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KLINIK REPORT - Fachklinik Lenggries

KLINIK REPORT - Fachklinik Lenggries

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<strong>KLINIK</strong> <strong>REPORT</strong><br />

<strong>Fachklinik</strong> für Neurologie und Physikalisch-rehabilitative Medizin • Ärztlicher Direktor: Dr. Bernd Schönberger • Tel. 0 80 42-50 40 • www.fachklinik-lenggries.de<br />

Ausgabe März 2002<br />

<strong>KLINIK</strong> INTERN INHALT<br />

Orthopädische Erkrankungen<br />

in der neurologischen Rehabilitation<br />

Erkrankungen des Bewegungsapparates treten bei Patienten in der neurologischen<br />

Rehabilitation zum einen als Folge der neurologischen Grunderkrankung, zum anderen als<br />

die Behandlung erschwerende, meist länger bestehende Zusatzerkrankung auf. Insbesondere<br />

bei Schlaganfallerkrankungen befinden sich die Patienten häufig im höheren Lebensalter<br />

und zeigen eine eingeschränkte Anpassungsfähigkeit an die veränderte Beanspruchung des<br />

Bewegungsapparates. Durch eine umfassende und individuelle physio- sowie ergotherapeutische<br />

Behandlung können Spezialisten der <strong>Fachklinik</strong> <strong>Lenggries</strong> motorische, sensible<br />

und koordinative Leistungseinbußen ihrer Patienten minimieren oder sogar aufheben.<br />

Fachübergreifende Zusammenarbeit<br />

steht in der <strong>Fachklinik</strong> <strong>Lenggries</strong> auf<br />

der Tagesordnung.<br />

Bei Schlaganfallerkrankungen, Schädel-<br />

Hirn-Traumata, Multipler Sklerose, neurodegenerativen<br />

Erkrankungen sowie lokalen und<br />

systemischen peripheren Neuropathien ist im<br />

wechselnden Umfang die Zusammenarbeit<br />

von Neurologen und Orthopäden/Fachärzten<br />

für Physikalische und Rehabilitative Medizin<br />

erforderlich. Hinzu kommt die Beurteilung<br />

unfallbedingter Begleiterkrankungen. Der in<br />

der neurologischen Rehabilitation tätige<br />

Orthopäde/Facharzt für Physikalische und<br />

Rehabilitative Medizin muss neben seinen<br />

Erfahrungen in der Behandlung von Erkrankungen<br />

des Bewegungsapparates auch über<br />

solche auf dem Gebiet der neurologischen<br />

Rehabilitation verfügen und in der Lage sein,<br />

bei der Planung von operativen Eingriffen die<br />

rehabilitativen Gesichtpunkte zu berücksichtigen.<br />

Als Beispiel sei hier die „orthopädische<br />

Therapie“ von Schlaganfallpatienten mit einer<br />

Halbseitenlähmung sowie von Patienten mit<br />

Wirbelsäulenerkrankungen in ihren Grundzügen<br />

vorgestellt.<br />

Schlaganfall mit Halbseitenlähmung<br />

Beim Halbseitensyndrom sollte die Arbeit<br />

des Orthopäden/Facharzt für Physikalische<br />

und Rehabilitative Medizin in Kooperation<br />

mit der Neurologie und Physiotherapie folgende<br />

Ziele umfassen :<br />

Erhalt der Beweglichkeit aller Gelenke<br />

mit dem Ziel der Spastikreduktion<br />

Schmerzbehandlung insbesondere der<br />

betroffenen Schulter<br />

serielles Gipsen zur Spastikreduktion und<br />

Kontrakturbehandlung und -prophylaxe<br />

die gemeinsame Erarbeitung von Operationsindikationen<br />

zur Funktionsverbesserung<br />

bzw. zur Pflegeerleichterung<br />

Die Subluxation im Schultergelenk bei<br />

schlaffer Lähmung der Muskulatur der<br />

Rotatorenmanschette und des M. deltoideus<br />

stellt mit ihren oft erheblichen Schmerzen ein<br />

großes Problem dar. Orthetische Versorgungen<br />

sind aufwendig und werden oft nicht toleriert.<br />

Injektionen mit Lokalanästhetika können kurzfristig<br />

Linderung bringen, während darüber<br />

hinaus entsprechende Zurichtungen am<br />

Rollstuhl zur Entlastung der im Bandapparat<br />

hängenden Schulter beitragen. Die frühzeitige<br />

Anbahnung wiederkehrender Funktionen von<br />

Ellenbogen und Handgelenk sowie die korrekte<br />

Lagerung können Kontrakturen verhindern.<br />

LEITARTIKEL<br />

Die neue Patienten-Power<br />

30 000 Selbsthilfegruppen sind in Deutschland<br />

aktiv. Doch nicht nur Aufklärung und<br />

Beratung, sondern auch Förderung der wissenschaftlichen<br />

Forschung gehören zu ihren<br />

Leistungen. Seite 2<br />

NEUROORTHOPÄDIE<br />

Selbstständigkeit zurückgewinnen<br />

Ziel der Ergotherapie ist es, dass die Patienten<br />

ihre körperliche, geistige und soziale Selbstständigkeit<br />

wiedererlangen. Seite 4<br />

Experteninterview<br />

Dr. med. Nam Nguyen,<br />

Chefarzt der Orhopädischen<br />

Abteilung des Städtischen<br />

Krankenhauses Bad Tölz,<br />

geht in einem Interview auf<br />

die Besonderheiten der<br />

orthopädischen Behandlung neurologischer<br />

Patienten ein. Seite 9<br />

NEUROORTHOPÄDIE<br />

AUS DEN ABTEILUNGEN<br />

Laufbandtherapie<br />

Das Gangtraining ist besonders gut zur<br />

Behandlung von Schlaganfallpatienten<br />

geeignet. Seite 10<br />

ÜBERSICHT<br />

Klinik Intern . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 1<br />

Leitartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 2<br />

Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 3<br />

Schwerpunkt Neuroorthopädie:<br />

Aus den Abteilungen . . . . . . . . Seite 4<br />

Hilfe zur Selbsthilfe . . . . . . . . . Seite 5<br />

Porträt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 6<br />

Rehabilitation Heute . . . . . . . . . . Seite 7<br />

Experteninterview/Buchtipp . . Seite 9<br />

Aus den Abteilungen . . . . . . . . . . Seite 10<br />

Vorankündigung . . . . . . . . . . . . . . Seite 10<br />

Gesundheits- und Sozialpolitik . . Seite 11<br />

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 11<br />

Aktuelles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 12


Die pathologischen Bewegungsmuster können<br />

bei der Hemiplegie in der Hüfte zu einer<br />

Bewegungseinschränkung durch Kontrakturen<br />

in Flexion und Adduktion, im Kniegelenk zu<br />

einer Flexionskontraktur sowie im Fußbereich<br />

zu einer Equino-Varusfehlstellung des<br />

Rückfußes in Kombination mit Krallenzehen<br />

führen. Bedingt durch das häufig höhere<br />

Lebensalter der Insultpatienten kommen vorbestehende<br />

arthrotische Veränderungen<br />

besonders erschwerend hinzu. In der<br />

Frühphase der Erkrankung sind Lagerungsprophylaxe<br />

und Physiotherapie mit Anbahnung<br />

aktiver Bewegungsmuster die adäquate<br />

Therapie. Die intraartikuläre Spritzenbehandlung<br />

kann Schmerzen bei vorbestehenden<br />

Arthrosen lindern, sollte jedoch<br />

bezüglich Indikationsstellung und Durchführung<br />

dem Orthopäden/Facharzt für<br />

Physikalische und Rehabilitative Medizin vorbehalten<br />

bleiben. Sehr frühzeitig sollte die<br />

insultbedingte Gangstörung durch orthopädische<br />

Hilfsmittel beeinflusst werden. Bei<br />

fortschreitenden Kontrakturen im Knie- und<br />

Fußbereich kann serielles Gipsen, verbunden<br />

mit anschließenden Nachtlagerungsschalen,<br />

helfen. Teilweise blockierte Unterschenkelorthesen<br />

in Verbindung mit einer regelrechten<br />

schuhorthopädischen Versorgung können die<br />

Lähmung der Peronäusmuskulatur kompensieren<br />

und zu einer Verbesserung des Gangbildes<br />

beitragen.<br />

„Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!” Nach<br />

dieser Erkenntnis einer alten Volksweisheit<br />

arbeiten weit mehr als 30 000 Selbsthilfegruppen<br />

für nahezu alle Erkrankungen in<br />

Deutschland. Ihre Angebote und Leistungen<br />

vermitteln Patienten und Angehörigen<br />

Kompetenz und Souveränität in unserem<br />

komplexen und unübersichtlichen Medizinbetrieb.<br />

Dies ist vom Gesetzgeber so gewollt,<br />

der im Sozialgesetzbuch die gesetzliche<br />

Krankenversicherung verpflichtet, die<br />

Selbsthilfe mit jährlich etwa 35 Millionen<br />

Euro, das entspricht 50 Cent je Versicherten,<br />

zu unterstützen.<br />

Doch nicht nur hierzulande, sondern auch<br />

bei unseren angelsächsischen Nachbarn ist<br />

ein größeres Mitspracherecht der Patienten<br />

angesagt. So beabsichtigt das gebeutelte<br />

Gesundheitssystem Großbritanniens, Wissen<br />

2 FACH<strong>KLINIK</strong> LENGGRIES 1/2002<br />

<strong>KLINIK</strong><strong>REPORT</strong><br />

Wirbelsäulenerkrankungen<br />

Erkrankungen der Wirbelsäule treten zum<br />

einen mit neurologischen Ausfällen, wie bei<br />

Querschnittssyndromen unterschiedlicher<br />

Der in der neurologischen<br />

Rehabilitation tätige<br />

Orthopäde muss neben<br />

Erfahrungen in der<br />

Behandlung von<br />

Erkrankungen des<br />

Bewegungsapparates auch<br />

über solche auf dem Gebiet<br />

der neurologischen<br />

Rehabilitation verfügen.<br />

Ursache, auf. Zum anderen sind sie komplizierende<br />

Zusatzerkrankungen bei vorbestehenden,<br />

meist chronischen Rückenleiden.<br />

Unter veränderten Bedingungen der motorischen<br />

Kontrolle, zum Beispiel mit ständigem<br />

Sitzen im Rollstuhl oder bei Fehlhaltungen im<br />

Rahmen ungenügender Kontrolle des Rumpfes<br />

(z. sB. Morbus Parkinson), können die bereits<br />

LEITARTIKEL<br />

Die neue Patienten-Power<br />

Bedeutung der Selbsthilfegruppen in der Gesundheitsversorgung<br />

und Erfahrungen von Patienten mit chronischen<br />

Erkrankungen in den nächsten sechs<br />

Jahren systematisch in die Krankenversorgung<br />

mit einzubeziehen. Etwa drei Millionen Euro<br />

sollen jährlich für das „Experten-Patient-<br />

System“ ausgegeben werden. Schon auf der<br />

Universität soll den Ärzten eine andere<br />

Haltung gegenüber dem Patienten gelehrt werden.<br />

Ziel ist es, die Patienten auszubilden und<br />

sie zu gleichberechtigten Partnern im<br />

Gesundheitssystem zu machen.<br />

Dies alles kommt nicht von ungefähr. Denn<br />

Patienten und ihre Angehörigen sind mittlerweile<br />

dabei, durch handfeste Wissenschaftsförderung<br />

etwas gegen ihre Leiden zu tun.<br />

Neue Strukturen machen dies möglich. Nicht<br />

zuletzt das Internet hat das Informationsmonopol<br />

von Ärzten und Forschern gesprengt.<br />

Eine Studie unter 12 000 Internetnutzern in<br />

bestehenden Beschwerden zunehmen. Die<br />

beschriebenen unphysiologischen und monotonen<br />

Haltungen rufen eine Überlastung in der<br />

Muskulatur und im Bandapparat hervor und<br />

beeinträchtigen die subjektive Befindlichkeit.<br />

Da auch und gerade die degenerativ bedingten<br />

Bandscheibenerkrankungen die häufigste<br />

Ursache für chronische und akute Wirbelsäulensyndrome<br />

darstellen, ist auch hier der<br />

Orthopäde/Facharzt für Physikalische und<br />

Rehabilitative Medizin in der differentialdiagnostischen<br />

Situation gefordert.<br />

In diesem komplexen Bedingungsgefüge<br />

ist es die Aufgabe der verschiedenen Fachgebiete,<br />

besonders die spondylogenen Ursachen<br />

differenziert zu analysieren und so<br />

zum therapeutischen Gesamtkonzept beizutragen.<br />

Gerade bei der Differenzierung radikulärer<br />

und/oder pseudoradikulärer Syndrome<br />

sind die elektrophysiologischen Befunde des<br />

Neurologen richtungweisend. Nur gemeinsam<br />

erarbeitete und fundierte Diagnosen weisen<br />

den Weg zu einer interdisziplinär abgesicherten<br />

Therapie. Diese besteht je nach Akuität<br />

und Lokalisation in medikamentöser<br />

Behandlung, Physiotherapie, Lagerungstechniken<br />

mit vorübergehender Ruhigstellung,<br />

lokalen Injektionen, eher selten manualtherapeutischen<br />

Behandlungen und – als Ultima<br />

Ratio – der Operation.<br />

Dr. med. Franz Wehle<br />

den Vereinigten Staaten konnte zeigen, dass 55<br />

Prozent das Netz für Gesundheitsinformationen<br />

konsultieren. Bei einer reinen Informationsbeschaffung<br />

wird es jedoch nicht bleiben.<br />

Surfende Kranke hebeln bereits nationale<br />

Gesundheitsvorschriften aus, indem sie massenhaft<br />

nach Therapien verlangen, die in<br />

ihrem Land nicht erhältlich sind, und sich<br />

zudem noch nicht zugelassene Arzneien via<br />

Internet-Apotheke besorgen.<br />

Einflussnahme auf die Forschung<br />

Auch die rot-grüne Bundesregierung hat<br />

durch gesetzlich verankerte Vorschriften dazu<br />

beigetragen, den Selbsthilfegruppen ihren Weg<br />

zu ebnen. Zudem trat im Jahr 2000 in Europa<br />

eine Verordnung in Kraft, mit der die<br />

Entwicklung von Medikamenten gegen seltene<br />

Erkrankungen unterstützt wird. So hat


Sie wollen ihre Erkrankung selbst in die Hand zu nehmen.<br />

Die neue Patienten-Generation bekämpft aktiv<br />

ihr Leiden.<br />

die Nationale Kontakt- und Informationsstelle<br />

zur Anregung und Unterstützung von<br />

Selbsthilfegruppen (NAKOS) mit Sitz in<br />

Berlin, für rund 200 dieser seltenen<br />

Erkrankungen Gruppen in ihrer Liste der<br />

„blauen Adressen“ zusammengetragen. Dabei<br />

handelt es sich um Patientenorganisationen,<br />

die sich durch tatkräftige Einmischung in die<br />

Medikamentenforschung nicht länger auf seelischen<br />

Beistand für ihre Mitglieder oder<br />

Ratschläge bei der Arztwahl beschränken,<br />

sondern medizinische Forschungsprojekte, vor<br />

allem zur Entwicklung von Arzneien für seltene<br />

Erkrankungen, finanzieren. Auch forschen<br />

manche Selbsthilfegruppen gleich<br />

selbst, wie etwa die 1995 von einem Elternpaar<br />

gegründete Gruppe „PXE international“.<br />

Dessen Bestreben besteht darin, schneller an<br />

medizinische Hilfe für seine beiden Kinder<br />

zu gelangen, die an einer genetischen<br />

Krankheit leiden, von der in Deutschland<br />

schätzungsweise 600 Menschen betroffen<br />

sind. Natürlich ist die direkte Einmischung<br />

von Patientenorganisationen in Forschungsentscheidungen<br />

nur selten erwünscht, jedoch<br />

führte deren Engagement bereits zu verbesserten<br />

Krebsstudien und hat einer pragmatischen<br />

Behandlung von Aidspatienten und<br />

einem besseren Informationsaustausch unter<br />

Menschen mit seltenen Erkrankungen den<br />

Weg geebnet.<br />

Dialog zwischen Ärzten<br />

und Betroffenen fördern<br />

Die neue „Patienten-Power“ macht sich mittlerweile<br />

auf vielen Gebieten bemerkbar. Durch<br />

die Zusammenarbeit von Ärzten und<br />

Selbsthilfegruppen, wie etwa in dem<br />

Kooperationsprojekt „Dialog“ in München,<br />

werden nicht nur wechselseitige Vorbehalte<br />

abgebaut, sondern vielmehr neue Informations-<br />

<strong>KLINIK</strong><strong>REPORT</strong><br />

strukturen aufgebaut, so dass das<br />

Wissen von Experten und<br />

Betroffenen zusammengeführt<br />

und ein maßgeschneidertes<br />

Unterstützungsangebot entwickelt<br />

werden kann.<br />

Wie viel Druck das Engagement<br />

von Patienten erzeugen<br />

kann, wurde an der Verbreitung<br />

von Testergebnissen eines<br />

Wirkstoffs gegen eine Form des<br />

Blutkrebses deutlich. Die Resultate<br />

sickerten über das Internet<br />

zu den gut organisierten Leukämiekranken,<br />

die wiederum<br />

Websites eröffneten, um den<br />

erfolgreich getesteten Wirkstoff<br />

publik zu machen. Schon zwei<br />

Tage nach Bekanntwerden der<br />

ersten Daten im Netz verlangten über 4 000<br />

Betroffene, die Pharmafirma solle die<br />

Produktion des Versuchsstoffs ausweiten, um<br />

ihn schneller durch die Tests zu peitschen.<br />

Mit Erfolg. Der Wirkstoff kam viel früher als<br />

geplant auf den Markt. Pharmamanager sehen<br />

in dieser Aktion der Leukämieaktivisten lediglich<br />

eine Brise vor dem Sturm. „Ich erwarte,<br />

dass wir von Patienten viel Druck bekommen“,<br />

gesteht Paulo Costa, Chef von Novartis<br />

USA, „und wir werden lernen müssen, darauf<br />

einzugehen.“ Angesichts solcher Patientenmacht<br />

warnen führende Wissenschaftler vor<br />

allzu hohen Erwartungen vonseiten der<br />

Patientengruppen. Die Betroffenen müssten<br />

verstehen, dass sich der Weg von der<br />

Grundlagenforschung bis zur klinischen<br />

Anwendung auch durch ständiges Nachfragen<br />

nun einmal nicht verkürzen ließe.<br />

Letztendlich darf auch die soziale<br />

Bedeutung der Selbsthilfe nicht unterschätzt<br />

werden. Denn die in aller Regel gut funktionierenden<br />

sozialen Netze tragen dazu bei, die<br />

Informationslage von Betroffenen zu verbessern,<br />

Bewältigungsstrategien möglichst frühzeitig<br />

zu erproben und das Selbstvertrauen in<br />

den Familien zu steigern. Um ein stabiles<br />

Selbstwertgefühl aufzubauen, müssen wir –<br />

allein oder besser noch in der Gemeinschaft<br />

Betroffener – herausfinden, was uns blockiert<br />

und was uns gut tut, und Negatives durch<br />

Positives ersetzen. So erhöht zum Beispiel ein<br />

einziger ermutigender Film die Zahl der infektionsabwehrenden<br />

Antikörper im Blut,s und<br />

Kranke, die einander in Selbsthilfegruppen<br />

emotional unterstützen, leben deutlich länger<br />

als andere mit dem gleichen Krankheitsbild.<br />

Insofern sind Selbsthilfegruppen sowohl<br />

Faktoren medizinischer Emanzipation des<br />

Normalbürgers als auch von individuellem<br />

therapeutischem Gewicht. Erhard Hackler<br />

KOMMENTAR<br />

Eines ist klar: Selbsthilfegruppen<br />

sind keineswegs<br />

ein Ersatz für<br />

eine professionelle ärztliche Versorgung,<br />

aber wohl eine wesentliche<br />

Ergänzung insbesondere bei der<br />

Langzeitbetreuung chronisch Kranker<br />

und bei der Aufklärung über<br />

Verhinderungsstrategien für den von<br />

Krankheit und Behinderung Bedrohten.<br />

Wenn daher in diesem Jahr die<br />

Förderpflichtbeträge in den Haushalten<br />

stehen und die notwendigen Strukturen<br />

aufgebaut sind, kommt es darauf an,<br />

qualitativ hochwertige Selbsthilfeprojekte<br />

effizient und unbürokratisch zu<br />

fördern. Denn das dort vorhandene<br />

Erfahrungswissen der Betroffenen führt<br />

einerseits zu einer besseren Versorgung<br />

und andererseits eröffnet es potentzielle<br />

Präventionsperspektiven.<br />

Wie hoch der Bedarf an Selbsthilfegruppen<br />

bei den Betroffenen ist, soll ein<br />

Beispiel verdeutlichen: Nach einer jüngsten<br />

Forsa-Umfrage würden 88 Prozent<br />

der befragten chronisch Kranken an<br />

einem Desease-Management-Programm,<br />

also an einem Behandlungsprogramm,<br />

das speziell auf ihre Krankheit zugeschnitten<br />

ist, und 74 Prozent an<br />

Schulungskursen teilnehmen. Dies ist<br />

ein eindeutiges Signal dafür, dass wir<br />

gut daran tun, in Selbsthilfe und<br />

Prävention zu investieren.<br />

Während im ambulanten Bereich in<br />

der Regel nur rudimentäre Kontakte zu<br />

Selbsthilfegruppen bestehen, arbeiten<br />

spezialisierte Kliniken häufig mit<br />

Selbsthilfegruppen zusammen. Defizite<br />

sollten daher durch eine von den kommunalen<br />

Gesundheitsreferaten gesteuerte<br />

Arbeitsgemeinschaft der zuständigen<br />

Krankenkassen mit bestehenden<br />

oder zu organisierenden Selbsthilfezentren<br />

abgebaut werden, wie dies in<br />

München bereits der Fall ist. Auch ließe<br />

sich dadurch die Verteilung von Fördergeldern<br />

vereinfachen und deren effiziente<br />

Verwendung besser kontrollieren.<br />

RA Erhard Hackler<br />

Geschäftsführender Vorstand<br />

der Deutschen Seniorenliga e.V.<br />

1/2002 FACH<strong>KLINIK</strong> LENGGRIES<br />

3


AUS DEN ABTEILUNGEN<br />

4 FACH<strong>KLINIK</strong> LENGGRIES 1/2002<br />

<strong>KLINIK</strong><strong>REPORT</strong><br />

NEUROORTHOPÄDIE • NEUROORTHOPÄDIE<br />

Selbstständigkeit zurückgewinnen<br />

Ergotherapeutische Behandlung in der <strong>Fachklinik</strong> <strong>Lenggries</strong><br />

In der Ergotherapie gilt die größte Aufmerksamkeit der Wiedererlangung körperlicher, geistiger und sozialer Selbstständigkeit der<br />

Patienten. Es werden, bei Anwendung neuester Behandlungsverfahren auf neurophysiologischer Grundlage, vor allem verloren gegangene<br />

Arm- und Handfunktionen wieder angebahnt und in den Alltag integriert. Das selbstständige Durchführen der Aktivitäten des täglichen<br />

Lebens (ADL) wie Waschen,An- und Auskleiden, Haushaltsführung, Kochen, Essensvorbereitung wird in Therapiesituationen erarbeitet und<br />

in der konkreten Alltagssituation mit dem Patienten wieder eingeübt.<br />

Das Angebot der <strong>Fachklinik</strong><br />

<strong>Lenggries</strong> umfasst die Behandlung<br />

von Patienten in der Phase B<br />

(Frührehabilitation) bis hin zu Patienten<br />

in der Phase D (Anschlussheilbehandlung).<br />

Diese große<br />

Bandbreite fordert von den Therapeuten<br />

das gesamte Spektrum der<br />

ergotherapeutischen Behandlung<br />

neurologischer Patienten.<br />

In der Behandlung von Patienten<br />

der Phase B steht häufig noch die<br />

Stabilisierung des Allgemeinzustandes<br />

und die allgemeine<br />

Mobilisierung im Vordergrund.<br />

Besteht eine Parese der oberen<br />

Extremität, setzt jedoch bereits in<br />

dieser frühen Phase auch schon die<br />

gezielte Therapie von Arm, Hand und Fingern<br />

ein. Täglich werden therapeutische Maßnahmen<br />

zur Erhaltung der Beweglichkeit<br />

(Kontrakturprophylaxe) und zur Anbahnung<br />

von Funktionen durchgeführt. Hat der Patient<br />

noch keinerlei Funktionen in der betroffenen<br />

Extremität, wird mit verschiedensten stimulierenden<br />

und passiven Methoden gearbeitet.<br />

Sobald der Patient aus eigener Kraft<br />

Bewegungen durchführen kann, werden diese<br />

gezielt gefördert und trainiert. Wichtig ist hier,<br />

dass der Patient so früh wie möglich die wiedergewonnenen<br />

Funktionen auch im Alltag<br />

einsetzt, um einen „erlernten Nichtgebrauch“<br />

des jeweiligen Körperteils zu verhindern.<br />

Forced-Use-Therapie<br />

Die Ergotherapeuten bedienen sich einer<br />

Palette gängiger therapeutischer Methoden<br />

(u. a. Bobath, Perfetti) und integrieren auch<br />

stets neue Techniken (z. B. Motor Imagery,<br />

Repetitives Training). Stets wird unter<br />

Absprache mit dem Stationsteam ein indivi-<br />

Alltägliche Aktivitäten wie Anziehen, Putzen oder Kochen<br />

wieder selbstständig erledigen zu können, ist eine erhebliche<br />

Steigerung der Lebensqualität.<br />

duell auf den Patienten abgestimmtes<br />

Verfahren gewählt, das den Allgemeinzustand<br />

des Patienten, die Plastizitätsphase, in der er<br />

sich befindet, sowie die motorischen<br />

Fähigkeiten individuell<br />

berücksichtigt. Sind<br />

Grobmotorik und erste<br />

Greif- und Haltefunktionen<br />

gebahnt, werden<br />

auch selektive<br />

Fingerbewegungen und<br />

Feinmotorik geübt. Ist<br />

die dominante Hand<br />

betroffen, nimmt das<br />

Schreibtraining häufig<br />

einen großen Raum in<br />

der Therapie ein. Um<br />

wieder in ausreichendem<br />

Maße schreiben zu können, sind feinste motorische<br />

und koordinative Anforderungen zu<br />

Die Probe aufs Exempel<br />

erfüllen. Neben Feinmotoriktraining<br />

einzeln und in<br />

der Gruppe findet im Haus<br />

die „Forced-Use-Therapie“<br />

immer häufiger Anwendung.<br />

Hierbei wird nach<br />

enger Absprache mit dem<br />

Patienten, dem therapeutischen<br />

Team und dem<br />

Stationsarzt eine Handschiene<br />

für die „gesunde“<br />

Hand verabreicht, die den<br />

Einsatz dieser Hand im<br />

Alltag verhindert. Dadurch<br />

ist der Patient gezwungen,<br />

die betroffene Extremität für<br />

alle Verrichtungen einzusetzen,<br />

und er übt so ständig –<br />

auch außerhalb der Therapien<br />

– die Motorik der<br />

betroffenen Extremität in<br />

der Alltagssituation.<br />

Neben der motorischen Übungsbehandlung<br />

ist der „alltagspraktische“ Bereich ein weiterer<br />

Schwerpunkt in der<br />

Arbeit der Ergotherapeuten.<br />

In der<br />

Therapie sowie in der<br />

konkreten Alltagssituation<br />

werden Tätigkeiten<br />

geübt, die der Patient<br />

benötigt, um sein<br />

Leben im häuslichen<br />

Bereich wieder selbständig<br />

und möglichst<br />

unabhängig von fremder<br />

Hilfe meistern zu<br />

können. Hier steht an<br />

erster Stelle das Selbsthilfetraining, in dem<br />

morgens mit dem Patienten das Waschen und<br />

In der Ergotherapie werden<br />

Tätigkeiten geübt, die der Patient<br />

benötigt, um sein Leben im häuslichen<br />

Bereich wieder selbstständig und<br />

möglichst unabhängig von fremder<br />

Hilfe meistern zu können.


Anziehen geübt wird. Ziel ist es, dass sich<br />

der Patient wieder wie vor seiner Erkrankung<br />

allein versorgen kann. Ist dies zum Beispiel<br />

aufgrund motorischer Einschränkungen nicht<br />

möglich, können die Ergotherapeuten<br />

Eine Reihe von Hilfsmitteln, wie<br />

etwa ein Strumpfanzieher, macht<br />

das Leben von rheumakranken<br />

Menschen leichter.<br />

Strategien vermitteln (z. B. Einhänderschleife<br />

zum Schuhebinden) und den Einsatz von<br />

Hilfsmitteln üben (z. B. Strumpfanzieher,<br />

HILFE ZUR SELBSTHILFE<br />

<strong>KLINIK</strong><strong>REPORT</strong><br />

NEUROORTHOPÄDIE • NEUROORTHOPÄDIE<br />

Anpassung an die aktuellen Erfordernisse<br />

Deutscher Verband der Ergotherapeuten<br />

Die Veränderungen in der Gesellschaft<br />

und dem Gesundheitswesen implizieren<br />

vielfältige Konsequenzen für das berufspraktische<br />

und berufspolitische Handeln.<br />

Der Deutsche Verband der Ergotherapeuten<br />

(DVE) als einzige Interessenvertretung<br />

der Ergotherapeuten Deutschlands übernimmt<br />

dabei eine Schlüsselfunktion. Er<br />

stellt sich den aktuellen Herausforderungen:<br />

Modernisierung, Qualitätssicherung,<br />

Professionalisierung und Konkurrenzfähigkeit.<br />

Ziel der Ergotherapie ist es, kranken, chronisch<br />

kranken und behinderten Menschen ein<br />

größeres Maß an Selbstständigkeit und<br />

Selbstbestimmung zu eröffnen. Ergotherapie<br />

Griffverdickungen und/oder -verlängerungen),<br />

so dass trotz noch bestehender Defizite eine<br />

größtmögliche Selbstständigkeit ermöglicht<br />

werden kann.<br />

Im Rahmen des Haushaltstrainings erproben<br />

und trainieren die Ergotherapeuten weitere<br />

Tätigkeiten, die für eine Entlassung nach<br />

Hause von großer Bedeutung sind. So können<br />

beispielsweise in der Übungsküche größere<br />

und kleinere Mahlzeiten hergestellt werden.<br />

Bei komplexen Tätigkeiten wie dem Kochen<br />

ist der Patient stark gefordert. Hier kann<br />

erprobt werden, ob das Gehen bzw. der<br />

Umgang mit Gehhilfen auch in der<br />

Alltagssituation gelingt (z. B. Stehen und<br />

gleichzeitiges Hantieren, Drehen auf engem<br />

Raum, Transportieren von Gegenständen), ob<br />

die Motorik der oberen Extremitäten ausreichend<br />

ist (z.B. Schälen von Obst und Gemüse)<br />

und ob der Patient kognitiv in der Lage ist, die<br />

gestellten Anforderungen zu erfüllen (z. B.<br />

Handlungsplanung, Umgang mit Mengen,<br />

geteilte Aufmerksamkeit).<br />

Birgit Haindl, Marion Geist<br />

leistet einen Beitrag zur Krankheitsheilung,<br />

sozialen Eingliederung, Leidensverminderung,<br />

Verkürzung von Krankenhausaufenthalten,<br />

Vermeidung von Pflegebedürftigkeit, aber<br />

auch zur Prävention. Der DVE ist bestrebt,<br />

das berufliche Profil der Ergotherapie an den<br />

aktuellen gesellschaftlichen Erfordernissen<br />

auszurichten.<br />

Aber auch die strukturellen, arbeitsrechtlichen<br />

und finanziellen Bedingungen angestellter<br />

und freier Tätigkeit von Ergotherapeuten<br />

müssen aktuellen Erfordernissen<br />

angepasst und abgesichert werden. Deshalb<br />

fordert der Verband einerseits, dass die<br />

Attraktivität des Berufes durch die Eröffnung<br />

von Aufstiegs- und Qualifizierungs-<br />

Behandlungsmöglichkeiten in<br />

der Ergotherapie<br />

Einzeltherapien<br />

Bewegungsanbahnung (Plegien) und<br />

Sensomotorisches Funktionstraining<br />

Feinmotoriktraining<br />

Schreibtraining<br />

Wasch- und Anziehtraining<br />

Haushaltstraining<br />

Wahrnehmungstraining, Training<br />

von Oberflächen- und<br />

Tiefensensibilität<br />

Schienenherstellung<br />

Hilfsmittelberatung und -versorgung<br />

Gruppentherapien<br />

Feinmotorikgruppe<br />

Armtrainingsgruppe<br />

Haushaltsgruppe<br />

Werkgruppe<br />

Parkinsongruppe<br />

möglichkeiten auch für Lehrkräfte verstärkt<br />

werden solle. Andererseits müsse der gesellschaftlichen<br />

und politischen Öffentlichkeit die<br />

Bedeutung und Wirksamkeit der Ergotherapie<br />

im Rahmen der medizinischen Versorgung<br />

stärker verdeutlicht werden. Dafür ist außerdem<br />

Handlungsbedarf in der Bildungspolitik<br />

dringend erforderlich, so der DVE. Die<br />

Qualitätssicherung der Ausbildung auf<br />

Berufsfachschulebene sowie die angestrebte<br />

Akademisierung der Aus-, Fort- und<br />

Weiterbildung müssen hierbei im Mittelpunkt<br />

stehen.<br />

Weitere Informationen erhalten Interessierte<br />

beim Deutschen Verband der Ergotherapeuten<br />

e.V., Postfach 2208, 76303 Karlsbad.<br />

1/2002 FACH<strong>KLINIK</strong> LENGGRIES<br />

5


Dr. Franz Wehle<br />

Facharzt für Physikalische<br />

und Rehabilitative Medizin<br />

in der <strong>Fachklinik</strong> <strong>Lenggries</strong><br />

PORTRÄT<br />

6 FACH<strong>KLINIK</strong> LENGGRIES 1/2002<br />

<strong>KLINIK</strong><strong>REPORT</strong><br />

NEUROORTHOPÄDIE • NEUROORTHOPÄDIE<br />

PORTRÄT<br />

Geboren: 1952 in Eichstätt in Bayern<br />

Beruflicher Werdegang:<br />

Vor Beginn des Medizinstudiums knapp dreijährige Tätigkeit in der<br />

Krankenpflege, vorwiegend chirurgische Nothilfe und Operationsbereich<br />

1984 Approbation zum Arzt<br />

Beginn der klinischen Tätigkeit in der II. Medizinischen Klinik<br />

(Gastroenterologie) des Klinikums rechts der Isar (TUM)<br />

Anschließend fünfeinhalbjährige ärztliche Tätigkeit in der Abteilung für<br />

Physikalische und Rehabilitative Medizin des Städtischen Krankenhauses<br />

München-Bogenhausen<br />

Zweieinhalbjährige ärztliche Tätigkeit in der Rheumatologischen Abteilung des<br />

Städtischen Krankenhauses München-Bogenhausen<br />

Seit 1993 ärztlicher Leiter der <strong>Fachklinik</strong> <strong>Lenggries</strong> als Facharzt für Physikalische<br />

und Rehabilitative Medizin<br />

Aufgabengebiete in der <strong>Fachklinik</strong> <strong>Lenggries</strong>:<br />

Ärztliche Leitung der Behandlung von Patienten mit Erkrankungen des<br />

Bewegungsapparates (Gelenkersatz und degenerative Gelenkserkrankungen,<br />

degenerative und postoperative Wirbelsäulenerkrankungen, Osteoporose)<br />

Ärztliche Leitung der physikalisch und rehabilitativen Behandlung<br />

Physikalisch-rehabilitative Diagnostik und Therapie mit Schwerpunkt<br />

Manualmedizin bei chronischen Schmerzerkrankungen, palliativmedizinischen<br />

Fragestellungen und der Geriatrie jeweils im Team mit Neurologen, Internisten<br />

und Orthopäden<br />

„Die Rehabilitationsmedizin erfordert, dem Menschen nicht nur als nicht mehr funk-<br />

tionierender Maschine mit umschriebenen Ausfällen zu begegnen, sondern ihn in allen<br />

Lebensbezügen mit seiner Betroffenheit und seinen Ressourcen anzunehmen. Hinzu<br />

kommt, dass in dieser Sparte der Medizin eine enge Verzahnung auch mit anderen<br />

Fachgebieten notwendig und dabei sehr fruchtbar ist. Diese umfassende Begegnung<br />

mit den betroffenen Menschen und die Zusammenarbeit mit verschiedensten Berufs-<br />

gruppen hat mich seitdem nicht mehr losgelassen und macht mir sehr viel Spaß.“


REHABILITATION HEUTE<br />

Die Komplexität der Krankheitsbilder<br />

bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen<br />

erfordert die Behandlung durch<br />

ein Therapieteam, das aus Neurologen,<br />

Physiotherapeuten, Ergotherapeuten,<br />

Krankenpflegern, Neuropsychologen, Logopäden,<br />

Sozialarbeitern und Orthopäden/-<br />

Fachärzten für Physikalische und Rehabilitative<br />

Medizin besteht. Nur so können<br />

zeitgerechte und patientengerechte Indikationen<br />

zur Operation gestellt und die<br />

postoperative Weiterbehandlung ohne<br />

Informationsverlust vom Therapeutenteam<br />

mitgetragen werden.<br />

Der operative Eingriff in der neurologischen<br />

Rehabilitation ist vor allem unter den<br />

Kriterien des Funktionsgewinnes zu betrachten<br />

und schließt in der Regel an konservative<br />

Behandlungen an, die durch die pathologischen<br />

Mechanismen ihre Grenzen gefunden<br />

haben. Stets gilt es dabei, den Zeitfaktor im<br />

Auge zu behalten. Sind auch meist irreversible<br />

Folgen neurologischer Krankheitsbilder Ziel<br />

chirurgischer Eingriffe, so sollten sich diese<br />

doch immer daran orientieren, möglichst<br />

minimal invasiv zu sein und definitive destruierende<br />

Techniken zu vermeiden.<br />

Heterotope Ossifikationen<br />

Die abnormale Knochenneubildung tritt bei<br />

erworbenen Hirnschäden und -verletzungen,<br />

bei Rückenmarkserkrankungen und -verletzungen,<br />

Tetanus, Verbrennungen, Traumata<br />

und häufig nach Totalendoprothesen der Hüfte<br />

auf. Bei den verschiedenen Erkrankungen<br />

wird das Vorkommen der klinisch bedeutsamen<br />

heterotopen Ossifikation mit 10–20<br />

Prozent angegeben. Bei der Querschnittlähmung<br />

liegt die Häufigkeit bei durchschnittlich<br />

30 Prozent. Die heterotope<br />

Ossifikation beginnt unabhängig von ihrer<br />

Ursache in der 4. bis 12. Woche nach Eintritt<br />

der Grunderkrankung. Betroffen sind meist<br />

Hüftgelenke und Ellenbogengelenke.<br />

<strong>KLINIK</strong><strong>REPORT</strong><br />

NEUROORTHOPÄDIE • NEUROORTHOPÄDIE<br />

Funktionsverbessernde Operationen<br />

bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen<br />

Operative Eingriffe bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen<br />

sollten zunächst im Therapeutenteam eingehend besprochen werden.<br />

Gelenkschwellung, Beweglichkeitseinschränkung,<br />

Anstieg der alkalischen Phosphatase,<br />

Mehrbelegung im Skelettszintigramm<br />

und wolkige Kalkschatten<br />

im Nativ-Röntgen sind Indikatoren<br />

in der Verlaufsbestimmung.<br />

Die Frühdiagnostik<br />

kann an geeigneten<br />

Stellen (Hüfte) sonographisch<br />

durch eine Aufhebung<br />

der normalen Binnenechos<br />

der Muskulatur erfolgen.<br />

Die sofortige Strahlentherapie<br />

vermindert den<br />

Umfang und die funktionellen<br />

Beeinträchtigungen<br />

durch die Verkalkungen. Die<br />

operative Behandlung sollte<br />

nur bei Knochenneubildungen<br />

gestellt werden, die<br />

zu nicht kompensierbaren<br />

Gelenkeinschränkungen<br />

führen. Prophylaktisch ist in der frühen posttraumatischen<br />

Phase, bei fehlender sensorischer<br />

Kontrolle (z.B. Querschnittsyndrom)<br />

und/oder Bewusstlosigkeit (z. B. Schädel-<br />

Hirn-Trauma) eine forcierte passive<br />

Mobilisation bis in das Ende der Bewegung<br />

der Gelenke hinein notwendig.<br />

Möglicherweise<br />

sind die dabei gesetzten<br />

Mikroverletzungen des<br />

Muskelsehnenapparates<br />

zusammen mit der zentralen<br />

Fehlsteuerung verantwortlich<br />

für die überschießenden<br />

ektopen Knochenneubildungen.<br />

Der operative Eingriff in<br />

der neurologischen<br />

Rehabilitation ist<br />

vor allem unter den<br />

Kriterien des<br />

Funktionsgewinnes<br />

zu betrachten.<br />

Ob bei der operativen<br />

Therapie die Ossifikationen<br />

„ausgereift“ sein<br />

sollen oder eine Frühoperation<br />

mit anschließender<br />

Strahlentherapie funktionell<br />

günstigere Verläufe<br />

zeigt, ist für die verschiedenen<br />

Grunderkrankungen in der Diskussion.<br />

Nativ-Röntgen, CT, alkalische Phosphatase<br />

und Skelettszintigraphie werden als Verlaufs-<br />

1/2002 FACH<strong>KLINIK</strong> LENGGRIES<br />

7


parameter für die Aktivität der Ossifikation<br />

genutzt.<br />

Spastik und spastische Kontrakturen<br />

Spastik ist ein Symptom vieler neurologischer<br />

Erkrankungen und trägt zum Erhalt der<br />

Muskelmasse bei, fördert die Durchblutung<br />

und ist bei Transfers, Gehen und Stehen als<br />

Bestandteil individueller Adaption sorgfältig<br />

zu analysieren. Spastik bekommt dann<br />

Krankheitswert, wenn sie zu funktionellen<br />

Defiziten und sekundären Komplikationen<br />

wie Kontrakturen, Nervenengpasssyndromen<br />

und Decubiti führt. Immer muss nach Spastik<br />

auslösenden Faktoren wie Blasen- und<br />

Darmentleerungsstörungen, Infekten, Decubiti,<br />

eingewachsenen Zehennägeln, schlecht<br />

angepassten Hilfsmitteln sowie erhöhten sensorischen<br />

Inputs gesucht werden.<br />

Der operative Eingriff ist fast ausnahmslos<br />

am oberen Ende der therapeutischen<br />

Stufenleiter anzusiedeln. Sorgfältige Analyse<br />

der Bewegungsmuster durch die Physiotherapie,<br />

Abklärung des zu erwartenden<br />

Nutzens in Beobachtung der täglichen<br />

Routine durch die Ergotherapie, Erstellen<br />

eines neuropsychologischen Status und kritische<br />

Prüfung der Erwartungshaltung des<br />

Patienten sind präoperativ unabdingbar. Der<br />

chirurgische Eingriff sollte in aller Regel nicht<br />

vor Erreichen eines neurologisch-funktionellen<br />

<strong>KLINIK</strong><strong>REPORT</strong><br />

NEUROORTHOPÄDIE • NEUROORTHOPÄDIE<br />

Ausnahmefällen können Teilversteifungen des<br />

unteren Sprunggelenkes indiziert sein, um bei<br />

vorgeschädigten Gelenken nach Ausbalancieren<br />

des Fußes schmerzhafte Wackelbewegungen<br />

zu vermeiden. Der postoperativen<br />

Weiterbehandlung kommt mindestens so<br />

viel Gewicht zu wie der Operation selbst. Die<br />

neurologische Grunderkrankung bleibt naturgemäß<br />

bestehen. Die enge örtliche und zeitliche<br />

Kommunikation aller zum Team gehörenden<br />

Therapeuten bildet die Voraussetzung für<br />

die Verbesserungen.<br />

Der polytraumatisierte<br />

neurologische Patient<br />

Bis zu 40 Prozent der Patienten mit<br />

Schädelhirnverletzungen erleiden auch<br />

Frakturen und Gelenkverletzungen. Während<br />

der Erstversorgung werden große Anstrengungen<br />

unternommen, Gelenke zu rekonstruieren<br />

und Frakturen zu stabilisieren. Die<br />

notwendige aktive Mitarbeit des Patienten ist<br />

wegen der neurologischen Gesamtsituation<br />

jedoch oft nicht möglich. Zusätzliche überschießende<br />

Kallusbildung in Gelenknähe<br />

nach Operationen trägt dazu bei, dass die<br />

Gelenke einsteifen. Eine Zunahme der<br />

Beugespastik wird durch die Gelenksteife<br />

maskiert, ist jedoch nach Arthrolyse wirksam.<br />

Aus diesem Grund wird neben der<br />

Gelenkoperation eine zusätzliche Tenotomie<br />

an den gelenkwirksamen Muskeln empfoh-<br />

Therapeutische Verfahren zur<br />

Behandlung der Spastik:<br />

Physiotherapie der unterschiedlichen Schulen,<br />

oral und intrathecal applizierte antispastische Medikamente,<br />

serielles Gipsen und Orthesenversorgungen,<br />

Nervenblockaden und neurochirurgisch oder orthopädisch<br />

ausgerichtete Operationen.<br />

Plateaus durchgeführt werden, also meist<br />

nicht vor einem Jahr nach Erkrankungsbeginn.<br />

Zur Anwendung kommen operative Verlängerung<br />

der Muskelsehneneinheit zum<br />

Zwecke des Weggewinnes und Minderung<br />

des spastischen Tonus. Sehnentransfers finden<br />

an den unteren Extremitäten Anwendung. In<br />

8 FACH<strong>KLINIK</strong> LENGGRIES 1/2002<br />

len. Bei schlaffer Lähmung oder peripheren<br />

Nervenverletzungen fehlen gelenkwirksame<br />

Muskeln, so dass eine offene oder geschlossene<br />

Gelenkmobilisation sich an Aspekten<br />

der Pflegeeinschränkungen und Mobilisierbarkeit<br />

orientieren muss und insgesamt sehr<br />

zurückhaltend zu beurteilen ist.<br />

Die Weiterbehandlung nach einer<br />

Operation hat für die Erhaltung des<br />

Funktionsgewinnes eine große Bedeutung.<br />

Motorische Ersatzoperationen<br />

Der Transfer intakter Muskeln als Ersatz<br />

ausgefallener Funktionen hat in der orthopädischen<br />

Chirurgie eine lange Tradition.<br />

Unzählige Methoden sind entwickelt worden,<br />

die bei peripheren Nervenverletzungen,<br />

Plexus-brachialis-Lähmungen, Geburtslähmungen,<br />

Poliomyelitis, Querschnittlähmungen<br />

und Zerebralparesen zum Einsatz<br />

kommen. Viele Funktionsausfälle sind im alltäglichen<br />

Leben durch Trickbewegungen,<br />

orthopädietechnische Hilfsmittel und gezielte<br />

pflegerische Hilfe kompensierbar. Als typisches<br />

Beispiel mag der gut rehabilitierte<br />

Halsmarkgelähmte gelten, der durchaus in<br />

der Lage ist, ein weitgehend unabhängiges<br />

Leben zu führen. Da jedoch kompensatorische<br />

Arbeit mental und physisch mit erhöhtem<br />

Energieaufwand verbunden ist, wird vom<br />

Patienten oft die Frage nach möglichen<br />

Verbesserungen auch operativer Art gestellt.<br />

Die Indikation zum Muskeltransfer, oft kombiniert<br />

mit Sehnenverlängerungen und<br />

Gelenkversteifungen, kann auch hier nur im<br />

therapeutischen Team gestellt werden.<br />

Dr. med. Franz Wehle


Welche Besonderheiten sind bei der<br />

orthopädischen Behandlung neurologischer<br />

Patienten zu berücksichtigen?<br />

Dr. Nguyen: Bei der orthopädischen Behandlung<br />

von Patienten mit neurologischen<br />

Erkrankungen sind in der Zielsetzung beide<br />

Störungsmuster im Therapiekonzept zu<br />

berücksichtigen. Die orthopädische Therapie<br />

zielt auf eine schnellstmögliche Mobilisation,<br />

was sich mit den Behandlungszielen der<br />

Neurologie deckt. Hierdurch werden<br />

Muskelatrophien und dystrophische Entwicklungen<br />

vermieden. Die orthopädische<br />

Behandlung muss vorrangig der Notwendigkeit<br />

zur Mobilisation durch geeignete<br />

Therapie angepasst sein.<br />

Welche Vorgehensweisen empfehlen Sie<br />

bei neurologischen Patienten in der<br />

postoperativen Nachbehandlung?<br />

Dr. Nguyen: Ob durch die Mobilisation der<br />

gewünschte Effekt erreicht werden kann,<br />

hängt ganz wesentlich vom vorbestehenden<br />

Paresegrad ab. Ziel der Behandlung nach<br />

der Operation ist jedoch die Mobilisation<br />

ab dem ersten postoperativen Tag mithilfe<br />

der Krankengymnastik sowie des Pflegepersonales.<br />

Sind neurologische Erkrankungen wie<br />

zum Beispiel der Schlaganfall ein<br />

Hinderungsgrund für einen künstlichen<br />

Gelenkersatz?<br />

<strong>KLINIK</strong><strong>REPORT</strong><br />

NEUROORTHOPÄDIE • NEUROORTHOPÄDIE<br />

EXPERTENINTERVIEW BUCHTIPP<br />

Berücksichtigung beider<br />

Störungsmuster<br />

Interview mit Dr. med. Nam Nguyen,<br />

Chefarzt der Orhtopädischen Abteilung<br />

des Städtischen Krankenhauses Bad Tölz<br />

Dr. med. Nam Nguyen ist Facharzt für Orthopädie, Chirurgie/Spezielle orthopädische<br />

Chirurgie und Sportmedizin<br />

Dr. Nguyen: Der Schlaganfall ist kein<br />

Hinderungsgrund für einen künstlichen<br />

Gelenkersatz, jedoch sollte postoperativ auf<br />

die Thromboseprophylaxe besonders geachtet<br />

werden. Die passive Thromboseprophylaxe<br />

mit Antikoagulantien ist meines Erachtens<br />

weniger wichtig als die aktive<br />

Thromboseprophylaxe durch Mobilisation.<br />

Von welchen aktuellen Entwicklungen<br />

in der orthopädischen und endoprothetischen<br />

Behandlung profitieren besonders<br />

Patienten mit neurologischen Erkrankungen?<br />

Dr. Nguyen: Es gibt zahlreiche neue<br />

Erkenntnisse in der orthopädischen und endoprothetischen<br />

Entwicklung, um die biomechanischen<br />

Aspekte zu vervollkommnen. Hier<br />

ist zum Beispiel das Navigationssystem zu<br />

nennen.<br />

Im Schaftbereich der Endoprothese entwickelten<br />

sich verschiedene Schaftformen,<br />

Operationsmethoden (zementiert oder zementfrei),<br />

kurze oder lange Schäfte oder metaphysär<br />

verankerte Schäfte. Meiner Meinung nach<br />

ist die Tendenz zu zementfreien und metaphysär<br />

verankertem Schäften im Kommen.<br />

Die primäre Stabilitätenprothese erleichtert<br />

die postoperative Mobilisation, welche der<br />

neurologischen und orthopädischen postoperativen<br />

Therapie zugute kommt.<br />

Wir bedanken uns bei Herrn Dr. Nguyen ganz<br />

herzlich für das Interview.<br />

Neurologische Therapie<br />

Das Buch „Neurologische Therapie“<br />

vermittelt dem Neurologen, aber auch<br />

dem Intensivmediziner, Neurochirurgen,<br />

Notfallarzt, Internisten sowie den<br />

Spezialisten anderer Fachgebiete die therapeutischen<br />

Grundlagen neurologischer<br />

Erkrankungen. Alle in der Klinik oder<br />

Praxis bewährten aktuellen Therapiemaßnahmen<br />

werden unter Berücksichtigung<br />

der pathogenetischen und klinischen<br />

Grundlagen besprochen. Allgemeintherapeutische<br />

und spezielle<br />

Therapieverfahren werden ebenso dargestellt<br />

wie medikamentöse Details für<br />

die Bereiche neurologische Intensivmedizin,<br />

Neuropsychiatrie oder Rehabilitation.<br />

Der Bezug zu den Nachbardisziplinen<br />

Neurochirurgie, Orthopädie, Psychiatrie<br />

und internistische Intensivmedizin findet<br />

bei der Darstellung des Indikationsbereiches<br />

der einzelnen Therapiemaßnahmen<br />

besondere Berücksichtigung.<br />

Das Werk ist somit für jeden<br />

Arzt, der neurologisch kranke Patienten<br />

behandelt, ein hervorragender aktueller<br />

Therapieleitfaden.<br />

Johannes Jörg (Hrsg.),<br />

Neurologische Rehabilitation,<br />

Heidelberg: 2002, 81,76<br />

1/2002 FACH<strong>KLINIK</strong> LENGGRIES<br />

9


10<br />

AUS DEN ABTEILUNGEN<br />

<strong>KLINIK</strong><strong>REPORT</strong><br />

Laufbandtherapie nach Apoplexie<br />

Ausbau des Gangtrainings in der <strong>Fachklinik</strong> <strong>Lenggries</strong><br />

Seit 1998 wendet die <strong>Fachklinik</strong> <strong>Lenggries</strong> das Laufbandtraining mit partieller Körpergewichtsentlastung hauptsächlich bei hemiparetischen<br />

Patienten an. Das Training erlaubt dem in einem modifizierten Fallschirmgurt gesicherten Patienten, komplexe Gangzyklen wiederholt<br />

zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu üben.<br />

Theoretischer Hintergrund des Laufbandtrainings<br />

ist die Erkenntnis, dass im ZNS, auf<br />

unterschiedlichen Ebenen, bestimmte neuronale<br />

Strukturen, die so genannten Lokomotionsgeneratoren<br />

oder Central Pattern<br />

Generators, in der Lage sind, koordiniert die<br />

zum Gehen notwendigen Muskeln zu aktivieren.<br />

Der Vorteil der Fallschirmgurtaufhängung<br />

liegt darin, dass damit nur Gewicht abgenommen<br />

wird, es aber zu keiner Veränderung der<br />

Unterstützungsfläche und der Schwerpunktlage<br />

kommt. Gerade bei schwerstbetroffenen<br />

Patienten ermöglicht die Fallschirmgurtaufhängung<br />

ein repetitives Gangtraining, was<br />

sonst, nur mit Hilfe von Therapeuten, schwer<br />

möglich ist.<br />

Laufbandtraining in der Praxis<br />

Seit eineinhalb Jahren führen wir täglich<br />

in Form von Kleingruppen unterschiedlichen<br />

Niveaus die Laufbandtherapie durch. In der<br />

ersten Gruppe üben zwei Therapeuten eine<br />

VORANKÜNDIGUNG<br />

„Musik heilt, Musik tröstet“<br />

Konzert in der <strong>Fachklinik</strong> <strong>Lenggries</strong><br />

Jede Woche ermöglichen wir unseren<br />

Patienten, kostenlos an vielseitigen kulturellen<br />

Veranstaltungen teilzunehmen. Unser Angebot<br />

reicht von Volksmusik, Lesungen, Diavorträgen<br />

und Ballettvorführungen bis hin zu<br />

klassischen Konzerten. Diese werden von<br />

begabten jungen Künstlern der Musikhochschule<br />

München dargeboten.<br />

FACH<strong>KLINIK</strong> LENGGRIES 1/2002<br />

Das Training auf dem Laufband eignet<br />

sich hervorragend zur Behandlung von<br />

neurologisch bedingten Gangstörungen.<br />

„Musik heilt, Musik tröstet, Musik bringt<br />

Freude.“ 1977 gründete Lord Yehudi Menuhin<br />

die europäische Organisation „Live music<br />

now“ – 1992 wurde der gleichnamige gemeinnützige<br />

Verein in München ins Leben gerufen.<br />

„Live music now“ vermittelt die Grundüberzeugung<br />

Lord Menuhins, dass Musik auch<br />

Therapie ist, und verbindet sie mit der<br />

Förderung junger Künstler, die am Beginn<br />

Stunde lang mit insgesamt drei Patienten auf<br />

dem Laufband. Die Betreuung der Patienten,<br />

die in der Mehrzahl den Bewegungsablauf des<br />

Gehens wieder neu erlernen müssen, ist sehr<br />

intensiv. Die zweite Gruppe besteht jeweils<br />

aus zwei Patienten, die über 30 Minuten von<br />

einem Therapeuten betreut werden. Die<br />

Patienten in dieser Gruppe brauchen nur noch<br />

wenig Hilfe, oftmals genügt die Sicherheit<br />

über den Gurt und das Bewusstsein, dass ein<br />

Therapeut anwesend ist. Die Übergänge zwischen<br />

den beiden Therapiegruppen sind je<br />

nach Trainingsstand der Patienten fließend.<br />

Die guten Therapieerfolge, die wir in der<br />

<strong>Fachklinik</strong> <strong>Lenggries</strong> mit der Laufbandtherapie<br />

– insbesondere bei schwerstbetroffenen<br />

Patienten – erzielt haben, veranlassten<br />

uns dazu, Anfang dieses Jahres das<br />

Gangtraining durch die Anschaffung eines<br />

neuen Laufbandes auszubauen und somit noch<br />

intensiver nutzen zu skönnen.<br />

Paul Burghowt<br />

ihrer Karriere stehen. Musik soll vor allem<br />

auch den Menschen zugute kommen, die aufgrund<br />

ihrer Erkrankung nicht in die<br />

Konzertsäle gehen können.<br />

Unsere Patienten sind immer wieder begeistert<br />

von den Konzerten und empfinden sie als<br />

wertvolle Abwechslung im Klinikalltag.<br />

Margareta Becker<br />

Das nächste Konzert findet am 10. April<br />

um 18.30 Uhr in der Cafeteria der <strong>Fachklinik</strong><br />

<strong>Lenggries</strong> statt.


GESUNDHEITS- UND SOZIALPOLITIK<br />

<strong>KLINIK</strong><strong>REPORT</strong><br />

Sparen um jeden Preis?<br />

Arzneimittel-Sparpaket erntet harsche Kritik<br />

Nach monatelangen Streitereien ist es nun beschlossene Sache. Das bereits Mitte Dezember vom Bundestag mit rot-grüner Mehrheit verabschiedete<br />

Arzneimittel-Sparpaket ist seit dem 1. Februar Realität. Die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt möchte durch das neue<br />

Gesetz die Arzneimittelausgaben in Deutschland drastisch eindämmen. Doch nicht nur aus den Reihen der Opposition sind zahlreiche<br />

Proteste zu vernehmen.Auch Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sowie der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände<br />

üben heftige Kritik an der Sparregelung.<br />

Wenn das Geld knapp wird, ist Sparen<br />

angesagt. Was so logisch scheint, ist in der<br />

Praxis oftmals schwer umzusetzen. Fakt ist:<br />

Die Kassen der gesetzlichen Krankenversicherungen<br />

sind nahezu leer, während die<br />

Arzneimittelausgaben fortlaufend in die Höhe<br />

schnellen. Bei einer Steigerungsrate von 11<br />

Prozent im Jahr 2001 gegenüber dem Vorjahr<br />

ist Handlungsbedarf erforderlich. Und das hat<br />

sich Bundesgesundheitsministerin Ulla<br />

Schmidt zu Herzen genommen und reagierte<br />

darauf mit der Entwicklung eines Arzneimittel-Sparpaketes,<br />

das zwar mit Verzögerung,<br />

aber schließlich doch noch Anfang<br />

Februar dieses Jahres den Bundesrat passierte<br />

und seitdem seine Gültigkeit hat. Jährliche<br />

Einsparungen von 770 Millionen bis 1,5<br />

Milliarden Euro erhofft sie sich durch diese<br />

Regelungen.<br />

Aut idem: „Oder dasselbe“<br />

Kernpunkt des Arzneimittel-Sparpaketes<br />

ist die immer noch sehr umstrittene Aut-idem<br />

Regelung. Aut idem heißt wörtlich übersetzt:<br />

„oder dasselbe“, was bedeutet, dass die Ärzte<br />

Die Kritiker sind sich einig:<br />

Aus der Aut-idem Regelung wer-<br />

den sich zwangsläufig erhebliche<br />

Nachteile für die Qualität in der<br />

Therapie ergeben.<br />

nur noch Wirkstoffe und keine Präparate mehr<br />

verschreiben dürfen. Der Apotheker muss daraufhin<br />

ein entsprechend preisgünstiges<br />

Präparat auswählen. Nach bisherigem Recht<br />

unterlag das Rezept der alleinigen Entscheidungsgewalt<br />

des behandelnden Arztes. Die<br />

Apothekenverordnung schrieb bisher ausdrücklich<br />

vor, dass die abgegebenen Arznei-<br />

mittel den Verschreibungen entsprechen<br />

müssen. Seit In-Kraft-<br />

Treten der Aut-Idem-Regel<br />

muss der Arzt explizit die<br />

Substitution seiner Verordnung<br />

durch ein wirkstoffgleiches<br />

Präparat untersagen. Im Klartext:<br />

Wenn Ärzte auch in<br />

Zukunft die Therapiehoheit<br />

behalten und sicherstellen wollen,<br />

dass ihre Patienten genau<br />

das Medikament bekommen,<br />

das sie ihnen verordnet haben,<br />

müssen sie auf jedem einzelnen<br />

Rezept dem Apotheker untersagen, ein<br />

anderes Mittel abzugeben. Oder der behandelnde<br />

Arzt verordnet seinen Patienten direkt<br />

ein Präparat aus dem unteren Preisdrittel.<br />

Transparenz darüber, wie die verschiedenen<br />

Arzneimittel preislich angesiedelt sind, sollen<br />

die Ärzte jeweils zu Quartalsbeginn über<br />

spezielle Arzneimittelpreislisten erhalten.<br />

Scharfe Proteste<br />

Die Kritiker sind sich einig: Aus der Autidem-Regelung<br />

werden sich zwangsläufig<br />

erhebliche Nachteile für die Qualität in der<br />

Therapie ergeben. Nach Ansicht des<br />

Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung,<br />

Dr. med. Manfred Richter-<br />

Reichhelm, gefährdet diese Regelung die<br />

Compliance der Patienten. „Denn wenn der<br />

Apotheker mal dieses, mal jenes Medikament<br />

für ein und dieselbe Krankheit herausgibt,<br />

bleibt es nicht aus, dass sich der Patient<br />

womöglich nicht mehr an seine Therapievorschriften<br />

hält“, mutmaßt Richter-Reichhelm.<br />

Ungelöst bleiben seiner Meinung nach auch<br />

die sozial- und haftungsrechtlichen Probleme.<br />

Hier stellt sich die Frage, inwieweit es tragbar<br />

sein kann, dass der Arzt – obwohl der Apotheker<br />

das Medikament aussucht – die alleinige<br />

medizinische und wirtschaftliche Verantwortung<br />

innehat. Auch wenn der Bundesrat<br />

am 1. Februar dem Arzneimittel-Sparpaket<br />

Nach der neuen Aut-idem-Regelung soll Arzt zukünftig<br />

seinen Patienten nicht wie bisher gewohnt ein Präparat,<br />

sondern den entsprechenden Wirkstoff verschreiben.<br />

zugestimmt hat, diskutiert wird indes heftig<br />

weiter. Viele Fragen in Richtung Arzneimitteleinsparungen<br />

sind noch zu klären. So<br />

steht wohl als nächstes nicht nur die<br />

Aufhebung des Versandhandelverbotes für<br />

Arzneimittel, sondern auch die Aufhebung<br />

der Preisbindung für rezeptfreie Medikamente<br />

sowie die Änderung der Arzneimittelpreisverordnung<br />

auf dem Regierungsprogramm.<br />

Wie man sieht: Grund zum Streiten<br />

gibt es noch genug.<br />

IMPRESSUM<br />

<strong>KLINIK</strong><strong>REPORT</strong><br />

Herausgeber:<br />

MedCom Verlags GmbH<br />

Godesberger Allee 154, 53175 Bonn,<br />

Tel.: 02 28/30 82 1-0, Fax: 02 28/30 82 1-33<br />

in Zusammenarbeit mit<br />

<strong>Fachklinik</strong> <strong>Lenggries</strong><br />

für Neurologie und Physikalischrehabilitative<br />

Medizin GmbH<br />

Bergweg 21<br />

83661 <strong>Lenggries</strong><br />

Tel.: 0 80 42/50 40<br />

Fax: 0 80 42/50 47 77<br />

Internet: www.fachklinik-lenggries.de<br />

E-Mail: Info@fachklinik-lenggries.de<br />

Chefredaktion (V. i. S. d. P.):<br />

Dipl. Biol. Andrea Hertlein<br />

Medizinisch-wissenschaftliche Mitarbeit<br />

Prof. Dr. med. Gerd Paal<br />

Dr. med. Bernd Schönberger<br />

1/2002 FACH<strong>KLINIK</strong> LENGGRIES<br />

11


„Sind Sie langsam? Zittern Sie auch<br />

ohne Anstrengung? Haben Sie Probleme<br />

sich umzudrehen?“ Ein kurzer Patientenfragebogen,<br />

kombiniert mit einer Schulung<br />

des Arztes, könnte die Frühdiagnose der<br />

Parkinsonschen Erkrankung in der Hausarztpraxis<br />

künftig erheblich erleichtern.<br />

Drei positiv beantwortete Fragen geben<br />

bereits deutliche Hinweise auf die neurodegenerative<br />

Erkrankung.<br />

„Jeder hundertste Bürger, der älter als 65<br />

Jahre ist, hat im statistischen Mittel Morbus<br />

Parkinson“, sagt Professor Wolfgang Oertel<br />

von der Klinik für Neurologie der Universität<br />

Marburg. Aber die Krankheit werde, wenn sie<br />

nur leicht ausgeprägt sei, oft nicht erkannt,<br />

zumal sich die Symptome wie langsamere<br />

Bewegungsabläufe häufig mit natürlichen Erscheinungen<br />

des Älterwerdens überlappten.<br />

Im Kompetenznetzwerk Parkinson-<br />

Syndrom haben die Marburger Forscher einen<br />

Fragebogen mit 23 Fragen entwickelt, den<br />

Patienten im Wartezimmer ihres Hausarztes<br />

ausfüllen. Darin wird gut verständlich nach<br />

Alltagsmanifestationen von Rigor, Tremor und<br />

Akinese gefragt. In neun Hausarztpraxen ist<br />

der Fragebogen bereits erfolgreich getestet<br />

12 FACH<strong>KLINIK</strong> LENGGRIES 1/2002<br />

<strong>KLINIK</strong><strong>REPORT</strong><br />

Aktuelles+++Aktuelles+++Aktuelles+++Aktuelles+++Aktuelles+++AktuellesAktuelles+++Aktuelles<br />

Morbus Parkinson<br />

Fragebogen erleichtert Früherkennung<br />

Time is brain<br />

Frühzeitige Therapie durch den Ausbau<br />

von Stroke Units<br />

„Time is brain.“ Dieser Aufruf nach<br />

schnellstmöglichem Handeln bei Verdacht<br />

auf einen Schlaganfall gilt nach wie vor.<br />

Denn nur wenn der Patient frühzeitig in<br />

die Klinik kommt, kann das Ausmaß der<br />

Hirnschäden beurteilt und effektiv verringert<br />

werden.<br />

Die Chancen für eine Lysetherapie haben<br />

sich in den vergangenen Jahren durch den<br />

Ausbau von Stroke Units und Schlaganfallambulanzen<br />

deutlich verbessert. So gibt es<br />

bereits über 80 spezialisierte Einrichtungen,<br />

die von der Deutschen Gesellschaft für<br />

Neurologie zertifiziert sind. Etwa 40 Prozent<br />

worden. Das vom Bundesforschungsministerium<br />

geförderte Kompetenznetzwerk bietet<br />

seit wenigen Wochen Hausärzten außerdem<br />

an, sich mit eigenen Daten an klinischen<br />

Studien zu beteiligen.<br />

der deutschen Bevölkerung haben mittlerweile<br />

unmittelbar in ihrer Region Zugang zu einer<br />

Stroke Unit.<br />

Auch der Hausarzt kann oft noch vor dem<br />

Eintreffen des Notarztwagens wichtige<br />

Maßnahmen einleiten. Zunächst ist bei dem<br />

Patienten eine Hypoglykämie auszuschließen.<br />

Daraufhin sollte der Blutdruck gemessen und<br />

gegebenenfalls eine langsame Senkung bei<br />

manifesten hypertensiven Krisen eingeleitet<br />

werden. Das Freihalten der Atemwege sowie<br />

das Legen eines venösen Zugangs, insbesondere<br />

bei längeren Transporten, sind ebenfalls<br />

wichtige Notfallmaßnahmen.<br />

Apoplexierisiko<br />

Menschen, die schlaganfallgefährdet sind,<br />

sollten verstärkt auf ihre Zahngesundheit achten.<br />

Denn chronische Infektionen<br />

des Zahnhalteapparates erhöhen<br />

das Risiko eines Hirninfarktes.<br />

Auch Atemwegsinfekte<br />

und andere<br />

bakterielle oder virale<br />

Erkrankungen sind<br />

offenbar ein Risikofaktor.<br />

Dies berichten<br />

Forscher vom Zentrum<br />

für Neurologie an der<br />

Universitätsklinik Heidelberg.<br />

Musik und<br />

Gehirn<br />

Musiker, die seit ihrer Kindheit ein<br />

Instrument spielen, haben einen höheren<br />

Anteil grauer Substanz im Gehirn als Nichtmusiker.<br />

Dieses Phänomen konnte jüngst in<br />

einer Studie von Dr. Gottfried Schlaug (Universität<br />

Jena) nachgewiesen werden und fand<br />

auf der Tagung der Amerikanischen Akademie<br />

für Neurologie in Philadelphia, die im Januar<br />

dieses Jahres stattgefunden hat, großes Interesse.<br />

Die Forscher haben Kernspin-Aufnahmen<br />

der Gehirne von 15 männlichen Profimusikern<br />

und 15 gleichaltrigen Nichtmusikern<br />

verglichen. Dabei hatten die Musiker mehr<br />

graue Substanz in Regionen, die Körperbewegungen<br />

wahrnehmen und steuern, wie<br />

etwa in den sensomotorischen Regionen.<br />

Deutliche Unterschiede waren ebenfalls im<br />

Cerebellum zu erkennen.

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