Zwischenbericht - Stiftung Deutsche Jugendmarke eV

Zwischenbericht
für die Stiftung Deutsche Jugendmarke
über
„Woher wir kommen, wohin wir gehen“
Praxisforschungsprojekt – Leben lernen
„Woher wir kommen, wohin wir gehen“
Praxisforschungsprojekt – Leben lernen
Pilotprojekt zur Entwicklung, Untersuchung und Darstellung von
Lern- und Bildungsprozessen in Theater-/ Tanz-/ Filmprojekten
mit Kindern und Jugendlichen an der Schnittstelle von
Schule und Kultureller Bildung
München, Oktober 2007

Impressum
„Woher wir kommen, wohin wir gehen“
Praxisforschungsprojekt – Leben lernen
Zwischenbericht
zur Vorlage bei der Stiftung Deutsche Jugendmarke
Ausgearbeitet von: Tom Biburger, Alexander Wenzlik
Mitarbeit: Thomas Eberle, Tobias Fink, Elisabeth Hagl
Förderkennzeichen: 52-68/05 PAS
Projektlaufzeit: 01.09.2006 – 31.08.2008
Berichtszeitraum: 01.09. 2006 – 31.09.2007
Das Praxisforschungsprojekt – Leben lernen wird gefördert von:
Bayerisches Staatsminis-
terium für Wissenschaft Forschung
und Kunst
Münchner Konzept zur Schulentwicklung
Soziale Stadt München
Bezirksausschuss 24 Feldmoching-Hasenbergl
Schul- und Kultusreferat München
BMW Group
Projektträger:
PA/ Spielen in der Stadt e. V.
Romanstraße 74, 80639 München
Tel.: 089-52300694, Fax: 089-5230069
www.spielen-in-der-stadt.de
info@spielen-in-der-stadt.de
Institut für Angewandte Kulturelle Bildung e. V.
Entenbachstraße 41, 81541 München
Tel.: 089-52032120
www.iakb.de
post@ikab.de

Inhalt
1. Einleitung.............................................................. 5
2. Projektpraxis..........................................................7
2.1 Projektlabor – Neigungskurs „Leben lernen“ an der
Städtischen Willy-Brandt-Gesamtschule..................................... 8
2.1.1 Forschungsfragen ............................................................................................. 9
2.1.2 Methodischer Ansatz der Theater- und Tanzarbeit ...................................... 10
2.1.3 Methodischer Ansatz der Dramaturgie...........................................................14
2.1.4 Tendenzen der Auswertung.............................................................................15
2.1.4.1 Gruppenprozess...............................................................................................15
2.1.4.2 Individuelle Prozesse, Fallbeispiele ............................................................... 18
2.1.4.3 Kooperation mit der Schulleitung, Schulentwicklung .................................. 24
2.1.4.4 Kooperation mit den Schul- und Sozialpädagoginnen.................................. 27
2.1.5 Supervision .....................................................................................................30
2.1.6 Ausblick...........................................................................................................30
2.1.6.1 Projektarbeit, Kooperation, Elternarbeit, Supervision ..................................31
2.1.6.2 Datenerhebung, Auswertung ......................................................................... 32
2.2 Projektlabor – Tanz- und Theaterprojekte an der
Fritz-Lutz-Grundschule (FLS) ................................................... 34
2.2.1 Verlauf der Kooperation mit der Fritz-Lutz-Schule ...................................... 34
2.2.1.1 Aspekte, die die Kooperation mir der Schule fördern bzw. behindern ........40
2.2.1.2 Supervision ......................................................................................................41
2.2.2 Verlauf des Projekts mit der Klasse 3c........................................................... 42
2.2.2.1 Einbeziehung der Eltern und Familien.......................................................... 46
2.2.2.2 Einbezug dritter Orte...................................................................................... 47
2.2.2.3 Projektgremium..............................................................................................48
2.2.2.4 Verknüpfung von Unterricht und Projekt...................................................... 49
2.2.2.5 Zusammenarbeit mit der Klassenleiterin der Projektklasse......................... 53
2.2.2.6 Gruppenprozess und individuelle Prozesse, Fallbeispiele ............................ 54
2.2.3 Die Arbeitsgemeinschaft Tanz und Theater – Ein Erfahrungsbericht ......... 56

2.2.4 Ausblick........................................................................................................... 64
2.2.4.1 Projektpraxis................................................................................................... 64
2.2.4.2 Kooperation mit der Schule,
Zusammenarbeit mit den Projekt begleitenden Lehrerinnen....................... 64
2.2.4.3 Supervision ..................................................................................................... 65
2.2.4.4 Wissenschaftliche Erhebung und Auswertung.............................................. 65
2.3 Hauptschule an der Perlacher Straße (HSP) als dritte
Partnerschule im Praxisforschungsprojekt – Leben lernen ...... 66
Exkurs: Mixed Up – Bundesweiter Wettbewerb für
Kooperationen zwischen Kultur und Schule ..............................72
3. Wissenschaftliche Untersuchung .........................74
3.1 Wissenschaftspraktische Grundlagen ........................................74
3.1.1 Literaturdatenbank......................................................................................... 74
3.1.2 Materialdatenbank ......................................................................................... 74
3.1.3 Schulung wissenschaftlicher Hilfskräfte........................................................ 75
3.1.4 Wissenschaftlicher Beirat............................................................................... 75
3.1.5 Wissenschaftliche Supervision....................................................................... 76
3.1.6 Auswahl von Fallbeispielen ............................................................................ 76
3.2 Methoden der Datenerhebung ...................................................76
3.2.1 Protokoll der Teilnehmenden Beobachtung.................................................. 76
3.2.2 Film ..................................................................................................................77
3.2.3 Interview ..........................................................................................................77
3.2.4 Gruppendiskussion......................................................................................... 78
3.2.5 Nachbesprechungsprotokoll .......................................................................... 78
3.2.6 Projekttagebuch .............................................................................................. 78
3.2.7 Fragebogenerhebung...................................................................................... 78
3.2.8 Übersicht über das erhobene Material...........................................................80

3.3 Methoden der Datenaufarbeitung ............................................. 80
3.3.1 Grounded Theory............................................................................................80
3.3.2 Forschungswerkstatt ...................................................................................... 81
3.3.3 Strukturelle Beschreibung.............................................................................. 81
3.4 Zwischenergebnisse und Ausblick..............................................81
3.4.1 Hauptcodes der bisherigen Analysearbeit ..................................................... 81
3.4.2 Schatzkammer Datenmaterial........................................................................ 82
3.4.3 Zwischenergebnisse der Fragebogenerhebung.............................................. 83
3.4.4 Forschungsstrategie........................................................................................84
3.4.4.1 Disziplinäre Vielfalt als Schlüssel zum Material............................................84
3.4.4.2 Multiperspektivischer Blick und Triangulation der Methoden ....................84
3.4.4.3 Anpassung des Forschungsdesigns................................................................ 85
3.4.5 Ausblick auf geplante Veröffentlichungen.....................................................86
Anhang siehe beiliegende Mappe
• Verträge
• Veranstaltungen
• Veröffentlichungen
• Forschungsmaterialien
• Presseberichte, Auszeichnungen

1. Einleitung
Die Vorbereitungsphase von „’Woher wir kommen, wohin wir gehen’. Praxisforschungsprojekt
– Leben lernen“ erstreckte sich über die Schuljahre 2004/05 und 2005/06. In diesen
zwei Jahren finanzierten das Institut für Angewandte Kulturelle Bildung und die Pädagogische
Aktion / Spielen in der Stadt Vorstudien zur kulturpädagogischen Arbeit mit Schülern1 und die Erprobung wissenschaftlicher Untersuchungsinstrumente. Die beiden Projektleiter
akquirierten in der Aufbauphase weitere Fördermittel und suchten nach Partnern und Mitarbeitern
für die praktische und wissenschaftliche Arbeit.
Mit dem Schuljahr 2006/2007 konnte das zweijährige Pilotprojekt „’Woher wir kommen,
wohin wir gehen’. Praxisforschungsprojekt – Leben lernen“ vor allem durch die Unterstützung
der Stiftung Deutsche Jugendmarke an der Städtischen Willy-Brandt-Gesamtschule
und der Fritz-Lutz-Grundschule wie geplant in drei Projektgruppen starten. Die zweijährige
Zusammenarbeit im Vorfeld erschien als gute Grundlage für verbindliche und stabile Kooperationen.
Die geplante Arbeit Praxisforschungsprojekt lies komplexe und intensive Kooperationsprozesse
auf den Ebenen der künstlerischen und kulturpädagogischen Arbeit mit den Kinder
und Jugendlichen erwarten, wie sie das Gesamtkonzept (siehe Antrag vom 14. August 2006)
formuliert. Die Vorarbeiten in der Aufbauphase des Pilotprojekts haben sich als zwingend
notwendig, jedoch nicht als Garant für den Erfolg der Zusammenarbeit erwiesen.
Mit der „Hauptschule an der Perlacher Straße“ konnten wir eine weitere Partnerschule für
das Praxisforschungsprojekt gewinnen. Wie Kapitel 2.3 versucht zu zeigen, ist die Kooperation
mit dieser Schule beispielhaft und vor allem für die über das Praxisforschungsprojekt hinausweisende
perspektivisch ausgerichtete Arbeit von Bedeutung.
Der Zwischenbericht wird nach der Einleitung im zweiten Kapitel den Verlauf der Zusammenarbeit
mit den Partnerschulen und der Projektpraxis in den Projektlaboratorien wiedergeben.
Der Text bezieht sich auf die im Gesamtkonzept vorgegebenen Zielsetzungen und
versucht, praxisrelevante und für die weitere Untersuchung und Auswertung strukturierende
Erkenntnisse darzustellen.
1 Die Namen der beteiligten Personen sind in diesem Bericht und in den angefügten Materialien anonymisiert.
5

Im dritten Kapitel erläutern die Autoren die bisherige wissenschaftliche Untersuchung, ent-
wickelte und eingesetzte Forschungsmethoden und Erhebungsinstrumente, die Operationali-
sierung des Forschungsdesigns, den Stand der Datenerhebung und -auswertung sowie erste
Ergebnisse und die weitere Ausrichtung der Forschung.
Der gesondert beigelegte Anhang des Berichts dokumentiert und erläutert im gesamten Projektzeitraum
durchgeführte Veranstaltungen und Veröffentlichungen. Ausgearbeitete Verträge
mit den Partnerschulen, Beispiele für verwendete Forschungsmaterialien, Presseberichte
und Auszeichnungen ergänzen den Anhang.
Dem Zwischenbericht sind in einmaliger Ausfertigung DVD’s der Abschlussaufführungen
nach dem ersten Projektjahr an den Partnerschulen beigelegt.
6

2. Projektpraxis
In diesem Teil des Berichtes geht es um die Darstellung des Verlaufs der Kooperation mit den
Partnerschulen und der Projektpraxis in den drei unterschiedlichen Projektgruppen.
Um dem Anspruch der Durchdringung von Praxis und Reflexion genüge zu tun, erfolgen die
Darstellungen aus Sicht des jeweiligen Kursleiters. Daraus ergeben sich drei unterschiedliche
Darstellungsformen mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen, womit der Zielsetzung
entsprochen werden kann, möglichst die ganze Bandbreite und Komplexität der durchgeführten
Kooperationspraxis und kulturpädagogisch-künstlerischen Arbeit zu veranschaulichen,
ohne sich in den einzelnen Teilen zu wiederholen.
In diesem Sinne wird in der Beschreibung des Projektlabors an der Städtischen Willy-
Brandt-Gesamtschule ein Schwerpunkt auf der Darstellung theaterpädagogischer und dramaturgischer
Methoden sowie des Gruppenprozesses und individueller Entwicklungsprozesse
liegen.
In der Beschreibung des Projektlabors mit der Schulklasse an der Fritz-Lutz-Grundschule
wird ein Schwerpunkt auf die im Verlauf der Kooperation aufgetreten Möglichkeiten und
Schwierigkeiten sowie auf die exemplarische Darstellung von Möglichkeiten der Verknüpfung
von Unterricht und Projekt gelegt.
In der Darstellung der Arbeitsgemeinschaft Tanz und Theater werden in Form eines subjektiven
Erfahrungsberichtes anschaulich und nachvollziehbar die konkrete Projektarbeit und
Zusammenarbeit mit der begleitenden Lehrkraft sowie die Besonderheiten der AG als einem
freiwilligen Angebot im Schulkontext beschrieben.
Neben den jeweiligen Schwerpunktsetzungen werden die unterschiedlichen Aspekte der geplanten
Projektanordnungen und deren Umsetzungen erläutert. Dazu gehören die Beteiligung
von Schülern und Eltern in Form von Projektremien, die Themen- und Geschichtenentwicklung
aus den Lebens- und Interessenslagen der Kinder und Jugendlichen, die den
Kooperationsprozess begleitende Supervision, die Öffnung zu dritten Orten und die Abschlussaufführungen
als inhaltliches Ziel und Methode der kulturpädagogischen Arbeit.
Jeweils am Ende der Beschreibungen der beiden Partnerschulen wird eine Darstellung der
Gestaltung und Ausrichtung der Projektpraxis und der weiteren wissenschaftlichen Datenerhebung
und- Auswertung vorgenommen.
7

2.1 Projektlabor – Neigungskurs „Leben lernen“ an der
Städtischen Willy-Brandt-Gesamtschule (WBG)
Die Projektgruppe an der Städtischen Willy Brandt Gesamtschule startete am 11.10.2006.
Seit dem5.7.05 gab es bereits Planungsgespräche mit der Schulleitung. Es wurde mit der
Schule vereinbart, den Jahrgängen fünf bis neun die freiwillige Teilnahme an einem Theater-
/Tanz Projekt, das später den Titel: „Leben lernen“ erhielt, zu gewähren. Die Projektleiter
warben für das Projekt direkt bei den Schülern2 in denjenigen neun Klassen, deren Lehrkräfte
oder sozialpädagogische Tutoren sich am Projekt in Vorgesprächen am Anfang des Schuljahres
2006/07 interessiert zeigten.
Es fanden sich insgesamt 33 Schüler (Klasse 5a/ein Schüler, 6a/6, 6c/6, 6e/2, 7a/5, 7c/2,
8b/1, 8g/2, 9g/6) vorwiegend aus dem Hauptschulbereich zum Start des Projekts im Mehrzweckraum
der Schule mittwochs 15-16:30 Uhr. Der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund
im Kurs lag bei ca. 70 % und damit über dem Durchschnitt der Schule.
Die Schule bietet für den 6. und 7. Jahrgang ein verpflichtendes Kursangebot an. Im Schuljahr
2006/7 konnten die Schüler zu 15 Themen einen Neigungskurs auswählen, zum Beispiel:
Tischtennis, Kunst, Fotografie, Schwimmen, Kochen, Basteln, usw. Es war Bedingung der
Schule, das Theater-/Tanzprojekt in dieses Kurssystem zu integrieren.
Das bedeutete für die Projektgruppe, dass für die Schüler der 6. und 7. Klassen das Theater-
/Tanz-Angebot freiwillig ausgesucht und dann für das ganze Schuljahr verpflichtend war. Der
Kurs fand während ihrer Unterrichtszeit statt. Die Schüler der Jahrgangsstufen fünf sowie
acht und neun kamen freiwillig nach Unterrichtsschluss. Es konnte keine „Definition“ des
2 Zur besseren Lesbarkeit verwenden wir im Plural einheitlich die maskuline Schreibweise
8

Kurses gefunden werden. Das Theater-/Tanzprojekt ist kein schulischer Neigungskurs wie
die anderen und es ist kein rein freiwilliges Freizeitangebot an der Schule. Die Gruppe passt
nicht in die Schulstrukturlogik der Städtischen Willy-Brandt-Gesamtschule.
Das Projekt leiten der Dramaturg, Regisseur und Schauspieler Tom Biburger und die Tänzerin
und Tanzpädagogin Dorothee Janssen. Der Kurs wird sozialpädagogisch und schulpädagogisch
betreut und reflektiert von Andrea Oestreicher, Gundis Stalleicher und Stephaie
Kaindl.
Wie im Gesamtkonzept des „Praxisforschungsprojekt – Leben lernen“ beschrieben (siehe
Antrag vom 14. August 2006), ist der Kursleiter zugleich verantwortlich für die wissenschaftliche
Darstellung und für die praktische Durchführung.
2.1.1 Forschungsfragen
Bezeichnend für den Ansatz der Jugendhilfe und im Unterschied zur Schule, die einen Lehrplan
erfüllen muss, begegneten sich alle Teilnehmer ohne vorher festgelegtes Thema, Textvorlage
oder Choreografie. Ausgangspunkt der Arbeit sollten die Ideen, Träume und Erfahrungen
der Kinder und Jugendlichen sein. (Siehe Gesamtkonzept, Kapitel 1. Ausgangssituation,
2.2. Lebensweltbezug, im Anhang). Mit den eingesetzten ästhetischen Mitteln des Theater
und Tanzes ist es gelungen, ein Ensemble zu formieren, das im Probenprozess eine Geschichte
entwickelt hat, die zu einem Theater-/Tanzstück verdichtet und in öffentlichen Aufführungen
gezeigt wurde. (Siehe Materialen zur Aufführung von „Gang Dance – Hast Du
Feuer“ im Anhang). In der wissenschaftlichen Begleitung und Darstellung wird der Projektleiter
den Probenprozess anhand von exemplarischen Wendepunkten entlang der Forschungsfragen
untersuchen und beschreiben: Wie werden kulturpädagogische/künstlerische
Mittel eingesetzt, hier am Beispiel Theater, darin eingeschlossen der Tanz? Welche Chancen
für die einzelnen Schüler und für die Gruppe eröffnet Theaterarbeit? Wie wirken diese Mittel
zur Ausbildung von Schlüsselkompetenzen? Welche Entwicklungsschritte macht die sehr
heterogen zusammengesetzte Gruppe zur Gemeinschaft? Welche Entwicklungsschritte machen
einzelne Schüler? Welche Rolle spielen dabei die Anleiter? Wie entwickelt sich die Kooperation/Reflexion
von Künstlern/Kulturpädagogen, Lehrerinnen und Sozialpädagoginnen?
Wie gestaltet sich die Kooperation mit den übergeordneten Leitungsebenen der Schule und
Schulsozialarbeit? Wie wirkt das Projekt auf die Schule, Eltern, Schüler? Wie lässt sich eine
gelungene „lebendige Lernkultur“ beschreiben, die in Kooperationsprojekten in einem kulturpädagogisch
geprägten Ganztagsbetrieb zusammen mit der Schule hergestellt werden
sollte?
9

Im Laufe der Projektarbeit sowie der Materialsichtung und Bearbeitung an Auswertungsta-
gen und in den Forschungswerkstätten kristallisierten sich eine Reihe von Hauptkennzeichen
möglicher Bildungsprozesse heraus: Innere Beteiligung der Schüler an der Arbeit, Selbstges-
taltung der Proben, Körpererfahrung, darin eingeschlossen Ausdruck, Sprache und Bewegung,
Formen des Tätigseins, Produkt- und Prozessorientierung sowie Differenzerfahrungen
(Siehe: 3. Wissenschaftliche Untersuchung). Der Leiter des Neigungskurses an der städtischen
Willy-Brandt-Gesamtschule untersucht exemplarisch ausgewählte Schlüsselereignisse
und Entwicklungsprozesse in der Gruppe und bei Einzelnen. Gespiegelt an seinem künstlerisch-methodischen
Ansatz der Projektarbeit versucht er darzustellen, welche Chancen sich
für Kinder und Jugendliche eröffnen um in Lern- und Bildungsprozesse zu treten.
2.1.2 Methodischer Ansatz der Theater- und Tanzarbeit
Die Theaterarbeit im Neigungskurs: „Leben lernen“ an der städtischen Willy-Brandt-
Gesamtschule beruht auf den Ideen von Konstantin Sergejewitsch Stanislawski, dem Vater
aller Schauspieltheorie, der auf der Suche nach der wahrheitsgetreuen Darstellung des Lebens
in den Formen des Lebens war. Stanislawskis Methoden sind die Grundlagen der professionellen
Arbeit der staatlichen Schauspielschulen, in denen junge Menschen lernen, sich
andere Rollen/Charaktere anzueignen und zu reproduzieren.
Für die Arbeit mit Laien oder mit Kindern und Jugendlichen sind
diese Methoden übertragbar, wenn sie auf die Darstellung des
jungen Menschen in seiner realen Rolle im Leben abzielt. Schauspielarbeit
mit der Stanislawski-Methode kann Klischees, sichtbare
äußere Bilder – die „Performance“ – und die innere
Wunschvorstellung, wie man als Ideal gesehen werden möchte,
durchbrechen. Sie zielt auf wahrheitsgetreue Darstellung dessen,
was das Kind oder der Jugendliche im Innern fühlt und denkt,
wie er spricht und handelt.
Mit diesem methodischen Ansatz wurden die schauspielerischen und tänzerischen offenen
Probenprozesse angestoßen und mit den Schülern gearbeitet (siehe auch Gesamtkonzept,
Kapitel 3. Verschränkung von Praxis- und Untersuchungsmethodik).
In einer der ersten Schauspielübungen bekamen die Teilnehmer die Aufgabe, sich einen längeren
Satz auszudenken, der eine Situation, eine Erfahrung aus ihrem Leben beschreibt und
mit einem Gefühl verbunden ist. Es kamen Sätze zustande wie: „Mein Freund hat mich verlassen,
mir geht es beschissen“, „Meine Eltern nerven“, „Er hat mich schon wieder belogen,
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das kann doch nicht wahr sein“, „Ich liebe meinen Wellensittich“, „Ich hab schon wieder einen
Verweis bekommen, das ist voll ungerecht“. In einer zweiten Übungsphase kamen die
Schüler mit diesen Sätzen auf die Bühne. Sie sollten dabei auf sich achten, auf die Einheit von
Text (Inhalt), Emotion und Körper (Gang, Geste). Sobald das Gefühl stimmte, kam der Text
stimmig, oder er musste vom Schüler geändert werden.
Je tiefer die Emotion erlebt wird, der Text stimmt, umso stimmiger werden Bewegungen,
sofern sie nicht gehemmt werden, zum Beispiel aus Scham – viele Schüler stecken in Entwicklungsstufen
der Vorpubertät und Pubertät. Alle Ausdrucksformen zusammen ergeben
eine gelebte Rolle, die sehr authentisch sein kann und auf der Bühne reproduziert als künstlerische
Form große Kraft hat. Der Schüler spielt keine Rolle, die ihm fremd ist, denn es geht
nicht um professionellen Schauspielunterricht, sondern er spielt sich, d.h. eine Rolle von
sich, wie er sein könnte. Die Bühnensituation ermöglicht ein „als ob“. Der Schüler kann eine
Facette von sich zeigen, ohne seine Performance aufzugeben, die er sonst in seiner Rolle als
Schüler oder Cliquenmitglied spielt.
Für die Schüler eröffnen sich mit der Stanislawski-Methode
Chancen, in einen Reflexionsprozesse
über sich, den eigenen
Körper und seine Sprache einzusteigen und
mit sich zu experimentieren. Sie können die
Möglichkeit ergreifen, sich in einem kreativen
Prozess Sprach- und Bewegungsformen
anzueignen und zu gestalten.
Zudem können sie andere noch nicht gekannte Ausdrucksmöglichkeiten finden, ihre (Mutter-)
Sprache verwenden, die eigenen Ausdrucksformen selbst bewusst anwenden und am
Ende des Schuljahrs in einer Aufführung vor öffentlichem Publikum zeigen. Unter Umständen
entwickeln die Teilnehmer sogar Mut zur Hässlichkeit und geben sich der vermeintlichen
Lächerlichkeit Preis – wohlgemerkt immer in der schützenden Rolle: „Ich könnte realistischer
Weise so sein“.
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Wie diese künstlerische Arbeitsweise wirkt und auf welche Weise sich Chancen für die Kinder
und Jugendlichen in der beschriebenen Weise eröffneten, kann exemplarisch ein multiperspektivischer
Blick auf den Probenprozess und die Triangulation der Untersuchungsmethoden
zeigen (siehe 4.4 Forschungsstrategie und Gesamtkonzept: 3. Verschränkung von Praxisund
Untersuchungsmethodik).
Die Stanislawski-Methode zur wahrheitsgetreuen Darstellung des Lebens in den Formen des
Lebens kann auch auf den Gruppenprozess wirken und zur gemeinsamen Themen- und Geschichtenfindung
beitragen. In der Theaterarbeit mit der Gruppe geht es zunächst darum,
Themen aus dem gemeinsamen Ideen- und Erfahrungshorizont der Schüler zu generieren,
aus dem sozialen Umfeld: Eltern, Schule oder Clique.
Die Sätze, die Schüler ausgedacht hatten, wurden thematisch geordnet und die Protagonisten
in Gruppen zusammengefasst zu den Bereichen Familie, Freundschaft, Clique, Schule, Mobbing,
Gewalt. Sie hatten die Aufgabe, sich eine typische Szene auszudenken und auf der Bühne
zu improvisieren. Der Kursleiter fügte die von den Schülern erarbeiteten Szenen, Konflikte
und Themen nach und nach zu einer Geschichte, die den Lebensumständen der Schüler entsprach.
(siehe DVD Abschlussaufführung von „Gang Dance – Hast Du Feuer“). Die Profession
der Kulturpädagogik zeigt sich darin, die Schüler zum kreativen Handeln zu bringen und
aus dem was die Schüler entwickeln und zeigen, weitere szenische Formen und Möglichkeiten
der Darstellung zu schaffen. Das Sammelsurium von Ideen und Möglichkeiten, die entstanden
sind, zu einem Stück und einer Form der Darstellung zu bringen, die den künstlerischen
Erwartungen eines öffentlichen Publikums Rechnung trägt. Dieser Prozess verläuft nie
reibungslos. Das zielgerichtete Arbeiten auf eine Aufführung hin beansprucht Disziplin, Konzentration
und die Mühen der Wiederholung, des Lernens und des Wartens.
Es evoziert Differenzerfahrungen, aus denen Lernprozesse hervorgehen. Die gemeinsame
Arbeit am Stück und für die Aufführung „zwingt“ die Schüler sich oftmals unterzuordnen
oder Rollen und Positionen anzunehmen, szenische Darstellungsformen oder zum Beispiel
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Tänze auszuprobieren die ihnen zunächst „uncool“ vorkommen, aber durch das Ausprobie-
ren und die Einsicht, dass sie für das Stück wichtig sind, angenommen werden und Spaß be-
reiten.
Der Tanz ist die Körper betonende Form der Theaterarbeit. Wir haben konzeptionell beide
künstlerischen Mittel, die des Sprechens und die des Tanzens mit unterschiedlichem
Schwerpunkt in den zu untersuchenden drei Beispielgruppen etabliert. In der städtischen
Willy-Brandt-Gesamtschule gab es klar formulierte Vorlieben. Die einen wollten nur tanzen,
die anderen nur Szenen spielen und anderen war beides wichtig. Die Kursleiter haben versucht,
die Wünsche zu berücksichtigen und darauf gedrängt, beides auszuprobieren, was zu
erstaunlichen Ergebnissen führte.
Auffällig war das Verhalten der Jungs, die sich dem Tanzen gegenüber eher skeptisch äußerten
und dann umso engagierter einstiegen. Methodisch wurden die später aufgeführten Tänze
ähnlich der Stanislawski-Methode entwickelt. Als Einstieg, in Warm-up-Übungen und
einer ersten mit den Schülern entwickelten Choreografie griff die Anleiterin die Vorliebe der
Jugendlichen, den Hip-Hop, auf. Im Zuge der Geschichtenentwicklung brachte sie erarbeitete
Szenen zu den Themen „Cliquen-Konkurrenz“, „Kampf“, „Rauchen“ und „Unterricht“ in
tänzerische Formen, die für die Schüler zunächst ungewohnt waren. Ebenso neu war die dazu
entsprechende Musik. Im Zuge des Produktionsprozesses ist es analog zum szenischen Arbeiten
gelungen, aus den tänzerischen Differenzerfahrungen die Bereitschaft, für die Aufführung
Neues zu lernen, zu wecken. Ähnlich dem Arbeiten an einem Monolog mit der eigenen
sprachlichen Ausdrucksform für das Stück, hatte eine Schülerin den Mut, ihre ganz besondere
Rolle und Emotion im Stück mit einem Solotanz zu zeigen, zwei andere sangen im Duett
ein Lied.
13

2.1.3 Methodischer Ansatz der Dramaturgie
Der Darstellung des Lebens in den Formen des Lebens, wie Stanislawski fordert, sollte auch
die Dramaturgie Rechnung tragen. Ein Thema der gefunden Geschichte bezog sich auf das
Leben in der Schule, die Auseinandersetzung mit den Lehrkräften und Sanktionen bei Fehlverhalten,
zum Beispiel Rauchen. So lag es nah, als Ort der Aufführung die Schule selbst zu
wählen. Die Aula wurde der Aufführungsort, nicht nur weil die Inszenierung als Schulveranstaltung
galt, sondern weil zum methodischen Ansatz die Dramaturgie des Ortes, hier die der
Schule, gehört. Der Anspruch einer ganzheitlich orientierten Arbeit setzt nicht nur Kunst und
Pädagogik in Beziehung, sondern versucht, mit verschiedenen künstlerischen Mitteln die
Erfahrungs- und Erlebniswelten der Kinder und Jugendlichen in die Aufführung zu integrieren
und zueinander in Beziehung zu setzen. Die realen Orte der Handlung waren die Schulaula
als Kommunikationszentrum der Schüler und ihrer Cliquen, zwei verschiedene Schulklassen,
das Direktorat und das Elternhaus eines Schülers (Wohnzimmer, Küche, Kinderzimmer).
Einige Stückszenen wurden an den authentischen Orten gespielt und mit der Kamera
abgefilmt. Die Filmszenen wurden in das Stück als sechs mal acht Meter Projektion und
damit als Teil des Bühnenbildes und des szenischen Ablaufs der Geschichte an die Schulwand
geworfen. Szenen mit dem authentischen Direktor, Unterrichtszenen mit einer 6. und einer
9. realen Schulklasse und ihren Klassleiterinnen, die viele Kursteilnehmer tatsächlich besuchten,
sowie Szenen mit Eltern und Geschwistern zu Hause bei einem der Schüler (Siehe
Gesamtkonzept, Kapitel 2.8 Einbezug dritter Orte).
Theater als universelles Medium kann viele andere Künste integrieren. Die Pädagogen nahmen
Kontakt zu Neigungskursen auf, die parallel stattfanden. Bei Probenbesuchen fanden
die Schüler aus den Neigungskursen Kunst und Fotografie Zugang zur Stückgeschichte und
entwickelten in ihren Kursen bemalte Dias und Fotografien zur Aufführung, die ebenfalls zu
bestimmten Szenen als Bühnenbild an die Wand projeziert wurden. Zur ganzheitlichen Dramaturgie
gehört auch die technische Umsetzung des Stücks. Bei der technischen Einrichtung
geht es nicht nur darum, zu bestimmten Zeiten Scheinwerfer aus- oder abzuschalten und
Musik einzuspielen. In einer professionellen Aufführung haben Bild, Ton und Licht einen
14

genau geprobten Ablauf. Es braucht viel Gefühl, Konzentration und Einfühlungsvermögen,
die Technik poetisch „mitspielen“ zu lassen, Musik den Tanzszenen angepasst zu regeln,
Lichtstimmungen gefühlvoll in die Szene zu „fahren“, mit dem Verfolger mit zu spielen oder
Projektionen punktgenau zu platzieren. In der Endprobenphase konnte durch Vermittlung
der Pädagogen ein Technikteam aus vier weiteren Schülern der 6. und 7. Klassen gebildet
werden, das den kompletten Ablauf des Stückes selbstständig künstlerisch steuerte.
2.1.4 Tendenzen der Auswertung
Zur exemplarischen qualitativen Auswertung und Darstellung des erhobenen Materials (Siehe:
3. Wissenschaftliche Untersuchung) entlang der Fragestellungen und der eingesetzten
kulturpädagogischen Mittel und Methoden zeichnen sich nach Ablauf des ersten Projektjahres
eine Reihe von Möglichkeiten ab. Auf den Prozessebenen der Gruppe, einzelner Schüler,
der Kooperation mit der Schulleitung sowie der Zusammenarbeit mit den beteiligten Pädagoginnen.
2.1.4.1. Gruppenprozess
Wie sich der Gruppenprozess entwickelte, spiegelte sich an der Wandlung des „Energiekreises“
zum „Krumping-Kreis“, der als ein Höhepunkt der Aufführung das Ende des Stücks
formte.
Der Energiekreis ist eine Basisübung der Theaterarbeit und wird in variierten Formen auch
von professionellen Schauspielern vor dem Auftritt zum „Eingrooven“ in die Rolle praktiziert.
Bei der Grundübung am Anfang jeder Kurseinheit in der Willy-Brandt-Gesamtschule standen
die Schüler im Kreis und fingen an, im gleichen Rhythmus zu hüpfen. Die Assoziation zu
Sport ist sofort vorhanden und wurde auch von den Schülern so geäußert. Tanzen ist laut
Lehrplan dem Sport zugeordnet. Alles, was mit Bewegung in der Schule zu tun hat. Wenn die
Übung in der Turnhalle stattfindet, wie in der Fritz-Lutz-Grundschule, ist die assoziative
Verbindung zu Sport noch stärker.
Es kommt beim Energiekreis nicht auf möglichst große und kraftvolle Sprünge an, was viele
denken, weil sie vermeintlich sportliche Übungen machen und Sport mit Leistung: höher,
schneller, weiter, verbinden. Ziel ist, ein Gruppengefühl zu entwickeln. Nur wer sich auf sich
und gleichzeitig auf die Partner konzentriert und wenn alle das gleichzeitig tun, entsteht ein
gemeinsamer Rhythmus der Bewegung, des Atems und des „Wir“- Gefühls. Die Konzentration
auf die Übung lenkt ab von den Geschehnissen, die vorher passiert sind, dem Streit mit
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dem Mitschüler, der Lehrkraft, den Gedanken an Hausaufgaben, den nächsten Prüfungen.
Zusammen mit der körperlichen Anstrengung kommen die Schüler auf eine gemeinsame
„Betriebstemperatur“, die angenehm erscheint, wenn die Bewegung ökonomisch ist und zum
eigenen Körpergefühl passt. Mit beiden Beinen hüpfen, abwechselnd von einem Bein auf das
andere wechseln, nur mit den Fersen wippen, es gibt viele Variationen, die unangestrengt,
fast entspannend wirken.
Ist der gemeinsame Rhythmus gefunden, geht ein Schüler freiwillig in die Mitte des Kreises
und bestimmt mit seinem Rhythmus den der ganzen Gruppe, die sich auf ihn einlässt. Der
Schüler in der Mitte schaut jeden einzelnen der Reihe nach in die Augen, stellt sich hüpfend
vor ihn hin und holt sich über diesen Kontakt Aufmerksamkeit, Kraft und Energie. Das
klappt nur mit Konzentration und ist vor allem davon abhängig, ob der Partner bereit ist,
Kraft und Energie abzugeben. Wenn die Runde abgeschlossen ist, kehrt der Schüler in die
Mitte zurück und entlädt sich mit einer stimmlichen Artikulation und einer Bewegung dazu.
Diese Entladung imitieren alle anderen. Immer im Wechsel und im gemeinsamen Rhythmus.
Der Schüler in der Mitte gibt die Szene vor, die anderen machen sie nach. Ohne Pausen dazwischen,
den Kopf möglichst ausgeschaltet. Töne und Bewegungen sollen spontan und ungehemmt
aus dem Augenblick heraus Gestalt annehmen. Jeder, der möchte kann in die Mitte
gehen. Der Energiekreis ist auf ungefähr 10-15 Minuten begrenzt.
Der Energiekreis hilft, Abstand vom Alltag zu bekommen, eigene Grenzen wahrzunehmen
und zu erweitern, sich zu zeigen, dadurch gegenseitig Vertrauen aufzubauen und ein Gemeinschaftsgefühl
herzustellen. Die Übung zielt nach innen für jeden Einzelnen, sich zu erkennen
und zu stärken sowie nach außen die gemeinsame Kraft und ein gutes Gefühl, den „Ensemblegeist“,
zu entwickeln. Beides hilft, selbstbewusst eine Inszenierung auf die Bühne zu
bringen.
Der Energiekreis war in der beschriebenen Form und vielen ausgeklügelten Varianten an der
Willy-Brandt-Gesamtschule nicht erfolgreich. Es haben sich kaum Schüler wirklich ernsthaft
beteiligt, fast nur Erwachsene, es war kaum oder gar keine Entwicklung erkennbar. Viele
Schüler kamen mit Vorsatz zu spät, damit sie nicht am Energiekreis teilnehmen mussten.
Nach drei Monaten haben diejenigen, die den Energiekreis gut fanden, sechs Erwachsene
und sechs Schüler, die Übung den anderen vorgemacht. Dabei hat der Energiekreis zum ersten
Mal wirklich funktioniert. Die Vorführung hatte aber auf die Zuschauer keinen sichtbaren
Eindruck hinterlassen. Das zeigte auch, dass die Übung nur durch eigenes Erleben und nicht
als Inszenierung für andere funktioniert.
16

Der Energiekreis kann nur klappen, wenn sich das gemeinsame positive Erleben der Stärke
und des Gemeinschaftsgefühls herstellt. Als Alternative wählten wir zum gemeinsamen Einstieg
und Vorbereitung der Arbeit ein tänzerisches Warm-up. Der Spaß und die Beteiligung
waren groß, vor allem weil die Musik, die der Übung zu Grunde liegt, den Schülerinnen gefällt.
Das gemeinsame Warm-up erfüllte einen Teil des Energiekreises, die Wirkung nach
außen. Die produktive, spontan-kreative Gestaltung des eigenen Erlebens fehlte. Das war
schade und vorläufig aus genannten Gründen nicht zu ändern.
Bei unseren Recherchen für die Proben der
Schussszene: V. gibt mit einem Solotanz
der gedemütigten A. Kraft und Energie,
entdeckten wir als Anschauungsmaterial
den Film „Rize“. V. kannte den Film. Ihr
gefallen besonders die Filmmusik und die
gezeigten Tänze des amerikanischen Dokumentarfilms.
Wir zeigten Ausschnitte
und schlugen vor, die neuen Tanzformen,
das „Krumping“, in die Schlussszene einzubauen.
Das fand bei den Schülern breiten
Zuspruch. Beim „Krumping“ tanzt ein
Tänzer ein Solo zu einer Form vom Hip-
Hop Muisk mit sehr schnellen, oft aus der
Hüfte heraus zuckenden Bewegungen, dem
Anschein nach aggressiv. Er provoziert
dabei die Umstehenden, die einzeln oder
zu zweit in den Tanz ein- und wieder aussteigen,
andere ablösen. Die Probe mit den
Schülern gestaltete sich als schwierig.
Der Gruppe gefiel die Musik, aber die Scheu, sich individuell spontan in der beschriebenen
Weise zu bewegen, fiel allen schwer. Wir versuchten es zunächst in der Anordnung wie beim
Energiekreis, was nicht gut funktionierte. Vielleicht war auch die Nähe zu der ungeliebten
Übung zu groß. Dann ergriff der Schüler S. die Initiative und tanzte vor. Die Ernsthaftigkeit,
mit der er sich bewegte, wirkte so ansteckend, dass nach und nach alle anderen einstiegen
und die Kursleiter beschlossen, statt Warm-up das Krumping an Stelle des Energiekreises am
Anfang jeder Einheit zu tanzen. Krumping ersetzte nicht nur optimal den Energiekreis, er
17

wurde gleichzeitig zur Probe für die Schlussszene, in der alle Darsteller ihre Grenzen erwei-
terten und sich selbstbewusst in diesem Tanz zeigten (siehe DVD „Gang Dance – Hast Du
Feuer“ im Anhang).
Das Ziel, eine gemeinsame Geschichte und eine öffentliche Aufführung zu erarbeiten hat sich
ebenfalls als sehr wirksame Methode zur Herstellung einer Gruppe, eines Ensembles, erwiesen
(siehe auch Gesamtkonzept, Kapitel 2.7). Die Heterogenität der Gruppe, Schüler mit einer
Altersspanne von 12-18 Jahren, aus unterschiedlichen Klassen, verschiedenen Cliquen,
noch dazu aus einem sozialen Brennpunkt, war lange Zeit dominant und erschwerte die Arbeit.
Besonders am Anfang fluktuierten die Teilnehmer stark, einige verließen den Kurs,
Streit war an der Tagesordnung. Der Aufwand zur Motivation war sehr groß und nahm ab, je
größer das Bewusstsein Raum griff, etwas Eigenes in der Gemeinschaft umsetzen zu können.
Das Begreifen des gesamten Stücks, der Geschichte und ihre zunehmende Identifikation mit
dem Ablauf bewirkte erst in den letzten zwei Wochen vor der Premiere ein sichtbares Ensemblegefühl
und Verhalten. Die Schüler probten in der letzten Woche freiwillig zusätzlich
zum Kurs dreimal vier volle Stunden. Und am letzten Wochenende vor der Premiere zweimal
6 Stunden, voller Geduld, während gleichzeitig Licht-, Ton-, und Bildtechnik für die Inszenierung
eingerichtet wurde. Die Konzentration war außergewöhnlich hoch, die Schüler halfen
sich gegenseitig, übten ohne Anleitung und fanden beim Proben neue Ideen und Texte. War
die Gruppe über eine weite Zeitspanne hin heterogen und in kleine Cliquen geteilt, die oft
fluktuierten und sich gegenseitig provozierten, so hatten bis zur Premiere alle gelernt, sich
gegenseitig zu respektieren und zusammen zu arbeiten.
2.1.4.2 Individuelle Prozesse, Fallbeispiele
Die Auswahl der Fallbeispiele erfolgte nach wissenschaftlichen Methoden und sollte ein möglichst
breites Spektrum von Charakteren und die Gruppe insgesamt abbilden (Siehe: 3. Wissenschaftliche
Untersuchung). Entsprechend verliefen die fühlbaren und sichtbaren Entwicklungsprozesse
bei den ausgewählten Schülern im ersten Jahr höchst unterschiedlich.
Mira, 9. Klasse, hatte bereits Bühnenerfahrung, tat sich aber sehr schwer mit der Konzentration
und ihrer Sprechfähigkeit, denn ihre Muttersprache ist nicht deutsch. Es brauchte große
Motivationskünste von Seiten ihrer Klassenlehrerin, die Teil der Projektteams ist, freiwillig
den Kurs zu besuchen, da das Proben mit viel Jüngeren als „uncool“ galt und die Theaterproben,
gerade was Textarbeit betraf, schwierig waren. Mi. war noch dazu stark von ihrer Freundin,
die später ausstieg, beeinflusst. Die Entwicklung der Tanzchoreografien ist ihr leicht gefallen.
Sie fungierte später als Vorbild für die Jüngeren, die sie sehr bewunderten. Diese Be-
18

wunderung genoss Mira auch sichtlich. Beim Tanzen konnte sie zeigen was sie kann, in der
Schule hatte sie Schwierigkeiten. Der qualifizierende Hauptschulabschluss, den sie ein Jahr
vorher nicht schaffte, stand im Mai 2007 abermals an – ihre letzte Chance, den Quali zu
schaffen. Sie hat den Kurs durchgehalten, ihren Abschluss geschafft und die Hauptsprechrolle
des Stücks mit einem langen Monolog gespielt. Der Weg dahin war schwierig, es gingen
intensive Einzelproben mit Textarbeit voraus. Als Vorschlag für ihre Rolle hat der Leiter einen
literarischen Text aus einem Jugendbuch ausgewählt und speziell für ihre Rolle umgeschrieben.
Bezeichnend für den Erfolg der Proben mit ihr war, dass sie nach und nach den
Text selbstständig umformulierte und so zu authentischeren Sätzen fand, die ihr leichter im
Mund lagen.
Eingestreute Bemerkungen in ihrer Muttersprache
haben ihr gut gefallen und ihr zusätzlich
Sicherheit gegeben. Das Gefühl, es immer besser
zu können, machte sie stark. Ob sie ihren Monolog
auf der Bühne schaffen würde, war im Vorfeld
sehr umstritten. Die Pädagogen haben es
nicht für möglich gehalten, dass Mira weiterhin
zu den Proben kommen würde, da nach den
Quali-Prüfungen die Schule keinerlei Einflussmöglichkeiten
mehr auf Mi. hatte. Ihr Ausstieg
hätte das ganze Stück gefährdet. Man musste ihr
einfach vertrauen.
Marga, 6. Klasse, war eine sehr schwierige Schülerin. Sie konnte sich nur wenige Sekunden
konzentrieren, stieg dauernd aus, verweigerte die Weiterarbeit, setzte sich demonstrativ an
den Rand, kommentierte von dort unablässig das Geschehen, lenkte andere Schüler ab oder
suchte sich immer eine „beste Freundin“, mit der zusammen sie provozierte. Oft kümmerte
sich einer der Pädagoginnen ausschließlich um sie. Es wurde oft in den Reflexionsrunden
nach dem Kurs diskutiert, ob Marga ausgeschlossen werden sollte, denn sie zog so viel Aufmerksamkeit
auf sich, was die Pädagogen als „auffällig“ einstuften. Die Sozialpädagogin
wusste um Ma. problematischen sozialen Hintergrund und hatte Schwierigkeiten, mit ihrer
Mutter zu kommunizieren. Gleichzeitig haben wir Marga als sehr konstruktive Interviewpartnerin
am Anfang und am Ende des ersten Projektjahres kennen gelernt. Sie hat bis zuletzt
keine erkennbaren Entwicklungsschritte in der Projektarbeit gemacht. Laut Pädagoginnen
hat sie an „Stabilität“ gewonnen. Ihr Engagement schwankte sehr, sie blieb oft mit Entschuldigungen
dem Kurs fern. Sie ist jedoch nicht ausgestiegen. Es muss auch nicht jeder am
Ende auf der Bühne stehen. Ma. hat gemerkt, dass sie immer weniger beim Tanzen mithalten
19

konnte. Bei den letzten beiden Probentagen hat sie gefehlt und dadurch die Premiere verpasst,
aus Gründen, die aus unserer Sicht nicht schwerwiegend waren verbrachte sie das Wochenende
anderweitig. Inwieweit ihre Mutter der Probenernst der letzten Tage bewusst war,
war schwer zu beurteilen. Am Tag nach der Premiere, am Nachmittag, stand die Aufführung
beim KinderKulturSommer in der Olympiaeissporthalle auf dem Programm. Ma. hatte die
Team-Pädagogen morgens in der Schule überzeugt, dass sie mitkommen darf, zum Missfallen
der Projektleiter, die bereits vor Ort waren und die Entscheidung nicht mitgetragen hatten.
Als Bedingung für die Teilnahme an der Aufführung wurde beschlossen, dass sie sich von
den Anderen noch mal die Tanzschritte zeigen lässt und vor dem Auftritt – es war noch ausreichend
Zeit – selbstständig übt. Das hat sie erstaunlicherweise getan und die Aufführung
mitgetanzt. Sie hatte keine Sprechrollen. Auffällig war, dass sie am Ende bei der Verabschiedung
aller in den Kreis trat und sich positiv äußerte. Es war insofern auffällig, weil sie sich
überhaupt in den Mittelpunkt stellte und alleine, ohne an einer besten Freundin zu klammern,
ernsthaft allen gegenüber das Wort ergriff.
Vera, 6. Klasse, ist ruhig und schüchtern, dabei ehrgeizig und auffällig diszipliniert. Ihr überdurchschnittliches
tänzerisches Können machte sie schnell zum „Tanzstar“. Vera wird von
vielen beneidet und muss sich oft gehässige Bemerkungen gefallen lassen, auch wegen ihrer
Hautfarbe. Man merkt, dass sie verbale Provokationen gewohnt ist. Manchmal wirkte sie gut
gelaunt und voller Tatendrang, manchmal bedrückt, ohne ersichtlichen Grund. Sie lebt, wie
der größte Teil der Schüler im Kurs, in schwierigen Familienverhältnissen, wirkt jedoch insgesamt
stabil. Ein Thema, das in der künstlerischen Arbeit virulent zum Vorschein kam, war
„Außenseiter“. Was ist ein Außenseiter wird Joe später im Stück fragen. Vera hat sich in dieser
Szene bei den Proben aus dem Zuschauerraum heraus spontan gemeldet und in der Rolle
einer Zuschauerin, die antwortet, ihre private Position beschrieben, später in der Aufführung
vor Publikum ihr Statement reproduziert und damit veröffentlicht. Dieses Selbstbewusstsein
hat sich während der Proben entwickelt. Der Kursleiter hatte vorgeschlagen, Vera die Rolle
der Außenseiterin spielen zu lassen, worauf Vera zunächst eingegangen ist. Im Laufe der
Proben, als die Außenseiterin gedemütigt und verprügelt wird, kommt Vera in Konflikt mit
ihrer Rolle, sie ging ihr offensichtlich zu nah. Sie vertraute zunächst nur ihrer Freundin Aki
an, dass sie die Rolle nicht mehr spielen möchte, später ihrer Klassenleiterin. Bei der letzten
Gelegenheit, die Rolle abzugeben, als alles bereit war für Filmaufnahmen im Klassenzimmer,
hat sie gegenüber dem Kursleiter vertreten, die Rolle mit ihrer Freundin Aki zu tauschen. Das
war sehr kurzfristig, aber eine Lösung wurde spontan gefunden: Aus der Außenseiterrolle
wegen einer fremden Hautfarbe wurde eine Außenseiterrolle aufgrund sehr guter Leistungen
in der Schule. Aki sollte ab jetzt eine Streberin spielen, die gemobbt und verprügelt wird. Vera
spielte die verständnisvolle beste Freundin, die sie auch wirklich ist. Aufgrund ihres Talentes
und ihres wachsenden Mutes wurde für Vera ein Solotanz entwickelt, den sie später im
20

Stück für ihre traurige Freundin Aki tanzt. Als Höhepunkt des Tanzes sollte Vera das Publi-
kum – die anderen Schüler, die „Öffentlichkeit“ – die für die Demütigung Aki’s verantwort-
lich war, beschimpfen und zur Rede stellen. Es war lange nicht klar, ob V. diese Schimpftira-
den emotional herstellen und spielen kann. In intensiven Schrei-, Schimpf- und Wutimprovi-
sationen mit ihr alleine oder zusammen mit ihrer Freundin Aki ist es gelungen, sie zu diesen
gespielten und direkt auf das Publikum gerichteten Ausbrüche zu bringen. Sie spricht dabei
in einer afrikanischen Stammes-Sprache, die niemand kennt, aber aufgrund einer sehr authentischen
Spielweise die Zuschauer verstehen (siehe auch DVD „Gang Dance – Hast Du
Feuer?).
Paul, 7. Klasse, ist sehr groß gewachsen, etwas übergewichtig und wirkt tollpatschig. Er, Joe
(5. Klasse) und John (8. Klasse) waren die drei Jungen, die über das ganze Schuljahr zusammengearbeitet
haben. Besonders Paul gab die Jungsclique im Kurs Halt. Er wurde von den
Mädchen gehänselt, wirkte eingeschüchtert und konnte sich gegen die Mädchengangs nicht
nachhaltig wehren. Beim Sätze finden und sprechen hat er sich lange Zeit nur banale Aussagen
über das Wetter ausgedacht. Aber mit großem Ernst gesprochen, hatten sie große Wirkung.
Sätze wie „es hat schon wieder geschneit“ (im Juni) verfehlten nicht ihre komische
Wirkung. Die schlummernde komische Gestaltungskraft, das Lausbubenhafte hat der Kursleiter
bei den drei Jungs aufgegriffen und in komödiantische Szenen in das Stück eingebaut.
Auffallend bei Paul war dann ein plötzliches „comming-out“, als er einige Wochen von der
Premiere seinen Satz geändert hat. In einem wütenden „Schau hoch, wenn ich mit Dir rede!“
ans Publikum gerichtet, kommt sein geballter Zorn auf diejenigen nieder, die ihn bis dahin
nicht ernst genug nahmen.
Außer den Fallbeispielen waren noch eine Reihe von Schülerinnen und Schülern auffällig, die
es im zweiten Jahr exemplarisch weiter zu beobachten gilt, um ihre Entwicklung zu untersuchen
und zu reflektieren. Aki wurde bereits erwähnt. Sie ist eine sehr talentierte Schauspiele-
21

in, die von Anfang an voll konzentriert und engagiert dabei war und keinen Kurstermin aus-
fallen ließ. Sie war tatsächlich als Streberin von vielen verpönt, ließ sich aber nicht beirren.
Aki hat auch klar geäußert, dass sie mit den geprobten Tänzen nicht so viel anfangen kann
und viel mehr schauspielern möchte. Diesem Wunsch wurde bestmöglich nachgegangen,
aber Aki war im ersten Jahr künstlerisch unterfordert. Der künstlerische Leiter müsste in
diesem Projektlaboratorium den Hochbegabten größere Entwicklungsschritte ermöglichen.
Eine außergewöhnliche Entwicklung machte Sido, 9. Klasse. Sido
kam erst später auf Motivation seiner Lehrerin, die zum Team
gehört, in den Kurs. Und nur weil zunächst sein Freund Torben
ebenfalls mitmachte. Als Torben wieder ausstieg, dachten wir
schon, Sido würde auch gehen. Aber gerade dadurch, dass er
nicht unter der „sozialen Kontrolle“ von Torben stand, fing Sido
Feuer. Zunächst fand er besonders das Tanzen ziemlich blöd und
uncool, bis er selbst Geschmack an der Bewegung fand und mit
seiner Klassenkameradin Mira mithalten wollte und konnte.
Bei den Schauspiel-Improvisationen wehrte er sich sehr affektiert. Er sollte eine Liebesszene
improvisieren. Es kostete viel Mühe, ihn überhaupt dazu zu bringen, seine Partnerin wenigsten
anzufassen.
Die pubertären Hürden schienen grenzenlos zu sein. Er wuchs mit den Proben über sich hinaus.
Bei manchen Proben unterstützte er erfolgreich die Anleiter, wenn sie bei einer schwierigen
Übung auf kein Verständnis stießen. Auch Sido kam nach dem Quali freiwillig zu den
Proben. Er ließ keinen einzigen Termin ausfallen und möchte Schauspieler werden. Die Familien-Filmszenen
fanden bei ihm zu Hause statt. Ohne dass er in diesen Szenen selbst mitspielt,
hat er seine Eltern dazu bewegen können. Sie spielen in dieser Filmszene Eltern mit
zwei Töchtern – zwei Mädchen aus dem Kurs.
Doro, 6. Klasse, war am Anfang ein großer Störfaktor. Sie wirkt älter als sie ist und war mit 12
Jahren offensichtlich bereits in der Pubertät. Die Arbeit mit ihr gestaltete sich als schwierig.
Sie agierte und kommunizierte fast nur mit ihrer Clique und war durch das Leitungsteam
kaum ansprechbar.
Als eine Leitfigur der Gruppe, die große Vorkenntnisse im Tanzen besaß, tanzte Elli, 17 Jahre
alt, in der ersten Reihe und führte die Formationen an. Elli war nicht mehr an der Schule
und kam freiwillig zum Kurs. Als sie ein Praktikum bekam, musste sie den Kurs aufgeben. An
ihre Stelle etablierte die Choreografin Doro, die nach anfänglicher Unsicherheit – es wären
22

weitere gleichwertig tanzende Schülerinnen wie Jenni für diese Aufgabe bereit gestanden –
in die Rolle der Leaderin hineinwuchs und sich aktiv an der Entwicklung der weiteren Arbeit
beteiligte. Wie sehr sie ihre Rolle verinnerlichte, zeigt ein Ereignis in der letzten Probenphase.
Die Choreografin war an einem Tag verhindert. Die Tänze klappten nicht, da auch die
einstudiere Musik fehlte. Das war frustrierend. In der Trinkpause suchte Doro geeignete Musik
und animierte zum weiteren Üben und Mittanzen. Fast alle an diesem Tanz beteiligten
Schüler brachen die Pause ab und übten eigenverantwortlich unter Führung von Doro. Das
Leitungsteam hat nicht eingegriffen, die Tanzprobe verlief sehr erfolgreich in Eigenregie der
Schüler.
Ähnliches ereignete sich bei der Probe der Kampfszene. Jenni, so wie Doro in der 6. Klasse
und mit ihr befreundet, war ähnlich laut wie Doro und störte mitunter durch ihren Überschwang
die Proben. Szenische Proben wie die Massenszene des Kampfes waren besonders
schwierig, da die Schüler die hohe Konzentration auf die Abfolge der Sätze und Handlungen
anfangs nur selten leisten konnten. Jenni merkte sich den Ablauf am genauesten und hat
zwei Monate vor der Premiere unaufgefordert angefangen, die Regie an der Szene mit zu
bestimmen. Ihre zunehmende innere Beteiligung wirkte sich sehr positiv auf die Konzentration
und Beteiligung der an der Kampfszene teilnehmenden Schüler aus.
Die beiden Beispiele belegen, wie oben beschriebene Methode eine Eigendynamik entwickeln
kann, die keine Anweisungen mehr braucht. Noch ein Beispiel dafür ist das Technikteam,
bestehend aus vier Jungs aus der 7.-8. Klasse, die erst in den Endprobentagen von der Sozialpädagogin
vermittelt, zur Gruppe stießen und zuletzt völlig selbständig die Tontechnik installierten
und bei der Premiere alle Musik-/Ton, Licht-, Bild/Filmeinspielungen mit Reglern
am Mischpult und über Computer gefühlvoll und Fehler frei steuerten.
23

Anhand ausgewählter Beispiele wird die Untersuchung und Darstellung der Prozesse versuchen
zu zeigen, wie durch Theater- und Tanzarbeit bei Schülern aus der Erfahrung und Emotion
innere Beteiligung sowie Gemeinschaft entsteht. Wie künstlerische Methoden gemeinsame
und individuelle Arbeit fördern und zu Leistungsbereitschaft führen. Wie Schüler neue
Aufgaben erfüllen und Lernschritte aus Differenzerfahrungen machen, wie Tätigkeit und soziale
Kommunikation Lernen bewirkt, wie aus der Sicht, Tatkraft und Kreativität der Lernenden
ein künstlerisches Werk und eine Aufführung entsteht und wie Vielfältigkeit des Lernzugangs
zu gerechteren Bildungschancen führen kann.
2.1.4.3 Kooperation mit der Schulleitung, Schulentwicklung
Die Leiter des Praxisforschungsprojekts fanden mit dem Schulleiter der Städtischen Willy-
Brandt-Gesamtschule einen aufgeschlossenen Pädagogen, der das Konzept sehr begrüßte
und das aus Sicht der Schule teure Praxisforschungsprojekt an seine Schule holte. Er bemühte
sich in den letzten Jahren erfolgreich um eine neue Profilbildung des Angebots seiner
Schule, mit der er höhere Bildungsschichten bei den Eltern erreichen wollte. Die Städtische
Willy-Brandt-Gesamtschule ist aufgrund ihres Einzugsgebiets mit vielen sozial schwachen
Familien und Kindern mit Migrationshintergrund in einer schwierigen Lage. Sie soll jeweils
ein Drittel Schüler für den Hauptschul-, Realschul- und Gymnasiumszweig aufnehmen, hat
jedoch ein starkes Übergewicht im Hauptschulbereich.
Es lag für die Schulleitung nahe, neben ihrem neuen Sportschwerpunkt nach weiteren Wegen,
etwa mit musisch-künstlerischer Zielrichtung, zu suchen. Der Schulleiter lud frühzeitig
die Projektleiter zu einem pädagogischen Fachtag an die Schule, um das Praxisforschungsprojekt
vorzustellen. Aus der Sicht des Projekts und der Logik des Gesamtkonzeptes entsprechend
wollten die Projektleiter mit dem „Praxisforschungsprojekt – Leben lernen“ einen Beitrag
zur gemeinsamen Schulentwicklung leisten. Die Vermittlung der Ziele am Fachtag gestaltete
sich als schwierig. Der Schulleiter hielt ein Plädoyer für das Projekt. Die beteiligten
Kolleginnen und Kollegen waren misstrauisch. Sie wollten lieber nach außen abgeschottet
über ihre internen Ideen diskutieren. Besonders die Kunstlehrerinnen reagierten sehr kritisch.
Bereits in dieser Phase, im Schuljahr vor Projektstart, in dem erste Vorstudien und
Erfahrungen mit einem Neigungskurs Tanz, mittwochs 15-16:30 h, gemacht wurden, zeichnete
sich bei Planungstreffen, Konferenzen oder Gremien wie dem Pädagogischen Tag ab, dass
sich der Großteil des Kollegiums und auch der Schulleitung wenig interessiert an einer gemeinsamen
Arbeit an der Schulentwicklung zeigten. Wie schwierig ein für die kulturpädagogische
Ganztagsbildung innovativer Kooperationsprozess der Kunst/Kultur und Jugendhilfe
mit Schule verbindet, in Bayern ist, war aufgrund der Erfahrungen an Tagungen und öffentli-
24

chen Diskussionsveranstaltungen bereits absehbar. Abgesehen davon war die Hoffnung groß,
in einer der beiden bayerischen Ganztagsschulen, mit dem Schulleiter im Rücken, mit einem
Modellprojekt zur Ganztagsbildung erfolgreich zu experimentieren.
Die Kooperationspartner erarbeiteten für die Schuljahre 2006/7 und 07/08 einen Kooperationsvertrag.
In langwierigen Verhandlungen mit Juristen des kommunalen Schulreferats unterschrieben
alle Parteien am 21. März 2007 die Vereinbarung (siehe Anlage: Kooperationsvertrag
mit der Schule) Die Ausarbeitung des Vertragswerkes war mit viel Arbeit und Feilschen
um Formulierungen verbunden. Die Mühen lohnten sich. Es wurde mit dem städtischen
Schulreferat ein Mustervertrag erarbeitet, der in der Gleichstellung von Kulturpädagogik
und ihrer Methoden und Ziele in Kooperation mit der Schule sehr weit geht und damit
überregional Modellcharakter besitzt. Das Gesamtkonzept des Praxisforschungsprojekts ist
Bestandteil des Vertrages. Die Projektleiter untersuchen, inwieweit es in den zwei Jahren
möglich ist, mit den neuen Formen der Projektarbeit für die Ganztagsbildung gemeinsam mit
der Schulleitung an einer Schule mit über 1000 Schülern nachhaltige Strategien und Perspektiven
zu entwickeln.
Die Kommunikation mit der fünfköpfigen Schulleitung gestaltete sich schwierig. Gemeinsame
Planungsgespräche kamen nur schleppend zustande. Das Kollegium erwies sich als nicht
informiert. Bemühungen des Schulleiters in kurzen Informationsterminen, etwa als Tagungsordnungspunkt
bei Konferenzen oder bei einem Termin nur mit dem Leitungsgremium
mehr Informationsfluss und Transparenz zu schaffen, bewiesen sein persönliches Engagement.
Das Interesse bei den Kollegen hielt sich deutlich in Grenzen. Der Gesprächfluss war
höchst einseitig oder drehte sich nur ums Geld und nicht um die Inhalte und Entwicklungsmöglichkeiten
für die Schüler oder der Schule. Es wurde im Laufe des Schuljahrs deutlich,
dass das Projekt kaum Akzeptanz in der Schule hatte. Als Argument brachten die Gesprächspartner
immer wieder, dass die Schule ein gutes Konzept habe, das zu ändern nicht notwendig
wäre. Sie klagten über die hohen Kosten, obwohl der Anteil der Schule vertraglich von
vorn herein bestimmt war und die 10.000,- € pro Schuljahr auf die Projektarbeitsstunden
der beiden Kulturpädagogen umgerechnet günstiger sind als entsprechende Vergütungen für
Lehrkräfte. Abgesehen davon hat die Projektkoordinatorin mit hartnäckigem Engagement im
ersten Schuljahr einen großen Teil der Gelder durch zusätzlich eingeworbene Fördermittel
für die Schule kompensiert. Als ein weiterer Grund für die Schwierigkeit der Zusammenarbeit
auf Schulleitungsebene galt die Größe der Schule mit über 1000 Schülern. Die Situation
der Kooperation erschwerend kam dazu, dass der Schulleiter nur noch ein Jahr an der Schule
war und ein Interims-Nachfolger die Belange der Schule verwaltet, bis ein neuer Leiter eingesetzt
wird, und das Projekt nicht primär in dessen Zielvorstellungen passt.
25

Die abschließenden Planungsgespräche am Ende des Schuljahres 2006/07 leiteten der Inte-
rimsschulleiter zusammen mit dem Leiter der Schulsozialarbeit. Sie formulierten unmissverständlich,
dass eine gemeinsame Schulentwicklung mit dem Projekt nicht möglich und auch
nicht gewünscht isei, dass die Belange der Ganztagsschule ausschließlich Sache der Schule
seien, und Projekte von außen sich den Gegebenheiten der Schule absolut unterordnen müssen.
Es wurde zugestanden, dass im neuen Schuljahr das Projekt sich für die 8. Klassen, die
kein reguläres Ganztagsangebot haben, öffnen könne, aber ohne speziell in den Klassen Werbung
dafür machen zu dürfen. Die Neigungskurse sind für die 6.-7. Klassen etabliert. Trotz
der viel weitergehenden heterogenen Altersmischung und experimentellen kulturpädagogischen
Konzeption, wird das Projekt eng als Neigungskurs und nicht als etwas Neues und Eigenständiges
definiert und wahrgenommen.
Die Schule strebt an, im neuen Schuljahr ein zusätzliches Angebot für die 8. Klassen an der
Schule einzuführen. Das bedeutet, ein Teil der Schüler hat am Mittwochnachmittag Unterricht,
der andere Teil Hausaufgabenbetreuung durch die Schulsozialarbeit. Hintergrund für
diese Maßnahme ist der schlechtere Notendurchschnitt dieses Jahrgangs im Vergleich mit
den anderen Münchener Schulen. Mit zusätzlichem Unterricht und Betreuung möchte die
Schule dagegen steuern. An kulturpädagogische Ansätze ist dabei nicht gedacht. Das Angebot
des Projektkurses gilt nur für dieses Schuljahr, da es vertraglich verankert ist. Für ein nachhaltiges
Angebot über den Projektzeitrum hinaus ist es nicht von der Schule angedacht.
Nicht gerade förderlich an einer gemeinsamen Entwicklung der Kooperation von Schule und
Jugendhilfe im Sinne einer gemeinsam getragenen Ganztagsbildung ist die Haltung des Leiters
der Schulsozialarbeit. Entgegen der bildungspolitischen Diskussion und Öffnung der
Jugendhilfe für kulturpädagogische Ganztagsbildung an Schulen, ordnet er die Arbeit der
Schulsozialarbeit ausschließlich den schulischen Belangen unter. Er investiert Sozialarbeit
hauptsächlich in Betreuungsmaßnahmen wie Hausaufgabenhilfe und definiert als Ziel, die
Noten der Schüler zu verbessern. Er behauptet, Kulturpädagogik sei nicht Teil der Jugendhilfe.
Das Schuljahr 2007/08 hat am 11. September begonnen. Die Interimsleitung hat den Schulleiter
abgelöst. Ohne dass ein erstes Planungsgespräch, wie am 25. Juli 2007 verabredet, bis
jetzt zustande kam, wurde von Seiten der Schulsozialarbeit das Stundenkontingent der dem
Projekt zugeordneten Sozialpädagogin und Projektkoordinatorin ohne Rücksprache gekürzt.
Wie das Projekt diesen Rückschlag verkraften kann und ob es im ausstehenden Gespräch,
das für den 11. Oktober geplant ist, zu weiteren Änderungen kommt, bleibt abzuwarten.
26

Zusammenfassend lässt sich erkennen, dass nach anfänglich großer Bereitschaft durch den
scheidenden Schulleiter und angesichts der ersten Erfolge der praktischen Vorstudien, sich
eine Perspektive zur Kooperation und für Ansätze einer gemeinsam getragenen kulturpädagogischen
Profilentwicklung der Schule abzeichnete. Im konkreten diskursiven Austausch
wurde schnell klar, dass die derzeitige Schulleitung diese Ziele nicht weiter verfolgt. Die Vorstellungen
der Schulleitung, was Sozialpädagogik von Kulturpädagogik unterscheidet, wo die
Gemeinsamkeiten liegen und wie sie in der Schule erfolgreich zum Tragen kommen könnten,
wird nicht differenziert formuliert. Wer als Nachfolger des abgelösten Schulleiters frühestens
im Schuljahr 2008/09 neu eingesetzt wird, ist nicht bekannt. Da das Schulreferat die Nachfolge
regelt, und die Weiterentwicklung der Städtischen Willy-Brandt-Gesamtschule im Fokus
der kommunalen Bildungspolitik steht, ist die Zukunft der kulturpädagogischen Ansätze
zur Zeit offen. Die Auswertung des Materials, Protokolle der Planungsgespräche, Interviews
mit den Experten, Nachbesprechungen mit den beteiligten Pädagogen, konzentriert sich auf
die Frage nach den entscheidenden Wendepunkten der Kooperationsentwicklung. Was war
einem gemeinsamen Kooperationsprozess exemplarisch förderlich oder hinderlich? Was sind
auf Kooperationsprozesse zwischen Schule und Kulturpädagogik übertragbare Erkenntnisse?
Die Ebene der konkreten Projektarbeit mit den Schülern zusammen mit den beteiligten
Schul- und Sozialpädagoginnen erscheint in einem gänzlich anderen Licht.
2.1.4.4 Kooperation mit den Schul- und Sozialpädagoginnen, Professionalisierung
Im Zuge der Kontakte aus der Projektarbeit im Schuljahr 2006/07 und der Vermittlung und
Kommunikation einzelner Pädagogen untereinander formierte sich das Projektteam für die
Arbeit mit zunächst 33 Schülerinnen und Schülern. Wünschenswert war, dass die beteiligten
Lehrkräfte und Sozialpädagoginnen möglichst engen Kontakt mit den teilnehmenden Schülern
als Lehrer oder Tutoren haben und mindestens eine Pädagogin während des Kurses anwesend
ist.
Dieser engen Anbindung an die Schüler und ihre Klassen lag die konzeptionelle Vorgabe
zugrunde, Inhalte und Ziele der Projektarbeit wenigstens ansatzweise in den Unterricht zu
tragen und zu beobachten, ob und wie sich der Kurs auf andere Schulklassen, Neigungskurse
oder die Schule insgesamt auswirkt (siehe auch Gesamtkonzept). Es entstand zum Beispiel
im Unterricht ein Text für einen Liebesbrief, der in die Inszenierung eingebaut wurde. Im
Englischunterricht einer 7. Klasse, in der einige Kursteilnehmer waren, hat die Lehrerin ein
27

Lied, das zwei Schülerinnen in der Aufführung sangen, ins Deutsche übersetzt. Andere Nei-
gungskurse kamen zu Besuch und ließen sich anregen, für bestimmte Szenen Bühnenbildpro-
jektionen mit bemalten Dias zu gestalten.
Das Team bestand neben den beiden kulturpädagogischen Leitern, aus jeweils einer Lehrerin
der 7. und 9. Hauptschulklasse sowie einer Sozialpädagogin, die als Tutorin und Leiterin eines
Zirkusprojekts an der Schule zu sehr vielen Kindern Kontakt hat. Im Zuge der Endproben,
der Bühnenbildgestaltung und Filmaufnahmen zur Inszenierung kam eine weitere Sozialpädagogin
dazu. Der Schulleiter spielte in einer Filmszene mit. Eine Lehrerin des Teams
spielte im Stück und in einem Filmausschnitt mit. Ihre Klasse spielte in einem weiteren
Filmausschnitt mit. Eine Lehrerin der 6. Klasse stellte sich für eine Filmszene mit ihrer Klasse
zur Verfügung (siehe auch DVD „Gang Dance – Hast Du Feuer?“).
Mitspielen und Mitmachen bei den Proben sowie intensive Reflexion und konstruktivkritische
Diskussion kennzeichnete die gesamte Arbeit im Team. Neben dem Gruppenprozess,
den Fallbeispielen, Auffälligkeiten einzelner Schüler oder anderen im Probenprozess
auftauchenden Problemen und Forschungsthemen (siehe Vorlagen zu den Protokollen) reflektierten
die Teammitglieder im Anschluss an die Projekteinheit ihre Rollen sowie Möglichkeiten
und Grenzen der unterschiedlichen Professionen. Es war für alle Beteiligten eine
neue experimentelle Situation. Gemeinsam wurde eine Bildungs- und Lernsituation geschaffen,
Lernkulturen etabliert, und jeder im Team konnte aus seiner speziellen Erfahrung und
Berufsausbildung zum Gelingen des Prozesses beitragen. Die kulturpädagogische Arbeit impliziert
immer wieder, eigene Rollen und Handlungstrategien zu hinterfragen, neue Erfahrungen
mit den Schülern und innerhalb des Teams zu würdigen sowie andere Sicht- und Handlungsweisen
kennen zu lernen. Die Intensität von kulturpädagogischer Arbeit, die nicht auf
Produktion und Reproduktion von vorgesetztem Wissen baut, sondern kreative, nicht vorhersehbare
Lernprozesse bei Schülern erwirken möchte, ist ohne Zusammenarbeit und der
Einsicht, selbst ein Lernender zu sein, nicht möglich.
28

Die Auswertung des Materials soll zeigen, wie Lehrende sich zu voneinander Lernenden entwickeln
und wie sie ihre neuen Rollen finden. In diesem Prozess fand eine Professionalisierung
statt, bei der die Künstler lernten pädagogisch sinnvoll mit einer großen Gruppe umzugehen
und soziale Hintergründe zu bedenken und für die Arbeit fruchtbar zu machen, die
Sozial- und Schulpädagogen lernten künstlerisch zu arbeiten und untereinander viel mehr als
im Schulalltag über die Schüler zu reflektieren sowie gemeinsame Strategien zu entwickeln.
Gemeinsam machten sie die Erfahrung, ohne Angst vor Statusverlust untereinander und Autoritätsverlust
gegenüber den Schülern agieren zu können, gerade weil sie vieles nicht wissen,
das auch zeigen und sich zu ihrer lernenden Rolle bekennen.
Gleichzeitig hat sich gezeigt, wie starr die Erwartungshaltung der Schüler und ihre Rolle als
Schüler blieb. Wie sie zunächst kaum zwischen den Künstlern und Lehrern unterschieden,
entsprechend provozieren wollten und Reibung suchten. Sehr schwierig war, dass Schüler
gewohnt sind, etwas vorgesetzt zu bekommen und kaum in der Lage sind, Eigenes spontan
auszuprobieren. Oft begriffen sie nicht, dass sie selbst die Geschichte, das Stück mitentwickeln.
Nur ganz vereinzelt und erst in den Endproben änderte sich punktuell das Verhältnis.
Dabei spielt der Ort, der Kurs findet in den Räumlichkeiten der Schule statt, die Zeit, 90 Minuten
in einer Woche können kaum verkrustete Haltungen ändern, und die Gewohnheit,
Erwachsene in der Schule sind Lehrer, eine große Rolle.
Die Auswertung des Materials wird versuchen zu zeigen, ob und wie über den gesamten Projektzeitrum
diese Haltungen sich bei Schülern, die im Fokus standen, durch die kulturpädagogische
Arbeit geändert hat.
29

2.1.5 Supervision
An acht Terminen fand über das Schuljahr verteilt Supervision für das gesamte Projektteam
statt. Am ersten Termin beschlossen die Teilnehmer, den scheidenden Schulleiter zu bitten,
ebenfalls teilzunehmen, da die Schwierigkeiten der Kommunikation zwischen Team und
Schulleitung sowie der Kooperationsprozess breiteren Raum einnehmen sollten. Die Gespräche,
die vertraulich waren und über die es keine Aufzeichnungen gibt, verliefen sehr konstruktiv.
Es zeigte sich, wie wichtig für das gegenseitige Verständnis so ein geschützter Raum
sein kann. Bei den Supervisionsterminen konnten die Teilnehmer ein Stück weit ihre Rollen
als Pädagogen, Schulleiter oder Anleiter aufbrechen und sehr offen persönliche Befindlichkeiten
und Kritik formulieren. Die Diskussionen drehten sich um den Umgang mit einzelnen
Schülern, die als sehr störend empfunden wurden, über das Selbstverständnis der unterschiedlichen
Professionen und Haltungen zur Arbeit der Künstler, Sozialpädagoginnen, Lehrerinnen
und der Schulleitung. Es ging um Lernprozesse im Ungang miteinander und Kommunikation
untereinander, Fragen nach der Autorität von Pädagogen und ihren Ängsten vor
Autoritätsverlust bei den Schülern, wenn sie wieder Unterricht halten, Stärken und Schwächen
der Anleitung durch die Kulturpädagogen, Formen der Reglementierung und Sanktionen,
Umgang mit Störungen sowie Möglichkeiten und Grenzen der Teamarbeit, Unter- und
Überforderung im Projektprozess und um Konflikte mit der Schulleitung. Die Offenheit und
Ehrlichkeit, die Pädagogen im Schulalltag nach eigenen Aussagen nie wagen können, hat sehr
zu Teambildung und gegenseitigem Verständnis und Auflösung von Problemen in der Arbeit
beigetragen. Auch der Schulleiter konnte zum besseren Verständnis der Belange und Zwänge
der Schule Auskunft geben und offen über die Möglichkeiten und Grenzen der Schule angesichts
ihrer personellen und strukturellen Situation und der niedrigen Akzeptanz sowie der
schwierigen Kommunikation über das Projekt im Kollegium sprechen.
2.1.6 Ausblick auf das zweite Projektjahr
Der Kurs findet mit den oben beschriebenen, von der Leitung der Schulsozialarbeit verfügten
Einschränkungen wie im ersten Jahr statt. Mit Ausnahme von P. haben sich alle Teilnehmer
des Vorjahres freiwillig wieder angemeldet, ohne dass die offizielle Neigungskurswahl durchgeführt
wurde. Dazu kommen weitere Schüler aus den 7. und 8. Klassen. Das Team wird
versuchen, fünf neue Kinder aus der 5. Jahrgangsstufe zu integrieren. Mi., die eine Friseurlehre
anfängt, möchte unbedingt wieder dabei sein und versucht am Mittwochnachmittag frei
zu bekommen und dafür an einem anderen Tag länger zu arbeiten. S., der an einem Weiterbildungskurs
der Agentur für Arbeit teilnimmt, versucht ebenfalls am Projekt teilzunehmen,
die Kursleiter werden mit seiner Lehrerin sprechen. Mit der Kontinuität und Nachhaltigkeit
30

ei den Schülern hat niemand gerechnet. Sie ist das beste Indiz für den erfolgreichen Pro-
jektverlauf auf den Ebenen der Schüler und des pädagogischen Teams. Zur Zeit sind 40
Schüler gemeldet. Wieviele Teilnehmer bleiben können, wird in den nächsten beiden Kursterminen
entschieden. Die Obergrenze der Machbarkeit in dem dafür zur Verfügung stehendem
Raum und angesichts der Heterogenität der Gruppe sowie der Stundenkürzung der Sozialpädagogin
liegt bei ca. 30 Teilnehmern.
2.1.6.1 Projektarbeit, Kooperation, Elternkontakt, Supervision
Der Kurs wird mit den oben beschriebenen Methoden fortgesetzt. Aufgrund der Erfahrung
des größten Teils der Schüler wird versucht, die künstlerische Arbeit zu intensivieren und die
Teilnehmer wieder zu einem Ensemble zu formen. Ein Grundthema, das sich in der ersten
Inszenierung bereits manifestierte, ist die multikulturelle Zusammensetzung der Gruppe. Es
waren viel mehr Kulturen und Nationalitäten im Kurs vertreten, als der bereits hohe Durchschnitt
der Schule. Kulturelle Identität, Migration, Konflikte zwischen den Kulturen und der
nach Aussage der Pädagogen oft problematische Umgang der Schule mit den unterschiedlichen
Kulturen könnte ein erster Ansatzpunkt der künstlerischen und pädagogischen Arbeit
sein, die alle am Prozess beteiligten Personen und ihre Profession fordern und fördern wird.
Dabei bauen die Kursleiter weiter auf die Stärken der Kinder auf, die sie im ersten Jahr kennen
gelernt haben. Es ist geplant, noch mehr die Eltern einzubeziehen und weiter das Kollegium
zu erreichen. Im ersten Projektjahr fanden drei Projektgremien statt, zu denen Eltern,
Schüler, Team und Schulleitung geladen waren. Es sollte in einem demokratischen Mitbestimmungsprozess
die Projektarbeit diskutiert, kommentiert und mitgestaltet werden. Dieses
Instrument hat sich an der Willy-Brandt-Gesamtschule aufgrund mangelnder Beteiligung als
wenig hilfreich erwiesen. Am Anfang des Schuljahres wird ein Elternabend organisiert, an
dem Ausschnitte aus „Gang Dance – Hast Du Feuer?“ gezeigt und ein informativer Ausblick
auf die Arbeit des zweiten Jahres mit allen geplanten Terminen gegeben wird. An Stelle von
Projektgremien finden im zweiten Jahr jeweils in der letzten Projekteinheit vor den fünf Ferienzeiten
offene Proben statt, zu denen Lehrkräfte, Eltern, Elternbeirat sowie Freundeskreis
der Schule geladen sind, mit anschließendem Frage- und Diskussionsangebot. Die Elternarbeit
ist konzeptionell verankert und verschafft Transparenz, Akzeptanz, Mitbestimmung und
Mitarbeit bei gemeinsamen Veranstaltungen, der Mitwirkung im Projekt, zum Beispiel in
Filmszenen zu Hause bei Schülern oder der Organisation von Aufführungen, Betreuung von
Schülern bei Ausflügen sowie Catering bei Premierenfeiern. Besonders wichtig ist der Kontakt
zu den Eltern für eine Bewusstseinsbildung über die Möglichkeiten von kulturpädagogi-
31

scher Ganztagsbildung. Es hat sich gezeigt, dass die Einschätzung der Projektarbeit als Berei-
cherung der Schule und des Unterrichts sowie ihre Erkenntnis über Lernprozesse ihrer Kin-
der bei vielen Eltern ausgeprägter ist als bei manchem Klassenlehrer.
Eine Lehrerin des ursprünglichen Teams ist in Mutterschutz gegangen, wird aber aus Interesse
und Engagement freiwillig weiter am Projekt mitarbeiten. Zudem stieg eine Lehrerin
der 7. Klasse ein, deren letztjährige 6. Klasse mit ihr zusammen in einer Filmszene mitwirkte
(siehe auch DVD „Gang Dance – Hast Du Feuer“). Inwieweit die Schulleitung entgegen ihrer
aktuellen Haltung mit dem Projekt eine längerfristige Perspektive verbinden wird, bleibt abzuwarten.
Es ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit einer gemeinsamen Weiterentwicklung zu
rechnen. Bei der Organisation und Durchführung der Proben, Endproben und Inszenierung
hat der mittlerweile abgelöste Schulleiter das Team sehr unterstützt. Ob diese Haltung der
Schulleitung auch das zweite Jahr bestimmt, ist offen. Den beiden Lehrkräften werden 45
Minuten Arbeitszeit pro Woche für die insgesamt vier Arbeitsstunden (zwei für Projektarbeit
und zwei für Vor- und Nachbereitung) angerechnet. Dazu kommen Elternarbeit, Öffentlichkeitsarbeit
und acht Termine à 90 Minuten Supervision. Die Sozialpädagogin als Verantwortliche
für den organisatorischen Ablauf des Neigungskurses, die Neigungskurse sind Veranstaltungen
der Schulsozialarbeit, hat neben der genannten Projektarbeit und den Zusatzterminen
noch die sehr zeitraubende Projektkoordination und Drittmittelbeschaffung geleistet.
Die Zeiten dafür wurden von insgesamt fünf Stunden pro Woche auf vier Stunden gekürzt,
obwohl der letzte Schulleiter die Kontinuität der Zeitkontingente zugesagt hatte.
Es gibt den Kooperationsvertrag, der jedoch nicht alle Details regeln kann. Inwieweit der
Kurs eine noch stärkere Eigendynamik entwickelt wie im ersten Jahr, jenseits der Unterstützung
oder mit Hilfe der Schulleitung, gilt es weiter zu beobachten und darzustellen.
Die Supervision wird mit sechs Terminen und bei Bedarf zwei weiteren Ersatzterminen fortgesetzt.
Aufgrund der geänderten Situation mit der Interims-Schulleitung wird die Supervision
ohne Schulleitung stattfinden und der Interimsschulleiter sowie der Leiter der Sozialarbeit
nur bei Bedarf eingeladen. Der Schwerpunkt der Supervision wird auf der konkreten
Projektarbeit liegen und auf Perspektiven und Strategien der Weiterführung des Kurses über
den Projektzeitraum hinaus.
2.1.6.2 Datenerhebung, Auswertung
Die Erhebung wird in vollem Umfang im zweiten Jahr fortgesetzt (siehe auch 2. wissenschaftliche
Untersuchung). Das weitere Material soll die Datenbasis verbreitern und zur
Fundierung und Absicherung der Erkenntnisse beitragen. Die Einzelfallstudien werden fortgesetzt.
Manche Schüler, bei denen sich Tendenzen der Weiterentwicklung abzeichneten, z.B.
32

S., wenn er dabei bleiben kann, rücken verstärkt in den Fokus. Die Datenerhebung und Aus-
wertung des zweijährigen Pilotprojekts wird versuchen, die Bedingungen einer gelungenen
Lernkultur und ihre Auswirkungen auf Bildungsprozesse zu formulieren und zu zeigen. Sie
kann Tendenzen aufzeigen und fundieren. Als weiteren Ausblick der Forschung könnten die
gewonnenen Erkenntnisse dazu beitragen, anhand der wissenschaftlichen Begleitung einer
modellhaften Entwicklung einer Schule, z. B. der Hauptschule Perlacher Straße (siehe 2.3)
oder der Willy-Brandt-Gesamtschule, übertragbare Voraussetzungen für eine gelungene kulturpädagogisch
fundierte mit den Belangen der Schule und der Sozialarbeit kooperierende
Ganztagsbildung zu untersuchen und darzustellen. Bei der Hauptschule sind die Ansätze und
die Bereitschaft vorhanden. Die städtische Willy-Brandt-Gesamtschule könnte modellhaft
untersucht werden, falls dort durch eine neue Schulleitung und einer intensiveren kulturpädagogischen
Profilbildung, eine Entwicklung zusammen mit dem „Praxisforschungsprojekt –
Leben lernen“ über dem Projektzeitraum hinaus möglich sein sollte. Die Auswertung und
Darstellung der Ergebnisse soll die Weiterentwicklung des Pilotprojekts befördern. Dafür
sind umfangreiche Drittmittel und mehrjährige Finanzierung durch Stadt, Land, Bund, den
Universitäten und Stiftungen sowie Sponsoring Voraussetzung.
33

2.2 Projektlabor – Tanz- und Theaterprojekte an der Fritz-
Lutz-Grundschule München (FLS)
2.2.1 Verlauf der Kooperation mit der Fritz-Lutz-Schule
Vorgeschichte
Die Grundschule an der Fritz-Lutz-Straße (FLS) in München ist seit ihrer Gründung im Jahr
1989 eine Schule mit musikalischem Schwerpunkt. Seit dem Schuljahr 2004/05 wird ver-
sucht, diesen Schwerpunkt zu erweiter: „Kulturelle Bildung“ wird in den Mittelpunkt der
Schulentwicklung gestellt.
Vor diesem Hintergrund begann die Zusammenarbeit mit der FLS im Dezember 2004 mit
einer Projektwoche „Kreativer Tanz“. „PA/ Spielen in der Stadt“ hatte dieses Angebot damals
gerade neu im Programm und warb damit an verschiedenen Schulen. Aufgrund dieser Werbung
kam es zu einem ersten Vorgespräch an der FLS, an dem die Rektorin, die Leiterin der
Klasse, in der das Projekt stattfinden sollte, vier Kinder dieser Klasse und drei Eltern teilnahmen.
Dieses erste Gespräch ist uns noch sehr positiv in Erinnerung, da wir es als sehr
ungewöhnlich empfanden, dass eine Schulleiterin gleich von Beginn an Kinder, Eltern und
Lehrer in den Entscheidungsprozess zu einem Projekt mit einbezieht. Es war ein konstruktives
Gespräch in entspannter Atmosphäre und am Ende war das Projekt beschlossene Sache.
Diese erste Projektwoche verlief so erfolgreich, dass wir gemeinsam mit der Klasse, der
Schulleiterin und den Eltern beschlossen, das Projekt im Rahmen einer wöchentlichen Zusammenarbeit
bis zum Schuljahresende fortzusetzen. Aus dieser kontinuierlichen Projektarbeit
entstanden mehrere öffentliche Auftritte, eine Radiosendung mit der Klasse bei „Radio
Feierwerk“, einem Münchner Bürgerradio, und die Idee, jedes Schuljahr mit allen drei dritten
Klassen der FLS eine Projektwoche durchzuführen. Insgesamt wurden an der FLS vor
Beginn des Praxisforschungsprojektes folgende Projekte durchgeführt:
34

Auftaktphase „Kulturelle Bildung: Kreativer Tanz“
Schuljahr 2004/05
• Dezember 2004: Projektwoche mit der Klasse 4a mit Aufführung
• Jan. – Juli 2005: Kontinuierliche Weiterarbeit mit der Klasse 4a, 13 x 2 Stunden, in-
tegriert in den Schulvormittag; abschließende Projekttage im Juli zur Vorbereitung
auf die Abschlussaufführung: „Im Banne des Zauberers“
• Frühjahr 2005: Vorstellung der Arbeit („work in progress“) auf dem 22. Theatertreffen
der Münchner Schulen in der „Pasinger Fabrik“ und auf der KS:MUC-Tagung im
Münchner Rathaus.
• Sommer 2005: Die Klasse 4a verwirklicht bei Radio Feierwerk eine einstündige Radiosendung
über die Tanz- und Theaterarbeit des voran gegangenen Jahres
Schuljahr 2005/06
• Oktober 2005: Projektwoche mit den Klassen 3a, 3b, 3c mit Aufführung
• Dezember 2005: Projektwoche mit den Klassen 4c, 4d mit Aufführung
• Oktober 2005 – Juli 2006: Kontinuierliche Weiterarbeit mit der Klasse 3b, 2 Stunden
pro Woche, integriert in den Schultag
• Oktober 2005 – Juli 2006: Arbeitsgemeinschaft „Tanz“ am Nachmittag, 2 Stunden/Woche
(freiwillige Gruppe, Kinder der 3. und 4. Klasse)
• März 2006: Auftritt von drei Gruppen auf dem 23. Theatertreffen der Münchner
Schulen in der „Pasinger Fabrik“ – Tanztheater-Extra mit den Stücken: „Der Fluch
über die Welt“, „Die Oma und ihr Hühnertraum“, „Der Zauberstock“
• Mai 2006: Projektwoche mit den Klassen 4a, 4b mit Aufführung
• Juli 2006: Großes Abschlussfestival mit Präsentation der Ergebnisse der sieben Projektklassen
(Schulaufführung; Tag der offenen Tür)
Schließlich mündete der kontinuierliche Ausbau der Projekte in den Beschluss, das „Praxisforschungsprojekt
– Leben lernen“ an und mit der FLS durchzuführen.
Der gemeinsame Preisgewinn beim bundesweiten Wettbewerb „Kinder zum Olymp!“ im Jahre
2006 (siehe Urkunde im Anhang) bestärkte den Beschluss auf beiden Seiten, mit dem Praxisforschungsprojekt
eine enge Zusammenarbeit für zwei Jahre einzugehen.
Kooperation in Wellenform
Wenn man versuchen würde, den bisherigen Verlauf der Zusammenarbeit mit der FLS seit
Beginn des Praxisforschungsprojektes mit einem Bild zu beschreiben, so könnte man dies am
ehesten mit dem Bild einer Welle tun: einer Welle mit Bergen und Tälern, einem ständigem
und kontinuierlichen Wechsel von Höhen und Tiefen, von Lichtblicken und Enttäuschungen,
von Entwicklungen und Rückschritten.
35

In der unmittelbaren Vorbereitungsphase und in der Anfangsphase des Praxisforschungsprojektes
war die Zusammenarbeit von gegenseitigem Wohlwollen und aufgrund der bereits
durchgeführten Projekte und erzielten Erfolge von einer Art Aufbruchsstimmung geprägt.
In den Vorgesprächen, an denen jeweils die Projektleiter, die Schulleiterin und die zukünftigen
Projekt-Lehrerinnen teilnahmen, überwogen deutlich die angenommenen Vorteile der
künftigen Zusammenarbeit: gemeinsamer Austausch über die Schüler, gemeinsamer Austausch
über pädagogische und methodische Fragestellungen, Verknüpfung der Projektarbeit
mit dem Unterricht, positive Auswirkungen auf das Schulklima, u. v. m.
Doch bereits in dieser Vorphase und auch in den vor Beginn des PFP durchgeführten Projekten
zeigte sich, dass der Teil des Lehrerkollegiums, der nicht direkt in das Projekt involviert
war, dem Projekt kritisch bis ablehnend gegenüberstand. Trotz später entwickelter Strategien,
das Kollegium mehr in die gemeinsame Arbeit einzubeziehen, ist es bis heute nicht gelungen,
breiteres Interesse oder gar Beteiligung auf Seiten des Lehrerkollegiums zu erreichen.
Vertragsverhandlung und Finanzierung
Der Kooperationsvertrag, der auf der Grundlage der in Vorbesprechungen von beiden Seiten
formulierten Erwartungen und Zielsetzungen erarbeitet wurde, konnte zügig und ohne nennenswerte
Auseinandersetzungen über inhaltliche Punkte zu einem Abschluss gebracht werden.
Lediglich die abschließende Klärung der Finanzierung war weit über den Start des Projektes
hinaus ein gewichtiger Streitpunkt und stellte eine Fortsetzung des Projekts an der FLS
zeitweise sogar in Frage. Der Anteil der FLS an den Kosten des PFP war für die Schule nur
schwer zu leisten und die mit dem Vorvertrag getroffene Zusicherung, den gesamten Betrag
innerhalb des Projektzeitraums zu erbringen, wurde von Seiten der Schule nach Beginn des
Projekts zurück genommen, eine Unterzeichnung des endgültigen Kooperationsvertrags
schien auf einmal in Frage gestellt.
Letztlich konnte nur das Entgegenkommen unsererseits, den Beitrag der FLS zu reduzieren
und die dabei entstehende Lücke selbst zu kompensieren, die Fortsetzung des Projektes an
der FLS sicherstellen. Die Aufnahme der Reduzierung des Anteils der FLS an den Projektkosten
in den Kooperationsvertrag machte eine Unterzeichnung schließlich möglich.
Fehlende Zielvorstellungen auf Schulseite
Ein weiterer Punkt, der die Zusammenarbeit mit der Schule erschwerte, trat im Verlauf des
Projektes immer deutlicher zu Tage: das Fehlen einer klar formulierten, in die Zukunft weisenden
Zielsetzung. Es fehlt an eigenen, die Schule nach außen öffnenden, konzeptionellen
Ideen.
36

Obwohl in den zahlreichen Gesprächen und vor allem im für die gemeinsame Arbeit grundlegenden
Kooperationsvertrag (siehe Anhang) viele konkrete Zielsetzungen formuliert sind
und damit von beiden Partnern getragen werden, zeigte sich, dass die Bereitschaft zur wirklichen
Veränderungen, die eine konkrete Umsetzung der Ziele zwangsläufig mit sich brächte,
fehlte.
Ungleichverhältnis von Schule und außerschulischen Partnern
Das Verhältnis zwischen Schule und uns als außerschulischen Partnern ist ein extrem ungleiches.
In der Schule gilt eine ganze klare Hierarchie: Schulleitung, Leitung der Schulsozialarbeit,
Lehrer, Soziapädagogen. Im Hintergrund: Schulreferat, Schulamt, Regierung und Kultusministerium,
Amtswege, äußerst wirksame hierarchische und formale Strukturen, Schulgesetzgebung
und Hoheitsrechte der Schule. Auf der anderen Seite: freie Träger, vertreten
durch Einzelpersonen, die in Personalunion künstlerisch-pädagogische Arbeit machen, Kooperationsverhandlungen
führen, Forschung betreiben. Im Hintergrund keine unterstützende
Jugendhilfestruktur. Zwar gibt es sie: Kinder- und Jugendhilfegesetz, AGJ, Bundesjugendkuratorium,
Sozialreferat, Jugendamt, aber nicht im Sinne einer bezogen auf die Kooperation
mit Schule wirksamen Struktur. Beispiel Kooperationsvertrag: Wir als freie Träger
verhandeln mit dem Schulreferat. Das Gegenüber zum Schulreferat sind aber nicht einzelne,
kleine Träger sondern das Sozialreferat. Auf dieser Seite nicht einmal Interesse an den letztlich
ausgehandelten Verträgen, die in Bayern zurzeit sicherlich Modellcharakter haben.
Probleme in der Kommunikation und gegenseitigen Information
Im Verlauf der sehr intensiven Zusammenarbeit, was sich in zahlreichen gemeinsamen Planungsgesprächen
ausdrückt, kam es immer wieder zu Missverständnissen und Schwierigkeiten
in der Kommunikation und gegenseitigen Information. Besondere Auswirkungen hatte
dies auf die Koordination von Terminen und die Belegung von Räumen. Hierbei kam es immer
wieder zu Beeinträchtigungen auf Grund mangelnder Vermittlung an die richtigen Stellen
in die Schule hinein.
Eine noch detailliertere gemeinsame Jahresplanung, in der die Termine der Schule und die
Projekttermine eingearbeitet werden, wird hoffentlich zu einem reibungsloseren und effektiveren
Verlauf der Zusammenarbeit beitragen.
Konkrete Veränderungen
Mit Beginn der zweiten Hälfte des ersten Projektjahres trat die Zusammenarbeit in eine Phase
der „wirklichen“ Erarbeitung gemeinsamer Vorstellungen und Strategien und damit auch
der konkreten Veränderungen.
37

Auslöser war ein Planungsgespräch zwischen Projektleitern und Schulleitung, in dem das
Problem der Einbeziehung des Lehrerkollegiums, das Wirken des Praxisforschungsprojektes
in die Schule hinein sowie gemeinsame Perspektiven über das PFP hinaus, bis hin zu der Idee,
die FLS gemeinsam zu einer offenen Ganztagsgrundschule auszubauen, diskutiert wurden.
Erste Folge dieses Gesprächs war es, die beteiligten Lehrkräfte und Kulturpädagoginnen in
die Planung der weiteren Strategie mit einzubeziehen. Es wurden gemeinsam viele interessante
Überlegungen angestellt, warum der Kontakt zur Schule und zum Kollegium so schwierig
sein könnte und konkrete Veränderungsideen entwickelt, die im Anschluss auch realisiert
wurden.
Zum einen wurde das Kollegium im Anschluss an die Zwischenaufführung zu einem informellen
Austausch über die Aufführung und das Projekt im Allgemeinen eingeladen.
Zum anderen wurde das Projekt auf die Tageordnung der beiden nächsten Lehrerkonferenzen
gesetzt und eine gemeinsame Planung begonnen, wie die Projektinteressen am besten in
den Konferenzen eingebracht werden könnten. Ebenso wurde beschlossen, das nächste Projektgremium
gemeinsam zu planen und vorzubereiten sowie die Aufgaben innerhalb des
Gremiums aufzuteilen.
Dies mag zunächst nicht sehr spektakulär klingen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch,
dass wir zu diesem Zeitpunkt eine Grenze überschritten hatten: die Schule war an dem
Scheidepunkt angelangt, eine Schwerpunktsetzung auf Kulturelle Bildung mit Nachdruck
und unter gemeinsame Planung in das Kollegium hineinzutragen und wir hatten gemeinsam
begonnen, konkrete Strategien zu entwickeln, wie Kollegium und Elternschaft von der Bedeutung
und Wichtigkeit Kultureller Bildung zu überzeugen sein könnten. Kurz: Wir standen
auf der Schwelle zu einer gemeinsamen Entwicklung, bei der die Schule uns als gleichberechtigten
Partner akzeptiert.
Der Status quo: Zurück auf Start
Um in dem anfänglich gewählten Bild der Welle zu bleiben, folgte auf die gemachten Fortschritte
in der Zusammenarbeit, die von allen Beteiligten als äußerst positiv und zukunftsweisend
empfunden wurde (es wurde konkret überlegt, wie das Kollegium für den Ausbau
zur offenen Ganztagsschule gewonnen werden könnte) überraschend eine Talphase, in der
die erzielten Schritte fast vollständig rückgängig gemacht wurden. Die gemeinsam entwickelten
und durchgeführten jährlichen Projektwochen mit den 3. Klassen wurden an eine Institution
vergeben, die billiger ist.
38

Die geplante zweite gemeinsame Lehrerkonferenz wurde abgesetzt, der Planungsprozess „offene
Ganztagsschule“ ausgesetzt, selbst an eine zeitliche Reduzierung der Nachmittags-AG im
zweiten Projektjahr wurde gedacht.
Die Analyse des Kooperationsprozesses wird nun zeigen müssen, welche Gründe zu dieser
Entwicklung geführt haben. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass genau an dem Punkt,
an dem „wirkliche“ Veränderung möglich geworden war, die Tür zugeschlagen wurde. Was
waren diese „wirklichen Möglichkeiten“ der Veränderung?
• Die Idee, die FLS gemeinsam Stück für Stück zu einer offenen Ganztagsgrundschule
auszubauen. Dazu sollte eine Abfrage der Bedarfslage bei der Elternschaft
und eine externe Evaluation durch das Bayerische Staatsinstitut für Schulqualität
und Bildungsforschung durchgeführt werden. Darüber hinaus sollte ein offener
Diskussionsprozess im Lehrerkollegium über die Einstellungen zur Möglichkeit
einer offenen Ganztagsschule angestoßen werden.
• Einrichtung einer Schulentwicklungsgruppe, deren Aufgabe es sein sollte, gemeinsam
ein erstes Grobkonzept für den Ausbau zur offenen Ganztagsgrundschule
zu erarbeiten.
Zum momentanen Zeitpunkt sind diese Veränderungsmöglichkeiten und eine weitere Zusammenarbeit
mit der FLS über das PFP hinaus in Richtung offener Ganztagsschule in weite
Ferne gerückt. Alles in allem jedoch war die bisherige Zusammenarbeit mit der FLS auf allen
Ebenen der Kooperation nicht nur erfahrungsreich sondern auch sehr lehrreich. In der nun
anschließenden systematischen Auswertung mit der Fokussierung auf die Frage, welche Vorbzw.
Nachteile für die Lern- und Bildungssituationen der Kinder sich aus der Zusammenarbeit
ergeben, gilt es, die gemachten Erfahrungen und Erkenntnisse allgemein für die Kooperation
von Schule und außerschulischen Partnern fruchtbar zu machen.
Im Folgenden werden einige Aspekte der Kooperation, die sich in der konkreten Zusammenarbeit
sowie aus den Nachbesprechungsprotokollen, Tagebucheinträgen und Interviewtranskripten
als wichtig erwiesen haben und in der Auswertung eine Rolle spielen werden,
stichpunkartig und exemplarisch dargestellt.
39

2.2.1.1 Aspekte, die die Kooperation mit der Schule fördern bzw. behindern
Informationsfluss
Die Information des gesamten Kollegiums und der Elternschaft über Abläufe, Inhalte, Sinn,
Ziele und Gestaltung der Zusammenarbeit ist wichtig und grundlegend für eine gelingende
Kooperation. Durch verstärkte Einbeziehung und Information des Kollegiums und der Eltern
können Vorurteile (Kooperation bedeutet Mehrarbeit, ungeregelte Abläufe, zusätzliche Anstrengung,
etc.) vermieden oder abgebaut werden.
Kontakt zum Lehrerkollegium und zum Elternbeirat
Neben der ausführlichen Information des Kollegiums ist der kontinuierliche Austausch mit
dem Kollegium und dem Lehrerkollegium entscheidend für eine gute Zusammenarbeit. Ein
gemeinsamer Schulentwicklungsprozess, der die Schule nach innen und außen für kulturellkünstlerische
Arbeit öffnet, ist ohne Information über den Mehrwert Kultureller Bildung,
ohne Einbeziehung in die Entwicklung von Ideen und Planung der konkreten Umsetzung,
nicht oder nur gegen enorme Widerstände möglich.
Kenntnisse über den Kooperationspartner
Fehlendes Wissen auf Seiten der Kooperationspartner über die Sachzwänge der Schule und
auf Seiten der Schule über die Strukturen der Jugendhilfe bzw. der kulturellen Kinder- und
Jugendarbeit führen zu Missverständnissen und können die Zusammenarbeit unnötig blockieren.
Gegenseitige Informations- und Fortbildungsveranstaltungen haben sich als unabdingbar
notwendig und hilfreich für den Kooperationsprozess erwiesen.
Transparenz
Fehlende Transparenz behindert den Kooperationsprozess. Ein Kollegium, das nicht hinreichend
Bescheid weiß und nicht die Möglichkeit der Mitgestaltung und Mitentscheidung hat,
entwickelt leicht das Gefühl, es würde ihm etwas von außen oder von oben aufgesetzt. Dies
kann verständlicher Weise zu Widerstand und Ablehnung führen.
Gemeinsame Zielsetzungen
Auch wenn es mittlerweile schon fast banal klingt, die Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe
braucht als entscheidende Gelingensbedingung gemeinsame Zielsetzungen. Die ist
sicherlich keine neue Erkenntnis und Bestandteil jeder Empfehlung, jedes Positionspapiers,
jeder Rahmenvereinbarung, jeder Veröffentlichung zum Thema. Was all diesen Texten jedoch
fehlt, ist die Übersetzung dieser Forderung in konkrete Handlungszusammenhänge.
Unsere Erfahrungen mit gemeinsam formulierten Zielsetzungen, selbst wenn sie Bestandteil
40

verbindlicher Vereinbarungen geworden sind, zeigen, dass beispielsweise mit gemeinsam
getragenen Zielen wie „Verbesserung der Lern- und Bildungssituation“ oder „Gleichberechtigung
der Partner“ noch nichts gewonnen ist, wenn diese Ziele nicht in konkrete Konzeptionen
übertragen werden.
Diese Notwendigkeit der Übertragung in konkrete Handlungszusammenhänge gilt für alle
Kriterien für eine gelingende Kooperation. Ziel der wissenschaftlichen Untersuchung der
Kooperation ist es daher, die Prozesse der Realisierung der allgemein anerkannten Kooperationskriterien
genau zu analysieren: Wie kommen eine Schule und Kooperationspartner der
Jugendhilfe zu einem gemeinsamen Bildungsverständnis? Welche Schwierigkeiten treten
dabei auf? Welche Anpassungen und Veränderungen sind dafür auf beiden Seiten nötig?
Welche Vor- und Nachteile erwachsen aus den gegebenen Kooperationsbedingungen für die
Lern- und Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen?
Zeitliche, finanzielle und personelle Ressourcen
Es hat sich erwiesen, dass die zeitlichen und personellen Ressourcen auf Seiten der Schule,
und da vor allem bei den beteiligten Lehrkräften, bereits ohne den zusätzlichen Arbeitsaufwandes
eines Kooperationsprojektes, ausgeschöpft sind. Die Planung und Durchführung der
Verknüpfung von Unterricht und Projekt und die Vor- und Nachbereitungen der gemeinsamen
Projektarbeit, sind, ganz zu schweigen von dem Aufwand für einen gemeinsamen Schulentwicklungsprozess,
sehr zeitintensiv. Ohne eine entsprechende Entlastung in anderen Bereichen
kann hohe Motivation und Bereitschaft zur Kooperation schnell in Überbelastung
und damit Frustration umschlagen. Es ist daher dringend nötig, dass auf Seiten der Schulbehörden
für Lehrer und Lehrerinnen, die in Kooperationskontexten tätig sind, Entlastung geschaffen
wird. Ebenso notwendig ist, dass auf Schulseite Gelder bereitgestellt werden, die
eine Schule in die Lage versetzt, überhaupt Kooperationen einzugehen. Drittmittelbeschaffung
war für die FLS (und unserer Erfahrung nach auch für andere Schulen) eine nahezu
unmögliche Angelegenheit, auch dafür fehlen personelle und zeitliche Ressourcen.
2.2.1.2 Supervision
Zur kontinuierlichen Begleitung der Zusammenarbeit wurde an der FLS eine Supervision für
das gesamte Team eingerichtet. Insgesamt wurden im ersten Projektjahr acht Supervisionstermine
unter der Leitung eines externen Supervisors durchgeführt. Teilgenommen haben
die Schulleiterin, die beiden begleitenden Lehrerinnen, die beiden Projektleiter des PFP sowie
die drei an der FLS tätigen Tanz- und Theaterpädagoginnen.
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Thematisch stand die Supervision an der FLS im ersten Projektjahr ganz im Zeichen der Kooperation.
Zu Beginn des Supervisionsprozesses standen Fragen nach der Bedeutung des
Praxisforschungsprojektes für die Schule (Schulleitung, Lehrerinnen) und für das kulturpädagogische
Team sowie den jeweiligen Zielsetzungen und Erwartungen. Die in Bedeutungszuweisungen,
Zielsetzungen und Erwartungen zu Tage tretenden Unterschiedlichkeiten waren
im Verlauf der Supervision immer wieder Anlass zu Reibung und Auseinandersetzung,
die im geschützten Rahmen der Supervision unter professioneller Anleitung konstruktiv und
für alle Beteiligten gewinnbringend zu diskutieren und teilweise auch zu lösen waren. Exemplarisch
seien hier einige Themen und Konflikte genannt, die im Rahmen der Supervision
auftauchten. Dabei ist anzumerken, dass die Themen hier lediglich benannt und nicht weiter
erläutert werden können, um den geschützten Raum der Supervision nicht zu verletzten.
• Probleme bei der Finanzierung
• Schwierigkeiten bei Absprachen, Kommunikation und Vermittlung von Informationen
• Möglichkeiten der Einbeziehung des Lehrerkollegiums und des Elternbeirats
• Konkrete Erarbeitung von geeigneten Kooperationsstrukturen und Verfahren der
Umsetzung
Obwohl die Möglichkeiten der gemeinsamen Entwicklung neuer Strukturen mit dem Ende
des ersten Projektjahres an die Grenzen des Machbaren gestoßen sind, lässt sich rückblickend
sagen, dass die Supervision ein sehr hilfreiches Instrument der Begleitung des Kooperationsprozesses
und der Lösung von Konflikten gewesen ist. Ohne eine Supervision wäre
die Arbeit an den Kooperationsstrukturen weitaus schwieriger gewesen.
2.2.2 Verlauf des Projekts mit der Klasse 3c
Auf Grund der Verschiebung des Projektstarts um ein Schuljahr wurde für die zweijährige
Projektarbeit eine andere als die ursprünglich geplante Klasse ausgewählt. Bedingung für die
Auswahl einer neuen Projektklasse war, dass eine Lehrerin gefunden wird, die sich auf eine
zweijährige intensive Zusammenarbeit mit einem Kulturpädagogen-Team und einer ebenso
langen wissenschaftlichen Begleituntersuchung (mit kontinuierlicher teilnehmender Beobachtung
und Videodokumentation) und den damit verbundenen Herausforderungen stellen
wollte. Nach einer Projektvorstellung in der Klasse und einem Informationsabend für die
Eltern stand die Projektklasse fest. Die Klasse 3c, die sich aus 26 Schülerinnen und Schülern
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(13 Mädchen und 13 Jungen) zusammensetzt, wurde mit Beginn des Schuljahres von der
Lehrerin Frau B. neu übernommen. So war für die Kinder, die Lehrerin und die beiden Kulturpädagogen
mit Schuljahresbeginn und dem Projektstart ein echter Neuanfang ohne Vorgeschichte
gegeben.
Projektwoche
Die Arbeit mit der Klasse 3c begann mit dem Start des Schuljahres 2006/ 2007 im Rahmen
der jährlich mit den dritten Klassen der FLS durchgeführten Projektwochen. Ziel dieser Projektwoche
war vor allem, sich gegenseitig kennen zu lernen und einen „Boden“ für die zweijährige
Zusammenarbeit zu bereiten.
Im Anschluss an die Projektwoche, die wie üblich mit einer gemeinsamen Abschlussaufführung
aller drei Klassen endete, ging die Projektarbeit nahtlos in die wöchentliche kontinuierliche
Tanz- und Theaterarbeit über. Dabei ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die bisher
für kontinuierliche Projektarbeit an der FLS zur Verfügung stehenden zwei Schulstunden
(statt zwei Sportstunden zwei Projektstunden ), nach langen gemeinsamen Planungsgesprächen,
auf drei Schulstunden (statt Sport, Musik und Deutsch jeweils eine Projektstunde)
aufgestockt werden konnten. Mit dieser Aufstockung des Stundenbudgets und der
Einpassung der Projektarbeit in den regulären Stundenplan am Vormittag ging eine
gemeinsame Erarbeitung von Möglichkeiten der Verknüpfung von Unterrichtsinhalten und
Projektarbeit einher. Die Ergebnisse wurden in einem ersten Elterninformationsabend von
der Projekt-Lehrerin den Eltern präsentiert.
Themen- und Geschichtenfindung
Mit den Mitteln des (kreativen) Tanzes und des Theaters ist es bereits in der anfänglichen
Projektwoche gelungen, gemeinsam mit den Kindern aus Improvisationen ein Thema zu
entwickeln, das aus den Interessenlagen der Kinder entstand. Das dieses Thema für die gesamte
Projektarbeit im ersten Projektjahr tragen würde, war in keiner Weise zu planen, jedoch
erwünscht und angepeilt.
Unabhängig voneinander tauchte zu Beginn der Projektarbeit in drei Arbeitsgruppen das
Thema Dschungel auf, aus dem schon in der Projektwoche eine kleine Tanz-Theater-
Geschichte entstand, in der eine Gruppe von Stadtkindern in den Dschungel kommt und auf
die dort lebenden Dschungelkinder und wilden Tiere trifft.
Erarbeitung grundlegender Techniken und Fertigkeiten in Tanz und Theater
Die Zeit nach der Zwischenaufführung stand vor allem unter dem Zeichen, die in der Projektwoche
begonnene Vermittlung von grundlegenden Tanz- und Theatertechniken (Körper,
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Raum, Antrieb, Krafteinsatz, Zeit, Improvisation, Exploration und Gestaltung, Impuls, Be-
ziehung, Wahrnehmung und Beobachtung, Präsenz, Haltung, Rhythmus, etc…) zu vertiefen
und den Kindern ein möglichst breites Bewegungs- und Ausdruckspertoire zu ermöglichen.
Dabei wurde gleichermaßen auf die Schulung von Fertigkeiten der eigenen Bewegungs- und
Ausdrucksentwicklung wie auf das Erlernen von Schrittfolgen und festgelegten Choreographien
wert gelegt. Alle Übungen waren dabei mit dem Thema und der weiteren Stückentwicklung
verknüpft, standen also nie für sich alleine und wurden nie nur aus Selbstzeck
durchgeführt.
Geschichtenentwicklung, Szenenplan und Choreographie
Aufbauend auf die Erweiterung der Bewegungs- und Ausdrucksmöglichkeiten fanden die
erlernten Gestaltungsmöglichkeiten, Techniken und Choreographien in der zentralen Phase
der gemeinsamen Arbeit Eingang in die Weiterentwicklung des Stückes und die Erarbeitung
des endgültigen Szenenaufbaus und der letztlich auf die Bühne zu bringenden Choreographie.
Dabei war neben dem Verfeinern bereits bestehender Tänze und Szenen durch Kürzen,
Wiederholen, neues Experimentieren und Zusammenstellen, vor allem die Erarbeitung neuer
Szenen und deren Verbindung mit den schon fertigen zu einer logischen und spannenden
Geschichte besonders wichtig. Zu diesem Zeck formierte sich eine eigene Gruppe, die in einem
längeren Brainstorming- und Aushandlungsprozess die Geschichte zu dem formte, was
am Schluss auf der Bühne zu sehen sein sollte.
Unsere Aufgabe war dabei vor allem, die Ideen der Kinder zu bündeln, Machbares von Unmöglichem
zu unterscheiden, auf Nachvollziehbarkeit und Spannung zu achten und vor allem
die Umsetzung der Ideen in Tanz und Theater zu strukturieren, zu inszenieren und zu
choreographieren.
Zwischenaufführung
Entscheidend für den Erfolg der Projektarbeit mit der Schulklasse war das Einbauen eines
Teilziels in Form einer Zwischenaufführung. Diese erste öffentliche Präsentation, zu der alle
Klassen der FLS sowie Familien und Freunde eingeladen waren, hat ganz entscheidend dazu
beigetragen, den langen Weg von den ersten Ideen im Oktober 2006 bis zur Abschlussaufführung
im Juli 2007 zu strukturieren. Die Zwischenaufführung war maßgebliche Motivation
für die darauf folgende Phase, in der vor allem auch Disziplin, Wiederholung, Anstrengung
und Ausdauer gefragt waren.
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Ausarbeitung, Verfeinerung, Wiederholung
Die letzten sechs Wochen waren sicherlich die schwierigsten und anspruchsvollsten des ganzen
Projektverlaufes. Einerseits verlangten diese Probenphase allen Beteiligten ein hohes
Maß an Ausdauer, Durchhaltevermögen und Disziplin ab. Andererseits haben die Kinder in
dieser Zeit sehr viel gelernt und erfahren, zumal das erfolgreiche Realisieren eines selbst erfundenen,
entwickelten und inszenierten Tanz-Theater-Stückes all dies erforderlich macht.
Notwendiger Weise geraten in dieser Phase spielerische Einheiten und Ausprobieren zu
Gunsten von Wiederholungen und Präzisierung von Bewegungsabläufen in den Hintergrund.
Abschlussaufführung
Das sich diese „Schwerstarbeit“ lohnt, wurde spätestens bei der Premiere der Abschlussaufführung,
zu der die Turnhalle der FLS zu einem kleinen Theater umgebaut wurde, für alle
spürbar. Nachdem am Morgen bereits kostümiert und mit Beleuchtung auf der richtigen
Bühne die Generalprobe stattgefunden hatte, kamen alle Kinder am Nachmittag zwei Stunden
vor Aufführungsbeginn in die Schule, um sich schminken zu lassen und die letzten Vorbereitungen
für den großen Auftritt zu treffen.
Nach knapp 40 Minuten – so lange dauerte am Ende das Stück, das in zehn Tanz- und Theaterszenen
die Geschichte eines in der Stadt lebenden Mädchens erzählt, das sich mit ihren
Freunden, durch eine Zeitmaschine in den Dschungel versetzt, auf die Suche nach ihrem
Großvater, dem verschollen Dschungelforscher begibt und dabei auf wilde Tiere, einen bösen
Geist und einen geheimnisvollen Adler trifft – bekamen die Kinder von den 200 Zuschauern
für ihre großartige Leistung tosenden Applaus.
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Im Rahmen des ersten Münchner KinderKulturSommers, einem großen Festival für Kinder
und Jugendliche mit Angeboten und Programmen aus dem gesamten Spektrum der kulturelle
Kinder- und Jugendarbeit, konnte das Stück ein weiteres Mal öffentlich vor vielen Zuschauern
erfolgreich aufgeführt werden.
2.2.2.1 Einbeziehung der Eltern und Familien
Im Lauf des Jahres hat sich über die durchgeführten Projektgremien, die Zwischenaufführung
und offenen Proben ein intensiver Kontakt zu einem großen Teil der Eltern entwickelt,
der eine vielfältige Einbeziehung möglich machte.
An erster Stelle sei hier erwähnt, dass für eine Rolle des Stücks, die des verschwundenen
Großvaters, ein „echter“ Großvater einer Schülerin gewonnen werden konnte. Nicht nur seine
Enkelin war darüber sehr glücklich und stolz, sondern auch die anderen Schüler der Klasse
genossen die Anwesenheit des Großvaters. Er hat uns und die Klasse über den Zeitraum von
fast einem halben Jahr bis zu den beiden Abschlussaufführungen begleitet und wurde zum
festen Mitglied des Ensembles. Am Ende stand er mit dem gleichen Leuchten in den Augen
wie die Kinder auf der Bühne und nahm seinen Applaus entgegen. Er erlebte, wie er uns be-
46

ichtete, die künstlerische Arbeit mit einer Schulklasse an einem Tanz- und Theaterstück als
eine große Herausforderung und bereichernde Erfahrung.
Diese Erfahrung zeigt, dass die „Welt da draußen“ in den Schulkontext „hereingeholt“ werden
kann, dass Schule und Lebenswelt keine getrennten Sphären sein müssen, sondern für
alle Beteiligten bereichernd verbunden werden können.
Zum zweiten sei erwähnt, dass sich viele Eltern als Kostüm- und Maskenbildnerinnen engagierten.
Sie entwarfen Kostüme für jede einzelne Rolle, bzw. jedes einzelne Kind. Es gab so
nicht einfach nur ein Kostüm für alle „wilden Tiere“, sondern einen „weißen Tiger“, einen
„kleinen Löwe“, einen „Adler“, . Es wurde Maß von allen Schülern genommen, Anproben
durchgeführt und bis ins Detail verbessert und geändert.
An den Aufführungstagen übernahmen Eltern unter der Anleitung einer von uns engagierten
Maskenbildnerin die schwierige Aufgabe, eine Gruppe von 40 Kindern (die Aufführungen der
Klasse und der Arbeitsgemeinschaft Tanz/ Theater fanden jeweils am gleichen Tag statt)
aufwendig zu schminken. Auf diese Weise wurde ein Teil der Eltern ebenfalls zu wichtigen
Mitgliedern der Gruppe, die so entscheidend zum Erfolg der Abschlussaufführungen
beitrugen.
Darüber hinaus halfen Eltern beim Bühnenauf- und abbau, gestalteten das Programmheft
zur Premiere (siehe Einlage der beiliegenden DVD), organisierten den Kartenverkauf und
den Einlass, und richteten eine Premierenfeier mit Buffet und Getränken aus.
2.2.2.2 Einbezug dritter Orte
Vor allem im Rahmen der Projektwochen, aber auch im Verlauf des Projektjahres, konnten in
einer benachbarten Kirchengemeinde zusätzliche Probenräume gefunden werden. Dort war
es möglich in sehr konzentrierter Atmosphäre zu proben, ohne durch schulische Rahmenbedingungen
wie z. B. 45-Minuten-Rhythmus oder festgelegte Pausenzeiten beeinträchtigt zu
werden. Darüber hinaus konnte ein Teil der Projektarbeit an einem für die Grundschüler
sehr ungewöhnlichen Ort stattfinden. In der gemeinsamen Geschichtenentwicklung entstand
die Idee, den Beginn und das Ende des Stückes als Filmszene zu gestalten. Die Dreharbeiten
für diese beiden Szenen fanden in der Lagerhalle von „PA/ Spielen in der Stadt“ statt.
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Auch die Aufführung des Stückes im Rahmen des KinderKulturSommers war für die Kinder
ein Ausflug zu einem anderen Ort, der mit besonderen Erlebnissen und Erfahrungen verknüpft
war. In der zum „Großspielraum“ umfunktionierten Eishalle des Münchner Olympiaparks
waren die Kinder vor ca. 200 Zuschauern die Stars auf einer 6x10 Meter großen Bühne.
Ein eigener Backstage-Bereich, in dem sich die Kinder umziehen konnten und geschminkt
wurden, stand zur Vorbereitung für den Auftritt zur Verfügung.
Die Leistung der Grundschüler ein komplexes Tanz-Theater-Stück, mit vielen Szenenwechseln,
das für eine Bühne mit vier Aufgängen konzipiert wurde, innerhalb einer einzigen 30minütigen
Stellprobe auf eine Bühne mit nur zwei Aufgängen zu übertragen, kann dabei
nicht hoch genug eingeschätzt werden. Generell ist die vollständige Selbstorganisation einer
26 Kinder starken Gruppe hinter und auf der Bühne eine Leistung der Einzelnen sowie der
Gruppe, über die man nur staunen kann und die eindrucksvoll zeigt, zu welchen Gedächtnisund
Koordinationsleistungen Kinder in diesem Alter fähig sind.
2.2.2.3 Projektgremium
Im ersten Projektjahr wurden an der FLS drei Projektgremien durchgeführt, mit denen das
Ziel der aktiven Mitgestaltung von Schülern und Eltern verfolgt wurde. An allen Treffen haben
jeweils mindestens zehn Kinder aus der Schulklasse und der Arbeitsgemeinschaft sowie
zehn Eltern teilgenommen, gemeinsam mit der Schulleiterin, den Projektlehrerinnen, Projektleitern
des PFP und den an der FLS tätigen Tanz- und Theaterpädagoginnen.
In diesen Projektgremien wurde über sehr unterschiedliche Dinge gesprochen, immer jedoch
angeregt durch die beteiligten Schüler und Schülerinnen und bezogen auf die konkrete Arbeit
mit den Kindern. Gemeinsam mit uns, Eltern und Lehrern planten die Kinder die Zwischenaufführung
und Premiere der Abschlussaufführung. Es wurde über das Verhältnis von Tanz
und Theater diskutiert und die Kinder berichteten den Eltern aus der Projektarbeit. Darüber
hinaus wurden Lösungen erarbeitet, wie mit dem Problem umgegangen werden könnte, dass
immer wieder einzelne Schüler die Probenarbeit störten. Es ging dabei auch um die Frage,
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wie sich die Konzentration aller Beteiligten erhöht werden könnte. Immer erwiesen sich die
Kinder dabei als sehr einfallsreich und kreativ.
Es hat sich gezeigt, dass die Kinder diese außergewöhnliche Situation, in der sie gleichberechtigt
mit Erwachsenen an einem Tisch sitzen und ihre Belange vertreten können, sehr
positiv aufgenommen und konstruktiv gestaltet haben.
Von unserer Seite aus ist es darüber hinaus jedoch erstrebenswert, den Rahmen der Beteiligungs-
und Gestaltungsmöglichkeiten über die Projektarbeit auf die Belange der Schule allgemein
auszuweiten. Dies hat sich jedoch als extrem schwierig erwiesen (siehe dazu auch
unter 2.2.4 Ausblick).
2.2.2.4 Verknüpfung von Unterricht und Projekt
Eines der mit dem Praxisforschungsprojekt verfolgten Ziele ist die Entwicklung von Modellen
zur Verknüpfung von Unterricht und Projekt, zur Verzahnung von Lehrplaninhalten und
Themen der Projektarbeit. Vor allem die kontinuierliche Zusammenarbeit und enge Anbindung
an eine Schulklasse und die intensive Zusammenarbeit mit der Klassenleiterin über
einen längeren Zeitraum bieten für eine gemeinsame Planung und Umsetzung der Verknüpfung
geeignete Rahmenbedingungen und Möglichkeiten.
Im Folgenden sollen kurz die unterschiedlichen Ebenen, auf denen eine Verknüpfung von
Unterricht und Projekt möglich ist und exemplarisch die Durchführung eines Verknüpfungsmoduls
dargestellt werden.
Ebenen der Verknüpfung
Pädagogik
Verständigung über ein gemeinsames pädagogisches Konzept
Verständigung über gemeinsame Ziele
Methoden
Fachlicher Austausch von Schul- und Kulturpädagogen
Aufgreifen von kulturpädagogischen Methoden im Unterricht und umgekehrt
Gemeinsame Entwicklung neuer Methoden
Inhalte
Aufgreifen von Inhalten und Themen des Projekts im Unterricht
Aufgreifen von Inhalten und Themen des Unterrichts im Projekt
Inhaltliche Verzahnung von Unterrichtsinhalten und Projektthemen
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Beispiel für die inhaltliche Verzahnung von Unterrichtsinhalten und Projekt-
themen
Exemplarisch für die unterschiedlichen Ansätze inhaltlicher Verzahnung soll hier ein Verknüpfungsmodul
dargestellt werden, das aus dem Projektprozess heraus (also ausgehend von
Themen und Bewegungsformen, die in der Projektarbeit entstanden sind) in den gemeinsamen
Nachbesprechungen entwickelt, geplant und reflektiert wurde.
Ablauf des Verknüpfungsmoduls
Ausgangssituation
Selbständige Erarbeitung eines Stückes
Arbeit an drei Schlüsselszenen (Tiere, Dschungelkinder, Stadtkinder)
Teil 1
Phase 1: Wortfeldarbeit zu den Bewegungsarten der drei Schlüsselszenen
Phase 2: Umsetzung der erarbeiteten Begriffe in Bewegung
Phase 3: Präsentation der Bewegungsarbeit
Nachbesprechung
Teil 2
Phase 4: Differenzierte Bewegungsarbeit an zwei Bewegungsqualitäten
Phase 5: Schriftliche Reflexion der Bewegungsarbeit
Phase 6: Präsentation der Ergebnisse der Reflexion
Nachbesprechung
Was passiert bei dieser Art von Verknüpfung?
• Ein Element „klassischen Unterrichts“ und Teil des Lehrplans, eine Wortfeldübung
zur Erweiterung des Wortschatzes, wird dahingehend modifiziert, dass die
entsprechenden „Wortfelder“ auf etwas zuvor eigentätig und körperlich Erprobtes
und Erfahrenes bezogen werden.
• Ein Element des Projekts, Arbeit an Bewegungsqualitäten zur Erweiterung des
Bewegungsrepertoires, wird dahingehend modifiziert, dass die Bewegungsarbeit
auf die Wortfeldübung bezogen wird.
• Phasen der kognitiven und körperlichen Arbeit an derselben Sache, jedoch mit
unterschiedlicher Zielrichtung, wechseln sich ab.
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Mehrwert für Lernen
These 1: Durch die dem kognitiven Arbeiten vorgängige körperliche Erarbeitung und durch
den Wechsel von kognitiven und körperlichen Arbeitsphasen wächst der Lernerfolg.
These 2: Soll eine kognitive Erarbeitung für das Lernen einer Bewegungsqualität fruchtbar
werden, so muss die körperliche Erarbeitung in zeitlich direktem Zusammenhang zur kognitiven
Phase stehen und es müssen sich kognitive und körperliche Phasen in kurzen Zeitabständen
abwechseln.
These 3: Nach einer eigentätigen, körperlichen Arbeitsphase ist die Motivation für eine kognitive
Arbeitsphase, die das eben Erprobte/ Erfahrene zum Thema hat, hoch.
These 4: Ein kognitiver Lerninhalt, der sich auf etwas bezieht/ von etwas ausgeht, das zuvor
körperlich (mimetisch) erarbeitet wurde, wird nachhaltig gelernt, da der zu lernende Inhalt
körperlich verinnerlicht wurde.
Chancen und Schwierigkeiten der Verbindung von Unterricht und Projektarbeit
Die Verknüpfung von Unterricht und Projekt führt auf unterschiedlichen Ebenen zu Schwierigkeiten
und Vorteilen, die im Zuge der Auswertung auf allgemeine Erkenntnisse für das
Zusammenwirken von Schulunterricht und Kultureller Bildung hin analysiert werden sollen.
Im Folgenden werden Unterschiede, Konflikte und Bereicherungen zwischen Unterricht und
Projekt, die dabei im Zentrum des Erkenntnisinteresses stehen, stichpunktartig (und noch
nicht systematisch) dargestellt.
Unterschiede und Konflikte zwischen Unterricht und Projekt
• Im Unterricht gibt es selten ein gemeinsames Ziel von Lehrerin und Schülern, es existiert
selten ein gemeinsam geschaffenes Endprodukt.
• Der Unterrichts- und Projektverlauf liegen auseinander. Im Laufe des Projekts haben
wir das Problem festgestellt, dass der Projektverlauf und der Unterrichtsverlauf oftmals
aus ihrer eigenen Logik heraus nicht zusammen passen und deshalb Verknüpfungen
nur schwer herzustellen sind, oder da, wo sie z. B. von Unterrichtsseite her
möglich wären, nicht in der Verlauf des Projekts passen.
• Das Projekt wird sowohl von den Schülern als auch von den Lehrern als etwas ganz
Anderes als Unterricht/ Schule wahrgenommen. Dies ist auf der einen Seite durchaus
positiv zu werten, birgt jedoch auf der anderen Seite die Gefahr der einseitigen Sympathieverschiebung
in Richtung der von außen kommenden Kulturpädagogen/
Künstlern. Dem kann jedoch durch ein gemeinsames und aufeinander bezogenes Arbeiten
und Auftreten den Schülern gegenüber entgegengewirkt werden.
• Das Projekt stört den normalen Schul- und Unterrichtsalltag.
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• Der Rückgriff auf notwendige schulische Zwänge und Rahmenbedingungen bei den
häufig vorkommenden Begründungen, warum etwas nicht möglich ist, dient oftmals
der Aufrechterhaltung des reibungslosen Ablaufs des Schulalltags und des Unterrichts.
• Es wird befürchtet, das das Projekt keine Forderung für die Schüler ist, dass in der
Projektarbeit „Zügellosigkeit“ herrschen würde. Es besteht die Befürchtung, dass alle
sonst geltenden Unterrichtsregeln außer Kraft gesetzt werden.
• Unterricht läuft meist im Sitzen in einem voll gestellten und engen Klassenzimmer.
Die Tanz- und Theaterarbeit findet zu großen Teilen in Bewegung und leeren Räumen
statt.
• Die kulturpädagogische Arbeit ist in hohem Maße an den Subjekten und der gemeinsamen
Sache orientiert, Unterricht dagegen häufig am Sachauftrag des jeweiligen Faches
und der Wissensvermittlung.
Gegenseitige Bereicherung von Unterricht und Projekt
• Zwischenmenschliche Beziehungen und Konflikte können durch die kulturpädagogischen
und künstlerischen Methoden leichter deutlich und bearbeitbar werden.
• Die Einbindung in den Schulalltag ist notwendig, damit das Projekt nicht mehr nur
Sonderstatus bei den Schülern hat.
• Die Schüler machen im kulturell-künstlerischen Bereich kontinuierliche Erfahrungen,
nicht nur einmalige Erlebnisse.
• Die Schüler machen die Erfahrung, dass nicht nur die Kernfächer wichtig sind.
• Das gegenseitige Zeigen und Vorführen als zentrale Bestandteile der Tanz- und Theaterarbeit
sind wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung.
• Die Projektarbeit kann dazu führen, dass die Gruppe zusammen an einem Thema arbeitet
und dadurch Ergebnisse produziert, die nur in der Gruppe möglich sind. So
entsteht die bereichernde Erfahrung, gemeinsam etwas geschafft zu haben
• Die Projektarbeit ermöglicht jedem Kind entsprechend seiner Voraussetzungen und
Interessen eine Rolle und Aufgabe.
• Gemeinsame oder sich zumindest nicht widersprechende Regeln in Unterricht und
Projekt erleichtern das gemeinsame Arbeiten und Leben.
• Die Zusammenarbeit mit außerschulischen Pädagogen und Künstlern wird von den
Lehrkräften als bereichernd empfunden. Kinder werden von mehreren Personen
wahrgenommen. Das gemeinsame Sprechen über die Erfahrungen und Wahrnehmungen
der gleichen, eben gemeinsam erlebten Situation, hat eine ganz andere Qualität
als Gespräche, die Lehrer ansonsten miteinander haben können, da sie sonst nie
gemeinsame Lernsituation haben.
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• In der Zusammenarbeit ist es möglich, sich den einzelnen Kindern intensiver zu widmen.
Die Zusammenarbeit führt zu einer Erhöhung der Subjektorientierung.
• Lehrkräfte werden vom Anspruch entlastet, alles alleine perfekt können zu müssen.
Es entsteht die Möglichkeit, auch etwas abgeben zu können.
• Die gemeinsame Arbeit mit einer Klasse und das Einbringen der Stärken der Kulturpädagogik
führen zu qualitativ hochwertigeren Ergebnissen. Es kommen andere
Themengebiete zum Unterricht hinzu. Es geht nicht mehr nur um reines Abarbeiten
und Prüfen von Lehrplaninhalten.
• Die Verbindung mit dem eigenen Unterricht wird als wichtig und bereichernd empfunden,
wenn mit Inhalten/ Themen des Projekts Bereiche des Unterrichts behandelt
werden können, die im laut Lehrplan behandelt werden müssen. Gelingt dies, entsteht
auf Lehrerseite nicht das Gefühl, mit dem Projekt „eigentliche“ Unterrichtszeit
wegzunehmen.
2.2.2.5 Zusammenarbeit mit der Klassenleiterin der Projektklasse
Die Zusammenarbeit mit der Klassenleiterin der Klasse 3c war von Beginn an von einem
hohem Maß an Offenheit und Ehrlichkeit geprägt. Auf beiden Seiten bestand der starke
Wunsch, die gemeinsame Arbeit so auszurichten, dass sie für die Kinder möglichst Gewinn
bringend ist.
Dennoch oder vielleicht auch gerade deshalb kam es im Laufe der Zusammenarbeit zu unterschiedlichen
Schwierigkeiten und Konflikten. Dabei ging es vor allem um Auseinandersetzungen
über das pädagogische Vorgehen bei Störungen und Disziplinschwierigkeiten, um das
Einhalten von Regeln, um den Grad an Freiheit und Kontrolle, um das Maß der Anpassung
der kulturpädagogischen Arbeit an die Bedingungen der Schule und des Unterrichts oder
auch die Möglichkeiten der Veränderung des Unterrichts.
Auf der Grundlage dieser Erfahrungen sollen hier einige Aspekte aufgeführt werden, die für
das Gelingen der Zusammenarbeit von Bedeutung sind.
Wichtige Aspekte für das Gelingen der Zusammenarbeit
• Die Möglichkeit der Beteiligung der Lehrer am Projekt ist wichtige Voraussetzung für
Akzeptanz und eigenes Einbringen.
• Die Einbeziehung der eigenen Klasse und die damit verbundene eigene Erfahrung
führt zum Abbau von Vorurteilen und zur Entkräftigung von Befürchtungen.
• Ehrlichkeit, gegenseitige Offenheit, Transparenz und Information sind wichtige
Grundlagen für fruchtbares gemeinsames Arbeiten.
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• Die Befürchtungen, Schwierigkeiten, Grenzen und zeitlichen Kapazitäten der Lehrer
müssen als Bedingungsfaktoren der Zusammenarbeit und maßgebend für das was
möglich ist, anerkannt werden.
• Für gemeinsame Absprachen, Planungen und Reflexion müssen ausreichend Raum
und Zeit zur Verfügung stehen.
• Die kulturpädagogischen Partner müssen sich darauf einlassen, die Verantwortung
für die Klasse mit zu tragen. Hierbei ist jedoch entscheidend, dass auch die Voraussetzungen
dafür da sind, also eine Gleichberechtigung bezüglich Aufsichtspflicht und
Entscheidungskompetenzen hergestellt ist, was bisher nicht der Fall ist.
• Die Rollenverteilung darf nicht so sein, dass die Lehrkraft hauptsächlich für Ordnung
und Disziplin verantwortlich ist und die Kulturpädagogen oder Künstler mit den Kindern
die interessanten und spannenden Dinge machen.
2.2.2.6 Gruppenprozess und individuelle Prozesse, Fallbeispiele
Die Auswahl der Fallbeispiele erfolgte bewusst im Anschluss an die Projektwoche und die
ersten kontinuierlichen Projekttermine und wurde wissenschaftlich-systematisch vor dem
Hintergrund der bis zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Erfahrungen und Beobachtungen gemeinsam
von den beiden Kursleitern, der Klassenlehrerin und den Beobachtern getroffen.
Dabei waren für die Wahl folgende Kriterien, die sich aus der Reflexion und Diskussion des
bisherigen Projektprozesses in der Gruppe und bei Einzelnen entwickelten, handlungsleitend:
• Auswahl von Jungen und Mädchen als Fallbeispiele
• Unterschiedlichkeit der vier ausgewählten Kinder
• Sprachliche und körperliche Beteiligung
• Bewegungs- und Ausdrucksreperotire
• Integration und Rolle in der Gruppe
Bezüglich des Gruppenprozesses hat sich nachdrücklich bestätigt, dass für das Zusammenwachsen
zu einem „Ensemble“, das sich die Erarbeitung eines Tanz-Theater-Stückes zur gemeinsamen
Sache gemacht hat, eine Aufführung als Ziel der gemeinsamen Projektarbeit ausschlaggebend
ist.
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Als besondere Schwierigkeit bei der Initiierung eines gruppendynamischen und künstleri-
schen Prozesses hat sich die Ungleichgewichtung von Unterrichtszeit und Projektarbeit erwiesen.
Sowohl Fortschritte auf der künstlerischen Ebene als auch gruppendynamische Integrationsleistungen
konnten oftmals von einem Projekttermin auf den anderen verloren
gehen.
Die Entwicklungen der vier als Fallbeispiele ausgewählten Kinder verliefen wie erwartet
höchst unterschiedlich. Exemplarisch und noch unsystematisch seien hier einige beobachtete
Wirkungen und Entwicklungsschritte genannt:
• Vollständige Integration einer anfangs außen stehenden Schülerin
• Deutliche Erweiterung der Bewegungs- und Ausdrucksmöglichkeiten
• Steigerung der Beteiligung an Gruppengesprächen und künstlerischen Gestaltungen
• Zunahme an kreativen Ideen und Vorstellungen zur Stückentwicklung und Umsetzung
in Tanz und Theater
• Rückgang von Störungen durch kreativen Umgang und künstlerisches Aufgreifen von
Störungen
• Steigerung der Fähigkeit Bewegungsabläufe und szenisches Spiel zu beobachten und
zu beschreiben
• Abnahme der an Autoritätspersonen ausgerichteten Kommunikation und Zunahme
des Miteinandersprechens
• Steigerung der Konzentrationsfähigkeit
• Zunahme an selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Tätigkeiten
Die Aufgabe der wissenschaftlichen Auswertung ist es nun, die Entwicklung des Gruppenprozess
und die der einzelnen Kinder sowie Schlüsselstellen und Wendepunkte anhand der erarbeiteten
Hauptcodes (siehe 3….) nachzuzeichnen und diese mit den vermuteten Wirkungen
der kulturell-künstlerischen Arbeit in Beziehung zu setzen.
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2.2.3 Die Arbeitsgemeinschaft Tanz und Theater –
Ein Erfahrungsbericht
13:40 Uhr. Im Schulhaus der Münchner Grundschule ist es ruhig. Eine Putzfrau säubert mit
ihrer Maschine die Gänge. Kein Schüler ist zu sehen, nur wenige Stimmen sind aus dem Mittagsbetreuungsraum
zu hören. Ein oder zwei Lehrer haben sich noch im Schulhaus verirrt,
suchen einen schnellen Weg nach Hause. Doch da: Halt, eine Lehrerin macht sich auf den
Weg in die Turnhalle...
Meine Kollegin und ich sind in der Turnhalle und bereiten diese für unsere Tanz-Theater-
AG-Stunde vor. Wir sind zu Gast an der Schule. Einen Theater- oder Tanzraum gibt es nicht,
deshalb versuchen wir, die Turnhalle für uns passend zu gestalten, oder passen wir uns an die
Turnhalle (die Schule) an?
13:50 Uhr. Die Ruhe ist gebrochen. Nach und nach stürmen fünfzehn Kinder die Turnhalle.
Sie schmeißen ihre Taschen hin, laufen herum, erzählen sich und uns Geschichten vom
Schulvormittag.
„Tanz-Theater-AG“ heißt der Kurs, den wir im Auftrag des „Praxisforschungsprojekt Leben
Lernen“ jeden Montagnachmittag von 14-16Uhr an der Schule durchführen.
Es ist ein Kooperationsprojekt zwischen uns „außerschulischen Partnern“ und einer Münchner
Grundschule. Der normale Schulbetrieb ist zu diesem Zeitpunkt am Nachmittag schon
abgeschlossen. Trotzdem befinden wir uns in den Räumlichkeiten der Schule und eine Lehrerin
begleitet kontinuierlich unseren Kurs. Also keine Veranstaltung im Jugendclub, kein
Tanzstudio, sondern Schule. Oder doch nicht?
14:00 Uhr. Anfangsritual
Die Kinder, die sich freiwillig anmelden konnten, wenn sie in der 3. oder 4.Klasse der Grundschule
sind, stellen sich im Kreis zum Anfangsritual auf. Auch meine Kollegin, die Tanzpäda-
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gogin ist, die Lehrerin einer 4.Klasse und ich, eine Theaterpädagogin, stellen uns mit dazu.
Jede Stunde beginnt mit demselben Ritual, dass wir zusammen mit den Kindern entwickelt
haben. Dabei wird geklatscht, begrüßt, geschrieen, gesprungen und auch: gestreikt. Letzteres
ist eigentlich nicht Teil des Rituals. Ein Mädchen will aber nicht hochspringen, obwohl sie
selber diesen Part in das Ritual eingebracht hat. Nachdem sie diese Verweigerung jede Stunde
wiederholt, wird auch das Streiken Teil des Rituals: Kurz bevor alle hochspringen, rufen
alle: „Miriam (alle Namen geändert), Du bist dran!“ Miriam ruft dann: „...“ und alle (außer
ihr) springen hoch.
14:10 Uhr. Warm up
Wir machen ein Warm up. Dies kann sowohl tänzerisch als auch theatral sein. In der Arbeit
mit dieser Gruppe kombinieren wir theater- und tanzpädagogisches Arbeiten. Wenn wir
selbst bei der Anleitung viel Leidenschaft hinein geben, überträgt sich das auch auf die
Kinder.
Das freie Tanzen gestaltet sich am Anfang des Schuljahres noch sehr schwer, manche Kinder
verweigern sich sogar. Am Ende des Schuljahres hat es sich aber so entwickelt, dass wir eine
Sequenz in unser Stück eingebaut haben, bei der die ganze Gruppe gemeinsam zu „fetziger“
Musik frei tanzt. Vor allem Sascha und Maria tanzen wie die Wilden, obwohl sie ansonsten
gerne träge im Raum sitzen. Durch die zahlreichen Übungen, die die Kinder im Laufe des
Jahres machen, steigert sich ihre künstlerische Ausdruckskraft. Es ist spannend zu sehen,
wie sie sich in immer komplexer werdende Übungen entfalten.
14:20 Uhr. Probenarbeit
In der ersten Phase des Schuljahres bis Weihnachten arbeiten wir mit den Kindern an „Theater-
und Tanzbasics“. Es geht um „Wahrnehmung“, „Körper“, „Raum“ und „Impuls“. Mit dem
neuen Jahr entwickeln wir dann gemeinsam ein Stück, an dem wir ab März proben. In dem
Stück sind tänzerische und theatrale Elemente miteinander verwoben. Manche Kinder finden
sich in szenischen, manche in tänzerischen Teilen mehr wieder. Die Geschichte erzählen aber
alle Teile zusammen. In der Probenarbeit teilen wir die Kinder teilweise in bis zu drei Gruppen
ein. Eine Gruppe wiederholt mit Frau Fuchs (der teilnehmenden Lehrerin) schon geprobte
Szenen oder Tänze und die anderen beiden Gruppen arbeiten mit meiner Kollegin
oder mir.
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In der Theaterarbeit gilt, dass die Kinder keine Szene spielerisch in eine ansprechende künst-
lerische Form umsetzen können, wenn sie die Szene inhaltlich nicht verstehen. Im Unterricht
können Kinder mit Auswendiglernen eine Eins „schaffen“, ohne den Inhalt verstanden zu
haben. Das Begreifen von dem, was sie tun, das Verstehen des Kontextes ist auch eine Fähig-
keit, die sich im Laufe des Schuljahres bei den Kindern der AG entwickelt hat.
14:50 Uhr. Trinkpause
Eine Trinkpause wird von den Kindern eingefordert, weil wir mal wieder mit viel Ehrgeiz in
die Probenarbeit vertieft waren und die Pause vergessen haben. Die Kinder wünschen sich
Freiräume, in denen sie tun und lassen können, was sie wollen. Sie wissen, dass sie von uns
diese Räume bekommen können. Sie von dort aus wieder zurück in konzentrierte Phasen zu
bringen, ist nicht immer einfach. Auch ein mögliches Erlebnis von Scheitern eines Einzelnen
oder der Gruppe ist in den Phasen der Eigentätigkeit nicht immer zu verhindern. Daher rührt
wohl auch die Angst des Leiters vor solchen Phasen.
Von dieser Gruppe haben wir Leiter gelernt, dass eine Erfahrung des Scheiterns, wenn sie
nachgearbeitet wird, nicht unbedingt negativ ist. Die Kinder haben so wirklich die Chance,
Dinge auszuprobieren und ihre eigenen Erfahrungen, die nicht von den Leitern beeinflusst
sind, zu machen. Deshalb ist es in unserer Arbeit neben solchen Pausenphasen auch wichtig,
die Kinder unbetreute Kleingruppenarbeit machen zu lassen.
Dies hat sich besonders bei einer Übung gezeigt, bei der drei Jungen zusammen einen kurzen
Tanz entwickeln sollten. Sie haben gestritten, sind in der Turnhalle herum gerannt und
schienen nach außen hin nicht eine Minute an ihrem Tanz zu arbeiten. Ich war kurz davor
mich einzumischen, habe es aber nicht getan. Bei der Präsentation hat aber dann genau diese
Jungengruppe den kreativsten und mit am meisten Applaus versehenen Tanz gezeigt.
15:00 Uhr Probenphase 2.
Viele Szenen werden immer wieder umgestellt, erweitert, gekürzt. Es gibt kein fertig geschriebenes
Regiebuch. Die Themen, die unsere Kinder interessieren sind dabei sehr vielfältig:
„Freundschaft“, „Tanz“, „Mut“, „Entführung“ und „Gewalt“, das sind die Themen, die die
Kinder für unser Stück auswählen. Immer wieder fassen wir diese Themen zusammen, überlegen
uns Übungen, die mit diesen Themen arbeiten, bis wir schließlich in einer gemeinsamen
Gesprächsrunde eine Geschichte entwickeln. Obwohl die Teilnehmer diese Geschichte
selbst erfunden haben, zeigen sie zu Beginn keine besonders emotionale Verbindung mit dieser
Geschichte. Sie wollen sie zwar alle spielen, sagen auch, dass sie sie gut finden, aber obwohl
es ihre Ideen sind, habe ich nicht das Gefühl, dass sie das Stück in ihre Hände nehmen.
Das wird erst später passieren.
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15:20 Uhr Präsentation!
Wenn in Kleingruppen gearbeitet wird, endet der Probenblock mit einer kleinen gegenseitigen
Präsentation der Ergebnisse aus den Gruppen.
Aufführungen sind ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit. Die Kinder möchten gesehen
werden, doch sich zu zeigen ist nicht einfach. Durch kleinere Präsentationen führen wir die
Kinder an die Aufführungssituation heran.
Die erste „Feuertaufe“ erleben die Kinder im Mai bei einer Zwischenaufführung, bei der wir
das aktuelle Arbeitsergebnis ihren Mitschülern zeigen.Den Höhepunkt stellen die Abschlussaufführungen
dar, hier wird das Stück öffentlich vor Eltern, Mitschülern, Freunden, Lehrern
und „Fremden“ gezeigt. Das Ziel dieser gemeinsamen Aufführungen treibt die Arbeit voran:
Janine meint einmal zu mir, dass sie die Übung, die wir gerade gemacht haben, „gscheit“ gemacht
hätte, wenn sie gewusst hätte, dass die Übung für die Aufführung wichtig sei.
15:45 Uhr Abschlussrunde
Diese Runde, bei der alle Kinder noch einmal die Chance haben, sich über die Stunde und
ihre aktuelle Befindlichkeit zu äußern, findet immer am Ende der Stunden statt.
Den Kindern fällt es allerdings bis fast zuletzt sehr schwer, sich zu ihren eigenen Gefühlen
und Gedanken zu äußern. Obwohl wir mit verschiedenen Methoden versuchen, die Kinder
miteinander als Gruppe ins Gespräch zu bringen, kommunizieren sie in diesem Runden eher
mit uns – wie sie es von der schulischen Kommunikation mit einem Lehrer gewohnt sind –
oder schweigen. Das gegenseitige Zuhören gelingt ihnen – unterstützt durch den Einsatz eines
Redestabs – zunehmend besser, aber eine eigene Meinung zu formulieren, die eigene
Meinung nur zu wissen, das fällt den Kinder sehr schwer.
15:55 Uhr Abschlussritual
Jede Stunde endet mit dem Abschlussritual. Die Kinder, Frau Fuchs und ich treffen uns noch
einmal im Kreis. Noch einmal gegenseitig wahrnehmen, Hände berühren, bevor die Kinder
dann nach Hause gehen, gut gelaunt, nachdenklich, oder auch noch verwirrt von einem Streit
mit einem Mitschüler, vielleicht bestärkt, jede Stunde anders.
16.00 Uhr Nachbesprechung
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Für uns ist der Projekttermin noch nicht vorbei, gemeinsam mit Frau Fuchs besprechen wir
die vorangegangen zwei Stunden. Auch über unsere gemeinsame Arbeit sprechen wir dabei.
„Wir machen da eine Kooperation...“ hieß es in den Vorgesprächen oft, aber was bedeutet das
für die gemeinsame Arbeit? Sind wir drei gleichgestellte Leiter der AG? Und was hat es für
einen Vorteil für uns eine Lehrkraft dabei zu haben? Geht es nur um die Aufsichtspflicht?
Und ist die Anwesenheit einer Lehrkraft nicht eher blockierend für die Kinder?
Es haben sich Grenzen gezeigt, aber es haben sich auch verschiedenste Ebenen der Zusammenarbeit
aufgetan. Frau Fuchs war teilnehmend, beratend, beobachtend, verknüpfend,
manchmal auch störend. Dritte Leiterin, Vertreterin, Organisatorin. Sie machte „Einzelbetreuung“,
eine „Fortbildung“, war Schulpädagogin und ein bisschen Kulturpädagogin.
Frau Fuchs nahm in manchen Phasen genau so an den Übungen teil, wie die Kinder auch.
Dies war zum einen für sie selbst eine tolle Erfahrung, wie sie uns immer wieder bestätigte.
Vor allem weil sie in diesen Übungen den Kinder manchmal eher „nachstand“, als „vorstand“.
Für die Kinder war es manchmal sicherlich ungewohnt, sie haben sonst kaum die Chance
,eine Lehrerin so zu erleben und auf diese Weise mit ihr in Kontakt zu kommen. Oftmals hilft
es ihnen zudem, gemeinsam mit einer erwachsenen Person eine Übung zu machen.
Beratend war Frau Fuchs in Bezug auf unser pädagogisches Handeln mit der Gruppe. Sie
berichtete uns, wie sie die Kinder wahrnimmt und nicht selten war dieser gemeinsame Austausch
sehr bereichernd für unsere Arbeit.
Ihre beobachtende Rolle hat Frau Fuchs sehr genossen. „Wann“, so sagte sie oft, „kann man
als Lehrerin schon einfach mal nur eine Gruppe beobachten?“ So saß sie manchmal einfach
am Rand, glücklich darüber, sich Notizen zu ihren Wahrnehmungen machen zu können.
Die Lehrerin hatte zudem auch eine wichtige verknüpfende Rolle. Sie war unsere Verbindung
zur Direktorin und zu allen anderen Lehrkräften der Schule, mit denen wir gerne etwas besprechen
wollten. „Verknüpfung“ war sie aber auch zum Lehrplan, zum Unterricht. Unser
Ziel war es, Inhalte des Unterrichts auch in der AG aufzugreifen und den Kindern die Chance
für eine andersartige Vertiefung mit Themen zu geben. Nicht zuletzt war sie auch unsere
Verbindung zu den Eltern.
Unsere Zusammenarbeit lief natürlich nicht immer reibungslos ab. Manchmal waren wir
auch enttäuscht voneinander, weil wir unterschiedliche Erwartungen hatten. Frau Fuchs wäre
z.B. gerne in eine bestimmte Entscheidung einbezogen worden und wir hätten uns gerne
mehr auf ihr Engagement verlassen. Störend war es manchmal auch, noch eine dritte Person
zu haben, die eine Meinung vertritt, die Dinge anders sieht, anders machen würde und sich
dann damit auseinandersetzen zu müssen.
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Genossen haben wir alle den Luxus, zu dritt mit den Kindern arbeiten zu dürfen. Zudem lern-
ten wir voneinander: Die Lehrerin konnte ein Jahr lang miterleben, mit welchen künstlerischen
und kulturpädagogischen Methoden wir mit den Kindern arbeiten, ein Stück entwickeln
und inszenieren.
Und auch wir haben von ihr Methoden aus der Schulpädagogik gelernt: Zusammen haben
wir ein Stationentraining (eine klassische Methode der Grundschuldidaktik) entwickelt, bei
dem die Kinder sich mit Fragen zu unserer Geschichte beschäftigt haben. Gerade bei der Geschichtenentwicklung
konnten uns Methoden aus dem Deutschunterricht immer wieder weiterhelfen.
17:00 Uhr. Wir verlassen die leere Schule.
Nur manchmal treffen wir noch die Direktorin an, die Lehrer haben die Schule längst verlassen.
Einmal während des Schuljahres trafen wir uns mit den Klassenleitungen der Klassen,
aus denen unsere Schüler stammten, zu einem Gespräch. Es stellte sich dabei heraus, dass
wir überdurchschnittlich viele Teilnehmer in der AG hatten, die die Klassenleitungen als
„schwierige Schüler“ bezeichneten.
Diese „schwierigen“ Kinder haben allerdings in der AG, wie sich herausstellte, ganz andere
Verhaltensweisen an den Tag gelegt, als in ihrem Klassenkontext. Das hat die Lehrer teilweise
sehr überrascht und sie konnten durch unsere Erzählungen ihre Schüler noch einmal in
einem anderen Licht sehen. Gerade diese „schwierigen Schüler“ zeigten große Talente im
Bereich Schauspiel und Tanz. Sie konnten sich teilweise auf Übungen mit einer Konzentration
einlassen, wie sie es im Unterricht nicht zustande brachten. Den Kindern wurde in der AG
eine Chance geboten, andere Rollen anzunehmen, als sie sie bisher an der Schule etabliert
hatten. Ludwig (ein AG Kind) sagte mal über Maren (ein anderes AG Kind): „Die Maren ist
hier so lustig, in Religion ist sie das nicht.“ und Frau Fuchs, die auch Marens Klassenleiterin
war, sagte über dasselbe Mädchen: „Im Klassenzimmer zeigt sich das Wesen von Maren
nicht, in der AG schon.“
Besonders berührte mich auch das Erlebnis von Ludwig: Seine Lehrerin erzählte uns in besagtem
Gespräch, dass Ludwig in seiner Klasse eine sehr schwierige Position und kaum Kontakt
zu seinen Mitschülern habe. Ein paar Tage nach der Abschlussaufführung erzählte uns
Ludwig stolz, dass ihm seine Mitschüler am Tag nach der Aufführung, die alle gesehen hatten,
spontan applaudierten als er das Klassenzimmer betrat.
61

Schule, nicht Schule oder andere Schule?
An diesem Bericht hat sich sicherlich gezeigt, dass die AG nicht mit einem Kurs in einem
Tanzstudio oder in einem Freizeitheim zu vergleichen ist. Zu der Frage, ob es aber nun eine
Schulveranstaltung ist oder nicht, möchte ich gerne noch ein paar Worte verlieren.
Die Schule setzt uns einen maximalen Zeitrahmen für die AG. Wir bewegen uns in ihren
Räumlichkeiten. Teilnehmen können nur Schüler der Schule. Es ist eine Lehrerin anwesend.
Soweit ist die AG eine „Schulveranstaltung“.
Die Kinder gingen damit aber unterschiedlich um. Ein paar haben die AG durchaus als
Schulveranstaltung begriffen und hatten Angst, dass sie jetzt Noten bekommen könnten oder
wir ihren Lehrern schlechtes Verhalten berichten.
Die meisten Kinder aber zeigten uns ganz klar: wir hatten schon den ganzen Vormittag Schule,
wir wollen davon nicht mehr. Sie verweigerten strikt, irgendwelche Aufgaben außerhalb
der AG für die AG zu erledigen, schimpften, wenn wir zu oft einen Sitzkreis machten, um
Dinge zu besprechen, weil das zu sehr schulisch sei.
Ein Mädchen sagte mal, als ich sie bat, ruhig zu sein: „Wieso, ich bin den ganzen Vormittag
brav, ich bin zu Hause brav, da kann ich doch hier mal die Sau rauslassen!“ Das haben die
Kinder dann auch manchmal gemacht und vor allem gebraucht. Ein großer Unterschied zum
Schulvormittag liegt auch in der Freiwilligkeit der Teilnahme. Die Kinder konnten sich anmelden
und bei wichtigen Gründen bestand auch wieder die Möglichkeit, sich abzumelden.
62

Wenn also jemand keine gute Position in der Gruppe hatte, oder uns und unsere Arbeit nicht
sympathisch fand, konnte er sich einfach wieder abmelden. Das Kind musste sich nicht aus-
einandersetzen. Das nutzten manche Kinder auch aus und drohten uns, dass sie sich abmel-
den, wenn sie z.B. eine bestimmte Rolle nicht bekommen. Diese Situation kann einem als
Leiter auch entgleiten, wenn man zu wenig auf eine regelmäßige Teilnahme und gewisse Absprachen
achtet. Dies hat sich auch auf die Kontinuität des Kurses ausgewirkt. Im ganzen
Schuljahr gab es nur sehr wenige Termine, an denen alle Kinder anwesend waren. Immer
war jemand krank, beim Arzt, auf einem Geburtstag oder hatte sonstige wichtige Termine.
Umso schöner war es dann, als wir uns einmal zu einem extra Termin mit einigen Kindern
treffen konnten, an dem wir die Bühnenbilder malten. Wir hatten gemeinsam so viel Spaß,
dass wir die Kinder am Ende zwingen mussten, nach Hause zu gehen.
Wir haben Schule gemacht und doch etwas ganz anderes: In unserer offenen Probe zu der wir
Eltern, Lehrer und Freunde der Kinder eingeladen hatten, tanzten am Schluss alle zusammen
ausgelassen und fröhlich zu „fetziger“ Musik, die durch das ganze Schulhaus hallte. Irgendwie
ist Schule doch nicht mehr so ruhig, wenn wir in der Schule sind.
63

2.2.4 Ausblick
Abschließend wird nun die Gestaltung und Ausrichtung der Projektpraxis und der wissen-
schaftlichen Untersuchung im zweiten Jahr der Praxisforschungsprojektes an der FLS darge-
stellt.
2.2.4.1 Projektpraxis
Die Projektarbeit mit der Schulklasse wird in derselben Weise wie im ersten Projektjahr fortgeführt.
Es gibt keine Änderungen in der Zusammensetzung der Klasse, so dass im zweiten
Projektjahr auf den erarbeiteten Ergebnissen und gemachten Erfahrungen kontinuierlich
aufgebaut werden kann. Das Thema soll im zweiten Projektjahr mehr mit der Alltagswelt der
Kinder zu tun haben und sich noch mehr aus der Tanz- und Theaterarbeit selber ergeben.
Zusätzlich zu den vorgesehenen drei Projektgremien werden sowohl in der Schulklasse als
auch in der AG zu unterschiedlichen Zeitpunkten Gruppengespräche mit einem Teil der
Schüler durchgeführt und ihnen damit eine noch größere Beteilung an der Projektarbeit eröffnen.
Zur intensiveren Einbeziehung der Eltern werden wir die Anzahl der offenen Proben,
in deren Anschluss es zum Austausch zwischen Kindern, Eltern und anderen Gästen kommen
soll, erhöhen.
Zur Mitte des Schuljahres wird wie im Jahr zuvor eine Zwischenpräsentation angestrebt. Die
Abschlussaufführung soll neben der Premiere in der Schule an einem prominenten Aufführungsort
und möglichst mehreren Aufführungen stattfinden.
2.2.4.2 Kooperation mit der Schule, Zusammenarbeit mit den Projekt begleitenden
Lehrerinnen
Auf Grund der bisher gemachten Erfahrungen verschieben sich die Ziele und damit auch die
Strukturierung der Zusammenarbeit im zweiten Projektjahr. Da zum momentanen Zeitpunkt
eine gemeinsame strukturelle Entwicklung und ein gemeinsamer Schulentwicklungs- und
Öffnungsprozess nicht absehbar ist, wird sich die institutionelle Zusammenarbeit auf die
Durchführung des Projektes in der vertraglich festgelegten Form beschränken. Ansonsten
erfolgt eine schwerpunktmäßige Ausrichtung auf die konkrete Zusammenarbeit der Kulturpädagogen/
Künstler und Lehrkräfte.
Die Anzahl der gemeinsamen Nachbesprechungen wird reduziert. Zusammen mit einigen
anderen Kürzungen streben wir damit eine Entlastung aller Beteiligten an, die letztlich zu
einer Qualitätssteigerung der Zusammenarbeit führen soll.
64

2.2.4.3 Supervision
Die Supervision wird im kommenden Projektjahr einen anderen inhaltlichen Schwerpunkt
haben. Vor dem Hintergrund des aktuellen Standes der Kooperation scheint es nicht sinnvoll,
die Diskussion der Kooperationsschwierigkeiten im Rahmen der Supervision weiter zu forcieren,
sondern den Schwerpunkt der Supervision im zweiten Projektjahr auf die inhaltliche,
pädagogische und künstlerische Arbeit zu legen. Die Tatsache, dass die Rektorin der Grundschule
im zweiten Jahr die Begleitung der Arbeitsgemeinschaft übernehmen wird, macht eine
inhaltliche Ausrichtung der Supervision umso sinnvoller. Die Anzahl der Supervisionstermine
wird von acht auf sechs reduziert.
2.2.4.4 Wissenschaftliche Erhebung und Auswertung
Aufgabe der Analyse des zur Kooperation erhobenen Datenmaterials im zweiten Projektjahr
ist nun, herauszuarbeiten, wie es zu Veränderungen kam und welche Auswirkungen bestimmte
Maßnahmen (vor allem auf die Kinder) hatten. Das heißt, dass sich die Frage nach
den Kooperationsprozessen auf deren Auswirkungen auf die Kinder und deren Lern- und
Bildungschancen zuspitzen wird.
Es scheint relativ banal zu sein, z. B. das Arbeiten auf Augenhöhe oder ein gemeinsames Bildungsverständnis
zu fordern. Entscheidend ist, einen Blick auf die Probleme und Schwierigkeiten
bei der Umsetzung zu werfen und den Prozess zu beschreiben, wie sich Augenhöhe
langsam entwickelt und auf wie vielen Ebenen beispielsweise die Erarbeitung eines gemeinsamen
Bildungsverständnisses oder das Zusammenwirken von Unterricht und Projekt zu
Konflikten führt.
Dabei wird es nicht ausreichen, zu dem Ergebnis zu kommen, dass z. B. für das Gelingen einer
Kooperation entscheidend ist, größtmögliche Transparenz herzustellen, möglichst alle zu
beteiligen, daran besteht kein Zweifel und ist hinlänglich bekannt. Es gilt tatsächlich den
Prozess, der z. B. zu Beteiligung führt und seine Schwierigkeiten zu beschreiben, und mit
dieser Beschreibung Erkenntnisse zu produzieren, die für andere Kooperationen hilfreich
sein können.
Die Auswertung der Bildungsprozesse der Kinder wird sich auf die Frage nach Qualitätsmerkmalen
der kulturpädagogischen Arbeit und deren Wirkungen fokussieren. Dabei richtet
sich die bevorstehende Analyse, die die Wirkungen der kulturpädagogischen Arbeit exemplarisch
in der Rekonstruktion des Gruppenprozesses und ausgewählter individueller Prozesse
nachzeichnen soll, nach den bisher erarbeiteten Hauptcodes (siehe dazu 3.4.1 Hauptcodes).
65

2.3 Die Hauptschule an der Perlacher Straße (HSP) als dritte
Partnerschule im Praxisforschungsprojekt – Leben lernen
Kurz vor Beginn der konkreten Projektarbeit des Praxisforschungsprojektes an den beiden
Partnerschulen trat die „Hauptschule an der Perlacher Straße“ mit der Anfrage an uns heran,
mit ihr gemeinsam ein Ganztagsangebot in voll gebundener Form für eine erste Ganztagsklasse
im 5. Jahrgang zu gestalten. Der unvorgesehene Zeitpunkt, die geringen finanziellen
Mittel, die für Ganztagsschulen in Bayern vom Kultusministerium zur Verfügung gestellt
werden, der enorme Zeitdruck und die ohnehin mit den beiden Projektschulen des Praxisforschungsprojektes
schon nahezu ausgereizten zeitlichen und personellen Ressourcen schienen
das Zustandekommen einer Zusammenarbeit zunächst unmöglich zu machen.
Die Chance, den Prozess der Umgestaltung einer normalen Halbtagsschule zur Ganztagsschule
von Beginn an mitgestalten zu können, wollten wir uns jedoch nicht entgehen lassen.
Durch die finanzielle Unterstützung des „Kultur- und Schulservice München“ und ein enormes
Maß an ehrenamtlicher Arbeit der beiden Einrichtungen „PA/ Spielen in der Stadt“ und
dem „Institut für Angewandte Kulturelle Bildung“ konnte das Projekt „Kulturelle Bildung im
Ganztag an der Hauptschule Perlacher Straße“ schließlich doch realisiert werden. Ohne zusätzliche
Belastung des Etats des Praxisforschungsprojekts ist es gelungen, ein bayernweit
einmaliges Ganztagsmodell an einer Hauptschule zu etablieren und den Prozess sogar mittels
Fragebogenerhebung, die vom Zentrum für Lehrerbildung und Fachdidaktik der Universität
Passau durchgeführt wurde, und Projekttagebüchern aller beteiligter Pädagogen zu
evaluieren.
Entstehung und Entwicklung der Kooperation
Kurz vor Beginn der Sommerferien 2006 erhielt die „Hauptschule an der Perlacher Straße“
von der Regierung von Oberbayern den Bescheid, mit dem Beginn des Schuljahres 2007/
2008 eine erste Ganztagsklasse in voll gebundener Form einrichten zu können.
66

Auf Grund dieser späten Bewilligung des Antrages waren der Schulleiter Wolfgang Miller und
sein Kollegium gezwungen, innerhalb kürzester Zeit außerschulische Partner zur Durchführung
eines rhythmisierten Ganztagsangebots zu finden. Die Regierung von Oberbayern sieht
zurzeit vor, Ganztagsklassen an Hauptschulen mit 12 zusätzlichen Lehrerstunden und 6.000
Euro für externes Personal auszustatten.
Vor diesem Hintergrund (knappe finanzielle Ressourcen und sehr wenig Zeit bis zum Beginn
des neuen Schuljahres) war es kein leichtes Unterfangen, Partner für die Ganztagsgestaltung
zu finden. Bei seiner Suche nach geeigneten Partnern stieß der Schulleiter Wolfgang Miller
auf die Institutionen „PA/ Spielen in der Stadt e.V.“ , das „Institut für Angewandte Kulturelle
Bildung e. V.“ und den „Kultur- und Schulservice München“.
Gemeinsam konnte binnen weniger Wochen ein erstes, praxistaugliches Konzept für die Gestaltung
des Ganztags erarbeiten werden. Dieses Konzept sieht vor, ein mit den „normalen“
Schulfächern rhythmisiertes Ganztagsangebot mit insgesamt 7 kulturpädagogischen Angeboten
(Tanz, Zirkus, Medien, 2 mal Theater und 2 mal Bildnerisches Gestalten) durchzuführen.
Die sieben kulturpädagogischen Doppelstunden, die von fünf ausgebildeten und qualifizierten
Kunst- und Kulturpädagogen durchgeführt werden, sind sowohl auf die fünf Wochentage
als auch auf Vormittag und Nachmittag verteilt.
Die kulturpädagogischen Angebote werden jeweils mit der einen Hälfte der Klasse durchgeführt
und von einem Tandem aus Lehrkraft und Kulturpädagoge begleitet. Die Teilung der
Klasse während der kulturpädagogischen Angebote ermöglicht ein an den Grundprinzipien
der kulturellen Bildung (Partizipation, Subjektorientierung) orientiertes Arbeiten. Die Leitung
der jeweiligen Einheiten im Team gewährleistet das Eingehen auf individuelle Bedürfnisse
und eine bessere Förderung der Einzelnen.
67

Die Schüler und Schülerinnen der Ganztagsklasse konnten nach einer Vorstellung der Angebote
durch die Kulturpädagogen wählen, in welche Kurse sie gehen wollten. Es gab jedoch
immer wieder Veränderungen in der Zusammensetzung der Projektgruppen durch die Lehrer,
was das kontinuierliche Arbeiten teilweise erschwerte. Für das nächste Schuljahr sind
wir mit der Schule jedoch übereingekommen, solche Entscheidungen gemeinsam zu treffen.
Von Beginn an war eines der Ziele des Projekts, die kulturpädagogischen Angebote mit unterschiedlichen
Unterrichtsfächern zu verknüpfen. Dieses Ziel konnte einerseits durch die
Arbeit im Team und den damit verbundenen kontinuierlichen Austausch zwischen Lehrern
und Kulturpädagogen erreicht werden, andererseits durch direkte inhaltliche Zusammenarbeit
von Kulturpädagogen und Lehrkraft, z. B. zu Themen wie „Steinzeit“ oder „Planeten“.
Die Ergebnisse aus den unterschiedlichen kulturell-künstlerischen Angeboten wurden am
Ende des Schuljahres in einer Abschlussaufführung in der benachbarten Freizeitstätte und
im Rahmen des KinderKulturSommers einer größeren Öffentlichkeit präsentiert.
Konzeptionelle Besonderheit: Gemeinsame Ganztagsgestaltung von Anfang an
Die Mitgestaltung und wissenschaftliche Begleitung des Umwandlungsprozesses einer Schule
zu einer Ganztagsschule in voll gebundener Form zusammen mit außerschulischen Partnern
ist eine einmalige Chance, Erfahrungen in der Zusammenarbeit von Schule und Partnern aus
dem Bereich der Jugendhilfe zu dokumentieren und die dabei entstehenden Ergebnisse und
Erkenntnisse für die Übertragung auf andere Schulen fruchtbar und einer breiteren Öffentlichkeit
zugänglich zu machen.
Wissenschaftliche Erhebung an der HSP
Aus diesem Grund wird der gesamte Prozess an der Hauptschule Perlacher Straße mit den
zur Verfügung stehenden Ressourcen dokumentiert und evaluiert. Alle Kulturpädagogen und
an der Ganztagsklasse beteiligten Lehrkräfte führten während des Projekts ein Projekttage-
68

uch und die Kulturpädagogen reflektierten und dokumentierten jede gehaltene Doppelstunde
nach einem vorgegebenen Raster (siehe Anhang). Diese Daten fließen in die im Rahmen
des „Praxisforschungsprojekt – Leben lernen“ durchgeführte wissenschaftliche Untersuchung
mit ein.
Ebenso die Ergebnisse der standardisierten Befragung mittels Fragebogen der Ganztagsklasse
und der beiden „normalen“ fünften Klassen, die als Vergleichsklassen mitbefragt wurden.
Erste Ergebnisse der Auswertung der schriftlichen Reflexionen, Projekttagebücher und Fragebogenerhebung
werden im Rahmen des Fachtags „Kulturelle Bildung und Lernkultur –
Kooperations- und Bildungsprozesse im Dialog von Praxis und Wissenschaft" präsentiert, der
am 1.2.2008 im Kontext des „Praxisforschungsprojekt – Leben lernen“ durchgeführt wird.
Dokumentation des ersten Jahres gemeinsamer Ganztagsgestaltung
Mit Beteiligung aller Kulturpädagogen und Lehrkräfte der Ganztagsklasse war es möglich,
eine umfangreiche Dokumentation des ersten Jahres gemeinsamer Ganztagsgestaltung an
der Hauptschule Perlacher Straße zu erstellen, die sowohl den Verlauf der Kooperation als
auch die Praxis der unterschiedlichen kulturellen Angebote und deren Verknüpfung mit dem
Unterricht darstellt. Diese Dokumentation wird Ende Oktober 2007 in einer eigenen Broschüre
und auf der Homepage des Praxisforschungsprojektes (www.lebenlernen.org) veröffentlicht.
Im Rahmen des Fachtags „Schule und Kultur: Hand in Hand“ im Juli 2007 präsentierten
Lehrer und Kulturpädagogen zusammen das Projekt und dessen Verlauf und Ergebnisse.
Dabei fand das Projekt bei den Tagungsteilnehmern sowie bei den anwesenden Vertretern
von Schulreferat und Sozialreferat große Beachtung und Anerkennung.
Ein direktes Ergebnis dieser öffentlichen Präsentation war die Einladung ins Bayerische
Staatsinstitut für Bildungsforschung und Schulqualität, das am 28.9.2007 einen runden
Tisch zum Thema „Kooperation von Schule und Kultureller Bildung im Ganztag“ veranstaltete,
an dem sowohl Vertreter aus dem Schulreferat, dem Kultusministerium und der Kulturellen
Bildung teilnehmen.
Erarbeitung eines Ganztagskonzepts
Das erste Jahr gemeinsam gestalteter Ganztagsbildung hat deutlich gemacht, dass viele
Punkte der Ganztagsgestaltung und der Kooperation sowie deren inhaltliche Ausgestaltung
einer intensiven gemeinsamen konzeptionellen Auseinandersetzung bedürfen. Es wurde unmissverständlich
deutlich, dass die gemeinsame Gestaltung von Bildungsangeboten sowohl
69

die Schule als auch die Kulturelle Bildung an Grenzen und neue Herausforderungen bringt,
die Veränderungen auf beiden Seiten unumgänglich machen3 .
Eine qualitative Verbesserung der Lern- und Bildungssituationen stellt sich nicht automatisch
durch die Erweiterung des Schultags um kulturelle Angebote ein, mögen diese für sich
genommen auch noch so gut sein. Ebenso ist mit einer zeitlichen Rhythmisierung von Unterricht
und kulturellen Angeboten noch keine inhaltliche Verknüpfung hergestellt, auch keine
methodische. Kurz: Ein integriertes, gemeinsam gestaltetes und verantwortetes ganztägiges
Bildungsangebot, das den Kindern und Jugendlichen vielfältige, aufeinander bezogene Lernzugänge,
Lernmethoden und Bildungsarrangements eröffnet, die den individuellen Bedingungen
Rechnung trägt, stellt sich nicht von allein her.
Genau dies ist nun das übergeordnete Ziel des Projektes an der „Hauptschule an der Perlacher
Straße“: die gemeinsame Entwicklung, Durchführung, Dokumentation und Evaluation
eines Sparten übergreifenden, Unterricht und kulturpädagogische Angebote verknüpfenden
Ganztagsangebots, dass die Bildungschancen und individuellen Entwicklungen aller beteiligter
Kinder und Jugendlichen spürbar verbessert.
Zur Erreichung dieses Zieles erarbeiten Lehrer, Schulsozialarbeiter und Kulturpädagogen aus
den gemeinsamen Erfahrungen im Projekt (nicht allein aus der Theorie) ein Ganztagskonzept,
für das die folgenden Aspekte zentral sind:
- Erarbeitung eines gemeinsamen Bildungsverständnisses
- Formulierung gemeinsamer Zielvorstellungen
- Regelungen von Kompetenzen und Entscheidungsverläufen, die für möglichst viele
konkrete Handlungszusammenhänge gelten
- Ausarbeitung konkreter Strategien, Methoden und Strukturen für die Verknüpfung
von Unterricht und kulturpädagogischen Angeboten
- Entwicklung von Modellen und Verfahren der Partizipation von Schülern und Eltern
- Entwicklung von gemeinsamen Kommunikationsstrukturen (Arbeitsgruppen, Konferenzen,
Gremien), die einen möglichst effizienten Austausch und eine möglichst effektive
gemeinsame Planung ermöglichen
Langfristiges konzeptionelles Ziel könnte die gemeinsame Erarbeitung eines am bestehenden
Lehrplan ausgerichteten „Bildungsplans“ sein, der die unterschiedlichen Formen, Angebote
und Methoden von Unterricht, Sozialarbeit und Kultureller Bildung voll zur Geltung bringt
3 Siehe dazu auch die von Alexander Wenzlik verfasste Expertise „Neue Anforderungen und Herausforderungen
für die Kulturelle Kinder- und Jugendarbeit im Ganztag“ im Anhang dieses Berichtes.
70

und in ihrer Verknüpfung und gegenseitigen Bereicherung ein„wirklich“ ganzheitliches, wei-
testgehend selbst gesteuertes und begeistertes Lernen ermöglicht.
Das gemeinsam von Schule, Schulsozialarbeit und Kultureller Bildung erarbeitete Ganztagskonzept
wird in einer eigenen Broschüre und auf der Homepage des „Praxisforschungsprojektes
– Leben lernen“ (www.lebenlernen.org) veröffentlicht werden.
Kooperationsvereinbarung
Der aktuelle Erarbeitungsstand des Konzepts ist Bestandteil des Kooperationsvertrages mit
der Hauptschule, der auf der Grundlage der Kooperationsverträge, die im Rahmen des PFP
mit den beiden Partnerschulen ausgearbeitet wurden, mit den notwendigen Spezifizierungen.
Ebenfalls wurde ein Vertrag zwischen den Kooperationspartnern und der Regierung von Oberbayern
abgeschlossen. Der Standardvertrag (siehe Anhang) enthält keinerlei inhaltliche
Regelungen und ist aus Sicht der Jugendhilfe in den Punkten „Entscheidungsbefugnisse“ und
„Fach- und Dienstaufsicht“ unbefriedigend. Das Kultusministerium war nicht bereit, Änderungsvorschläge
unsererseits, die wir auf der Grundlage der mit der Rechtsabteilung des
Schulreferats ausgearbeiteten Kooperationsverträge gemacht hatten, aufzugreifen. Die Einflussmöglichkeiten
freier Träger kommen hier an ihre Grenzen. Diesbezüglich besteht dringender
Handlungsbedarf auf Seiten der Jugendhilfe. Es bedarf Rahmenvereinbarungen und
Musterverträge, die die Kooperation von Schule und Jugendhilfe in den Grundzügen regeln,
die ein Maximum an Gleichberechtigung garantieren, hinter die nicht zurückgegangen werden
darf und auf deren Grundlage die Träger der Jugendhilfe agieren können.
Ausblick
Im Schuljahr 07/ 08 wird die begonnene Ganztagsarbeit mit der bestehenden Ganztagsklasse
fortgesetzt und um eine weitere 5. Ganztagsklasse ausgebaut. In beiden Klassen werden in
diesem Jahr in rhythmisierter Form und vollständig in den Vormittagsunterricht integriert
jeweils fünf kulturpädagogische Angebote (Tanz, Theater, Video, Bildnerisches Gestalten,
Tanz und Zirkus) nach dem beschriebenen Konzept angeboten. Die Finanzierung des zweiten
Ganztagsjahres ist ohne Belastung des Budgets des Praxisforschungsprojektes durch zusätzliche
Subventionierung durch den Kultur- und Schulservice München und ehrenamtliches
Engagement möglich. Im dritten Jahr wird dies nicht mehr der Fall sein, so dass ohne eine
Aufstockung der Gelder von Seiten der Regierung eine Fortführung dieses einmaligen Modellprojektes
zum jetzigen Zeitpunkt in Frage steht. Einer Kooperation mit dem gerade gestarteten
Projekt „Lebenskunst lernen“ der BKJ, in dem 16 Hauptschulen, die mit Einrichtungen
der kulturellen Bildung kooperieren gefördert werden, sehen wir hoffnungsfroh entgegen.
71

Perspektive: Modellschule
Es besteht die gemeinsame Perspektive, die „Hauptschule an der Perlacher Straße“ zu einer
echten Modellschule auszubauen, in der die im Praxisforschungsprojekt und im Hauptschulganztagsprojekt
gemachten Erfahrungen und erzielten Ergebnisse direkte Anwendung und
Umsetzung finden könnten. Damit rückt die Vision einer Ganztagsbildung in greifbare Nähe,
die unterschiedliche Lern- und Bildungsangebote an verschiedenen Orten mit vielfältigen
Methoden vernetzt, von verschiedenen Bildungsinstitutionen getragen wird und die Vorbildcharakter
für den weiteren Ausbau von Ganztagsschulen in Bayern und darüber hinaus haben
könnte.
Auf diese sinnvolle und Nachhaltigkeit garantierende Fortführung der mit dem Praxisforschungsprojekt
begonnenen Innovationen arbeiten wir mit unseren Partnern von der
„Hauptschule an der Perlacher Straße“ hin.
Exkurs: „Mixed up 2007“ – Bundesweiter Wettbewerb für
Kooperationen zwischen Kultur und Schule
Die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) zeichnet seit 2005 im
Rahmen ihres Netzwerkes „Kultur macht Schule“ Träger und Einrichtungen der kulturellen
Bildung aus, die gelungene Kooperationen mit Schulen durchführen. Ziel des Wettbewerbs
mit dem Motto „Für ein Mehr an kultureller Bildung in Schulen“ ist es, beispielhafte Projekte
einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen und sie für ihr Engagement und ihre Innovationskraft
auszuzeichnen. „Mixed Up“ will zum Nachahmen anregen und Anerkennung für
all diejenigen sein, die sich auf den Weg gemacht haben, gemeinsam die Lern- und Lebens
welten von jungen Menschen durch ein qualitätsvolles und kreatives Bildungsangebot zu
gestalten. 4 Die Schirmherrin des bundesweiten Wettbewerbs ist die Bundesministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der Leyen.
Das Institut für Angewandte Kulturelle Bildung (IAKB), die Pädagogische Aktion/ Spielen in
der Stadt (PA/ SIS) und der Kultur- und Schulservice München (KS:MUC) wurden zusammen
mit der Hauptschule Perlacher Straße am 13. September 2007 in Berlin mit dem bundesweiten
Kulturpreis „Mixed up“ 2007 ausgezeichnet. Die Initiatoren des Münchner „Modellprojekts
an der Hauptschule Perlacher Straße“ erhalten den Kulturpreis für ihr „bemerkenswertes
kulturpädagogisches Konzept sowie die gelungene Form der Zusammenarbeit mit
einer allgemein bildenden Schule“, lautet die Begründung der Jury.
4 Siehe dazu: Kultur macht Schule. Netzwerk für Kooperationen: MIXED UP – Der Wettbewerb für Kooperationen
zwischen Kultur und Schule. Kulturpreisträger 2005/ 2006/ 2007 oder www.kultur-macht-schule.de
72

Im Rahmen des von der BKJ veranstalten Fachforums „Ideen und Erfahrungen im Schnitt-
feld Jugend, Kultur und Schule“ wurden Tom Biburger (Institut für Angewandte Kulturelle
Bildung), Alexander Wenzlik (PA/ Spielen in der Stadt) und Schulleiter Wolfgang Miller von
Staatssekretär Gerd Hoofe für das gemeinsame Projekt ausgezeichnet (siehe Bild unten v. l.).
In der Projektbeschreibung der Jury heißt es: „Durch die Rhythmisierung und Verknüpfung
der Unterrichtsfächer mit vielfältigen kulturpädagogischen Angeboten gelingt hier die Um-
setzung eines integrativen Bildungskonzepts an einer Hauptschule auf vorbildliche Weise.“
Die bundesweite Auszeichnung stellt in hohem Maße eine Bestätigung und Anerkennung
unserer gemeinsamen Arbeit dar und motiviert alle Beteiligten den begonnen Weg mit Energie
und Freude weiter zu gehen. Die Preisverleihung wird unsere politische Arbeit, die Rahmenbedingungen
für die gemeinsame Ganztagsgestaltung von Schule und Kultureller Bildung
zu verbessern, hoffentlich positiv befördern.
Weitere Informationen zu „Mixed up“ und zum Preisgewinn:
www.kultur-macht-schule-de
www.lebenlernen.org
www.iakb.de
www.spielen-in-der-stadt.de
Siehe auch im Anhang: Projektbeschreibung und Begründung der Jury, Presseinformation,
Einladung Fachforum, Urkunde
73

3. Wissenschaftliche Untersuchung
Zunächst gibt dieses Kapitel einen Überblick über die Arbeiten, die notwendig waren, um
eine funktionierende wissenschaftliche Infrastruktur zu installieren. Im Anschluss daran
erfolgt ein Überblick über die Methoden der Datenerhebung, die im ersten Projektjahr, in
welchem Umfang zum Einsatz gekommen sind. Der dritte Teil stellt die Methoden der Falluntersuchung
dar, und im vierten wird auf die ersten Zwischenergebnisse und die sich daraus
ergebenden Konsequenzen für die Forschungspraxis des zweiten Jahres eingegangen.
3.1 Wissenschaftspraktische Grundlagen
Um die Erhebung und Analyse des umfangreichen Materials möglich zu machen, wurden die
folgenden Arbeiten ausgeführt, um auf die notwendigen wissenschaftlichen Infrastrukturen
zurückgreifen zu können:
3.1.1 Literaturdatenbank
Im Büro des Praxisforschungsprojekts wurde eine Literaturdatenbank mit dem Programm
bookends angelegt, in die Bücher, Zeitschriftenartikel, Positionspapiere und andere Materialien
eingearbeitet werden. Die Mitarbeiter des Praxisforschungsprojekts und die Studenten
der Partneruniversitäten bauen die Datenbank gemeinsam auf. Dafür wurden ein eigenes
Signaturensystem und eine vereinheitlichte Form der Dateneingabe entwickelt, um die Nutzung
durch mehrere Personen möglich zu machen. Bis jetzt sind über 300 Datensätze erfasst.
3.1.2 Materialdatenbank
Um das umfangreiche Datenmaterial (siehe Kapitel 2) bearbeitbar zu machen, war die Einrichtung
einer Materialdatenbank erforderlich. Die verschiedenen Materialtypen werden
nach einem einheitlichen Schema benannt und auf einem Zentralrechner abgespeichert. Neben
einem Datenarchiv wurden verschiedene Datensammlungen mit einem Computerprogramm
zur Auswertung qualitativer schriftlicher Daten (siehe auch Kapitel 3.1) angelegt. Parallel
und zeitlich synchronisiert zu den schriftlichen Datendokumenten sind die Filmkassetten
archiviert.
74

3.1.3 Schulung wissenschaftlicher Hilfskräfte
An drei Schulungstagen im Projektbüro und in einer Lehrveranstaltungen an der LMU im SS
06, die von den Leitern und wissenschaftlichen Mitarbeitern des Projektes durchgeführt
wurden, wurden die Studenten, die im Rahmen ihres Studiums im Praxisforschungsprojekt
mitarbeiten, in teilnehmender Beobachtung geschult. Es gab dabei sowohl theoretische Anteile
(Diskussion ausgewählter Texte zu teilnehmender Beobachtung) als auch praktische
Übungen.
Zudem gab es einen eigenen Schulungstag zur Transkription von Interviews.
3.1.4 Wissenschaftlicher Beirat
Am 6.7.2007 wurde der wissenschaftliche Beirat begründet, dessen Aufgabe die fachliche
Unterstützung der wissenschaftlichen Praxis ist. Die folgenden Personen konnten für unseren
Beirat gewonnen werden:
• Prof. Dr. Max Fuchs
Präsident des Deutschen Kulturrates, Vorsitzender der Bundesvereinigung Kulturelle
Jugendbildung, Vorsitz des Instituts für Bildung und Kultur, Mitglied des
Bundesjugendkuratoriums, Mitglied des Kulturausschusses der Deutschen
UNESCO-Kommission
• Prof. Dr. Eckart Liebau
Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogik II, Vorstand am Institut für Pädagogik der
Philosophischen Fakultät I der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
• Prof. Dr. Andreas De Bruin
Fachhochschule München, Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften, Lehrgebiet:
Medienpädagogik, Tanz, Körper und Bewegung, Jugendkulturen und populäre
Musik
• Martina Liebe
Bayerischer Jugendring, Leiterin des Referats "Jugendpolitische Grundsatzfragen
und Querschnittsthemen"
75

3.1.5 Wissenschaftliche Supervision
Die ergebnisoffene Untersuchung qualitativen Datenmaterials erfordert eine stete Reflexion
und Anpassung der gewählten Forschungsmethoden. Um diese Arbeit zu unterstützen, finden
regelmäßig wissenschaftliche Beratungstermine bei Dr. Frithjof Hager von der FU Berlin
statt. Er supervidiert die Strategien der Forschungsarbeit und die Umsetzung des Materials
in audio-visuelle Produkte.
3.1.6 Auswahl von Fallbeispielen
Ziel des Praxisforschungsprojekts ist die Untersuchung und exemplarische Darstellung von
Bildungsprozessen, die bei den beteiligten Schülern durch die Tanz-/ Theaterarbeit ausgelöst
werden. Da eine intensive Beobachtung und Analyse aller beteiligten Schüler angesichts der
vorhandenen Ressourcen unmöglich ist, entschieden wir uns dafür, bestimmte Schüler als
„Fokuskinder“ auszuwählen. Die Auswahl der Kinder erfolgte dabei nach den ersten Wochen
der Projektarbeit unter der Maßgabe, dass die Auswahl der Kinder auch die Verfolgung der
gruppenspezifischen Prozesse möglich machen soll. Die Fokuskinder wurden als Repräsentanten
bestimmter Untergruppen in den jeweiligen Gruppen ausgewählt.
In den drei Gruppen wurden insgesamt 10 Teilnehmer als Fokuskinder ausgewählt, der Beobachtungsfokus
lag verstärkt auf diesen Teilnehmern und diese Teilnehmer wurden auch in
Einzelinterviews befragt. Die Anlage der Untersuchung ermöglichte aber auch die Offenheit,
auf Teilnehmer, die sich erst im Laufe der gemeinsamen Arbeit als besonders interessant
darstellten, dezidierter einzugehen.
3.2 Methoden der Datenerhebung
Das „Praxisforschungsprojekt: Leben lernen“ verwendet Methoden der qualitativen und der
quantitativen Forschung. Das folgende Kapitel gibt einen Überblick über die Art und den
Umfang der eingesetzten Methoden der Datenerhebung.
3.2.1 Protokoll der Teilnehmenden Beobachtung
In der Vorbereitung der Datenerhebung und den schon erwähnten Schulungen zu teilnehmender
Beobachtung entstand eine neuartige Protokollform für die teilnehmenden Beobachtungen.
Das Protokoll, das im Anschluss an den Beobachtungstermin verfasst wird, nimmt
76

die Videolaufzeiten in den Text auf, somit ist das Protokoll nicht nur der Bericht des teilneh-
menden Beobachters, sondern auch eine sehr detaillierte Inhaltsangabe der parallel entstandenen
Videoaufnahme. Dieses Vorgehen erlaubt es, im späteren Auswertungsprozess, schnell
und umkompliziert auf das vorliegende Filmmaterial zugreifen zu können.
In den drei untersuchten Gruppen gab es insgesamt 105 „reguläre“ (d.h. wöchentlich stattfindenden)
Projekttermine, von denen 101 beobachtet und in Beobachtungsprotokollen festgehalten
wurden.
3.2.2 Film
Das erhobene Filmmaterial ist noch umfangreicher als die erwähnten Beobachtungsprotokolle.
Neben den 105 „regulären“ Projektterminen, die auf Video festgehalten sind, wurden ebenfalls
zusätzliche Probentermine, Nachbesprechungen, Projektgremien und öffentliche
Aufführungen gefilmt.
3.2.3 Interview
Da eine der zentralen Fragestellungen des Praxisforschungsprojekts die Frage nach den Bildungswirkungen
bei den beteiligten Kindern und Jugendlichen ist, führten wir Interviews
mit beteiligten Schülern, Lehren und den Schulleitern der Schulen. Um die sehr aufwändige
Erhebung, Verschriftlichung und Analyse der Interviews gewährleisten zu können, beschränkten
wir die Interviews auf die Fokuskinder, die am Anfang und Ende des Schuljahres
interviewt wurden. Beteiligte Lehrer und Schulleiter wurden in „Experteninterviews“ ebenfalls
am Anfang und Ende des Schuljahrs befragt. Es wurden bisher 20 Schülerinterviews und
14 Experteninterviews durchgeführt.
In der Vorbereitung dieser Interviews erarbeiteten wir für die jeweilige Gruppe von Befragten
verschiedene Interviewleitfäden. Es entstanden so zunächst drei Leitfäden für Schulleiter,
Lehrer und Teilnehmer für die Erhebungsrunde 1. Diese Leitfäden wurden, ausgehend von
den Erfahrungen und Ergebnissen der bisherigen Arbeit, für die Erhebungsrunde 2 modifiziert
und verändert. Auch hier entstanden drei neue Leitfäden.
77

3.2.4 Gruppendiskussion
Da sich diese Erhebungsmethode gut eignet, um erarbeitete Zwischenergebnisse einer beteiligten
Schülergruppe vorzustellen und diese diskutieren zu lassen, wurde erst im zweiten
Halbjahr des Schuljahres mit Gruppendiskussionen begonnen. An der Städtischen Willy-
Brand-Gesamtschule wurde im Mai 2007 eine erste Gruppendiskussion durchgeführt ebenso
an der Hauptschule Perlacher Straße.
3.2.5 Nachbesprechungsprotokoll
Teil der gemeinsamen Arbeit von Kulturpädagogen und Lehrern sind die gemeinsamen
Nachbesprechungen der jeweiligen Projekttermine. Um die Einsichten, die in diesen Nachbesprechungen
von den beteiligten Akteuren formuliert werden, auch der Forschung zugänglich
zu machen, werden diese Nachbesprechungen nicht nur per Video aufgezeichnet, sondern
auch in einem Nachbesprechungsprotokoll dokumentiert. Mit den Dokumenten der
Hauptschule Perlacher Straße liegen 151 Nachbesprechungsprotokolle vor.
3.2.6 Projekttagebuch
Um die verschiedenen Perspektiven und Einsichten der beteiligten Kulturpädagogen und
Lehrer der Forschung zugänglich zu machen, wählten wir das Instrument des Tagebuchs.
Lehrer und Kulturpädagogen sind angehalten, regelmäßig ein „Projekttagebuch“ zu führen
und dieses der Auswertung zur Verfügung zu stellen. Bisher liegen insgesamt 98 Tagebucheinträge
vor.
3.2.7 Fragebogenerhebung
Das Zentrum für Lehrerbildung und Fachdidaktik der Universität Passau entwickelte unter
der Federführung von Dr. Thomas Eberle für das Praxisforschungsprojekt einen Schüler-
Fragebogen (siehe Anhang 4.3 Forschungsmaterialien), der Hinweise auf mögliche Wirkungen
der Projektarbeit liefern soll. Die folgenden Dimensionen wurden dabei auf Skalenniveau
erhoben:
• Klassenklima
- Kooperation (Verhalten der Klasse und individuelles Verhalten)
- Rivalität (Verhalten der Klasse und individuelles Verhalten)
78

• Angst (Niveau und Angstbewältigung)
• Allgemeine Selbstwirksamkeitserwartungen
• Freude an künstlerischer Tätigkeit
Zudem wurden die Dimensionen „Vertrauen“, „Initiative“ und „Hilfsbereitschaft“ auf Itemebene
erhoben. Eingesetzt wird ein Instrument mit standardisierten und offenen Fragen. Die
Fragebögen sind anonymisiert.
Erhoben werden als Grunddaten:
• Alter
• Geschlecht
• Geschwisterzahl (überwiegend wg. der Zuordnung der Pre- und Posttest-
Fragebogen)
• Künstlerische Vorerfahrung
Im Schuljahr 2005/ 2006 wurde der Fragebogen in mehreren Erhebungsrunden das erste
Mal eingesetzt. Mit den Daten aus diesen Erhebungsrunden wurde das aus bewährten Skalen
aufgebaute und an die spezielle Situation und Schularten angepasste Instrument überprüft.
Einzelne Problemitems wurden modifiziert oder entfernt. Die Gesamtskala weist ein Cronbachs
Alpha von .778 auf. Die Teilskalen weisen unterschiedliche Reliabilität auf (sehr gute
Reliabilität in den Subskalen Rivalität, Selbstwirksamkeitserwartungen, Angst).
Im Schuljahr 2006/ 2007 wurden an den drei beteiligten Schulen mehrere Fragebogenerhebungen
durchgeführt:
• An der Fritz-Lutz-Grundschule wurden die drei dritten Klassen in fünf Erhebungszeiträumen
befragt: vor der Projektwoche, nach der Projektwoche, vier Wochen
nach der Projektwoche, Mitte des Schuljahres, Ende des Schuljahres. Die
vierten Klassen in drei Erhebungszeiträumen: Beginn, Mitte und Ende des Schuljahres.
• An der Willy-Brandt-Gesamtschule wurden sechs Klassen ebenfalls in drei Erhebungszeiträumen
befragt: Anfang, Mitte und Ende des Schuljahres.
• Die Erhebung an der Hauptschule an der Perlacher Straße bezog sich auf die drei
fünften Klassen, die wiederum in drei Erhebungszeiträumen befragt wurden: Anfang,
Mitte und Ende des Schuljahres.
79

Insgesamt wurden bisher 381 Schüler befragt (229 weitere im Rahmen des pretests im Schuljahr
2005/2006). Davon nahmen 80 an Projektwochen teil, 107 an kontinuierlichen Arbeitsund
Projektgruppen.
3.2.8 Übersicht über das erhobene Material
FLS_SK FLS_AG WBGS_NK HSP_GT Gesamt
Gefilmte Projekttermine 38 37 30 - 105
Beobachtungsprotokolle 38 33 30 - 101
Nachbesprechungsprotokolle 20 13 17 101 151
Schülerinterviews 8 4 8 - 20
Experteninterviews 2 4 8 - 14
Gruppendiskussionen - - 1 1 2
Tagebucheinträge 14 15 53 16 98
Fragebögen 13o 51 59 252 492
Abkürzungen:
FLS_SK: Schulklasse (Jahrgang 3) der Fritz-Lutz-Grundschule
FLS_AG: freiwillige Arbeitsgemeinschaft, offen für Dritt- und Viertklässler an der Fritz-Lutz-
Grundschule
WBGS_NK: Neigungskurs an der Städtischen Willy-Brandt-Gesamtschule, Teilnehmer aus
den Jahrgangsstufen 5-9
HSP_GT: Ganztagsklasse der Hauptschule an der Perlacher Str.
3.3 Methoden der Datenaufarbeitung
3.3.1 Grounded Theory
Die von Glaser und Strauss entwickelte „Grounded Theory“ erlaubt es, große Mengen qualitativen
Materials unterschiedlicher Herkunft (Interviewtranskripte, Beobachtungsprotokolle,
Tagebucheinträge) zu codieren. Zudem ermöglicht das im Rahmen der Grounded Theory
entwickelte „offene Codieren“ einen unverstellten und ergebnisoffenen Umgang mit dem
Material. Um die großen Datenmengen des Praxisforschungsprojekts handhabbar zu halten,
arbeiten wir mit dem Computerprogramm „MAXqda“, das das gemeinsame Codieren sehr
großer Datenmengen erlaubt. Die Auswertungsstammdatei umfasst mittlerweile mehr als
300 verschiedene Datensätze.
80

3.3.2 Forschungswerkstatt
In der Konzeption des Praxisforschungsprojekts wird die Verschränkung von konkreter Projektarbeit
und wissenschaftlicher Auswertung gefordert und als eine Besonderheit des Projektes
dargestellt. Um diese Verschränkung kontinuierlich und für möglichst viele der beteiligten
Personen möglich zu machen, fanden insgesamt sieben Forschungswerkstätten unter
der Leitung von Prof. Dr. Burkhard Hill statt. In diesen Forschungswerkstätten wurden ausgewählte
Teile der erhobenen Materialien: Beobachtungsprotokolle, Videoausschnitte und
Interviewtranskripte, in einem offenen Auswertungsverfahren analysiert.
3.3.3 Strukturelle Beschreibung
Um die Ergebnisse der Forschungswerkstätten für die weitere Auswertungsarbeit nutzen zu
können, ist es notwendig das untersuchte Material in „Strukturellen Beschreibungen“ darzustellen.
Ziel ist es dabei, die Auswahl des untersuchten Materials zu begründen und den Ereignisablauf
nach Sequenzen strukturiert darzustellen. So werden die Denk- und Arbeitsschritte
vom empirischen Material zu übergeordneten theoretischen Erkenntnissen intersubjektiv
nachvollziehbar gemacht. Die Methode der Strukturellen Beschreibung lässt sich dabei
nicht nur für Ergebnisse von Forschungswerkstätten, sondern auch für die Darstellung anderweitig
codierten Materials nutzen.
3.4 Zwischenergebnisse und Ausblick
3.4.1 Hauptcodes der bisherigen Analysearbeit
Die oben beschriebene Methode des offenen Codierens führt dazu, dass sich um bestimmte
Codes und Kategorien „Cluster“ bilden. Es stellt sich mehr und mehr heraus, was die zentralen
Aspekte des untersuchten Materials sind. Die Hauptforschungsfrage unserer Arbeit bezieht
sich auf die Lern- und Bildungserfahrungen, die den Teilnehmern durch die spezifische
Form der Tanz-/Theaterarbeit möglich werden. Die folgenden sechs „axialen Codes“ kristallisieren
sich als Kennzeichnungen der Projektarbeit und der dadurch möglichen Bildungsprozesse
heraus:
• Selbstgestaltung
• Innere Beteiligung
• Der Körper als Medium / Arbeitsmittel
• Die verschiedenen Formen des Tätigseins
81

• Differenzerfahrungen
• Produkt- und Prozessorientierung
Darüber hinaus analysierten wir unter den Hauptcodes „Leistung der Schüler“, „Rituale“,
„Arbeitsprinzipien“ und „Nachhaltigkeit der Lernprozesse“.
3.4.2 Schatzkammer Datenmaterial
Es ist uns gelungen eine beispiellose Datensammlung anzulegen, die sich durch eine klare
und systematisierte Vorstrukturierung auszeichnet. Durch die Synchronisation von Beobachtungsprotokollen
und Videomaterial ist es möglich, das Material unter sehr spezifischen Fragestellungen
sofort ausschnitthaft zu untersuchen, ohne zuvor eine mühsame und sehr zeitaufwändige
Strukturierung des Materials leisten zu müssen. Die Daten erweisen sich so als
eine „Schatzkammer“, die auch von anderen Forschern genutzt werden kann:
Das Material der Voruntersuchungen zum Praxisforschungsprojekt wurde schon in zwei Abschlussarbeiten
untersucht.
Anke Werling, die als Tanzpädagogin bei den praktischen Vorstudien zum Praxisforschungsprojekt
an der Fritz-Lutz-Schule mitwirkte, verfasste an der Fachhochschule München,
Fachbereich 11 Sozialwesen, eine Diplomarbeit mit dem Titel „Kooperation von Schule und
außerschulischer/ kultureller Bildung. Dargestellt am Fallbeispiel des Projektes „Kreativer
Tanz“ des Vereins PA/ Spielen in der Stadt e.V,. München
Elisabeth Hagl, die als Theaterpädagogin bei den praktischen Vorstudien an der Fritz-Lutz-
Schule mitwirkte und seit Beginn des Pilotprojekts zum Schuljahr 2006/07 die Leitung der
Theater-/Tanz AG übernommen hat, beschloss ihr Studium an der LMU München im Fachbereich
Pädagogik mit ihrer Magisterarbeit mit dem Titel „ Theaterpädagogik im Kontext
einer lebendigen Lernkultur“, in der sie Protokolle der Projektarbeit auswertete.
Petra Arres, teilnehmende Beobachterin in einer Projektgruppe und Studentin der Kunstpädagogik,
arbeitet mit dem aktuellen Datenmaterial an ihrer Abschlussarbeit, ihr Thema ist
dabei die Schnittstelle zwischen bildender und darstellender Kunst.
Tom Biburger, künstlerisch-wissenschaftlicher Leiter des Praxisforschungsprojekts, plant
eine Promotion mit dem Arbeitstitel „Ansätze einer Theatertheorie für Kinder- und Jugendliche“
als Fortführung der konkreten Projektarbeit ab 2009.
82

3.4.3 Zwischenergebnisse der Fragebogenerhebung
Erste Zwischenergebnisse der Fragebogenerhebung unterstützen die vermuteten Wirkungen
der Projektarbeit. Die Ergebnisse der Subskalen (N=74 – N=78) zeigen folgende Tendenzen,
die allerdings aufgrund der relativ kleinen Gruppengröße etwas vorsichtig zu interpretieren
sind: Im Vergleich der Erhebungsdaten vor und nach der Projektwoche
• steigt die Kooperation individuell und in der Gruppe
• hinsichtlich der Rivalität in der Klasse gibt es unterschiedliche Tendenzen in den
beteiligten Klassen, individuell sinkt die Rivalität
• Angst: gleich bleibend
• signifikant gesteigerte Selbstwirksamkeitserwartungen (p=0,004)
• signifikant gesteigerte Freude an künstlerischen Tätigkeiten (p=0,001)
Die Ergebnisse aus dem Pretest zeigen einige wünschenswerte Unterschiede zwischen den
beiden Erhebungszeitpunkten vor und nach der Projektwoche, die mit hoher Wahrscheinlichkeit
auf die Projektmaßnahmen zurückzuführen sind:
• Die gemessene Verbesserung der Kooperation – wobei die Einschätzung der Schüler
sowohl ihr eigenes Verhalten, als auch das Verhalten der Klasse betrifft – steht in
Einklang mit den Projektzielen und mit im Rahmen der Projekte bewusst geschaffenen
vielfältigen Kooperationsmöglichkeiten, die positive Kooperationserfahrungen
ermöglichen.
• Ähnlich verhält es sich bei Rivalität, die unter anderem durch positiven Umgang
miteinander abgebaut werden sollte. Während in allen Klassen eine Veränderung
des individuellen Verhaltens hin zu weniger Rivalität festgestellt werden konnte,
fällt das Bild hinsichtlich des Verhaltens der Mitschüler unterschiedlich aus.
Es handelt sich allerdings um kurzfristige Effekte. Angesichts der relativ kleinen Untersuchungsgruppe
bleibt abzuwarten, ob sich diese Tendenzen im Schuljahr 2006/2007 wiederholen.
Die Ergebnisse des Pretest bedürfen weiterer Überprüfung. Eine Bestätigung der gezeigten
Tendenzen wäre allerdings ein deutlicher Hinweis darauf, dass Kulturarbeit, wie sie im „Praxisforschungsprojekt
– Leben lernen“ durchgeführt wird, erwünschte Effekte auf das Sozialverhalten
zeigt: mehr Kooperation, weniger Rivalität, zumindest individuell. Die gesteigerten
Selbstwirksamkeitserwartungen lassen positive Effekte auf die schulische Leistung erwarten.
Die Daten aus dem Schuljahr 2006/2007 werden derzeit eingegeben.
83

3.4.4 Forschungsstrategie
Modellhaft, innovativ und kennzeichnend für das „Praxisforschungsprojekt – Leben lernen“
ist die Verbindung von Kunst/Kultur und Wissenschaft, das heißt von Kulturpädagogik in der
Praxis und wissenschaftlicher Reflexion der Praxis in der Theorie (siehe Gesamtkonzept).
Beide Bereiche können nur zu Ergebnissen führen, wenn sie sich gegenseitig durchdringen,
wenn einzelne Akteure des Projektes auch gleichzeitig Beobachter sind. Diese personelle
Konstellation konnte in den Projektgruppen hergestellt werden.
3.4.4.1 Disziplinäre Vielfalt als Schlüssel zum Material
Die oben genannten „axialen Codes“ erlauben vielfältige Theorieanschlüsse. Der jeweilige
theoretische Bezug entscheidet über Gestalt und Zielsetzung der weiteren Forschungsfragen.
Da im Praxisforschungsprojekt Menschen unterschiedlicher Professionen zusammenarbeiten
und auch der Auswertungsprozess nicht nur von Wissenschaftlern „jenseits“ der Praxis erfolgen
soll, scheint uns eine Festlegung auf einen theoretischen Bezugsrahmen als unbefriedigend.
Für die weitere Auswertungsarbeit scheint es uns daher sinnvoll, erziehungswissenschaftliche,
kulturwissenschaftliche und künstlerisch-theatertheoretische Diskurse in unsere
Arbeit mit einzubeziehen. Gerade diese Kombination wird dabei auch der praktischen Arbeit
am besten gerecht, die sich auch zwischen „Kunst“ „Kulturpädagogik“ und „Pädagogik“ bewegt.
3.4.4.2 Multiperspektivischer Blick und Triangulation der Methoden
Zur wissenschaftlichen Untersuchung und als Teil der Forschungsstrategie funktionieren die
Teilprojekte wie Laboratorien. In den Versuchsanordnungen verschränkt sich der Blick, den
Wissenschaftler von außen mit einer gewissen Distanz auf das Projekt haben mit der Perspektive
der Projektinitiatoren, die gleichzeitig als Künstler, Kulturpädagogen, Lehrer und
Wissenschaftler am Projekt aktiv mit den Kindern und Jugendlichen teilnehmen. Die Materialien
mit den Äußerungen aller Beteiligten (siehe 3.2. Methoden der Datenerhebung) eröffnen
einen multiperspektivischen Blick auf den Projektprozess, der möglichst genau Prozesse
beurteilen und einschätzen kann. Es ist geplant, Filme oder interaktive Medienformen zu
erarbeiten, in denen mit Triangulation der Untersuchungsmethoden, Text-, Ton- und Bildaufzeichnungen
sowie verschiedene Blickwinkel aufeinander bezogen sind.
84

3.4.4.3 Anpassung des Forschungsdesigns
Die bisherigen Erfahrungen und die erzielten Ergebnisse legen einige Veränderungen des
Forschungsdesigns nahe:
• Keine weitere kontinuierliche Beobachtung der Gruppe FLS_AG
Die freiwillige Nachmittagsgruppe an der Fritz-Lutz-Schule stand allen Schülern
der dritten und vierten Klassen offen. Da nur zwei Kinder aus den dritten Klassen
an der AG im letzten Schuljahr teilnahmen, wechseln fast alle Teilnehmer der AG
auf andere Schulen. Die AG startet somit im neuen Schuljahr, im Unterschied zu
den beiden anderen beobachteten Gruppen, mit fast nur neuen Teilnehmern. Wie
beschlossen daher die kontinuierliche Beobachtung der AG einzustellen, da uns der
mögliche Erkenntnisgewinn durch die Beobachtung dieser neuen Gruppe als kleiner
erscheint, als eine umfangreiche Analyse des schon vorhandenen Materials mit der
Unterstützung der freiwerdenden Ressourcen.
• Die Frage nach der Kooperation von Schule und Jugendhilfe
Eine der Fragestellungen des „Praxisforschungsprojekt – Leben lernen“ ist die Frage
nach der gelingenden Kooperation von Schule und Jugendhilfe. Um deutlich zu
machen, dass die Kooperation dieser Träger kein Selbstzweck ist, beschlossen wir,
die Frage für das zweite Auswertungsjahr dahingehend umzuformulieren: „Inwiefern
fördert/ behindert die Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe die Lernund
Bildungsbedingungen der Schüler?“
• Vertiefter Fokus der Beobachtung
Durch die geleistete Analysearbeit sind die oben beschriebenen Hauptcodes entstanden.
Mit diesen Hauptcodes ist es möglich, die weitere Beobachtungs- und
Filmarbeit stärker zu fokussieren. In enger Absprache zwischen den an der Auswertung
Beteiligten, den Kulturpädagogen, den teilnehmenden Beobachtern und den
Kameraleuten wird der Fokus der Beobachtung immer wieder neu besprochen und
definiert werden. Dies erlaubt uns für das zweite Jahr ganz gezielte Beobachtungen,
die dann auch im Filmmaterial wiederzufinden sind.
• Verstärkter Einsatz von Gruppendiskussionen
Um die Perspektive der Teilnehmer noch stärker in den Blick nehmen zu können,
planen wir für das nächste Jahr mehrere Gruppendiskussionen durchzuführen. So
wird es möglich, die von uns entwickelten Hypothesen von den Akteuren selbst prüfen
zu lassen.
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3.4.5 Ausblick auf geplante Veröffentlichungen
Ausgehend von dem bisher erhobenen Material planen wir folgende Veröffentlichungen:
• Schriftlicher Forschungsbericht, der das ausgewertete Material in Beziehung zu
künstlerisch/ erziehungswissenschaftlichen/ kulturpädagogischen Theorien stellt.
• Filmbeispiele zur audio-visuellen Darstellung von Schlüsselereignissen.
• Interaktive Film-DVD, die schriftliches Material, Tonquellen und Bilder-
/Filmmaterial aufeinander bezieht und den Projektprozess zusammen mit den wissenschaftlichen
Erkenntnissen spiegelt.
• Sammelband, in dem auch Perspektiven von Lehrern, beteiligten Kulturpädagogen
und den Mitgliedern des Beirats enthalten sind.
• Handreichung zu Tanz und Theater als Medien kultureller Bildung in der Kooperation
mit Schule.
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