenschaftlichen Träger der kirchlichen Selbstverwaltung und des kirchlichen Lebens zu bezeichnen. Der Ausdruck<br />

Parochie wird zuweilen noch in der Behördensprache gebraucht, wenn <strong>von</strong> der Umgrenzung allein die Rede ist. “<br />

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5<br />

(KdöR) ist auch die Regelform der Sozialgestalt „Gemeinde“ in der Westfälischen <strong>Kirche</strong>. 6 Der<br />

Auftrag der westfälischen <strong>Kirche</strong>ngemeinden wird im Art. 8 KO wie folgt beschrieben:<br />

Art 8 <strong>Kirche</strong>nordnung (EKvW)<br />

(1) Die <strong>Kirche</strong>ngemeinde trägt die Verantwortung für die lautere Verkündigung<br />

des Wortes Gottes und für die rechte Verwaltung der Sakramente. Sie sorgt<br />

dafür, dass das Evangelium gemäß dem in der Gemeinde geltenden Bekenntnis in<br />

Lehre, Leben und Ordnung bezeugt wird.<br />

(2) Die <strong>Kirche</strong>ngemeinde hat den Auftrag zur Seelsorge, zur diakonischen Arbeit,<br />

zum missionarischen Dienst sowie zur Pflege der ökumenischen Gemeinschaft der<br />

<strong>Kirche</strong>n.<br />

Sie stärkt ihre Glieder zum Zeugnis und Dienst in allen Lebensbereichen.<br />

Dieser Auftrag ist zugleich der Grundauftrag der ganzen <strong>Kirche</strong>. Die jeweils erstgenannte Aufgabe<br />

der Leitungsorgane in der EKvW betrifft den Auftrag aus CA VII.<br />

„Das Presbyterium hat folgende Aufgaben:<br />

a) Das Presbyterium wacht darüber, dass in der Gemeinde das Evangelium rein und<br />

lauter verkündigt wird und die Sakramente recht verwaltet werden;“.<br />

(Art. 56 lit a KO.EKvW)<br />

„Demgemäß hat die Kreissynode vor allem folgende Aufgaben:<br />

a) Sie wacht darüber, dass in der Gemeinde das Evangelium rein und<br />

lauter verkündigt wird und die Sakramente recht verwaltet werden;“.<br />

(Art. 87 Abs. 2 lit a) KO.EKvW)<br />

„Demgemäß hat die Landessynode vor allem folgende Aufgaben:<br />

a) Sie wacht darüber, dass in der Gemeinde das Evangelium rein und<br />

lauter verkündigt wird und die Sakramente recht verwaltet werden;“<br />

(Art. 118 Abs. 2 lit a) KO.EKvW)<br />

Wer im <strong>Kirche</strong>nrecht heute nach der Gemeinde fragt, wird dem Verfassungsgrundsatz der<br />

Presbyterial-Synodalen Ordnung (PSO) begegnen.<br />

Exkurs: Presbyterial-Synodale Ordnung (PSO) Dr. H.-T. Conring 7<br />

Die Presbyterial-Synodale Ordnung (PSO) findet sich im Art. 118 Abs. 2 Buchstabe e) KO.EKvW, wo<br />

es heißt:<br />

„[...] e) sie [die Landessynode] wahrt die presbyterial-synodale Ordnung und pflegt das<br />

synodale Leben der <strong>Kirche</strong>“.<br />

6<br />

Die <strong>Kirche</strong>ngemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist auch in allen anderen Gliedkirchen der EKD die<br />

Grundgestalt der Gemeinde. Beachte aber die zum Teil unterschiedlichen Begründungslinien aus dem 19. Jhdt. Auf der einen<br />

Seite das ältere Verständnis der <strong>Kirche</strong> als „Anstalt“ (so insbesondere in der bayrischen <strong>Kirche</strong>ngemeindeordnung vom<br />

29. Sept. 1912, wonach die <strong>Kirche</strong>ngemeinden „rechtsfähige, zur Befriedigung der örtlichen <strong>Kirche</strong>nbedürfnisse organisierte<br />

Beitragsverbände“ sind) gegenüber dem Verständnis der <strong>Kirche</strong> als „Körperschaft“, also einem mitgliedschaftlich<br />

organisierten Verband, Heinrich de Wall/ Stefan Muckel, <strong>Kirche</strong>nrecht, München 2009, § 27 Rz 3, „II. Die <strong>Kirche</strong>ngemeinde als<br />

Grundeinheit des kirchlichen Lebens und der <strong>Kirche</strong>nverfassung“, S. 255; vgl. auch G. Lüttgert, <strong>Evangelische</strong>s <strong>Kirche</strong>nrecht in<br />

Rheinland und <strong>Westfalen</strong>, Gütersloh 1905, § 36, S. 154: „Denn infolge des stetig nachlassenden Einflusses der<br />

Gemeindeglieder hat sich das Wesen der juristischen Persönlichkeit der Ortskirche gegen früher in der Weise geändert, daß,<br />

entsprechend dem Zurücktreten des Parochialbegriffs vor dem Gemeindebegriff, der anstaltliche Charakter allmählich zum<br />

korporativen und dadurch die <strong>Kirche</strong>ngemeinde zur Trägerin jeder Persönlichkeit wurde.“<br />

7<br />

Vgl. zum ganzen, insbesondere der historischen Herleitung des Grundsatzes in der westf. <strong>Kirche</strong>nordnung, H.-T. Conring,<br />

Eckstein „Gemeinde“ ? Gedanken zur presbyterial-synodalen Ordnung in <strong>Westfalen</strong>, in: Dill/Thiele/Reimers (Hrsg.), Im Dienst<br />

der Sache, Frankfurt aM u.a., 2003, S. 137-148<br />

G:\Daten\Winword\Dezernat_14\<strong>Kirche</strong>norganisation\Konzeptionen\<strong>Kirche</strong>ngemeinden\<strong>Gemeindeformen</strong>\EKvW\<strong>Gemeindeformen</strong> 2010<br />

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6<br />

Im Zusammenhang mit dem westfälischen Reformprozess „<strong>Kirche</strong> mit Zukunft“ wird die aktuelle<br />

Ausprägung der presbyterial-synodalen Ordnung befragt. Es heißt in „<strong>Kirche</strong> mit Zukunft“: 8<br />

„Die <strong>Kirche</strong>nleitung hat im Frühjahr 1999 für die Strukturreform in der EKvW folgende<br />

Leitlinien festgelegt: [...] Die jetzige Ausprägung der Organisationsform der<br />

presbyterial-synodalen Ordnung ist zu überprüfen“ (S. 71)<br />

Und zuvor ist zur Sache zu lesen: 9<br />

„Der Aufbau und die Struktur der <strong>Evangelische</strong>n <strong>Kirche</strong> <strong>von</strong> <strong>Westfalen</strong> sind durch die<br />

presbyterial-synodale Ordnung gekennzeichnet. [...] Die presbyterial-synodale Ordnung<br />

hat sich bewährt. Sie bietet erhebliche Spielräume für modernes Leitungshandeln. [...]<br />

Es wird eine alle Gremien und Ebenen umfassende Leitungskrise (zu wenig strategische<br />

Arbeit in den Gremien) gesehen, die vor allem an mangelhaften Rollenbeschreibungen<br />

und fehlender Geschäftsführung festgemacht wird. Sehr häufig wurden Größe,<br />

Zusammensetzung und Wahlperiode der Leitungsgremien als Problem benannt. Es<br />

wurde bemängelt, dass die Gremien aufgrund ihrer Beschäftigung mit Einzelproblemen<br />

und kleinteiligen operativen Aufgaben de facto nicht in der Lage sind, eine<br />

wirkungsvolle, strategische und konzeptionelle Leitung auszuüben. Es wurde<br />

festgestellt, dass Ausschüsse sehr oft keine klare Aufgabenzuweisung und keine<br />

definierte Kompetenz haben.“<br />

In diesem Textabschnitt wird der strukturelle Anteil der PSO hervorgehoben, ohne ihn explizit auf<br />

seinen ekklesiologischen Gehalt hin zu befragen. Gleichzeitig wird die qualitative Leistungsfähigkeit<br />

als Leitungsorgan angemahnt. Typischerweise wird zur Erläuterung der PSO auf<br />

Danielsmeyer verwiesen: 10<br />

„Unter Presbyterial-Synodalverfassung ist ein Dreifaches zu verstehen.<br />

1) die <strong>Kirche</strong> baut sich in ihrer Verfassung und Ordnung <strong>von</strong> der Gemeinde her auf.<br />

2) Presbyterien und Synoden sind die Leitungsorgane der Gemeinden und der <strong>Kirche</strong>.<br />

3) Älteste wirken in Presbyterien und Synoden vollberechtigt mit.“<br />

Die Formulierung „die <strong>Kirche</strong> baut sich in ihrer Verfassung und Ordnung <strong>von</strong> der Gemeinde her auf“<br />

wird vorrangig als ein formstrukturierender Organisations-Satz – also formal - verstanden.<br />

Tatsächlich ist die Formulierung aber ebenso deutlich theologisch – also material – zu verstehen,<br />

wenn die Worte „<strong>Kirche</strong>“, „Ordnung“ und „Gemeinde“ nicht allein unter dem allgemeinen<br />

rechtsförmigen Gesichtspunkt sondern in ihrem eigenständigem und eigengeartetem 11<br />

kirchenrechtlichen Gehalt gewürdigt werden. Dann tritt deutlicher hervor, dass es bei der <strong>Kirche</strong> um<br />

die creatura verbi geht, die freilich nicht abstrakt und körperlos besteht, und die deshalb als<br />

Institution in Welt ausgerichtet ist und bleiben muss auf den durch Jesus Christus eingestifteten<br />

Auftrag. Zu diesem Auftrag formuliert die <strong>Kirche</strong>nordnung der <strong>Evangelische</strong>n <strong>Kirche</strong> <strong>von</strong> <strong>Westfalen</strong><br />

im Art. 8 KO wie folgt:<br />

„(1) Die <strong>Kirche</strong>ngemeinde trägt die Verantwortung für die lautere Verkündigung des<br />

Wortes Gottes und für die rechte Verwaltung der Sakramente. Sie sorgt dafür, dass das<br />

Evangelium gemäß dem in der Gemeinde geltenden Bekenntnis in Lehre, Leben und<br />

Ordnung bezeugt wird.<br />

8 <strong>Kirche</strong> mit Zukunft. Zielorientierungen für die <strong>Evangelische</strong> <strong>Kirche</strong> <strong>von</strong> <strong>Westfalen</strong>“ (Bielefeld 2000) auf Seite 71 unter<br />

Gliederungspunkt „7.1. Warum etwas ändern?“<br />

9 <strong>Kirche</strong> mit Zukunft. Zielorientierungen für die <strong>Evangelische</strong> <strong>Kirche</strong> <strong>von</strong> <strong>Westfalen</strong>“ (Bielefeld 2000) auf Seite 57 unter<br />

Gliederungspunkt „5.1. Problemstellung“<br />

10 Danielsmeyer, Werner, Die Ev. <strong>Kirche</strong> <strong>von</strong> <strong>Westfalen</strong>. Bekenntnisstand.Verfassung.Dienst an Wort und Sakrament, 2.<br />

veränd. Aufl. Bielefeld 1978, S. 205<br />

11 vgl. zu diesen Begriffen nur, Hendrik Munsonius, Die juristische Person des evangelischen <strong>Kirche</strong>nrechts, Tübingen 2009<br />

(Jus Ecclesiasticum Bd. 89), § 3 Theologische Grundlagen, S. 32:“Mit der Eigenständigkeit des <strong>Kirche</strong>nrechts wird zunächst<br />

ausgesagt, dass es durch kirchliche Organe und unabhängig <strong>von</strong> staatlicher Rechtsetzung erzeugt wird. [...] Mit der<br />

Bezeichnung als ‚eigengeartet’ wird hervorgehoben, dass das <strong>Kirche</strong>nrecht durch Telos und Empirie der <strong>Kirche</strong> bestimmt ist<br />

und sich darin <strong>von</strong> anderen Rechtskreisen unterscheidet.“<br />

G:\Daten\Winword\Dezernat_14\<strong>Kirche</strong>norganisation\Konzeptionen\<strong>Kirche</strong>ngemeinden\<strong>Gemeindeformen</strong>\EKvW\<strong>Gemeindeformen</strong> 2010<br />

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7<br />

(2) Die <strong>Kirche</strong>ngemeinde hat den Auftrag zur Seelsorge, zur diakonischen Arbeit, zum<br />

missionarischen Dienst sowie zur Pflege der ökumenischen Gemeinschaft der <strong>Kirche</strong>n.<br />

Sie stärkt ihre Glieder zum Zeugnis und Dienst in allen Lebensbereichen.“<br />

Das heißt nichts anderes, als das der organisatorische Aufbau der <strong>Evangelische</strong>n <strong>Kirche</strong> <strong>von</strong><br />

<strong>Westfalen</strong> als <strong>Kirche</strong> Jesu Christi sich der Priorität verpflichtet weiß, dass es Gemeinden<br />

geben muss, die diesem Auftrag nachkommen. Es darf also nicht unter zeitgeistigen<br />

Erwägungen dazu kommen, dass die Selbstorganisation nach Gesichtspunkten geordnet wird,<br />

die diesem Grundziel entgegenstehen oder es behindern. Die PSO ist insoweit durch Barmen<br />

bestätigt und gestärkt worden. Ende Exkurs PSO<br />

Die EKvW bietet mit ihrem Netz parochialer <strong>Kirche</strong>ngemeinden ein flächendeckendes Angebot für<br />

Gemeinden, das für die Verkündigung des Evangeliums an alles Volk gute Voraussetzungen bietet.<br />

Gleichzeitig wird der Bedarf an kontinuierlicher Beheimatung in Ergänzung zu den bestehenden<br />

<strong>Kirche</strong>ngemeinden formuliert. Darin liegt zuerst eine Anfrage nach Veränderung <strong>von</strong> bestehenden<br />

<strong>Kirche</strong>ngemeinden („Gemeinde neu formen“) und erst dann die Frage nach „eigenen neuen“ Formen<br />

(„neue <strong>Gemeindeformen</strong>“). 12 Eine solche gemeindliche Veränderung („Gemeinde neu formen“)<br />

kann das gesamte Profil einer <strong>Kirche</strong>ngemeinde betreffen, es kann aber auch lediglich auf die<br />

Erweiterung oder Konkretisierung des bestehenden Angebotes zielen. Eine solche Veränderung wird<br />

nicht <strong>von</strong> außen an die <strong>Kirche</strong>ngemeinde herangetragenen, sondern stellt regelmäßig die normale<br />

Reaktion einer lebendigen Einheit auf den stetigen Wandel der Welt dar (nur wer sich wandelt,<br />

bleibt sich treu). Der hier explizit genannte Vorgang der Änderung ist also ein normaler,<br />

typischerweise „schleichender“ Prozess. Ohne dass die Aufmerksamkeit auf diesen schleichenden<br />

Prozess gesondert darauf gerichtet würde, wäre er nur im historischen Rückblick oder im Vergleich<br />

unterschiedlicher Entwicklungsgeschwindigkeit innerhalb einer großen Flächenkirche wahrnehmbar.<br />

12<br />

vgl. zu den örtlich bestimmten <strong>Kirche</strong>ngemeinden sowie anderen <strong>Gemeindeformen</strong> und sonstigen kirchlichen<br />

Gemeinschaften, Heinrich de Wall/Stefan Muckel, <strong>Kirche</strong>nrecht, München 2009, dort: § 27 Rz. 8 und 9 „IV. Die<br />

<strong>Kirche</strong>ngemeinde – Begriff und Bedeutung“, S. 257, 258<br />

G:\Daten\Winword\Dezernat_14\<strong>Kirche</strong>norganisation\Konzeptionen\<strong>Kirche</strong>ngemeinden\<strong>Gemeindeformen</strong>\EKvW\<strong>Gemeindeformen</strong> 2010<br />

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3. Vielfalt, die es in der einen <strong>Kirche</strong> schon gibt und geben kann<br />

8<br />

Die Territorialgemeinde – manchmal auch Parochialgemeinde genannt – ist die Grundform, die heute<br />

innerhalb der verfassten <strong>Evangelische</strong>n <strong>Kirche</strong> existiert. Die <strong>Kirche</strong>nordnung beantwortet alle<br />

wesentlichen organisatorischen Fragestellungen (vgl. die 15 Punkte im Kurzgutachten 2008).<br />

Insbesondere wird die Verwaltung der Mitglieder (<strong>von</strong> <strong>Kirche</strong>nbucheinträgen bis zur<br />

<strong>Kirche</strong>nsteuerverwaltung) mittels der hergebrachten kirchlichen Organisationsstruktur praktisch<br />

erledigt.<br />

Im Grundsatz sind in der territorialen <strong>Kirche</strong>ngemeinden alle getauften und nicht ausgetretenen<br />

Christenmenschen Mitglied, die ihren Wohnsitz im Gebiet dieser <strong>Kirche</strong>ngemeinde haben. Dieser<br />

Grundsatz gilt aber nicht ausnahmslos. Umpfarrungen und Wahlgemeindegliedschaft sind rechtlich<br />

möglich und werden praktisch geübt. Faktisch wird in einer westfälischen <strong>Kirche</strong>ngemeinde die Zahl<br />

der „personalen Mitglieder“ kleiner sein als die Zahl der „territorialen Mitglieder“.<br />

Die Unterscheidung <strong>von</strong> Territorial- und Personalgemeinden ist für die westfälische <strong>Kirche</strong> keine<br />

kategoriale. Tatsächlich ist die Grenze fließend. Früher wurde unter Personalgemeinden folgendes<br />

verstanden: „Personalgemeinden sind <strong>Kirche</strong>ngemeinden, deren Mitglieder zwar innerhalb der<br />

Ortsgemeinde wohnen, aber ohne Rücksicht auf die Lage ihrer Wohnung wegen persönlicher<br />

Eigenschaften, namentlich wegen abweichenden Bekenntnisses oder wegen ihrer Berufes, zu einer<br />

besonderen Gemeinde gehören.“ 13 Heute wird die Personalgemeinde gerne als eine<br />

Mitgliedschaftsgemeinde, die gerade nicht örtlich sondern eben persönlich bestimmt ist,<br />

beschrieben. 14 Die Besonderheit sich überlagernder örtlicher lutherischer, reformierter und unierter<br />

<strong>Kirche</strong>ngemeinden weicht den scheinbar so kategorialen Unterschied örtlicher oder persönlicher<br />

Mitgliedschaft gerade für den westfälischen Raum auf. Denn in diesen örtlich umgrenzten<br />

Gemeinden wirkt gerade das persönliche Merkmal „Bekenntnis“ mitgliedschaftsbegründend.<br />

Gemeinde hat in ihren soziologisch vorfindlichen Sozialgestalten viele Formen:<br />

<strong>Kirche</strong>ngemeinde als Grundangebot umfasst<br />

• Sonntagsgottesdienst<br />

• Besondere Gottesdienste (sog,. Zweites Programm, Jugendgottesdienste,<br />

Abendgottesdienste, usw)<br />

• Kasualgottesdienste und Kasualhandlungen<br />

• Gruppen und Kreise (Zielgruppen, Thematische Gruppen, usw.)<br />

• Chöre und <strong>Kirche</strong>nkonzerte<br />

• Pastorale Versorgung (Seelsorge, usw)<br />

• Lehre (Katechese, Konfirmandenarbeit, Glaubenskurse, usw)<br />

Innerhalb der Grundform <strong>Kirche</strong>ngemeinde KdöR gibt es besondere gemeindliche Angebote in<br />

Gruppen und Kreisen, besonderen Veranstaltungen, Chöre usw. 15<br />

Ergänzend zu der Grundform gibt es Landeskirchliche Gemeinschaften (bsp. Gnadauer Verband mit<br />

ihren örtlichen Gemeinschaften), Charismatische Angebote (bsp. GGE) und weitere besondere<br />

Frömmigkeitsprofile (bsp. Ev. Lutherische Gebetsgemeinschaften). Ebenso werden für besondere<br />

13<br />

G. Lüttgert, <strong>Evangelische</strong>s <strong>Kirche</strong>nrecht in Rheinland und <strong>Westfalen</strong>, Gütersloh 1905, § 42 „4. Personalgemeinden“, S. 194<br />

14<br />

Heinrich de Wall/ Stefan Muckel, <strong>Kirche</strong>nrecht, München 2009, § 27 „IV. Nicht örtlich bestimmte <strong>Kirche</strong>ngemeinden,<br />

andere <strong>Gemeindeformen</strong> und sonstige kirchliche Gemeinschaften“, S. 257<br />

15<br />

Superintendent Dr. D. Beese im Artikel „ Stadtkirchenarbeit“: „Schon die <strong>Kirche</strong>ngemeinde ist, was ihre sozialen Formen<br />

angeht, vielgestaltig und nicht auf eine Ortsgemeinde reduzierbar: Initiativen, Einrichtungen, Gruppen, Gremien - orts- und<br />

themengebunden - sind ihr zugeordnet. Sie haben alle ihren Ort und ihre Zeit in einem bestimmten Gemeindegebiet. Die<br />

<strong>Kirche</strong>ngemeinde als parochiale Größe macht es möglich, dass diese Pluriformität theologisch und rechtlich integriert werden<br />

kann. Zugleich macht sie es möglich, dass sich Angebote und Vergesellungsformen situations- und auftragsentsprechend<br />

ausdifferenzieren können. Hier ist also zu fragen, ob und inwieweit die <strong>Kirche</strong>ngemeinde in einer Stadt ihre<br />

Selbstgestaltungsmöglichkeiten wirklich nutzt und ausschöpft, um Nähe, Einheit und Vielfalt des kirchlichen Lebens in der<br />

Stadt sinnvoll aufeinander zu beziehen.“.<br />

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9<br />

Zielgruppen Angebote mit eigenem Identifikationsraum durch kirchennahe eigenständige Träger<br />

organisiert (bsp. Creative <strong>Kirche</strong> gGmbH, CVJM e.V., diakonische und ökumenische Einrichtungen,<br />

Kommunitäten, usw.). Darüberhinaus gibt es missionarische Gelegenheiten (bsp. Ruhr 2010,<br />

Gospelkirchentag, usw), die neue Gruppen <strong>von</strong> Menschen ansprechen, die nach geistlicher Heimat<br />

und geistlichem Wachstum suchen. Nicht immer gelingt es dieser Suchbewegung in den „normalen“<br />

<strong>Kirche</strong>ngemeinden adäqaut zu begegnen; dieses Misslingen hat unterschiedliche Gründe und<br />

verweist nicht notwendig auf einen strukturellen Mangel der Organisationsform „<strong>Kirche</strong>ngemeinde“,<br />

sondern vor allem auf eine schwache Abstimmung im Blick auf das, was Not tut.<br />

Diese Vielfalt ist zum Teil rechtliche unselbständig und kommt ohne normierende Verdichtung aus.<br />

Ebenso möglich sind aber kirchliche unselbständige Formen (Regelung durch Ordnung, Satzung oder<br />

auch Vereinbarung) sowie selbständige Formen, die zugeordnet sind (als Verein, als Stiftung, als<br />

sonstiger Rechtsträger). Die Zuordnung kann eher gewohnheitsrechtlich oder explizit verdichtet<br />

sein. Vgl. dazu die schematische Darstellung der „Auftragsgemeinschaft Gemeinde“ nach rechtlicher<br />

Selbständigkeit und verfasstkirchlicher Nähe. (Anlage 1)<br />

Exkurs: Impulspapier der EKD, Leuchtfeuer 2<br />

Die Frage nach neuen <strong>Gemeindeformen</strong> wird im Impulspapier der EKD 2006 prominent im<br />

Leuchtfeuer 2 benannt. Die These lautet vollmundig, dass es 2030 verschiedene und gleichermaßen<br />

legitime <strong>Gemeindeformen</strong> nebeneinander in einer <strong>Kirche</strong> gebe. Gleichzeitig wird bei genauer<br />

Lektüre erkennbar, dass nicht strikt nach juridisch geformten dauerhaften institutionellen Größen<br />

gefragt wird, sondern auch danach, wie Menschen vom Evangelium am besten erreicht werden<br />

(missionarische <strong>Kirche</strong>). Es werden also unterschiedliche Fragestellungen gleichzeitig bearbeitet,<br />

was eine systematische und begriffliche Sortierung kompliziert.<br />

Eine Intention des Impulspapieres der EKD ist es, die Vielfalt des gemeindlichen Lebens<br />

wahrzunehmen. Gleichzeitig spricht das Papier aber <strong>von</strong> klaren Formtypen und benennt als Ziel die<br />

Existenz „gleichermaßen legitimer verschiedener Formen“ im Jahr 2030. Dabei bleibt unscharf, ob<br />

dies tatsächlich juridisch verdichtete Formtypen <strong>von</strong> Gemeinde sind, also etwa die<br />

Territorialgemeinde neben der Personalgemeinde, oder ob es sich eher um eine Akzeptanz<br />

unterschiedlicher Gemeindeprofile handelt, also die innerkirchliche Toleranz im Bezug auf eine<br />

theologische Formensprache gesteigert werden soll. Tatsächlich ist die bereits vorhandene Vielfalt<br />

deutlich größer als es die Rede <strong>von</strong> der Territorialgemeinde im Gegensatz zur Personalgemeinde<br />

bislang erkennen lässt. Gleichzeitig ist die rein quantitative Betrachtung angesichts der großen Zahl<br />

<strong>von</strong> gemeldeten <strong>Kirche</strong>nmitgliedern keine geeignete Form, um Zukunftspotentiale zu erheben. Ende<br />

Ende Exkurs Impulspapier der EKD<br />

Erfahrung mit der Vielfalt kirchlicher Formen hat insbesondere die anglikanische <strong>Kirche</strong> in England<br />

gesammelt. Fragestellungen, die uns heute betreffen, sind dort schon vor etlichen Jahren<br />

bearbeitet worden. Der ökumenische Blick auf die britischen Inseln kann deshalb hilfreich sein; die<br />

Diskussion um „<strong>Gemeindeformen</strong>“ bezieht sich sehr oft auf die englischen Modelle und<br />

Überlegungen.<br />

Exkurs: Mission shaped Church: Church Planting and Fresh expressions of church in der<br />

Anglikanischen <strong>Kirche</strong> in England 16 – Pfr. Andreas Isenburg<br />

Die Frage nach neuen und d.h. zugleich die gesellschaftlichen Entwicklungen berücksichtigenden<br />

und darauf rekurrierenden Formen <strong>von</strong> Gemeinde ist spätestens seit Anfang des 21. Jahrhunderts<br />

eng verbunden mit einer neuen missionarischen Ausrichtung der <strong>Evangelische</strong>n <strong>Kirche</strong> in<br />

Deutschland 17 . Starke Impulse für die gegenwärtige Diskussion um neue <strong>Gemeindeformen</strong> und die<br />

16<br />

Als Übersetzung der in der Überschrift genannten Begriffe haben sich im Deutschen überwiegend die Ausdrücke „Mission bringt<br />

Gemeinde in Form“, „Gemeindepflanzungen“ und „neue Ausdrucksformen gemeindlichen Lebens“ etabliert, auch wenn es sich, wie beim<br />

Begriff „fresh expressions“, um eine inhaltlich orientierte anstatt wörtliche Übersetzung handelt. Im folgenden Exkurs werden die<br />

englischen Begriffe beibehalten.<br />

17<br />

Siehe dazu Ev. <strong>Kirche</strong> <strong>von</strong> <strong>Westfalen</strong> (Hrsg.), Gemeinde leiten, Bielefeld 2008, S. 116; Dokumentation der EKD-Synode <strong>von</strong> 1999:<br />

Reden <strong>von</strong> Gott in der Welt – Der missionarische Auftrag der <strong>Kirche</strong> an der Schwelle zum 3. Jahrtausend“, hrsg. v. <strong>Kirche</strong>namt der EKD im<br />

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10<br />

missionarische Arbeit (in) der Volkskirche gehen dabei bis heute <strong>von</strong> der Anglikanischen <strong>Kirche</strong> in<br />

England aus, deren Entwicklung und Situation große Ähnlichkeit mit der unsrigen aufweist. 18<br />

Zugleich ist sie uns jedoch im Blick auf die gesellschaftliche Situation und den damit verbundenen<br />

Herausforderungen bereits um einen wesentlichen Schritt voraus. Denn: „die christliche Kultur ist<br />

aus dem Großbritannien des neuen Jahrtausends verschwunden.“ 19 Diese Situation eines „Post-<br />

Christentums“ bzw. einer „nachchristlichen Gesellschaft“ führte schon in den 80er Jahren des 20.<br />

Jahrhundert in der Anglikanischen <strong>Kirche</strong> zu verstärkten missionarischen Aktivitäten und Projekten:<br />

Neben der „Decade of Evangelism“ 1989-1999 sind es dabei vor allem die missionarischen<br />

Bewegungen des Church Planting und der „Fresh expressions of church“, die auch bei uns verstärkt<br />

auch in den Mittelpunkt des Interesses gerückt sind 20 . Angesichts strukturueller wie<br />

gesellschaftlicher Ähnlichkeiten und Parallelen lohnt ein kurzer Blick auf diese beiden eng<br />

miteinander verbundenen missionarischen „Modelle“, um Anregungen für die eigenen Überlegungen<br />

zur Mission und zu neuen <strong>Gemeindeformen</strong> zu bekommen. Dies umso mehr, als sie beide zugleich<br />

begleitet werden <strong>von</strong> umfassenden kirchenrechtlichen Überlegungen, die darauf zielen, die neu<br />

entstandenen <strong>Gemeindeformen</strong> auch kirchenrechtlich einzubinden und dabei zugleich einen<br />

möglichen Gegensatz <strong>von</strong> Ortsgemeinde und neuen <strong>Gemeindeformen</strong> zu verhindern.<br />

Mission shaped church und Mixed economy churches<br />

Unter dem Titel „Mission shaped church“ fasst die Anglikanische <strong>Kirche</strong> seit mehreren Jahren ihre<br />

missionarischen Initiativen zusammen. 21 Theologische Grundlage des Missionsverständnisses bildet<br />

das Verständnis der Mission als „missio dei“: Grundlegend ist hierbei die „Erkenntnis …, [dass] nicht<br />

die <strong>Kirche</strong> selbst Ursprung und Zweck missionarischen Handelns ist, sondern vielmehr kirchliches<br />

Handeln in dieser Welt in die umfassende Mission des Dreieinigen Gottes an seiner Schöpfung<br />

einbezogen ist.“ 22<br />

Bewusst lässt der Bericht „Mission shaped church“ – wie auch die deutsche Übersetzung „Mission<br />

bringt Gemeinde in Form“ ebenfalls deutlich macht – aber offen, ob es sich bei den „in Form<br />

gebrachten Gemeinden“ um eine bereits vorhandene Ortsgemeinde in einer Parish 23 oder um eine<br />

„Neupflanzung“ handelt. Diese Offenheit beruht auf dem Verständnis <strong>von</strong> „Church planting“ wie der<br />

„fresh expressions of church“ nach dem sich missionarische Initiativen und Projekte sowohl in einer<br />

Auftrag des Präsidiums der Synode, Frankfurt a.M. 2000 sowie das ergänzende Lesebuch „Ermutigung zur Mission. Informationen –<br />

Anregungen – Beispiele, hrsg. v. der EKD, Hannover 1999. Vergleiche dazu auch das Votum <strong>von</strong> Wolfgang Huber: „In den letzten Jahren<br />

haben wir im deutschen Protestantismus neu gelernt, dass Mission als glaubensweckende und einladende Ansprache an die Menschen in<br />

unserem Land zu den Grundaufgaben der <strong>Evangelische</strong>n <strong>Kirche</strong> in Deutschland und ihrer Gliedkirchen gehört. … Dabei … meint Mission<br />

den aufrichtigen und fairen Dialog über Überzeugungen und Werte, Lebenshaltungen und Handlungsmaximen. In diesem Sinne ist<br />

Mission eine Lebens- und Wesensäußerung der <strong>Kirche</strong>“, in: Herbst, Michael (Hg.), Mission bringt Gemeinde in Form, Neukirchen-Vluyn, 3.<br />

Aufl. 2008 Vorwort Wolfgang Huber, S. 9.<br />

Dieses <strong>von</strong> Michael Herbst herausgegebene Buch stellt die deutsche Übersetzung der anglikanischen Studie “Mission shaped church” dar,<br />

die 2004 erschien (s.u. Anm. 6). Bei den englischsprachigen Zitaten wird im Folgenden um der Verständlichkeit willen auf diese <strong>von</strong><br />

Michael Herbst herausgegebene deutsche Übersetzung zurückgegriffen, im Folgenden angegeben mit dem Literaturhinweis „Mission<br />

bringt Gemeinde in Form, Deutsche Ausgabe“; für Zitate aus der im englischen Text nicht enthaltenen Einführung <strong>von</strong> Michael Herbst in<br />

die Studie wird die Angabe „Herbst (Einführung)“ gewählt.<br />

18<br />

Vgl. Huber, ebd; Bärend, Hartmut, a.a.O., S. 11, sowie Herbst (Einführung), a.a.O., S. 13: „Anders als die … amerikanischen<br />

Gemeindemodelle sind uns die englischen Innovationen in jeder Hinsicht näher: Das kirchliche Klima wirkt vertrauter, … auch für unsere<br />

volkskirchliche Mentalität eher kompatibel.“<br />

19<br />

Mission bringt Gemeinde in Form, Deutsche Ausgabe, S. 50.<br />

20<br />

Ein erstes Ergebnis dieser Beschäftigung mit dem anglikanischen Modell des Church Planting in Deutschland ist beispielsweise auf<br />

www.gemeinde-pflanzen.de zu sehen.<br />

21<br />

„Mission shaped church“ lautet so auch der Titel des Berichtes der Arbeitsgruppe der Kommission für Mission und Öffentlichkeitsarbeit<br />

der Anglikanischen Church of England. Auftrag der Kommission war es, den 1994 erschienenen Bericht „Breaking New Ground“ zu<br />

überprüfen und zu überarbeiten. Dabei kam die Kommission zu dem Schluss, dass die für Breaking New Ground grundlegende<br />

Sichtweise, dass „das Pflanzen <strong>von</strong> Gemeinden als ‚ergänzende Strategie, die der Wirksamkeit des parochialen Gemeindeprinzips zugute<br />

kommt“ (Mission bringt Gemeinde in Form, Deutsche Ausgabe, S. 29), nicht mehr angemessen ist, da sich der Charakter unserer<br />

Gesellschaft zu stark verändert hat, so „dass eine Strategie nicht mehr ausreicht, um das typisch anglikanische Prinzip der ‚Inkarnation’<br />

heute in England in die Praxis umzusetzen“; a.a.O., 30. Zum Verständnis des „anglikanischen Prinzips der Inkarnation“ s. a.a.O., 30; s.u.<br />

Anm. 12.<br />

22<br />

Gemeinde leiten, ebd. Vgl. auch Tim Dearborn, zitiert bei Herbst (Übersetzung), a.a.O., S. 162: „Es ist nicht die <strong>Kirche</strong> Gottes, die einen<br />

missionarischen Auftrag in der Welt hat, vielmehr hat ein missionarischer Gott eine <strong>Kirche</strong> in der Welt.“; s. dazu auch Herbst (Einführung),<br />

a.a.O., S. 14. Zur theologischen Grundlegung für die im Zuge des Church Planting entstehenden neuen Gemeinden s. Mission bringt<br />

Gemeinde in Form, Deutsche Ausgabe, Kap. 5, S. 160-192.<br />

23<br />

Das Glossar der Church of England (2007) definiert „Parish“ wie folgt: „This relatively small geographical area is the main working subdivision<br />

of the diocese, within which the bishop shares his ‚cure of souls’ (his pastoral responsibility) with the incumbent (Amtsinhaber)”; s.<br />

dazu auch www.cofe.anglican.org.<br />

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11<br />

klassischen Ortsgemeinde ansiedeln als auch gemeindliche „Neupflanzungen“ im Bereich einer<br />

Parochie bezeichnen können. Beide hier entstehenden Formen in bzw. neben der Ortsgemeinde<br />

werden im Gegenüber zum Verständnis der modernen Gesellschaft als „Netzwerkgesellschaft“ mit<br />

dem Begriff „Netzwerkgemeinden“ bezeichnet. 24 Somit ergibt sich ein Nebenander <strong>von</strong> klassischen<br />

parochialen Ortsgemeinden mit ihrem traditionellen Angebot und neuen „Netzwerkgemeinden“, die<br />

aus der Ortsgemeinde entstehen bzw. erwachsen oder innerhalb der Parochie als „Neupflanzung“<br />

entstehen. Dieses Nebeneinander ist als Komplementarität, nicht als Konkurrenz, zu verstehen, es<br />

ist erwünscht und angesichts „inmitten einer vornehmlich vom Konsum geprägten Gesellschaft“ 25<br />

notwendig: „We are called to develop existing churches and communities with their own traditions<br />

ut we are also called to encourage and begin fresh expressions of church“ (Erzbischof Dr. Rowan<br />

Williams) 26 .<br />

„Uns ist [dabei] bewusst, dass das parochiale System nach wie vor ein<br />

wichtiger und zentraler Teil in der Strategie unserer nationalen<br />

<strong>Kirche</strong> bei der Erfüllung ihres inkarnatorischen Auftrags 27 bleibt.<br />

Aber dieses parochiale System ist allein nicht länger in der Lage, auf<br />

die Art und Weise missionarisch zu sein, die dem Auftrag der <strong>Kirche</strong><br />

entspricht. Wir müssen uns der Realität stellen, dass heute viele<br />

verschiedene missionarische Ansätze nötig sind. Wir werden eine<br />

„mixed economy“ (Mischwirtschaft) aus Ortskirchengemeinden und<br />

‚Netzwerkgemeinden’ brauchen, die innerhalb eines größeren<br />

Gebiets, also vielleicht eines Dekanats 28 , partnerschaftlich mit<br />

anderen zusammenarbeiten.“ 29<br />

Diese neuen „Netzwerkgemeinden“ sind darüber hinaus als neue, vollwertige <strong>Gemeindeformen</strong><br />

neben der Ortskirchengemeinde anzusehen. Entstanden aus dem Willen zur Teilnahme an der missio<br />

sind sie geprägt <strong>von</strong> fünf Haltungen: (1) Kreativität – (2) Pluralität – (3) Offenheit – (4) Tiefe – (5)<br />

Mut zur Struktur 30 . Ziel ist es nicht zuletzt auch, diese „mixed economy churches“ 31 durch eine<br />

weitgehende Veränderung in den Rechtsstrukturen der Church of England zu unterstützen (s.u.).<br />

24<br />

Die Studie „Mission shaped church” geht in Kapitel 1 intensiv auf die gesellschaftlichen Trends der letzten 30 Jahre ein und benennt v.a.<br />

folgende für die <strong>Kirche</strong> relevante aktuelle Themen: Veränderungen in den Bereichen (1) Wohnsituation – (2) Arbeitsmarkt – (3) Mobilität –<br />

(4) Famililäre Strukturen und Scheidungsrate – (5) Freizeit und Fernsehkonsum. Die Analyse zieht das Fazit: „Unser Leben ist in<br />

zunehmendem Maße fragmentarisiert. … Am Anfang des dritten Jahrtausends kann man die westliche Welt am besten als<br />

‚Netzwerkgesellschaft’ beschreiben. … In einer Netzwerkgesellschaft tritt die Bedeutung des ‚Stabilen’ hinter die des ‚Fließens’ zurück“,<br />

Herbst (Übersetzung), Mission bringt Gemeinde in Form, Deutsche Ausgabe, S. 34-40, Zitat S. 39f.<br />

25<br />

Bischof Graham Cray, in: a.a.O., S. 32.<br />

26<br />

Rowan Williams, in: The Future of the Parish System. Shaping the Church of England for the 21st Century, hrsg. v. Steven Croft, London<br />

2006, S. ix.<br />

27<br />

Der inkarnatorische Auftrag bzw. die Rede vom „‚Prinzip der Inkarnation’, das dem Handeln der Anglikanischen <strong>Kirche</strong> in England zu<br />

Grunde liegt, … [meint im Blick auf die Bemühungen um eine mission shaped church] … nicht die einzigartige Tat Gottes, um unserer<br />

Erlösung willen in Christus menschliche Gestalt angenommen zu haben; … [es meint] vielmehr die Tatsache, dass durch ein Eintauchen in<br />

eine bestimmte Kultur Inkulturation stattfand. Diese ‚Inkarnation’ wurde im <strong>Neue</strong>n Testament zum Prinzip der christlichen Mission und<br />

wurde auch zur Grundlage des parochialen Systems der Anglikanischen <strong>Kirche</strong>, die durch eine Pfarrkirche überall und an jedem Ort<br />

präsent war“, Herbst (Übersetzung), Mission bringt Gemeinde in Form, Deutsche Ausgabe, S. 30, s.auch a.a.O., Kap. 5, S. 160-192.<br />

28<br />

Dekanate (engl. deanery) entsprechen den <strong>Kirche</strong>nkreisen, <strong>Kirche</strong>nbezirken, Dekanaten usw. in unseren deutschen Landeskirchen; s.<br />

dazu die Definition im Glossar der Anglican Church: „Archdeaconries are further divided into Deaneries. Deaneries serve mainly as<br />

associations of parishes for the purpose of co-ordinated mission.”<br />

29<br />

Bischof Graham Cray, zit. in: Herbst (Einführung), a.a.O., S. 15, s. auch das Vorwort <strong>von</strong> Erzbischof Rowan Williams in: Mission bringt<br />

Gemeinde in Form, Deutsche Ausgabe, S. 25: „Ganz entscheidend ist es, dass wir begonnen haben zu begreifen, dass ‚<strong>Kirche</strong>’ als<br />

Realität viele verschiedene Formen haben kann“.<br />

30<br />

Siehe dazu die Zusammenfassung <strong>von</strong> M. Herbst, in: ders., a.a.O. (Einführung), S. 16-18. Vgl. zum Punkt „(5) Struktur“, in dem es u.a.<br />

um die kirchenrechtliche Anerkennung und (finanzielle) Förderung der neuen Gemeindepflanungen und fresh expressions of church geht:<br />

„Es wird darüber nachgedacht, wie sie [die neuen Ausdrucksformen gemeindlichen Lebens und Gemeindepflanzungen] sowohl eine<br />

gesunde Eigenständigkeit bekommen können als auch in das kirchliche Ganze integriert werden können. Da geht es auch um Finanzen,<br />

Wahlrecht, kirchliche Abgaben usw.“.; Herbst (Einführung), a.a.O., S. 18; s. auch den Abschnitt zu den rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

im Exkurs.<br />

31<br />

Zum diesem auf Erzbischof Rowan Williams zurückgehenden Begriff “mixed economy church” siehe die erläuternden Hinweise auf<br />

www.sharetheguide.org/section1/mixedeconomy: “The term was first used by Archbishop Rowan Williams to refer to fresh expressions and<br />

'inherited' forms of church existing alongside each other, within the same denomination, in relationships of mutual respect and support. The<br />

idea of the mixed economy has strong theological roots: (1) It echoes the Trinity – (2) it reflects creation – (3) it expresses the eucharistic<br />

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12<br />

Church Planting and fresh expressions of church<br />

Die seit vielen Jahren in ganz England entstandenen sog. „Netzwerkgemeinden“ sind die Folge eines<br />

bereits in den 80er Jahren des 20. Jh. initiierten Prozesses der anglikanischen <strong>Kirche</strong> 32 , der unter<br />

dem Namen „church planting“ über England hinaus bekannt geworden ist. 33 Bob Hoskins, einer der<br />

Gründungsväter des „Church planting“, definiert diesen Prozess bereits 1991 wie folgt:<br />

„Gemeindepflanzung bedeutet, an der Mission Gottes teilzuhaben,<br />

indem wir neue Gemeinschaften des christlichen Glaubens schaffen, um<br />

so seinem Reich in jedem geographischen und kulturellen Kontext<br />

Ausdruck zu verleihen.“ 34<br />

Ergänzt wird dieses Verständnis durch eine auf die konkrete Praxis ausgerichtete Definition des<br />

ehemaligen Erzbischofes <strong>von</strong> Canterbury, George Carey:<br />

„Was ist Church Planting? Der Begriff scheint ein Gebäude (Church =<br />

<strong>Kirche</strong>) zu implizieren; das ist aber nicht der Fall. In den meisten Fällen<br />

werden beim Church Planting eher Christen (Church = Gemeinde) in ein<br />

Gebiet ‚verpflanzt’, in dem die christliche Präsenz gering ist. … Im<br />

Wesentlichen geht es beim Pflanzen <strong>von</strong> Gemeinden darum, neuen<br />

lokalen Gemeinden zur Geburt zu helfen. Wir könnten es daher<br />

definieren als die Aktivität einer einzelnen Person, einer Gruppe oder<br />

einer ganzen bereits bestehenden Gemeinschaft <strong>von</strong> Christen, deren Ziel<br />

es ist, eine neue identifizierbare Gruppe oder Versammlung (ecclesia =<br />

Vesammlung) zu etablieren“ 35<br />

Die infolge dieses Prozeses entstehenden „Netzwerkgemeinden“ bzw. „Gemeindepflanzungen“ sind<br />

durch sechs Merkmale gekennzeichnet:<br />

Sie entstehen aus der bewussten missionarischen Absicht heraus, eine Gemeinde zu gründen.<br />

heart of the church – (4) it was modelled by the Jerusalem and Antioch churches – (5) it can draw strength from the forbearance of the<br />

Spirit.”<br />

32<br />

Die erste Konferenz zum Thema „Church planting“ (übersetzt: Gemeindepflanzungen) fand bereits 1987 in der Londoner Gemeinde<br />

Holy Trinity Brompton statt. Seit dieser Zeit wurden ca. 370 Gemeindepflanungen unternommen, <strong>von</strong> denen ca. ein Viertel über<br />

bestehende parochiale Gemeindegrenzen hinausging.<br />

33<br />

Dieser <strong>von</strong> Spannungen mit den parochialen Ortsgemeinden begleitete neue Prozess führte zur Einsetzung eines Ausschusses, der<br />

1994 in seinem Bericht „Breaking New Ground“ zu folgendem Fazit kam: Gemeindepflanzungen sind eine ergänzende Strategie, die die<br />

Wirkung des alten Systems nicht aushöhlt, sondern noch verstärkt. Die <strong>Kirche</strong> müsse heute auf allen drei Ebenen arbeiten: dem<br />

Territorium (parish; Ortsgemeinde, Parochie), dem Wohnumfeld (neighbourhood, Nachbarschaft; nicht immer deckungsgleich mit der<br />

Zuständigkeit der Ortsparochie) und dem Netzwerk; s. Mission bringt Gemeinde in Form, Deutsche Ausgabe, S. 56ff.<br />

Auch wenn der Ausschuss-Bericht „Breaking New Ground“ (1994) wesentlich dazu beitrug, das Gemeindepflanzungskonzept in der <strong>Kirche</strong><br />

zu legitimieren, so hat sich inzwischen die Fragestellung stark verändert: War „die Frage nach dem ‚Wie’ … in ‚Breaking New Ground’<br />

noch fundamental, [so] … ist sie schnell überholt worden <strong>von</strong> der viel radikaleren Frage nach dem ‚Warum’. Heute … denken mehr<br />

Menschen auf radikale Weise darüber nach, was <strong>Kirche</strong> eigentlich ist, und suchen nach kreativen Lösungen. Als Reaktion auf die<br />

veränderte Welt und die Krise der <strong>Kirche</strong> wächst das Interesse daran herauszufinden, ‚was <strong>Kirche</strong> ist und wofür <strong>Kirche</strong> da ist’“; Mission<br />

bringt Gemeinde in Form, Deutsche Ausgabe, S. 74f<br />

34<br />

Zitiert in: Mission bringt Gemeinde in Form, Deutsche Ausgabe, S. 76; vgl. auch Bob Hopkings, Church Planting Modells for Mission in<br />

the Church of England, Grove Evangelism 4, 1988 und ders., Church Planting: some Experiences and Challenges, Grove Evangelism 8,<br />

1989.<br />

35<br />

Zitiert bei Hopkins, Bob, Gemeinde pflanzen, 1996, S. 7. 12. S. dazu auch die weitere Definition in Mission bringt Gemeinde in Form,<br />

Deutsche Ausgabe, S. 80: Church Planting wie folgt: „’Gemeinde pflanzen’ ist der Prozess, durch den die Saat des Lebens und der<br />

Botschaft Jesu Christi, verkörpert durch eine Gemeinschaft <strong>von</strong> Christen, aus missionarischen Gründen in einen bestimmten kulturellen<br />

oder geographischen Kontext eingepflanzt wird. Diese Gemeinschaft soll dort Wurzeln schlagen, damit eine ganz neue, eigenständige und<br />

aus dem kulturellen Kontext erwachsene Gestalt des Leibes Christi entsteht. Diese Nachfolger Christi sollen ihrerseits in der Lage sein,<br />

den Staffelstab zu übernehmen und sich den missionarischen Auftrag zu Eigen zu machen“ sowie a.a.O., Kapitel 3, S. 76ff.<br />

Im deutschen Sprachraum wird dieses Modell des Gemeindeaufbaus zumeist mit einer charakteristischen, v.a. pietistisch geprägten<br />

Frömmigkeit und einer spezifischen konservativen bzw. evangelikalen Theologie verbunden. Demgegenüber ist jedoch festzuhalten, dass<br />

„in England alle (!) bedeutenden traditionellen Strömungen innerhalb der Anglikanischen <strong>Kirche</strong> … Pflanzungs-Projekte entwickelt haben<br />

und zwar: die anglokatholische, die pietistische (evangelical), die charismatische und die liberale (broad church), auch ökumenische<br />

church-planting Gemeinden sind inzwischen entstanden“, so machen Neupflanzungen auf ökumenischer Basis (Local Ecumenical<br />

Partnerships) ca. 9% der Gemeindepflanzungen aus; s. Hopkins, a.a.O., S. 23 und Mission bringt Gemeinde in Form, Deutsche Ausgabe,<br />

S. 71.<br />

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13<br />

Sie entstehen, indem einige Menschen – zumeist ein Team <strong>von</strong> 6 bis zu 50 Personen 36 – die<br />

aussendende Gemeinde verlassen, um an anderer Stelle eine neue Gemeinde zu gründen<br />

oder eine bereits existierende (!) Gemeinde wiederzubeleben.<br />

Sie hat eine klare Prägung und einen bestimmten Stil.<br />

Sie hat eine klar erkennbare, <strong>von</strong> anderen innerhalb und außerhalb der gepflanzten Gemeinde<br />

akzeptierte Leitung.<br />

Sie hat wiedererkennbare pastorale Strukturen<br />

Sie dient einer klar umrissenen Zielgruppe, Kultur oder einem Wohnumfeld. 37<br />

Als „Sammelbegriff“ für diese neu entstandenen „Gemeindepflanzungen“ bzw.<br />

„Netzwerkgemeinden“ hat sich in den letzten Jahren die Formulierung „fresh expressions of<br />

church“ – „neue Ausdrucksformen gemeindlichen Lebens“ – durchgesetzt. 38 Die aus dem Prozess des<br />

„Hinausgehens“ und „Pflanzens“ entstehenden neuen „Netzwerkgemeinden“ sind inzwischen so<br />

zahlreich, dass hier nur exemplarisch einige wenige genannt werden können: 39 So werden<br />

beispielsweise folgende neue 40 Gemeinden als „fresh expressions of church“ genannt:<br />

Alternative Gottesdienstgemeinden, z.B. „Grace“ in Ealing, London<br />

Cafékirchen, z.B. „Rubik`s Cube“ in Bristol, Open House, Brentfort, London<br />

Zellgemeinden 41 , z.B. St. Alkmund`s, Derby; Harvest, Margate; Hirst Wood, West Yorkshire<br />

Differenzierte Gottesdienstgemeinden und Wochentagsgemeinden<br />

Netzwerkorientierte Gemeinden (gebunden an ein bestimmtes Netzwerk), z.B. „B1“, eine<br />

Netzwerkgemeinde, die in Birmingham in den Bars und Hotels am Brindley Place und in der<br />

Broad Street arbeitet, Zielgruppe sind 20-30jährige <strong>Kirche</strong>ndistanzierte.<br />

Schulische oder schulbezogene Gemeinden, z.B. Thatcham, West Berkshire; Apply Bridge,<br />

Lancashire<br />

<strong>Kirche</strong> für Suchende, z.B. „Explore“, im Bracknell Leisure Centre, einem lokalen Freizeitzentrum<br />

Traditionelle Gemeindepflanzungen 42 , z.B. St. Nicola, Cramlington<br />

Traditionelle Gemeinden – alte Formen neu entdeckt (einschließlich neuer<br />

Ordensgemeinschaften),<br />

z.B. Missionsorden „The Order of Mission“ (TOM),<br />

Jugendkirchen, z.B. „Eternity“in Bracknell, Berkshire.<br />

Rechtliche Rahmenbedingungen für die Entwicklung neuer Gemeinden<br />

Auch wenn angesichts der Unterschiedlichkeit und z.T. auch zeitlich begrenzten Dauer solcher<br />

„fresh expressions of church“ eine kirchenrechtliche Einbindung und Förderung dieser neuen<br />

36<br />

Zum Charakter dieser Teams s. Herbst (Einführung), a.a.O., S. 17.<br />

37<br />

Vgl. Breaking New Ground, Church House Publishing, London 1994, Abschnitt 2.4.<br />

38<br />

Mission bringt Gemeinde in Form, Deutsche Ausgabe, S. 83. Zugleich weist der Bericht selbst auf eine Schwäche der Formulierung<br />

„fresh expressions bzw. neue Ausdrucksformen“ hin, da es schwierig ist, zwischen den beiden genannten Möglichkeiten zu unterscheiden:<br />

„zwischen denen, die neues Leben innerhalb der Gemeinde entdecken (das in missioarisches Handeln mündet), und denen, die bewusst<br />

hinausgehen, um Gemeinde und Evangelium anderswo einzupflanzen“, a.a.O., S. 83f. Darum verwendet der Bericht „mission shaped<br />

church“ sowohl die Begriffe „Church Planting/Gemeindepflanzung“ wie „fresh expressions of church/neue Ausdrucksformen gemeindlichen<br />

Lebens“ und kommentiert diese, wo nötig, an den verwendeten Stellen. „Beide, ‚church planting’ und ‚fresh expressions of church’ können<br />

aus den gleichen Erfahrungen und Motivationen heraus entstehen, und beide können sich überlappen in dem, was sie erreichen wollen.<br />

Es sind verschiedene, aber miteinander verbundene Möglichkeiten, und die <strong>Kirche</strong> braucht sie beide“, a.a.O., S. 84.<br />

Die <strong>von</strong> mir versuchte Zuordnung der „fresh expressions-Gemeinden“ zum Begriff des „Church Planting“ ist stellt daher lediglich einen<br />

Versuch dar, die bisweilen schwierige und schwebende Definitionsfrage, wie sie im Bericht „Mission shaped church“ zutage tritt,<br />

aufzulösen, die Zuordnung wurde aufgrund einiger Abschnitte in Kapitel 3 des Berichts, v.a. S. 80-83, <strong>von</strong> mir vorgenommen. Siehe dazu<br />

auch a.a.O., S. 31: „’<strong>Neue</strong> Ausdrucksformen gemeindlichen Lebens’ sind Manifestationen dieses Gedankens [des Church Planting], sie<br />

legen aber auch Zeugnis ab <strong>von</strong> den Versuchen vieler Gemeinden, einen Wechsel zu stärker missionarisch orientierten Formen des<br />

Gemeindelebens zu vollziehen.“<br />

39<br />

Eine Übersicht über die vielfältigen wie zahlreichen Formen der „fresh-expressions-Gemeinde“ findet sich bei Mission bringt Gemeinde<br />

in Form, Deutsche Ausgabe, Kap. 4, S. 97-160 sowie zum Beispiel auf www.sharetheguide.org.<br />

40<br />

Neu im Sinne <strong>von</strong> neuen Gemeindepflanzungen innerhalb einer Parochie und neben einer bestehenden Ortsgemeinde wie zugleich im<br />

Sinne <strong>von</strong> „Gemeinden“, die durch die Inititierung eines missionarischen Projekts aus der klassischen Gemeindearbeit einer Ortsgemeinde<br />

entstehen bzw. „herauswachsen“.<br />

41<br />

„Zum Verständnis des Themas „Zellgemeinde“ ist es wichtig, sich klarzumachen, dass hier an die Zelle als Grundbaustein des Lebens<br />

gedacht ist, und damit an die Fähigkeit zu Vervielfältigung, zu vielfacher Formgebung, zur Kooperation und Anpassung an<br />

unterschiedlichste Lebensräume. Es ist im Deutschen ein nahe liegendes Missverständnis, eher an die Gefängniszelle zu denken. Aber<br />

genau das ist natürlich nicht gemeint“, Mission bringt Gemeinde in Form, Deutsche Ausgabe, S. 111.<br />

42<br />

Traditionelle Gemeindepflanzungen umfassen auch sog. „wiederbelebte Gemeinden“. Zu diesem Modell gehört auch die<br />

Wiedereröffnung eines „stillgelegten“ kirchlichen Gebäudes“; a.a.O., S. 144.<br />

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14<br />

<strong>Gemeindeformen</strong> eine große Herausforderung darstellt 43 , so werden diese neuen Ausdrucksformen<br />

gemeindlichen Lebens und Gemeindepflanzungen inzwischen kirchlich anerkannt“ 44 , mehr noch:<br />

Mission hat sowohl einen Vorrang vor den <strong>Kirche</strong>nstrukturen und formt zugleich die kirchlichen<br />

Strukturen. So bekommen die „fresh expressions of church“ in der anglikanischen <strong>Kirche</strong> Schritt für<br />

Schritt wachsende kirchliche Anerkennung wie kirchliche Mitverantwortung übertragen. Sie werden<br />

mündige Partner der alteingesessenen Gemeinden. 45<br />

So beauftragte das Archbishop`s Council bereits im Jahr 2000 – parallel zur für „Mission shaped<br />

Church“ zuständigen Kommission für Mission und Öffentlichkeitsarbeit – einen Auschuss mit der<br />

Überprüfung der legislativen kirchenrechtlichen Maßnahmen <strong>von</strong> 1978, den „Dioceses Measure“, und<br />

<strong>von</strong> 1983, den „Pastoral Measure“ 46 . Die Ergebnisse der Überprüfung wurden 2004 im Commission`s<br />

Report „A Measure for Measures“ vorgelegt. Er stellt unter anderem 65 Empfehlungen zur<br />

Vereinfachung der „procedures of change“, zur Reduzierung bürokratischer Ebenen und zur<br />

Bereitstellung <strong>von</strong> neuen Lösungswegen zur Strukturierung evangelistischer Unternehmungen bzw.<br />

Vorhaben vor. Zugleich weist der Report in besonderer Weise darauf hin, dass der gesamte Bereich<br />

pastoraler Versorgung durch den „Ruf zur Mission“ verändert werden sollte und plädiert für die<br />

Initiierung sog. „mission intiatives“. 47<br />

Der bisher gegangene Weg in der Anglikanischen <strong>Kirche</strong> machte zum einen deutlich, dass das<br />

englische <strong>Kirche</strong>nrecht bereits jetzt verschiedene „Mechanismen für einen Wechsel“ sowie<br />

signifikante Ressourcen zur Verfügung stellt, mit denen den „missionarischen Notwendigkeit“<br />

begegnet werden kann 48 , zum weist er hin auf einen kirchenrechtlichen „process of adaption“, um<br />

neuen kulturellen Notwendigkeiten begegnen zu können. Seit 2004 arbeitet ein Lenkungsausschuss<br />

an der Umsetzung der Empfehlungen, bereits 2005 wurde ein erster Entwurf „of a new Dioceses,<br />

Pastoral and Mission Measure“ <strong>von</strong> der General Synod der Church of England befürwortet. Die<br />

nächsten Schritte werden in den kommenden Jahren folgen.<br />

So spiegelt auch der kirchenrechtliche Report „Measure for Measures“ die Erkenntnis der Church of<br />

England wider, dass die „fresh expressions of church“ erwünscht und zu begrüßen sind und<br />

gleichwertig zur Anglikanischen <strong>Kirche</strong> dazugehören. 49 Es bleibt, so John Rees, daher zu hoffen,<br />

dass die „Measure for Measures“ beidem gerecht werden: den gesunden Formen bzw. Mustern, die<br />

43<br />

Erschwert wird diese Einbindung in das <strong>Kirche</strong>nrecht nicht allein durch die Unterschiedlichkeit der neuen <strong>Gemeindeformen</strong>, sondern<br />

auch durch definitorische Unschärfen, auf die auch Bischof em. John Finney selbst verweist: „In typical Anglican style we are trying not to<br />

be too definitive in our definitions and letting them develop, but ist causes uncertainty“; übersetzt: „In tpyisch anglikanischer Manier<br />

versuchen wir, die Dinge durch unsere Definitionen nicht allzu deutlich festzulegen. Wir lassen immer Raum für Weiterentwicklungen.<br />

Natürlich zahlen wir dafür einen Preis: Unsicherheit“, in: Herbst (Einführung), a.a.O., S. 18.<br />

44<br />

Herbst (Einführung), a.a.O., S. 18; s. auch Rees, John, Legal matters, in: Steven Croft (Hg.), The Future of the Parish System. Shaping<br />

the Church of England for the 21st Century, London 2006, S. 170-172, 176. Leider liegen derzeit keine aktuellen Informationen zur Arbeit<br />

wie zu weiteren Ergebnissen des Lenkungsausschusses vor.<br />

45<br />

Siehe Herbst (Einführung), a.a.O., S. 19. Zum Verhältnis <strong>von</strong> Mission und <strong>Kirche</strong>nstruktur/<strong>Kirche</strong>nrecht vergleiche in „mission shaped<br />

church“ auch die englische Überschrift zu Kapitel 7, in denen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die „fresh expressions of church“<br />

erarbeitet werden: „an enabling framework [!] for a missionary church“, mission shaped church, S. 125.<br />

46<br />

Siehe dazu vor allem John Rees, a.a.O., S. 170ff. Die folgenden Übersetzungen der englischen Zitate <strong>von</strong> Rees im Fließtext stammen<br />

vom Verfasser des Exkurses.<br />

47<br />

Siehe dazu Rees, a.a.O.., S. 171ff. Diese „mission initiatives“ werden dabei vom Bischof selbst oder <strong>von</strong> anderen Personen<br />

vorgeschlagen und im Anschluss vom Bischof befürwortet. Als „mission initiative“ gilt dabei jedes Projekt, das voraussichtlich durch die<br />

Pflege oder die Entwicklung einer Form christlicher Gemeinschaft die Misison der <strong>Kirche</strong> … begünstigt oder fördert. Aufgrund dessen sind<br />

auch die „network church projects“ mit einzubeziehen, bis dahin, dass diese auch den Wunsch äußern dürfen, eine eigene Identität<br />

getrennt <strong>von</strong> der parish church zu entwickeln. Das Projekt ist <strong>von</strong> Beginn an durch die Person eines Vermittlers zwischen Projekt und<br />

Bischof – dem „Visitor“ – mit der Diözese verbunden und wird durchgängig vom Visitor begleitet. Aufgabe des Visitors ist es, die Initiative<br />

zu „beaufsichtigen“, zu beraten, zu ermutigen und – soweit möglich – Unterstützung für sie bereitzustellen; umgekehrt hat der Leiter der<br />

Initiative den Visitor regelmäßig zu konsultieren und über die „general direction and development“ des Projekts zu berichten. Vorrangiger<br />

Zweck des Visitors ist es, die Verbindung zwischen Bischof und Initiative zu pflegen. Für die Umsetzung einer „mission intitative“ wird ein<br />

Zeitraum <strong>von</strong> fünf Jahren angegeben, bei Erfolg des Projekts ist eine weitere Verlängerung um fünf Jahre möglich.<br />

48<br />

Als solche „Ressourcen“ nennt Rees hier neben den Chaplaincy ministries (Kaplansamt) v.a. die „Conventional districts“. „Conventional<br />

districts“ definiert Rees dabei wie folgt: „Where new housing developments (Siedlungsbau) make it desirable for parish boundaries to be<br />

re-drawn, part of a parish may be designated a Conventional district. In a Conventional District, a priest-in-charge can be appointed directly<br />

by the bishop in place of the incumbent (Amtsinhaber)”So bilden nach Rees gerade die Conventional Districts eine gute Möglichkeit, die<br />

gegenwärtigen „fresh expressions of church“ in geltendes <strong>Kirche</strong>nrecht zu integrieren bzw. mit diesem zu verbinden: „neue<br />

Ausdrucksformen <strong>von</strong> Gemeinden“ könnten so z.B. kirchenrechtlich als „Conventional districs“ gefasst werden so auch nach ihrer<br />

Gründung weiterhin bestehen – und zwar als Teil der gewohnten parochialen Strukturen und nicht separt <strong>von</strong> ihnen existierend.; a.a.O., S.<br />

175f.<br />

49<br />

„Nevertheless, the new Measure reflects the Church of England`s awareness that new initiatives are to be welcomed and ‘owned’ and<br />

need not to be objects of suspicion or threat”, Rees, a.a.O., s. 176f.<br />

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15<br />

wir <strong>von</strong> der Vergangenheit geerbt haben, und dem gesunden neuen Wachstum, das sich gegenwärtig<br />

– wie auch zukünftig – entwickelt.“ 50<br />

Mission shaped church in der Volkskirche?<br />

Im Blick auf die Frage der Adaption bzw. Übertragung des mit „mission shaped church“<br />

überschriebenen Prozesses hält Herbst im Vorwort zu Recht fest, dass es bei den vorgestellten<br />

Modellen und Initiativen nicht einfach um kopierfähige Gemeindemodelle, sondern vielmehr um<br />

eine veränderte Haltung geht: „Wir glauben …, dass es diese Haltungen sind, die ‚Mission shaped<br />

Church’ zu einer anregenden …. Lektüre machen können: Kreativität, Mut zur Pluralität, Offenheit<br />

für <strong>Neue</strong>s, Tiefgang und Mut zu neuen Strukturen. Diese Haltungen können vielleicht auch<br />

Bewegungen in unsere Strukturdebatten bringen. … Dabei geht es [wie in der Anglikanischen <strong>Kirche</strong>]<br />

nicht um eine grundsätzliche Infragestellung der Parochie… Aber es geht um den Mut zur Vielfalt<br />

auch in den Strukturen; es geht um eine Reaktion auf die veränderten [gesellschaftlichen]<br />

Rahmenbedingungen und um kreative neue Lösungen.“ 51<br />

Ein Rekurs auf die gegenwärtigen Entwicklungen in der Anglikanischen <strong>Kirche</strong> sollte dabei aber auch<br />

die eigene kirchengeschichtliche Entwicklung mit im Blick behalten und nach Möglichkeiten zu<br />

suchen, entsprechende „fresh expressions“ mit schon vorhandenen (Denk-)Ansätzen und „Modellen“<br />

in der eigenen <strong>Kirche</strong>ngeschichte zu verbinden. In Frage kommen hier beispielsweise Martin Luthers<br />

Vorschlag in der Vorrede zur „Deutschen Messe“, dass die, „die mit Ernst Christen sein wollen“, sich<br />

in kleinen Hausgemeinschaften bzw. „Hauskirchen“ treffen 52 , sowie – daran anknüpfend – Philipp<br />

50<br />

Das hier mit „entwickelt“ wiedergegebene Verb „emerge“ umfasst im Deutschen eine große Bandbreite <strong>von</strong> Bedeutungen, z.B. „sich<br />

abzeichnen, aufkommen, aufstreben, (aus etwas) auftauchen, auftreten, bekanntwerden, sich entwickeln, herausbilden, herauskommen,<br />

hervorgehen, hervortreten“. Das Verb „emerge“ wird im anglikanischen Kontext v.a. im Zusammenhang mit der Bewegung „emerging<br />

church“ (= die sich entwickelnde <strong>Kirche</strong>) verwendet. Von diesem Zusammenhang her wurde hier die Übersetzung „entwickelt“ gewählt.<br />

Zum Verständnis <strong>von</strong> „emerge“ und „emerging church“ s. auch den Artikel „Emerging Church“ in wikipedia: „Emerging Church“ (Die sich<br />

entwickelnde <strong>Kirche</strong>) überträgt aktuelle Erkenntnisse der Biologie, der Hirnforschung, der Wirtschaft und der Philosophie auf die Situation<br />

der Gemeinde. … Das englische Partizip emerging heißt so viel wie „im Entstehen begriffen sein“ und wird im Englischen in verschiedenen<br />

Kontexten verwendet. Es soll andeuten, dass die Bewegung im Fluss ist, sich ständig entwickeln möchte und sich selbst als unfertig und<br />

fragil bezeichnet. Daher auch eine gewisse Scheu davor, zu stark festgelegt und definiert zu sein. … Außerdem ist der Ausdruck<br />

‚emerging’ als Anlehnung an die Theorie der Emergenz zu verstehen, die u.A. das Verhalten <strong>von</strong> sozialen Systemen mit flacher Hierarchie<br />

beschreibt“, Q: http://de.wikipedia.org/wiki/Emerging_Church.<br />

Rees, a.a.O., S. 177, siehe aber auch Kap. 7 „Rechtliche Rahmenbedingungen für die Entwicklung missionarischer Gemeinden“ in Mission<br />

bringt Gemeinde in Form, Deutsche Ausgabe, a.a.O., S. 226-258. Aufgrund des für den Exkurs zur Verfügung stehenden Platzes konnten<br />

hier nur Ansätze kirchenrechtlicher Überlegungen zur Einbindung der „fresh expressions of church“ genannt werden, im Bericht „Mission<br />

shaped church“ findet sich eine zusammenfassende Übersicht über die gegenwärtigen Optionen, die „neuen Ausdrucksformen<br />

gemeindlichen Lebens“ kirchenrechtlich zu verankern. Die Tabelle wird dem Bericht „<strong>Gemeindeformen</strong> 2010“ als Anlage beigefügt. Dabei<br />

ist zu beachten, dass in der Tabelle die Ortskirchengemeinden mit mehreren, <strong>von</strong>einander geographisch getrennten und<br />

unzusammenhängenden Gemeindebezirken und „normale Gemeindebezirke“ (die durch die Beteiligung an einem gemeinsamen<br />

Gemeindeleitungsgremium repräsentiert sind) nicht einbezogen sind. Die Tabelle findet sich bei Mission bringt Gemeinde in Form,<br />

Deutsche Ausgabe, S. 230-233.<br />

51<br />

Herbst (Einführung), a.a.O., S. 20. Vgl. auch die Überlegungen <strong>von</strong> Herbst zur Übertragung <strong>von</strong> mission shaped church auf die<br />

deutsche Situation: „Das … bedeutet aus meiner Sicht zweierlei: zum einen wird in der Tat die Gemeindepflanzungs-Strategie <strong>von</strong><br />

‚Mission-shaped Church“ nicht in Serienproduktion gehen, sondern zunächst eher in der … kirchlich unterstützten und auch evaluierten<br />

‚Prototyp-Bauweise“ eingeführt werden müssen. Zum anderen brauchen wir ein ganzes Bündel <strong>von</strong> Maßnahmen für Ehrenamtliche“.<br />

[Notwendig sind wie in England daher] geziele aufwändige Programme der Schulung …, katechetische Langzeitunternehmungen, die dem<br />

Christenmenschen helfen, Kenntnisse und Haltungen zu erwerben, mit denen er dann der ‚mission die’ als mündiger Christ dienen kann“,<br />

a.a.O., S. 22.<br />

52<br />

Luther, Martin, Deutsche Messe (1526), Ausgewählte Werke Bd. 3: Schriften zur Neuordnung der Gemeinde, des Gottesdienstes und<br />

der Lehre, H. H. Borcherdt, G. Merz (Hrsg.), München 3. Aufl. 1962, S. 128-156. Im Rahmen der Neugestaltung des gemeindlichen<br />

Lebens nach der Reformation hatte Luther drei „Weisen“ des Gottesdienstes vorgestellt: 1. die lateinische Messe (zur Sprachschulung der<br />

Jugend) – 2. der Gottesdienst in deutscher Sprache (um Nichtchristen zu erreichen) – 3. Die Versammlung derer, die mit Ernst Christen<br />

sein wollen“: „Aber die dritte Weise, welche die rechte Art der evangelischen Ordnung haben sollte, dürfte nicht so öffentlich auf dem Platz<br />

unter allerlei Volk geschehen. Sondern diejenigen, die mit Ernst Christen sein wollen und das Evangelium mit der Tat und dem Munde<br />

bekennen, müßten sich mit Namen einzeichen und sich etwa in einem Haufen versammeln zum Gebet, lesen, zu taufen, das Sakrament<br />

empfangen und andere christliche Werke zu üben. In dieser Ordnung könnte man die, welche sich nicht christlich hielten, kennen, strafen,<br />

bessern, ausstoßen oder in den Bann tun nach der Regel Christi Matth. 18,15 ff. Hier könnte man auch ein gemeinsames Almosen<br />

auferlegen, das man freiwillig gäbe und nach dem Vorbild des Paulus austeilte (2. Kor. 9,1). Hier bedürfte es nicht vieler und großer<br />

Gesänge. Hier könnte man auch Taufe und Sakrament auf eine kurze feine Weise halten und alles aufs Wort und Gebet und auf die Liebe<br />

richten. Hier müßte man einen guten kurzen Unterricht über das Glaubensbekenntnis, die zehn Gebote und das Vaterunser haben. In<br />

Kürze: wenn man die Menschen und Personen hätte, die mit Ernst Christen zu sein begehrten, die Ordnungen und Regeln dafür wären<br />

bald gemacht“, in: Luther, a.a.O., S. 130f.<br />

Auch wenn Luther die dritte Weise nicht weiter verfolgte – „Ich habe die Leute nicht dazu“ –, so bedeutet dies nicht, dass eine Anknüpfung<br />

an diesen Vorschlag heute nicht möglich bzw. sinnvoll wäre. Zu überlegen wäre vielmehr, jenseits vorschneller theologischer<br />

Beurteilungen und frömmigkeitsspezifischer Zuordnungen solcher Anregungen, ob und wie Luthers Vorschlag ebenso wie Speners Idee<br />

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16<br />

Jakob Speners Vorschlag der „collegia pietatis“ in seinem Reformprogramm „Pia desideria“ <strong>von</strong><br />

1675 53 . Ziel solch eines noch zu initiierenden Prozesses innerhalb der Volkskirche wären dabei neue<br />

Formen <strong>von</strong> Gemeinden, die wie in der Anglican Church gleichwertig neben den Ortsgemeinden<br />

ihren Platz finden. Ziel ist es jedoch nicht, „Freikirchen [zu] pflanzen, sondern kirchlich<br />

eingebundene volkskirchenkompatible neue <strong>Gemeindeformen</strong>, frische lebendige Ausdrucksformen<br />

gemeindlichen Lebens.“ 54 Dabei werden, so Erzbischof Dr. Rowan Williams, diese „fresh expressions<br />

of church“ zugleich immer auch geprägt sein <strong>von</strong> einer lebendigen wie theologischen Vielfalt:<br />

„If ‚church’ is what happens when people encounter the Risen Jesus<br />

and commit themselves to sustaining and deepening that encounter<br />

in their encounter with each other, there is plenty of theological<br />

room for diversity of rhythm and style, so long as we have ways of<br />

identifying the same living Christ at the heart of every expressions of<br />

Christian life in common.” 55<br />

Ende Exkurs mission shaped church (Isenburg)<br />

Die kategoriale Unterscheidung <strong>von</strong> Gemeinden des bisherigen und eines „neuen“ Typs ist historisch<br />

nicht begründet. 56 Sie ist auch nicht erforderlich, um Vielfalt zu gestalten. Der Auftrag zur Einheit<br />

der <strong>Kirche</strong>, dh dem Ringen um die gemeinsame Vergewisserung des Evangeliums sowohl in Zeugnis<br />

und Dienst, als auch in Ordnung und Gestalt, legt den Fokus auf den gemeinsamen Auftrag, nicht auf<br />

die Form in der dieser Auftrag geordnet wird. Der Ruf nach einer Pluralität <strong>von</strong> Formen ist deshalb<br />

als instrumenteller Schritt zur Gestaltung <strong>von</strong> Vielfalt zu verstehen, nicht aber als eine formale<br />

Zielbeschreibung.<br />

der „collegia pietatis“ Anstöße für die Entwicklung neuer <strong>Gemeindeformen</strong> bzw. „Netzwerkgemeinden“ im 21. Jh. geben können. Vgl. dazu<br />

auch die theologisch wie frömmigkeitsspezifisch unterschiedlich geprägten „Gemeindepflanzungen“ in England, s.o. Anm. 20.<br />

53 Spener, Philipp Jakob, Pia desideria (1675), Deutsch-lateinische Studienausgabe, Gießen 2005; s. dazu auch die Hinweise zu Speners<br />

Reformprogramm auf der Homepage der EKD: www.ekd.de/glauben/theologie/spener.html.<br />

54 Herbst (Einführung), a.a.O., S. 21.<br />

55 Williams, Rowan, foreword, in: mission shaped church, S. vii; die dt. Übersetzung: „Wenn ‘<strong>Kirche</strong>’ dort Gestalt bekommt, wo Menschen<br />

dem auferstandenen Jesus begegnen und ihr Leben darauf ausrichten, diese Begegnung in der Begegnung miteinander fortzuführen und<br />

zu vertiefen, dann gibt es theologisch gesehen genügend Raum für eine Vielfalt in Rhythmus und Stil. Voraussetzung ist allerdings, dass<br />

wir diesen auferstandenen Christus im Herzen jeder Ausdrucksform gemeinsamen christlichen Lebens identitifzieren können“, Mission<br />

bringt Gemeinde in Form, Deutsche Ausgabe, S. 25f.<br />

56 vgl. insoweit die Nivellierung der Unterscheidung <strong>von</strong> Parochie und Gemeinde im 19. Jahrhundert zugunsten einer<br />

eigenständigen, einheitlichen und juristisch fassbaren <strong>Kirche</strong>ngemeinde als Teil einer <strong>Kirche</strong>.<br />

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17<br />

3. Förderung des Auftrages und Unterstützung der Vielfalt<br />

Die missionarischen und stabilisierenden Kräfte einer <strong>Kirche</strong> zu unterstützen, ist mehr als ihre<br />

Existenz vorauszusetzen und zu dulden. Die Unterstützung sollte die Form eines Projektes haben,<br />

also gezielt und befristet arbeiten und mit einen Abschlussbericht enden. Dadurch sind<br />

Erprobungsspielräume eröffnet und der Neigung der „bürokratischen Kultur“ nach kurzer Zeit<br />

regelorientiert statt aufgabenorientiert zu arbeiten, wird entgegengewirkt.<br />

Es gibt in unserer <strong>Kirche</strong> an unterschiedlichen Orten verschiedene Formen <strong>von</strong><br />

Gemeindeentwicklungen im weiteren Sinne, die in ihrer Sozialgestalt nicht deckungsgleich mit den<br />

örtlichen <strong>Kirche</strong>ngemeinden sind. Ihre Unterstützung kann <strong>von</strong> der Wahrnehmung, über ihre<br />

Anerkennung, bis hin zu einer fördernden Begleitung durch Pfarrerinnen und Pfarrer der<br />

Landeskirche gestaltet werden.<br />

Der praktische Vorschlag ist, dass bereits entstandene Projektgemeinden durch landeskirchliche<br />

personelle Unterstützung (freigestellte Pfarrerinnen und Pfarrer nach § 77 PfDG) begleitet werden.<br />

Der finanzielle Beitrag der Landeskirche muss sich nicht in der Aufbringung der Personalkosten<br />

erschöpfen. Es sollen also nicht „Gründungsväter und –mütter“ ausgesandt werden, sondern die<br />

geistliche Begleitung (Sammlung und Sendung) <strong>von</strong> bestehenden Projektgemeinden ermöglicht<br />

werden. Andernorts werden solche Pfarraufträge „pioneer pastors“ genannt. Für die<br />

Projektgemeinden soll Mitwirkung und Teilhabe am kreiskirchlichen – und anschließend<br />

landeskirchlichen – Leben ermöglicht werden. Dies kann beispielsweise durch Berufung in die<br />

Kreissynode geschehen. Diese Förderung und Begleitung sollte zeitlich befristet geschehen. Sie kann<br />

auch durch eine Vereinbarung zwischen der Projektgemeinde und dem <strong>Kirche</strong>nkreis ergänzende<br />

Formen und stabilisierte Beteiligungen vorsehen.<br />

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4. Zusammenfassung<br />

18<br />

Konkrete Bedarfsmeldungen nach sog. „neuen <strong>Gemeindeformen</strong>“ bedürfen jeweils einer sorgfältigen<br />

Analyse. Die erforderlichen „notae“ einer <strong>Kirche</strong>ngemeinde lassen sich aus Art. 8 KO.EKvW lesen.<br />

Eine KO-Änderung erscheint nicht vordringlich notwendig zu sein, um in der Sache voranzukommen.<br />

Sinnvoll und empfehlenswert ist es aber, das Thema zur Auftragsfokussierung (Beweglichkeit in den<br />

Formen) und Förderung <strong>von</strong> Vielfalt (milieuorientierter Ansatz) auf der Tagesordnung zu halten.<br />

Es gilt, neue <strong>Gemeindeformen</strong> als „institutionelle Formtypen“ zu unterscheiden <strong>von</strong> „praktischen<br />

Erscheinungen vor Ort“. Nicht jede temporäre und lokale Bewegung oder Sammlung ist oder wird<br />

eine „Gemeinde im Vollsinn“. Eine solche Gemeinde erfüllt im Gefüge einer <strong>Kirche</strong> zwei Funktionen.<br />

Sie ordnet die Sammlung <strong>von</strong> Christenmenschen unter Wort und Sakrament sowohl in theologischer<br />

Hinsicht (Qualitätssicherung) als auch in organisatorischer Hinsicht im Gesamtgefüge der <strong>Kirche</strong><br />

(Entscheidungsfindung). Der Clou des Verfassungsgrundsatzes „Presbyterial-synodale Ordnung“, die<br />

auftragsgemäße Arbeit mit einer auftragskonformen Struktur in Einklang zu bringen, wird durch<br />

diese „Gemeinde im Vollsinne“ verwirklicht.<br />

Gez. Berichtsgruppe „neue <strong>Gemeindeformen</strong>“<br />

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