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Evang. Universitätskirche<br />

St. Markus<br />

Sommersemester 02<br />

GEHEIMNISVOLLE WÜSTE<br />

Lebens-Quell<br />

Prof. Dr. Dr. Hermann Timm<br />

Sonntag, 7. Juli 2002<br />

POSAUNENVORSPIEL Johann Christian Bach: Allegro<br />

Sinfonie für Bläser, F-Dur<br />

BEGRÜSSUNG<br />

„Kann Gott wohl einen Tisch bereiten in der Wüste, daß Quellen rauschen<br />

und Bäche sich ergießen?“ (Psalm <strong>78</strong>,20) Ja, Er vermag es wohl: „der die<br />

Dürre tränkt und Wasser ruft in die Einöde, daß die Hungrigen einziehen, sich<br />

eine Stätte zu bereiten, da sie bleiben können, Äcker zu pflanzen und Früchte<br />

zu ernten“ (Psalm 107, 35).<br />

Mit diesen Worten des Psalmisten begrüße ich Sie zu unserem heutigen<br />

Gottesdienst. Es ist der letzte in der Reihe der Universitätsgottesdienste des<br />

Sommersemesters. Sie stehen unter dem gemeinsamen Titel: „Geheimnisvolle<br />

Wüste“. Wunder der Wüste, Fülle ihrer Geheimnisse, im Licht der Bibel<br />

gesehen, denn „die Menschen der Bibel lebten angesichts der Wüste, lebten<br />

im Angesicht der Wüste“.<br />

Biblische Wüstenbilder also, drei an der Zahl: der Fels-Sturz, die Durst-<br />

Strecke und der Lebens-Quell. Die Wüste ist das Außerhalb, die extreme<br />

Landschaft jenseits aller Wohnlichkeit, der Ort letzter Fragen und<br />

Entscheidungen im Unbehausten, ausgesetzt auf den Bergen des Hochmuts,<br />

mit steilem Abfall über der Welt zu Füßen. Wie am Anfang des Evangeliums,<br />

wo Christus vom Geist in der Wüste entrückt wird, um vom Teufel versucht<br />

zu werden. „In die Wüste gehen heißt Abstand nehmen“. „Wüstenzeiten sind<br />

Zeiten des Innehaltens“.<br />

Was die Höhe des Felsens in der Bergwüste, das ist die Weite des Weges in<br />

der Sandwüste, ist die Durst-Strecke durch das Auf und Ab der Dünenwellen,<br />

endlos eine nach der anderen, wie die Wogen auf dem Ozean. Das ist aber<br />

auch die Ausdauer des Durchhaltens und der verborgenen Führung hindurch<br />

durch die Erfahrung des Kontrastes zum gewohnten Daheim, wie von Mose<br />

bezeugt, am Ende der vierzigjährigen Wanderung durch den Sinai. „Vergiß<br />

nicht, daß der Herr dich geleitet durch die große und furchtbare Wüste, wo<br />

lauter Dürre und kein Wasser war“. „Was bist du, daß du nicht empfangen<br />

hättest“. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“.


Und heute nun, die dritte der biblischen Wüstenvisionen: nicht von der Höhe<br />

des Fels-Sturzes herab und nicht durch die Weite der Durst-Strecke, sondern<br />

aus der Tiefe in ihrer eigenen Mitte aufbrechend: der Lebens-Quell, wenn das<br />

Land, in dem kein Grün wächst, kein Vogel singt und keine Stimme ruft, unter<br />

dem Plätschern des Wassers sich verwandelt in die Labsal der Oase, die<br />

wundersame Umkehr der Dürre in das Gegenteil ihrer selbst: den Überfluß in<br />

Fülle, daß eine Heimstatt der Wonne und ein Inbild der Erlösung daraus wird,<br />

wie von Jesaja besungen, dem Propheten der neuen Welt: "Siehe da, euer<br />

Gott ... Freuen soll sich die Wüste, frohlocken und erblühen wie die Lilien,<br />

daß das schmachtende Land zur Lebensau wird“. „Hier ist gut sein, hier laßt<br />

uns Hütten bauen“.<br />

Hier ist gut sein, hierher laßt uns wiederkommen. Sie finden in dem<br />

Handzettel für den heutigen Gottesdienst nicht nur das Programm des<br />

Sommersemesters, sondern auch die Ankündigung der Predigtreihe für das<br />

nächste Wintersemester, wenn die jetzt noch halb offene Flanke der<br />

Markuskirche zugebaut sein wird vom neuen Museum, der Pinakothek der<br />

Moderne. Passionen stehen dann auf dem Programm, Leiden und<br />

Leidenschaften der Seele: Die „Vielfalt des Lebens. Faszination Tierpark“. Der<br />

„Logenplatz im Welttheater. Begeisterung für die Oper“. Das „Zu Ende<br />

bringen. Kunst des Abschieds“. Die „Welt im Kleinformat. Andacht vor der<br />

Krippe“. „Auf Samtpfoten. Leben mit Katzen“. Und „Auf Wolken gebettet. Lust<br />

am Fliegen“.<br />

Die farbigen Blätter sind zum Mitnehmen gedacht, um sich zeitig die Termine<br />

vorzumerken und zum Weiterreichen daheim, denn es ist noch Raum in der<br />

Herberge.<br />

GEMEINDE EG 324, 1-7.13-15 Ich singe dir<br />

GEBET<br />

LESUNG aus dem „Kleinen Prinzen“<br />

Aus dem Märchen vom „Kleinen Prinzen“, der aus dem Weltall auf die Erde<br />

kommt, von einem Fuchs die Liebe zu den Dingen lernt und in der Wüste auf<br />

einen Piloten trifft, der dort mit seinem Flugzeug abgestürzt ist.<br />

„Adieu“ sagte der Fuchs. „Mein Geheimnis ist ganz einfach: Man sieht nur<br />

mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar ... „Deine<br />

Erinnerungen sind ganz hübsch, sagte der Pilot, aber ich habe mein Flugzeug<br />

nicht repariert, habe nichts mehr zu trinken und wäre glücklich, wenn ich<br />

ganz gemächlich zu einem Brunnen gehen könnte! ... Es handelt sich nicht<br />

mehr um den Fuchs! ... Weil man vor Durst sterben wird...“<br />

Er verstand meinen Einwand nicht:<br />

„Es ist gut, einen Freund zu haben, selbst wenn man sterben muß. Ich bin<br />

froh, daß ich einen Fuchs zum Freund hatte...<br />

Ich habe auch Durst... suchen wir einen Brunnen...“<br />

Ich machte eine Gebärde der Hoffnungslosigkeit: es ist sinnlos, auf gut Glück<br />

in der Endlosigkeit der Wüste einen Brunnen zu suchen. Als wir stundenlang<br />

schweigend dahingezogen waren, brach die Nacht herein und die Sterne<br />

begannen zu leuchten. Ich sah sie wie im Traum, ich hatte Fieber vor Durst.<br />

Die Worte des kleinen Prinzen tanzten durch mein Bewußtsein:<br />

„Du hast also auch Durst?“ fragte ich ihn.<br />

Er antwortete nicht auf meine Frage. Er sagte einfach:<br />

„Wasser kann auch gut sein für das Herz...“<br />

Ich verstand seine Worte nicht, aber ich schwieg. Er war müde. Er setzte sich.<br />

Ich setzte mich neben ihn. Und, nach einem Schweigen sagte er:<br />

„Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht...<br />

Die Wüste ist schön“!<br />

Und das war wahr. Ich habe die Wüste immer geliebt. Man setzt sich auf eine<br />

Sanddüne. Man sieht nichts. Man hört nichts. Und währenddessen strahlt<br />

etwas in der Stille.<br />

„Es macht die Wüste schön“, sagte der kleine Prinz, „daß sie irgendwo einen<br />

Brunnen birgt.“<br />

Ich war überrascht, dieses geheimnisvolle Leuchten des Sandes plötzlich zu<br />

verstehen. Als ich ein kleiner Knabe war, wohnte ich in einem alten Haus, und<br />

die Sage erzählte, daß darin ein Schatz versteckt sei. Gewiß, es hat ihn nie<br />

jemand zu entdecken vermocht, vielleicht hat ihn auch nie jemand gesucht.<br />

Aber er verzauberte dieses ganze Haus. Mein Haus barg ein Geheimnis auf<br />

dem Grunde seines Herzens...Ob es sich um das Haus, um die Sterne oder um<br />

die Wüste handelt, was ihre Schönheit ausmacht, ist unsichtbar!“


„Ich bin froh“, sagte der kleine Prinz, „daß du mit meinem Fuchs<br />

übereinstimmst.“<br />

Da der kleine Prinz einschlief, nahm ich ihn in meine Arme und machte mich<br />

wieder auf den Weg. Ich war bewegt. Mir war, als trüge ich ein<br />

zerbrechliches Kleinod. Es schien mir sogar, als gäbe es nichts<br />

Zerbrechlicheres auf der Erde. Ich betrachtete im Mondlicht diese blasse<br />

Stirn, diese geschlossenen Augen, diese im Winde zitternde Haarsträhne, und<br />

ich sagte mir: Was ich da sehe, ist nur eine Hülle. Das Eigentliche ist<br />

unsichtbar... Und während ich so weiterging, entdeckte ich bei Tagesanbruch<br />

den Brunnen.“<br />

POSAUNENCHOR Felix Mendelssohn-Bartholdy:<br />

Lieder ohne Worte, Allegro Vivace<br />

LESUNG aus dem Propheten Jesaja<br />

„Eine Stimme ruft: In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg, macht eine<br />

ebene Bahn in der Steppe unserem Gott! Jedes Tal soll sich haben und jeder<br />

Hügel sich senken“ (Jes. 40,3).<br />

„Die Elenden suchen Wasser und es gibt keins,<br />

ihre Zunge verschmachtet vor Durst.<br />

Aber Ich, Jahwe, erhöre sie,<br />

Ich, Israels Gott, verlasse sie nicht.<br />

Ich öffne auf den Höhen Ströhme<br />

und Brunnen inmitten der Gründe;<br />

die Wüste mache ich zum quellenden Teich,<br />

und das dürre Land zu sprudelndem Wasser.<br />

In die Einöde setze ich Zedern,<br />

Akazien, Myrten und Ölbaum,<br />

bringe Wacholder,<br />

Platanen und Buchsbaum dazu“ (Jes. 41,17-19).<br />

„Freuen soll sich die Wüste,<br />

Frohlocken die Steppe und erblühen,<br />

Erblühen und jubilieren wie die Lilien!<br />

Denn die Schönheit des Libanon wird ihr gegeben<br />

und die Pracht des Karmel.<br />

Sie soll die Herrlichkeit Jahwes schauen,<br />

Soll die Pracht unseres Gottes sehen!<br />

Stärket die schlaffen Hände,<br />

Festigt die schwankenden Knie!<br />

Saget zu denen, die verzagten Herzens sind:<br />

Fürchtet euch nicht! Da ist unser Gott!<br />

Er kommt euch zu retten!<br />

Die Augen der Blinden werden aufgetan,<br />

Und die Ohren der Tauben geöffnet.<br />

Der Lahme wird springen wie der Hirsch,<br />

und die Zunge des Stummen jauchzen.<br />

Denn in der Wüste brechen die Wasser hervor,<br />

und die Bäche in der Steppe.<br />

Der Glutsand wird zum Binsenteich,<br />

Und das schmachtende Land zur Lebensau“ (Jes 35).<br />

„Auf ihr Dürstenden alle, kommt zum lebendigen Wasser“ (Jes 55,1).<br />

„Der Herr wird dich immerdar leiten<br />

und deine Seele sättigen in der Glut.<br />

Du wirst sein ein wohlgewässerter Garten<br />

Und wie ein Quell, der nie versiegt“ (Jes 58,11).<br />

GEMEINDE EG 504 Himmel, Erde, Luft und Meer<br />

PREDIGT<br />

Die Wüste – liebe Gemeinde – die Wüste wächst. Die Himmelswüste meine<br />

ich, jenseits des Firmaments. Sie wächst nach allen Seiten, dehnt sich aus, je<br />

weiter die Satelliten mit ihren Kameraaugen vordringen und uns<br />

hinausschauen lassen ins All, ins rundum expandierende Universum der<br />

Sterne, der Sonnensysteme und Galaxien im endlosen Raum: pechschwarz,<br />

eiskalt, wolkenlos und totenstill: die Himmelswüste. Mit ihr verglichen mutet<br />

der Globus wie eine Oase an, die Erde, der blaue Planet, der Heimatplanet der


Menschen im Glanz seiner Atmosphäre wie eine große Teich- und<br />

Gartenlandschaft, mit Wasserquellen in Fülle und Ströme im Überfluß. Die<br />

Erde – die Lebensau inmitten des Alls. Rückblickend nicht viel anders<br />

anzuschauen, als von Mose gesehen, auf dem ersten Blatt der Bibel, am<br />

Anfang der Tage, bei der Schöpfung des Paradieses: als alles wüst und leer<br />

war und aus der Finsternis über der Tiefe Gott Himmel und Erde schuf. „Als es<br />

noch keinen Baum auf dem Felde gab und keinen Strauch, weil noch kein<br />

Regen auf die Erde fiel, da pflanzte Er einen Garten gen Osten, gab eine<br />

Quelle hinein, ihn zu wässern, teilte sie in vier Ströme und ließ aufwachsen<br />

vielerlei Grün, lieblich anzuschauen und gut von seinen Früchten zu essen“.<br />

„Nebel stieg auf und feuchtete den Grund“. Kann Gott wohl einen Tisch<br />

bereiten in der Himmelswüste, daß Quellen rauschen und Bäche sich<br />

ergießen? Ja, das vermag er wohl!<br />

Die Himmelswüste durchfliegt auch der kleine Prinz im Weltraummärchen<br />

von Antoine de Saint-Exupéry, bis er auf dem Asteroiden Nr. 330 schließlich<br />

den Geographen trifft und ihn um eine Reiseempfehlung bittet: „Was raten<br />

Sie mir, wohin soll ich gehen?“ „Auf den Planeten Erde. Der hat einen guten<br />

Ruf!“ Vom Fuchs lernt er, vom Wüstenfuchs lernt er – wie gehört – das<br />

Geheimnis der Dinge: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche<br />

ist für die Augen unsichtbar!“ und erwacht damit an der Seite des Piloten, der<br />

vergeblich sein Flugzeug zu reparieren sucht, sein in die Sahara abgestürztes<br />

Himmelswrack. Bis beide sich schließlich unter dem tiefhängenden, vom<br />

Sternenmeer übersäten Nachthimmel auf den Weg machen, um Wasser zu<br />

suchen. Sie begeben sich auf jene Durst-Strecke, von der wir schon im<br />

vorigen Gottesdienst gehört haben und jetzt noch ein Stück weiterhören: „Ich<br />

ahnte nicht, daß ich so an die Brunnen gebunden war, daß meine Freiheit an<br />

einem so dünnen Faden hängt. Da hängt man an der Erde durch ihre<br />

Wasseradern, wie die Frucht an der Mutter durch die Nabelschnur“. „Wasser,<br />

süßes Wasser! Wie viele Tagesmärsche braucht man hier, um den nächsten<br />

Brunnen zu erreichen ... In der Wüste ist das Wasser sein Gewicht in Gold<br />

wert. Der kleinste Tropfen lockt aus dem Sande den grünen Funken eines<br />

Grashalms. Wenn es irgendwo geregnet hat, belebt eine wahre<br />

Völkerwanderung die Sahara ... Hier zeigte sich Gott sichtbar. Er hatte die<br />

Schleusen seiner Macht geöffnet. Ehrfurchtsvoll, regungslos standen sie vor<br />

dem Wunder ... Gib mir ein wenig Wasser! Ja, aber geh fein säuberlich damit<br />

um“ (Wind, Sand und Sterne, S. 192. 118f).<br />

Einen ähnlichen Unfall, ähnlich dem hier beschriebenen, bräuchte es schon,<br />

einen vergleichbar planwidrigen Absturz aus der Höhe, um wirklich zu<br />

erfahren, was Wüste ist, um sie vor Ort zu erleben, in ihrer eigenen Macht<br />

und Übergröße. Nicht nur von oben, in sicherem Überflug durch die<br />

Plastikfenster auf sie herabgeschaut, nicht nur bei der Durchquerung im<br />

gekühlten Automobil auf der Teerstraße und nicht nur auf halbstündigen<br />

Spaziergängen einen Schritt weit in sie hineingegangen, mit der<br />

Wascherflasche im Rucksack und medizinischer Betreuung im Geleit. Wir<br />

kennen sie allermeist nur vom Hörensagen oder aus touristisch dosierter<br />

Annäherung auf Ferienreisen, mit garantierter Rückkehrversicherung im<br />

Gepäck. Die Wüste ist uns fremd, lebensfremd. Zumal uns Europäern, uns<br />

Mitteleuropäern unter dem wohltemperierten Himmelsstrich nördlich der<br />

Alpen; auf einem Erdboden lebend, der nirgends nackt und bloß zu Tage tritt,<br />

wie Fels- und Steinwüste es tun; der überall von Humus bedeckt ist und mit<br />

einer geschlossenen Vegetationsdecke, daß man den Grund schon überbauen<br />

muß oder zubetonieren, soll er nicht von selbst zu wachsen und zu blühen<br />

anfangen. Hier, im Grün der Wälder und Auen, über dem wogenden Teppich<br />

der Wiesen und Kornfelder, eingehüllt von satter Schwere, wird nur an<br />

wenigen Hochsommertagen unter wolkenlosem Himmel eine Hitze erreicht,<br />

die von ferne an die Wüstenverhältnisse im Süden erinnert – sehr von Ferne.<br />

Gleichwohl – liebe Gemeinde - gleichwohl kommt sie näher, uns näher, von<br />

ferne näher. Denn die Wüste wächst. Nicht nur die Himmelswüste jenseits<br />

des Firmaments, es wächst auch die Erdenwüste jenseits unserer Grenzen, im<br />

Süden des Mittelmeeres. Die Trockenzonen unter den Wendekreisen des<br />

Globus, die südlichen Dürregebiete, in denen kein Niederschlag fällt, breiten<br />

sich aus, werden größer und größer. Weil das Klima sich ändert, vermehrte<br />

Sonneneinstrahlung den Wasserhaushalt der Atmosphäre aufzehrt. Und weil<br />

Ackerbau und Viehzucht dazukommen, weil die Überweidung durch die<br />

Herden die Vegetationsdecke zerstört, daß der Boden erodiert und seine<br />

Feuchtigkeit unter der Sonne verdunstet, ohne etwas zu fruchten.<br />

Versteppung und Verwüstung der Erde wachsen am Nordrand der Sahara und<br />

der arabischen Halbinsel vor bis an die Küsten des Mittelmeeres. Und das seit<br />

Jahrtausenden kontinuierlich zunehmend. Erste Vorboten schicken sie schon<br />

herüber nach Europa, auf den Balkan, nach Sizilien und auf die iberische<br />

Halbinsel, wo Dürrezonen entstehen, die der Steppe ähnlich sind und von<br />

Geographen zu den Wüstenrandgebieten gezählt werden.


„Die Menschen der Bibel lebten im Angesicht der Wüste“, lebten angesichts<br />

dieser expandierenden Erdenwüste südlich und östlich des Mittelmeeres. In<br />

ihren Steinfeldern haben sie den imaginierten Fels-Sturz der Versuchung<br />

verortet, in ihren gestreckten, weit gestreckten Sandebenen das Hungern und<br />

Dürsten gelernt.<br />

An ihr haben sie aber auch den Umschlag erlebt, die wundersame Wandlung,<br />

die Verwandlung ins Gegenteil ihrer selbst, in den Lebensquell. Denn keine<br />

andere Landschaft vermag wie die Wüste dem Menschen das Gefühl zu<br />

geben, ein flüchtiger Gast auf Erden zu sein, ein Fremdling, unbehaust und<br />

ohne bleibende Statt, nur für die Durchreise erträglich. Keine andere<br />

Landschaft läßt ihn aber auch eine vergleichbare Umkehr erleben, wenn sich<br />

plötzlich und unverhofft in ihrer Mitte Wasser auftut. Sei es, daß irgendwo<br />

am blauen Himmel Wolken aufziehen und Regen vom Himmel fällt, oder daß<br />

Brunnen aufbrechen aus der Tiefe unter den Füßen, um in kurzer Zeit, nach<br />

wenigen Tagen, die Dürre in einen Garten zu verwandeln, gleich dem<br />

Paradies. Wie aus nichts, nichts anderem als dem verborgenen Gegenteil ihrer<br />

selbst geschaffen: Leben aus dem Tod. Daß es wiederum heißen kann: Die<br />

Wüste wächst, aber jetzt in der anderen Bedeutung des Wortes gesagt und<br />

mit gegenteiliger Tönung gehört. Nicht als die angstmachende Feststellung<br />

ihres Ausdehnens: Die Wüste wächst, sie breitet sich aus und kommt uns<br />

näher, sondern als Freudenruf des Verwunderns zu hören: Die Wüste wächst!<br />

Sie lebt! Das tote, verbrannte und ausgemergelte Land fängt unter dem<br />

Segen des Wassers zu wachsen, zu sprießen, zu grünen und zu blühen an.<br />

Der Prophet Jesaja hat diese wundersame Wandlung der Landschaft, die so<br />

nur der Wüste eigen ist, ins Bild ihrer Gesichtswerdung gefaßt. Die reglos und<br />

eintönig niedergestreckte Dürre bekommt unter dem Glanz ihrer<br />

aufbrechenden Quellwasser ein Gesicht. Sie macht Mund und Augen auf,<br />

fängt zu tönen, zu strahlen und zu weinen an vor Freude, daß ihr Tränen<br />

fließen, in denen der Himmel sich spiegelt. „Freuen soll sich die Wüste,<br />

frohlocken die Steppe und erblühen, jubilieren wie die Lilien“. Und diese<br />

Wandlung sah er zusammen mit dem Gesundwerden des Kranken, der reglos<br />

am Boden liegt, versehrt und verschlossen, wie tot und plötzlich aufersteht,<br />

alle Sinne öffnet und lebensfroh zu springen beginnt, so daß beides<br />

zusammen, die Natur- und die Menschenheilung, für ihn zum Inbild der<br />

Heilswelt werden konnte, wie in unserem Predigttext vom Lesepult zu hören<br />

war: „Die Augen der Blinden werden aufgetan, die Ohren der Tauben<br />

geöffnet. Der Lahme wird springen wie der Hirsch und die Zunge des<br />

Stummen jauchzen. Denn in der Wüste brechen die Wasser hervor, und die<br />

Bäche in der Steppe. Der Glutsand wird zum Binsenteich, und das<br />

schmachtende Land zur Lebensau ... Auf ihr Dürstende alle, kommt her zum<br />

lebendigen Wasser.“<br />

Christus – liebe Gemeinde - Christus hat diese Heilslandschaft des Propheten<br />

vor Augen gerufen, als er in der judäischen Wüste emporstieg aus den<br />

Wassern des Jordans und von dem ihn taufenden Johannes gefragt wurde:<br />

„Bist du es, der da kommen soll?“ Ja: „Blinde werden sehend, Lahme gehen,<br />

Taube hören, Tote werden auferweckt und den Armen wird die frohe<br />

Botschaft verkündet“. „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen<br />

seid, ich will euch erquicken“ (Matthäus 11,3. 5. 28).<br />

So ist das wüstenwandelnde Quellenmotiv mitgezogen aus der alten in die<br />

neue Welt, in die Welt des Evangeliums: „Du wirst sein ein wohlgewässerter<br />

Garten, wie der Quell, der nie versiegt“. Und von dort, aus Juda und Galiläa,<br />

ist es weitergezogen über das Meer und die Berge bis zu uns, ins<br />

evangelische Gesangbuch nördlich der Alpen, aus dessen Quellen wir in<br />

dieser Stunde schöpfen. „Ich weiß, daß du der Brunn der Gnad und ewge<br />

Quelle bist, daraus uns allen früh und spat viel Heil und Gnade fließt“.<br />

„Bewahre uns, Gott, behüte uns Gott, sei mit uns auf unseren Wegen. Sei<br />

Quelle und Brot in Wüstennot, sei um uns mit deinem Segen“. Lasse sie<br />

wachsen, die Wüste, nicht daß sie mehr wird, größer und größer, sondern daß<br />

es in ihr zu wachsen, zu quellen und zu blühen beginnt: der Du „die Dürre<br />

tränkst und Wasser rufst in die Einöde, daß die Hungrigen einziehen sich eine<br />

Stätte zu bereiten, da sie bleiben können, Äcker zu pflanzen und Früchte zu<br />

ernten“.<br />

GEMEINDE EG 503, 1-5.14-15 Geh aus mein Herz<br />

FÜRBITTEN UND KYRIE EG 1<strong>78</strong>.2<br />

Herrgott, himmlischer Vater, wir bitten dich, gib allen Menschen die Zeit, in<br />

unserer hektischen Welt innezuhalten, einmal die Augen zu schließen und zur<br />

Ruhe zu kommen.


Hilf uns, nicht nur die sichtbaren Dinge wahrzunehmen, sondern gib uns den<br />

Mut, mit unseren Herzen zu suchen. Gehe diesen Weg mit uns!<br />

Mit deiner Kraft können wir das Wesentliche erkennen und zur Quelle des<br />

Lebens finden.<br />

Herr, erbarme dich<br />

Herrgott, himmlischer Vater, wir bitten dich für alle Miteinanderwohnenden<br />

unserer Stadt und alle Miteinanderstudierenden unsererer Universität. Dass<br />

wir lernen, an der Freude und am Leid anderer teilzunehmen und trotz der<br />

eigenen Aufgaben, die uns beschäftigen, die Herzen füreinander zu öffnen.<br />

Herr, erbarme dich<br />

Herrgott, himmlischer Vater, wir bitten Dich für das Allernächste: die Kirche,<br />

die Markuskirche, in der wir zu Gast sind. Gib allen, die darin wirken, Mut,<br />

Freude und Gedeihlichkeit ihres Tuns, daß sie zu einer Quelle des Segens<br />

werden. Und gib uns selbst, wenn wir in den kommenden Ferien hinausreisen<br />

ins Ferne, gutes Geleit. Halte deine schützende Hand über uns alle, daß wir<br />

gesund an Leib und Seele wiederkehren.<br />

Herr, erbarme Dich!<br />

VATERUNSER<br />

SEGEN<br />

ORGELNACHSPIEL Eugene Gigout<br />

Gestaltung des Gottesdienstes:<br />

Prof. Dr. Dr. Hermann Timm (Predigt)<br />

Dr. Christian Bendrath (Liturgie)<br />

Christiane Zech (1. Lesung)<br />

Katharina Keitel (2. Lesung)<br />

Der Posaunenchor St. Markus unter der Leitung von Gisela Albert<br />

KMD Holger Boenstedt (Orgel)

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