Sehenswert - Ulm/Neu-Ulm
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titEltHEMa<br />
komitee passte Berblingers spektakuläres Vorhaben gut ins<br />
Konzept, es integrierte den tollkühnen Bastler kurzerhand ins<br />
Jubel programm. Am Tag der Premiere passierte jedoch ein Missgeschick,<br />
als ein gebrochener Flügel den Versuch verteitelte.<br />
Über Nacht besorgte der Schneider die Reparatur, um Tags drauf<br />
erneut anzutreten. So nahm das Verhängnis seinen Lauf.<br />
22<br />
An diesem 31. Mai 1811 herrschte gutes Wetter. Wie schon Tags<br />
zuvor strömten die Massen ans Donauufer – bis auf den König, der<br />
bereits abgereist war. Die Adlerbastei, wo der Absprung geplant<br />
war, besteht zur Donauufer-Seite aus einer fast senkrechten<br />
Mauer, 15 Meter hoch. Darauf hatte Berblinger noch ein gut sieben<br />
Meter hohes Gerüst errichten lassen.<br />
Man mag sich gut vorstellen, was in ihm vorging, als er von hier<br />
oben in diese jähe Tiefe blickte in den feuchten, glitzernden Abgrund,<br />
beobachtet und angefeuert von einer sensationslüsternen<br />
Menge in angeheizter Volksfeststimmung. Berblinger muss gespürt<br />
haben, dass an dieser Stelle etwas sehr Entscheidendes<br />
fehlt. Er zögert und verzögert den Start um eine dreiviertel Stunde<br />
hinaus.<br />
Er vermisste die „lebendigen Winde“, wie er sie vom Michelsberg<br />
her kannte. Sein Gesicht soll weiss wie ein Backsteinkäs’ geworden<br />
sein, so schilderten es Augenzeugen. Hatte ihn in diesen Minuten<br />
eine entscheidende Erkenntnis gepackt? Er packte schließlich<br />
sämtlichen Mut zusammen und nahm Anlauf, wobei angeblich<br />
ein Polizeidiener mit einem Schubs noch nachhalf. Sekundenbruchteile<br />
später wird die dunkle Ahnung für ihn jähe Gewissheit.<br />
Er bekommt keine Luft unter die Flügel. Er gleitet nicht, er fällt.<br />
Wie ein Stein muss Berblinger in die Donau gestürzt sein. Da johlte<br />
die Menge erst recht.<br />
gesellschaFtlich ruiniert<br />
Zwar unverletzt geblieben und von Booten geborgen, änderte sich<br />
sein Leben entscheidend. Von dem Tag an war er gesellschaftlich<br />
ruiniert und zur Spottfigur geworden, die jede Achtung verwirkt<br />
hatte. In Schmähversen wurde er klein gemacht, in Postkarten<br />
verjuxt. Bekannt war er nun im ganzen Land, aber versehen mit<br />
dem Mal des gescheiterten, leicht größenwahnsinnigen Spinners.<br />
Beschleunigt durch eine galoppierende Spiel- und Trunksucht,<br />
folgte ein wirtschaftlicher Abstieg. Der verarmte „Schneider von<br />
<strong>Ulm</strong>“, als den man in schon zu Lebzeiten bezeichnete, endete als<br />
gescheiterte Existenz – da, wo seine Karriere als Jugendlicher<br />
begonnen hatte: in einer Verwahranstalt. 1828 starb er.<br />
keine thermik über der donau<br />
Hätte er nur nicht den Startpunkt an den Fluss verlegt. Des dicklichen<br />
Königs wegen, dem man den Abstecher auf den Michelsberg<br />
ersparen wollte? Eine Spekulation. Hier, über dem kalten<br />
Wasser, gab es doch keine Thermik, stattdessen fatalen Rückenwind,<br />
unberechenbare Windwirbel, Turbulenzen! Diese Phänomene<br />
waren im Jahr 1811 noch nicht erforscht, und so gab es<br />
auch niemand, der eine seriöse Erklärung für den Fehlversuch<br />
abgeben und so dem Schneider beispringen konnte.<br />
späte Wiederentdeckung<br />
Es dauerte, es zog sich, bis Berblingers Ideen erneut Flügel bekamen.<br />
85 Jahre später, spät, erhielten sie erneut Auftrieb: durch<br />
einen gewissen Otto Lilienthal, der glücklicherweise – wie der<br />
Schneider am Beginn – seine Übungen an einen Hügel verlegte.<br />
Gilt Berblinger heute als der erste Gleitflieger, so war er der<br />
zweite, der jemals auf diese Art sich für ein paar Sätze in die Lüfte<br />
erheben konnte. Lilienthals Gleiter, er baute insgesamt 18 Typen,<br />
die ihn bis zu 250 Meter weit trugen, waren verbessere Varianten<br />
von Berblingers Grundmodell, mit verändertem Schwerpunkt,<br />
einer modifizierten, vogelschwingenähnlichen Flügelform und,<br />
als Novum, einer angedeuteten Schwanzflosse als Leitwerk. Angesichts<br />
dieses Erfolgs und der rasanten Entwicklung, welche<br />
die Fliegerei nach 1900 einschlug, begann sich allmählich auch<br />
das Bild Berblingers zu wandeln. Aus der Spottfigur und dem vermeintlichen<br />
Scharlatan schälte sich allmählich das gänzlich positive<br />
Bild als Flugpionier heraus. Man anerkannte die Leistung,<br />
als erster die Flügel als Tragflächen begriffen und somit in die<br />
richtige Richtung vorausgedacht zu haben, wie es funktionierten<br />
könnte.<br />
So etwa sah es aus …<br />
Fluggerät-Nachbildung<br />
im <strong>Ulm</strong>er Rathaus<br />
„dr schneider vo ulm<br />
hotts Fliaga probiert;<br />
do hot en dr deiFel<br />
en d’donau neigFührt.“