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Meinung, Macht und Manipulation. Medien unter Anklage

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AAM-Breakfast Meeting<br />

28. August 2008 in Bern<br />

<strong>Meinung</strong>, <strong>Macht</strong> <strong>und</strong> <strong>Manipulation</strong>.<br />

<strong>Medien</strong> <strong>unter</strong> <strong>Anklage</strong><br />

Referat von Prof. Dr. Roger Blum,<br />

Institut für Kommunikations- <strong>und</strong> <strong>Medien</strong>wissenschaft der Universität Bern<br />

„Wer hat eigentlich das Sagen in diesem Land?“, fragte Nachrichtenoffizier Christian Küng<br />

aus Aarwangen in seinem Leserbrief an den „B<strong>und</strong>“ (25.7.2008). „Wie weit haben wir es<br />

gebracht mit unseren rechtsstaatlichen Institutionen? Die <strong>Medien</strong>schlacht um Armeechef<br />

Roland Nef <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esrat Samuel Schmid ist ein klassisches Beispiel für die Entgleisung der<br />

<strong>Medien</strong>.“<br />

Katharina Matter aus Boll wiederum schrieb in ihrem Brief an die NZZ (24.7.2008): „Im<br />

Sommerloch zelebrieren die <strong>Medien</strong> mit der sogenannten Affäre Nef eine Geschichte, die in<br />

ihrem Ablauf widerwärtiger nicht sein könnte. Seit mehr als zwei Wochen werden<br />

Vermutungen in die Welt gesetzt, Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verletzt,<br />

Polizeiprotokolle veröffentlicht, selbsternannte Experten zitiert. Alles ist erlaubt, wenn die<br />

Lynchjustiz loszieht. Die Traumata, die die davon Betroffenen wohl davontragen,<br />

interessieren niemand. Irgendwann einmal, wenn Roland Nef erfolgreich erledigt ist <strong>und</strong><br />

B<strong>und</strong>esrat Schmid, der ja wohl das Ziel der ganzen Übung ist, noch mehr angeschlagen,<br />

werden die Häuser TA-<strong>Medien</strong> <strong>und</strong> Ringier Nef wohl eine Entschädigung zahlen müssen, <strong>und</strong><br />

irgend ein Amtsträger wird der Amtsgeheimnisverletzung schuldig bef<strong>und</strong>en. Davon wird in<br />

wenigen Zeilen zu lesen sein. Der Rechtsstaat bleibt auf der Strecke. Darum: Diejenigen, die<br />

diese Ekelgeschichte im richtigen Moment losgetreten haben, können sich lustig auf die<br />

Schulter klopfen <strong>und</strong> Freibier ausgiessen. Man muss doch nur wissen, wie man die öffentliche<br />

<strong>Meinung</strong> richtig steuert.“<br />

Alexander Dominguez aus Wallisellen urteilte in seinem Brief an den „Tages-Anzeiger“<br />

(29.7.2008): „So weit sind wir in unserem Land gekommen: Zeitungs-Redaktionen mobben<br />

Armee-Chefs, Zeitungs-Kommentatoren wollen B<strong>und</strong>esräte absetzen –die <strong>Medien</strong> wollen in<br />

unserem Land bestimmen. Ich finde, es wird Zeit, dass wir uns überlegen, was die <strong>Medien</strong>


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dürfen <strong>und</strong> was nicht. Sie manipulieren unsere Gesellschaft <strong>und</strong> gefährden unsere Freiheit <strong>und</strong><br />

unsere demokratischen Gr<strong>und</strong>rechte. (…) Es ist schon unglaublich, wie die <strong>Medien</strong> auf Leute<br />

schiessen, die ihnen nicht genehm sind. Das eigentliche Problem in unserem Land sind nicht<br />

Schmid oder Nef, das Problem sind Redaktoren von Zeitungen, welche meinen, vom Volk<br />

autorisierte Götter zu sein.“ Und Ulrich Diener aus Wald bekannte, ebenfalls im „Tages-<br />

Anzeiger“ (29.7.2008): „Tief ist meine <strong>Meinung</strong> von den Schreibtischtätern!“<br />

Die <strong>Medien</strong> stehen ganz offensichtlich <strong>unter</strong> <strong>Anklage</strong>. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie sich<br />

Kompetenzen anmassen, die sie nicht haben, <strong>und</strong> sich aufspielen, als seien sie Detektiv,<br />

Ankläger, Richter <strong>und</strong> Oberaufsichtsbehörde in einem. Sie nehmen sich, ohne dazu ein<br />

Mandat zu haben, das Recht heraus, regelrechte Kampagnen zu führen. Sie tun es vor allem<br />

dann, wenn sie Personen im Visier haben, die ihres Erachtens schwere Fehler gemacht haben.<br />

Von <strong>Medien</strong>kampagnen, die gegen sie geführt wurden, sprachen beispielsweise schon die St.<br />

Galler Regierungsrätin Rita Roos, Fussballtrainer Artur Jorge, Geheimdienstchef Peter Regli,<br />

der Bündner Regierungsrat Peter Aliesch, Botschafter Thomas Borer, B<strong>und</strong>esrätin Ruth<br />

Metzler, der Solothurner Regierungsrat Roberto Zanetti, die Genfer Staatsrätin Micheline<br />

Spoerri oder eben Armeechef Roland Nef. Sie alle sind nicht mehr im Amt. Unter den <strong>Medien</strong><br />

gelitten haben auch die Roche-Verantwortlichen nach Seveso, die Sandoz-Verantwortlichen<br />

nach dem Brand von Schweizerhalle, diverse Swissair-CEOs <strong>und</strong> –Verwaltungsräte nach dem<br />

Gro<strong>und</strong>ing oder der Bankier Thomas Matter. Sie alle sehen sich als <strong>Medien</strong>opfer. Haben die<br />

<strong>Medien</strong> tatsächlich übertrieben <strong>und</strong> sind die Personen, die sie ins Visier nahmen, im Gr<strong>und</strong>e<br />

unschuldig <strong>und</strong> damit <strong>Medien</strong>opfer, dann stehen die <strong>Medien</strong> zu Recht <strong>unter</strong> <strong>Anklage</strong>, denn die<br />

Schäden, die <strong>Medien</strong>opfer davontragen, können nachhaltig sein. Haben aber die<br />

Angeschossenen wirklich Dreck am Stecken, dann ist zu fragen, ob nicht einfach auf die<br />

<strong>Medien</strong> eingeprügelt wird, weil sie die Botschaft überbringen. Darum muss jeder Fall einzeln<br />

für sich betrachtet werden. Ich möchte dies an zwei Fällen zeigen: am Fall Borer <strong>und</strong> am Fall<br />

Nef.<br />

Thomas Borer, damals Schweizer Botschafter in Deutschland, kam 2002 ins Gerede wegen<br />

eines Seitensprungs mit einer Visagistin, die früher mal nackt für eine Illustrierte posiert hatte.<br />

„SonntagsBlick“ <strong>und</strong> „Blick“ trieben das Thema mehr als eine Woche kampagnenartig mit<br />

immer neuen Enthüllungen vor sich her. Die erste Folge war, dass B<strong>und</strong>esrat Joseph Deiss<br />

Borer nach Bern zurückberief, allerdings auch aus anderen Gründen, worauf Borer kündigte.<br />

Die zweite Folge war, dass das Haus Ringier - nach massivem Druck von Borers Anwälten


<strong>und</strong> nach markanten Verlusten an Leserzahlen <strong>und</strong> Inserateinnahmen - einknickte <strong>und</strong><br />

Michael Ringier sich bei Borer öffentlich für die Berichterstattung entschuldigte <strong>und</strong> eine<br />

hohe Entschädigung bezahlte. Wie der Presserat später zu Recht feststellte, gab es keinerlei<br />

Rechtfertigung für die Veröffentlichung der Seitensprung-Geschichte, ob sie nun stimmte<br />

oder nicht. Die Affäre hatte nichts zu tun mit Borers Amtsführung als Botschafter. Sie<br />

beeinträchtigte allenfalls seine Ehe, nicht aber seine Handlungsfähigkeit als Diplomat. Was<br />

3<br />

ein Diplomat nachts im Bett treibt, geht die <strong>Medien</strong> nichts an. Die anderen Schweizer <strong>Medien</strong><br />

distanzierten sich denn auch deutlich von „Blick“ <strong>und</strong> „SonntagsBlick“. Es handelte sich um<br />

einen klaren Verstoss gegen die Regeln der <strong>Medien</strong>ethik.<br />

Ganz anders im Fall Nef: Roland Nef, seit Neujahr 2008 Chef der Armee, war, wie die<br />

„SonntagsZeitung“ im Sommer 2008 berichtete, zum Zeitpunkt seiner Wahl durch den<br />

B<strong>und</strong>esrat in ein Strafverfahren wegen einer privaten Angelegenheit verwickelt. B<strong>und</strong>esrat<br />

Samuel Schmid hatte die Landesregierung darüber nicht orientiert, weil in Aussicht stand,<br />

dass das Verfahren eingestellt würde. Dies war dann auch tatsächlich der Fall. Schmid hatte<br />

sich aber offensichtlich nicht genauer mit dem Anlass des Strafverfahrens befasst. Wie die<br />

<strong>Medien</strong>, vor allem die „SonntagsZeitung“ <strong>und</strong> „Blick“, enthüllten, hatte Nef seine Ex-<br />

Fre<strong>und</strong>in monatelang mit e-Mails <strong>und</strong> SMS bedrängt <strong>und</strong> sogar sexhungrige Männer mit der<br />

Adresse seiner Ex-Fre<strong>und</strong>in eingedeckt, ja selber Sex-Anzeigen aufgegeben, in denen er ihre<br />

Telefonummer <strong>und</strong> Adresse angab. Auch hier ging es um den Privatbereich. Aber es kam<br />

immerhin zu einem Strafverfahren, das nur eingestellt wurde, weil Nef eine hohe<br />

Entschädigung zahlte. Und das private Verhalten war deshalb von öffentlicher Relevanz, weil<br />

es die Frage aufwarf, wie ein Armeechef <strong>unter</strong> Stress reagiert, wenn er pirvat in der Lage ist,<br />

derart auszurasten, dass er monatelang Dinge tut, die jeglichem Anstand spotten. Hier<br />

erfüllten die <strong>Medien</strong> ihre Funktion, Öffentlichkeit herzustellen, weil es die Öffentlichkeit<br />

etwas angeht zu wissen, wes Geistes Kind der Kommandant der Schweizer Armee ist. Es war<br />

medienethisch geboten, zu berichten <strong>und</strong> nicht zu schweigen. Wären die Fakten dem<br />

B<strong>und</strong>esrat bekannt gewesen, er hätte Nef kaum zum Armeechef gewählt. Die <strong>Medien</strong> sorgten<br />

nun durch die Veröffentlichung dieser Fakten hinterher für eine Korrektur: B<strong>und</strong>esrat Samuel<br />

Schmid liess Nef fallen, <strong>und</strong> dieser trat von seinem Posten zurück.<br />

Die beiden Fälle zeigen, dass <strong>Medien</strong> mit<strong>unter</strong> zu Recht <strong>unter</strong> <strong>Anklage</strong> stehen <strong>und</strong> manchmal<br />

zu Unrecht. Ganz gr<strong>und</strong>sätzlich gilt, dass sich die <strong>Medien</strong> nicht einfach alles anmassen, was<br />

sie tun. Die Demokratie ist auf den öffentlichen Diskurs angewiesen, <strong>und</strong> da es nicht möglich


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ist, fortwährend <strong>und</strong> überall Versammlungen abzuhalten, braucht die Demokratie <strong>Medien</strong>. In<br />

den <strong>Medien</strong> werden die politischen Geschäfte erörtert, über die <strong>Medien</strong> halten die<br />

Verantwortlichen in Staat <strong>und</strong> Gesellschaft Zwiesprache mit den Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürgern,<br />

die <strong>Medien</strong> sind ein Garant dafür, dass alles auf den Tisch kommt. Ohne <strong>Medien</strong> gibt es keine<br />

Freiheit <strong>und</strong> keine Demokratie. Wenn in irgendeinem Land ein Putsch stattfindet, wenn eine<br />

Armee, eine extreme Partei oder eine religiöse Gruppierung die <strong>Macht</strong> ergreift, werden als<br />

erstes die <strong>Medien</strong> ans Gängelband genommen, wird die Pressefreiheit ausser Kraft gesetzt.<br />

Dies war bei Lenin der Fall wie bei Hitler, bei Pinochet wie bei Khomeini, bei den<br />

sowjetischen Obristen wie bei den burmesischen Generälen. Das Verbot freier <strong>Medien</strong> ist aber<br />

gleichbedeutend mit Diktatur. Die <strong>Medien</strong> sind daher „Bestandesträger der Demokratie“, wie<br />

der Publizistikwissenschaftler Ulrich Saxer es formuliert hat, Wachh<strong>und</strong>e der Demokratie<br />

oder ein „Bannwald der Demokratie“, wie es früher in der Schweiz hiess. Der amerikanische<br />

Präsident Thomas Jefferson sagte einmal: „Wenn ich die Wahl hätte zwischen einer<br />

Regierung ohne Presse <strong>und</strong> einer Presse ohne Regierung, ich würde ohne zu zögern für das<br />

zweite plädieren“. Auch das Schweizerische B<strong>und</strong>esgericht anerkennt, dass den <strong>Medien</strong> eine<br />

Kritik- <strong>und</strong> Kontrollfunktion zukommt.<br />

Was sind denn eigentlich die Funktionen, die die <strong>Medien</strong> erfüllen sollten? Was erwarten wir<br />

normativ von ihnen? Den <strong>Medien</strong> kommen folgende zehn Funktionen zu:<br />

1. Die Funktion, Öffentlichkeit herzustellen, also die Aufgabe, alles öffentlich zu machen,<br />

was von öffentlicher Relevanz <strong>und</strong> von öffentlichem Interesse ist;<br />

2. die Informationsfunktion, also die Aufgabe, den Menschen die Basisdaten zu vermitteln,<br />

die sie brauchen, um sich in ihrer Rolle als Staatsbürger, als Konsumenten, als Arbeitnehmer<br />

<strong>und</strong> Arbeitgeber, als Mitmenschen zurechtzufinden;<br />

3. die Artikulationsfunktion, also die Aufgabe, Menschen, die sich in den öffentlichen<br />

Diskurs einschalten wollen, eine Plattform zu geben;<br />

4. die Sozialisations- <strong>und</strong> Interpretationsfunktion, also die Aufgabe, gesellschaftliche<br />

Normen, beispielsweise solche der politischen Kultur zu vermitteln, neue Entwicklungen <strong>und</strong><br />

Phänomene zu erläutern, sie in grössere Zusammenhänge zu stellen <strong>und</strong> deren Hintergr<strong>und</strong>


auszuleuchten, um damit den Menschen ihnen zunächst schwer verständliche Vorgänge zu<br />

erklären;<br />

5. die Integrationsfunktion, also die Aufgabe, in Konflikten immer wieder die Gegensätze<br />

5<br />

zu überbrücken <strong>und</strong> miteinander streitende Gruppen zu versöhnen, damit der gesellschaftliche<br />

Konsens je neu erreichbar ist;<br />

6. die <strong>Meinung</strong>sbildungsfunktion, also die Aufgabe, mit Bewertungsvorschlägen Positionen<br />

deutlich zu machen <strong>und</strong> den Menschen die <strong>Meinung</strong>sbildung zu ermöglichen, beispielsweise<br />

in politischen Fragen, die zum Entscheid anstehen;<br />

7. die Kritik- <strong>und</strong> Kontrollfunktion, also die Aufgabe, Wachh<strong>und</strong>e der Demokratie zu sein<br />

<strong>und</strong> die politischen Behörden, aber auch ökonomische, kulturelle <strong>und</strong> gesellschaftliche<br />

Mächte im Namen <strong>und</strong> Interesse des Publikums zu kontrollieren <strong>und</strong> sie bei Fehlleistungen<br />

öffentlich zu kritisieren;<br />

8. die Gratifikationsfunktion, also die Aufgabe, zur Unterhaltung, Entspannung <strong>und</strong><br />

Erholung der Menschen beizutragen;<br />

9. die Bildungsfunktion, also die Aufgabe, Menschen Wissensgr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> neue<br />

Erkenntnisse zu vermitteln, beispielsweise aus dem Bereich der Wissenschaft, <strong>und</strong><br />

10. die Dienstleistungsfunktion, also die Aufgabe, den Menschen bei der Bewältigung des<br />

Alltags zu helfen (beispielsweise mit Wetter-, Stau-, Pollen- oder Schneeberichten, mit<br />

Informationen über Öffnungszeiten, Notärzte oder Notapotheken, mit Fernseh-, Radio- <strong>und</strong><br />

Kinoprogrammen usw.) oder die Menschen in allen möglichen Lebensbereichen zu beraten.<br />

Es wäre schön, wenn die <strong>Medien</strong> diese Funktionen so erfüllten, dass sie immer die Wahrheit<br />

berichten, ihre Quellen nennen, alle wichtigen Elemente einer Geschichte liefern, nicht<br />

einseitig, sondern fair sind, in Konflikten stets beide Parteien anhören, Angeschuldigte zu<br />

Vorwürfen Stellung nehmen lassen, niemand diskriminieren, sich über Sachkompetenz<br />

ausweisen, komplizierte Sachverhalte verständlich darlegen <strong>und</strong> die Themen anschaulich <strong>und</strong><br />

sinnlich vermitteln. Dem ist aber nicht so. Die <strong>Medien</strong> machen vieles falsch, <strong>und</strong> dies aus<br />

mehreren Gründen:


1. Die <strong>Medien</strong> machen vieles falsch aus Unfähigkeit. Es gibt schlecht ausgebildete<br />

Journalisten, die sich anmassen, ihr Metier zu beherrschen, aber eigentlich von nichts eine<br />

Ahnung haben <strong>und</strong> selbstverschuldet unfähig sind. Journalismus ist kein geschützter Beruf<br />

wie Arzt oder Anwalt; jeder kann ihn ergreifen. Es gibt auch äusserst bequeme Journalisten,<br />

6<br />

die ihr Wissen für sich behalten <strong>und</strong> ihren Beruf passiv <strong>und</strong> desinteressiert absolvieren wie die<br />

Karikatur typischer Beamter; ihre Unfähigkeit ist eingeübt. Und es gibt Journalistinnen <strong>und</strong><br />

Journalisten, die sich in einem Umfeld ohne die nötigen Ressourcen bewegen müssen –<br />

beispielsweise in kleinen Lokalzeitungen, Lokalradios oder bei zu knapp dotierten Online-<br />

Redaktionen. Deren Unfähigkeit ist aufgezwungen.<br />

2. Die <strong>Medien</strong> machen vieles falsch aus Abhängigkeit. Manche <strong>Medien</strong>schaffende sind<br />

quasi „gekauft“ von einer Partei, einer Religionsgemeinschaft, einem Unternehmen oder<br />

einem Sportverein. Sie berichten deshalb nicht kritisch gegenüber ihrem Mäzen oder<br />

Auftraggeber. Diese Abhängigkeiten können auch indirekt entstehen. So gehen die <strong>Medien</strong> in<br />

Basel besonders pfleglich mit der chemischen Industrie um, in Thun besonders fre<strong>und</strong>lich mit<br />

der Armee, in Biel besonders nett mit der Uhrenindustrie, im Wallis besonders unkritisch mit<br />

dem Weinbau, in Luzern besonders rücksichtsvoll mit dem KKL <strong>und</strong> dem Verkehrshaus. Und<br />

alle sind nett zum jeweils dominierenden lokalen Fussballklub. Diese Abhängigkeiten<br />

verhindern einen Journalismus, der konsequent die Wahrheit ans Licht bringt.<br />

3. Die <strong>Medien</strong> machen vieles falsch aus Überforderung. Es gibt viele Routinen im<br />

Journalismus, aber nicht so viele wie beispielsweise im Eisenbahnverkehr. Wer als<br />

Lokomotivführer immer wieder die Strecke von Basel bis Interlaken-Ost fährt, ist jedes Mal<br />

mit den gleichen Bahnhofdurchfahrten, Tunnels, Gleiswechseln, Steigungen <strong>und</strong> Gefällen,<br />

Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halten usw. konfrontiert. Wenn es nicht gerade stürmt <strong>und</strong><br />

schneit oder eine Kuh auf dem Geleise steht, sieht die Strecke immer gleich aus. Dies ist im<br />

Journalismus anders. Jeder Tag bringt andere Nachrichten, man kann oft nicht auf frühere<br />

Erfahrungen zurückgreifen, Katastrophen wie das Attentat von Luxor oder vom 11.<br />

September hatte es so noch nie gegeben. Neue Phänomene können Redaktionen überfordern,<br />

<strong>und</strong> dies macht sie störanfällig. Es ist daher nie auszuschliessen, dass Fehler passieren.<br />

4. Die <strong>Medien</strong> machen schliesslich vieles falsch aus Anmassung. <strong>Medien</strong> können auch<br />

bewusst einseitig sein wollen, indem sie den Dienst am Publikum verachten <strong>und</strong> allein den<br />

Profit im Visier haben. Sie können ein bestimmtes <strong>Meinung</strong>sklima schaffen, dass nur noch


eine Lösung eines Problems zulässt. Sie können ihre <strong>Macht</strong> benutzen, um Politiker <strong>unter</strong><br />

Druck zu setzen oder Minderheiten zu drangsalieren. Sie können Geschichten derart<br />

manipulieren, dass die Bevölkerung ein einseitiges Bild erhält. <strong>Meinung</strong>, <strong>Macht</strong>,<br />

<strong>Manipulation</strong> – wie wirksam sind da die <strong>Medien</strong>?<br />

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• <strong>Meinung</strong>. Die <strong>Medien</strong> veröffentlichen <strong>Meinung</strong>en – in der Form von redaktionellen<br />

Kommentaren, Beiträgen aussenstehender Kolumnisten, Interviews oder Zitate<br />

gesellschaftlicher Akteure oder Leserbriefen <strong>und</strong> Blogbeiträgen. Die Wirkung solcher<br />

<strong>Meinung</strong>en wird allerdings meist überschätzt. Zwar können <strong>Medien</strong>, die über lange<br />

Zeit immer wieder ins gleiche Horn stossen, ein bestimmtes <strong>Meinung</strong>sklima schaffen.<br />

Aber es gelingt den <strong>Medien</strong> nicht, mit ihren Kommentaren Volksmehrheiten<br />

umzustimmen. Die Schweizer <strong>Medien</strong> waren 1986 fast unisono für den Uno-Beitritt<br />

der Schweiz – der Souverän sagte mit 75,7 Prozent Nein. Die Schweizer <strong>Medien</strong><br />

waren 1992 fast unisono für den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR).<br />

Der Souverän sagte mit 50,3 Prozent Nein. In der <strong>Meinung</strong>sbildung spielen eben nicht<br />

nur die <strong>Medien</strong> eine Rolle, sondern auch die Prädispositionen der Leute sowie die<br />

<strong>Meinung</strong>en von Opinion Leaders. Diese informieren sich zwar auch durch <strong>Medien</strong>,<br />

nutzen aber noch andere Quellen. Dadurch, dass die <strong>Medien</strong> <strong>Meinung</strong>en<br />

veröffentlichen, missbrauchen sie ihre <strong>Macht</strong> nicht. Wichtig ist, dass die Fakten alle<br />

auf dem Tisch liegen <strong>und</strong> dass das <strong>Medien</strong>konzert aus einer Vielfalt von <strong>Meinung</strong>en<br />

besteht.<br />

• <strong>Macht</strong>. Den <strong>Medien</strong> kommt eine erhebliche <strong>Macht</strong> zu – ähnlich wie der staatlichen<br />

Verwaltung, der Armee, den Banken, der Wirtschaft, den Gerichten, der Polizei. Weil<br />

die <strong>Medien</strong> Öffentlichkeit herstellen, üben sie <strong>Macht</strong> aus. Ihre <strong>Macht</strong> besteht in der<br />

Selektionsmacht, Thematisierungsmacht <strong>und</strong> Skandalisierungsmacht. Mit ihrer<br />

Selektionsmacht können sie entscheiden, worüber nicht berichtet wird. Mit der<br />

Thematisierungsmacht können sie das Gespräch der Leute beeinflussen <strong>und</strong><br />

bestimmten Themen enormes Gewicht verschaffen. Mit der Skandalisierungsmacht<br />

können sie echte oder angebliche Missstände brandmarken <strong>und</strong> Personen oder<br />

Sachverhalte mit einem negativen Image versehen. Mit diesen drei Facetten der <strong>Macht</strong><br />

können <strong>Medien</strong> sehr viel Schaden anrichten. Sie können diese <strong>Macht</strong> brutal ausnützen,<br />

wenn sie darauf aus sind, jede Woche eine andere Sau durchs Dorf zu jagen. Sie


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können diese <strong>Macht</strong> aber auch sehr verantwortungsbewusst ausüben <strong>und</strong> nur dann voll<br />

ausspielen, wenn es schwerwiegende Missstände anzuprangern gilt.<br />

• <strong>Manipulation</strong>. Die <strong>Medien</strong> manipulieren, wenn sie Skandale je nach politischer<br />

Couleur oder je nach geografischem Standort eines Unternehmens entweder<br />

dramatisieren oder her<strong>unter</strong>spielen. Sie manipulieren, wenn sie Thesenjournalismus<br />

betreiben, also nur jene Befragten zitieren, die ihre These stützen, <strong>und</strong> die anderen<br />

<strong>unter</strong>drücken. Sie manipulieren, wenn sie wichtige Strömungen, <strong>Meinung</strong>en <strong>und</strong><br />

Bewegungen in der Bevölkerung nicht zur Geltung bringen. Solche <strong>Manipulation</strong>en<br />

können nur die Redaktionen selber vermeiden – durch verantwortungsbewusste,<br />

sorgfältige, umsichtige journalistische Arbeit <strong>und</strong> durch die Rücksicht auf die Regeln<br />

der <strong>Medien</strong>ethik.<br />

Was aber können Aussenstehende gegen einseitige <strong>und</strong> inkompetente <strong>Medien</strong> tun? Wer Geld<br />

hat, kann eigene <strong>Medien</strong> gründen <strong>und</strong> so für mehr <strong>Medien</strong>vielfalt sorgen. Wer kein Geld hat,<br />

aber Einfluss nehmen möchte, kann <strong>Medien</strong> boykottieren oder, noch besser, eine<br />

<strong>Medien</strong>beobachtungs-Organisation gründen, einen Verein, der bestimmte <strong>Medien</strong> genau <strong>unter</strong><br />

die Lupe nimmt <strong>und</strong> öffentlich kritisiert. Heute ist dies dank des Internets viel leichter als<br />

früher. In Deutschland gibt es beispielweise die Website www.bildblog.de, die laufend die<br />

„Bild-Zeitung“ korrigiert <strong>und</strong> kritisiert. In der Schweiz existierte von Mitte Februar 2005 bis<br />

Mitte Dezember 2006 der Pendlerblog (http://pendlerblog.blogspot.com ), der die<br />

Gratiszeitung „20 Minuten“ kritisch begleitete. In den USA sind viele Media Watch-<br />

Organisationen aktiv. Wer nicht auf diese Weise aktiv sein möchte, aber trotzdem einseitige<br />

<strong>und</strong> inkompetente <strong>Medien</strong> nicht hinzunehmen bereit ist, kann sich gegen jedes Medium in der<br />

Schweiz beschweren. Gegen Radio- <strong>und</strong> Fernsehsendungen der Schweizerischen Radio- <strong>und</strong><br />

Fernsehgesellschaft (SRG) oder kommerzieller Kanäle wie „Radio BE1“, „Telebärn“,<br />

„Telebasel“ oder „Radio Basilisk“ oder alternativer Kanäle wie „Radio RaBe“ oder „Radio<br />

X“ sowie gegen die Internetbeiträge von Swissinfo kann man sich an den jeweils zuständigen<br />

Ombudsmann wenden. Es gibt in jeder Sprachregion einen Ombudsmann für die SRG <strong>und</strong><br />

einen für die Privaten <strong>und</strong> es gibt einen für Swissinfo. Nach dem Verfahren bei der<br />

Ombudsstelle können Beschwerden an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio <strong>und</strong><br />

Fernsehen (UBI) weitergezogen werden, von dort ans B<strong>und</strong>esgericht. Auch etliche<br />

Verlagshäuser <strong>und</strong> Printmedien haben einen Ombudsmann eingesetzt – so die Tamedia, die<br />

AZ-<strong>Medien</strong>, Springer Schweiz, „Tribune de Genève“, „24 heures“, „Le Matin“, „La


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Regione“, die „Neue Luzerner Zeitung“ <strong>und</strong> das „St. Galler Tagblatt“. Ausserdem kann man<br />

gegen Beiträge in Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften, in Radio <strong>und</strong> Fernsehen sowie im Internet<br />

beim Schweizer Presserat Beschwerde erheben. All dies verhindert zwar Fehlleistungen der<br />

<strong>Medien</strong> nicht. Aber es zeigt den <strong>Medien</strong>, dass das Publikum nicht schläft. Gleichzeitig ist es<br />

für das Publikum auch wichtig zu wissen, dass die <strong>Medien</strong> nicht schlafen <strong>und</strong> laut geben,<br />

wenn in der Gesellschaft etwas nicht in Ordnung ist. Um die Öffentlichkeit ist es am besten<br />

bestellt, wenn beide wach sind – die <strong>Medien</strong> <strong>und</strong> das Publikum.

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