Was bringt Disziplin? - Familylab.ch
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Eine Inspiration zu diesem Paradigma kann aus der S<strong>ch</strong>weiz stammen. Dort wird statt „Lehrer“ der<br />
Begriff „Lerncoa<strong>ch</strong>“ verwendet. Das <strong>bringt</strong> eine ganz andere Aufteilung von Verantwortung mit si<strong>ch</strong>:<br />
Die S<strong>ch</strong>üler sind für ihre eigenen Lernprozesse verantwortli<strong>ch</strong> und die Lerncoa<strong>ch</strong>es sind keine<br />
Kontrolleure, sondern eben Betreuer. Man sieht dort, wie viel besser das funktioniert als der<br />
traditionelle Unterri<strong>ch</strong>t.<br />
Diesen Ansatz trifft man au<strong>ch</strong> bei anderen an – zum Beispiel in der sogenannten<br />
Montessoripädagogik, die den offenen Unterri<strong>ch</strong>t anwendet. Montessori-‐ und Waldorfs<strong>ch</strong>ulen haben<br />
aber eine ernsthafte Bes<strong>ch</strong>ränkung, denn sie sind auf einer bestimmten Ideologie aufgebaut. Diese<br />
kann man als Gesells<strong>ch</strong>aft ni<strong>ch</strong>t kopieren und auf alle S<strong>ch</strong>ulen übertragen – wir können ni<strong>ch</strong>t alle der<br />
Anthroposophie von Rudolf Steiner folgen.<br />
Aber au<strong>ch</strong> diese S<strong>ch</strong>ulen haben S<strong>ch</strong>wierigkeiten mit dem Konzept der Eigenverantwortung. Das ist<br />
ein Problem der Gegenwart. Wir leben in einer Zeit, in der wir im Verglei<strong>ch</strong> mit der Weltges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
sehr viele Freiheiten haben. Dafür müssen wir aber au<strong>ch</strong> einen Preis entri<strong>ch</strong>ten – und dieser Preis<br />
heißt Eigenverantwortung. Wir müssen als Erwa<strong>ch</strong>sene jeden Tag persönli<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidungen<br />
treffen – das ist heute Stressfaktor Nummer eins in unserem Leben. Das war früher entweder ni<strong>ch</strong>t<br />
mögli<strong>ch</strong> oder ni<strong>ch</strong>t notwendig. Kinder müssen das von Anfang an, insbesondere in der Pubertät. Sie<br />
haben alle Mögli<strong>ch</strong>keiten und müssen qualifiziert und verantwortli<strong>ch</strong> wählen können. Es hilft ni<strong>ch</strong>t,<br />
wenn jemand ihnen seine Moralvorstellungen überstülpen will – Pornografie ist s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t, das darfst<br />
du ni<strong>ch</strong>t sehen, Online-‐Gambling ist s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t, das darfst du ni<strong>ch</strong>t ma<strong>ch</strong>en. Das funktioniert<br />
heutzutage überhaupt ni<strong>ch</strong>t, denn wir haben keinen moralis<strong>ch</strong>en Konsens mehr in unserer<br />
Gesells<strong>ch</strong>aft. Aber Eigenverantwortung ist der wi<strong>ch</strong>tigste S<strong>ch</strong>lüssel zu einem selbstbestimmten<br />
Leben. Das heißt ni<strong>ch</strong>t, dass Kinder alles immer eigenständig erledigen können. Im Gegenteil: Kinder<br />
können viel mehr selbstständig ma<strong>ch</strong>en, als wir Erwa<strong>ch</strong>senen es für mögli<strong>ch</strong> halten – aber ni<strong>ch</strong>t<br />
allein.<br />
Daher gibt es heute neue Rollen für alle Erwa<strong>ch</strong>senen – für Eltern und für Lehrer glei<strong>ch</strong>ermaßen.<br />
Unsere Kinder brau<strong>ch</strong>en Begleitung und Führung auf ihrem Lebensweg, wofür wir aber kaum<br />
Vorbilder haben. Deswegen habe i<strong>ch</strong> immer wieder gesagt und ges<strong>ch</strong>rieben, dass eine Verbesserung<br />
der S<strong>ch</strong>ulen bei den Lehrern anfangen muss. Sie müssen weitergebildet werden. Dabei ist ni<strong>ch</strong>t der<br />
Fa<strong>ch</strong>unterri<strong>ch</strong>t das große Problem, denn es gibt viele hervorragende Lehrer, die si<strong>ch</strong> für ihre<br />
Thematik begeistern und si<strong>ch</strong> darin sehr gut auskennen. Wo es s<strong>ch</strong>wierig wird, das sind Gesprä<strong>ch</strong>e<br />
mit und Beziehungen zu S<strong>ch</strong>ülern und Eltern, Führungsmethodik von Gruppen und Zusammenarbeit<br />
zwis<strong>ch</strong>en Lehrern. Dafür ist kein Lehrer in ganz Europa ausgebildet. Unsere Politiker wollen das au<strong>ch</strong><br />
offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t – wenn es um eine angestrebte Verbesserung der Lehrerausbildung geht, hängen<br />
sie ein zusätzli<strong>ch</strong>es akademis<strong>ch</strong>es Jahr an das Studium, anstatt Fähigkeiten einzus<strong>ch</strong>ließen, die Lehrer<br />
in ihrem Beruf wirkli<strong>ch</strong> brau<strong>ch</strong>en. Deswegen träumen Lehrer au<strong>ch</strong> von <strong>Disziplin</strong>: Wenn man ni<strong>ch</strong>t mit<br />
S<strong>ch</strong>ülern und Eltern über Probleme in der Klasse reden kann, bewältigt man sie eben mit <strong>Disziplin</strong>.<br />
<strong>Disziplin</strong> dient also als Krücke?<br />
Ja. Es ist ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, dass Kinder in den letzten 15 Jahren ohne die Fähigkeit zur <strong>Disziplin</strong> geboren<br />
wurden. Sie sind genauso zur <strong>Disziplin</strong> fähig wie früher. Beim Besu<strong>ch</strong> eines Sportclubs oder anderer<br />
außers<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>er Aktivitäten sind Kinder zum Beispiel sehr diszipliniert. Warum? Weil sie dort ihren<br />
Coa<strong>ch</strong> oder Betreuer selbst wählen können. Sie müssen au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t weiter hingehen, wenn ihnen die