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Evang. Universitätskirche<br />

St. Markus<br />

Sommersemester 01<br />

NATUR-RELIGION<br />

Gipfel-Sturm<br />

Prof. Dr. Wolfgang Steck<br />

Sonntag, 24. Juni 2001<br />

ORGELVORSPIEL<br />

CHOR Felix Mendelssohn-Bartholdy,<br />

Ich hebe meine Augen auf<br />

BEGRÜSSUNG UND GEBET (Ps 104)<br />

‚Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von denen mir Hilfe kommt. Meine<br />

Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.‘ Mit diesem<br />

Psalmwort, das uns der Bach-Chor in einer einfühlsamen Vertonung<br />

gesungen hat, begrüße ich Sie alle zu unserem Gottesdienst.<br />

Gipfelsturm - so heißt das Thema unseres heutigen<br />

Universitätsgottesdienstes. Aber man muß gar nicht zu den passionierten<br />

Gipfelstürmern gehören, um die Faszination der Bergwelt zu erleben. Man<br />

braucht dazu keinen Rucksack und keine Steigeisen, kein Kletterseil und<br />

keinen Eispickel, nicht einmal die Wanderschuhe. Man braucht nur ein Paar<br />

wache, nach oben gerichtete Augen. Denn die Bergwelt ist eine Welt der<br />

Sinne, das Reich der Visionen.<br />

Wenn der Föhn das Alpenpanorama ans Firmament zaubert, direkt hinter die<br />

Türme des Liebfrauendoms, dann gehen einem die Augen über. Wir fangen zu<br />

staunen an und versenken uns in stiller Andacht in das Schauspiel der Natur.<br />

Wie eine Sinnestäuschung, so kommt einem die mächtige Kulisse vom<br />

Karwendel bis zur Zugspitze vor. Und doch weiß jeder, der schon einmal im<br />

Frühtau hinausgezogen ist: Es gibt sie wirklich, die andere, die ferne und<br />

zugleich so nahe Welt.<br />

Manche haben sich das Bergpanorama ins Haus geholt, pastos in Öl gemalt,<br />

mit dicken Pinselstrichen aufgetragen. Der Blick geht in die Tiefe des Bildes<br />

und verliert sich in den Formen und Farben. Das Bergmassiv ist nach der<br />

Natur gemalt, der Hochwald und der Wasserfall, die Hütte, die Bank, der<br />

Brunnen, alles wie im wirklichen Leben. Und es ist doch wie das Abbild einer<br />

anderen, der ewigen Welt. Sie läßt uns alles um uns herum vergessen und<br />

zieht uns ganz in ihren Bann.


Wenn wir uns zu einer Bergwanderung aufmachen, dann geht es uns nicht<br />

anders. Am Morgen, wenn sich die Nebelschleier lichten und die Felsmassive<br />

aus dem weißen Dunst auftauchen, dann ist es, als würde die Welt noch<br />

einmal neu geschaffen, Stück um Stück. Und was für eine Welt! Ein<br />

Augenschmaus! Sinneslust in Hülle und Fülle! Man kann gar nicht alles mit<br />

einem Blick erfassen. Die Augen gehen hin und her und können sich nicht<br />

satt sehen.<br />

Im Vordergrund das satte Grün der Almen, dahinter das fein schattierte Grau<br />

der Felswände, darüber die Gipfel mit ihren Glitzerhauben aus Schnee und<br />

Eis, und alles überwölbt von unserem bayrischen, weiß-blauen Himmel. Das<br />

ist eine Welt wie aus dem Bilderbuch, von Gott modelliert, damit seine<br />

Geschöpfe ihre helle Freude daran haben, die Gemsen und die Adler, die<br />

Geißen und die Kühe und - natürlich - auch wir, jeder von uns. Gott hat an<br />

uns gedacht, als er eines schönen Tages die Bergwelt erschuf. Oder hat er sie<br />

gleich viermal geschaffen: im Frühling, im Sommer, im Herbst und im<br />

Winter? Später am Tag, wenn die Sonne im Zenit steht und die Gipfel in der<br />

gleißenden Mittagshitze zu flimmern anfangen, dann kommt es einem so vor,<br />

als hätte sich der Schöpfer noch einmal an die Staffelei gestellt, als würde er<br />

dem toten Gestein Leben einhauchen, bis die Berge unter seinen kräftigen<br />

Strichen erzittern, vor unseren Augen. Und manchmal mag es einem so<br />

vorkommen, als sei er selbst dort oben, im ewigen Eis, dort, wo sonst keiner<br />

hinkommt.<br />

Am Ende des Tages dann der Abend in den Bergen, wenn sich die Sonne<br />

gemächlich hinter die Felswand zurückzieht, noch einmal kurz Atem holt und<br />

uns verschmitzt zublinzelt. Dann werden die Felsen farbig, die steinernen<br />

Fassaden fangen zu brennen an. Jetzt wissen wir endgültig, daß das nicht<br />

unsere Welt ist, sondern Gottes Wohnung; und wir waren bei ihm zu Gast. Im<br />

Alpenglühen ziehen wir uns aus Gottes Welt zurück. Aber im Herzen nehmen<br />

wir die Berge mit, und mit ihnen die geheimnisvolle, die göttliche Welt, in der<br />

sich unglaubliche Wunder abspielen, in der einem die Augen übergehen, in<br />

der sich das Herz weitet und der Geist frisch wird.<br />

Wir feiern unseren Gottesdienst im Namen Gottes des Vaters, der die<br />

wunderbare Bergwelt geschaffen hat; im Namen des Sohnes, der auf den<br />

Bergen Palästinas Stille suchte; und im Namen des göttlichen Geistes, der<br />

über den Höhen und Tiefen des Lebens schwebt.<br />

Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich; du bist schön und prächtig<br />

geschmückt. Licht ist dein Kleid, das du anhast. Du breitest den Himmel aus<br />

wie einen Teppich. Du fährst auf den Wolken wie auf einem Wagen und<br />

kommst daher auf den Fittichen des Windes. Du lässest Wasser in den Tälern<br />

quellen, daß sie zwischen den Bergen dahinfließen, daß alle Tiere des Feldes<br />

trinken und das Wild seinen Durst lösche. Darüber sitzen die Vögel des<br />

Himmels und singen unter den Zweigen. Gott, wie sind deine Werke so groß<br />

und viel! Du hast sie alle weise geordnet; und die Erde ist voll deiner Güter.<br />

Amen.<br />

GEMEINDE EG 506, 1-4 Wenn ich, o Schöpfer, deine Macht<br />

ANSPRACHE<br />

‚Mein Auge schaut, wohin es blickt, die Wunder deiner Werke‘. Die Bergwelt<br />

ist eine beschauliche Welt. Man muß die Augen mitnehmen, wenn man in die<br />

Berge geht, den kurzsichtigen Blick für die kleinen Wunder am Wegesrand,<br />

für den Schmetterling und den Käfer, für den Enzian und das Edelweiß. Das<br />

haben wir als Kinder oft gesagt bekommen. Wer in Gedanken versunken<br />

dahingeht, der bleibt blind für den Zauber der Schöpfung. Und wer hastig<br />

einen Gipfel nach dem anderen erstürmt und dabei den Weg nicht genießt,<br />

der erlebt keine Wunder, keine blauen und keine weißen. Aber man braucht<br />

in den Bergen auch den Weitblick. Denn mit jedem Schritt nach oben wird<br />

der Horizont weiter und die Welt größer. Wenn man ganz oben angekommen<br />

ist, dann kann man erahnen, wie es dem Schöpfer ergangen sein mag, als er<br />

die ineinandergefügten Bergketten fertig vor sich liegen sah und mit den<br />

Augen vermessen hat: eine schwindelerregende Perspektive.<br />

Wer in die Berge geht, der muß auch die Ohren aufstellen. Denn in den<br />

Bergen bleibt die Natur nicht stumm. Da fangen die Tiere und die Pflanzen zu<br />

sprechen an: ‚Mich‘ ruft der Wurm, ‚mich‘ ruft der Baum in seiner Pracht,<br />

‚mich‘ ruft die Saat, ‚hat Gott gemacht‘. Und selbst der Fels wartet darauf,<br />

daß er angesprochen wird; dann gibt er den Jodler im Echo zurück und ist<br />

stolz darauf, daß kein Ton daneben ging. Wer taub ist für die Stimmen der<br />

Natur, der bleibt selbst stumm. Er hört den Chor der Geschöpfe nicht; und


deshalb kann er nicht in das Lob der Schöpfung einstimmen. Er wird auch nie<br />

erahnen, was das heißen mag: ‚der Berg ruft‘.<br />

Aber die Welt der Berge ist nicht nur eine Welt der Bilder und der Stimmen,<br />

eine beschaubare und belauschbare Welt. Sie ist auch eine Welt der Füße,<br />

eine begehbare Welt. Man muß sie abschreiten, Schritt für Schritt, einen Fuß<br />

vor den anderen, über den anderen, neben den anderen. In beiden<br />

Dimensionen des Raums, in der Horizontalen und in der Vertikalen; und in<br />

beiden Richtungen der Wegstrecke, hin und her, von unten nach oben und<br />

von oben nach unten.<br />

In der ersten Hälfte des Tages der stundenlange Aufstieg zuerst auf einem<br />

weichen Saumpfad über die Almen; das tut den Füßen gut. Dann mit<br />

staubigen Stiefeln über die Schuttreiße bis zu den Felswänden; das verlangt<br />

Kondition. Und endlich über den ausgesetzten Grat auf den Gipfel, ans Kreuz;<br />

das macht den Menschen rundum glücklich. Immer wieder ein anderer<br />

Bewegungsablauf, ein anderes Körpergefühl, eine andere geistige und<br />

seelische Verfassung. In der zweiten Tageshälfte den der kräftezehrende<br />

Abstieg, wo einem die Schwerkraft in die Glieder zieht und die Muskeln zu<br />

vibrieren anfangen. Auf dem Hinweg folgen wir den Spuren der anderen,<br />

immer im gleichen Rhythmus. Und auf dem Rückweg begegnen wir uns selbst<br />

wieder, den Eindrücken, die wir im Reich der Berge hinterlassen haben.<br />

Die Bergwelt ist die Welt der gestiefelten Füße. Und für die, die sich höher<br />

hinauf wagen, ist sie auch eine Welt der Oberschenkel und der Unterarme,<br />

der Schultern und der Hände. Wer von einer Bergtour zurückkehrt, weiß, was<br />

er geleistet hat; er spürt es in seinem Körper, bis in die letzten Fasern seiner<br />

Muskeln. Man kommt nicht von allein auf den Berg; und man kommt auch<br />

nicht von selbst wieder herunter. Der Berg will bezwungen werden, gleich<br />

zweimal: zuerst wenn er uns beim Aufstieg zusieht und dabei mit kritischem<br />

Blick mustert, und dann wenn er uns beim Abstieg nachblickt und sich seinen<br />

Teil denkt. Manchmal kommt man dann selbst ins Grübeln und fragt sich:<br />

warum tust du dir das eigentlich an?<br />

Ganz einfach: Es ist das Gespür für den eigenen Körper, das das Berggehen<br />

und das Bergsteigen zur Passion werden läßt, zu einer Leidenschaft, die den<br />

ganzen Körper durchzieht, von den Füßen über die Beine und den Rücken bis<br />

in den Kopf: Die Rhythmik der Bewegungen, die Balance der Gliedmaßen, der<br />

Akkord der Muskeln. Ist das nicht ein Wunder, wie alles in mir<br />

zusammenspielt, das Herz, der Atem, die Sehnen und Gelenke? Und nicht nur<br />

der Körper, auch der Geist und die Seele spielen mit, alles im Einklang<br />

miteinander. Wie ein Konzert, vollendete Harmonie. ‚Mich‘ ruf ich dann den<br />

Blumen zu, den Bergen und den Wolken, ‚auch mich hat euer Schöpfer zu<br />

dem gemacht, der ich bin‘. Wer wissen will, wer er ist, wer sich selbst<br />

entdecken will, der muß in die Berge gehen. Denn in den Bergen kommt jeder<br />

zu sich selbst.<br />

LESUNG Heiner Geißler, Bergsteigen als Passion (1997)<br />

Jes 40, 28-31; Ps 19, 1, 5-7; Ps 90, 1-2<br />

„Macht mir das Gipfelstürmen eigentlich Spaß? Was für eine Frage? Es ist ein<br />

sehr schönes Gefühl, auf dem Gipfel zu stehen, ein Gefühl des Glücks und der<br />

Freude, aber auch der Leistungsbestätigung. Und die Freude ist um so größer,<br />

je schwieriger der Aufstieg war. Bergsteigen ist eine immer wieder<br />

faszinierende körperliche und seelische, geistige und charakterliche<br />

Herausforderung. Es fordert Können und Umsicht, Solidarität und Moral.<br />

Etwas ist mir in den Bergen klar geworden: Glück stellt sich nicht ein, wenn<br />

alles leicht und bequem ist. Das Gefühl des Glücks ist die Antwort auf eine<br />

bestandene Herausforderung und das Ergebnis von Selbstüberwindung.“<br />

Jesaja 40: Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen<br />

hat, wird nicht müde noch matt. Er gibt dem Müden Kraft und Stärke,<br />

daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt<br />

werden, daß sie wandeln und nicht müde werden.<br />

„Bergsteigen ist ein Abenteuer. Es gehört wahrscheinlich zu den letzten<br />

großen Abenteuern, die heute auf der Erde noch möglich sind. Es ist Sport in<br />

einer wilden und schönen Landschaft, in unmittelbarer Berührung mit der<br />

Erde und ihren Pflanzen, mit Fels und Eis in ständiger Abhängigkeit und<br />

Beobachtung von Sonne und Mond, den Sternen, dem Wetter, den Wolken<br />

am Himmel. Es sollte ein Abenteuer sein, das das Leben schöner macht.“<br />

Psalm 19: Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigt<br />

seiner Hände Werk. Er hat der Sonne ein Zelt am Himmel gemacht; sie<br />

geht heraus wie ein Bräutigam aus seiner Kammer und freut sich wie ein<br />

Held, zu laufen ihre Bahn. Sie geht auf an einem Ende des Himmels und


läuft um bis wieder an sein Ende; und nichts bleibt vor ihrer Glut<br />

verborgen.<br />

„Die Berge sind für mich eine Zuflucht. Früher habe ich manchmal gedacht,<br />

daß man ganz weggehen können müßte, gerade in schwierigen Zeiten. Später<br />

wurde mir klar, daß ich, wenn ich nur noch in den Bergen wäre und<br />

Bergsteigen könnte, nicht unglücklich werden würde. Das Bergsteigen ist für<br />

mich eine Lebenserfüllung. Und ich weiß, solange ich das noch kann, kann<br />

mir vieles den Buckel rauf- und runterrutschen. Das Bergsteigen hat mich<br />

innerlich unabhängig gemacht. Ich kann in den Bergen fast alles vergessen,<br />

was mich stört. Man wird zwar vom Alltag wieder eingeholt, wenn man<br />

herunterkommt, aber man kann ja auch wieder hinaufsteigen. Und ich würde<br />

es dort oben sehr lange aushalten. Wenn ich dauernd in die Berge ‚müßte‘,<br />

würde mich das nicht schrecken.“<br />

Psalm 90: Herr, du bist unsere Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge<br />

waren und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von<br />

Ewigkeit zu Ewigkeit.<br />

CHOR James Furman, Go, tell it on the mountains<br />

LESUNG Heinrich Clauren, Rast auf der Alm (1819)<br />

„Endlich war die Sennerhütte erreicht. Sie hatte eine himmlische Lage. Die<br />

Jungfrau lag in ihrer ganzen Pracht dicht vor mir, hinter und neben ihr ragten<br />

das Mittagshorn, das Tschingelhorn und andere Riesengletscher hinauf; aber<br />

die Jungfrau hob über all diesen himmelhohen Felsen ihr silbergeschmücktes<br />

Haupt in die azurblauen Regionen ihres Gottes empor! Das sind die ewigen<br />

Grundpfeiler der Erde, diese zu den Wolken starrenden ungeheuren<br />

Granitfelsen.<br />

Ich lag auf blumigem Rasen, und darüber die eisigen Gletscher. Rund um<br />

mich herum war alles so still, als habe hier der ewige Friede seine Altäre<br />

gebaut. Tief unter mir das freundliche Lauterbrunnen und das schauerlichfurchtbare<br />

Ammertental und in der Ferne das Tosen der Sturzbäche, die seit<br />

Jahrtausenden sich in die Täler ergießen und nimmer versiegen; und weiter<br />

hinab das einsame Klingeln der zerstreuten Herden, zuweilen auch das<br />

Meckern einer jungen Geiß oder das Schwirren eines lustigen Käfers, der sich<br />

bis hierher verirrte, um das Getümmel der Welt einmal von oben herab zu<br />

beschauen. Es war einer der seligsten Augenblicke meines Lebens. Eine<br />

namenlose Behaglichkeit ergoß sich über mein ganzes Inneres, ich hätte laut<br />

mich freuen mögen, wenn nicht eine gewisse Wehmut mein Gefühl gefesselt<br />

hätte. Ich kann es nicht beschreiben, aber es kam mir vor, als wär´ ich so<br />

fromm noch nie gewesen.“<br />

GEMEINDE<br />

Wem Gott will rechte Gunst erweisen<br />

den schickt er in die weite Welt,<br />

dem will er seine Wunder weisen<br />

in Berg und Wald und Strom und Feld.<br />

Die Bächlein von den Bergen springen,<br />

die Lerchen schwirren hoch vor Lust.<br />

Was sollt´ ich nicht mit ihnen singen<br />

aus voller Kehl´ und frischer Brust?<br />

Den lieben Gott laß ich nur walten.<br />

Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld<br />

und Erd´ und Himmel will erhalten<br />

hat auch mein´ Sach´ aufs Best´ bestellt.<br />

Joseph von Eichendorff (1822)<br />

PREDIGT<br />

Die Bergwelt ist eine vieldeutige Wirklichkeit, eine Welt mit doppeltem<br />

Boden: heimatlich und zugleich unwirtlich, wohl geordnet und zugleich<br />

unberechenbar, von beglückender Sinnlichkeit und voller irritierender<br />

Sinnestäuschungen. Sie zieht einen an und weist einen ab; sie verzaubert und<br />

sie zermürbt einen. Sie ist eine Region, in der viele das Lebensglück finden


und manche ihr Leben lassen. Die Bergwelt ist eine andere Welt, eine<br />

Kontrastwelt zur alltäglichen. Sie ist zugleich eine Welt im Zwielicht, auf der<br />

Grenze zwischen dem Vertrauten und dem Fremden, zwischen Diesseits und<br />

Jenseits. Und sie ist eine heilige Welt, dem Himmel näher als der Erde.<br />

1. Für viele von uns sind die Berge zu einer zweiten Heimat geworden. Sie<br />

haben sich in der Bergwelt eingerichtet wie in ihren eigenen vier Wänden.<br />

Auf vertrauten Wegen gehen sie auf ihre Hausberge. Sie rasten an ihren<br />

liebgewonnenen Plätzen und genießen die Aussicht, die sich längst in die<br />

Erinnerung eingegraben hat. Sie haben ihre Lieblingshütten; da kennt der<br />

Wirt seine Stammgäste und serviert ihnen die Brotzeit, noch bevor einer den<br />

Rucksack in die Ecke gestellt hat. Man singt die vertrauten Berglieder,<br />

tauscht Erfahrungen aus und begießt die unverbrüchlichen Freundschaften<br />

unter Bergkameraden. Wenn einer zum erstenmal in ihre Runde kommt, dann<br />

freuen sich die erfahrenen Wanderer auf den Zuwachs in der Bergfamilie und<br />

stellen ihm die umliegenden Gipfel und den Hüttenwirt vor.<br />

Die Bergwelt ist eine Welt der Beständigkeit und der Zuverlässigkeit. Da wird<br />

nicht laufend umgebaut, ummöbliert und umgeräumt; da hat alles seinen<br />

festen Platz und seine gewohnte Ordnung. Als wollten sie sich davon<br />

überzeugen, daß hier alles beim Alten bleibt, daß die Berge immer noch an<br />

derselben Stelle stehen und die Wanderer noch immer so denken und<br />

sprechen wie früher, so zieht es die Bergbegeisterten morgens hinaus. Und<br />

wenn sie am Abend glücklich und zufrieden nach Hause kommen, dann sind<br />

ihnen ihre Berge noch enger ans Herz gewachsen. Die Bergwelt ist eine<br />

Heimat par excellence. Sie vermittelt uns das Gefühl der Geborgenheit und<br />

der Sicherheit. Gott hat die Berge für uns geschaffen. Und was Gott<br />

zusammengefügt hat, das kann kein Mensch voneinander trennen.<br />

2. Wer sich mit den Bergen auskennt, der weiß freilich auch, daß er hier nur<br />

eine eng umgrenzte Heimat findet. Ringsum stehen die schroffen Gipfel,<br />

dicht gedrängt, wie ein unüberwindlicher Zaun. Man kennt sie mit Namen<br />

und spricht von ihnen, als seien es alte Bekannte. Aber wir waren noch nie<br />

wirklich dort. Und wir wissen, daß wir dort auch nie hinkommen können. Die<br />

in den Himmel ragenden Felsen gehören nicht zu unserer irdischen<br />

Bergheimat. Sie stehen jenseits unserer Bergerfahrung. Wir wissen nicht, wie<br />

die Welt von dort oben aussieht, manchmal nicht einmal, was sich hinter den<br />

Bergen ‚verbirgt‘; wir können es nur erahnen. Und was wir wirklich von den<br />

zackigen Gipfeln wissen, das verheißt nichts Gutes.<br />

Manchmal greifen die Berge das heimatliche Revier an. Mit sorgenvollem<br />

Blick sehen wir zu, wie sich hoch oben an den Gipfel etwas zusammenbraut,<br />

in Windeseile. Der blau-weiße Himmel verdüstert sich, die Sonne<br />

verschwindet. Es wird dunkel in der Bergheimat und kalt; bald wird es<br />

schneien. Dann müssen wir aufbrechen, so schnell es geht, und aus den<br />

eigenen vier Wänden fliehen. Die Berge nehmen uns, was sie uns gegeben<br />

haben: Geborgenheit, Zuverlässigkeit, Sicherheit. Sie werden von Vertrauten<br />

zu Fremden, von Freunden zu Feinden.<br />

Manchmal überkommt einen auch die Abenteuerlust. Dann machen wir uns<br />

auf in unbekanntes Gelände und versuchen, die begrenzte Heimat Schritt für<br />

Schritt auszudehnen, die Grenzsteine zwischen Diesseits und Jenseits zu<br />

verrücken und die unbegangenen Berge in unser Tourenbuch aufzunehmen.<br />

Dann zeigt sich die Bergwelt von einer ganz anderen Seite: als eine Welt der<br />

Unberechenbarkeiten, der Überraschungen und Bedrohungen. Aus der<br />

verläßlichen Heimat wird eine fremde und unbegreifliche Welt, eine<br />

Wirklichkeit, in der andere Gesetze gelten.<br />

Die Geometrie ist in den Bergen anders als im flachen Land. Die Distanzen<br />

lassen sich nicht richtig einschätzen. Das eine Mal sind wir plötzlich am Ziel,<br />

obwohl das eigentlich gar nicht sein kann; dann werden Köpfe geschüttelt<br />

und Karten studiert. Das andere Mal dehnt sich der Weg immer weiter, so als<br />

würde einer vor uns hergehen und hinter jeden Hügel einen neuen bauen.<br />

Man fängt dann an mit den Kräften zu sparen. Schließlich müssen wir<br />

umkehren, bevor wir das Ziel erreicht haben. Wir wissen, daß wir nicht<br />

ankommen, heute sicher nicht und vielleicht niemals. Manchmal verschieben<br />

sich auch die Raummaße. Wenn wir den Anmarsch hinter uns haben und mit<br />

dem Aufstieg beginnen wollen, dann steht eine kleiner Berg plötzlich wie<br />

eine hohe Wand vor einem. Der Weg ist uns verstellt. Es gibt kein<br />

Weiterkommen, nur noch die Umkehr.<br />

Auch die Gravitationsgesetze funktionieren in den Bergen anders als im<br />

Flachland. Denn die Bergwelt ist die aufgestellte, die vertikale Welt. Auf der<br />

Ebene gibt einem die Schwerkraft Bodenhaftung. Den Rucksack geschultert<br />

schreiten wir mit sicheren Schritten vorwärts. Am Fels ist das anders; da<br />

zieht einen die Schwerkraft in die Tiefe; jeder Höhenmeter will erkämpft sein.<br />

Die Naturgesetze müssen mit Seil und Haken überlistet werden und mit einer


anderen Gangart, senkrecht auf allen Vieren. Da wird der Körper immer<br />

länger.<br />

Auch auf unsere fünf Sinne können wir uns in den Bergen nicht verlassen.<br />

Die Bergwelt hat ihre eigene Akustik. Laute und leise Töne vermischen sich<br />

miteinander, dunkle und helle Klänge überlagern sich. Das Summen der<br />

Insekten, das Plätschern des Baches, das Rauschen eines Wasserfalls, die<br />

knirschenden Schuhe im Sand, das helle Klappern von Steinplatten, wenn wir<br />

darübergehen, und das langezogene Rieseln, wenn das Geröll ins Rutschen<br />

kommt - alles fließt ineinander. Weiter oben dann die bleierne Stille des<br />

Himmels, als hätte einer den Ton der Außenwelt abgedreht, damit wir die<br />

Laute im Innern des Körpers besser hören können: das Klopfen des Herzens<br />

und das Summen im Ohr. Dazwischen das verwischte Zischen in der<br />

himmlischen Weite, wenn die Vögel im Wind segeln; eine berauschende und<br />

betörende Klangkulisse.<br />

Und natürlich die Verschiebung der optischen Perspektiven. Morgens geht der<br />

Blick im Schatten der Berge nach oben bis an die beleuchtete Grenze<br />

zwischen Himmel und Erde. Mittags dann der ersehnte Gipfelblick: die<br />

unendliche Weite, wo das Auge keinen Halt findet; ringsum das Panorama<br />

der Gletscher und unten im Tal die irdische Welt als Miniatur. Die Häuser, die<br />

Felder, die Wegnetze und die Bachläufe, alles im Kleinformat und alles so<br />

wohl geordnet, wie am 7. Schöpfungstag: ein kleines Paradies. Man möchte<br />

nicht glauben, daß das unsere Welt ist, bis dann beim Abstieg alles wieder<br />

die gewohnten Proportionen annimmt. Und mit jedem Schritt verliert sich der<br />

Zauber der anderen Optik.<br />

Aber wer aus den Bergen zurückkommt, der weiß etwas von der anderen, der<br />

zweiten Wirklichkeit. Die Welt geht nicht in dem auf, was wir tagtäglich von<br />

ihr wahrnehmen. Es gibt eine Welt jenseits des tristen Alltagslebens. Wir<br />

haben die himmlische Welt gesehen. Und wir wünschen uns, etwas von der<br />

oberen Wirklichkeit in die untere mitzunehmen: die Freiheit über den Wolken,<br />

die Gelassenheit, wenn die Alltagswelt in Vergessenheit gerät, eben: das<br />

Glück der Berge. Und wenn uns dann der Berg wieder ruft, dann bekommen<br />

wir Herzklopfen. Wir folgen seinem Appell und lassen uns in die andere Welt<br />

entführen.<br />

3. Die Berge sind eine andere Welt, eine Welt, in der es nicht mit rechten<br />

Dingen zugeht. Das haben schon unsere Vorfahren geahnt, längst bevor sich<br />

einer getraute, als erster einen Fuß über die Grenze zu setzen und in die<br />

fremde Welt einzudringen. Die Höhenlinien grenzten die aufeinander<br />

aufgeschichteten Wirklichkeitsregionen voneinander ab. Unten in den Tälern<br />

legten die Bauern ihre Felder an, die Obstgärten und die Weinberge, irdische<br />

Abbilder des Paradieses. In der unteren Wirklichkeit brachten die Frauen ihre<br />

Kinder zur Welt; und wenn ein Leben zu Ende gegangen war, dann gaben sie<br />

es der Erde zurück. Sie schütteten einen kleinen Erdhügel auf und setzten ein<br />

Kreuz darauf; der Bergfriedhof ist noch heute ein Abbild der Berge, auf denen<br />

die Gipfelkreuze stehen. Weiter oben, in den steilen Bergschluchten hausten<br />

fremdartige Wesen, Drachen und Dämonen, von denen man nur aus<br />

grausamen Märchen wußte; und es war besser, nicht mehr von ihnen zu<br />

erfahren. Ganz droben, auf den Alpengipfeln, wohnten die Götter, die die<br />

Seelen der Toten zu sich holten, in eine Welt, die einem zu Lebzeiten<br />

verschlossen blieb, fern und unzugänglich.<br />

Über die Jahrhunderte hinweg blieben die Berge geheimnisumwittert. Der<br />

Kyffhäuser, wo Kaiser Friedrich von Hohenstaufen nach seinem Tod in das<br />

Innere des Berges entrückt wurde; die Venusberge, in denen der Teufel im<br />

Kreise der verdammten Seelen hauste; der Fuji, wo auf der Baumgrenze die<br />

Trennungslinie zwischen Erde und Himmel verläuft; der Ararat, der als<br />

‚Mutter der Welt‘ gilt und wo Noah mit der Rettungsarche gelandet sein soll;<br />

der Olymp und der Athos und natürlich die feuerspeienden Berge: der Ätna,<br />

die Schmiedewerkstatt der Zyklopen, oder der Stromboli, wo einst der Gott<br />

der Winde zuhause war. Wer schon einmal beim Anflug auf Teneriffa den<br />

Gipfel des Teide gesehen hat, den Vulkankrater, der auf der<br />

undurchdringlichen Monsunwolke aufsitzt, der weiß für immer, wo die Götter<br />

wohnten, bevor die Bergtouristen zu ihnen hinaufkletterten und sie vollends<br />

in den Himmel vertrieben.<br />

Inzwischen haben sich die letzten Geister und Dämonen und nach ihnen auch<br />

die Göttinnen und Götter aus den Bergen zurückgezogen und ihre Welt den<br />

Menschen überlassen. Die Erdenbürger bestiegen die Berge und besiedelten<br />

die Almen. Der Alpenverein legte ein feingliedriges Wegenetz mit genauen<br />

Beschilderungen an. Für die Bequemeren unter den Bergwanderern wurden<br />

Lifte gebaut, für die richtigen Bergsteiger Haken in den Fels geschlagen. Jetzt<br />

tummeln sich auf den Bergen Massen von Sportbegeisterten: Wanderer und<br />

Kletterer, Snowboarder und Paraglider.


Die Berglandschaft wurde entmythisiert und profanisiert; sie wurde zu einem<br />

Bestandteil der gewöhnlichen, der irdischen Welt. Aber so ganz ließen sich<br />

die Berge nicht in das eindimensionale Weltbild der aufgeklärten<br />

Zeitgenossen einplanieren. Die Bergwelt behielt ihren Charme, ja sie bekam<br />

ihr Geheimnis gerade von denen zurück, die es ihr Zug um Zug geraubt<br />

hatten. Denn bei den schnellebigen Stadtmenschen lösten die uralten<br />

Gebirgsformationen heftige Emotionen aus. Die Gipfel und die Schluchten,<br />

der Fels und das Eis wurden zu Kulissen romantischer Idyllen stilisiert,<br />

tausendfach in Öl gemalt und in gefühlsschwere Gedichte gefaßt.<br />

Die Berge wurden mit himmlischem Glanz versehen und mit<br />

sagenumwobenen Figuren bevölkert. Anstelle der Dämonen zogen die Jäger<br />

und die Wilderer in die Berge ein, allen voran der Jennerwein vom Tegernsee;<br />

und auf der sündlosen Alm ging die von einer erotischen Anziehungskraft<br />

umgebene Sennerin ihrer naturverbundenen Arbeit nach. Bergromane und<br />

Bergfilme führen uns die Dramatik der Bergwelt vor Augen. Vor den hohen<br />

Kulissen der schwedischen Berge, im Björntal, singen ewig die Wälder. Und<br />

weit droben, auf der schweitzerischen Alm, beim Peter und beim Almöhi<br />

findet Heidi die Freiheit, die sie in der Frankfurter Stadtluft vergeblich suchte.<br />

In den Bergen wohnt die Freiheit - so lautet bis heute das vielstimmige Credo<br />

der Bergreligion. Für die einen ist es die frische Luft der Bergwälder, in denen<br />

sie den Hauch der Schöpfung atmen; für die anderen sind es die bedrohlichen<br />

Grenzsituationen, in denen sie sich selbst austesten und ihre Spielräume<br />

erweitern. Und allen liegt die Erhaltung der Natur am Herzen, die Bewahrung<br />

der Welt, in der sie Glück suchen und Gott finden. Sie alle versammeln sich<br />

zu Bergwallfahrten und Berggottesdiensten. Denn sie spüren, daß die<br />

Religion der Berge seit altersher im christlichen Glauben verwurzelt ist.<br />

4. Wer im Alten und im Neuen Testament blättert, der wird ständig durch<br />

eine symbolgetränkte Bergwelt geführt. Der Berg ist Sinnbild der Wohnung<br />

Gottes; er ist zugleich die heilige Stätte, wo sich Gott dem Menschen<br />

offenbart. Wer einmal den Sonnenaufgang auf dem Sinai erlebte, der braucht<br />

keinen Hollywood-Film mehr anzusehen, um zu begreifen, warum Mose die<br />

steinernen Tafeln auf einem Berggipfel entgegennahm. Und wenn er nicht<br />

von Touristenscharen aus aller Welt umgeben wäre, dann würde er die Arme<br />

ausbreiten, um nachzuerleben, wie das damals war, als Mose die Schlacht<br />

gegen die Amalekiter aus der Bergperspektive beobachtete, mit weit<br />

ausgebreiteten Armen, mit einer liturgischen Segensgeste und zugleich in der<br />

Körperhaltung, in der Jesus Jahrhunderte später auf einem kleinen Berg vor<br />

den Toren Jerusalems starb. Und dann: die letzte Aussicht des Mose auf das<br />

gelobte Land, in dem Milch und Honig fließt, bis er dann drunten im Talgrund<br />

zu Grabe getragen wird.<br />

Die Landschaft, die sich Mose von Gott erklären ließ, ist die Berglandschaft<br />

Palästinas mit ihren beiden großen Gebirgsketten diesseits und jenseits des<br />

Jordan. Es ist die Landschaft, wo Jesus auf einem Berg vom Teufel auf die<br />

Probe gestellt wurde: ‚schau dich um; alles, was du siehst, soll dir gehören,<br />

wenn du auf die Knie fällst, und mich anbetest‘. Und es ist die Region, in der<br />

Jesus, der Wanderprediger, seine Bergpredigt hielt. Auf einem Berggipfel<br />

wurde Jesus verklärt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider<br />

wurden weiß wie das Licht. Und von einem Berg stieg er in den Himmel auf;<br />

eine Wolke nahm ihn mit sich in die unendliche Weite; den Jüngern blieb nur<br />

der Abstieg ins Tal und die Hoffnung, daß Gott sie einst zu sich holen würde<br />

in das Reich der Himmel. Und zwischen den vielen biblischen<br />

Berggeschichten die Erzählung von dem Berg, der uns Christen ins Herz<br />

geschrieben ist, der Berg mit den drei Holzkreuzen, der Galgenberg vor den<br />

Toren Jerusalems.<br />

Einmal im Jahr machten sich die israelitischen Familien auf den Weg, hinauf<br />

nach Jerusalem. Wenn man ihre Wallfahrtslieder nachsummt, die Psalmen,<br />

die die Pilger sangen, dann hören wir von einem Berg, den es nur in der<br />

Vorstellung gibt, nicht wirklich. Heute findet man den Berg Zion in den<br />

Stadtplänen Jerusalems verzeichnet, südwestlich der Stadtmauer. Aber für<br />

das wandernde Gottesvolk war der Zion mehr als eine geographische<br />

Erhebung. Zion, das war der Name für eine Stadt, die sich die Menschen nur<br />

in ihren kühnsten Träumen ausmalen können, und zugleich der Berg, der die<br />

Gipfel Kanaans und die Berge aller Länder überragt, der einzige Berg, den<br />

Gott für sich selbst geschaffen hat, nur für sich.<br />

Aber das sollte nicht für immer so bleiben. Das Ende der Zeit dachten sich die<br />

Israeliten als eine große Wallfahrt, bei der die Völker der Erde von allen<br />

Seiten zum Bergsitz Gottes kommen und ihm huldigen werden. Und wenn<br />

sich die Herzen der Frommen vom irdischen Jammertal lösten und ihre<br />

Gedanken in die Ferne schweiften, weit über Berg und Tale, weit über Flur<br />

und Feld, dann spürten sie einen Hauch der Welt, in der Gott am Ende der<br />

Zeit auf uns wartet. Dann wird für uns alle gelten, was der Psalmsänger einst<br />

an der Spitze der Wallfahrt gesungen hat: ‚Ich hebe meine Augen auf zu den


Bergen, von denen mir Hilfe kommt. Meine Hilfe kommt von dem Gott, der<br />

Himmel und Erde gemacht hat. Er wird meinen Fuß nicht gleiten lassen, und<br />

der dich behütet, schläft nicht. Der Herr behüte dich vor allem Übel; er<br />

behüte deine Seele. Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an<br />

bis in Ewigkeit‘.<br />

GEMEINDE EG 150, 1-3 Jerusalem, du hochgebaute Stadt<br />

FÜRBITTEN EG 178.9 Kyrie eleison<br />

Die Aussicht des Gipfels führt uns die überwältigende Schönheit der<br />

Schöpfung vor Augen. Vater, laß uns offen bleiben für diese Momente des<br />

vollkommenen Glücks. Denn nur allzu schnell bauen wir in unserem Alltag<br />

eine Mauer um uns und erkennen nicht mehr die Schönheit unserer<br />

Umgebung, die Herzlichkeit unserer Mitmenschen, das Gnadengeschenk<br />

unseres Daseins, in der deine Liebe zum Ausdruck kommt.<br />

Vater wir rufen zu dir<br />

Kein Gipfelglück ohne mühevollen Aufstieg,<br />

kein erkennender Weitblick, ohne den nötigen Abstand zum Alltäglichen und<br />

Althergebrachten errungen zu haben.<br />

Wir bitten dich, Vater,<br />

schenke uns den Mut, festgefahrene Denkweisen und Lebensmuster hinter<br />

uns zu lassen, wecke in uns die Neugier und die Sehnsucht nach neuen,<br />

unbekannten Wegen.<br />

Wir rufen zu dir<br />

Gipfelsturm ist Ausnahme-Erlebnis. Kein Mensch der Welt ist auf dem Gipfel<br />

daheim; unser Zuhause ist das Tal, mit seinen Menschen; seinen Dörfern;<br />

seiner Lebhaftigkeit; seinem Alltag.<br />

Vater wir bitten dich: Laß uns in diesem Tal nicht nur die „Talsohle“, den<br />

„Tiefpunkt“ des Lebens sehen; laß uns auch die Gemeinschaft erkennen, die<br />

wir dort finden dürfen, die Normalität des Lebens, ohne die uns so oft die<br />

Kraft ausgehen würde.<br />

Wir haben im Tal nicht das erhabene Erlebnis des Gipfels; aber richtig<br />

verstanden kann das Tal, umringt von den umliegenden Bergen, für uns zum<br />

Schutzraum werden, an dem wir Kraft für neue „Gipfel-Stürme“ schöpfen<br />

können.<br />

Wir rufen zu dir<br />

VATERUNSER<br />

GEMEINDE EG 171, 1,2,4 Bewahre uns Gott<br />

SEGEN<br />

ORGELNACHSPIEL<br />

Gestaltung des Gottesdienstes:<br />

Prof. Dr. Wolfgang Steck<br />

Dr. theol. Ursula Roth, Friederike Hesse, Stephan Seidelmann<br />

Mitglieder des MÜNCHENER BACH-CHORS<br />

Leitung: Philipp Amelung<br />

Orgel: KMD Holger Boenstedt

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