20.11.2013 Aufrufe

Referat von Enrico Morresi, Journalist, Präsident des Stiftungsrates

Referat von Enrico Morresi, Journalist, Präsident des Stiftungsrates

Referat von Enrico Morresi, Journalist, Präsident des Stiftungsrates

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Enrico</strong> <strong>Morresi</strong>, MAE<br />

Presidente della Fondazione<br />

“Consiglio svizzero della stampa”<br />

Via Madonna della Salute 6<br />

6900 Massagno – Lugano<br />

E-Mail: enrico.morresi@sunrise.ch<br />

Lasst den Presserat nicht allein!<br />

Lieber Roger, sehr geehrte Damen und Herren,<br />

Ich freue mich, Ihnen am heutigen Symposium zur Verabschiedung <strong>von</strong> Roger Blum, mit<br />

dem ich freundschaftlich verbunden bin, die Grüsse der Stiftung «Schweizer Presserat» zu<br />

überbringen. Roger Blum war 10 Jahre lang, <strong>von</strong> 1991 bis 2001, <strong>Präsident</strong> <strong>des</strong> Presserates.<br />

Dank seinem Engagement und seiner initiativen Persönlichkeit wurde der Presserat in dieser<br />

Zeit wesentlich bekannter und anerkannter. Dies dokumentiert unter anderem die Zunahme<br />

der an den Presserat gerichteten Beschwerden. Anfänglich waren es weniger als 10 pro Jahr,<br />

heute sind es jährlich gegen hundert Beschwerden. Roger Blum gelang es zudem, ab dem Jahr<br />

2000 die wichtigsten <strong>Journalist</strong>enverbände in den Presserat einzubinden. Dazu gründeten sie<br />

die Stiftung «Schweizer Presserat», zu deren Trägerschaft seit 2008 nun auch die Verleger<br />

und die SRG SSR idée suisse gehören. Auf seine Zeit als Presseratspräsident kann Roger<br />

Blum mit Stolz und – so hoffe ich – auch mit Befriedigung zurückblicken. Wir schulden ihm<br />

unsererseits Dank dafür.<br />

Die heutige Feier soll auch der Reflexion und Diskussion über Themen dienen, die Roger<br />

Blum in den letzten 20 Jahren beschäftigt haben. Gerne ergreife ich die Gelegenheit, mich<br />

zum Zustand der journalistischen Ethik in unserem Land zu äussern.<br />

Ich beginne mit einer auf den ersten Blick erfreulichen Notiz. Eine klare Mehrheit der<br />

Schweizer <strong>Journalist</strong>en behauptet, ein positives Bild <strong>des</strong> Schweizer Presserates zu haben, den


2<br />

<strong>Journalist</strong>enkodex zu kennen und die Presseratsstellungnahmen zur Kenntnis zu nehmen. 1<br />

Eine andere Studie zum ideologischen Selbstverständnis <strong>von</strong> Schweizer <strong>Journalist</strong>en attestiert<br />

diesen eine beispielhafte und ethische Berufsauffassung. Sie begrüssen allgemeingültige<br />

Verhaltensregeln und lehnen unlautere Arbeitsmethoden ab. 2<br />

Aber wie so oft klaffen Theorie und Praxis auseinander. Die erwähnte Studie <strong>des</strong> Instituts für<br />

Angewandte Medienforschung in Winterthur zum «Bild <strong>des</strong> Schweizer Presserats» zeigt auf,<br />

dass Redaktionen nur selten über berufsethische Fragen debattieren und den<br />

<strong>Journalist</strong>enkodex kaum als Entscheidungsgrundlage für die Nachrichtenauswahl bzw. das<br />

Agenda Setting heranziehen. Und: Obwohl die «Erklärung der Pflichten und Rechte der<br />

<strong>Journalist</strong>innen und <strong>Journalist</strong>en» seit gut einem Jahr statuiert, dass die Redaktionen<br />

verpflichtet sind, zumin<strong>des</strong>t über diejenigen Stellungnahmen <strong>des</strong> Presserates zu berichten, die<br />

das eigene Medium betreffen, wirkt die bisherige Bilanz zur sog. Abdruckspflicht nicht<br />

gerade aufsehenerregend. 3<br />

Immerhin ist die Lage in der Schweiz deutlich besser als beispielsweise in Frankreich, wo<br />

man seit fünfzig Jahren ergebnislos über medienethisches Kodizes und ein<br />

Selbstkontrollorgan diskutiert. Gleiches gilt für Italien. Währenddem laufend neue<br />

Ethikkodizes entstehen, erreicht das Interesse für deren Umsetzung Tiefstwerte. In Österreich<br />

ist der Versuch, nach längerem Unterbruch wieder einen Presserat auf die Beine zu stellen,<br />

jüngst erneut kläglich gescheitert. Und nicht zuletzt hat auch der deutsche Presserat – in<br />

mancher Hinsicht unser Vorbild – seine Probleme. So erschwert beispielsweise die<br />

komplizierte Unterscheidung zwischen öffentlichen und nicht öffentlichen Rügen,<br />

1<br />

Vinzenz Wyss, L. Tschopp, Chr. Wüthrich, Das Bild <strong>des</strong> Schweizer Presserates. Eine schriftliche<br />

Befragung <strong>von</strong> Schweizer Medienschaffenden, Institut für Angewandte Medienwissenschaft, IAM, an der<br />

Zürcher Hochschule Winterthur, ZHW, Winterthur, Mai 2007.<br />

2<br />

Thomas Hanitzsch, Journalismuskultur: Zur Dimensionierung eines zentralen Konstrukts der<br />

kulturvergleichenden Journalismusforschung,. Medien & Kommunikationswissenschaft, 2007, 55(3): 372-389.<br />

Pure: Thomas Hanitzsch, Deconstructing Journalism Culture: Towards a universal theory, Communication<br />

Theory, 2007, 17 (4), 367-385.-<br />

3<br />

Abdruck <strong>von</strong> Stellungnahmen <strong>des</strong> Presserats, die das eigene Medium betreffen, interner Bericht der<br />

Stiftung «Schweizer Presserat» vom 17. November 2009.


3<br />

Missbilligungen und Hinweisen die Vermittelbarkeit seiner Entscheidungen an ein grösseres<br />

Publikum.<br />

Der Schweizer Presserat ist sich bewusst, dass er die <strong>Journalist</strong>innen und <strong>Journalist</strong>en mit<br />

seinen Anliegen im Redaktionsalltag nur punktuell erreichen kann. Er bemüht sich aber<br />

darum, den Kontakt zu den einzelnen Redaktionen schrittweise zu intensivieren, um dem<br />

Presserat so ein Gesicht zu verleihen. Ebenso wie Stephan Russ-Mohl finde ich es in diesem<br />

Zusammenhang wichtig, nicht nur in das Regelwerk, sondern auch in Infrastrukturen zu<br />

investieren. 4 Neben <strong>Journalist</strong>enkodizes und Presseräten braucht es ein ganzes Netz weiterer<br />

Initiativen und Akteure, um die <strong>Journalist</strong>innen und <strong>Journalist</strong>en in den Redaktionen zu<br />

sensibilisieren. Es braucht Ausbildungs- und Weiterbildungsinstitutionen,<br />

<strong>Journalist</strong>enverbände, Watchdogs, Vereine für Qualität im Journalismus, universitäre<br />

Forschung und vor allem auch kritischen Medienjournalismus. Hier sehe ich<br />

Verbesserungspotential. Leider streichen fast alle Publikumsmedien ihre Medienrubriken. 5<br />

Ausgerechnet die wichtigen Massenmedien mit grossen Zuschauer- und Leserzahlen<br />

berichten fast nur noch bei tatsächlichen oder vermeintlichen Skandalen über Medienthemen.<br />

Da sich hier im Publikum viele Vertreter <strong>von</strong> Schweizer Universitäten und<br />

<strong>Journalist</strong>enschulen befinden, stelle ich jedoch die Rolle der Ausbildungsinstitutionen in<br />

diesem Prozess der Bewusstseinsbildung ins Zentrum meiner heutigen Ausführungen.<br />

4<br />

Stephan Russ-Mohl, Der I-Faktor. Qualitätssicherung im amerikanischen Journalismus. Modell für<br />

Europa?, Edition Interform, Zürich, 1994.<br />

5<br />

Das wöchentliche Supplement der “Neuen Zürcher Zeitung” bleibt eine Ausnahme. Von den anderen<br />

Deutschschweizer Tageszeitungen verfügt nur noch das “St. Galler Tagblatt” über eine halbe Seite an<br />

Medienberichterstattung, der “Tages-Anzeiger” verfügt über keine Medienseite mehr und die “Aargauer<br />

Zeitung” scheint sich die Abschaffung der Seite zu überlegen. Bei den Sonntagszeitungen verfügt der Sonntag<br />

über eine Kolumne. Im Falle <strong>von</strong> Wochenzeitschriften verfügt “Die Weltwoche” über eine stark ökonomisch<br />

orientierte Rubrik. Bei den Radios hat Rete Due vom Radio Svizzera di lingua italiana (RSI) nach 16 Jahren die<br />

tägliche Sendung “Mediatica” aus dem Programm gekippt. Der “Corriere del Ticino” veröffentlicht in<br />

unregelmässigen Abständen Berichte <strong>des</strong> European Journalism Observatory der Università della Svizzera<br />

italiana. In der Romandie, nach einem kurzen Versuch <strong>von</strong> “Le Temps”, gibt es in den Printmeiden keine<br />

regelmässigen Medien-Rubriken mehr. “Le Courrier” ist die Tageszeitung, welche noch am häufigsten über<br />

Medien berichtet.


4<br />

Die Ausbildung der <strong>Journalist</strong>innen und <strong>Journalist</strong>en ist hierzulande nach wie vor nicht<br />

reglementiert. Es ist immer noch möglich, auch ohne Abschluss eines universitären Studiums<br />

in den Beruf einzusteigen. Unabdingbar ist jedoch, dass sich Medienschaffende ihrer<br />

wichtigen Rolle in der Zivilgesellschaft bewusst sind. Denn nur mit einem ausgeprägten,<br />

kritischen Bewusstsein für ihre im Interesse der Öffentlichkeit liegenden Aufgabe sind sie in<br />

der Lage, diese unter den gegebenen ökonomischen Gesetzmässigkeiten <strong>des</strong> Mediensystems<br />

zu erfüllen.<br />

FAZ und NZZ sind laut aktuellen Studien nicht mehr die einzigen Leuchttürme<br />

journalistischer Qualität. Gerade auch «Special Interest Medien» bieten ihrem Publikum<br />

häufig qualitativ überdurchschnittliche Inhalte, die <strong>von</strong> <strong>Journalist</strong>en mit ausgeprägtem<br />

professionellem Bewusstsein stammen. An Gewicht verliert hingegen die Abgrenzung<br />

zwischen Journalismus, Public Relations und Werbung. 6 Dazu drängt sich mir folgende<br />

Frage an die Vertreter der <strong>Journalist</strong>enschulen auf: Sind Sie sicher, dass Sie mit Ihren<br />

aktuellen Ausbildungsgängen den Besonderheiten der journalistischen Tätigkeit genügend<br />

Gewicht geben? Liegt der Fokus Ihrer Programme nicht zu stark beim «how», also der Art<br />

und Weise, wie man Journalismus betreibt, während die zentrale Frage <strong>des</strong> «Warum» unter<br />

den Tisch fällt? Gehen Sie damit nicht das Risiko ein, die moralische Grundhaltung <strong>des</strong><br />

Berufsstan<strong>des</strong> zu gefährden, zumal der Journalismus durch massive systemexterne Einflüsse<br />

wie Politik und Geld immer stärker unter Druck gerät?<br />

Seit jeher vertrete ich die Auffassung, dass Information ein öffentliches Gut ist. Deshalb<br />

braucht es eine Ethik der Öffentlichkeit, die Grundprinzipien, Regeln und Anwendungen<br />

gewährleistet. 7 Eine Ethik der Öffentlichkeit argumentiert auf der Grundlage einer Theorie<br />

der Gesellschaft. Jürgen Habermas schildert den Journalismus als Intermediär, als eine Art<br />

institutioneller Transmissionsriemen zwischen politischem System und Lebenswelt, in<br />

6<br />

2009.<br />

7<br />

Michael Meyen / Claudia Riesmeyer, Diktatur <strong>des</strong> Publikums. <strong>Journalist</strong>en in Deutschland, Konstanz,<br />

<strong>Enrico</strong> <strong>Morresi</strong>, Etica della notizia. Fondazione e critica della morale giornalistica, Bellinzona, 2004.


5<br />

welcher Informationen und Ideen die Basis verständigungsorientierten Handelns bilden. 8 Der<br />

Journalismus leistet nach diesem Verständnis einen bedeutenden Beitrag zum Funktionieren<br />

der Demokratie 9 .<br />

Die Frage, die ich mir selber, aber auch Ihnen stelle, ist folgende: Wie bereiten wir die<br />

zukünftigen <strong>Journalist</strong>en konkret auf diese grosse gesellschaftliche Verantwortung vor? Es<br />

gibt in der Schweiz 14 Institutionen, die <strong>Journalist</strong>en ausbilden. Fünf Universitäten stellen<br />

akademische Titel bis hin zum Doktorat aus: In der Regel wird Journalismus dabei als Teil der<br />

Kommunikationswissenschaften abgehandelt. In neun Ausbildungsstätten kann man einen<br />

berufsorientierten Titel erwerben. Ich habe versucht, eine Antwort meine Frage zu finden und<br />

habe alle Ausbildungsinstitutionen befragt, wie sie das Thema «<strong>Journalist</strong>ische Ethik» in<br />

Lehre und Forschung behandeln. Die Umfrageergebnisse sind ernüchternd: Sie zeigen, dass<br />

die Ausbildungsinstitutionen ihrer Aufgabe nicht gerecht werden.<br />

Die Ethik ist eine Teildisziplin der Philosophie. Jede grössere Denkschule (die aristotelische<br />

Ethik <strong>des</strong> glücklichen Lebens, die deontologische Ethik Kants, die Ethik<br />

verantwortungsvollen Handelns <strong>von</strong> Jonas sowie die Diskursethik <strong>von</strong> Habermas) beeinflusst<br />

die Diskussion über die Sinngebung <strong>des</strong> Journalismus. Mit der Umfrage habe ich <strong>des</strong>halb<br />

versucht herauszufinden, welche Rolle die Ethik als philosophische Teildisziplin in der<br />

8<br />

„(1) Die Massenmedien sollen sich als Mediator eines aufgeklärten Publikums verstehen, <strong>des</strong>sen<br />

Lernbereitschaft und Kritikfähigkeit sie zugleich voraussetzen, beanspruchen und bestärken. (2) Sie sollen ihre<br />

Unabhängigkeit <strong>von</strong> politischen und gesellschaftlichen Akteure bewahren. (3) Sie sollen sich unparteiisch der<br />

Anliegen und Anregungen <strong>des</strong> Publikums annehmen und in den politischen Prozess im Lichte dieser Themen und<br />

Beiträge einen Legitimationszwang und verstärkter Kritik aussetzen“. Daraus ergibt sich „eine intermediäre<br />

Struktur, die zwischen dem politischen System einerseits, den privaten Sektoren der Lebenswelt und funktional<br />

spezifizierten Handlungssystem andererseits vermittelt“ (Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zur<br />

Diskurstheorie <strong>des</strong> Rechts und <strong>des</strong> demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt a. M., 1992).<br />

9<br />

„Professionelle Medienschaffende sollen in ihrem komplexen Beruf neben der thematischen<br />

Sachkompetenz und der journalistisch methodischen Fachkompetenz über eine allgemeine kommunikative<br />

Kompetenz verfügen: Sowohl in ihrem eigenen Berufsfeld als auch bei den Themen, die sie bearbeiten, sollen sie<br />

(1) in der Lage sein, normative Konflikte auf einem postkonventionellen Niveau wahrnehmen und beurteilen zu<br />

können. (2) Ihre reflexiven Standards moralischer Selbstverpflichtung sollen sie unter Stress aufrechterhalten<br />

können. (3) Bezogen auf ihre Profession sollten sie über die Fähigkeit verfügen, die journalistischen Funktionen<br />

im demokratischen Gesellschaftssystem bestimmen und begründen zu können, um so die Maximen öffentlicher<br />

Kommunikation zum handlungsleitenden Motiv zu machen und seine Geltung im ökonomischen und<br />

organisatorischen Strukturen mit Zivilcourage zu vertreten“ (Matthias Loretan, Ethik <strong>des</strong> Öffentlichen.<br />

Grundrisse einer Medienethik als Theorie kommunikativen Handelns, in: Adrian Holderegger (Hrsg.),<br />

Kommunikations- und Medienethik. Interdisziplinäre Perspektiven, Freiburg i. Ue, 1999).


6<br />

aktuellen <strong>Journalist</strong>enausbildung spielt. Die Umfrageergebnisse zeigen, dass das Thema<br />

vernachlässigt wird. Von den sechs Universitäten, die journalistische Studiengänge anbieten,<br />

bildet die Ethik bloss bei dreien die Grundlage für die Begriffsbestimmung <strong>des</strong> Journalismus.<br />

Keine da<strong>von</strong> verfügt über Vollzeitstellen in diesem Bereich.<br />

Immerhin werden einzelne berufsethische Aspekte behandelt. Alle befragten Schulen, sowohl<br />

Universitäten als auch praxisorientierte Institutionen, verfügen über Kurse, in denen<br />

<strong>Journalist</strong>enkodizes, brancheneigene Kontrollinstanzen sowie konkrete Fälle behandelt<br />

werden. 10 Um darüber hinaus auch die grundlegenden Fragen <strong>des</strong> Journalismus zu<br />

beantworten, bräuchte es aber mehr Mittel beispielsweise in Form <strong>von</strong> Lehr- und<br />

Forschungsaufträgen. Neben praktischen Aspekte sollte die Ausbildungsinstitutionen<br />

vermehrt auch theoretische Fragestellungen behandeln. Der Akzent liegt auf dem know how,<br />

während man das know why fast gänzlich links liegen lässt. Dies ist ebenso absurd wie wenn<br />

man die Rechtswissenschaft ohne Rechtsphilosophie oder Medizin ohne Bioethik<br />

unterrichtete.<br />

Vielleicht – ich stelle nun eine These auf, die viele <strong>von</strong> Ihnen womöglich nicht teilen – liegt<br />

der Fehler darin, dass unterschiedliche berufliche Profile und Ziele willkürlich vermischt<br />

werden. Journalismus bezweckt etwas ganz anderes als Unternehmenskommunikation,<br />

Öffentlichkeitsarbeit <strong>von</strong> Behörden, Public Relations oder erst recht Marketing. 11 Zwar ist das<br />

know how ähnlich, das know why ist jedoch grundverschieden. Bei einer Zusammenführung<br />

dieser Disziplinen besteht das Risiko, dass die Besonderheiten <strong>des</strong> Journalismus auf der<br />

Strecke bleiben. Seit Beginn den 80er und 90er Jahre, <strong>Journalist</strong>en, die ihre erzieherische,<br />

emanzipatorische Funktion ins Zentrum stellen, befinden sich im Rückzug:, seitdem das<br />

10 Details der Studie bei der Stiftung Schweizer Presserat<br />

11<br />

“Während Journalismus in der Verständigungsorientierung <strong>von</strong> Sprache verankert ist, nutzen Public<br />

Relations Sprache als Werkzeug um externe, meist wirtschaftliche oder politische Zwecke zu erreichen. Sie sind<br />

in der Regel nicht ergebnisoffen und diskursiv, sondern explizit auf persuasive Effekte gerichtet. Betrachtet man<br />

dagegen Journalismus als Anwalt <strong>des</strong> gesellschaftlichen Diskurs, dann ist diese Rolle primär auf der Basis<br />

Kommunikationsmuster auszufüllen“ (Carsten Brosda, Diskursiver Journalismus. <strong>Journalist</strong>isches Handeln<br />

zwischen kommunikativen Vernunft und mediensystemischen Zwang, VS Verlag für Sozialwissenschaften,<br />

Wiesbaden, 2008).


7<br />

Marketing in Politik und Wirtschaft aber auch im Journalismus den Vorrang gegenüber der<br />

Ethik beansprucht.<br />

Jürgen Habermas hat diese Entwicklung als Kolonialisierung der Öffentlichkeit bezeichnet.<br />

Die Meinungen darüber gehen auseinander, ob der Prozess unumkehrbar ist. Autoren in der<br />

Tradition <strong>von</strong> Habermas erachten die kommunikative Rationalität (bzw. die ultimative<br />

Bezugnahme <strong>des</strong> Journalismus zur polis) zwar als bedroht, aber noch nicht für endgültig<br />

verloren. Für sie hat der Journalismus nach wie vor ein enormes Emanzipationspotential. 76<br />

getötete <strong>Journalist</strong>en im Jahr 2009 haben ihr Leben primär für einen emanzipatorischen, am<br />

Gemeinsinn orientierten Journalismus geopfert und nicht für ein an ökonomischen<br />

Gesetzmässigkeiten orientiertes Mediensystem.<br />

Als Vertreter <strong>von</strong> Schulen und Bildung lege ich Ihnen <strong>des</strong>halb nahe, eine Entscheidung zu<br />

treffen: Entweder Sie intensivieren den Ethikunterricht – gerade an den Universitäten gibt es<br />

Raum für Lehre und theoretische Forschung – und bilden die künftigen <strong>Journalist</strong>innen und<br />

<strong>Journalist</strong>en auch auf diesem Gebiet à Fonds aus. Oder Sie empfehlen den künftigen<br />

Medienschaffenden, sich zuerst auf eine andere Fachrichtung zu konzentrieren – seien dies<br />

Sprachen, Recht, Geschichte, Politikwissenschaft oder Wirtschaft – und überlassen die<br />

eigentliche journalistische Ausbildung spezifischen Lehrinstitutionen. Deren Aufgabe wäre es<br />

dann, den künftigen <strong>Journalist</strong>innen und <strong>Journalist</strong>en sowohl die notwendigen theoretischen<br />

Grundlagen als auch in einer praxisorientierten Ausbildung die Rolle <strong>des</strong> Journalismus als<br />

Treuhänder <strong>des</strong> öffentlichen Diskurses zu vermitteln.<br />

Ich komme zum Schluss: «Der Presserat allein kann es nicht richten!». Damit die einzelnen<br />

<strong>Journalist</strong>innen und <strong>Journalist</strong>en und das Mediensystem insgesamt auch künftig den <strong>von</strong> der<br />

Gesellschaft erwünschten und erwarteten öffentlichen Diskurs gewährleisten, braucht es<br />

insbesondere auch Sie als Vertreter <strong>von</strong> Lehre und Forschung. Sie sollten sich <strong>des</strong>halb nicht<br />

damit begnügen, Medienethik als blosse Nebensache zu unterrichten.<br />

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


Bern, 23. Januar 2010<br />

8

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!